key: cord-0037764-yzq9cduh authors: Hacke, Sebastian title: Ergebnisdarstellung: Fallrekonstruktionen und Typisierungen date: 2016-02-20 journal: Medienaneignung von Jugendlichen aus deutschen und türkischen Familien DOI: 10.1007/978-3-86226-971-6_7 sha: e7ad7d0d0faf809299e053df64714bd50c6859f1 doc_id: 37764 cord_uid: yzq9cduh In diesem Kapitel werden die empirischen Befunde der Arbeit vorgestellt. Die nachfolgend präsentierten Interpretationsergebnisse stellen das Resultat einer abstrahierenden Typisierung dar, zu deren Zustandekommen folgendermaßen vorgegangen wurde: Zunächst wurde jeder Fall aus jeder Samplegruppe einzeln betrachtet und anhand des im letzten Kapitels vorgestellten Vorgehens analysiert; infolgedessen zeigte sich, dass sich dabei fallübergreifende Gemeinsamkeiten herausstellten. Indem nach Abschluss der Fallrekonstruktion festgestellt werden konnte, dass sich die Fälle einer Subgruppe unter eine gemeinsame übergreifende Orientierung fassen ließen, wurde eine samplegruppenbezogene Abstrahierung vorgenommen. Dass im Folgenden zwölf generalisierte Orientierungsrahmen präsentiert werden, ist sowohl auf die Sample- als auch auf die dreigeteilte Themenstruktur zurückzuführen. In diesem Kapitel werden die empirischen Befunde der Arbeit vorgestellt. Die nachfolgend präsentierten Interpretationsergebnisse stellen das Resultat einer abstrahierenden Typisierung dar, zu deren Zustandekommen folgendermaßen vorgegangen wurde: Zunächst wurde jeder Fall aus jeder Samplegruppe einzeln betrachtet und anhand des im letzten Kapitels vorgestellten Vorgehens analysiert; infolgedessen zeigte sich, dass sich dabei fallübergreifende Gemeinsamkeiten herausstellten. Indem nach Abschluss der Fallrekonstruktion festgestellt werden konnte, dass sich die Fälle einer Subgruppe unter eine gemeinsame übergreifende Orientierung fassen ließen, wurde eine samplegruppenbezogene Abstrahierung vorgenommen. Dass im Folgenden zwölf generalisierte Orientierungsrahmen präsentiert werden, ist sowohl auf die Sample-als auch auf die dreigeteilte Themenstruktur zurückzuführen. Im Durchgang durch die Rekonstruktionen wird deutlich, dass die Dreiteilung der Forschungsfrage nach Nutzung, Bewertung sowie Wahrnehmung von Medien eine analytische ist und insofern artifiziell anmutet. An ihr wird festgehalten, um die einzelnen samplegruppenbezogenen Orientierungsrahmen besser in den Vordergrund treten zu lassen. Wie die Zusammenführung im nachfolgenden Kapitel zeigt, ist die Medienaneignung nur dann zu verstehen, wenn alle drei Bereiche gemeinsam betrachtet werden. Daraus ergibt sich, dass die Darstellungen unterschiedlich lang ausfallen, da in der zuerst dargestellten Dimension Späteres bereits angelegt ist. Innerhalb des ersten Teils dieses Kapitels sind den Falldarstellungen jeweils kurze portraitierende Einleitungen vorangestellt. Der thematische Bereich der medienbezogenen Verwendung richtet sich schwerpunktmäßig darauf, auf welche Weise die Jugendlichen ihre Beschäftigung mit Medien darstellen. Die Themen, die dabei berührt werden, spannen einen weiten Bogen, der im Interview unter anderem durch Fragen zur Medienbiographie, zu medienbezogenen Lernwegen, zu Vorlieben und Interessen bei der Nutzung über den Umgang mit Schwierigkeiten bis hin zu medienbezogenen Zukunftsvorstellungen angeregt wurde. Wichtig sind dabei ebenso die Anlässe sowie die Kontexte, aus denen und in denen eine Zuwendung und ein Gebrauch der Medien sich jeweils entwickeln. Die aus den Beschreibungen und Erzählungen rekonstruierten Orientierungsrahmen lassen sich bezüglich der vier Samplegruppen folgendermaßen differenzieren: Die Darstellungen der Jungen mit türkischem Migrationshintergrund zeichnen sich vorrangig durch Merkmale von Status, Anerkennung und Prestige (6.1.1), die der deutschen Jungen durch Aspekte von Handlungserweiterung, Rationalisierung und Normalisierung aus (6.1.2). Die Schilderungen der deutschen Mädchen lassen sich mit den Begriffen selektiver Pragmatismus und Selbstverwirklichung fassen (6.1.3), die Mediennutzung (98) I: Wie ist denn das so, wie bist du denn eigentlich dazu gekommen, dich damit zu beschäftigen? Kannst du das mal erzählen? F: (2) ((lacht)) Mmm, ich WEISS nicht ((lacht)). Angefangen hat es im Internetcafé. Mein Cousin hat sich ein Internetcafé gekauft, habe ich bisschen ab und zu ausgeholfen, weil mir langweilig war, bin ich dann man rumgesurft. Und ja, seitdem bin ich einfach-(2) also ich weiß nicht wie es jetzt OHNE Internet wäre für mich, wäre schon HART, aber weil wenn man sich dran gewöhnt hat, ist es so was wie wenn man ein Handy in der Tasche hat. Also das gehört zum Leben halt. I: Aha. Und wann war das, wann bist du das erste Mal, also wann hast du so angefangen Internet zu machen? // F: ((seufzt)) // I: So ungefähr.// F: Acht? Weiß nicht so. Acht so. Ja. Sich fast über die Frage nach seinem Einstieg in die Welt der neuen Medien amüsierend meint Ferhat sich kaum erinnern zu können; er wähnt sich bereits lange und habituell stabil darin verankert und schildert daraufhin einen knappen medienbiographischen Abriss, beginnend im Internetcafe. Deutlich wird zunächst eine familiäre Nähe zur Welt der Technik, in dem ein naher Verwandter sich ein solches "gekauft" hat; seine Verwandtschaft erscheint als nicht nur technikkompetent, sondern vor allem auch -besitzend und -anbietend. Dies ist der Hintergrund seiner Eingebundenheit in die Technikwelt, an die er anknüpft und in der er groß wird. Zunächst in der Rolle desjenigen, der "bisschen" aushilft, dass heißt in einer die familiäre Technikumgebung bereits unterstützenden Funktion tätig wird und sich darin einsozialisiert. Inwiefern Ferhat darauf insistiert, Angehöriger und Emporkömmling einer technikaffinen Sphäre gleichermaßen zu sein, reproduziert sich im Verlauf des Interviews mehrfach; so hebt er z. B. die Ausstattung seines Vaters hervor (dessen Wagen hat ein "Navigationsgerät, so mit Fernseher" (265) und einen "Bordcomputer, gucken wir so Bundesliga beim Ampelstehen" (266)), und betont, dass auch seine "Verwandten in der Türkei" mit neuester Computertechnik ausgestattet ist ("das ist schon SEHR fortgeschritten bei denen", 55). Dass er in der obigen Passage seine Herangehensweise an Medientechnologie viel eher aus Langeweile und nicht aus Interesse motiviert präsentiert, dokumentiert, wie selbstverständlich und ohne größere Mühe er seinen Umgang damit sieht. Zugang zum und Umgang mit dem Medium werden hier zum Bestandteils eines Ansehens, einer technikbezogenen Entwicklung zugehörig zu sein. Vor allem ist die Beschäftigung mit dem Internet etwas, dass für ihn "zum Leben" grundlegend dazugehört, ähnlich einer anthropologischen Grundkonstante. Seinen Alltag vermittelt Ferhat -mittels Gedankenexperiment -als so weit digitalisiert, dass ein Leben ohne Internet "HART" wäre; er positioniert sich als Akteur, der ohne Zweifel Teilhaber einer digitalen Medienpraxis ist. Symbolisch reduziert er dazu den Umgang mit Medientechnologie auf den Technikumgang, welchen man mit dem Handy pflegt, also in Bezug auf eine veralltäglichte, mobile und grenzenlose Selbstverständlichkeit, über die Ferhat verfügt. Deutlich wird bislang, wie sich Ferhat daran orientiert, über eine mit Status ausgestatteten Herkunft zu verfügen und sich selbst einen solchen anzueignen bestrebt ist. Ein solcher Bezug dokumentiert sich auch auf die Frage nach seinem Erstkontakt mit dem PC: (104) F: PC, klar, ich meine AUCH schon längere Zeit ((lacht)), das hat bei mir schon in der GRUNDschule angefangen. Ich war auf der A.-F.-Grundschule und das ist eine Schule, die sehr viel mit Technik arbeitet und den Kindern probiert Englisch zum Beispiel mit PCs beizubringen durch Lernprogramme und, ja halt so Programme und Unterricht, wo man lernt mit PCs umzugehen und so. Ebenso wie der Kontakt mit dem Internet liegt auch der erste Berührungspunkt mit dem Computermedium biographisch schon weit zurück. Seine Kompetenzgenese beschreibt Ferhat als Analogie zum Erwerb eines Bildungspatentes an einer öffentlichen Institution mit umfänglicher medientechnologischer Ausrichtung; den engen Computerbegriff erweitert er dazu ("Technik") und entwirft auf diesem Wege eine technische Handlungssphäre, die an seiner Schule herrschte und dessen Teil er war. Vor allem entwirft er sich als Angehöriger einer technikgeschulten Kindergeneration, die bereits von klein auf durch ein entsprechendes Curriculum gegangen ist und computergestützt unterwiesen wurde. Das Verfügen über eine Computerbiographie im Rahmen der öffentlichinstitutionellen Sphäre kann hier wiederum in Zusammenhang mit einer Statusorientierung gelesen werden: Sie fungiert als ein Dokument der Anerkennung und weist Ferhat bezüglich der Medien als versiert und souverän aus. Die einzelnen Lerninhalte, mit denen er sich beschäftigte, schildert er deshalb auch in einem Modus der Systematik, die anzeigen, inwiefern er sich als technik-beherrschend darstellt: (107) F: Ja halt also, erstmal wo ich was FINDE im PC, wozu ich es VERWENDEN kann, wie ich Sachen rauf speichere, wie ich Sachen lösche, ohne dass ich dem PC viel kaputt mache. Ja, wie ich-, ja alles Mögliche, was man halt so BRAUCHT. Also, auch als Schüler, was man so halt braucht, zum Beispiel schreiben, Word-Pad und so etwas. Halt Alles so was, alles. In seiner Aufzählung macht Ferhat eine Computerkompetenz anhand mehrerer Lernbezüge geltend, die seine PC-Fähigkeiten in Form einer digitalen Könnerschaft entwerfen. Der thematische Zusammenhang ist wiederum der des Beherrschens einzelner Verwendungszusammenhänge, konkret: die Orte von Dateien bzw. Programmen innerhalb der Struktur des Rechners zu finden, sich die einzelnen Handlungsoptionen zu nutze zu machen, Inhalte abzulegen und zu entfernen, und zwar so, dass die Technik dabei unversehrt bleibt; Das Thema der Anerkennung erscheint hier dreifach: Einerseits beherrscht Ferhat Technik so gut, dass sie nicht "kaputt" geht, andererseits verfügt er über Wissen bezüglich medialer Handlungsoptionen, die der generalisierte, moderne Mensch ganz einfach benötigt und drittens relationiert sich sein Computerwissen bezüglich der Einnahme und Erfüllung einer Rolle der öffentlichen Sphäre. Bezogen auf seine sich bisher andeutende PC-Könnerschaft zeigt sich weiterhin, dass er das Internet betont als ein Medium des Nicht-Lernens bezeichnet: (109) F: BRAUCHT man ja doch gar nicht lernen, also das ist ja nichtman muss ja nur die Adressen eingeben und meistens, wenn man was wissen möchte, geht man bei Google rein oder irgendeiner Serviceseite, wo man sich dann Sachen raussuchen kann. Ja. Also da GAB es nicht viel zu lernen oder so. Was man GESUCHT hat, hat man auch GEFUNDEN. Auf diese Weise mischen sich in die sich bisher dokumentierende Orientierung erneut Aspekte einer Kompetenzinszenierung. Ein Merkmal, das im Zusammenhang mit dieser Kompetenzinszenierung virulent wird, ist die Ausprägung einer Art digitalen Spezialistenhabitus, sichtbar z. B. in Passagen zu möglichen Schwierigkeiten im Umgang mit digitalen Medien: [Also] ich hatte früher einen Freund, der war Spezialist, besser gesagt, der war so eine Art Hacker, der ist überall locker rein gekommen, und, ja von dem. Haben VIEL zusammen gemacht immer am PC. Haben zum Beispiel meinen Computer aufgerüstet immer, mit einer neuen Festplatte, bisschen Computer schön gemacht und so, damit der schneller wird. // I: Aha. // F: Dies das. Haben zum Beispiel von einem Studenten einen alten PC gekauft und haben den total aufgemotzt und jetzt ist der besser als die neuen ((lacht)). Zum Beispiel jetzt, so durch IHN, weil er hat sehr viel Ahnung davon. Auf die Frage der Genese seiner Technikkompetenz schildert Ferhat das Vorhandensein einer freundschaftlichen Beziehung zu einem männlichen Computernutzer, dem er seine Fähigkeiten verdankt. Dass er ihn "früher" hatte, verweist wieder darauf, dass er sich bereits länger als souverän im PC-Umgang wähnt, indem seine Technikkompetenz biographisch bereits in der Vergangenheit erworben wurde und er diese als Habitus längst stabil verinnerlicht hat. Die befreundete Person, die Ferhat als Wissensquelle präsentiert, zeichnet sich dadurch aus, kein gewöhnlicher alltäglicher Computernutzer zu sein, sondern "Spezialist": Ferhat relationiert damit eigenes Wissen in Bezug zu einem exklusiven Spezialwissen, an dem er partizipiert hat und nun selber darüber verfügt. Deutlich wird dies daran, dass er seinen Freund als "Hacker" bezeichnet, also als jemanden, der formal in der Regel ein ausgewiesener IT-Profi ist und der sich durch überdurchschnittlich hohe Computerfähigkeiten auszeichnet, mithilfe derer er sich Respekt verschaffen kann (vgl. Nagenborg 2006) ; so steht das Computermedium im Kontext des Hackertums für ein Werkzeug und Symbol der Macht, ist der Hackerauch in Ferhats Wahrnehmung -jemand, der eben "überall locker rein" kommen kann. Indem Ferhat eine intensive gemeinsame Computerpraxis mit ihm darstellt, präsentiert er sich als im Besitz eines mächtigen Computerfreundes, durch den er selbst zu entsprechendem Medienhandeln ermächtigt wurde. Dies bezieht sich nicht nur auf die Ebene des handlungspraktischen Umgangs mit dem Medium, sondern auch auf die des hardwarebezogenen Bastelns: In dieser Funktion schildert Ferhat das technische Eingreifen in die Computertechnik, bezüglich dessen er über Erfahrung verfügt. Der PC wurde "aufgerüstet", mit einer neuen Komponente ausgestattet und damit aufgewertet. Dass es dabei nicht um eine zweckfreie Handlung des Bastelns geht, sondern um eine statusbezogene Tätigkeit, die seine eigene Könnerschaft fokussiert, dokumentiert sich darin, dass Ferhat auf den Kauf eines alten PCs von einer Person mit formal höherem Bildungskapital verweist ("Student"), dessen alte Technik er in der Lage war, soweit auf-165 zuwerten ("aufgemotzt"), dass sie solche Geräte, die sich auf neuestem Entwicklungsstand befinden, in punkto Leistungsfähigkeit sogar übertrifft. Es geht hier weniger darum, Technik lediglich zu reparieren oder wieder instand zu setzen, sondern ein symbolisches Ergebnis zu erzielen, was die eigene technikbezogene Souveränität besonders eindrucksvoll dokumentiert. Ferhats Inszenierung eines digitalen Spezialistenhabitus zeigt sich auch in einer weiteren Textstelle, in der das Thema Virenabwehr verhandelt wird: (245) F: Das war dieses SARS-Virus glaube ich oder-// I: Aha. // F: Also, da wo immer, äh, 59 Sekunden kamen. // I: Mhm. // F: Immer so ein kleiner Block so, und dann stand da immer so ein großes X und dann waren dann halt 59 Sekunden. Habe eine Woche dran gearbeitet, bis ich die Scheiße runter hatte ((lacht)). Also, mhm-habe ich schon RICHTIG Probleme damit gehabt. // I: Und, hast es dann hinge[kriegt?] // F: [Ja ja ]. Also, hatte auch in der Woche kaum so Zeit so gehabt, und habe dann halt so immer so eine Stunde daran gesessen. Und dann mal wieder 10 Minuten, um mal zu gucken. Also ich habe erstmal so zwei drei Stunden gebraucht, um herauszufinden, woran das LIEGT. Dann habe ich erstmal gefunden, wo sich das rein gefressen hat, dieses Scheißvirus. Und dann habe ich angefangen so dagegen ein bisschen was zu tun. Analog zur Passage zuvor wird auch hier der implizite Zusammenhang von Kampf und Sieg deutlich; so erforderte die Virenbereinigung seines PCs 165 für Ferhat die Investition aufwändiger Arbeit, welche zudem äußerst schwierig war, um überhaupt zur Wurzel des Problems vorzudringen; hierzu musste er sich ins Innere der PC-Architektur begeben, um herauszubekommen, wohin sich der Virus "reingefressen" hat. Ähnlich der oben interpretierten Textstelle kommt es auch hier zu einer Hypostasierung sowohl des technischen Problems als auch seiner Abwehrstrategie. Beides lässt sich als im Dienst einer nicht nur Kompetenz-sondern auch Machtinszenierung stehend interpretieren, indem Ferhat wiederholt eine eigenständige und kompetente Problemlösestrategie zur heroischen Verteidigung gegen einen mächtigen Feind darstellt. Wie sich bereits oben andeutete, geht es Ferhat -neben einer auf die Ebene der Bedienung abzielenden technischen Könnerschaft -auch um den handlungspraktischen Aspekt im Umgang mit technischen Geräten: (126) I: Machst du das jetzt auch noch so, dass [du am PC bastelst?] F: [Ab und zu], (2) ja also, ja klar, wenn ich jetzt irgendwie einen, was weiß ich was PC bekomme, der zum Beispiel uralt ist und was weiß ich, richtig LANGE braucht. Der gar nicht ins Internet gehen würde. Dann schlachte ich den erstmal aus, und, dann erstmal die alten Sachen RAUS, dann finanziere ich neue Wie schon zuvor beschreibt sich Ferhat als erfolgreicher Geschäftemacher, der sich auf exklusivem Feld bewegt (wenngleich die immanente Geltung des in seinem Online-Handel mit "Katanas" erzielten Gewinns hier nicht überprüft werden kann -immerhin eine Wertsteigerung von 600%). Worum es seiner Darstellung geht, lässt sich dahingehend verdichten, dass er sich als erfolgreich und selbstwirksam präsentiert, im Feld der Medien Kapital schlagen zu können bzw. geschlagen zu haben. Darin scheint ein Kontrast zu Andreas auf (vgl. Abschnitt 6.1.2), welcher ebenfalls über recht umfangreiche Ebay-Aktivitäten berichtet; anders als Ferhat thematisiert Andreas diese Praxis als eher formales Geschehen zur unspektakulären Veräußerung von Gebrauchsgegenständen. Ein damit in Verbindung stehendes Motiv der sozialen In-Wert-Setzung der eigenen Medienerfahrung scheint in einer Passage zur Praxis des Bildbearbeitens auf; Ferhat 167 entwirft sich hier als Versorger und Ermöglicher, von dessen Expertise die Peergroup profitiert: (169) F: Also so ich designe kleine Fotos, für Fotoalben zum Beispiel. Zum Beispiel wenn wir eine Privatparty hatten, und wir haben Fotos geschossen, dann mache ich halt ein Album draus, oder so was halt. Das ist schon GUT so, zum Sachen designen zum Beispiel so, ja, alles Mögliche. // I: Mhm // F: So, als wir gefeiert haben, hat wer einfach so paar Schnappschüsse gemacht. Dann probieren wir die so bisschen auszuschmücken so mit Hintergrund, Umrahmung und so. Dann verteilen wir sie an Freunde und so. // I: Mhm // F: Die dabei waren, also damit die AUCH was davon haben. Anders als Carola (vgl. Abschnitt 6.1.3), die ebenfalls die Nutzung von Digitalfotografien herausstellt und sich dieser als symbolische Form des Selbstausdrucks bedient, orientiert sich Ferhat daran, inwiefern die Gestaltung eines Medienprodukts vor dem Hintergrund souveränen Könnens sozial resoniert; symbolisch geht es auch hier um die Praxis des Aufwertens von Produkten (einfache Gelegenheitsfotografien werden "designt"), die von Ferhat in Verbindung gebracht wird mit deren Weitergabe und einer entsprechenden Außenwirkung. In Weiterführung dieser Wirkungsbetonung zeigt sich, wie Ferhats digitaler bzw. technikbezogener Habitus auch Aspekte von Überlegenheit impliziert. So betont er z. B., inwiefern er selbst über eine exzellente Medienausstattung verfügt ("ich habe ja nicht nur eine, nee, ich hab drei Digitalkameras ((lacht)), so halt eine zum Fotos machen, eine zum Drehen so, die hat halt acht Megapixel, das ist schon ganz ordentlich", 176). Vergegenwärtigt man sich, dass zum Zeitpunkt des Interviews die durchschnittliche Bildauflösung bei Digitalkameras bei 3-4 Megapixeln lag, wird ersichtlich, inwiefern Ferhat hier den Besitz eines qualitativ weit über dem Standard liegenden Produkts anzeigt. In den Kontext einer solchen Präsentation eigenen medientechnischen Besitzes fällt auch seine symbolische Abwertung öffentlicher Medienorte; so erklärt er z. B., die Technik im Internetcafe sei minderwertig und er habe es nicht nötig, sich eine Sphäre herabzulassen, die aus seiner Sicht beschränkt und verletzend zugleich ist: komme, so mit knallroten Augen und so, das GEFÄLLT mir NICHT sonderlich. ((lacht)) Umso deutlicher hier die alteritäre Medientechnik von Ferhat degradiert wird, umso hochwertiger erscheint seine eigene, von ihm selbst arrangierte private. Gegenüber dem Internetcafe ist seine häusliche Medienumgebung nicht nur luxuriöser, sondern auch an ihn angepasst und bietet das Erleben von Exklusivität und Bequemlichkeit. Darüber hinaus macht er deutlich, sich -im Gegensatz zu vielen anderen Besuchern des Internetcafes -auch nicht gesundheitsschädlich zu verhalten. Sich dem Qualm der anderen auszusetzen, erlebt er als Beschädigung seines körperlichen Ansehens, das er dann öffentlich, beim Verlassen des Internetcafes in Gefahr sieht. Selbiges erscheint damit für Ferhat als ein in jeder Beziehung verächtlicher, würdeloser Raum, seiner Person und seinen Ansprüchen nicht angemessen. Erkennbar wird daran, wie Ferhat sich exponiert, sodass erneut sein Status -materiell und symbolisch -zur Geltung kommt. Diese (technikbezogene) Herausstellung einer eigenen Überlegenheit dokumentiert sich auch dergestalt, dass sich Ferhat über geltende, ihm bewusste Konventionen im Zusammenhang mit Fragen der Mediennutzung hinwegsetzt. Hierzu schildert er zwei Arten von Grenzübertretungen: Bezüglich seiner schulischen Nutzung etwa beschreibt er seine Internetnutzung zunächst wie eine Art Spiel, in welchem er mühelos Anforderungen umgeht: (145) F: Wenn wir zum Beispiel einen Aufsatz haben, dann, naja, wir haben ein Buch gelesen und ich habe nicht mitgelesen zum Beispiel ((lacht)), dann lade ich mir einfach die Zusammen-, äh, hier (3) // I: Zusammenfassung? // F: Die gesamte Zusammenfassung runter, und, ja. Lese ich mir zwei-dreimal durch und schon hab ich den ganzen Text drauf ((lacht)). I: Machst du das häufiger mal [so für die Schule?] . F: [Ja für] Aufsätze schon. Das finde ich besser als das ganze Buch durchzuackern ((lacht)), wenn ich die wichtigen Sachen DA kriegen kann. Seine eigene Geltung bzw. Erhabenheit bemisst sich hier daran, inwiefern Ferhat genau weiß, im Unterricht nicht "mitgelesen" zu haben, was ihn belustigt und worin sich ein abschätzige Konnotierung des Unterrichts andeutet. Die durch seine Nicht-Aufmerksamkeit entstandene Lücke ist er sich sicher, durch Herunterladen und "zwei-dreimal" Durchlesen einer "Zusammenfassung" nachträglich und mit wenig kognitivem Aufwand schließen zu können. Hiermit macht er deutlich, inwiefern er der schulischen Rationalität mit einiger Arroganz gegenübersteht und auf der Basis einer Grandiositätsvorstellung gegenüber dem "durchackern" eine scheinbare Leichtigkeit des (Nach-)Lernens in Opposition bringt, die ihm aufgrund seiner technischen Fähigkeiten selbstverständlich erscheint. Ihm ist klar, dass seine Handlungspraxis eine institutionell vorgegebene Relevanz ("Buchlesen") unterläuft; im Kontrast entwirft er sich als Triumphator über eine schulische Praxis, in der sich aus seiner Sicht mit eigentlich Unwichtigem aufgehalten wird, wo er doch "die wichtigen Sachen DA", sprich online, findet. Insofern wird hier die sich bislang abzeichnende Orientierung um eine Dominanz über das schulische Geschehen erweitert. 169 Dieser Selbstzuschreibung eines Status der Dominanz entspricht, dass Ferhat seine Internetpraxis bewusst als temporäre Gesetzesübertretung artikuliert und ohne zu Zögern darüber informiert: (150) I: Mhm. Und sonst so im Internet? Was sind das noch so für Sachen zum Beispiel? F: Ja (2) Logos, Musiktöne, dies das. Es gibt ja auch diese illegalen Sachen, zum Beispiel wie Kazaa. // I: Ja. // F: Na ja, da lädt man sich auch schon öfters was runter ((lacht)) // I: Ja? // F: Ja klar ((lacht)). Ich meine, warum soll ich da 50 Cent, 1 Euro ausgeben für ein-pro Lied, wenn ich das da UMSONST kriege. // I: Mhm. // F: Ich meine, da erwischen tun sie eh nur selten einen und WENN dann zahle ich halt die Strafe von 50 Euro, SO VIELE Lieder wie ich da schon runtergeladen habe, das ist es allemal wert ((lacht)) Deutlich wird, dass es Ferhat gerade nicht darum geht, seine Praxis des illegalen Downloads etwa zu rationalisieren, sondern sie als Dokument eines Beherrschungshabitus viel eher zu idealisieren. Dass es ihm erneut darum geht, sich als kompetent und überlegen zugleich zu positionieren und auf diese Weise seinen eigenen Status zu akzentuieren, verdeutlicht sich weiter darin, dass er sich über einen aus seiner Sicht inkompetenten Nutzer amüsiert: Diesen zum Opfer seines Nichtwissens erklärend reproduziert sich Ferhats materieller und symbolischer Distinktionsgewinn: (161) F: Ich habe nur so einmal GEHÖRT, dass da so-, also es gibt ja auch Morpheus, es gibt ja verschiedene solche Sachen, wo man herunterladen kann und Morpheus hat-irgendwie wenn man sich NEU da registriert, muss man irgendwie Geld bezahlen. Und DER hat-der WUSSTE das nicht, weil es früher ja umsonst war und hat sich da über 100 Lieder runtergeladen und dann kam einen Monat später die Rechnung von 140 Euro, also, war wahrscheinlich nicht gerade angenehm ((lacht)). Als verbindendes Element der beiden Episoden (Umgang mit schulischen Anforderungen und illegaler Download) lässt sich hier festhalten, dass es aus Sicht von Ferhat um ein selektives Außer-Kraft-Setzen geltender Regeln geht, das ihm auch selber bewusst sind und das er als Ausweis eigener Souveränität begreift. Beides ist Dokument seiner Orientierung im Umgang mit digitalen Medien: Computerwissen und Computerhandeln stehen in enger Wechselwirkung mit Fragen der Positionierung im sozialen Raum bzw. der eigenen Geltung und Überlegenheit, anhand dessen sich vermittelt, Anerkennung und Respekt in Bezug auf andere verschafft zu haben bzw. verschaffen zu können. Auch auf anderen Gebieten seiner Mediennutzung präsentiert sich Ferhat als Teilhaber einer Praxis, die er als erfolgsorientiert und souverän zugleich vermittelt. So beschreibt er, ähnlich wie Sercan (siehe unten), seine Chatpraxis als Handlungsfeld, das Aspekte von Bemächtigung und Status impliziert: Sich als Person beschreibend, die aufgrund eigener Erfahrung ein Wissen darüber besitzt, welche computervermittelten Tätigkeiten sich im Kontext eines Autoritätsgefüges ausführen lassen, äußert er eine relativ feststehende Berufsperspektive, die den Willen zur Aufstiegsmobilität impliziert: Er will, so führt er aus, sein "Fachabi versuchen, oder, vielleicht richtiges Abi und dann will ich Versicherungsfachmann werden, also bei meinem Vater in der Firma einsteigen" (411). Sich hier die Anwendung von Computerkenntnissen vorstellend deutet Ferhat diese als Vehikel, das unmittelbar mit der Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Prosperität des Familienbetriebes verknüpft ist ("sehr wichtig, weil man ja die ganzen Kunden anschreiben muss, dies das", 412), wobei er vor allem auf eine souveräne Arbeitsorganisation abstellt ("also wenn man nicht weiß wie das geht, dann hat man einen Haufen Arbeit. Aber manchmal kann man sich einfach durch kürzere Wege Sachen sparen", 413). Auch einen diesbezüglichen Kompetenzerwerb stellt Ferhat in einen direkten Zusammenhang mit der beruflich erfolgreichen Sphäre des elterlichen Betriebes. Als Quasi-Assistent Vaters ("ich mache einfach weiter in meines Vaters Betrieb mit und helfe", 415) stellt sich Ferhat vor, durch direkte Mithilfe an den anfallenden Tätigkeiten zu einem Beherrscher selbiger zu werden: "Also, einfach da Sachen mit ausfüllen zum Beispiel Versicherungen, Kfz-Versicherungen ausfüllen, gucken dies das und so. Solche Sachen halt. Früh anfangen, damit ich es später beherrsche" (416). Vor allem letzteres erinnert an eine Haltung des kontinuierlichen an sich selbst Arbeitens, die zu einer Art späteren Meisterschaft führt. Nicht zuletzt weist seine Darstellung eine Parallele zum Beginn des Interviews -seiner Medienbiographie -auf: Hier wie dort kommt Ferhats Selbstpositionierung zum Ausdruck, Angehöriger einer familiären Kapitalsphäre zu sein, aus der man im Prinzip selbstverständlich und ohne größere Mühe als kompetent hervorgeht. Damit dokumentiert sich erneut Ferhats Habitus, das Verfügen über und die Verwendung von Medientechnologien in einen Kontext von Status, Ansehen und Prestige zu bringen. Schließlich bearbeitet er auch die Frage nach weiteren computerbezogenen Interessen entlang eines Geltungsbewusstseins: (417) I: Gibt es denn Sachen am Computer, die du gerne noch lernen würdest? Die dich noch besonders interessieren? F: Ja, halt dieses Webdesign so. So Homepage erstellen und so was. Habe ich mal jetzt angefangen mit, mit einem Freund zusammen. Ich HATTE mal eine und dar war also ein Link zu meinem alten Kickboxverein, die haben auch so eine Homepage, und dar war einfach ein Link so als ich Berliner Meister geworden war, so wo sie sich FOTOS anschauen konnten und so, von unserer Siegesfeier und so was ((lacht)). Ja und die Vorgeschichte, wann ich angefangen habe und so, ein kleiner Lebenslauf von mir und so was, mit Bild. Das Interesse an "Webdesign" erklärt Ferhat aus dem Effekt einer medialen Darstellung, von dem er hofft, dass er auf den Betrachter ausgeht. Deutlich machend, dass die Erstellung einer Webseite kein neues Terrain darstellt, auf das er sich später einmal begeben möchte (er "HATTE" bereits eine), arbeitet er sich weniger an der Art und Weise der Gestaltung dieses Medienproduktes ab, vielmehr an dessen Funktion zur Präsentation seiner eigenen Person. So erlaubte die frühere Seite zunächst den Nachvollzug seiner Einbindung in einen Kampfsportverein, der seinerseits über ein Internetangebot verfügt, welches als Plattform fungierte, von der aus sich der Nutzer ein Bild von seinem sportlichen Erfolg machen konnte. Dabei schildert Ferhat sich selbst als "Meister", der auch als solcher wahrgenommen werden will, wobei er seinen sportlichen Werdegang bereits an einer anderen Stelle als erfolgreich dargestellt hatte ("ich habe früher Kickboxen gemacht. Ja. Ich habe viel DAMIT zu tun gehabt früher, hatte auch kaum Zeit so, weil ich habe auch-war auch ein bisschen so leicht professionell. Habe auch Teil-also Wettkämpfe bestritten, wurde einmal Berliner Meister im Jahrgang 2002, und einmal deutscher Vizemeister", 217). Die mit den Möglichkeiten einer Homepage verbundene Visualität ist Ferhat besonders wichtig, weil sie für ihn mit dem Effekt gekoppelt ist, umfassend gewürdigt zu werden; zumal erhalte der Betrachter tieferen Einblick als lediglich in das reine Datum seines sportlichen Erfolges, sondern bekommt Zugang zu Ferhats biographischem Werdegang und kann sich z. B. über den Beginn seiner sportlichen Betätigung informieren. Diese von Ferhat hervorgehobenen Aspekte markieren zugleich erneut wichtige Komponente seines positiven Gegenhorizontes, Medientechnologie zum Zweck der Vermittlung eigenen Erfolges bzw. eigenen Prestiges anzusehen. Dabei interessiert ihn ganz offensichtlich viel weniger der Prozess des Erstellens einer Webseite als solcher -also das Programmiergeschehen bzw. der digitale Transformationsprozess -sondern viel mehr das Resultat in Form eines Besitzes einer digitalen Möglichkeit des Selbstmarketings. Es geht ihm um die Präsenz und die Wahrnehmbarkeit der eigenen Person ("das ist schon krass, wenn man so eine EIGENE Homepage hat so bisschen", 421), die er zudem selbstbewusst und erfolgsorientiert antizipiert: Der Besitz einer eigenen Webseite ist sein erklärtes Ziel: "Ja KLAR, ich überlege so, ob ich mir jetzt demnächst eine so anschaffe" (424). Insofern bettet er auch hier die Verwendungsmöglichkeiten von Medien in eine statusanzeigende, darstellungsbetonte und auf soziale Anerkennung gerichtete Selbstinszenierung ein. In einem ähnlichen Modus wie Ferhat stellt auch Yüksel seine Mediennutzung dar. Yüksel ist 15 Jahre alt, seine Eltern stammen aus einer Stadt am schwarzen Meer, er hat vier Geschwister, von denen zwei bereits verheiratet sind. Sein Vater ist von Beruf Reisebusfahrer, seine Mutter Verkäuferin. Zu Beginn des Interviews wirkt Yüksel ein wenig zurückhaltend, fast unsicher; er hat etwas Förmliches an sich und ist auch der einzige Interviewpartner, der mich durchgehend siezte. Insgesamt geht er sehr bereitwillig und offen auf die Fragen ein, bliebt aber zugleich, auch durch das Anbehalten seiner Winterjacke, auf Distanz. Am Ende unseres Gespräches möchte er über den weiteren Fortgang informiert werden ("was machen Sie jetzt damit? Also sie haben es ja jetzt aufgenommen", 380); noch während ich erkläre, dass das Interview zunächst transkribiert wird, ist Yüksel vorrangig an der Verwendung interessiert ("kommt das zum Beispiel in eine Zeitschrift oder so, Zeitung?" 384). Meine Erläuterung, die Ergebnisse in einer Forschungsarbeit zu veröffentlichen kommentiert er mit "ah GUT". Als seine Hobbies nennt Yüksel "Computerspiele", "Fußball" und "Spazierengehen". Yüksel nimmt aktiv am islamischen Gemeindeleben im Stadtbezirk teil, einmal die Woche besucht er die Moschee. Mehrfach betont er seine Herkunft ("ich bin hier geboren, aber sonst bin ich eigentlich, Türke" 12), die sich auch in einer starken Verbundenheit zu Geschehnissen in der Türkei ausdrückt; z. B. stellt er heraus, bezüglich der Vorkommnisse in einem türkischen Fußballverein auf allerneustem Stand zu sein ("bei Galatasaray so geh ich immer so. Also lese immer dieses neue da, also ob neue Transfers gibt, ob die neuen Spieler, was halt so passiert (3) Was die so die Zukunft von denen ist und so. Da lese ich halt immer die neuesten Sachen", 76). Geht es ihm einerseits darum, vermittels der Nutzung medialer Optionen in Sportgeschehnisse nicht nur involviert, sondern vor allem mit brandaktuellen Informationen ausgestattet zu sein, präsentiert er sich auch selbst als Träger eines sportlich-körperbezogenen Habitus ("so Freizeit spiele ich SCHON sehr oft Fußball. So Wochenende, manchmal auch in der Woche. Spiele schon sehr oft Fußball", 68); auch kennzeichnet er körperliche Fitness als eine Grundkonstante in seinem Leben ("also Sport BRAUCHT man ja im Leben, damit man in Form ist", 112). Erste Elemente seines Orientierungsrahmens lassen sich da auffinden, wo Yüksel, gleich nach der Begrüßung, davon berichtet, (noch) keinen deutschen Pass zu besitzen: Im Modus einer offenkundigen Statusunsicherheit schildert er daraufhin, dass er seine eigene Zukunft in Deutschland davon abhängig sieht, inwiefern es ihm gelingt, innerhalb der Gesellschaft einen Platz zu finden: (18) Y: Ich weiß nicht. Also wenn ich hier ne Arbeit finde, Ausbildung, kann ich auch hier bleiben. Also, vielleicht ich will Feuerwehrmann werden, aber, wenn man hier also keine Arbeit mehr findet, dann fliege ich vielleicht wieder in die Türkei und bleibe vielleicht für immer dort. Also, das kann ja AUCH passieren, ja. Aber eigentlich gerne, ich will auch schon hier bleiben. // I: Willst lieber hier bleiben-// Y: Ja, weil ich mich schon hier dran GEWÖHNT habe, so hier die Gegend und so, sind ja auch alle meine Freunde hier (2) Keine weiterführende Beschäftigung findend wäre die Alternative, Deutschland ein für alle Mal den Rücken zu kehren -sie mutet fatalistisch an, denn eigentlich ist es sein erklärter Wille, zu bleiben. Aufgeworfen sind damit Themen, die für Yüksel von Bedeutung sind und das weitere Interview prägen, und zwar eine Auseinandersetzung mit einer drohenden Marginalisierung und ein Ringen um eine soziale Positionierung. Ein Dokument dieser Orientierung ist z. B., dass er trotz des Nichtvorhandenseins eines häuslichen Internetanschluss betont, ständig Zugang zum Netz zu finden: "I: Habt ihr Internet zuhause? F: Nein, leider (1), aber ich gehe SEHR OFT rein bei meinem FREUND, also, DER hat Internet, oder Internetcafe" (35). Auch weiter macht er deutlich, wie er ein vermeintliches Abgeschnittensein von Medienoptionen durch das Verfügen über Sozialkapital überbrücken kann: (94) Y: Also wenn ich Internet zu HAUSE hätte, würde ich auch viele Sachen machen im Internet. Also machen wir auch vielleicht bald zu Hause, Internet. // I: Holt ihr Euch dann? // Y: Ja, mein Vater sagt also "mach dir wenn du willst", aber ich weiß noch nicht ob ich dann DSL mache oder, ich mache vielleicht auch ne Flatrate. Das hat auch mein Freund, das ist GUT eigentlich, kann man ja so OFT reingehen will. Also, die laden auch runter meine Freunde. Und das gibt's ja auch, Runterladen und so, aber, ja (2) // I: Mhm // Y: Also ich, wenn ich zu meinem Freund gehe mache ich das. Weil ich sage dann "lade mal zum Beispiel ein Lied runter was neu rausgekommen ist, was ich mag" und so. Dann macht er das halt. Geschildert wird ein Szenario, in dem Yüksel die überwiegende Mehrzahl der Freunde -anders als sich selbst -bereits persönlich besitzend beschreibt; sie "HATTEN" diese Technik bereits und er partizipierte daran, zunächst im Modus einer rein spaß-bzw.spielbezogenen Nutzung. Hier zeigt sich eine offensichtliche Mangelsituation, zunächst nämlich nur teilnehmend, nicht aber computerbesitzend zu sein; es ist ein im Vergleich zu dem für ihn zentralen Referenzrahmen -seiner peergroup -also zeitlich verspätet einsetzender Kontakt zur Welt der Computer. Allerdings gelingt es Yüksel scheinbar mühelos und souverän, den Anschluss herzustellen und damit den Zustand der Exklusion zu überbrücken, denn er schildert eine einfache, knappe Aufforderung an seinen Vater, der dieser offenbar sofort nachkam. Es ist eine Erfahrung, unter Anrufung familiärer Ressourcen einen Statusunterschied zu überbrücken und zu der bisher nur in Form passiver Teilhabe erlebten Handlungspraxis aufzuschließen um selbst aktiv bzw. inkludiert sein zu können. Deutlich wird auch, wie es Yüksel gelingt, seine familiären Ressourcen im eigenen Sinne zu nutzen, denn er wirbt für die Anschaffung eines PCs mit zweckrationalen, weil schulbezogenen Nutzungsformen, die seinem Vater eine vermeintlich lernbezogene Verwendung dieses neu anzuschaffenden Gerätes suggerieren. Insofern vermittelt die Passage, wie es Yüksel gelang, sich im eigenen Interesse und zum Erringen von Anerkennung durchzusetzen. Eine damit verbundene Demonstration von Teilhabefähigkeit zeigt sich weiter, als Yüksel, angesprochen auf seine allgemeinen Medieninteressen, sich selbst in einem breiten Themenspektrum verortet: (308) Y: Also, so Filme, also ich interessiere mich sehr für Filme, ich habe schon SEHR viele Filme angesehen. Also was ich am meisten gucke im Fernseher ist auch über PCs und so, wenn, also manchmal gibt's ja auch so Dokumentfilme, über PCs oder über Internet, das guck ich mir auch immer an. Also wenn ich, also es ist auch Zufall, wenn ich aufmache und dann gibt's das, dann gucke ich mir das an. I: Und wie ist das so mit Lesen? Y: Ja, also wenn ich zum Beispiel ein Zeitung mal in der Hand habe und da steht zum Beispiel was über PCS was, dann les ich mir. Also lese ich es immer vor. Auch wo anders, Zeitschriften oder so, wenn da was steht, dann kauf ich mir manchmal, wenn es interessant ist. I: Und liest du auch Sachen die nichts mit PC zu tun haben? Y: Ja, ja. Also wie gesagt so über Sport, Nachrichten, das neu-este Thema immer. Oder mich interessiert auch immer was so, Astronomie interessiert mich sehr oft. Also Astronomie mag ich auch. Und was auch in der alten Zeit passiert ist. Zum Beispiel erste Weltkrieg oder in der Türkei in die Kriege, also was Atatürk für Kriege gemacht hat. Also das lese ich auch. Oder noch ältere Zeiten. Vermittels eines ostentativen Hinweises auf die prominente Stellung des Computers im Ensemble seiner Medieninteressen kommt es hier zur Selbstzuschreibung der Akkumulation von computerbezogener Medienerfahrung; Yüksel transportiert ein Selbstbild, akteursmäßiger Teilhaber einer Medienszenerie zu sein, in der das Thema Computer übergreifend (via Print-und TV-Medium) verhandelt wird und man sich computerbezogene Inhalte selbst bei akzidenteller Präsentation aneignen kann. Im positiven Gegenhorizont steht hier, umfassende, genreübergreifende und historisch weitläufige Interessenlage anzuzeigen und auf diese Weise eine medienbezogene Zugehörigkeit und Partizipationsfähigkeit geltend zu machen. Er präsentiert sich als heavy user, orientiert an einer aktiven und souveränen Teilhabe an medienvermittelten Optionen. Sein eigener PC, den er seit "drei Jahren" (40) besitzt ist ihm insgesamt "SEHR wichtig" (40) und befindet sich, das betont er deutlich, in seinem "EIGENEN Zimmer" (42). Deutlich werden also bislang Yüksels Bemühungen, sich an der Erarbeitung eines eigenen medienbezogenen Status, die ihn als teilhabend vermitteln abzuarbeiten. Inwiefern er diesen Status auch gegen Beeinflussungsversuche zu verteidigen weiß, zeigt sich in seiner Hinwegsetzung über die Eltern: (110) Y: Also ich spiele, jeden Tag spiele ich bestimmt zwei Stunden PC zu Hause, Spiele und so. Spiele ich sehr oft. Also es ist eigentlich schon sehr wichtig. Aber mein Vater will ja nicht, dass ich immer so oft spiele. Dann sagt er "du bekommst Kopfschmerzen, deine Augen werden schlimmer", also er will dass ich lieber LERNE und nicht PC spiele, aber ich spiele schon sehr oft PC ((lacht)) Sich von seiner Praxis des intensiven Spielens nicht abbringen lassend dokumentiert sich hier ein Durchsetzungsvermögen; entsprechend werden die Warnungen des Vaters bezüglich möglicher Gesundheitsschäden oder dessen Wunsch, der Sohn möge "lieber LERNEN" zwar wahrgenommen, nicht jedoch befolgt. Deutlich wird hier, wie Yüksel durchaus eine gewisse Sorge seines Vaters um ihn konzediert, gleichzeitig aber zu erkennen gibt, wie fähig er dazu ist, sich dagegen stellen zu können, eine eigenständige, selbstwirksame Position zu vertreten und den eigenen Interessen nachgehen zu können. Dass er sich den Warnungen des Vaters entzieht bedeutet indes nicht, dass er diesem respektlos gegenüber stünde, im Gegenteil; So berichtet er etwa, dass er seinem Vater eine intensive Unterstützung zuteil werden lässt, etwa indem er ihm bei der Ausübung seiner religiösen Praxis hilft ("so ich mach ihm die CD an, dann hört man laut wie einer so Koran liest", 160) und ihm auch ansonsten beim Computerumgang assistiert ("er kann's ja nicht, er kann zum Beispiel die Maus nicht so gut steuern, drauf drücken. Er kennt sich ja nicht aus", 166). 177 Orientiert an einem Muster aus Statusgewinn und dem Eingebundensein in eine Struktur aus wechselseitiger Anerkennung und Unterstützung thematisiert Yüksel dann seine Peergroup: (45) I: Wie hast du denn so gelernt, wie man so mit Computer umgeht? Y: Also ich habe erst meinen Freund gefragt ob das schwer ist, er hat gesagt "am Anfang ist es sehr schwer, aber mit der Zeit lernst du es schon alles, wird auch immer leichter" und so. Und er hat auch Recht, also, und ich habe ein paar Freunde, die kennen sich sehr gut aus mit PCs. Und wenn ich mal Probleme habe dann rufe ich die an. Und danach habe ich es auch immer SELBER so gelernt, also so mit Megahertz und so, wie das alles so ist, die Grafikkarte, wie man paar Sachen macht, die Hardware die Software und so. Habe ich schon alles so selber gelernt danach. (3) Der Freundeskreis erscheint als zentraler Referenzrahmen medienbezogen Lernens und Handelns. Bezüglich des eigenen Wissensaufbaus zum instrumentellen Umgang mit dem Computer holt er zunächst Erkundigungen bezüglich des Schwierigkeitsgrades ein. Die von ihm dazu gebrauchte indirekte Rede vermittelt zwei Aspekte: Einerseits die Rückmeldung seines peers, dass es gar nicht so einfach sei, in die Welt der Technik einzusteigen; andererseits dessen Aussprechen von Motivation, sich darauf einzulassen, zumal sich mit zunehmender Zeit einfachere Handlungsvollzüge einstellten. Innerhalb Yüksels peergroup existiert demnach ein konjunktiv geteiltes Wissen, dass es sich beim Umgang mit Computermedien um etwas Kompliziertes handelt, das man sich aber mit der Zeit aneignet. Er bestätigt diesen Referenzrahmen, in dem der dem Freund attestiert, "auch Recht" zu haben. Die Inkorporation der Umgangsweise mit dem Medium erscheint auf diese Weise wie eine Art Bewährungsprobe, die jedoch zugleich von einer Versicherung begleitet wird, man werde es schon schaffen. So vermitteln sich in dieser Passage Prinzipien von Inklusion und Anerkennung in der peergroup. Erkennbar wird außerdem eine kompetitive peergroup-Struktur, die zugleich zu einem Motor des medienbezogenen Kompetenzerwerbs wird. Ein technikbezogenes Wissen gilt hier als Ausweis eines Dabeiseins und als Dokument von wechselseitiger Anerkennung und Ansehen -mithin als symbolisches Kapital. Wie bedeutsam dies ist, vermittelt Yüksel auch durch das betonte Vorhandensein zahlreicher persönlicher Kontakten zu äußerst versierten Computerkennern, über die er nicht nur verfügt, sondern auf die er auch aktiv zurückgreifen kann: Es existiert eine Art von Netzwerk, das telefonisch jederzeit aktivierbar ist, falls handlungspraktische Schwierigkeiten beim Umgang mit dem Artefakt auftreten. Deutlich werden hier also einerseits Momente eines Empowerments durch das Eingebundensein in die Peergroup, andererseits aber auch Momente einer Distinktion von den diesbezüglichen Mitgliedern, indem Yüksel nämlich betont, wie nachhaltig und effektiv seine eigenen Lernanstrengungen verlaufen sind und er sich "SELBER" technikbezogene Handlungs-und Wissensbereiche des Mediums Computer angeeignet hat. Zusammenfassend formuliert geht es hier um die Verfügung über beherrschungsrelevantes Technikwissen vermittels einer Handlungsarena, aus der der Einzelne durch seine Einbindung in eine Sphäre aus gemeinsam geteilten Praxen einer Orientierung an Status-und Präsentationswissen als vermögend bzw. könnend hervorgeht. Die Peergroup als der zentrale Mittelpunkt computerbezogener Tätigkeiten zieht sich thematisch auch durch das weitere Interview. Sie erscheint als Sphäre und Handlungsort, wo sich gegenseitig Anerkennung ausgesprochen und sich unterstützt wird: (125) Y: Ja, also über neueste Spiele reden wir SCHON sehr oft. Ich meine dann "hast du neue Spiele, weil zu Hause ist es langweilig", dann meint er "ja ich habe Spiele", dann gibt er mir, also Strategiespiele habe ich, Manager und so, Fußball und so, also ich hab schon sehr viele Spiele. Also wir reden, also ich habe so einen Freund, der mag kein Fußball und der redet eher so über PC, über Filme, über neue Filme. Und dann rede ich mit ihm sehr oft darüber. Und ich habe auch ein paar Freunde, die interessieren sich mehr für Fußball, und dann rede ich sehr wenig mit denen über PCs und so. I: Mhm, ah ja. Also es ist schon ein Thema für euch [so, also-] F: [Ja ja ] KLAR es ist schon-Ich rede auch mit den Kumpels, also die Fußball spielen, mit denen rede ich auch sehr oft über PC, weil man braucht ja neue Spiele, wird ja immer langweilig, wenn man das gleiche Spiel spielt. Und dann meint er "hast du neue Spiele?" oder ich meine "hast du neue Spiele?" und danach geben wir uns die immer gegenseitig. Zentrum der Darstellung ist es, einerseits im Rahmen der Peergroupkommunikation aktiv an aktuellen Entwicklungen und Trends im Sektor Computerspiele und anderer Medienproduktionen teilzuhaben, andererseits, sich gegenseitig mit jeweils neuen Produkten zu versorgen und darüber triste Phasen des häuslichen Alltags überbrücken zu können; dabei wird eng und solidarisch an der materiellen Ausstattung des anderen partizipiert. Deutlich wird, wie stark Yüksel seinen Freundeskreis auch dadurch geprägt sieht, inwiefern sich auf die je unterschiedlichen kommunikativen Bedürfnisse der Einzelnen eingelassen wird. Dazu werden die Gesprächsthemen individuell variiert und an den momentanen Interessen ausgerichtet. Wer keinen "Fußball" mag, mit dem "redet" man eben über Filme; geht die Präferenz dagegen in genau diese Richtung, hat das Thema Computer in diesem Fall nur untergeordnete Priorität. Deutlich wird hier: Die Freunde können sich im Prinzip über alles Mögliche verständigen, sind offen und aufgeschlossen gegenüber dem anderen und respektieren sich gegenseitig. Auf diese Weise dokumentiert sich über seine Erzählung, wie variabel Yüksel sozial eingebunden ist und über welches stabile Netzwerk er verfügt, in welchem sich umfangreich aneinander orientiert, sich ausgetauscht und wechselseitig geholfen wird. Ähnlich wie Sercan thematisiert auch Yüksel seine Computerpraxis als konstitutiven und souveränen Bestandteil persönlicher Alltagspraxis, in der die Verfügung über und die Teilhabe an entsprechenden Optionen zwar eine zentrale Rolle spielt, man sich aber gerade nicht auf die Rolle eines Computerversessenen eingeschränkt sehen möchte, der sich überwiegend oder gar ausschließlich auf diesen Bereich konzentriert. Dennoch wird der Bezugspunkt Computer immer wieder zu einem Schauplatz, an dem sich Fragen des Sozialprestiges entscheiden. Hier liegen entscheidende Merkmale der Orientierung, innerhalb der Yüksel auch im weiteren Verlauf des Interviews medienbezogene Verwendungs-und Nutzungsszenarien schildert. Überdies wird darin erneut das Peergroup-Thema reproduziert und variiert. Zunächst gibt er erneut zu erkennen, wie wichtig ihm persönlich Nutzung und Besitz des Computers sind: (118) Y: Also Computer überhaupt ist eine GUTE Erfindung. Weil sonst, also ich weiß nicht, vor drei, also vor einer Woche war ja mein PC kaputt, drei Wochen lang, und danach war es mir zu Hause SEHR langweilig. Und in der Woche gehe ich NICHT so oft raus, und im Winter wird's auch schnell dunkel, und mein Vater lässt mich ja nicht so spät raus. Und deswegen war es schon sehr langweilig. Musste ich nur Fernsehen gucken. Oder Hausaufgaben machen, Lernen und so, war ja langweilig. Die Computertechnik in Form einer positiven Errungenschaft und seinen Umgang damit bindet Yüksel eng an seinen alltäglichen Lebensvollzug. Ein Alltag ohne Computernutzung ist öde und grau: Der Computer ist das zentrale Mittel, die häusliche Freizeit zu gestalten, zumal er sich aufgrund familiärer Regelungen häufig in der Wohnung aufzuhalten hat, wo es ohne Computer eintönig ist und er sich auf die Beschäftigung mit "Fernsehen" oder schulischen Dingen eingeschränkt sieht. Dieser aus dem Defekt des Computers entstandenen Handlungsbeschränkung setzt Yüksel, das zeigt die nächst Passage, eine eigene, technikbezogene Aktivität entgegen, um sich aus dieser Situation selbstwirksam zu befreien und dadurch seine computerbezogene Freizeitgestaltung wiederherzustellen: Dazu demonstriert er im Folgenden die Wirksamkeit einer computerbezogenen Beherrschungskompetenz, die ähnlich wie bei Ferhat -wenn auch in schwächerer Form -einer Semantik von Kampf und Sieg folgt: (122) I: Und wie ist er dann wieder heile [gegangen der Computer?] Y: [Ja, der] geht jetzt schon wieder. // I: Wie ist das, hast du den [dann] // Y: [Nein, also] ich wollte ihn ja erst Reparatur schicken ((lacht)), weil ich habe USB-Kabel drangemacht für MP3-Player und danach, und der PC ist dann einfach so geblieben. Und ging's nicht mehr. Da habe ich ihn AUS gemacht. Und das USB-Kabel war noch hinten dran. Habe ich ausgemacht und wieder angemacht, und danach, der Monitor ging von allein wieder aus. Ging nicht mehr. Habe ich einfach paar Freunde gerufen. Und die haben diesen Virus-Chip drinne rausgeholt, also war vielleicht auch ein Fehler, aber die haben's rausgeholt und wieder rangemacht und dann ging's wieder (3). Also da hat er was gezeigt, aber jetzt ging er nicht wieder in Windows, also in den Desktop ging er NICHT wieder rein. Danach habe ich ein paar Wochen gewartet, danach habe ich, gibt's doch auch für den Drucker und Scanner, also macht man doch bei USB hinten dran, habe ich die rausgemacht, und angemacht dann ging's wieder. Also ich wollte erst zu A-Com gehen und reparieren. Ich hab sogar meinen Rechner mitgenommen. Da meinte er so "ist voll", waren viel Rechner dort, meinte er so "komm' in drei Wochen" und da hatte ich keine Lust mehr ((lacht)). Dann habe ich halt das mit dem USB-Kabel probiert, habe ich einfach rausgenommen, angemacht dann ging's wieder. Beginnt seine Schilderung zunächst damit, sich beim Kaputtgehen seines Computers eines professionellen Servicedienstes zu bedienen, wechselt Yüksel dann die Ebene seiner Beschreibung hin zu eigenen Handlungsaktivitäten, in denen er sich der Reparatur seines PCs widmet. Wollte er seinen PC erst weg "schicken", das heißt ihn aus dem Bereich der eigenen Handlungswirksamkeit entlassen und anderen überantworten, stellt er nun dar, was er stattdessen praktisch selber unternommen hat, um die aus der Funktionsunfähigkeit des PCs resultierende Handlungsbeschränkung zu beheben. Dabei erscheint bezüglich der sich hier abzeichnenden Orientierung das reale Computerproblem, um das es sich handelte, eher nebensächlich; entscheidender an Yüksels Schilderung ist, sich in Auseinandersetzung mit dem technikbezogenen Handlungsproblem als stark involviert und alles andere als ohnmächtig zu entwerfen. So vermittelt diese Episode durchgängig, dass sich Yüksel als überlegen entwirft, Computerprobleme erfolgreich zu bewältigen: Nach Anschließen eines Musikabspielgerätes friert der Computer zunächst gewissermaßen ein, wonach durch ein einfaches Aus-und wieder Einschalten auch das Bildschirmsignal wegbleibt. Diese Situation wird nun zu einer Angelegenheit der zusammengetrommelten Peergroup, die sich der Hardware-Architektur des PCs annimmt und im Inneren des Rechners einen "Virus-Chip" entfernt, was sich Yüksel zufolge aber nicht uneingeschränkt als richtig erwies; zumindest funktionierte der PC nach Entfernen und Wiedereinsetzen -allerdings nur vordergründig, denn nun ließ sich auf einmal die Benutzeroberfläche nicht mehr aufrufen. Es schließt sich eine mehrwöchige Pause und damit eine Zeit der Computerabstinenz an, bis er selbst auf die Idee kommt, es durch das Entfernen sämtlicher Anschlüsse erneut zu versuchen -mit Erfolg. Allerdings sucht er zwischendurch, jedoch erst nach dem eigenen Ausprobieren zahlreicher Eigenversuche, ein nahe gelegenes kommerzielles Technikcenter auf. Hierzu unternimmt er einigen Transportaufwand ("Rechner mitgenommen"), wird aber vom Betreiber des Computerladens mit Verweis auf die aktuelle Auslastung der Auftragslage abgewiesen und mit Aussicht auf eine mehrwöchige Wartezeit wieder nach Hause geschickt. Daraufhin wendet sich Yüksel von der Idee dieser Art der Problemlösung ab ("keine Lust mehr"). Er erlebt, dass er durch eigenes Ausprobieren, gleichsam auf eigene Faust, ein im Prinzip gleiches Resultat erzielt, das er sich zunächst von einem professionellen Reparateur zu bekommen erhofft hatte. Es ist die Erfahrung, das dokumentiert sich hier, dass er im Grunde genommen auf die Hilfe von "A-Com", gar nicht angewiesen war. Damit transportiert sich zugleich der Kern der hier wiedergegebenen Episode, die als signifikant für Yüksels Orientierungsrahmen gelten kann: Danach geht es darum, etwaige Handlungsbeschränkung selbstständig und eigenaktiv aufheben zu können und sich selbst behaupten und durchsetzen zu können. Darin impliziert ist die Überwindung fremdgesetzter Grenzen durch die personale Umwelt -in Form etwa seines Vaters ("im Winter wird's auch schnell dunkel und mein Vater lässt mich ja nicht so spät raus")und der technischen Umgebung (dem Defekt des PCs). Gegen diese Grenzsetzungen gilt es, sich zur Wehr zu setzen, um die eigene Handlungsautonomie wieder zu erlangen. Vermittelt ist darin ebenso wieder auch Yüksels Einbindung in einen technikbeherrschenden Freundeskreis, der ihm einerseits Hilfe und Unterstützung garantiert, in welchem er sich andererseits aber selbst eine dominante Rolle zuschreibt. Deutlich wird dies auf eine Nachfrage, wer denn nun der Hauptakteur bei Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit seines PCs war: Schnell bemüht er sich hier um den Hinweis auf seine 181 eigene Verantwortlichkeit ("eigentlich habe ich es selber gemacht", 23), in der er die erfolglosen Versuche seiner Freunde, den Computer mittels einer Formatierung wieder in Stand zu setzen ("die haben's versucht, also die haben es formatiert und so, ging nicht also nutzte nichts, 23) übertrumpfte. Letztlich erscheint also Yüksel persönlich als siegreicher Bezwinger eines Problems, das ihn und seine Freunde gemeinsam eine Weile in Schach gehalten hat. Allerdings erlebt auch Yüksel Situationen der Handlungsbeschränkungen, gegen die er eigenmächtig nichts ausrichten kann. Es sind Erlebnisse, in denen die eigene Medienpraxis nicht nur erschwert, sondern zum Teil ganz verunmöglicht wird und in denen Aspekte von Teilhabe und Beherrschung beschädigt werden. Solche Erlebnisse dokumentieren beinahe die Qualität existentieller Krisenerfahrungen: (345) Y: Manchmal so, ich werde auch SAUER, schlage ich manchmal gegen meinen PC, weil ((lacht)) lan ich werd SO sauer. Was mich auch sehr stört am PC ist-Weil, also zum Beispiel ich habe den PC vor zweieinhalb drei Jahren gekauft, und jetzt ist der schon fast alt geworden. Wenn ich jetzt zum Beispiel, vielleicht kennen sie Doom3 dieses neue Spiel, also wenn ich das jetzt auf meinen PC machen würde, würde es vielleicht gar nicht GEHEN. Und so was, das ist Scheiße! Weil, wenn die mal ein neues Spiel entwickeln braucht man auch immer bessere Grafikkarte, bessere, also mehr Megahertz und so. Braucht man ALLES BESSERE, und das finde ich auch sehr scheiße. Oder wenn auch der PC langsamer wird, also wenn er so abstürzt, das finde ich auch sehr scheiße. Zum Beispiel jetzt, man spielt die ganze Zeit, und dann auf einmal er stürzt ab. Und danach, man hat nicht gespeichert und so. Das ist schon Scheiße so was. (1) Oder zum Beispiel so, ich habe mal Manager gespielt, und dann habe ich, also da hat man ja eigene Mannschaft, und ich habe gespielt und es war ein SEHR wichtiges Spiel. Dann habe ich es verloren, und dann wollte ich IRGENDWAS kaputt machen wollte ich. Also das war schon sehr oft, da habe ich gegen Wand einmal geschlagen und meine kleine Schwester die war drüben [Störgeräusche] also die hat es sogar bis dahin gehört. Und hat auch gesagt "was ist denn los" und so. Deutlich wird zunächst, wie überaus stark Yüksel emotional in die Computertechnik involviert ist ("lan 166 ich werd SO sauer"). Das Artefakt wird zum materiellen Gegner, der physische Attacken einstecken muss. Die hier anschaulich geschilderten Momente von Frust-bzw. Wut sind in drei Beispielen wiedergegeben: Die Unmöglichkeit der Installation eines aktuellen Spiels und dadurch die Unmöglichkeit dessen Rezeption; der Verlust eines Speicherstandes infolge eines Computerabsturzes; schließlich die Niederlage bei einem Fußballsimulator. Ärger resultiert zunächst aus dem Erleben, infolge der fortschreitenden technischen Evolution in eine Abseitsposition zu geraten. Liegt die Anschaffung des PCs erst knapp drei Jahre zurück, ist dieser nun "schon fast alt geworden". Die für das Spielen neuer Spiele notwendigen Systemvoraussetzungen sind so 182 hoch, dass sein Computer sie nicht (mehr) erfüllen kann. 167 Anders als Ferhat, der seine technikbezogene Überlegenheit schildert, macht Yüksel also die Erfahrung technischer Unterlegenheit. Es erscheint, als fühle sich Yüksel geradezu ungerecht behandelt, indem er auch Ärger über die Hersteller von Medienangeboten artikuliert: Diese fordern gewissermaßen etwas ein, das er nicht bieten kann; auf diese Weise erscheinen die Medien als technologisches Kräftefeld, auf dem er der Schwächere ist und auf der Verliererseite stehen muss. Anders ausgedrückt thematisiert Yüksel hier eine Ausgrenzung aus einem Anerkennungsszenario, das sich gerade durch Verfügung und Beherrschung über computerbedingte Optionen auszeichnet. Auf der anderen Seite steht das Erleben, dass auch im Zusammenhang mit der Rationalität des technischen Artefakts selbst Exklusionserlebnisse resultieren können -der Computer stürzt "auf einmal ab" und auf diese Weise wird Yüksel aus einem aktuellen und subjektiv hochrelevanten Geschehen herausgerissen; ein für ihn langwieriges Projekt wird abrupt beendet und das kraft eigener Stärke Errungene erscheint zerstört, da er "nicht gespeichert" hat. Ebenso kommt es vor, dass er aus einer wettbewerbsähnlichen Situation, die mit einer hohen Bedeutung aufgeladen ist als Verlierer hervorgeht. Daraus resultiert ein Gefühlsausbruch, der in Verbindung mit einem offensichtlich angegriffenen Selbstwertempfinden sogar mit dem Ausagieren eines ziellosen Vandalismus einhergeht ("IRGENDWAS kaputt machen"). Es kommt zur Entäußerung physischer Gewalt, die lautstark und durchdringend mitgeteilt wird, sodass auch seine personale Umwelt (die im Nebenzimmer sitzende Schwester) davon Kenntnis nimmt. Yüksels körperlicher Gewalteinsatz -das gegen den PC und gegen die Wand schlagen -wird hier in einer Weise artikuliert, "die sowohl soziale Aufmerksamkeit erzwingt, als auch die Erfahrung eigener Stärken als Kompensation von Erfahrungen der Unzulänglichkeit zugänglich macht" (Scherr 2004: 219) . Gemeinsam ist den drei Beispielen, dass sie jeweils Erfahrungen subjektiven Ausgeliefert-Seins transportieren: Gegenüber der technischen Modernisierung bzw. dem Medienmarkt und seinen steigenden Erwartungen; gegenüber der Rationalität der Technik, ihres Eigensinns bzw. einer nicht immer beherrschbaren Bedienung; schließlich gegenüber einem symbolischen Gegner. Gemeinsam ist den Beispielen ebenso, wie sich durchgängig ein negativer Horizont vermittelt: Er besteht darin, von der technischen Entwicklung bzw. allgemein der technischen Rationalität so ausgeschlossen zu sein bzw. so randständig zu werden, dass daraus das Erleben eigener Ohnmacht erwächst. Demgegenüber konstitutiert sich der positive Horizont dahingehend, an aktuellen und prestigeträchtigen Medienhandlungsarenen aktiv und erfolgreich teilzuhaben. Was hier übergreifend zum Ausdruck kommt, ist einerseits die Erfahrung einer gesellschaftlich-technologischen Entwicklung, bei der man aufgrund fehlenden ökonomischen Kapitals nicht mithalten kann. Andererseits sind es Erlebnisse der symbolischen Exklusion bzw. des symbolischen Verlierens, die nicht nur emotional starke Reaktionen hervorrufen, sondern die mitunter sogar das Potential zur Aktualisierung körperlicher Gewaltaffekte haben. Diese sich bislang zeigende Orientierung an einem Status, handlungsfähig und durchsetzungsstark zu sein, zeigt sich auch bezüglich der von Yüksel geschilderten Mediennutzung für den Unterricht: Vermittelt wird hier, wie umfassend er sich in der Lage sieht, mittels des Gebrauchs von Medien den Anforderungen der Institution Schule gerecht zu werden: (200) Y: Äh, jetzt also halt für die Schule, habe ich auch schon gesagt, und so was. // I: Was machst du da so? // Y: Zum Beispiel jetzt, wenn unserer Lehrerin sagt, "schreib diesen Text", oder "mach einen Text" oder "ein Märchen erzählen" oder so, danach schreib ich es immer, dann FRAGE ich auch "kann ich es auch auf dem PC machen?" Dann sagt sie "ja", dann schreibe ich es auf PC, dann DRUCKE ich es AUS, oder-Gibt's halt auch so Programme wo man was lernen kann. Und das-Also ich bin auch früher so zu einem PC-Kurs gegangen, da haben sie uns beigebracht wie man jetzt also zum Beispiel ohne auf die Tastatur guckt schreibt. Also so was, haben die so was beigebracht, auch andere Sachen. Yüksel zufolge ist diese Episode nur ein "Beispiel", das heißt nur eine Auswahl aus einem bereiten Spektrum an Situationen erfolgreicher Bewältigungen. Dazu gibt er die Worte der Aufgaben stellenden Lehrerin gleich dreifach zitierend wieder; auf diese Weise erhöht er performativ das Anforderungsvolumen, das seitens der Lehrerin an ihn gerichtet wird. Diesen Ansprüchen kommt er nicht nur nach, sondern erkundigt sich auch aktiv danach, den Computer zur Erledigung von Aufgaben einsetzen zu dürfen. Hierin dokumentiert sich, dass Yüksel es nicht dabei belässt, einfach nur auf gestellte Anforderungen zu reagieren, sondern wie er sich auch selbstbestimmt in der Rolle desjenigen sieht, der institutionellen Erwartungen entgegenzukommen und diese selbstverständlich und vollständig zu erfüllen weiß. Gegenüber der "Lehrerin" als Vertreterin einer gesellschaftlich-öffentlichen Institution wird sich hier kompetent positioniert. Ganz in diesem Sinne informiert er auch über die Kenntnis von Programmen, "wo man was lernen kann". Diese soweit geschilderte Souveränität in der Erfüllung institutioneller Anforderungen bricht dann ab und Yüksel erzählt seine eigene Kompetenzgenese anhand einer medienbiographisch zurückliegenden Episode zum Besuch eines institutionellen Lernangebotes. Diese Demonstration erinnert in ihrer Art an Ferhat, welcher bezüglich seiner Medienbiographie ebenfalls das Durchlaufen eines formalen Bildungsangebotes herausgestellt hatte. Für Yüksel handelt es sich dabei um einen medienbezogenen Kompetenzerwerb, der nicht nur zur instrumentell-technischen Beherrschung des Computers befähigte (Tippen, ohne "auf die Tastatur" zu sehen), sondern der offensichtlich auch "andere Sachen" vermittelte und insofern eine umfassende formale Computerbildung anzeigt. Auf eine diesbezügliche Nachfrage dokumentiert sich, wie Yüksel das von ihm besuchte Bildungsangebot wiederum in eine Kompetenzinszenierung einbettet: Deutlich wird, wie das Erlernen medienbezogener Handlungskompetenzen von Yüksel als kontinuierlich, grundlegend und biographisch früh angelegt demonstriert wird; auf diese Weise erscheint er als Teilhaber einer von formalen Bildungsinstitutionen gestützten computerbezogenen Kompetenzsphäre, als Person, die wie selbstverständlich durch ein Curriculum anwendungsbezogener Kenntnisse gegangen ist. Gleichzeitig wird dieses Curriculum samt der dazugehörigen Institution -augenscheinlich präventiv -invisibilisiert. Vor allem seine Mitteilung, welche Anwendungsbereiche und welch hohes Pensum ("sehr viele Sachen") bezüglich des computerbezogenen Umgangs "früher" vermittelt und angeeignet wurde, zeigen an: Hier geht es um ein Wissen, das als inkorporiert wahrgenommen wird, das mittlerweile aber, so formuliert es Yüksel selbst, "vergessen" wurde. Deutlich wird daran, wie stark es Yüksel um die Positionierung seines Selbst geht, Besitzer eines objektiven kulturellen Kapitals zu sein. Auf diesem Wege entlarvt sich dieses aber gewissermaßen gleichzeitig als Teil einer Kompetenzinszenierung, die -auch und gerade der Person des Interviewers gegenüber -das Verfügen über multiple Wissensbereiche anzeigt und damit die Funktion einer auf soziale Anerkennung zielenden Selbstzuschreibung von Wissen erfüllt. Dieses Phänomen erscheint unmittelbar an die Forschungskommunikation, das Interview selbst, rückgebunden. Entscheidend ist, dass das Interview hier einen Punkt erreicht, an dem sich Yüksel offensichtlich bloßgestellt sieht, und zwar durch die Frage, ob er über die gelernte Fähigkeit auch aktuell verfüge ("jetzt richtig schreiben?")denn infolgedessen, der Anfrage nach der Aktualisierbarkeit medienbezogenen Handlungswissens, kommt es zunächst zu einer unsicheren Reaktion, die zudem von einer ungewöhnlich langen Pause begleitet wird und an die sich eine umso größere Kompetenzinszenierung anschließt, welche transportiert, gerade nicht inkompetent zu sein. Offenbar sieht sich Yüksel gegenüber dem Forscher tendenziell entwertet, gerade weil er vermutet, dass seine realen Fähigkeiten von diesem infrage gestellt werden. Insofern lässt sich der Modus seiner Schilderung als Reaktion auf die vermutete Freilegung einer vermeintlich marginalen Position interpretieren: Einem von Forscherseite suggerierten Unvermögen wird mit der Überhöhung eigener Fähigkeiten begegnet. Inwiefern Yüksel Computerfähigkeiten und -wissen mit einer statusanzeigenden Selbststilisierung verbindet, steigert sich in einer Passage, in der er sichtlich stolz davon berichtet, ein beachtliches Arsenal an Programmen zu besitzen, die zu unterschiedlichen Zwecken genutzt werden können: 185 (208) Y: Also, Encarta und so, wollte ich auch gerade sagen. Also nützt mir SEHR gut. Also Encarta habe ich. Auch so ANDERE Programme. Also ich habe schon SEHR viele Sachen. Das ist, also zum Beispiel da schreibt man ein, was man suchen will, gibt's eigentlich alles gibt's da. Zum Beispiel, äh (2), also sagen wir mal Zweite Weltkrieg oder Hitler oder so, schreibt man rein, und dann kommen Hörbeispiele, Bilder, was alles passiert ist. // I: So eine Art [Lexikon] ? // Y: [Ja, so] Lexikon. Gibt's alles, also habe ich, gibt's schon alles. Habe ich von meinem Freund. Also er hat es auf normale CD so gebrannt. Vielleicht vom Internet oder von seinem Freund. Oder ich hab auch so, also als ich den Rechner gekauft habe, ist auch mit CDs rausgekommen. Also wenn man zum Beispiel, so von Berlin die Landkarte von Deutschland, von Europa und so, ist AUCH alles mit drinne. Also zum Beispiel die GANZEN Strassen von Berlin sind in dieser CD mit drinne. Autoroute heißt das glaube ich, ich weiß jetzt nicht mehr. Ja, das ist mit rausgekommen, das habe ich halt AUCH alles auf PC. Halt noch so halt ein paar andere, also, zur Zeit, ich habe ja meinen PC formatiert weil er nicht ging, ich weiß jetzt nicht mehr was ich jetzt alles hatte. Aber HABE das alles so. // I: Und wozu benutzt du das so, ich meine, so Schule oder-// Y: (3) Mache ich nicht mehr. Ich habe schon lange nicht mehr, aber (2) ich gebe auch zu ((lacht)) ich habe auch so Spicker mit dem PC gemacht, da habe ich so klein ausgedruckt. Hat sie ja nicht gefunden ((lacht)). Nützt auch, weil wenn man mit der Hand schreibt, wird's zu groß und schmiert auch. Darum bemüht, materielles und handlungspraktisches Vermögen anzuzeigen, was sich in der Verfügung über umfassende mediale Orientierungs-und Lernoptionen ausdrückt, geht es Yüksel vor allem darum, ein umfangreiches Kontingent an digitalen Produkte zu besitzen, mit denen sich verschiedenste Möglichkeiten verwirklichen lassen und die ein Optimum an multimedialen Informations-und Unterhaltungszwecken bieten. Ähnlich wie Sercan nimmt Yüksel hier bezüglich medialer Produkte nicht nur eine possessive Haltung ein, sondern bindet die Verfügung darüber auch in ein netzwerkartig vorhandenes soziales Kapital ein, als dessen Teil er sich vermittelt. Gleichzeitig gibt er zu erkennen, dass er den Computer und die entsprechenden Anwendungen z. B. für schulische Zwecke eigentlich "schon lange nicht mehr" benutze. Stattdessen teilt er leicht amüsiert das Erstellen einer Spickhilfe mit, mit der er die Lehrerin überlistete. Insofern dokumentiert sich hier, wie vermittels der betonten Verfügung über eine augenscheinlich große Palette von medialen Lerngelegenheiten eine Art geballte Kompetenz suggeriert werden soll, die Yüksel jedoch wenig in der Lage zu sein scheint, im Sinne eines Lernmediums zu nutzen bzw. nutzen zu können. Hier entsteht eine Analogie zwischen Forscher und der oben zitierten "Lehrerin", beides Vertreter der gesellschaftlich-öffentlichen Sphäre: Ihnen werden offensichtlich eigene Fähigkeiten und eigener Besitz umso mehr signalisiert, gerade weil sie mit einem Erleben einhergehen, dass die gesellschaftlich dominanten bzw. erfolgreichen Kapitalsorten, entlang derer das eigene Verhalten angefragt und evaluiert wird, nur vermeintlich schwach ausgeprägt sind. Aus der für Yüksel zentralen Orientierung, so lässt sich schlussfolgern, deutet sich ein kommunikativer Modus an, der eine überaus handlungsautonome Position vertritt und verteidigt, die ein Abweichen von sozial dominanten bzw. bildungsbürgerlichen Formen medienbezogener Bildung gleichzeitig kaum in der Lage ist, zu überdecken. Insofern deutet sich hier der Wunsch an, den Erwartungen einer bildungsbürgerlich konnotierten Normalität entsprechen zu können, sich aber gleichzeitig des eigenen Nicht-Könnens bewußt zu sein und mit den kommunikativen Mitteln der Selbstüberhöhung zu versuchen, diese Differenz zu verschleiern. In genau diesem Muster steht die betonte Selbstzuschreibung von sozial anerkanntem Wissen, Vermögen und Handlungskompetenz, in der sich eine habituelle Unsicherheit dokumentiert, die zwar um die Relevanz medienbezogenen Wissens und Handelns für eine sozial prestigeträchtige Positionierung weiß, die sich aber gleichzeitig in einer tendenziell unterlegenen Situation sieht, diese tatsächlich erreichen zu können. Dieses Muster entfaltet sich noch einmal in aller Deutlichkeit in den Passagen zu Yüksels medienbezogener Zukunft: Hier arbeitet er sich vorrangig daran ab, wie es gelingen kann, im Kontext fortschreitender Technologisierung einen ansehnlichen Status zu erlangen: (250) Y: Ja ja, also für später, also später wird bestimmt auch die Zeit kommen, wo man ALLES mit dem PC macht. Macht man ja schon HEUTE fast alles. Aber, zum Beispiel, gibt's doch auch neue Autos, die haben schon Internet und so. Wird ja immer besser. Also PC braucht man schon fürs LEBEN, also für die Zukunft. Auch zum Beispiel die Arbeit da, wird doch alles mit Maschinen gemacht, durch Computer durch Technik. Deswegen gibt's doch auch immer mehr Arbeitslosigkeit und so. // I: Wie meinst du das? // Y: Also die Arbeit ist ja leichter, aber dann hat man ja keinen Job, also keine Arbeit dann hat man auch kein Geld. Also wenn man, also man muss einfach schlau sein, man muss studieren, man muss sein Ding machen dann ist es gut. Also dann hat man Technik, dann wird's immer leichter. Also die Leute die jetzt studieren, werden es bestimmt leichter haben als vor weiß nicht wie vielen Jahren. Yüksel imaginiert das Heraufziehen einer gesamtgesellschaftlichen Situation, in der sämtliche Handlungsoptionen total und umfassend an den Gebrauch von Computertechnologie gekoppelt sein werden, soweit sie es nicht ohnehin schon sind. Er verdeutlicht dies an einem Beispiel, das seine Wahrnehmung von Technik als etwas Grandiosem verdeutlicht (siehe hierzu auch Abschnitt 6.3.2) -so besteht für ihn bereits in modernen Kraftfahrzeugen die Möglichkeit, online zu gehen. Den Annehmlichkeiten moderner Technologie, die man "schon fürs Leben braucht" und die einen ansehnlichen Lebensstil ermöglichen, stehen jedoch Schattenseiten gegenüber: Im Zuge der die Verbreitung technologiebasierter Innovationen können gesellschaftliche Ausschlussmechanismen in Gang gesetzt werden, da infolgedessen Arbeit vernichtet wird, indem sie an Technologien ausgelagert wird. So erscheint erneut als Yüksels positiver Horizont, statusbezogen an neuartigen Technologien partizipieren zu wollen und als negativer Horizont, auf der gesellschaftlichen Verliererseite zu stehen. Würden Arbeitsprozesse vereinfacht, erhöhe sich gleichzeitig auch die Gefahr, arbeitslos und darüber mittellos und sozial hand-187 lungsunfähig zu sein. Der positive Aspekt der Durchdringung der Welt mit Technologien ist demnach nur einem Teil der Gesellschaft zugänglich, während ein anderer davon ausgegrenzt bleiben muss. Damit validiert Yüksel zunächst seinen negativen Gegenhorizont, nämlich infolge von Technisierung in eine gesellschaftlich marginale Position zu geraten und nicht mithalten zu können. Darauf erläutert er die ihm einzig logisch erscheinende Strategie, dem zu entgehen, die er dreifach als "man muss" kennzeichnet und darin eine Art klaren und quasi-systematischen Erfolgsplan signalisiert. Dieser besteht erstens darin, eigene Cleverness zu besitzen, zweitens ein formal hohes Bildungskapital zu akkumulieren und drittens sein eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. Vor diesem Hintergrund scheint ihm der Anschluss an die positive Seite der Technisierung möglich. Vor allem scheint ihm der Weg der akademischen Bildung zu garantieren, der Verliererseite zu entgehen. Ebenso bewusst ist ihm, dass die Verfügung über Computerwissen zu einer gesellschaftlich erfolgreichen Position führen kann. Hierzu verortet er seine berufsbiographische Wunschperspektive eindeutig im Kontext von Computertechnologie, hebt aber sogleich auch eine diesbezügliche Schwierigkeit hervor: (254) Y: Also ich würde SEHR GERNE was mit PC machen, es ist aber auch schwer. Mein Cousin, der lebt hier nicht in Deutschland, aber in der Türkei, der ist auch an einer sehr großen Universität, also ist auch schon Angebot von Deutschland gekommen, also von Dortmund und so, er wird also Computeringenieur. Und er hat mir gezeigt was er lernen muss, und da hat er mir so einen Stapel gezeigt, von Blättern was er auswendig lernen muss für Computer und so. Und, also es ist schon sehr schwer, also Computeringenieur zu werden. Also Informatiker. Welche Chancen sich im Kontext einer medientechnisch orientierten Berufslaufbahn ergeben, exemplifiziert er an seinem Verwandten und dessen gesellschaftlichem Erfolg: Dieser befindet sich an einer Akademischen Bildungseinrichtung, die für Yüksel zudem herausgehobene Bedeutung hat und hat bereits ein Beschäftigungsangebot aus einer deutschen Großstadt erhalten. Damit signalisiert Yüksel, inwieweit eine berufliche Orientierung im Bereich Computertechnik für ihn sinnbildlich für eine vertikale Aufstiegsmobilität steht. 168 Dem gegenüber steht allerdings das Bewusstsein, mit wie viel Mühe und Anstrengung eine solche Aufstiegsmobilität verbunden ist, denn sie erfordert die Abarbeitung eines großen Pensums an Lerninhalten. Hier stehen sich zwei Pole gegenüber: Auf der einen Seite das Bewusstsein für das individuell erfolgreiche Projekt, das mit einer computerbezogenen Ausbildung verbunden sein kann und als Resultat eine gesellschaftlich erfolgreiche Position in Aussicht stellt. Auf der anderen Seite eine Distanz gegenüber dem damit verbundenen Aufwand, den dies erfordert. In diesem Zusammenhang steht er dem Cousin bewundernd gegenüber, anderseits scheint es ihm unerreichbar, an dessen erfolgreiche Berufsbiographie anschließen zu können. Er sieht hier eine Hürde, gerade weil ihm der Lernaufwand so komplex und mühsam erscheint. Trotz eines ausgeprägten Bewusstseins für die Relevanz von Computerfähigkeiten für die gesellschaftliche Integration handelt es sich also für Yüksel um eine Zukunftsvorstellung, die für ihn selbst aussichtslos erscheint, nicht zuletzt deshalb, weil er in Bezug auf eigene Lernerfahrungen überwiegend Misserfolge erzielt hat. Eine Hürde stellen für ihn z. B. Englischkenntnisse dar, denen er eine Schlüsselfunktion zuweist. Allerdings ist er fatalistisch gestimmt, denn die eigenen schulischen Leistungen in diesem Fach sind schlecht; infolgedessen stellt er heraus, dass er sich im Grunde als bereits gescheitert sieht und seinem Wunschberuf "Informatiker" (264) längst abgeschworen hat. (264) Y: Also ich würde gerne Englisch lernen, weil es ist ja das wichtigste eigentlich, wenn man Englisch kann, kann man auch die anderen Sachen. Und also, wäre ich in Englisch gut, dann hätte ich mir vorgestellt, Informatiker zu werden, aber ich stehe ja englisch immer so vier fünf, und das ist scheiße. Also will ich, und so im Büro und so arbeiten ist ja mit PC aber es ist ja immer auch langweilig, muss man immer selber schreiben, also ich hätte lieber so einen Job mit Abenteuer, so wie Feuerwehrmann oder Polizei. Während ihm der mit gesellschaftlichem Prestige verbundene Beruf des "Informatikers" nicht (mehr) offen steht, scheinen ihm andere berufliche Computerverwendungskontexte stupide: Eine PC-Nutzung im Rahmen alltäglicher Bürokommunikation, das heißt die Verwendung von Computertechnik lediglich als Arbeitsinstrument, ist ein absolut negativer Gegenhorizont ("langweilig"). Stattdessen wünscht er sich "Abenteuer", die er im Beruf als Feuerwehrmann oder Polizist vermutet. Deutlich wird daran wiederum, dass sich seine Vorstellungen weniger an einer aktiven Konstruktion von universellen, sondern eher an der Verfügung über prestigeträchtige Computerfähigkeiten orientieren. Deswegen zeigt er sich überaus aufgeschlossen gegenüber solchen Wissensgebieten und Lernarenen, die mit Spiel und Anerkennung in der peergroup verbunden sind: (266) Y: Wie man so Spiele entwickelt und so, würde ich auch gerne, also wie man die Spiele so entwickelt. Habe ich mal gesehen, also wie die so was machen. Gibt's ja auch immer so, habe ich PC-Bild, diese Zeitschriften, da wird auch immer so alles erklärt wie die es alles gemacht haben und so. Also manchmal kaufe ich die auch, und gucke ich. Lese ich auch manchmal, also ist auch SEHR interessant. Also mein Freund, er kennt sich sehr gut mit PCs aus, ich habe ihn gefragt "wieso bist du, also wie bist du so gut geworden?" Und da meinte er aber "du musst einfach nur lesen, lesen lesen. Und dann musst du auch immer alles behalten was du gelesen hast" und dann, also ich habe gesehen er hatte so viele Zeitschriften zu Hause, sehr viele. Und das hat er auch gelesen. Also ist schon sehr schwer. Und danach, also man muss, was ich auch sehr gerne kapieren will, also machen will, ist also wie gesagt Internet, also mehr auskennen. Also wäre das Beste. Worum es hier geht, ist der Wunsch, Einblicke in die Sphäre kreativer medientechnologischer Handlungsoptionen zu nehmen, begleitet auch von der Lektüre von Computerzeitschriften. Allerdings wird Yüksel auch in diesem Zusammenhang mit dem Erfordernis eines systematischen und anstrengenden Lernaufwandes konfrontiert, der an den Bildungsprozess erinnert, den er oben in Bezug auf seinen Cousin geschildert hatte. Auch bezüglich des Lernmusters erscheint hier eine Analogie, denn es stellt sich vom Prinzip als aufwändig und stupide dar ("du musst einfach lesen, lesen, lesen" und das Gelesene "immer alles behalten"). Wieder konstruiert Yüksel also eine Art Barriere, deren Überwindung er allerdings dem Freund attestiert -hat sich dieser doch eine große Menge an Literatur besorgt, durchgearbeitet und sich darüber Computerwissen angeeignet. Aus Yüksels Orientierung erwächst hier vermeintlich folgendes Dilemma: Einerseits wird Computerwissen als Schlüssel zu gesellschaftlichem Erfolg und Anerkennung gedeutet, andererseits wird dessen Erwerb mit einem hohen und systematischer Arbeitsaufwand assoziiert, der schwierig zu bewältigen erscheint. Die Möglichkeiten der Erweiterung computerbezogener Handlungsmöglichkeiten werden zwar gesehen, sind aber letztlich so eng an das Vorhandensein-Müssen von sozialer Anerkennung, wie sie z. B. Spieleentwickler genießen, gebunden, dass dies -weil damit große Lernanstrengungen einhergehen -zugleich als Hürde erfahren wird. Die hier von Yüksel geschilderte computerbezogene Bildungsaspiration -Spiele entwickeln -ist so anspruchsvoll, dass ein damit verbundener Aufwand an systematischem Lernen letztlich das Projekt anderer bleibt. Zum Ausdruck kommt damit erneut der Wunsch, an andere, bildungserfolgreiche und mit prestigeträchtigem Wissen ausgestattete Personen anschließen zu wollen, denen gegenüber aber zugleich ein Gefühl der Unterlegenheit besteht. Ähnliche Elemente der Orientierung wie bei den vorigen beiden Jungen mit türkischem Migrationshintergrund lassen sich auch im Fall von Sercan rekonstruieren. Sercan, 15 Jahre alt, ist das Mittlere von drei Geschwistern, sein Bruder ist 18, seine Schwester 14 Jahre alt. Seine Eltern sind seit "17, 18, 19, 20 Jahre oder so" in Deutschland. Sein Vater arbeitet derzeit als Handwerker, seine Mutter ist Hausfrau. Sercan ist 15 Jahre alt und betont gleich zu Beginn, dass er in drei Wochen seinen 16. Geburtstag feiert. Als seine Hobbies nennt Sercan "Fußball" und "Comics lesen"; außerdem spielt er leidenschaftlich gerne die Lotto-Sportwette "Oddset". Bevor das Interview beginnt, bekundet er reges Interesse an meinem Laptop, der ausgeschaltet auf dem Tisch steht und möchte Alter und Ausstattungsmerkmale wissen. Seine offenkundige Begeisterung für Technik kulminiert am Ende des Interviews, als er von selbst die Weiterentwicklung der Medien-und Gerätelandschaft anspricht ("sagen wir mal jetzt 2020, da gibt's einen neuen Monitor. Da ist dann schon so Rechner und so ALLES rein gebaut, Laufwerk, Kamera drin eingebaut. In einem Monitor alles eingebaut. Glaube ich. Es werden bestimmt auch Handys rauskommen, mit DVD-Player und so" 504). Sich eine neue Generation von Technologie vorstellend, die verschiedene Features in sich vereint, vermittelt sich Sercan als ein die Entwicklung aktiv Verfolgender. Auch den Beginn seiner eigenen Beschäftigung mit Computertechnologie verortet er in einer biographisch frühen Phase, in der er lediglich eine Spielkonsole besaß. Deren Funktionen erschienen im Lauf der Zeit aber eingeschränkt und er suchte nach neuen 190 medienbezogenen Betätigungen, die seine bisherige Spielepraxis nicht nur erweitern, sondern sich auch deutlich davon unterschieden: (49) S: Am Anfang, ganz früher hatte ich nur eine Playstation Eins, und dann, das hat mir gar nicht mehr gefallen, nur Spielen Spielen, ich wollte was ANDERES lernen und so. Computerzeichnen, Spiele installieren. Also da war ich aber noch KLEIN, also noch kein Computer. Und danach, also heutzutage hat JEDER Computer, also JEDER Mensch hat einen Computer zuhause stehen. Also, jeder hat so sein Hobby, da gehört zu meinem Hobby dazu, mit dem Computer zu beschäftigen. Ich habe noch andere, viele Hobbies, aber das gehört dazu. Wichtig ist ihm der Hinweis, dass er bereits als Kind den Wunsch hatte, den Computer zu seinem späteren "Hobby" zu machen; hierdurch entwirft er sich als zielstrebig und aufgeschlossen gegenüber neuen Entwicklungen. Die Hinwendung zum Computer erfolgt in Form eines eigenständigen und selbstbewussten Schrittes in Bereiche von Handlungsaktivitäten, die über passive und gleich bleibende Formen der Nutzung hinausgehen. Dadurch werden zwei Gegenhorizonte sichtbar, die sich auch durch das weitere Interview ziehen: der negative, nicht ausgeschlossen sein zu wollen von technischen Innovationen sowie der positive, Anschluss zu haben und zu halten an eine allgemeine Entwicklung, in der der Computer sich sowohl veralltäglicht als auch verbreitet hat. Dies ist für ihn ein Phänomen, an dem er wie selbstverständlich Anteil hat und er insofern eine soziale Stellung anzeigt, die ihn so sein lässt wie "JEDER Mensch". PC-Aktivitäten sind für ihn eine Sphäre der Normalität, in der er sich betont verortet und dadurch signalisiert, inwiefern er medienbezogen überaus handlungsfähig ist und eine PC-Nutzung zu seiner habitualisierten Alltagspraxis dazuzählt. Nach Aufzählung seiner zahlreichen Hobbies, denen gemeinsam ist, dass sie auf körperlich-aktionistische, vorrangig sportliche Betätigungen und das Sich-Messen mit anderen abzielen (vor allem "so Schwimmen im Verein und Fußball, klar", 52), bestimmt er den Stellenwert des Computers in seiner Freizeit: (54) S: Sagen wir mal, in meinem Leben, also in meiner Freizeit, von hundert Prozent, beschäftige ich mich so Fifty-fifty so, also 50 Prozent DAS, und 50 Prozent DAS. Weil, wir gehen ja-Also ich hänge ja immer in so einem Computerladen rum, und da sind auch VIELE Freunde von mir. ALLE meine Freunde sind da. Wir treffen uns alle DA, und danach gehen wir so eine Stunde Internet. Gucken so, laden was runter, Musik oder so. Und dann gehen wir wieder. Also so am Tag sind wir immer so Internetcafe, sind wir da also. Also von meinen Freunden hat jeder auch Ahnung von Computern und so. Sercan misst seiner Computerpraxis eine überaus stabile Verankerung in seinem Alltag zu, in welchem er auch Anteil an einer öffentlich-sichtbaren und kommerziell betriebenen Computersphäre hat; dort verortet er den Bezugspunkt seiner sozialen Eingebundenheit und das Zentrum seiner Computeraktivität -sie findet "immer" dort statt, zumal "ALLE" Freunde sich am gleichen Ort aufhalten. Hier entwickelt sich eine ßigkeit und Struktur der gemeinschaftlichen Nutzung, die sich fest etabliert und den Mittelpunkt seiner Peergroupgeselligkeit bildet. Diese Praxis erscheint als Hintergrund, vor dem sich eine individuelle Statusrollenkonfiguration bildet, bezüglich der sich Sercan als Teil einer Gleichaltrigengruppe wahrnimmt, die er wie eine Gruppierung digitaler Experten entwirft (jeder darin hat "Ahnung"). In dieser Gruppierung bildet sich ein Statusgefüge über das Vorhandensein und die Demonstration von Computer Knowhow. Insofern orientiert sich Sercans Darstellung durchgängig an Momenten einer gelungenen Inklusion durch erfolgreiche Anschlussbestrebungen an eine Computerszene. Seine jetzige Mitgliedschaft darin stellt er betont mit einer die eigenen Ressourcen schonenden Internetnutzung einhergehend dar. Auf diese Weise orientiert er sich daran, wie ihm selbst vermittels eines sich erarbeiteten Status die Teilhabe an computervermittelten Tätigkeiten gewährt wird; etwa berichtet er davon, sich scheinbar mühelos einen mit Privilegien verbundene Stellung im "Computerladen" verschafft zu haben: "Früher da kannte ich den ja noch nicht den Besitzer und so. Und danach, also ich war immer jeden Tag da, ich so "hallo hallo", habe ich die dann gekannt. Und JETZT so, sage ich mal von 100 Prozent da rum hängen, also 80 Prozent bezahle ich nicht", 365). Das sich hier zeigende Vorhandensein von hohen Partizipationsmöglichkeiten und Sozialkapital erscheint als Ausweis eines sozialen Status und einer sozialen Geltung, die mitunter sogar mit dem Transfer von Kompetenzen und von Verantwortlichkeit einhergeht: (56) S: Also, ich kann da jeden-ganzen Tag, weil, das gehört meinem Freund. Ich muss nichts bezahlen. // I: Mhm // S: Weil, Besitzer, ich kenne da ALLE. Manchmal geben die mir auch den Schlüssel, ich mache den Laden auch auf, so manchmal, so früh und so. Und, wenn so Kunden kommen, also wenn, also das ist ein Araber der Besitzer, F., und wenn der keine Zeit hat, und meine Freunde sind auch weg oder so, muss ich auch so Kunden beraten und so. Wegen Motherboard, Mainboard, ob DAS gut ist für ihren PC oder DAS. Vermittelt über die Zugehörigkeit zur Computerszene wird ihm und seinen Fähigkeiten hohes Vertrauen entgegengebracht; sein Status wird bereits als so kompetent wahrgenommen, dass ihm mitunter die Verantwortung für den gesamten Betrieb des Internetcafes übertragen wird -in diesem Fall ist er in der Rolle desjenigen, der die Schlüsselgewalt besitzt und das Geschäft schon "auch" einmal selbständig "aufmacht". Was daran deutlich wird, ist Sercans Orientierung, ein Ansehen zu genießen, und zwar in einer sozialen Gruppierung, der er sich zugehörig fühlt und die ihm wiederum Anerkennung zuteil werden lässt. Bezogen auf die seine in der Passage zuvor angesprochene Selbstständigkeit ist darüber hinaus ein Thema vorweggenommen, das Sercan an späteren Interviewstellen weiterführen wird, und zwar die habituelle Orientierung an einem Chefsein. Dass er hier schildert, den eigentlichen Besitzer zeitweilig ganz zu ersetzen und "Kunden" mit seinem Computerwissen bei Bedarf an Hardware-Komponenten zu beraten, verweist darauf, dass er -erinnert man an die obige Passage -nicht nur innerhalb einer Peergroup mit statussicherndem Computerwissen ausgestattet ist, sondern auch als Experte agiert, der in computerbezogenen Interaktion mit Fremden als solcher nachgefragt wird und Expertenberatung anbieten kann. In diesem Phänomen ist die Kategorie der gesellschaftlichen Anerkennung gleich doppelt codiert, denn Sercan erscheint hier als Träger eines Spezialistenwissens, das nicht nur in der Sphäre öffentlicher Kommunikation, sondern auch im Rahmen kommerzieller Transformationen verortet und wirksam ist. Seinen diesbezüglichen Kompetenzerwerb beschreibt er in einem Modus einer umfassenden technischen Sozialisation. Sercan erwähnt zunächst mehrere Lerninstanzen bzw. Lernsphären, derer er sich bedient und verdeutlicht dadurch, über wie viele Bezüge er verfügt, über die sich die Aneignung von Computerwissen vollzieht: (60) I: Also, äh, wo hast du das her? S: Also, durch Freunde (2), von meinem Vater (2) Durch die Betonung der Anzahl der Freunde und dessen deutscher Herkunft spricht Sercan das Thema der gelungenen Integration an: Diese dokumentiert sich in der beruflichen Tätigkeit und der aktiven Gestaltung von Sozialkontakten mit einheimischen Kollegen, die nun "Freunde" des Vaters geworden sind. Die soziale Einbindung wird dadurch elaboriert, dass die Freunde zu Vermittlern von (medienbezogenem) Wissen geworden sind, es hier also zu einer Transformation von kulturellem Kapital durch Vertreter der Mehrheitsgesellschaft gekommen ist. Durch dieses Thema hindurch wird der Vater von Sercan als Person mit erfolgreichen und anschlussfähigen Kontakten in der gesellschaftlich-öffentlichen Sphäre vorgestellt. Hiermit ist überdies auch das Thema der männlichen Ehre (úeref) aufgeworfen, die dem Vater von Sercan hier vermittels seiner Schilderung von erfolgreicher Integration und Wissenszuwachs zugeschrieben wird. 169 Inwiefern sich in Sercans Orientierung Sozialkapital in Computerwissen niederschlägt, zeigt sich auch daran, dass er -neben der Tatsache, dass er den PC von seinem Vater bekommen hat -auch die innerfamiliäre Transmission von computerbezogenem kulturellem Kapital als Statusfrage begreift: (64) S: Na ja, Brennen, mit dem Brenner so umzugehen. Videokassetten auf eine CD machen, DVD zu brennen, also, so was. Und, er hat mir dann einmal meinen Rechner aufgeschraubt, hat er mir alle Teil so drinnen gezeigt, so das ist DAS und das ist DAS und das ist DAS, so, das ist der Belüfter, das ist das Motherboard, TV-Karte, Grafikkarte, hat er mir so alles gezeigt. Ich würde es auch hinbekommen, Sie geben mir jetzt sagen wir mal irgendein TEIL, so ein TV-Karte, ich würde es einbauen können. Hier wiederholt sich zunächst die Orientierung an der Selbstwahrnehmung als eines digitalen Experten; neben dem Vervielfältigen von Datenträgern als wichtigen Bestandteil seiner Medienpraxis berichtet Sercan, wie er mithilfe seines Vaters auch eine technologische Kompetenz erlangt hat und aufgrund dessen nun über ein Wissen über die einzelnen Bestandteile des Rechners und damit über das technologische Zusammenspiel der Hardware-Komponenten mühelos zu verfügen scheint. Technikbezogener Wissenserwerb kennzeichnet sich hier als eine Statustransformation, in welchem der Vater ähnlich einem Vorbild bzw. einem Lehrmeister erscheint, der vom Sohn als Ressource erlebt wird, um die dadurch erlangte Computersouveränität in einem außerfamiliären Kontext zur Darstellung zu bringen, etwa in der Beratung der "Kunden" des Internetcafes (siehe oben) oder auch kommunikativ in der Situation des Interviews. Zum Ausdruck kommt hier eine Art Selbstbestätigung: Würde der Interviewer ihm ein beliebiges "TEIL" des Computers aushändigen, wäre er imstande, es "einbauen" zu können. Auf diese Weise setzt Sercan performativ die eigene Handlungsfähigkeit in Szene und versucht auf diese Weise, den Forscher in Form der Selbstinszenierung als Hardware-Profi mit einer technikbezogenen Souveränität zu überzeugen. Diese hohe symbolische Bedeutung des Hantierens mit Objekten und die Einbindung in die Welt medientechnischer Dinge (vgl. Schäffer 2001: 60) zeigt sich auch dort, wo Sercan in fast atemloser Performanz Einblicke in die kollektive Selbstwahrnehmung seiner Peergroup als hardwarebezogene Experten und Händler schildert. Deutlich wird darin eine starke habituelle Übereinstimmung in der Orientierung an einer technikbezogenen Souveränität: (375) S: Ja, wir immer so "brauchst du ein neues Motherboard?", "kannst du mir eine neue Maus kaufen, oder besorgen?", "weißt du wo es die billiger gibt?", "weißt du wo man einen Brenner kauft?" oder "kannst du mir meinen Brenner verkaufen, irgendjemandem, ich habe keinen Kunden", "mein Computer stürzt ab, was ich kann ich dazu tun?" So was halt. Die Freunde handeln und behandeln sich gegenseitig wie Protagonisten in einer Sphäre technikbezogener Alltagspraxis, die sich wechselseitig reproduziert. Die technische Apparatur als solche hat hier hohen symbolischen Wert; es gilt, elektronische Bauteile und Eingabegeräte zu besitzen, zu beschaffen und weiterzuverkaufen. Zum Ausdruck kommen damit eine Orientierung an der Materialität technischer Ausrüstungsgegenstände und eine ausgesprochen possessive Haltung ihnen gegenüber. Entscheidend ist aber, trotz dieser Selbststilisierung nicht als "Freak" (65) gelten zu wollen: (65) I: Mhm, also ich kenne mich damit nicht aus, also ich weiß nicht, welches Teil da wie heißt ((lacht)) S: Okay, so scharf bin ich jetzt mal AUCH nicht, so über Computer, so ein Freak bin ich AUCH nicht. Aber-I: Mhm, aber du kennst dich ganz gut damit aus. S: Nicht SO GUT, aber, es reicht für mich, und insofern. Es geht Sercan darum, Computerwissen in einem dem Status der Peergroup angemessenen Maß zu haben, sich aber nicht so weit in die Technik zu vertiefen, dass dies etwa seltsam oder grenzwertig erscheint. Diese Lesart ist im negativen Gegenhorizont des Computerfreaks aufgehoben: Der Computer soll gerade nicht das einzige sein, was beherrscht bzw. worüber verfügt wird, sondern was sich als persönliches Attribut Option in eine Ensemble aus mehreren Optionen einreiht, wodurch die Person eben nicht ausschließlich über das Computerwissen definiert wird. Dass der Computer gerade nicht der einzige Lebensinhalt ist -wie beim "Freak" -wird so zum Dokument eigener Souveränität, die noch genug Distanz zum Computer wahrt und durch die Beschäftigung damit nicht in ein soziales Abseits gerät. In der Orientierung, statt fanatisch vor allem könnend zu sein, betont Sercan, dass eine medienbezogene Kompetenzerweiterung jederzeit und einfach möglich sei; etwa informiert er umstandslos über das Vorhandensein von Wissenslücken beim handlungspraktischen Umgang mit dem Computer, welche aus seiner Sicht aber mühelos überbrückbar sind; Probleme macht z. B. manchmal der Umgang mit der "Digitalkamera" (447): (447) S: Ich weiß zwar SCHON, wie man Fotos schießt, aber den Rest weiß ich nicht, also so die Digitalkamera an meinen Computer ran zu machen und so was. Mit dem Kabel umzugehen und so, da kenne ich mich nicht gut mit aus. Würde es mein Vater mir einmal zeigen, könnte ich SCHON damit umgehen. Manchmal lerne ich auch vom Sehen so, ich gucke halt, er macht das und das, okay, ich hab's schon gelernt. Ein erkanntes eigenes Unvermögen bezüglich der PC-Bedienung wird zwar konstatiert, daran aber sofort mit dem Hinweis auf die Fähigkeit sofortigen Imitieren-Könnens angeschlossen. Die computerbezogene Wissenslücke könnte sofort überbrückt werden und es sind Wissenskontingente vorhanden, die sich souverän angeeignet werden könnten; hierzu reiche es zuzuschauen und das Resultat in Form eigenen Vermögens emergiere wie von selbst. Diese Selbstwahrnehmung eines Könners lässt sich auch am Modus herausarbeiten, in dem Sercan selbst Computerwissen an andere weitervermittelt: Im familiären Kontext grenzt er sich z. B. betont von seinem drei Jahre älteren Bruder ab ("er kennt sich ÜBERHAUPT nicht aus, GAR nichts. Er weiß nicht mal, wie man den Computer ausschaltet oder anmachen soll", 401); ganz im Gegensatz dazu ist er derjenige, der der Mutter "mal beigebracht hat", wie man "mit dem Computer und so Lieder hört" (409): "ICH habe ihr das ALLES gezeigt, Innerhalb von zehn Minuten konnte sie ALLES. Wie man den Computer bedient und so. ICH habe es ihr so alles gezeigt" (411). Zum Ausdruck kommt damit die Akkumulation von familiärem Prestige, als männlicher Technikexperte zu agieren und der Mutter in kürzester Zeit auf die Sprünge zu helfen. Auch in anderen Zusammenhängen wird Computerwissen zu einem symbolischen Kapital, das in sozialen Kontexten von Sercan in Wert gesetzt wird: (500) S: Mein Freund, er hat einen PC bekommen, vor zwei Jahren, also zum ersten Mal. Er hatte KEINE AHNUNG. Ich habe ihm so-also er hatte die Windows XP Home-Edition, und er wollte Professional haben, habe ICH ihm das gemacht. Er wusste nicht wie es geht, ist eigentlich leicht, kann jeder. Aber seine Festplatte war durchgedreht und so. Haben wir dann einen Mann gerufen. Haben wir dann eine neue Festplatte gekauft. Habe ich ihm dann GEHOL-FEN, so, ich WUSSTE es aber auch nicht so, ich konnte es auch nicht so. Aber das Risiko bin ich dann eingegangen, habe es dann versucht, es hat dann auch geklappt und so. Habe ich dann so mitgeholfen, seinen Tisch mit aufzubauen, seinen Computertisch. Habe ich dann-Also er brauchte dann WinZip, auf seinem PC, auf seiner Festplatte. Und, ich glaube so um Dos-Spiele zu spielen. Das habe ich ihm dann auch installiert. Ich weiß nicht genau, wozu WinZip dient. Während er hier schildert, die Medienumgebung des Freundes eingerichtet zu haben, orientiert er sich weniger an rational-technikbezogenem Detailwissen als an der Demonstration einer technischen Machbarkeitskompetenz. Vermittelt wird hier, in der Position des Fachmannes eigenes Können in den Dienst anderer gestellt zu haben, woran sich einerseits ein Empowerment, andererseits aber auch ein eigener Distinktionsgewinn ablesen lässt. Indem die Passage eine Fähigkeit transportiert, die er selbst in den Augen Anderer genießt und deren Wirkung ihm wichtig ist dokumentiert sich darin eine Orientierung an sozial anerkannter und mit sozialer Geltung ausgestatteter Technikexpertise. Inwiefern sein Status innerhalb der Peergroup den zentralen Rahmen für Erwerb und Relevanz von Computerwissen für Sercan bildet, dokumentiert sich auch in Bezug auf die Umgangsfertigkeiten mit dem Internet: Auf die Frage nach diesbezüglichen Lernerfahrungen führt er aus: (70) S: Jetzt so, also es gibt so eine Seite, und ALLE meine Freunde so, alle in einer Reihe, jeder hat seinen eigenen PC. Und dann spielen wir alle so gegeneinander, so Schießerei und so. So was, und dann auch, man hat schon so von ALLEINE dann Ahnung, man bekommt schon so Ahnung. Man bekommt schon von alleine so Ahnung. So, ja, also so unter Freunden sind wir immer so im Internetcafe, so, sind wir immer im Internet so. I: Mhm, wie hast du denn gelernt, wie man sich im Internet so bewegt, also man muss ja auch [wissen wie-] S: [Ach, das ist] doch eigentlich LEICHT einfach, also du siehst da den Internetexplorer, klickst du so www und dann, also, wenn ich die Wahrheit sage, habe ich das auch im Fernseher gelernt. So, ich habe das immer so gesehen, so wie machen die das da, so www, DAS und DAS, dann Punkt de klicken, und dann gehen wir da rein, also die zeigen es ja immer. Aber, man muss nicht IMMER www schreiben, man muss eigentlich NIE www schreiben. Du kannst einfach so B.-Oberschule.de schreiben, www muss man nicht. Die Beherrschung des Internet erscheint hier daran gemessen, inwiefern die eigene medienbezogene Handlungsfähigkeit in einem sozialen Referenzrahmen zur Geltung kommt. So erscheint Sercan als Glied einer Kette, das sich im wahrsten Sinne des Wortes in die "Reihe" der Freunde einreiht und sich darüber das entsprechende Handlungswissen aneignet. Der Erwerb der Computer-bzw. Internetkompetenz findet hier auf dem Wege statt, dass gemeinsame Computeraktivitäten im Kreise der Freunde praktiziert werden, aus denen man "ALLEINE dann" die notwendige "Ahnung" bekommt, welche sich dann wiederum im Kreise der Freunde bewährt bzw. bewähren muss. Auf diese Weise schildert Sercan medienbezogenes Lernen im Modus des Anschlusses an eine Peergroup-Souveränität, in der sich der Umgang mit dem PC in einer aktionistischen Logik entwickelt und darüber eine Selbstwahrnehmung produziert, Experte zu sein. In diesem Sinne stellt sich für Sercan auch die instrumentelle Handhabung des Internet als überaus einfach und voraussetzungslos dar und erscheint der Umgang damit vom Prinzip her "LEICHT"; er erschließt sich darüber, dass man in die Befehlszeile des Browsers eine Adresse eingibt, was auch beinhaltet, entsprechende Beispiele im Fernseher zu verfolgen, zu reproduzieren und dann darüber zu verfügen. Insofern handelt es sich hier um die Übernahme bzw. Imitation von instrumentellen Handlungsvollzügen zum Zweck der Gruppenintegration, wobei es auch darum geht, ein Verfügungswissen zu demonstrieren, das die eigene Fähigkeit anzeigt, umstandslos und weitgehend unkompliziert im Netz navigieren zu können. Der Horizont, vor dem dies erfolgt, ist eine Praxis des selbstverständlichen Tuns unter Freunden, an der teilgenommen wird und vor welchem "Lernen" äquivalent erscheint zur Überbrückung eines Statusunterschiedes mit anschließender Demonstration der Inklusionsfähigkeit. 197 Hierzu gehört auch die betonte Selbstzuschreibung, im Verlauf der eigenen Computerbiographie selbst vermögend geworden zu sein und sich bei Schwierigkeiten mit der Computertechnik handlungsmächtig und souverän zu verhalten. (145) S: Früher, also ich habe immer so den Knopf gedrückt. So, ausschalten. Aber ich wusste nicht dass man auf "Start" gehen muss, "Computer beenden", so. I: Mhm, wie ist denn das jetzt? Gibt's denn manchmal Sachen die du schwierig findest? // S: Nee. // I: Gibt's keine? // S: JA, stürzt ab, da-Okay, also WENN es abstürzt, danach-Ja, oder wenn der Computer RICHTIG so langsam ist, schon richtig schwach geworden ist, dann defragmentiere ich meinen Computer. Das dauert drei Jahre. Ach, drei Jahre sage ich-[((lacht))] // I: [((lacht) )] // S: Zwei Tage oder so. Und dann ordnet es die Ordner wieder so, so bringt das wieder so in Form, das ist dann wieder, sagen wir mal so, wieder wie normal, der Computer. Das dauert zwei Tage, einen Tag. Ja, so einfach "Start", "Defragmentierung", das ordnet dann deine Ordner. Gelang ihm anfangs lediglich eine einfache und unspezifische Umgangsweise mit dem PC, hat sich Sercan zu einem User weiterentwickelt, der die vollständige Funktionsfähigkeit der Technologie und ihre Möglichkeiten der Wiederherstellungsfähigkeit souverän beherrscht. So schildert er hier den Akt eines reparaturhaften Eingriffes in die Computertechnik nach Art einer Vorgehensweise der beherrschenden Modifizierung von etwas Minderwertigem ("richtig schwach") in etwas Ansehnliches ("wieder so in Form"), das begleitet wird vom Erleben einer aufwändigen Involviertheit in die Technologie, die dann vermeintlich "drei Jahre" dauert. In den Kontext dieser selbstverständlichen Involviertheit fällt auch das Verfügen über "Lieder" auf dem Computer als eines im Freundeskreis hochbedeutenden symbolischen Kapitals, das sie sich regelmäßig "runterladen" und "weitergeben" (432). Die Bestrebungen, auf dieser prestigeträchtigen Bühne mitzuspielen, schildert Sercan als das individuelle Projekt einer Überwindung von Schwierigkeiten, in dem er sich einer Anstrengung unterzog, die zum Ziel führte: (347) S: Ich habe mal das Programm "Kazaa" auf meine Festplatte, so runtergeladen. Da musste ich nicht wieder in Internet, so auf diese Seite, dann habe ich immer auf meine Festplatte, das war auf meinem Desktop, also Kazaa, ich habe dann da so drauf geklickt, und dann habe ich das alles so runtergeladen. Also, das könnte eigentlich JEDER machen, Kazaa auf die Festplatte, aber ich hab's gemacht, ohne dass ich es vorher WUSSTE. Ich hab's von alleine versucht, habe ich es dann geschafft. // I: Und dann? // S: Habe ich mich RICHTIG gefreut, aber, also habe ichaber ich hab so gedacht "wenn ich was WILL KANN ich das dann". Also wenn ich mir dann Mühe gebe. Weil manchmal, also ich LESE nicht richtig, und klicke dann einfach weiter weiter weiter. Beim Installieren, ich klicke einfach so. S: Nee, auf meinem PC brenne ich nur. Also mache ich Filme auf meine Festplatte, die ich von meinen Freunden bekomme. Und installiere ich paar Spiele, was ich so auf Computer habe, und NICHT auf Playstation 2 habe. Also, jetzt SO, da spiele ich Fußball, "Fifa 2005" und so. Und "Need for Speed Underground 2", ich mag so Autospiele so, wo man auch aufmotzen kann und so. Ja. // I: Ja, mhm // S: Da gibt's doch eine Serie, "Pimp my Ride", kennen sie die vielleicht. Ja, also so mit "West Coast Customs" und so. Ich MAG das, das zu gucken, wie die das so aufmotzen und so, und bei "Need for Speed Underground 2", da kann man es SELBER machen. // I: Ach so. // S: Das macht SPASS. Und Fußball? Ich spiele ja auch so in meiner Freizeit Fußball, auch so unter Freunden und so. Und dann stelle ich mir so vor, der bin ich, in diesem Spiel halt, wenn ich spiele. Man kann so COOLE Trickse machen und so, als jetzt da SPIEL, das macht SCHON Spaß. // I: Mhm. // S: Fußball und-So Ballerspiele, ich MAG das nicht so gerne. Du läufst, es kommt einer, du ballerst ihn ab. Ein ANDERER Mann kommt, du erschießt ihn. Aber bei Autospielen, also du kaufst dir ein neues Auto, motzt den auf. Fußball, da kannst du Spieler kaufen, Spieler verkaufen. So was macht Spaß. Strategie mag ich AUCH nicht so. Nur "Age of Empires" mag ich. I: Warum magst du das gerade? S: Also DA kenne ich mich AUCH gut aus. Ich kenne viele Cheats und so. Neben dem selbstverständlichen Überspielen von Formaten von einem zum anderen Medium geht es hier um die Praxis des Aufwertens und Verbesserns technischer Artefakte, welche mit dem Erleben eigener Selbstwirksamkeit und Grandiosität einhergeht. Hierzu bedient er sich eines Medienformates, das er aus dem Medium Fernsehen kennt und häufig rezipiert: Die entsprechend beobachtete Handlungspraxis imitiert er anschließend in einem an die TV-Serie angelehnten Computerspiel. Hier fallen wichtige Merkmale seiner Mediennutzung zusammen: die Rezeption entsprechender populärkulturell verankerter symbolischer Bild-und Themenwelten, und die mimetische Aneignung der vermittelten Handlungsoptionen. Bezüglich des darin zum Ausdruck kommenden Habitus ist es allerdings nicht eindeutig so, dass eine dieser beiden Seiten am Anfang steht -im Sinne einer Linearität -sondern dass beide ineinander verschachtelt sind. So folgt aus dem Anschauen der Serie nicht unbedingt der Effekt des Imitierens, sondern selbiges wirkt auch wieder auf das Anschauen zurück. Vielmehr scheint die gesamte Medienpraxis aufgehoben in einem technikbezogenen souveränen Habitus mit Akzent auf Status und Anerkennung. Ähnlich verhält es sich mit dem Fußballspiel: Hier identifiziert sich Sercan mit einer der virtuellen Spielfiguren, während gedanklich bzw. im Hintergrund die entsprechende reale Praxis auf dem Fußballplatz mit Freunden prozessiert und mit dem Geschehen am Bildschirm synthetisiert wird. Genau hier imaginiert er sich als jemanden, der etwas Außergewöhnliches kann ("so COOLE Trickse"), was ihm in der realen Welt augenscheinlich verwehrt bleiben muss; in anderen Worten: Die eigene soziale Stellung in der peergroup wird im Kontext der Medienrezeption auf ein symbolisches Areal von fiktiver Stärke appliziert. Insofern beschreibt er hier die Nutzung von Medienangeboten als virtuelle Verhandlung des eigenen Status und dessen Transformation in etwas Höheres. Orientiert an Möglichkeiten des Erlebens von Stärke, Status und Prestige bearbeitet Sercan auch die Beziehung zu anderen Medienfigurationen; etwa berichtet er von einer über sein Medienarrangement vermittelten Symbolfigur des männlichen Helden, zu der Sercan eine interaktiv Star-Fan-Beziehung pflegt. Hierzu schildert er einerseits die mediale Verfügbarkeit bzw. den Zugang zu bildlichen Darstellungen, andererseits aber auch eine realweltliche Situation des Kontaktes zu ihm: (255) I: Erzähl doch nochmal so'n bisschen was du sonst so im Internet zum Beispiel-S: Manchmal, ich schreibe dann einfach so Namen, von jemandem, sage ich mal Jackie Chan, was ich sehen will, auf "Bild" klicke ich dann, dann kommen ALLE seine Bilder. [Störgeräusche] hier so, also in "In 80 Tagen um die Welt", kennen sie diesen Film? I: Ja, der Ja okay, aber, mhm . Na ja, also man könnte ja auch mit Jungs chatten, also mit Freunden. S: Ja, Freunde, so, wenn du telefonierst, und hast kein Guthaben mehr, und dann kannst du mit denen reden was du willst. I: Ja, und worüber unterhaltet ihr euch so? S: Na ja, man will sich ja eine Freundin klären. I: Aha, und hast du schon mal jemanden [kennen] S: [Nee] , ist nix für mich. Ich will keine Dings so, also keine Freundin aus dem Chat so. Ich verarsche die lieber. I: Ach so. Mhm, wie machst du das, also-S: Ja, "ich sehe so und so aus", oder "lass uns treffen", so was halt. Aber nicht IMMER, manchmal-also ich KENNE ja auch die Mädchen. Da gibt's VIELE Städte, kannst da rein gehen. Kannst Berlinchat gehen, Hamburgchat (2), auch türkischer Chat. Zunächst verdeutlich Sercan, dass er sich als Mitglied einer Sphäre kollektiv generalisierter Praxis wähnt, an der er selbst jedoch nicht aktiv teilnimmt. Es geht hier aus seiner Sicht offensichtlich um eine Praxis, die bundesweit betrieben wird und an dem er gerne mitspielen möchte und dessen Regeln er überdies sehr genau kennt: Über das Funktionieren der Abläufe weiß er ebenso gut Bescheid wir über die technischen Möglichkeiten, den Kontakt zu "jemand", den man kennen lernen möchte, visuell zu intensivieren. Außerdem informiert er darüber, wie viele und multiple Möglichkeiten der Chatkommunikation es gibt, die auch ein selbstverständliches Repertoire seines Medienwissens darstellen. Entscheidend ist, dass diese Kommunikation vorrangig für den Beziehungsaufbau zum anderen Geschlecht genutzt werden kann, andererseits, dass die kommunikative Nutzung des Chats eine a priori vergeschlechtliche Nutzungsform darstellt. Sie erscheint als Bestandteil einer Konstruktion eines Männlichkeitshabitus, der hier auch eine ironische Zurückweisung von Homosexualität impliziert ("nicht auf Jungs stehe"). Weiter vermittelt sich eine anonyme Form des In-Kontakt-Tretens zu Mädchen, das besonders attraktiv ist, weil man gerade nicht mit ihnen telefoniert, also direkt (zumindest verbal) mit ihnen spricht, sondern indirekt interagieren kann. Dabei deutet das unpersönliche Pronomen hier an, dass Sercan darin eine zutiefst männliche Handlungspraxis wähnt, an der man als Mediennutzer ganz einfach teilhat, um sich auf diesem Wege eine Freundin zu "klären". Darin dokumentiert sich wiederum Sercans Orientierung an Status, und zwar als Mann wahrgenommen zu werden, der aber gleichzeitig keinesfalls so eine "Dings" aus dem Chat kennen zu lernen gedenkt, sie stattdessen lieber "verarscht". Dies funktioniert über die Selbstpräsentation körperlicher Attribute und das Angebot einer Begegnung in der realen Welt, jedoch nicht "IMMER", denn in der Regel "KENNT" er die "Mädchen". Während sich also in der Anonymität des Chats einer Maskerade bedient wird, hat Sercan genau diese selber, so vermittelt er hier, scheinbar gar nicht nötig: Er "KENNT" ja auch die (echten) Mädchen. Deutlich wird hier: Ein doing masculinity ist jederzeit möglich; man kann sich eine "Freundin klären", muss dies aber nicht -in jedem Fall ist der Mann der eigentliche Hauptakteur, der die Regeln der Interaktion bestimmt. Entscheidend ist, wie Sercan hier über die Passage hinweg ein implizites Ausgeschlossensein, ein Noch-Nicht, thematisiert, das aber zugleich von der Präsentation dessen begleitet wird, genaue Vorstellungen davon zu haben, wie die männliche Rolle gespielt werden muss und dass er selbst auch fähig wäre, sie spielen zu können. Genau diese Differenz wird zur Aufrechterhaltung der Demonstration des eigenen Status of-202 fenbar überbrückt. Die Praxis des Chattens erscheint hier wie die Schaubühne einer generalisierten Männlichkeitspraxis, welche Erfolg auf Anerkennung über das Vermögen verspricht, Nähe zum anderen Geschlecht herstellen zu können und sich eine Partnerin ähnlich einem Objekts zu holen. Das eigene Unvermögen, auf genau dieser Bühne (noch) nicht mitspielen zu können, wird von Sercan mit betontem Hinweis auf eine selbstgewollte Abstinenz heruntergespielt und somit überdeckt ("Ach, ist nix für mich"). Insofern verfügt Sercan gewissermaßen über eine ausgeprägte Männlichkeitsinszenierungskompetenz. Inwiefern in diese, über die kommunikativen Mediennutzung hinaus, auch ansonsten der Computer eingebunden ist, dokumentiert sich darin, dass er sich die Praxis des Bildbearbeitens zur Imagination eines in die Zukunft gerichteten, männlichen Körperselbst zunutze macht: Die kreative Benutzung eines Bildbearbeitungsprogramms erfüllt demnach den projektiven Wunsch nach einem erwachsenen Männlichkeitsideal: (439) S: Ich habe mal eine Fotomontage gemacht. Mein eigenes Foto gescannt. Und danach habe ich so einen Pickel weggemacht, dann habe ich mir einen Bart drangemacht. So was, so älter, wie ich so AUSSEHEN will, so, so was habe ich gemacht. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Sercans Orientierungsrahmen der Mediennutzung um Fragen des Anschlusses an andere, der sozialen Geltung sowie des Status kreist und dabei die Suche nach einer gesellschaftlichen Positionierung impliziert, die mit Anerkennung und Prestige verbunden ist. Dies lässt sich abschließend daran herausarbeiten, wie er sich bezüglich seiner Zukunft und der Bedeutung des Computers darin positioniert. Während sich im Fall von Ferhat eine bereits klare berufsbiographische Perspektive darstellte, in der dieser der Medientechnologien einen festen Platz im Kontext von Arbeitsabläufen innerhalb des elterlichen Betriebes zuweist, stellt sich die Situation bei Sercan zunächst genau gegenteilig dar: Sercan vollzieht in dieser Passage eine kommunikative Transformation der zuvor explizit eingestandenen Unsicherheit in eine scheinbar sichere Perspektive. Dies gelingt ihm im Rückgriff auf eine episodale Schilderung bezüglich der Souveränität seines Vaters, der sich darauf versteht, auf dem Arbeitsmarkt flexibel zu verhalten und gerade dabei ist, im Ausland eine eigene wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Sercan wähnt eine berufsbiographische Anschlussmöglichkeit an seinen Vater, indem er durch die Wiederholung "vielleicht" verschiedene Optionen durchspielt. Damit hat er sich kommunikativ eine starke Position zurückerobert, denn nun scheinen wieder viele Möglichkeiten offen. Hierzu imaginiert er zunächst, dem Vater zu assistieren, worauf später folgen könnte, das Restaurant werde seiner Vorstellung nach nicht nur "größer", sondern sogar "berühmt". Die nächste Option ist die Eröffnung eines eigenen Restaurants, worin wieder die bereits oben aufgetauchte Orientierung am eigenen Unternehmertum und die Schaffung einer unabhängigen Existenz aufscheinen. Der eigenen berufsbiographischen Unklarheit ist damit ein maximaler Gegenhorizont gegenübergestellt, und zwar das Erreichen von wirtschaftlichem Erfolg und Anerkennung. Orientiert an der Perspektive eines eigenen Unternehmers überrascht nicht, dass ein späteres Auskennen im Bereich Computermedien bzw. eine entsprechendes Wissen für Sercan wenig Relevanz hat. Das Besondere des wirtschaftlichen Erfolgs besteht hier vielmehr darin, sich in der Funktion eines "Chefs" zu befinden, der sich aufgrund der damit verbundenen Rollenprivilegien gerade nicht auf etwaige Bildungsrückstände oder lückenhaftes Wissen hin befragen lassen muss. Das Computermedium ist hier lediglich Hilfsmittel, um den eigenen Erfolg quasi technisch zu begleiten und daher auf seine handwerklich-dienende Funktionalität beschränkt, etwa bei der Produktion von Speisekarten im Restaurant zur Anwendung zu kommen -wenn überhaupt. Im Anschluss an diese in Bezug auf den beruflichen Sektor deutliche Orientierung am Prinzip des Erfolgs und der sozialen Anerkennung äußert sich Sercan auf die Frage nach sonstigen weiteren Interessen am Computer folgendermaßen: (167) I: Ja, mhm. Okay, und jetzt noch mal, gibt's denn was, was du, im Moment so, was du gerne noch lernen würdest am Computer, was dich noch interessiert näher kennen zu lernen? S: Ich weiß ja nicht, was es noch GIBT. Was man noch dazulernen KANN. Weiß ich nicht. Es gibt VIELE-Ich würde, also wie man eigene Email-Seite herstellen kann. // I: Mhm, warum gerade das? // S: Na ja, also wenn man sich manchmal registrieren will, da steht dann "bitte geben sie ihre Email-Adresse ein". Und, ich HABE ja keine, dann kann ich mich nicht registrieren in vielen Seiten. // I: Ach so, mhm. // S: Ja, und manche Freunde können auch was für mich schreiben, so Emailadresse. Er offenbart zunächst, dass ein weiterer Interessehorizont hinsichtlich der Möglichkeiten des Computers kommunikativ nicht wirklich zugänglich ist. Bezüglich eines weiteren medienbezogenen Kompetenzerwerbs fällt es ihm sichtlich schwer, konkrete Ge-205 genstände bzw. Inhalte zu benennen, gleichzeitig weist er auf "VIELE" Dinge hin, denen er Interesse entgegenbringt. In der schließlich von ihm genannten Partizipation an den Möglichkeiten des Email-Verkehrs dokumentiert sich, ähnlich zum Fall von Yüksel, ein negativer Gegenhorizont, und zwar eine Exklusion durch fehlende technische Möglichkeiten. Gerade weil Sercan keine eigene Emailadresse besitzt, macht er die Erfahrung, sich auf diversen Internetseiten nicht registrieren zu können, und das heißt: nicht dabei sein zu können und aufgrund des eigenen technologischen Rückstandes von Optionen abgeschnitten zu bleiben. Insofern zeugt dieser medienbezogene Lernwunsch von einer Orientierung an Anerkennung, Teilhabemöglichkeiten und Besitz. Anders als die Darstellungen der Jungen mit türkischem Migrationshintergrund orientieren sich die Jungen des Sample aus den Familien deutscher Herkunft hinsichtlich ihrer Mediennutzung an Prinzipien der Handlungserweiterung, der Rationalisierung und der Normalisierung. Timo ist 15 Jahre alt und lebt als Einzelkind bei seinen Eltern. Seine Mutter arbeitet als Erzieherin, sein Vater ist Sparkassenagestellter. Das Interview mit Timo findet im Anschluss an eine Sportstunde statt, sodass er, um pünktlich zu erscheinen, sich nicht umgezogen hat und immer noch Sportbekleidung trägt. Er ist für sein Alter ungewöhnlich groß ("ein bisschen mehr als eins neunzig", 11). Als ich danach frage, ob er vorhabe, Basketballspieler zu werden, winkt er lachend ab ("nicht wirklich", 13). Timo wirkt freundlich, aber auch etwas reserviert. Als Hobbies nennt er "Freunde", "Computer" und "Kino". Seine erste Begegnung mit dem Computermedium schildert Timo als eine eher zufällige, nicht durch ihn selber initiierte: Seinen Kontakt mit dem PC als Geschenk der Eltern wertet Timo als eher beiläufig bzw. normal und schildert eine sofortige und spontane Beschäftigung damit, wobei er dies als Tätigkeit charakterisiert, die, einmal angestoßen, zu einem selbstgesteuerten Projekt der Aneignung wurde: (24) T: Also, mit Computer, einfach mal so, zum (2) Geburtstag, halt einfach mal einen so geschenkt gekriegt. Habe ich mich dann da gleich RAN gesetzt, von meinem Vater ein bisschen erklären lassen und so. Und, in den ersten Jahren waren das halt nur so Spiele, so zwischendurch, und dann, ja als es mit der Schule losging, auch dann, habe ich dann auch noch so Internet gekriegt. Und seitdem (2) mache ich da eigentlich fast täglich was dran. I: Mhm. Hast du denn einen eigenen Computer? T: Ja. Mehrere. // I: Mehrere? // T: Mhm. // I: Inwiefern? Also-// T: Ich habe drei Stück. // I: Drei? // T: Drei Stück, ja, ((lacht)) // I: Warum? // T: Na ja, die haben sich halt mit der Zeit so (2) angesammelt. Zusammengebastelt. Habe ich immer mal so geguckt und so. I: Mhm, aber die sind nicht alle drei gleich wahrscheinlich, oder? T: Nee, die sind nicht gleich, nee. Ein bisschen unterschiedlich noch. I: Mhm. Also und die stehen dann alle in deinem Zimmer, die Computer oder wie? T: Ja ZWEI davon stehen bei mir im Zimmer und EINER der ist noch so ein bisschen am Basteln so. // I: Mhm. // T: Na ja, wenn da irgendwie (1) also die Grafikkarte ein bisschen hässlich ist, dann such ich da halt eine neue oder so. Oder die Festplatte ist zu klein, und so was halt. I: Mhm. Äh, baust du denn dann selber so was ein oder-T: Ja, na ja ((lacht)), ach das ist kein Problem eigentlich. Nur ein bisschen stecken und dann so-(2) I: Naja, für einige schon. Viele können das nicht. // T: Ja (2) // I: Mhm. Äh, und wie ist das mit dem Internet, also wie bist du dazu gekommen, dich damit zu beschäftigen? T: Oh, naja das haben mir einfach so ein paar Freunde mal gezeigt und (2) ich dachte das wäre auch eine gute Idee für die SCHULE, weil man da ja aus dem Internet sehr viele SACHEN herausfinden kann. Und auch mal für ein paar Vorträge oder so. Und da hatte ich keine Lust immer alles in Büchern nachzugucken, habe ich gedacht, (2) "setz' dich halt an den Computer." Seinen Vater als Begleiter seines an den PC "Ransetzens" beschreibend wird deutlich, dass Timo die Aktivität eher bei sich selber verortet als bei diesem, sodass der Vater wie ein temporärer Aneignungspartner seiner anfänglichen Mediennutzung erscheint. Seiner Mediensozialisation eine zeitliche Dimension von mehreren Jahren einer vorwiegend spielbezogenen Nutzung gebend lässt Timo erkennen, dass er eine rein spielbezogene Nutzung subjektiv eher gering schätzt; diese scheint in seiner Offline-Zeit auch nicht übermäßig wichtig gewesen zu sein, fand sie doch nicht ständig oder häufig statt, sondern -im Gegenteil -"so zwischendurch". Bezüglich des Erhaltes eines Internetanschluss setzt Timo eine zeitliche Marke, durch welche Schule und Internetnutzung zusammenfallen und die Schule als zeitlicher Starter seiner Internetnutzung in Erscheinung tritt, die er seitdem als "fast täglich" klassifiziert. Bedeutsam erscheint hieran, dass er die Internetnutzung als aktives Tun verbalisiert, wohingegen er die frühere, spielbezogene Nutzung des PCs mit keinem äquivalenten, Aktivität signalisierenden, Verb belegt. Insgesamt scheint Timo fast bemüht, seine Computerausrüstung nicht zu hypostasieren, sondern anstatt dessen seine Ansammlung von Geräten als eher normale Begleiterscheinung einer technisch orientierten Hinwendung zum Computermedium zu verdeutlichen, in der eben mehrere Geräte sukzessive zusammengekommen sind. Während sich darin eine kontinuierliche Beschäftigung damit ausdrückt, dokumentiert sich weiter, dass Timo auf ein aktives Eingreifen in und ein Gestalten der Medientechnik abzielt, in dem es darum geht, diese zu verändern und zu verbessern. Er schildert dies am Beispiel zweier Hardwarekomponenten, deren Veränderung eine Aufwertung, Beschleunigung und Modernisierung des PCs bewirken. Zwar bindet er dies zunächst an ästhetische Kriterien, sucht etwa eine neue Grafikkarte, weil die alte "ein bisschen hässlich ist", schon bei der Festplatte geht es ihm aber um eine Erweiterung der Speicherkapazität. Den Ausdruck, den er zur Formulierung seiner Basteltätigkeit verwendet 207 verweist auf eine Modellvorstellung des PCs als eines Komponentensystems, welches Eingriff und Gestaltung gleichermaßen ermöglicht, indem man beliebig Bestandteile auswechselt und dieses damit modifiziert. Obwohl die Technik hier nicht nur neutrales Objekt, sondern etwas Verschönerungsbedürftiges und Verschönerungsfähiges ist, vermittelt sich dies hier wie eine eher sachliche gerätemäßige Einbautätigkeit. Darin dokumentiert sich wiederum eine Orientierung an Aufbau und Funktionsweise der PC-Architektur, die etwa im Gegensatz zu Ferhat und Sercan (die dies als "aufmotzen" beschreiben) weit nüchterneren Charakter hat. Dass Timo den Frageimpuls zur der ersten Begegnung mit dem Internet zunächst in einem ähnlichen Modus wie oben aufgreift, drückt aus, dass er seine Mediensozialisation insgesamt als eher beiläufig erinnert, nebenher verlaufen und ohne Besonderung. Genannt werden dann zunächst seine Freunde als Sozialisationsagenten, welche ihm das Internet "mal gezeigt" hätten. Die Weiterführung dieser ersten Begegnung stellt sich als von der Idee geprägt dar, das Internet schulbezogen nutzen zu können. Diese Vorstellung ist auch schon relativ konkret, denn es geht ihm darum, Recherchen durchzuführen, um die Ergebnisse für "Vorträge" nutzen zu können. Seine Internetbiographie stellt sich darin tendenziell zweckrational und verstehend dar. Weiterhin drückt sich darin eine Sichtweise des Internets als einer hilfreichen Datenbank aus, mit deren Hilfe Suchergebnisse in einem neuen Kontext (der Schule) zur Anwendung gebracht werden können. Das Medium ist hier eine Erweiterung der Bücher als konventioneller und bisheriger Informationsressourcen. Dies impliziert wiederum eine Mediennutzung unter den Vorzeichen einer instrumentell-werkzeugartigen Benutzung von Medien. Bisheriges lässt sich so zusammenfassen, dass sich Timo als technisch orientierter Nutzer entwirft, der sich Medien rational, eigenaktiv-konstruktiv und lernend zuwendet und sie vorwiegend verständnisorientiert, bewusst und ausgewogen verwendet. Aufgeworfen ist damit eine Orientierung an einem rational-technikbezogenen Lernen und Verstehen im Modus der Nutzung und Erweiterung von Handlungsoptionen. Ein zentraler Bestandteil davon ist ein spezifischer Lernhabitus, der von der Betonung wissenserweiternder und systematischer Mediennutzungsformen geprägt ist. Dazu ist Timo daran gelegen, seine Medienpraxis gegenüber anderen Freizeitaktivitäten, vor allen seinen Freunden, deutlich niedriger einzuschätzen ("also die FREUNDE sind mir SCHON wichtiger", 57) und seine Zuwendung zum Computermedium generell als normales Geschehen zu kennzeichnen ("aber (2) ist auch SCHON gut wenn man auch mal Internet zu Hause hat", 57). Solche Momente von Aktivität und Rationalität ziehen sich auch durch den folgenden Gesprächsausschnitt: (64) I: Na ja, man kann ja auch ins Internetcafe gehen, oder so. T: Ja, okay, AUCH manchmal, aber dann (2) irgendwie nur (2) so Spiele gegeneinander spielen oder so. I: Ach so. Okay. Äh (1) also du sagst, du sitzt täglich dran. Und wie lange sitzt denn du so dran so? T: Na ja, eigentlich meistens jetzt nicht länger als ne halbe, dreiviertel Stunde so. Im INTERNET jedenfalls. Computer, immer wenn ich Lust habe, irgendwas zu zocken oder so ((lacht)). I: Mhm. Okay. Wenn du jetzt sagst du benutzt das Internet so täglich halbe, dreiviertel Stunde, wozu benutzt du denn das? Was machst du so alles im Internet? Das würde mich mal interessieren. T: Na wie gesagt mit Freunden Chatten, oder Online-Games, so was wie "O-Game" oder so. Und (2), ja, was gibt's noch? (3) Ja, auch noch für die SCHULE wie gesagt mal so Sachen raussuchen. Oder mal halt was schnell downloaden (2) und in letzter Zeit lerne ich vom Internet Gitarre spielen. In einer Online-Gitarrenschule. I: Ach? Wie bist du denn dazu gekommen? T: Na ja, ich habe einfach mal so überlegt, äh, also (2) im Schrank habe ich ja ne alte Gitarre gefunden (2), habe ich mir dann neue Saiten gekauft, und so, und, dann konnte ich das ja nicht SPIELEN. Habe ich mal halt im Internet dann so gesucht, ob ich da ein paar Griffe finde oder so. Und dann habe ich eine RICHTIGE Online-Gitarrenschule halt gefunden. I: Aha, mhm, und, äh warum hast du das im Internet gemacht? Man kann sich ja auch irgendwie ein Buch nehmen oder so. T: Na ja, ich hab kein Buch davon zu HAUSE ((lacht)), und DESWEGEN. I: Ja, mhm, Und also, wie war das jetzt, also-T: Einfach mal SO, halt aus Spaß an der Freude habe ich mal nachgeguckt, ob es da was gibt und so. I: Und was hast du da jetzt gefunden? Was ist das genau? T: Na ja da ist-das ist eine ganz normale Seite (3) und da ist halt so ein Lehrer, und jede Woche ist da halt eine neue äh, Download PDF-Datei, ja, und dann guckt man sich die halt AN, und dann sind da jedes Mal so ein paar neue Griffe (1) und so was zum Nachspielen, und auch die Sounddateien, dass man es sich auch anhören kann, ob es auch RICHTIG ist, was man dann da spielt ( Das Aufsuchen eines Internetcafes ist eingebunden in eine deutliche Markierung diesbezüglicher Grenzen: Zeitlich eher selten und inhaltlich nur zum Zweck, sich den Medien spielbezogen zuzuwenden. Deutlich wird damit eine bewusste, einer bestimmten selbst gegebenen Struktur folgende Mediennutzung, welche Timo bezüglich der zeitlichen Limitierung von oberhalb determiniert und eine unspezifische Spielepraxis an das bewusste Vorhandensein einer entsprechenden darauf gerichteten Motivation koppelt. Wiederholt ist damit das zweckrationale und strukturierte an Timos Mediennutzung. Weiterhin wird durch die Aneinanderreihung der Aktivitäten eine umfangreiche und vielseitige Nutzung erkennbar, die ein breites Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten impliziert. Spiel-und arbeitsbezogene Nutzungsmodalitäten stehen sich dabei relativ gleichberechtigt gegenüber, zwischen ihnen wird oszilliert. In der Wahrnehmung der Medien als Hilfsmittel kommt es zum Erwerb bzw. zum Aufbau neuer Handlungsoptionen: Nach dem Zusammenbau der alten Gitarre fehlt Timo die Anleitung, sie richtig benutzen zu können: Aktiviert wird dadurch eine Recherche, zunächst motiviert vom erwarteten Auffinden einiger kleiner Handlungstipps; letztlich gefunden und genutzt wird jedoch weit mehr als das, nämlich ein von Timo als echtes Manual bezeichnetes 209 Online-Lehr-Lernangebot. Timo antizipiert also zunächst die Existenz hilfreicher Online-Angebote, derer man sich relativ voraussetzungslos und leicht bedienen kann, wobei er den Umgang damit in einer gewissen Systematik als ein fortschreitenden und sukzessiv sich erweiternden Lernprozess beschreibt, auf den sich wiederholt und kontinuierlich eingelassen wird. Deutlich wird auch hier wieder eine technisch-funktionale Rationalität, an der Timo sich bezüglich der Medien und dem Umgang damit orientiert: Es existieren Textdateien zum Herunterladen und diese visualisieren die Gitarrengriffe, welche dann von ihm als Nutzer übernommen und nachgeahmt werden können; ebenso ein Audioangebot, das einen akustischen Abgleich und eine Überprüfung des sich angeeigneten Lerninhaltes ermöglicht. Timo betont hierzu, wie wichtig es ihm ist, dass sein Gitarrespielen korrekt ist, das heißt sein eigener Lernfortschritt der Rationalität des Angebotes auch hinreichend korrespondiert. Umgesetzt wird dies auch dadurch, dass es mit dem Spielenkönnen von "eins, zwei Liedern" um die Neukonstruktion von etwas Vollständigem und Ganzem geht. Diese sich bislang dokumentierende Orientierung an der aktiven Konstruktion von Wissensbereichen und Handlungsmöglichkeiten lässt sich weiterverfolgen, wo Timo eine Wechselwirkung seiner eigenen Mediennutzung und der schulischen Computerbildung berichtet: (125) I: Und jetzt noch mal so am PC, äh was machst du denn mit dem so alles? Kannst du das noch mal erzählen? T: Na klar, also jetzt so zum Beispiel vom Informatikunterricht, da versuche ich halt SCHON ein paar eigene Programme zu schreiben auch, um den Matheunterricht ein bisschen zu erleichtern oder so. Also, dann die ganzen Gleichungen und so (3). Dann, ja schnell ein Programm geschrieben, und dann schaffe ich das auch, muss ich nicht soviel NACHrechnen. Und ansonsten, na ja, was mache ich denn noch? (3) Wenn ich also-Schreiben, so Word Programm so ein bisschen. Sonst, na ja, Spiele habe ich in letzter Zeit NICHT mehr so oft, weil, also macht keinen SPASS mehr so richtig. So immer nach zwei, drei Stunden durchgespielt, und dann halt so (1) "toll…" ((lacht)) I: Also spielen machst du gar nicht so viel, oder? T: GAR nicht, nee, eigentlich nicht. I: Mhm. Ah ja. Und dann hast jetzt gesagt Computerunterricht in der Schule, kannst du [das nochmal] T: [Na, wie gesagt auch], äh, auch mal für die Zehnte Klasse, so ich bin jetzt Neunte, und dann versuchen wir schon die Thematik aus der Zehnten, da so diese ganzen Gleichungen und so, die man in Chemie und Physik und so hat, da BEARBEITEN wir die jetzt schon und schreiben halt Programme, damit uns das LEICHTER fällt, und wenn wir das dann in der Zehnten haben. Sonst-(3) I: Wie würdest du denn sagen, das was ihr da in IT-, nee, wie heißt der Unterricht für Computer? T: Informatik. // I: Informatik, wie findest du das, also jetzt-T: Na KLAR, das hilft, richtig. Also, wenn man jetzt hier zum Beispiel Dreiecksberechnung oder irgend so ein Zeugs, ja, oder Pyramidenberechnung, gebe ich einfach meine drei Längen, vier Längen ein, und dann HABE ich gleich das ERGEBNIS. Muss ich nicht irre viel Gleichungen ausrechnen und so. Also schon eine große Hilfe. Den von ihm selbst praktizierten technisch-zweckrationalen Umgang vermittelt er in Relation zu den Erfahrungen des von ihm besuchten Computerunterrichts. Ausgehend vom Informatikunterricht enaktiert er eigene Programmierpraxen, die ihrerseits wiederum dazu dienen, das Fortkommen im schulischen Unterricht, diesmal auch in einem anderen Fach zu unterstützen: Dabei geht es darum, die Inhalte ("Gleichungen") technisch umzusetzen und damit bearbeitbar zu machen. Dies fällt ihm nach eigenem Bekunden leicht, das Erstellen von kleinen Hilfsprogrammen geht schnell von der Hand. Der Computer wird zum Assistenten, der Rechenaufgaben abnimmt und somit die vorher konventionell, sprich im Kopf, zu bearbeitende Aufgabe übernimmt. Computertechnik erscheint hier als ein Rechenknecht, der in seiner Funktionalität genutzt wird und dessen Arbeitsergebnisse sich durch Schnelligkeit und Exaktheit auszeichnen -der Computer ist der perfekte Arbeitspartner, dessen Resultate nicht weiter geprüft werden müssen. Dieses zweckrationale Moment wird im Folgenden weitergeführt, denn damit verbindet sich eine Handlungspraxis, die über das bloße Nutzen des Computers als Spielzeug weit hinausweist: Gespielt wird zwar von Timo noch, Spielen wird als Nutzungsmodus aber gegenüber anderen Funktionalitäten des Computers deutlich abgewertet. Spiele sind inhaltlich beschränkt und implizieren über den Moment hinaus offenbar kaum echte Handlungsrelevanzen; sie sind nach überschaubarer und relativ eingegrenzter Zeit vorbei und den sich daraus ergebenden Mehrwert ironisiert Timo als gering. Auf die Frage nach den Inhalten des Computerunterrichts in der Schule geht Timo interessanterweise zunächst nicht auf Inhalte ein, sondern benennt mit dem kommenden Schuljahr einen in der Zukunft gelegenen Bezugspunkt. Er zeigt damit an, dass er die Beschäftigung mit dem PC in der Schule als auf etwas gerichtet erlebt und gibt ihr einen vorbereitenden Charakter. Antizipiert wird darin ein späterer Anwendungskontext, für den sich momentan mit dem PC beschäftigt wird. Den Inhalt der Beschäftigung charakterisiert er mit "Gleichungen, die man in Chemie und Physik hat", für die Programme erstellt werden, um den Umgang damit zu erleichtern. Damit reproduziert sich Timo Wahrnehmung des PCs als Hilfsmittel zur selektiven Vereinfachung. Deshalb erlebt er den Informatikunterricht auch eindeutig und betont als hilfreich und elaboriert dies am Beispiel Dreiecks-und Pyramidenberechnung: Hierzu könne er einfach etwas eingeben, und erhielte dann ein Resultat. Analog zu oben dokumentiert sich darin eine Wahrnehmung der Medien als eine instrumentelle Technologie, die Arbeit unterstützen bzw. Arbeit substituieren kann. Der PC erscheint hier als eine das menschliche Denken erleichternde und überbietende Maschine. Dass Timo die für sein Beispiel relevanten Rechenoperationen übersteigert ("irre viel") signalisiert ebenso eine Orientierung an einer Medientechnik als Ermöglichung von Handlungsvollzüge, die unter Verzicht darauf weit schlechter zu bewältigen wären. Entscheidend ist, dass hier das schulisch-institutionelle Lernangebot und seine Teilnahme daran offensichtlich in ein wahrgenommenes Vorhandensein eigener Handlungsoptionen transformiert werden: Schulische Computerbildung und eigene Medienpraxis werden in Komplementarität zueinander gesetzt. Darin zum Ausdruck kommt auch eine ausgeprägte Orientierung an gesellschaftlich-institutionalisierten Normalitäts-vorstellungen und Erwartungshaltungen. So vermittelt Timo hier, inwiefern ein Wissenstransfer nicht nur reibungslos stattgefunden hat, sondern auch Bestandteil des eigenen Habitus geworden ist, an institutionell vermittelten Formen computerbezogener Handlungsfähigkeit selbstverständlich teilhaben zu wollen und auch zu können. Die eigene Handlungsbefähigung wird der Rationalität des schulischen Bildungsangebotes zugeschrieben, welche dadurch interiorisiert und habituell reproduziert wird. Dieser Habitus eines aktiv Lernenden zeigt sich auch darin, wie Timo zusätzlich zur Schule eine weitere Lernarena darstellt: Bezüglich der Genese seines Computerwissens führt er aus: (292) T: Also einen TEIL hat man damals in der siebten Klasse, in ITG, also in Informationstechnischer Grundkurs. Hat man das dann da gelernt. Oder einfach mal so, vom Nachbarn oder so. Mal gefragt, wie das funktioniert. Ob er das erklären kann und so. I: Aha. Mhm. Äh, gibt's jemanden, den du um Hilfe fragst, wenn du irgendwie Probleme oder eine Frage über den Computer hast? Oder wen fragst du dann? T: Also, meine Eltern ist SCHLECHT wenn ich die frage. Da habe ich glaube ein bisschen MEHR Ahnung als sie ((lacht)). Oder ich geh zu meinem Nachbarn halt, der wohnt genau unter uns. Und der-den kenne ich auch schon seit fünfzehn Jahren jetzt wieder, und der ist AUCH so Computer verrückt. Und dann setzen wir uns da zusammen hin und versuchen irgendwelche Probleme zu lösen. I: Mhm. Ach so. Das macht ihr dann, ihr tüftelt dann zusammen so ein bisschen? T: Genau. Sein Computerwissen wird von Timo nur partikular auf die Schule zurückgeführt. Zu einem anderen Teil hat er es auf informellem Weg erworben, und zwar von einem Nachbarn, der offensichtlich über PC-Kenntnisse verfügt. Damit kennzeichnet Timo seinen Wissenserwerb als interessiert und aktiv-aufsuchend; der Nachbar wurde von sich aus gebeten, in die Bedienung eingeführt zu werden bzw. um computerbezogene Erklärungen gebeten. Indem er wiederholt auf die Formulierung "einfach mal so" zurückgreift, bestätigt er, dass es sich bei der Aneignung von medienrelevantem Wissen um einen für ihn offensichtlich normalen und selbstverständlichen Prozess handelt, der dann überdies auch dazu führt, sich entlang eines formalen Wissens von den Eltern abzugrenzen; bei seinen Treffen geht es dann auch um PC-Fragen, die nur noch unter "Computerverrückten" verhandelbar sind. Insofern nimmt Timo hier -im Gegensatz zu den Jungen mit türkischem Migrationshintergrund -eine begriffliche Selbstverortung vor, die an das Phänomen des Computerfreaks erinnert. Bestandteil dieses sich hier dokumentierenden Mediennutzungs-und Lernhabitus ist es, sich von Anfang an informeller Lern-und Aneignungspartner neben den Eltern und zusätzlich zur Schule als Wissens-und Lernressource bedient und von ihnen profitiert zu haben. Herausgestellt ist damit ein dialogisches, wissenserweiternde und das teamorientierte Potenzial einer gemeinsamen Computerbeschäftigung, die dabei hilft, Handlungsprobleme besser zu verstehen und zu bewältigen. In diesem Zusammenhang beschreibt Timo seine Mediennutzung auch im Modus der Normalisierung eines computerbezogenen Könnens, das aufgrund eigener handlungspraktischer Erfahrung zu einem problemlösenden Umgang mit dem Medium befähigt: (102) I: Gibt's denn manchmal Sachen, die DU schwierig findest? Auf die du stößt, die nicht so klappen? Gibt's da Sachen? T: (3) Tja, ja, na ja, eigentlich eher WENIGER. Weil, wenn man sich damit schon jahrelang beschäftigt, dann KOMMT irgendein Problem, und dann weiß man ja auch, wie man das löst. I: Mhm. Was kommen denn so für Probleme? Kannst du mal so ein Typisches sagen, oder so? T: Na, ((seufzt)) keine Ahnung (3) wenn jetzt zum Beispiel die Seite nicht aktualisiert wurde oder so. Oder schon seit JAHREN da ist, dann muss man halt GUCKEN, ob man eine neue Version davon findet. Oder, ja, was gibt's noch für Probleme? Na ja, zum Beispiel wenn die Firewall das oder das nicht zulässt, oder so. Dann ist immer schlecht ((lacht)). // I: Wieso? // T: Na ja gut, wenn man jetzt die Seiten, muss ja nicht ganz legal sein ((lacht)), aber wenn man dann da RAUF möchte, und dann wird die halt GESPERRT. Das ist immer schlecht (2). Im Prinzip, so wird hier deutlich, macht der Computer keine oder kaum Probleme. Vielmehr geht es Timo um eine Interaktion mit den digitalen Möglichkeiten und deren Verfügbarkeit, bei der der generalisierte Nutzer mittels Internet eben "Aktualisierungen" von PC-Programmen vornimmt; Performativ fast schon gelangweilt stellt Timo dar, dass "man" sich der zur Verfügung stehenden Angebote bedient und ganz einfach danach sucht, ob sich etwas entsprechend Passendes "findet". Der handlungspraktische Umgang mit dem Medium stellt sich auf diese Weise rational-kalkülhaft dar; in diesem Kontext werden auch subversive Elemente der eigenen Medienpraxis (wie die Warnung der "Firewall" bim Aufsuchen illegaler Seiten) ironisiert. Das sich bisher abzeichnende Vertrautsein mit computervermittelten Tätigkeiten lässt sich auch dort herausarbeiten, wo Timo die Medien als Handlungsressourcen bezeichnet, denen auch für die eigene Zukunft hoher Wert beigemessen wird. Beispielsweise wünscht sich Timo eine Ausbildung in einem informationstechnisch orientierten Beruf: (144) T: Naja (3) Also später, ich würde SCHON gerne (2) wenn, Ausbildung und so, in Informatiker oder so. Aber, ist mir nicht das WICHTIGSTE, ich würde auch irgendwie Mechaniker oder so machen, also IST mir WICHTIG, aber halt nicht-also SO wichtig ist es mir auch nicht. I: Also hast du schon einen Berufswunsch, richtig oder-T: Einen Berufswunsch? Ich hatte eigentlich KOCH, aber in letzter Zeit ist es, wenn ich dann in Schichten arbeiten muss, habe ich keine Lust dazu. Und sonst, INFORMATIKER würde mir SEHR viel Spaß machen. Oder, hier, groß war auch dings hier, äh, Webdesign. Da hatte ich mich auch schon bei einem Praktikumsplatz angemeldet, aber ich wurde leider nicht genommen. (3) I: Ach, schade. Und was meinst denn du, also jetzt egal, was, wenn du dir auch noch nicht sicher bist, was du später machen willst. Wie wichtig sind denn so Computerkenntnisse für dich? T: Also ich finde es schon SEHR wichtig in der heutigen Zeit. Weil, wenn man (2) was weiß ich, zum Beispiel auch wenn, wenn man jetzt Krankenschwester ist oder so, da muss man sich AUCH mit Computern auskennen. Die ganzen Krankenunterlagen werden doch jetzt AUCH schon auf Computer gemacht und so. Und nicht mehr alles mit Hand geschrieben. Also ist SCHON SEHR wichtig eigentlich heute. Nach der eher zögerlichen Nennung einer relativ deutlichen berufsbiographische Wunschperspektive mit inhaltlichem Profil stockt Timo; führt man seinen angedeuteten Konditionalsatz gedankenexperimentell fort (in Form von "wenn…ich es mir aussuchen könnte… dann") und unterstellt, dass Timo weiß, dass er es sich den Wunschberuf vermutlich nicht einfach wird wählen können, erscheint darin ein Pragmatismus nach Art eines "mal sehen, was so möglich ist". Seine Einschränkung, dass er der Ausbildung zum "Informatiker" keine allerhöchste Priorität einräumt, zeigt: Er imaginiert eine zukünftige Berufsbiographie nicht im Sinne einer absoluten Wunscherfüllung, sondern eher nüchtern vorausschauend. Realistisch wäre eine berufliche Zukunft auch in Richtung einer eher handwerklich ausgerichteten Perspektive vorstellbar. Allerdings will sich Timo den Begleiterscheinungen der Berufswelt nicht einfach fügen, sondern bemüht sich um eine Passung zwischen Anforderungen und eigenen Wünschen und Bedürfnissen. Anders formuliert: Die (berufliche) Zukunft soll einerseits mitgestaltet werden, während er sich andererseits die Bedingungen des Arbeitsmarktes in Form beruflicher Unannehmlichkeiten wie etwa Schichtarbeit nicht einfach aufoktroyieren lassen will. Insofern orientiert sich Timo an zukunftsbezogenen Handlungsmöglichkeiten, bei denen sich weder den Anforderungen einfach untergeordnet, noch der eigene Wunsch oder das eigene Interesse verabsolutiert wird. Vor diesem Hintergrund deutet Timo Computerwissen und Computerfähigkeiten als universelle Kulturtechnik im Modus der gesellschaftlichen Integration; während beides nicht unbedingt den Mittelpunkt einer späteren (Berufs-)Tätigkeit bilden muss, ist es gleichzeitig in jedem Fall produktiv nutzbar. Der Mehrwert einer anwendungsbezogenen Medienkompetenz scheint gegenwärtig so ubiquitär, dass es ihm schwer fällt, dafür ein konkretes Beispiel zu nennen, worauf er mit dem Beruf der Krankenschwester als einer vermeintlich computerfernen Tätigkeit fortführt, bei welcher sich vermeintlich selbstverständlich und unhinterfragt mit der Computertechnik ausgekannt werden muss. Insofern dokumentiert sich hier, wie Computerfertigkeiten von Timo als Basisqualifikation im Prinzip aller möglicher Berufe gesehen werden. Zu einer gelingenden Berufsbiographie in der Gegenwart gehören PC-Kenntnisse wie selbstverständlich zum Anforderungsprofil dazu, hat sich die Berufswelt weiterentwickelt und ist quasi soweit computerisiert, dass niemand die Augen davor verschließen darf. Hierdurch dokumentiert sich bei Timo eine Verinnerlichung von generalisierten Kompetenzzumutungen, die an die Feststellung von Olaf erinnert, "wir" lebten "ja auch nicht mehr gerade im Mittelalter". Gemeinsam ist ihnen die Vorstellung des digitalen Mediums als einer Selbstverständlichkeit und eines universellen Mittels im Kontext einer gesellschaftlichtechnologischen Modernisierung, die erstaunlich nah an den aktuellen Kompetenzdiskurs und den darin eingelassenen Vorstellungen von Employability (vgl. Radtke 2006) heranreicht; sich auf verändernde Bedingungen und Anforderungen einzustellen wird als eine zukunftsorientierte Normalitätsvorstellung nicht nur verinnerlicht und damit sich selbst zu eigen gemacht, sondern, das artikuliert Timo, auch von anderen eingefordert und damit generalisiert. Dass damit auch eine Verschmelzung der Kategorien von gesellschaftlicher Brauchbarkeit und individueller Selbstverwirklichung verbunden ist, zeigt sich in Timo weiteren Lernwünschen: (150) I: Mhm. Gibt's denn was, was du da am Computer noch lernen würdest? T: (2) Na ja, also, was würde ich lernen? (2) // I: Was dich noch näher interessieren würde? Was du gerne noch näher kennen lernen würdest? // T: Na klar, wie man auch INTERNETseiten schreibt so. Also, jetzt so GROB KANN ich das schon, aber halt, jetzt nicht so perfekt. I: Warum würde dich das gerade interessieren? T: Na ja, auch so eine eigene Homepage haben ist SCHON was Besonderes. Oder, wenn man jetzt so Firmen halt, auch wegen dieses Webdesign halt (2). Da muss man ja auch für ANDERE Firmen die Seiten gestalten, und so, und DAS halt noch ein bisschen schöner machen. I: Mhm. Das würde dich noch-T: Das würde mich SEHR interessieren. Ja. (3) Während es hier einerseits darum geht, bereits erworbene Fähigkeiten auszubauen bzw. zu verfeinern, weil sie aus Timos Sicht noch nicht ganz ausgereift sind, wird andererseits sichtbar, wie Computerfähigkeiten ins Private auslagert und dort als Möglichkeit definiert werden, mit diesen möglicherweise doch auch an Prozessen gesellschaftlicher Produktivität teilhaben zu können. Ähnlich zur oben geschilderten beruflichen Zukunftsvorstellung wird auch hier deutlich, wie die eigenen Fähigkeiten und Interessen weder nur in Bezug auf die eine -gesellschaftliche -noch die andere -private -Seite kontextualisiert werden; stattdessen entsteht etwas Drittes, das man als Flexibilität bezeichnen könnte: Computerfähigkeiten etwa für die Erstellung einer Webseite sind für einen selbst interessant und zugleich eine Möglichkeit, dies auch Arbeitgebern bzw. Unternehmen anbieten zu können. Insofern ist Timo von der Vorstellung geleitet, selbsterworbenes IT-Wissen relativ zwanglos in Arbeitskontexte zu transferieren. Fähigkeiten werden als für multiple Kontexte auszubildend angesehen, die umstandslos in den Dienst von Erfordernissen gestellt werden können. In diesem Sinne orientiert sich Timo an einer Vorstellung, die Zukunft als individuelles Projekt verstanden wissen will, in welchem sich die Medien als Erweiterung von Handlungsoptionen -in Form von Schlüsselfertigkeiten -in beruflichen wie privaten Kontexten verorten. Ein ähnlicher Mediennutzungshabitus lässt sich im Fall von Andreas herausarbeiten. Geboren in einer westdeutschen Kleinstadt lebt er seit seinem dritten Lebensjahr in Berlin. Seine Eltern sind getrennt und Andreas lebt bei seiner Mutter, die als Angestellte bei einem Autozulieferer arbeitet. Er hat eine zwei Jahre jüngere Schwester. Die Schul-215 ferien verbringt Andreas bei seinem Vater, der in einer 60 Kilometer entfernten Kleinstadt lebt; aufgrund dessen gibt er an, einen "verstreuten" Freundeskreis zu haben. Als Hobbies benennt er "sich mit Freunden treffen" und "rausgehen", "manchmal Fernsehen". Nach eigenem Bekunden hört er ständig und überall Musik, auch als ich ihn zum Interview treffe, baumelt ein MP3-Player um seinen Hals. Befragt nach seinen Musik-Vorlieben hält er sich bedeckt ("alles mögliche", 34). Andreas spricht freundlich und mir zugewandt, gleichzeitig hat seine Sprachmelodie etwas Monotones; mitunter wirkt er etwas emotionslos. In einer kritisch-skeptischen Haltung der Distanz gibt er im Laufe des Interviews an, den Computer so gut wie nie zum Zweck der Chatkommunikation zu nutzen ("chatten nicht so, das ist besser, wenn es persönlich ist. Weil wenn man die Leute sieht, man weiß ja nie, manchmal sitzen da irgendwo zwei siebenjährige Jungs ‚hahaha' und so, und lachen da durch die Gegend", 243). Sich anonymen Formen der Kommunikation zu bedienen erscheint ihm als kindisch. Den Erhalt seines Computers erinnert Andreas zunächst in Form einer Weitergabe innerhalb der Familie, in der ein naher Verwandter ihm einen solchen "gegeben" hatte: (38) A: Mein Stiefvater hatte mir einen Computer gegeben, also seinen alten, weil er hatte sich auch einen neuen geholt. Dann hatte er und sein Bruder, Stiefbruder, Halbbruder irgend so etwas war das-mir das gezeigt, alles Mögliche, und sein Stiefbruder, der heißt Tom, der zeigt mir das jetzt auch immer wieder. Also wenn ich irgendwas nicht VERSTEHE oder so was oder er MACHT mir das auf jeden Fall auch jetzt immer wieder, weil meine Mutter ist jetzt nicht mehr mit dem Manfred, ihrem Ex, so hieß der, zusammen. // I: Ach so. // A: Und der kommt auch häufiger, weil er hat keinen Internetanschluss und macht dann auch was. Hilft mir und so. Ebay und alles Mögliche. I: Mhm. Und deinen Computer hast du dir den selber gekauft oder-A: Nein, den hat meine Mutter gekauft. (2) Den hatten wir GÜNSTIGER bekommen, weil der Tom, der kann halt jemanden, der kennt halt Leute, die, die auch-die einen eigenen LADEN haben, und die verkaufen das. Und deshalb hat sie halt den günstiger bekommen. I: Ach so. Und musstest du da auch was für bezahlen oder hast du den geschenkt bekommen? A: Nein, den habe ich geschenkt bekommen. Infolge einer Neuanschaffung wird ein Gerät ausrangiert und auf diese Weise frei. Deutlich wird zunächst, dass es sich hier um eine mehr oder weniger selbstverständliche Weitergabe-bzw. Vererbungspraxis von Computermedien handelt, in der, wenn sich jemand ein neues Gerät "holt" (was, im Gegensatz zu "anschaffen" oder "besorgen" auf eine ebenso selbstverständliche Kaufpraxis hinweist), dieses anderen zur Verfügung gestellt wird. Das Computermedium erscheint auf diese Weise als eine Ressource, die sich im Kontext zweckmäßiger Entscheidungen und eines rationalistischen Nutzenkalküls innerhalb der Lebenswelt materialisiert und netzwerkartig verbreitet. Weiterhin dokumentiert sich hier eine intergenerationell selbstverständliche familiäre Computermedienpraxis, in der Geräte auf informellem Wege über verwandtschaftliche und Bekanntenbeziehungen vererbt werden, wobei auf diesem Wege auch gleich basale Computerkenntnisse weitergegeben werden und sich bei Problemen geholfen wird. Diese Struktur erscheint wie ein systemartiges Netzwerk aus familiären Helfern und eine stabile Praxis einer computerbezogenen Gegenseitigkeit inklusive Praktiken des Erklärens und Zeigens. Diese ist allerdings nicht unbedingt emphatisch oder emotional, sonder eher formal und rational-technikbezogen. Der generelle Zugriff auf das Computermedium erscheint hier wie eine Angelegenheit sachlich-nüchterner Entscheidungen und transportiert auf diese Weise Anzeichen eines rational-technikbezogenen Habitus. In diesem Habitus thematisiert Andreas bezüglich seiner Verwendung des Computermediums auch Spiele, allerdings haben sie deutlich untergeordnete Funktion -es waren früher "so Kleinigkeiten, Spiele und so was, jetzt spiele ich eigentlich kaum noch am PC" (83). Vor allem evaluiert er Spielen vor dem Hintergrund technischer Parameter in Form des Vorteils einer besseren Ergonomie des Eingabegerätes: "Ja, also ich habe eine Playstation2 und mit der spiele ich eigentlich mehr als mit dem PC. // I: Mhm // A: Vielleicht, ist leichter mit so einem Joystick, als die ganze Zeit so auf der Tastatur" (91). Zum Ausdruck kommt hier: Spielen ist kein zentraler Teil seiner Computerpraxis, sondern etwas, dass separat an die Spielkonsole ausgelagert wird; es wird getrennt zwischen dem Computermedium als Multifunktionsgerät und einer Videospielkonsole, die ausschließlich unterhaltungsbezogen konstruiert ist. Auch auf Nachfrage zu einem etwaigen Lieblingsspiel orientiert sich Andreas an einem rationalistisch gefärbten Zugriff: "Ja, Metal Gear Solid, das ist so ein (2) Action-Agenten-Spiel, so ungefähr. Eigentlich mit dem Ziel unentdeckt zu bleiben, aber auch man kann auch-, (2) freie Bahnen mit dem Maschinengewehr leer durchrennen. Naja" (95). Es wird deutlich, dass er im Spiel weniger eine symbolische Kampfhandlung sieht, sondern ein vermeintlich sinnentleertes Tun ohne erhöhten Reiz; mittlerweile könnte er "gut drauf verzichten, weil das ist ein Zeitvertreib, und ein GUTER" (103). Diese Geringschätzung einer spielbezogenen Nutzung bzw. deren deutliche Funktionalisierung resultiert offenbar daraus, dass sie keine technischen Handlungsmöglichkeiten bieten, anhand derer sich Andreas viel eher mit den neuen Medien auseinandersetzt. Ein Beispiel dafür ist seine Schilderung, sich die Umgehensweise mit dem PC beständig und sukzessive, vor allem auf einer instrumentell-technischen Ebene des handlungspraktischen Umgangs mit dem Computer angeeignet zu haben: (46) A: So mit der ZEIT immer, so kleine Tricks. SO, ALT F4, schließen und so was. // I: Mhm. // A: Oder so, so große Sachen, wie FEHLER beheben oder so was kann ich eigentlich NICHT. I: Aha. was meinst du damit? A: Viren und so was selbstständig bekämpfen. Das soll eigentlich mein Programm immer nur löschen, oder desinfizieren oder so. Dass es darum geht, den PC mit "kleinen" Bedienungsgriffen in Form von Tastenkombinationen zu Ersparung von Umwegen beherrschen zu können verdeutlicht, vor allem durch den Nachsatz, dass es für Andreas weniger von Belang ist, sich als digitalen Experten zu entwerfen; sachlich informiert er darüber, über umfangreichere Zugriffsformen ("große Sachen"), die über die von ihm zuvor beschriebenen "Tricks" hinausgehen, "eigentlich NICHT" zu verfügen. Auf Nachfrage nach möglichen "Fehlern" beschreibt Andreas dann ein Szenario, in dem sich sein rational-technischer orientierter Umgang mit dem PC dokumentiert: Anders als bei Ferhat, der im Modus technikbezogener Souveränität die Abwehr von Viren in Form einer Kampf-Sieg-Semantik beschreibt, schildert Andreas das "bekämpfen" als etwas, was er eigentlich noch nicht "selbständig", also alleine oder expertenhaft, zu tun vermag, sondern zu dessen Bewältigung eigentlich sein "Programm" da ist, welches Viren "immer nur löschen, oder desinfizieren" soll. Von diesem Problem ist Andreas allerdings nicht selten betroffen; augenscheinlich des öfteren von Virenalarm betroffen, ist er mit Schwierigkeiten, die sich aus Befall des Computers mit digitalen Eindringlingen ergeben, vertraut: Die dann einsetzende akustische Belästigung ist eine in der eigenen Computerpraxis nervende und offenbar normale Begleiterscheinung, welcher mit Rückgriff auf eine rationale Handlungsstrategie begegnet wird. Um Viren abzuwehren geht es lediglich um die Entscheidung für eine Option, die das entsprechende Programm anbietet, wozu Andreas drei diesbezüglich zur Wahl stehenden Möglichkeiten relativ nüchtern und wie eine Art Algorithmus schildert. Zur Wahl steht, ob der Virus a) desinfiziert und bei Nicht-Gelingen gelöscht werden soll, b) nur der Virusreport angezeigt werden soll oder c) sofort eine Löschung erfolgen soll. Indem Andreas noch anfügt, wie er in der Regel vorgeht und mit dem PC interagiert, dokumentiert sich erneut, wie er an einer sachlichtechnischen Logik orientiert ist. Zum Ausdruck kommt hier eine Interaktionsform mit dem Medium im Modus einer Eingabe-Ausgabe-bzw. Aktions-Reaktions-Logik. Deutlich wird ebenso eine habituell hohe Affinität für methodisch formalisierte Zugriffs-und Handlungsformen. Vorweggenommen ist damit ein Aspekt, der an späterer Stelle nochmals auftauchen wird: Dass Andreas die technische Infrastruktur selbst als Interaktionspartner anspricht ("sage ich ihm dann"), was den Computer zu einem menschenähnlichen Substitut werden lässt. Im Vollzug, d. h. in der Performation des Technischen, werden weitere Elemente seines Orientierungsrahmens sichtbar, die sich in Form eines Maschinendenkens und einer technologiebezogenen Subjektivität ausdrücken. Darin werden z. B. auch zwischenmenschliche Beziehungen als technikhaft gedachtes Prozessieren eines abstrakten Handlungsprogramms gedacht und im Rahmen einer technologieinduzierten Nutzung von Handlungsoptionen bearbeitet. Nach der Nennung einiger Fernsehsendungen, die er hin und wieder sieht, beschreibt Andreas sein derzeitiges Lieblingsformat: (405) A: Und diese Sendungen auf RTL2 und so gefallen mir, diese Kindererzieherin da. // I: Mhm. // A: Mit den netten Kindern, die ihre Eltern schlagen und so // I: Ach ja? // A: Das Super-, Supermütter oder so was. // I: Ach so. // A: Supermamas, Super-nanny und so was. // I: Mhm // A: Das ist ganz toll, so Kinder, die ihre Eltern, wenn sie die Hausaufgaben nicht machen wollen, anspucken und so, schreien, beschimpfen und so. // I: Ach so // A: Das sind so voll die Problemfälle, und dann kommen diese Supermütter und helfen denen dann bei der Erziehung und so. Indem Andreas Erziehung als eine Sozialtechnologie ironisiert, die als eine formalisierte Behandlungsmethode widerspenstiger Objekte vorgestellt wird, inszeniert sich sein Habitus, der von der Vorstellung geprägt ist, mithilfe einer Technologie auf etwas zuzugreifen und es im Modus des Verfahrensmäßigen zu modifizieren. Anders formuliert werden hier soziale Erscheinungen zu mithilfe technisch geformter Regeln beeinflussenden Entitäten. Innerhalb dieses Habitus sind die Gegenstände bzw. Inhalte eine zu steuernde Gegebenheit, sodass Andreas hier das Problem der "Kinder" semantisch homolog zum technischen Umgang mit Computerviren beschreibt. Diese Affinität zu einer mit dem Computermedium harmonisierenden Normalitätssphäre des Technischen stellt sich -wiederum beim Thema "Viren" -als stabil habitualisiert heraus: (61) I: Hast du den Virus immer geschafft dann wegzumachen? Oder auch manchmal nicht? A: Manchmal NICHT. Das muss irgendwann-, demnächst wird da wahrscheinlich wieder so NEU restauriert sozusagen. // I: Mhm // A: (2) Einen habe ich ihn schon in die KNIE bekommen ((lacht)), na ja, nee // I: Aha // A: (1) Also, das war der DAVOR. // I: Mhm // A: Der war dann soweit, der hat dann plötzlich wieder auf-, von Windows XP hat er nicht mehr GESTARTET und 98 gestartet. Keine AHNUNG wieso. In dem Zustand, wo-, in dem Zustand, wo er war bevor XP drauf gespielt wurde. In der Schilderung, dass es nicht immer gelingt, Viren zu beseitigen, schärft sich der Kontrast zum Fall von Ferhat, der angab, am Ende selbstverständlich gegen alle Arten obsiegt zu haben. Die Vermutung einer Lösung nach Andreas liegt darin, dass in unbestimmter Zeit vermutlich das Computersystem einem Erneuerungsprozess unterzogen werden muss. Allerdings will er es sich augenscheinlich nicht nehmen lassen, doch auch einen digitalen Erfolg zu präsentieren. Interessanterweise lacht er selber über genau diese Formulierung und deutet darin eine Relativierung an, augenscheinlich belustigt, dass er hier den sich bisher durchziehenden Sprachstil wechselt, indem er für einen kurzen Moment von einer rational-technischen in eine irrational-kampfbezogene Semantik wechselt ("in die KNIE"). Diese verlässt er dann aber wieder zugunsten der vorherigen Form, wohl in der Überzeugung, dass dies passender erscheint, um zu schildern, dass er sich aufgrund des im Computer befindlichen Virus auf einmal vor einem Betriebssystem wieder fand, das einem alten, früheren Zustand seines Rechners entsprach -ein Phänomen, dass sich Andreas nicht erklären kann. Die Existenz von Viren wiederum ist Teil einer von Andreas wahrgenommenen technischen Normalität -so konstatiert er, manche "Leute" stellten eben "auch einfach infizierte Sachen einfach rein oder haben SELBST einen infizierten PC und WISSEN es nicht, und dann laden die Leute einen von denen RUNTER" (73). Sich bezüglich der Komplexität dieser technischen Zusam-219 menhänge zu informieren, findet Andreas zwar "interessant" (74), gleichzeitig rationalisiert er aber den Computer auch als Alltagsmedium: Darauf verweisend, dass es keine speziellen Vorlieben oder Hobbies sind, denen seine Medienpraxis dient -und es vielmehr "manchmal Sachen" sind, die ge-und verkauft werden -dokumentiert sich hier die Nutzung einer Handlungsoption, die aus Andreas Sicht ohnehin eher simpel erscheint und aus mechanisch zu vollziehenden Einzelschritten besteht wie Anbieten, Weiterverfolgen, regelmäßig Kontrollieren und Versenden. Sichtbar werden hier Merkmale, die Andreas' Habitus einen gewissen Grad an Formalisierung geben, so erscheint der Online-Handel als ökonomisches Geschehen, das sachlich abgewickelt wird ("an eine Person"). Ferner ist es eine Praxis, die wiederum an die normalen Handlungen seines Umfeldes anschließt ("von dem Bekannten") und die als alltägliche Möglichkeit, mit der Veräußerung ausrangierter Besitzstände kleinere Geldbeträge zu verdienen, nun Bestandteil des eigenen Medienhabitus ist. Ausdruck dessen ist auch eine instrumentell-utilitaristische Haltung, in der Andreas das Medienangebot als eine Art globalen Supermarkt ansieht, in dem man sich bedient. Zur Teilhabe an mediengestützten Konsummöglichkeiten wie Ebay gehört dann auch das Verfügen über Möglichkeiten, sich mittels Medien umfassend mit audiovisuellem Material zu versorgen. Teil dieser Orientierung ist zum Beispiel Andreas' rationalistischer Zugriff auf verschiedene Mediensorten, z. B. das häufige Downloaden, das ihm sein "Stiefvater auch erklärt hat" (160) -vor allem "Musik und so etwas, so was NEUES. Was man im Fernsehen sieht, kann man gleich HOLEN und auf dem MP3-Player hier ((holt seinen MP3-player heraus))" (161). Während hier die eigene Praxis dem Interviewer präsentiert wird, stellt Andreas weiterhin dar, dass er sich im Prinzip als Normaluser sieht, der etwas macht, was seine "Verwandten" (162) auch ab und zu machen und er insofern Medien auf eine Art verwendet, die den technischen Zugriff auf Inhalte aller Art gewährleist, und zwar mit einer vorrangig zweckrationalen Intention. So wird Musik bei "Kazaa" heruntergeladen 171 , die Seite sei "ja überwiegend bekannt", allerdings "auch nicht SO oft", "höchstens wenn ich was finde, was ich brauche oder so. Aber ich KAUFE mir auch Musik" (162). Besorgt werden sich von ihm ebenso Filme, allerdings "richtig GROSSE Filme nicht, die hole ich mir. Die hole ich mir aus der Videothek und brenne sie mir. Und richtig Filme oder so aus dem Internet, also ich habe das mal probiert, aber da findet man nur Filme, die mit Videokamera aufgenommen wurden, im Kino" (162). Deutlich wird hieran, dass im Bezug auf diese Medienverwendungskontexte die Mitteilung seiner eigenen Subversivität konstitutiver Bestandteil von Andreas Medienhabitus ist, diese aber kaum als solche selbst wahrgenommen, sondern vielmehr als Sphäre der Normalität gesehen wird, in der Medien den Horizont der Handlungsoptionen selbstverständlich eben auch auf vermeintlich unmoralische oder normativ problematische Bereiche hin erweitern. Die Effekte dieser Praxis werden ihrerseits wiederum an eine Technik-Normalität des Alltags gebunden bzw. darin verortet. Dies zeigt sich etwa an seiner Rezeption von Inhalten, die aus bildungsbürgerlicher Sicht möglicherweise zumindest unkonventionell oder gewagt erscheinen mögen. Auch hierbei geht es Andreas jedoch einzig um die Nutzung technikbasierter Handlungsmöglichkeiten, die die eigene Subversivität zwar mitthematisieren, sie jedoch verfahrensmäßig-technisch gleich wieder normalisieren: (183) A: Jetzt habe ich zum Beispiel auch gesucht, wie man dieses Tücher von der Bundeswehr nennt, wie hier, in Arabien, die sind am Kopf und dann so im Gesicht so, habe ich eins. Weil ich hatte mir so eins als Schal geholt und da hatte mich mal so interessiert, wie man das als Kopftuch und so bindet. Und dann hatte ich das GESUCHT und hatte die ganze Zeit nur nach dem Tuchbinden und so gesucht und dann hatte ich über eine andere noch Seite gefunden, dass die eigentlich (???) oder so heißen, und darunter habe ich das dann auch sofort gefunden. // I: Aha. // A: Und dass es verboten ist, so ins Internet zu stellen, wie das GEHT. // I: Wieso? // A: KEINE Ahnung, also, das habe ich dann noch irgendwo auch noch mal gelesen bei den Treffern, dass man das nicht ZEIGEN darf, irgendwie dass das eigentlich ein Geheimnis ist oder so. // I: Ach // A: Ja ja, da war dann auch ein Bild mit allen Schritten ordentlich beschrieben und so aber das Gesicht auch zensiert. // I: Aha. Was für eine Seite war das denn? // A: Keine Ahnung. Das war glaube ich eine Privatseite, es gibt ja auch manchmal Privatseiten von Lycos, oder so etwas. Sichtbar wird hier, wie es Andreas offensichtlich nicht darum geht, mit seiner Handlung zu provozieren, sondern verfahrensmäßig technisch eine sachliche Information zu recherchieren, die den richtigen Gebrauch bzw. die ordnungsgemäße Handhabung des Kleidungsstücks vermittelt. Das gefühlsmäßige Erleben, dass dabei an etwas gesellschaftlich Geächtetem teilgehabt wird, ist nicht Gegenstand der Schilderung, sondern nur die bloße Feststellung, dass er hier vermutlich ein "Geheimnis" gesehen hat. Diese Rationalisierung wird als unhinterfragter Teil zur Logik des eigenen Habitus, in dem vorrangig die Logik der Technik bzw. des Mediums leitend ist; so wird etwa im Internet "ordentlich" beschrieben, wie man das "verbotene Tuch" bindet, wenngleich das Gesicht des Trägers "zensiert" ist. Während Andreas seine Medienverwendung orientiert an Merkmalen eines analytischen und instrumentell-strategischen Steuerungs-und Regelungshandelns vermittelt, knüpft sich daran auch sein Interesse an Fragen der technischen Steuerung, die sich z. B. im Zusammenhang mit der Navigation im Internet ergeben. Woran er sich z. B. abarbeitet, ist die Möglichkeit mittels eigener Computermöglichkeiten auf aus seiner Sicht unerwünschte Webinhalte -unter anderem "Pornos" (379) -Einfluss zu nehmen: (379) A: Ja, das ist nervig, aber es gibt auch so Popupblocker, aber die sind AUCH Müll eigentlich, weil die sperren auch manchmal so Seiten, die sich öffnen wollen, wenn nur Werbung von einer Seite aufkommt, die selbst so ihre eigenen CDs anpreisen oder so. Oder manchmal machen die auch Probleme, wenn man nur ein neues Fenster öffnen will oder so, über die Seite, dann macht Programm dann-, wenn nun die Seite sagt, die Bilder öffnet es jetzt immer in einem neuem Fenster, dann sagt das Programm "nee", die sind gesperrt. I: Ach so, mhm. Also das Problem mit den Popups hast du auch oder wie? Oder kennst du auch, dass die [mal so-] A: [Jetzt nicht] mehr. Ich HATTE das mal eine Zeit lang, aber ich benutze jetzt nicht mehr den Windows-Explorer, sondern Mozilla, wenn dir das was sagt, und da ist das nicht mehr SO groß. Ich habe den Internetexplorer aufgegeben, weil Windows hat sich GANZ toll gedacht, sie machen es jetzt immer, dass man diese (2) wie heißen die jetzt, die Dinger, die sich immer mit einwählen, damit das schneller geht. // I: Dialer? // A: Dialer-, nee, nicht Dialer, die sind AUCH nervig, aber (3). I: Mhm, ich weiß nicht, was du meinst. Dialer sind ja diese 0190-Dinger. A: Aber die haben-das ist nur bei mir auf meinem PC nervig, wenn die dann-, so die machen den bei mir langsamer, weil durch DSL kann ich keine zusätzlichen Kosten bekommen. // I: Ach so // A: Es gibt ja diese Teile, ich weiß jetzt nicht genau, wie die heißen, die speichern sich ein und wenn man das nächste mal die Seite besucht, geht das schneller auf jeden Fall. Und Windows hat sich gedacht, die machen das sie fragen jedes Mal an, ob man auf der Seite das auch wirklich akzeptieren will und wenn man einmal gesagt hat "abbrechen"-, es gibt ja songtexte.net, da habe ich aus Versehen auf "Abrechen", auf "Ablehnen" geklickt, und konnte dann die GANZE Seite nicht mehr benutzen, weil immer wieder, wenn ich mich versucht habe einzuloggen, hat er gesagt "nein, das muss erst aktiviert werden" und Windows hat mir gesagt "das kann nicht aktiviert werden wieder", weil das dann gefährlich wäre. // I: Ach so. // A: Und Mozilla macht die Probleme halt nicht. // I: Mhm, Mozilla ist besser? // A: Und schneller. Übergreifend dokumentiert sich hier eine Orientierung an Phänomenen der Mediennutzung, die diese wie ein technisch-strukturelles Problemgefüge erscheinen lassen, auf das, wie bereits zuvor, mit einem instrumentellem Handlungskalkül reagiert wird. Zunächst signalisiert Andreas, dass ein unvermittelt auftauchender Webinhalt grundlegend zu normalen Erfahrungen des Internetsurfens dazugehört -wie z. B. auch unerwünschte pornographische Angebote. Statt einer Bewertung dieser oder anderer Inhalte geht es ihm im Weiteren um eine analytische Evaluation der Leistung, die ein Anwendungsprogramm erbringt, was die Funktion hat, das plötzliche Aufspringen dieser zusätzlichen Browserfenster zu unterbinden. Aufgeworfen ist damit ein Orientierungsgehalt an der Frage, welche technische Applikation welche Effekte auf Möglichkeiten der Darstellung und darüber der Navigation hat. So existieren aus Andreas Sicht zwar computerbedingte Möglichkeiten der Verhinderung unerwünschter Webinhalte, und zwar in Form von Popupblockern, allerdings sind diese in ihrer Funktion deutlich beschränkt ("Müll"), denn mit ihrem Einsatz würden gleich sämtliche Fenster gesperrt, und dann eben auch solche, die eigentlich nur Reklame beinhalten. Ebenso komme es mitunter vor, dass 223 dadurch das Öffnen eines neuen Browserfensters via des bereits bestehenden bzw. geöffneten verhindert würde; in diesem Fall verhindere der Popupblocker die Anzeige. Was seine Überlegungen deutlich machen, ist, wie Andreas sich an einer Gelegenheit der technischen Bewältigungsmöglichkeit abarbeitet, die einerseits die Navigation transparenter macht und bestimmte Inhalte filtert, andererseits aber auch das Surfen aus seiner Sicht offensichtlich auch erschwert und sich dementsprechend als dysfunktional erweist. Im Prinzip ist diese Frage allerdings, so dokumentiert sich weiter, längst geklärt, denn Andreas hat von "Windows-Explorer" auf "Mozilla" umgestellt. Dabei geht es ganz offensichtlich um den Web-Browser Firefox, welcher als frei zugängliches Open-Source-Angebot neben dem Windows Internet Explorer der am häufigsten genutzte Webbrowser ist. 172 Vermittels dessen dokumentiert sich hier, wie ein als technisch wahrgenommenes Problem bei der Medienverwendung durch einen technischen Eingriff rationalisiert wird -das Problem ist jetzt nicht mehr "SO groß". Auf diese Weise positioniert sich Andreas in einem Terrain technisch aktiver und moderner Computernutzer, die sich nicht mit Standardprodukten begnügen möchten, sondern sich ihre Anwendungen selber wählen und dadurch Medienarrangement und -nutzung zu steuern und zu optimieren suchen. Genau diese Selbstverortung will er im Folgenden auch weiter ausführen, wobei er allerdings terminologisch in Schwierigkeiten kommt. Jedenfalls reicht ihm die Aussage nicht aus, dass nach dem Produktwechsel etwas einfacher ist als vorher, sondern dass dies auf die Funktionalität der technischen Rationalität selbst zurückzuführen ist, die ihn offensichtlich interessiert. Insofern geht es hier auch darum, als Computernutzer an Optionen der technischen Steuerbarkeit anzuschließen und Bisheriges durch den Einsatz von etwas Neuem gleichsam zu überlisten: Dazu wird der technische Zusammenhang selbst zum handelnden bzw. denkenden Akteur, mit dem in Interaktion getreten wird. So hat sich etwa das Betriebssystem etwas "ganz toll gedacht", und zwar eine kontinuierliche Nachfrage nach der Zulässigkeit eines bestimmten Programmablaufs während des Datentransfers. Worauf Andreas abzielt, sind vermutlich Cookies, das heißt solche in der Struktur des Browsers vonseiten des Webservers hinterlegten Informationen, die z. B. bei einem Wiederbesuch einer Seite ausgelesen werden. Durch diese auf Nutzerseite persistenten bzw. gespeicherten Daten wird die Benutzung von Webseiten erleichtert, die auf Benutzereinstellungen reagieren. Aus Andreas Sicht geht damit das Problem einher, dass in der konventionellen Windows-Logik ein einmal erfolgter und -wie in seinem Fall -versehentlich erfolgter Abbruch oder eine Ablehnung dazu führt, dass ein komplettes Angebot ("die GANZE Seite") unrezipierbar wird, da eine Aktivierung derjenigen Prozessmerkmale, die zum Besuch der Seite notwendig sind, nicht zugelassen werden. Zusammenfassend zeigt sich hier übergreifend, wie mit dem Verweis auf den Wechsel zu einem anderen Medienprodukt eine technisch induzierte Erweiterung von Handlungsoptionen geschaffen wird, die mit der Selbstpräsentation eines technisch 224 versierten und selbstverständlichen Gestalters und Steuerers der eigenen Medienumgebung einhergeht. Im positiven Horizont stehen dabei das Verständnis und die Nutzung einer Art Techno-Logik beim Umgang mit den neuen Medien, das Mitspielenwollen und das Überlisten ihrer technischen Rationalität bzw. ihrer Grammatik. Worum es Andreas geht, ist eine instrumentell-strategische Handlungsfähigkeit durch die aktive Teilhabe an Möglichkeiten der Steuerung bzw. Kontrolle des Datenflusses und dem Zusammenspiel zwischen eigenem Computer, dem Internet und den einzelnen Bedien-und Installationsfragen, aus denen eine Art Kräftefeld emergiert, in dem bessere technische Lösungen auch bessere Resultate erzeugen. Dabei wird im Zuge der damit verbundenen Technikaffinität das Medium bzw. die technische Infrastruktur nicht nur als Werkzeug, sondern selbst als Interaktionspartner angesehen; der Computer wird zu einem menschenähnlichen Substitut -die Programme "machen" etwas, "Windows" hat sich etwas gedacht und "fragt" einen. Dadurch vermittelt sich durchgehend eine Orientierung an technikbezogenen Interaktionsformen, welche weniger von der Präsentation eigener Grandiosität begleitet wird, sondern vielmehr von einer rational-nüchternen Bewältigung und Steuerung bzw. einem Verstehen-Wollen und Nutzen der Computerlogik. Diese Bezugnahme auf Optionen technikbezogener Handlungsfähigkeit und Flexibilität lässt sich auch daran herausarbeiten, dass es Andreas darum geht, wie man mithilfe computergestützter Möglichkeiten Fragen der personalen Identität steuern kann. (271) I: Mhm. Und du hast mehrere F-Mail-Adressen, hast du gesagt? A: Ja, zwei insgesamt. // I: Warum? // A: Die eine bei GMX ist mehr so für Freunde, dann für Sachen wie EBAY und so nutze ich mehr Yahoo. // I: Ach so, mhm. Warum machst du das unterschiedlich? // A: Weil, bei Yahoo ist das schon mit Namen, weil, bei GMX habe ich Semtex einfach. // I: Ach so, da hast du so einen (2) [anderen Namen also-] // A: [Na ja, und wenn ich nun] zum Beispiel schreibe oder so, und wenn jetzt jemand so rauskriegt, weil Semtex heißt-also ist Plastiksprengstoff. // I: Ach so. Das ist nicht so gut, ne. Verstehe. // A: Wenn ich zum Beispiel-, weil ich hatte mal die Polizei so wegen Praktikum angeschrieben so, per F-Mail, und die Bundeswehr, und da wollte ich dann ja nicht mit Plastiksprengstoff-In Form der Benutzung zweier verschiedener Emailadressen geht es hier um eine Form der Schematisierung von Modi der institutionalisierten Kommunikation, hinsichtlich der von Andreas genau getrennt wird: Im privaten Rahmen wird die Email-Adresse mit einem Fantasie-bzw. Nickname benutzt, im Rahmen gesellschaftlich-öffentlicher Kommunikation der echte Name. Deutlich wird dadurch wiederum ein hohes Bewusstsein für Aspekte gesellschaftlich-institutioneller Formalisierung, die mit dem Gebrauch der Möglichkeit von Erweiterungen einer Handlungsoption einhergeht: Handhabbar wird Andreas dadurch erneut das Erleben eigener Subversivität (die Verwendung von "Plastiksprengstoff" als alter ego) und dessen Bewahrung im Freundeskreis auf der einen und das Auftreten als Person auf der anderen Seite, wenn es etwa darum geht, mit gesellschaftlichen Institutionen der Ordnungsmacht in Emailkontakt zu treten. Das Computermedium wird hier Mittel, diese Dichotomie formal und methodisch zu ratio-225 nalisieren. Es dokumentiert sich weiterhin, wie Andreas sich an einem gesellschaftlich modernen Normalitätsmuster abarbeitet, das auf einer Trennung von privat/öffentlich basiert und in der Sphäre des Privaten den Menschen im Prinzip Subversivität zugesteht, solange sie dort verbleibt -dies erscheint hier als eine Selbstverständlichkeit verinnerlicht, der die Medienverwendung im Modus der technischen Steuerung auf ideale Weise entgegenkommt. Wie auch Timo orientiert sich Andreas an gesellschaftlichinstitutionalisierten Normalitätsvorstellungen und Erwartungshaltungen. Insofern geht es Andreas auch darum, sich in beiden Sphären -gesellschaftlicher und privater -als Nutzer von längst um sich gegriffenen Technikstrukturen und -anforderungen zu positionieren; so vermutet er bezüglich seines Wunschberufes "Polizist" (292), in diesem Kontext habe man vermutlich "seine eigenen [Computer]Programme, ich weiß nicht, vielleicht so vordefiniert oder so, vorangefertigte Texte oder irgend so was", 296). In diesem Zusammenhang orientiert sich Andreas, und darin homolog zu Olaf und Timo, am Stellenwert bzw. Mehrwert von Computerfähigkeiten als einer universalen Kulturtechnik zur Vereinfachung und Rationalisierung. Obwohl er zunächst keine ganz konkrete Vorstellung zu seiner eigenen Zukunft artikuliert ("WEISS ich nicht so", 286), ist er sich sicher, dass im Computer Optionen liegen, die nutzbar sind, wenn es darum geht, "später jetzt so mehr" (286) tun zu wollen: (285) A: Ich kann mich da halt auch informieren, aber, Zukunft, WEISS ich nicht so. Wenn ich zum Beispiel später jetzt so mehr-(2), also kann ich mir halt Wissen aneignen im Gegensatz zu jemandem, der keinen PC hat oder so, na ja, und hat man wenigstens so ein BISSCHEN Grundkenntnisse, so, wie man mit Word, Excel und so arbeitet. Das Medium wird als Handlungserweiterung verstanden und darüber zu einem Vehikel, mit dem sich neue, bisher nicht bekannte Wissensgebiete erschließen lassen, wofür das Medium selbst eine unablässige Bedingung ist, deutlich an dem Vergleich zu einer Person, die nicht über Computertechnik verfügen. Vor allem wähnt Andreas eine Verbindung zwischen bisher erworbenen basalen Computerumgangsfertigkeiten und etwaigen späteren Bereichen der Nutzung. Dass er sie betont als "BISSCHEN" herausstellt, verdeutlicht, dass er schon etwas Weniges als hilfreich wähnt, dass also gewissermaßen schon eine Ahnung von computerbezogenen Optionen eine Voraussetzung dafür ist, sich darauf aufbauend etwas Weiteres zu erschließen. Hierzu bezeichnet er Computerwissen als eine Art Grundfertigkeit, die kontextübergreifend von Relevanz sein kann, je nachdem, in welcher Weise sie sich als nützlich erweist. Demgemäß schildert Andreas auch, wie zwei Microsoft-Standardanwendungen ("Word" und "Excel") von ihm für variable Aufgaben verwendet werden, die auch aus verschiedenen Bereichen stammen können, etwa der Schule ("Stundenpläne oder Texte halt", 288) oder auch sonstigen Anwendungsmöglichkeiten, z. B. dem Verfassen von Emails, die er häufiger mit Word schreibt, weil man hier -anders als bei einem Mailprogramm -die "Rechtschreibung und so kontrollieren" kann (288). In dieses Muster passen sich auch Andreas' in die Zukunft gerichteten Medieninteressen ein, die sich sehr klar auf eine Erweiterung technikbezogener Handlungsoptionen beziehen: (298) A: Ja so, Griffe, ich habe-so ein paar Griffe KANN ich ja, hier so, F4, Alt F4 und so was. Aber wie ich so richtig GUT im Internet ohne-, nur so mit Tastatur klar komme, so was lernen wir wahrscheinlich irgendwann noch in Informatik. (2) Hoffentlich. I: Mhm. Warum würde dich gerade das interessieren? A: Dann kann man schneller ARBEITEN und so. Genau so mit löschen und einfach, ist ja schneller als die ganze Zeit so Rechtsklick und "löschen", "ja", und dann einfach nur entfernen, "ja". Entfernen (geht ja auch anders???) I: Mhm. Also damit besser klar zu kommen so zu sagen, mit der-// A: Ja. (2) // I: Und gibt es noch andere Sachen, die dich [noch] // A: [Vielleicht] wie man so eine Internetseite erstellt. // I. Mhm. // Und zum Beispiel hier-, es gibt ja Freenet oder wie das heißt da, wo man seine eigene Internetseite machen kann, aber diese großen, wo man sich so richtig einen Namen aussuchen kann, so was mit Punkt und de sind ja meistens kostenpflichtig. Auf die gleiche Weise, wie Andreas Medienverwendungsszenarien schildert, erscheint auch hier -in antizipierter Form -ein Set an Möglichkeiten zur Verbesserung instrumentell praktischer Handlungsvollzüge: die Erhöhung des Tempos bei der Navigation und bei Routineeingaben sowie die Vereinfachung der Benutzung durch Konzentration auf die Tastatur als Eingabegerät (unter Verzicht auf die langsame Mausbewegung). Darin dokumentiert sich erneut eine übergreifende Orientierung an den Möglichkeiten des direkten und kontrollierten Interagierens mit der Computertechnik im Modus der Steuerung und der Normalisierung. Auch Andreas' Interesse an einer eigenen Homepage ("wie man so eine Internetseite erstellt", 304) und sein diesbezügliches Gedankenexperiment folgt diesem Muster: (308) A: Könnte man gut machen, wäre ja leichter als F-Mailen. Könnte man so GROSSE Mengen auch reinsetzen. Wenn ich meinen Kumpels jetzt sage irgendwie jetzt "hier guck' mal ich habe hier eine ganze Fotoreihe gefunden von irgendwas", setze ich die auf die SEITE, er guckt sie sich an und kann das ja auch irgendwie löschen wieder von meiner Seite. Den Besitz bzw. die Nutzung einer persönlichen Webseite fasst Andreas als hilfreich auf, weil damit Inhalte auf technischem Weg bearbeitet, darüber verfügbar und distribuierbar gemacht sowie mithilfe des Mediums von der Handhabung her vereinfacht würden. Anstatt auf Emailanhänge zurückzugreifen, stünde für den Umgang mit Digitalfotografien dann eine Plattform bereit; das heißt: die alltägliche Praxis des Umgangs mit Bildern für sich und andere ließe sich rationalisieren. Das Computermedium erscheint hier äquivalent zu einem Instrument, mit dem Daten effizient reduziert, verarbeitet und zugänglich gemacht werden können. Ganz in diesem Sinne geht es Andreas auch weniger um die potentielle Nutzung einer Internetseite zum Zweck der Selbstpräsentation (etwa des eigenen Prestiges, wie im Fall von Ferhat), sondern eher -wie Olaf -zum Zweck der Transformation von Informationen in Inhalte bzw. Angebote. Demgemäß 227 liegen Andreas Hoffnungen, das deutete sich bereits an, konsequenterweise auf dem "Informatikkurs" (312) in der Schule, von dem er sich wünscht, dort Fähigkeiten im Bereich der technischen Umsetzung vermittelt zu bekommen: (314) A: Ich hoffe ja, dass LERNEN wir. Ich bin ja im Informatikkurs. Und da sind wir jetzt auch gerade dabei, eine Internetseite zu entwerfen. Aber nicht so groß, ich denke-, ich HOFFE, das machen wir noch in der Zehnten, aber momentan machen die Zehntklässler eine neue Seite für die Schule, und wir sollen da wahrscheinlich noch EINE, irgendwie, eine kleine Seite noch mit rein machen oder so was. In diesem medienbezogenen (Lern-)Wunsch dokumentiert sich eine medienbezogene Bildungsaspiration, die sich viel weniger an Fragen von gesellschaftlicher Anerkennung abarbeitet, sondern ganz auf die Aneignung von computertechnischem Handwerkszeug bezieht, das seinen Anwendungsbereich im Kontext von rechnergestützten Konstruktionsprozessen findet. Eine Andreas und Timo vergleichbare Orientierung lässt sich in den Darstellungen zur Mediennutzung von Olaf herausarbeiten. Olaf ist das jüngste von vier Geschwistern und zum Zeitpunkt des Interviews 14 Jahre alt; zwei seiner drei Schwestern leben mittlerweile nicht mehr zuhause. Sein Vater arbeitet als Verwaltungsangestellter, seine Mutter war bis vor einem halben Jahr bei einem Sozialverband beschäftigt und ist nun frühpensioniert. Die Schule gefällt Olaf nach eigenem Bekunden gut, obwohl er angibt, "nicht so viele Freunde da jetzt" zu haben (18); er bezeichnet neben "Musikhören" den Computer als sein großes Hobby, womit er den Hauptteil seiner Freizeit verbringt. Olaf spricht verhältnismäßig leise und gebraucht kurze Sätze, auch scheint er immer wieder eine Ermunterung zu benötigen, auf die Fragen einzugehen. Zum Schluss des Interviews scheint er froh zu sein, dass dieses beendet ist. Insgesamt erscheint sein Sprachduktus trocken und abgeklärt. Sachlich-nüchtern beschreibt er etwa die häusliche Mediensituation: "Na ja, jeder benutzt ihn eigentlich. Und, na ja. Also ein Punkt ist er eigentlich schon. Also wenn ihn jeder benutzt, dann denke ich mal schon dass er eigentlich auch bei uns wichtig ist", 297). Weiterhin gibt er an, den Computer nicht für Emailkontakte zu gebrauchen ("na ja mit wem sollte ich Emails schreiben? Das wüsste ich gar nicht" 135); dass er nach eigenem Bekunden keine Computerspiele spielt, begründet er folgendermaßen: "Internet ist doch viel spannender. Na ja, also ich bin halt nicht gerade so ein Spielefreak oder so, deswegen" (285). Vor allem seine allgemeine Positionierung zu elektronischen Medien lässt Elemente seines Orientierungsrahmens hervortreten: So schildert er z. B. "Fernsehen" (269) als Medium mit nur geringer subjektiver Relevanz; es wird sich einfach dazugesellt, wenn jemand anderes eingeschaltet hat ("eigentlich gucke ich nichts Festes. Also das ist meistens dass ich irgendwie so mitgucke, wenn jemand anderes vielleicht was schaut. Dann schaue ich einfach mit", 269). Ist sein Fernsehinteresse ungerichtet und ergibt sich die Rezeption lediglich situativ ergibt, wäre Fernsehen, so stellt Olaf dar, für ihn auch ganz verzichtbar ("na ja weil ich Fernsehen nicht so oft mache. Und ich mache halt am Com-puter auch mehr. Computer kann man ja auch VIEL MEHR MACHEN. Und am Fernsehen MACHT man ja eigentlich gar nichts. Man schaut ja nur", 275). Das hervorstechende Merkmal des Computermediums ergibt sich für ihn aus multiplen Möglichkeiten, mit diesem zu interagieren, da es grundsätzlich Optionen einer flexiblen Beschäftigung bietet. Vor allem die Geringschätzung von Fernsehen -als einer einseitigen und rückkopplungsarmen Medienformation -zeigt: anstelle eines passiven und beschränktes Rezeptionsgeschehens (man "schaut ja nur") geht es Olaf darum, gerade nicht nur an einem Gerät zu sitzen, sondern es aktiv zu verwenden. Das Computermedium ist dabei ein Artefakt in der eigenmächtigen Hand des Nutzers und insofern positioniert sich Olaf als aufgeschlossen gegenüber interaktiven und instrumentell-handlungspraktischen Verwendungsmöglichkeiten digitaler Medien. Vor diesem Hintergrund konzeptualisiert er die Computermedien auch im Kontext eines knappen medienbiographischen Abrisses als etwas zu Erschließendes: (32) O: Na ja, ich weiß gar nicht genau, mmm (2) ich glaube das war 1999, ja, da waren meine Eltern irgendwie ganz brennend darauf, sich einen Computer zu kaufen. (2) Na ja, und dann haben sie das da halt gemacht. Und, also zuerst war kein Internet dabei. Das war zuerst nur ein ganz normaler Computer. An den man sich dann halt so irgendwie herantastet, und so langsam immer mehr und mehr so kann. Und irgendwann haben wir dann Internet bekommen. Aber ich weiß nicht mehr genau wann. Also, dann hatten wir Internet auch zuhause. Und dann habe ich angefangen das Internet zu erkunden ((lacht)). Geschildert wird ein Alltag, in dem Medien einerseits von starkem Interesse geleitet ("brennend") und auf der anderen Seite im Modus der Normalität -man kauft es "halt" -emergieren. Ebenso wird das Erleben einer Prozesshaftigkeit der gerätemäßigen Verwendungsreichweite deutlich: Zunächst noch ohne Internetzugang ist der PC ein wenig besonderer, welchen Olaf wie ein erst einmal unbekanntes Objekt artikuliert, das man auf kaum systematisierbare Weise entdeckt, indem sich ein erster Eindruck davon verschafft wird und man es durch kontinuierliches Tun allmählich zu verstehen und zu beherrschen beginnt. Metaphorisch wird das Lernen der Umgangsweise hier ein "Herantasten", eine sich nähernde bzw. von außen nach innen vordringende Bewegung (so wie man sich etwa an den inneren Kern eines Problems herantastet). Spiegelbildlich dazu erscheint Olafs Kontakt mit dem Internet: Dieses wird angeschafft und darauf hin wird begonnen, es zu explorieren. Insofern vermittelt diese Passage den sukzessiven Aufbau von computerbezogenen Handlungskompetenzen, welcher im Modus eines ständigen und erneuten Ausprobierens prozessiert; deutlich wird auch, dass dieser Prozess nicht unbedingt systematischen, sondern eher forschend-entdeckenden Charakter hat. Auf diese Weise verdeutlicht sich ein rational-technikbezogenes Anschließen an eine offensichtlich computeraffine soziale Umwelt und eine vermittels eigener Handlungen erlebbare Nutzung und Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten: Sein "Erkunden" erklärt Olaf auf Nachfrage folgendermaßen: (34) O: ((Seufzt)) Na ja, also einfach rumprobiert, so aus Interesse. Und man sieht ja auch jeden Tag im Fernsehen so, ÜBERALL, immer Internet Internet Internet. Und dann will man das eben auch mal, dann interessiert man sich eben halt schon dafür. Und will dann wissen, was es damit so auf sich hat. Die Verknüpfung eines diffusen und unspezifischen Handelns im Modus des trial-anderror mit einem spezifischen Motiv -"Interesse" -koppelt Olaf an den Anschluss an eine aus seiner Sicht auch massenmedial betriebene Verbreitung des Phänomens Internet; er stellt dies dar wie eine Entwicklung, die gleichsam draußen in der Welt abläuft und die "eben" nicht spurlos an einem vorüber geht, ähnlich einer Art Hype, welcher zum einen wahrgenommen und zum anderen rationalisiert wird. Es entsteht zwar Interesse an dem "Internet Internet Internet", dennoch entspricht die sich hier dokumentierende Selbstverortung von Olaf der eines nüchtern-distanzierten Beobachters, der sich aufgerufen fühlt -angestoßen durch den Wirbel, der darum gemacht wird -einmal selbst zu prüfen, ob und was überhaupt da dran ist -"man" will "wissen, was es damit so auf sich hat." Zum Ausdruck kommt damit der Habitus eines Technologie rational lernen und verstehen wollenden Mediennutzers. Fallkontrastiv ist daran interessant, dass es Olaf -anders als etwa Sercan -nicht darum geht, sich den Medien aus Gründen der (fehlenden) sozialen Anerkennung zuzuwenden, um statusmäßig mit anderen gleichzuziehen, sondern weil dies einem auf den Gegenstand gerichteten Interesse entspringt. Statt der Bearbeitung eines Exklusionserlebens geht es hier um die Adaption einer als modern wahrgenommenen Entwicklung, die Chancen bietet, den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern. Ausdruck dessen ist auch, dass Olaf einen Teil zu seinem eigenen Computer "mitbezahlt" hat (38) und sich den Wunsch erfüllte, über ein eigenes Gerät zu verfügen ("also ich wollte eigentlich schon immer einen eigenen Computer haben", 39), wobei er seinen Computer ("einen Laptop", 40) sachlich als "nicht irgendwas Besonderes" (21) charakterisiert. In seinem häuslichen Umfeld erscheint die Computerausstattung dann auch als eine, die "normal" (43) ist und um deren Benutzung kein großes Aufheben gemacht wird ("wir haben halt mehrere Computer, und manchmal ist halt der andere belegt, und dann kann sie [die Schwester, S. H.] wenn ich da was anderes dran mache, dann kann sie auch mal", 43). In einem solchen Modus der Normalität stellt Olaf auch die Genese seiner computerbezogenen Handlungsfähigkeit dar, die erneut eine hohe Affinität zu Formen selbstbezüglichen Ausprobierens bzw. Bastelns implizieren: (51) O: Na ja, also vieles weiß man ja irgendwie schon am Anfang. Also einige Sachen, die gehen ja sofort, also das geht einfach. Also ich habe nirgendwo jetzt ein Buch gelesen oder so etwas. Das habe ich mir eigentlich alles selbst beigebracht. Also ich kann mich gar nicht richtig dran erinnern, also ich habe auf keinen Fall ein Buch oder so gelesen. Grundlegendes Wissen ist im Prinzip von Beginn an da und "einige Sachen" am Computer sind umstandslos möglich, während darüber hinausgehende Möglichkeiten der Verwendung offensichtlich komplexere Wissensbestände erfordern. Deren Aneignung ist jedoch ohne entsprechende Lektüre möglich, wobei Olaf Wert darauf legt, bei der Erschließung handlungserweiternder Funktionen des Computermediums autodidaktisch vorgegangen zu sein. Wie auf Nachfrage deutlich wird, handelt es sich dabei um einen übergreifenden Korpus an Verwendungsmöglichkeiten, der nicht in spezielle Einzelbestandteile zerlegbar ist, sondern der als inkorporierte Fähigkeit wahrgenommen wird, etwas tun zu können: "Na ja, also wie man jetzt zum Beispiel (2), ja, also wie man halt mit dem Computer umgeht ((lacht)). So genau kann ich das gar nicht sagen" (55). Insofern bedient sich Olaf nicht einer performativ grandiosen Inszenierung, dass man z. B. bezüglich des Computers gar nichts zu lernen braucht oder dass man besonders viel gelernt hat -wie z. B. Ferhat -, sondern zum Ausdruck kommt eher ein kommunikativ kaum bearbeitbares Gefühl, in einem subjektiv befriedigenden Maß handlungsfähig zu sein. In diesem Sinne greift Olaf hier auch nicht zum Mittel einer Kompetenzinszenierung, sondern scheitert eher an der Schwierigkeit, konkrete Lerninhalte sequentiell herunterzubuchstabieren. Anders als eine Selbstzuschreibung sozial anerkannten Wissens lässt sich dies als ein Eingeständnis performativ nicht zu konkretisierenden Wissens interpretieren, welches in der eigenen Praxis entstanden ist. Zur Wahrnehmung des Computermediums als etwas zu Erschließendes hat nach Olafs Bekunden auch die Schule beigetragen, und zwar in Form einer basalen Grundlegung von Fähigkeiten: (59) O: Ja, also in meiner Grundschule gab's damals so Wahlpflichtunterricht. Also dass wir da irgendein Fach wählen mussten. Und da war auch manchmal eben so ein Computerkurs, der wurde da angeboten. Und da hat man uns dann auch so einiges gezeigt. // I: Übers Internet? // O: Ja, genau, für Internet. // I: Aha, und wie war das so? // O: Also, na ja, da wurden SCHON viele Sachen so erklärt. Über die einzelnen Programme, die für das Internet wichtig sind. Und, jetzt kann ich die eben halt richtig nutzen. Und auch mehrere Sachen damit machen. Weil, viele haben die Programme zwar auch, aber die nutzen meistens ja dann nur die Standard-Sachen. Und, man kann da eigentlich noch mehr machen als nur so was halt. Ähnlich wie Timo rekurriert Olaf auf die schulische Computerbildung als eine Art Fundament, das als Ressource wahrgenommen wird, das Medium "halt richtig" zu nutzen. Anders als etwa wiederum bei Ferhat vermittelt sich das institutionelle Bildungsangebot hier nicht wie ein kompetenzanzeigendes Patent, über das man verfügt, sondern herausgestellt wird von Olaf eher dessen handlungspraktischer Mehrwert zum Vollzug umfangreicherer Handlungsvollzüge. Es geht darum, mit dem Medium jenseits von "Standard-Sachen" umzugehen. Wie bei Timo und Andreas wird die schulisch transportierte Medienbildung hier zu einem Anschub einer freizeitlich weiterverfolgten Beschäftigung mit dem Medium. Vor dem Hintergrund, dass man "noch mehr" mit den Medien machen kann, beschreibt Olaf auch die Verwendung des Internets innerhalb der üblicherweise im Rahmen des Unterrichts geforderten Anforderungen als nichts Besonderes: 231 (67) O: Das sind eigentlich meistens nur Hausaufgaben wo man was recherchieren muss, zum Beispiel jetzt Geschichte oder Erdkunde, manchmal auch Deutsch. Aber sonst eigentlich nicht so. So für Mathematik kann man ja schlecht etwas nachforschen. // I: Und wonach guckst du dann so? // O: Na ja, über das Thema was wir halt bearbeiten sollen, was wir aufhaben. // I: Und kommt das häufig vor? // O: Na ja, nicht so oft, weil das kommt auch auf die Aufgabe an, manchmal bekommen wir gar nicht die Aufgabe. Manchmal ist das auch schon in Büchern, und dann braucht man ja gar nicht mehr ins Internet. Eine schulbezogene Mediennutzung ist habitueller Alltag und das Internet ein multiples, fächerübergreifendes Hilfsmittel, das sich je nach Anforderung zur Erledigung von Aufgaben eignet, die man eben hin und wieder abzuarbeiten hat, wobei es sich fallweise sogar dem Printmedium als unterlegen erweist. Sichtbar wird hier ein negativer Gegenhorizont, nämlich Medien allein bzw. nur im Rahmen einer heteronomen Aufgabenerfüllungslogik zu nutzen. Dies ist zwar möglich und sinnvoll, insgesamt aber eher bildungsbürgerliches Handwerkszeug, dessen man sich "halt" bedient -z. B. zur Informationsrecherche ("halt mal in einer Enzyklopädie im Internet nachschauen", 141) oder der Suche nach Texten deutscher Klassiker ("wenn man also beispielsweise einen Text von Goethe sucht, und nur das Wort Goethe eingibt, dann kommen eben natürlich auch Sachen, wo einfach nur "Goethe" steht. Und dann muss eben eingeben Goethe-Texte, oder auch den Titel des Textes den man sucht. So halt, ja" (142). Anders als Yüksel, der die Nutzung des Computers als Mittel darstellt, schulische Bildungsansprüche souverän erfüllen zu können vermittelt Olaf, dass mit dem Gebrauchs des Internets lediglich als Hilfsmittel dessen Potenziale noch längst nicht ausgeschöpft sind. Sie bieten sich erst im Rahmen des selbstbezüglichen Ausprobierens von technischen Möglichkeiten und zwar "zum Beispiel Internetseiten machen. Na ja, DAS ist halt so meine Freizeit" (75): (77) O: Na ja, was ich da mache? (2) Also, um das machen zu können, muss man ja halt die Art wissen, wie man bestimmte Sachen schreiben muss, damit das dann alles auch dargestellt werden kann und so weiter. Das muss schon alles gelernt werden. // I: Wie war das bei dir? // O: Ich habe es mir selbst beigebracht. Also, ich habe mir diesen Text bei anderen Seiten angeguckt. Und habe dann irgendwann gemerkt, wenn man das und das macht, dann kommt so was halt. Und irgendwann-Also ich habe es mir nirgendwo beibringen lassen. Das Internet als Informationsquelle verstehend, das zum Aufbau eigenen Wissens genutzt wird, wobei es z. B. um die Umwandlung von Schreibeingaben in ein visuelles Produkt geht, kommt ein Prozessieren von Einzelschritten zum Ausdruck, bei deren Ausführen man sukzessive und beobachtend wahrnimmt, welcher Effekt sich einstellt ("dann kommt so was halt") und insofern ein medienbezogener Kompetenzerwerb, der sich aus der Nutzung technischer Angebote spiralförmig entwickelt und beinahe zu einem Selbstläufer wird; anfangs gab es "schon Probleme, also ich habe halt immer wieder ausprobiert", was solange anhielt, "bis ich das richtig konnte" (107). Dabei inves-tiert Olaf auch einiges an Zeit ("Also, jetzt mal so für eine Seite selbst alleine, so das Grundgerüst fertig, kommt drauf an. Also wenn ich mich beeile, und wenn ich die Zeit habe, an zwei Tagen. Manchmal auch eine Woche oder zwei" 109). Ebenso deutet sich ein hohe Selbstbezüglichkeit an, bei der es vorrangig um ein Ausprobieren bzw. ein autodidaktisches Basteln geht ("naja, also eigentlich mache ich die nicht für jemand anders, sondern eigentlich für mich selbst, ja, so paar Sachen", 85). Infolge der Bitte, diese Praxis weiter auszuführen, gerät Olaf ins Stocken und wird abwehrend; er mag kaum erzählen, offensichtlich weil es sich dabei um work in progress handelt, dem es auch an technischer Perfektion mangelt und er insofern seine Programmierfähigkeiten auf den Prüfstand gestellt sieht. Inhalt der Seite sind "viele Sachen eigentlich. Das sind so mehrere" (91). Nur durch erneutes Nachbohren lässt er sich weiter darauf ein ("Na ja, zum Beispiel über so Stars die ich so gerne mag", 93) und ist erst nach mehrfacher Bitte bereit, dies zu konkretisieren: "Ja, von mir aus (2), also zum Beispiel so (2) Kylie Minogue, dann Sarah Jessica Parker (3) Maroon Five, ja, so (2) halt, die so. Mehr habe ich eigentlich nicht. Dafür fehlt mir die Zeit" (95). Deutlich wird daran, inwiefern Olaf hier eine klar produktive Mediennutzung selbst rationalisiert, da es sich dabei offensichtlich um eine fragile Phase der ersten eigenen Schritte im World Wide Web handelt, die sich gerade in der Entdeckungs-bzw. Aufbauphase befindet. In jedem Fall kommt dem Ausprobieren der Möglichkeiten ein hoher motivationaler Stellenwert zu, zumal das Resultat über die Selbstbezüglichkeit der Erstellung auch sozial wahrgenommen werden kann: (97) O: Na ja (4), auf der einen Seite, es macht halt eigentlich sehr viel Spaß. Obwohl es manchmal zum verzweifeln ist ((lacht)), weil manchmal will es halt nicht so wie man will. Und, na ja. (2) Einfach nur so, und auch für die anderen eigentlich. Weil andere Leute ja auch auf die Seite gehen. Also wenn man zum Beispiel was über die Stars sucht, dann können Leute ja auch da was nachlesen. Das ist ja eigentlich FAST auch nur für Besucher halt. Erneut dokumentiert sich hier der Habitus eines Bastlers, der auch bei Schwierigkeiten nicht aufgibt und die Technik mitunter auch als widerspenstig erlebt. Deutlich wird ebenso, wie sich Olaf infolge des technischen Bastelns als eine Art Mini-Dienstleister wahrnimmt, der im Rückgriff auf die Umsetzung technischer Handlungsregeln nicht nur ein eigenes Produkt kreiert, sondern dies auch als nutzbar für andere ansieht. So vermutet Olaf als Besucher seiner "Seite", dies seien "als erstes Mal Fans von den Leuten. Die was darüber wissen wollen, und auch vielleicht ein bisschen MEHR darüber wissen wollen. Und dann, ja-(2)" (115). Dabei erzählt Olaf -nach Beendigung des Interviews -, dass es sich bei der von ihm erstellten "Seite" im Prinzip statt um das Ergebnis einer ausgefeilten Programmierpraxis um eine lose Zusammenstellung von Material über Musiker und Bands handelt, die er mittels eines frei nutzbaren Webportal gepostet hat, und zwar blogger.com, einem von google angebotenen Service zur Erstellung eigener Beiträge, bei dessen Handhabung die Benutzer weder Software auf Servern installieren noch HTML beherrschen müssen. Von dieser Einschränkung wird allerdings die hier verhandelte Thematik nicht tangiert, im Gegenteil. Es konturiert sich Olafs Habitus 233 eines technisch orientierten Mediennutzers, dem es darum geht, sich in einem spielerischen Modus an der Transformation von Inhalten in ein mediales Format unter Zuhilfenahme von gegebenen technischen Möglichkeiten zu versuchen. Dabei sind sogar die Inhalte tendenziell austauschbar und stehen Fragen des Zugriffs, der Verarbeitung und Darstellung im Mittelpunkt: (103) O: Also ob es Schauspieler sind, oder jetzt Musik halt, es kommt immer drauf an. Aber es ist meistens immer dasselbe. […] Na ja, über die Person selber, über Kylie selber. Dann ihre Veröffentlichungen, alles das so. Und auch Videos, Audio, das ist vielleicht nicht ganz legal ((lacht)), aber das macht ja sowieso jeder. Ja, was sonst so? (3) Bilder, ja Bilder. Vor diesem Hintergrund wird das eigene Medienprodukt nicht Mittel zur Selbstpräsentation, sondern im Gegenteil Gegenstand der Entdeckung von Möglichkeiten technologieunterstützter Handlungsfähigkeit. Ganz nebenbei wird hier die eigene Subversivitätso wie schon bei Timo und Andreas -technisch rationalisiert; Material, das eventuell urheberrechtlich geschützt ist ("vielleicht nicht ganz legal"), wird zum content erklärt, dessen sich ja "sowieso jeder" bedient. Deutlich wird ebenso, wie soziale Anerkennung nicht durch Besitz von objektivem kulturellem Kapital, sondern durch die Verfeinerung inkorporierter, der Technik korrespondierender Fähigkeiten angestrebt wird. Während nun einerseits die Medien das perfekte Hilfsmittel sind, Inhalte zusammenzustellen, zu bearbeiten und verfügbar zu machen, bearbeitet Olaf -das deutete sich bereits im Zusammenhang mit seiner "Homepage" an -auch soziale Beziehungen im Bezug auf eine Technikrationalität und verortet sich familiär entlang seiner aktiven Erfahrungen in der medialen Handlungssphäre. Dabei kommt es in Beziehung vor allem zu seinen Schwestern zur Selbstwahrnehmung einer Rolle des Technik-Zuständigen. Während es ihm beispielsweise "schon Spaß" mache (164), computerbezogene Probleme selbstbezüglich lösen, oft auch erst nach ein "paar verzweifelten Stunden" (164), würden seine PC-Kenntnisse von diesen nachgefragt: (171) O: ((Lacht)) Na ja, also die meisten fragen eigentlich immer MICH ((lacht)). I: Ach so. Bei was wirst du denn so gefragt zum Beispiel? O: Na ja, es gibt halt so, na ja-(3) Manche so, also zum Beispiel meine Schwestern, die kennen sich ja mit so was GAR nicht aus. Die fragen mich auch ständig. Ja, so "was mach ich denn jetzt?" ((lacht)), und "wo muss ich denn da jetzt drauf gehen?" Und dann sage ich immer "ja, das STEHT doch da, pass doch mal auf. Lies doch mal NACH." Und dann sagen die immer "Nein, nein" ((lacht)). Aber sonst eigentlich immer nur wegen dem Internet. Weil die auch manchmal dieses Ding, wie heißt das jetzt, also nicht Modem, sondern diese Box da. Die geht halt manchmal nicht. Und dann muss man die eben NEU installieren, und das kann keiner außer mir. Und dann sagen immer alle "los, komm mal her", und, na ja. Aber sonst eigentlich, das geht eigentlich meistens immer nur darum. Offensichtlich genießt es Olaf, der Wissende sein zu können und belustigt sich auch über die vermeintliche Inkompetenz der Schwestern, die mitunter am Computer nicht weiterkommen oder Bedienungsschwierigkeiten haben. Er reagiert darauf mit dem Hinweis, dass die entsprechende Wissenslücke durch rationales Befolgen einer textförmig verfügbaren Handlungsanleitung zu schließen sei, der man sich als Nutzer bedienen könne. Während also einerseits die Schwestern von Olaf pädagogisiert werden, verwundert ihn andererseits, dass sich des Computers überhaupt ohne den Rückgriff auf eine formalisierte Strategie der Beschäftigung damit bedient wird. Indem er hier also seine familiäre Position als desjenigen darstellt, der sich mit technischen Zusammenhängen und Geräten auskennt, die eben "manchmal" neu "installiert" werden müssen, schildert er auch eine Fremdzuschreibung computerbezogener Expertise, die im gleichen Atemzug wieder rationalisiert wird, weil sie für normal und selbstverständlich gehalten wird. In diesem Zusammenhang zeigt sich eine vermeintliche Rationalisierung der Geschwisterbeziehung, die mit der Nutzung des Computermediums zu korrespondieren scheint. Gleich zu Beginn des Interviews berichtet Olaf davon, dass er sich als einziger Sohn von vier Geschwistern lange in der Rolle des "Kleinen" sah, was als "schon ein bisschen blöd" bezeichnet (9). Auf Nachfrage erklärt er hierzu: (8) O: Na ja, weil man immer der Jüngste ist, und dann sind die anderen auch SCHWESTERN ((lacht)), und man kann sich auch nicht immer unbedingt unterhalten mit denen. Also jetzt wo ich älter bin dann schon, aber als ich kleiner war, da waren die immer schon älter, und dann dachten die sich immer, ‚ach hier der Kleine und so'. Vor dem Hintergrund seiner jetzigen Rolle als desjenigen mit der familiären PC-Expertise scheint es, als sei aus dem "Kleinen" derjenige geworden, zu dem die weiblichen Familienmitglieder aufschauen und ihn brauchen, etwa wenn es darum geht, die häusliche Internetverbindung wieder in Gang zu bringen. Dabei inszeniert er sich jedoch nicht unbedingt als grandioser Experte, sondern die Schwestern werden subtil pädagogisiert -ihnen wird ironisch entgegnet, sie könnten das doch auch, wenn sie nur einmal ein Manual läsen. Auf diese Weise handelt Olaf die Interaktion mit den Familienangehörigen nicht in Form einer Statusbeziehung, sondern -ähnlich wie im Fall von Timo -innerhalb einer wahrgenommenen Differenz von formalem Wissen und Erfahrung ab. In diesem Zusammenhang wird auch die sozial-emotionale Anerkennung, die ihm darüber anerkannt wird, rationalisiert: (317) O: Also, naja, die finden das schon toll. Also die sagen schon auch manchmal "oh, wie machst du das nur" und so. // I: Wie meinst du das? // O: Na ja, dass ich so was KANN. Ich weiß auch nicht. Das finden die halt gut. Weil es Ihnen selber-, also sie finden so was schon ziemlich schwer. Und darum wohl auch. Während die Familie seine technische Expertise "schon toll" findet, "weiß" Olaf selber nicht so genau, worin jetzt das Faszinosum besteht, für das er hier Bewunderung erntet. Dass er mit dem Computer umgehen "KANN", wird vor dem Hintergrund der Passage zuvor darauf zurückgeführt, dass sich eben eines technischem Datums und darüber einer Nutzung einer Handlungsoption bedient wurde, was mit etwas Konzentration ("pass doch mal auf") jedem gelänge. Reproduziert wird damit erneut seine Orientierung, in der er die Nutzug und Verwendung des Mediums bearbeitet; so koppelt er die bewundernde Haltung der anderen ihm gegenüber nicht daran, dass es aus seiner Sicht tatsächlich sehr schwer ist, den Computer zu nutzen, sondern weil die anderen das "finden"; anders formuliert: Der Umgang mit dem Computermedium ist Aufgabe einer rationalen Hinwendung dazu und bedarf eines Sich-Einlassens auf seine inhärente Logik. Insofern dokumentiert sich hier das Erleben, dass sich ein rational-technikbezogener Habitus als sozial funktional erweist und von anderen auch nachgefragt wird. Ein Dokument seines bislang rekonstruierten Medienhabitus ist es weiterhin, sich in der Person eines Nutzers zu positionieren, der quasi die Zeichen der Zeit längst erkannt hat und die Verfügung über eigene Handlungsoptionen fortschrittsoptimistisch und zukunftsgewandt konnotiert. Die Möglichkeit, durch die Benutzung von Technik handlungsfähig zu sein, wird von Olaf an einen epochalen Lebensstil gebunden, in welchem digitale Medien als Paradigma der Gegenwart erscheinen: (195) O: Na ja ich denke mal, wir leben ja auch nicht mehr gerade im Mittelalter, und dass Computer immer mehr Überhand gewinnen. Und wenn wir uns dann damit auskennen, ist das nicht gerade falsch. Weil, es geht ja immer einen Schritt vorwärts, das geht ja SO SCHNELL. Und daher sollte man sich damit schon auskennen. I: Wie ist das für dich ganz persönlich, wie wichtig ist dir das selber für deine Zukunft? O: Na ja, also ich könnte jetzt auch OHNE auskommen. Aber, es wird schon wichtig sein. Aber ich würde jetzt nicht wissen, WAS. Gefragt nach seiner allgemeinen Zukunftsvorstellung greift Olaf auf eine Metapher zurück, die eine deutliche Markierung artikuliert. So ist das "Mittelalter" einerseits eine -gegenüber der Gegenwart -technisch unentwickelte Epoche, andererseits aber auch eine historische Phase, zu der keine individuellen Handlungsoptionen aufgrund von (biographisch selbstgesteuerten) Wahlmöglichkeiten verfolgt werden konnten. Damit kennzeichnet sich ein Merkmal seines negativen Gegenhorizontes, und zwar eine Handlungsunfähigkeit im Kontext von zeitlich bedingter Technologieabstinenz. Die Computertechnologie ist ohnehin längst da und hat die Zeit durchdrungen, zumal die Menschheit "auch nicht mehr gerade" im Mittelalter, sondern in einer vollständig medien-und technikgeprägten Lebenswelt lebt, die für ihn sogar dabei ist, "Überhand zu gewinnen". Darin verbirgt sich, wiederum metaphorisch, das Topos der Machtübernahme und des Einflusses von Technologie, angesichts dessen der Mensch aufgefordert ist, handlungsfähig zu bleiben, anstatt davon beherrscht zu werden. Damit ist zugleich der positive Gegenhorizont aufgeworfen, und zwar die generelle Bewusstheit für die Existenz von Technologie und deren Optionen. Das Projekt, sich dieser zu bedienen wird von Olaf sprachlich so gedreht, dass er daraus nicht eine Notwendigkeit ableitet (im Sinne von "und deshalb ist es wichtig, sich damit auszukennen"), sondern eher eine Selbstverständlichkeit: Als generalisierter Bewohner einer technologisch geprägten Epoche kann man gar nichts "falsch" machen, wenn man sich Computermedien zuwendet, indem man sich damit "auskennt", zumal es auch darum geht, nicht den Anschluss an eine technische Entwicklung zu verlieren oder davon abgehängt zu werden. Somit deutet Olaf Computertechnik als fundamentales Datum der Gegenwart, dem man sich nicht entziehen kann, sondern dessen Potenziale man erkennen und sich im Sinne einer biographischen Option einer Handlungserweiterung universell aneignen sollte. Seine eigene Zukunft sieht er zwar nicht existentiell an das Verfügen über ein konkretes Auskennen gebunden, unterstellt aber eine grundlegende Bedeutsamkeit, deren präzise Bestimmung jedoch (noch) nicht aktualisiert wird. Im Gegensatz dazu ist ihm in Bezug auf seinen Berufswunsch ("also ich will eigentlich Journalist werden", 203) die Relevanz von Computerwissen bewusst. Hier wiederholt sich das Muster der Selbstverständlichkeit: Betonend, dass im Kontext des Journalismus ohnehin ein Großteil Arbeit computergestützt bearbeitet werde ("also ich denke mal, vieles WIRD ja schon über Bildcomputer und so gemacht. Also wenn man jetzt Journalist ist, die meisten schreiben ja sowieso am Computer ihre Sachen", 204) erklärt Olaf Computertechnologie zum längst normal gewordenen Handwerkszeug der Berufssphäre. Aber auch außerhalb beruflicher Anwendungskontexte hebt Olaf die Gestaltungsmöglichkeiten von Computern hervor, sichtbar in seinen Ausführungen über weitere computerbezogene Interessen und Lernwünsche: (207) O: (2) Tja, ich würde gerne noch mehr Programmiersprachen lernen. Aber, ich weiß nicht. I: Warum gerade Programmiersprachen? O: Na ja, weil man, wie soll ich das sagen? Man kann halt die Seiten verbessern, so wie die zum Beispiel aussehen. Man kann mehr, na ja also mehr rein tun, wie mehr rein passt. Man kann dann damit flexibler umgehen. Deutlich wird erneut eine Orientierung an der Erweiterung von Handlungsoptionen, die Olaf im Zusammenhang mit den neuen Medien artikuliert. Er wähnt hier -ähnlich wie Andreas -die Möglichkeiten, vermittelt über Kenntnisse Webseiten zu optimieren, deren Erscheinung aufzuwerten und sie über einfache Grundlagen hinaus mit mehr Inhalt füllen zu können. Dies bedeutet für ihn, "flexibler", also beweglicher und gestaltungsfähiger, zu sein. Ihm ist bewusst, dass dafür besondere Kenntnisse in Form von Programmiersprachen erforderlich sind, die sich Olaf auch vorstellen kann, zu lernen ("PHP, und, na ja (3) das ist eigentlich die einzige. Das System was ich jetzt schon kann, ähnelt dem ziemlich", 211). Darin dokumentiert sich, dass er computerbezogene Handlungsoptionen, die er bereits kennt, vertiefen und erweitern möchte, wobei er bereits informell und auf zweierlei Arten Lernanstrengungen unternommen hat, und zwar durch Lektüre und den Versuch einer experimentellen Umsetzung am Computer selbst, wenn auch ohne erkennbaren Erfolg ("Na ja, also ich hab schon mal zwei Bücher darüber gelesen und auch schon mal was ausprobiert. Also, entweder sind die Bücher falsch, oder ich bin zu dumm dafür", 213). Eine solche Erweiterung medienbezogener Handlungsoptionen wird von ihm als individuelles Projekt begriffen, dem man sich auch zweckfrei widmen kann; dabei geht 237 es ihm nicht so sehr darum, sich professionell oder entlang klar zweckstrukturierter Erfordernisse einzuarbeiten: (214) I: Und könntest du dir da irgendwie vorstellen Hilfe zu holen, um das zu lernen oder-O: Na ja, weiß nicht. Jetzt so, also Leute fragen, also ich kenne ja erstmal NIEMANDEN der das kann. Aber im Internet könnte man schon-Also ich frage jetzt schon auch nach, bei Leuten die das können. I: Wen fragst du denn da so, was sind das für Leute? O: Na ja, eben so Leute, die auch Seiten haben, also die das schon können. Also das sind natürlich auch keine Experten jetzt, die haben sich das auch nur so angeeignet. I: Und jetzt ganz konkret, so einen Computerkurs belegen? Könntest du dir das vorstellen? O: (2) Nee, eigentlich nicht, Also erstmal habe ich dafür keine Zeit, und zweitens auch überhaupt gar keine Lust, weil, jetzt brauche ich das sowieso gerade nicht. Die Strategie, sich an Möglichkeiten medienbezogener Handlungserweiterungen abzuarbeiten bleibt informell. Hierzu holt Olaf Erkundigungen ein bei "Leuten die das können", obwohl er um die Begrenztheit dieser Lernstrategie weiß, indem er zu einem echten Lernen der Programmiersprache eigentlich das Wissen von "Experten" benötigt, was seine informellen Ratgeber in Onlineforen eben nicht sind und auch gar nicht sein können bzw. müssen. Deshalb ist die Wahrnehmung eines formal-institutionellen Lernangebots für ihn auch eine Frage von Zeit und Lust, das heißt: Eine Frage der eigenen Entscheidung, die dem eigenen Belieben und der Freiwilligkeit anheim gestellt ist und nicht etwa -wie z. B. bei Zeynep (siehe weiter unten) -in Antizipation einer zu erfüllenden Aufgabe nötig erscheint, um sich für etwas zu qualifizieren. Carola ist 14 Jahre alt, Einzelkind und gebürtig in Berlin ("wohne die ganze Zeit hier, also war nie woanders" (15). Sie lebt bei ihrer Mutter, die als Verkäuferin arbeitet. Während ihre Eltern getrennt leben, betont Carola, dass sie intensiv zwischen Mutter und Vater hin-und herpendelt, zumal beide nicht weit auseinander wohnen ("also ich kann jederzeit wenn ich will zu meinem Vater gehen und so, er wohnt auch in der Nähe gleich, ich brauch bloß in den Bus steigen, mit der U-Bahn hin und dann bin ich da", 15). Was sie zum Zeitpunkt des Interviews Ende November vor allem bewegt, ist, dass ein naher Umzug in einen anderen Stadtteil bevorsteht ("also entweder Ende dieses Jahres oder Anfang nächstes Jahr, und dann ziehen wir nach K.", 11), wobei sie froh zu sein scheint, dass ihr Schulweg sich dadurch nicht verlängert ("also ich denk mal, ich hab auch also genau die gleiche Gelegenheit mit dem Bus hin zu fahren", 12). Zum Interview kommt Carola etwas verspätet, was sie damit erklärt, dass sie mit Freunden vorher auf einem nahe gelegenen Sportplatz war; sie ist ein wenig müde und wirkt abgekämpft. Als Hobby gibt sie ihren "Hund", "draußen Sein" sowie "meine Digitalkame-ra" an. Bevor das Interview beginnt, zeigt sie mir ihre Kamera, welche sie nach eigenem Bekunden "häufig mit dabei" hat. Carola bittet mich, ihren Kosenamen zu verwenden ("weil die meisten nennen mich so", 5). Auf den ersten Frageimpuls schränkt sie ihre Computerpraxis auf eine spezifische sozialräumliche und personenbezogene Situation ein; das hauptsächliche Beschäftigungsszenario wird quasi aus der Situation heraus geboren und ist stabil daran gebunden: (31) I: Ähm, also ich weiß ja jetzt schon von dir, dass du dich hin und wieder mit Computer und Internet [beschäftigst] C: [Ja aber nur bei] meinem Vater. I: Okay dann erzähl doch mal davon. C: Ja, also bei meinem Vater, die haben auch Internetzugang und so, also. Und dann manchmal, also wenn ich gute Laune habe und nichts anderes zu tun habe, weil ich eigentlich viel um die Ohren habe, weil ich DRAUSSEN bin, mich viel eigentlich mit Freizeit eher draußen beschäftige, mit meinen Freunden und so, dann sitze ich nicht so REGELmäßig vor dem Computer. So, manchmal dann aus Langeweile sitze ich dann so im Internet (3) gucke was so los ist und so, oder (2) zeichne irgendwas, was weiß ich (3), ja oder guck mir halt Fotos an, die ich so gemacht habe, und da dann in den Internet gestellt habe, also da in dem gespeichert habe. I: Aha. Wie, du sagst, wenn dir langweilig ist, also-// C: Na ja… // I: Kannst du das mal beschreiben? C: Also wenn ich gerade nichts zu tun habe, das kommt zwar SELTEN vor, aber, also ich bin eigentlich fast immer am Computer wenn ich bei meinem Vater bin, also (2) von daher. Ja. Ihre Computerpraxis im Ensemble sonstiger Alltagspraxen erscheint zunächst wie ein Substitut bzw. wie das letzte Glied innerhalb eines Spektrums an aktiven Handlungsund Erlebnisräumen, die ihrer Medienbeschäftigung deutlich vorgeordnet sind: Ob der Computer genutzt wird, ist abhängig von Bedingungen, die innerhalb ihrer sonstigen, erlebnisorientierten Alltagsgestaltung entstehen, wenn z. B. die Gefühlslage darauf abgestimmt ist und für den Moment keine anderen Handlungsalternativen in Sicht sind. In solchen Situationen wird das Medium zu einem Mittel, das im Sinne eines Stimmungsmanagements und kreativ nutzbar ist. Dies transportiert sich auch performativ: War ihre Schilderung zuerst flüssig und bewegt, wird Carola, als es um die Computernutzung geht, eher stockend, was die vielen Pausen signalisieren. Sie muss überlegen, um was es sich bei ihrer Nutzung eigentlich handelt: sie schaut eher willkürlich umher ("was so los ist") und gestaltet etwas zeichnerisch, wobei auch dies eher wahllos erscheint. Zusammenfassend dokumentiert sich in der Passage eine mehr oder weniger ziellose und ungerichtete, aber auch unbeschwerte Mediennutzung, die an eine bestimmte Situation gebunden ist und hauptsächlich darin angesiedelt ist. Etwas in einer computerfreien Sphäre "zu tun zu haben" erscheint als die subjektiv zentrale Beschäftigungsform ihres Alltags, während sie ihre Medienpraxis beinahe zum Gegenteil erklärt. 239 Diese Situierung ihrer Medienpraxis in Verbindung zu sozialen Erlebnismomenten lässt sich auch daran zeigen, wie Carola ihre anfängliche Computernutzung an soziale, konkreter: familiendynamische Entwicklungen koppelt: (37) I: Wie bist du eigentlich dazu gekommen, dich überhaupt mit dem Computer zu beschäftigen? C: Also weil ich ja schon mal mit meinem Vater FRÜHER drüber geredet habe und so, weil die mir selber einen Computer anschaffen wollten. Weil wir immer wieder auf die Idee kamen umzuziehen, meinten die dass das unlogisch ist. Dass sie dann in der NEUEN Wohnung, dass sie mir dann einen neuen Computer anschaffen. Und dann, wo mein Vater einen bekommen hat, dann habe ich mich so angefangen damit gleich zu beschäftigen irgendwie. (3) Ja, habe auch, also ich habe auch so, wie sagt man, Gedichte auf dem Computer geschrieben oder, ja oder Geschichten. Ja, ich mach so was gerne eigentlich. I: Mhm. Und was waren das so für Sachen? C: Na also so ausgedachte Dinge eben. So aus dem Kopf, so über (2), vielleicht auch über Mädchen, so, weil ich auch eine Karriere als Sängerin anfangen wollte, oder so. Das habe ich dann halt so geschrieben halt und ausgedruckt aus Langeweile. Manchmal. I: Und machst du das immer noch? C: Ja, aber jetzt nicht mehr SO oft. Nicht mehr so oft, nee, also ich bin auch nicht mehr so gut in der Schule, ich streng mich nicht mehr so viel an, also weil ich kümmer mich mehr um meine Freizeit. Deswegen. Das ist eigentlich nicht so gut, aber-Der Computer ist frühes Thema der familiären Kommunikation, in welcher die Anschaffung eines solchen verhandelt wurde. Ihre Computerpraxis beginnt mit der wenig konkreten Idee zum Erwerb von Hardware, die in Carolas Schilderung untrennbar mit Veränderungen innerhalb sozialräumlicher Konstellationen verbunden ist. Auf diese Weise macht sie deutlich, inwiefern es vor allem soziale Dynamiken sind, die das Medium für sie erst zu einer subjektiven Handlungsressource werden lassen. Ihre Medienpraxis entsteht auf diese Weise in einer Situation, die nicht allein von ihr geschaffen wurde, sondern die sich aufgrund überindividueller Entscheidungen und Pläne ergeben hat und innerhalb dieser sie aktiv wird: Ihre früheren Tätigkeiten des am PC Schreibens erfolgen in Form des Ausdrückens ihrer Phantasie, sind zweckfrei und eine kreative Phase des Ausprobierens. Vor allem erscheinen sie selbstbezüglich und als Form der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Subjektivität. Hierzu setzte sie Phantasien, die mit der eigenen Person bzw. Persönlichkeit assoziiert sind -z. B. auch in Bezug auf ihren Traumberuf "Sängerin" -mit dem PC um, sodass auch ein Produkt entstand, dass sie selbst in den Händen halten konnte. Zum Ausdruck kommen hier eine Veräußerung von inneren Vorstellungen und Gedanken und ein kreatives Ausprobieren von computerbedingten Möglichkeiten zu deren Materialisierung; der PC wird zum Ort der Verobjektivierung einer eigenen Gedankenwelt. Eine solche Art der Beschäftigung ist allerdings gegenwärtig kaum noch wichtig ("nicht mehr SO oft"): Das Um-Zu-Motiv (im Sinne von Schütz) einer kreativen und schöpferischen Nutzung des Mediums wird vom gegenwärtigen Sog einer intensiven Beschäftigung mit sich selbst dominiert. Sie "kümmert" sich "mehr" um die "Freizeit". Es hat hier den Anschein, als sei eine Nutzung des PCs -ähnlich wie das Engagement für die Schule -keine Freizeit. Homolog zur Eingangspassage wird damit deutlich: Das Computermedium hat nur untergeordneten Rang im Ensemble anderer und als wichtiger wahrgenommener aktueller Handlungsoptionen: Alles -so dann auch der Computer -ist dem gegenwärtigen Primat eines persönlichen Freizeiterlebens unterstellt, dem Carola als eines hochgradig sinnstiftenden Lebensbereiches höchste Priorität einräumt. Es geht ihr, anders ausgedrückt, darum, aktuell vorrangig in eigener Sache unterwegs zu sein und Energie in subjektiv Bedeutsames jenseits von Verpflichtungen zu investieren. Vor diesem Hintergrund kontextualisiert sich ihre Medienpraxis innerhalb eines Rahmens von situativ-pragmatischer Situationsadäquanz. In einem solchen Rahmen stellt sie auch ihr Zueigenmachen der Funktionen des Computermediums dar: (42) C: Also eigentlich, also ich hatte schon so von FRÜHER, also weil meine Freundin, wir saßen immer zusammen am Computer, und dann haben wir zusammen manchmal so was gemacht. DIE hat mir das meistens beigebracht. Und dann in der achten Klasse hatten wir dann auch ITG-Unterricht. Und da KONNTE ich aber AUCH schon ein bisschen. Na ja, und mein Vater hat mir auch paar Sachen gelernt, und so. Also ich komme eigentlich ganz gut mit Technik klar so. Das Kennenlernen von computerbezogenen Möglichkeiten ist eingebettet in eine gemeinsam erlebte Handlungspraxis am Computer, die situativ und freundschaftlich intensiv erfolgte. Die Auseinandersetzung mit den Optionen und deren Aneignung erfolgt wiederum aus der Situation heraus. Wichtig sind dabei eine gemeinschaftliche Art der Beschäftigung anstatt eines zielgerichteten oder strategischen Handelns und eine soziale Beziehung, innerhalb der sich die für Nutzung des Computers relevanten Wissensbestände weitervermitteln. Die aus diesem Zusammenhang erworbenen Kenntnisse werden durch den ITG-Unterricht nicht unbedingt wirksam erweitert. Stattdessen fügt sich dieser Unterricht in Carolas Medienbiographie lose ein, indem er von ihr zeitlich einfach dazu addiert wird. Er wird von ihr ganz offensichtlich nicht als wichtige Lernarena wahrgenommen, denn ihm gegenüber wird die frühere und informelle Auseinandersetzung mit dem PC zu einem Fundament, aufgrund dessen sie "AUCH schon ein bisschen" konnte. Dazu zählt sie schließlich noch "paar Sachen" von ihrem Vater, sodass deutlich wird, inwiefern sie insgesamt ein eher selektives Arrangement von Lerngelegenheiten erinnert, das, so ihre Schlussfolgerung, zu einem Erleben führt, "gut klar" zu kommen. Dass sie in diesem Zusammenhang statt vom Computer übergreifend von "Technik" spricht, deutet an, dass sie sich das Vorhandensein einer Art pragmatischer Generalkompetenz zuschreibt, im Hier und Jetzt etwas tun zu können. Vor allem dieses "Klarkommen" signalisiert einen Habitus, der jenseits von Beherrschung an einer pragmatischen Nutzung orientiert ist. So hat sich Carola soweit mit der "Technik" vertraut gemacht, dass sie soweit als nötig damit zurechtkommt, um diese, ohne berührungsängstlich oder hilflos zu sein, nutzen zu können. 241 In dieser Art des informellen Arrangierens, das Handhabung ermöglicht und für den eigenen Bedarf ausreicht, schildert Carola auch ihr familiäres Umfeld nicht als geprägt durch Computerexpertise; so sei z. B. ihr Vater jemand, der am Computer situativ Hilfe benötigt, etwa beim "Lieder runterladen". Während er dies "früher nicht ganz konnte, er wusste auch nicht so, wie man das Programm einstellt", hat ihm "so ein Freund" geholfen, sodass der Vater nun "eigentlich ganz gut damit klar" kommt (47). Woran sich Carola orientiert, und hier wiederholt sich das bereits angedeutete Muster, sind an einem praktischen Nutzen ausgerichtete Medienverwendungsszenarien, ein bedürfnisorientiertes und gelegentliches Ausprobieren und eine subjektiven Interessen folgende Benutzung des Computers im Rahmen eines situativen Tuns, innerhalb dessen zwar auch Wissenslücken emergieren, welche sich aber bedarfsgerecht und insgesamt eher für den Moment, das heißt selektiv, überbrücken lassen. Aspekte einer solchen auf das Medium bezogenen Selektivität und Situativität zeigen sich auch darin, wie Carola ihre übergeordnete Haltung bezüglich des Zugangs zum Computer charakterisiert: (175) C: Sonst dann, eben wenn die Freundin gerade von meinem Vater dran ist oder er, dann warte ich eben kurz, wenn ich irgendwas machen will, am Computer. Ich habe ja meistens Zeit wenn ich da bin. Und wenn ich dann eben keine Zeit habe, oder es muss schnell gehen, dann lassen die mich vielleicht mal kurz auch ran dann. Wenn ich was machen muss. Aber meistens ist ja nichts Wichtiges. Also daher. Bin ich eigentlich nie in Eile wenn ich an den Computer will. Das Medium ist eine Ressource des Augenblicks mit situationsbezogenem Gebrauchswert. Entscheidend ist, wer was gerade zu tun hat und ob der Mehrwert einer computerbezogenen Tätigkeit aktuell Relevanz hat. Von Bedeutung ist außerdem, dass die Nutzung eingebunden ist in ein soziales Geschehen um diese herum; insofern ist das Computermedium eine Option, die Carola vorrangig an eine gemeinsame Praxis mit anderen Personen, vor allen ihren Vater, bindet: (155) C: Mein Vater, ja, wenn er nix zu tun hat, wenn er nicht gerade kocht oder so, weil er ja meistens kocht dann wenn ich da bin. Macht er immer was zu essen, wenn ich da bin. Und dann, wenn er gerade nix zu tun hat, dann guckt er auch mal so was ich mache oder. Dann sagt er so "wollen wir mal zusammen in DIE Seite vielleicht mal kurz gehen" oder so. I: Zeigt er dir dann auch manchmal auch Sachen so? C: Ja, meint er was er vielleicht gerade mal so raus gefunden hat oder so, vielleicht gesehen hat oder so. // I: Mhm // C: Weiß nicht, oder, wenn er vielleicht gerade ein neues Lied gefunden hat, was ihm gefällt so, dann so "ja, guck mal hier was ich runtergeladen habe", dann zeigt er mir es manchmal. In hauptsächlich vom Nachgehen alltagspraktischer Handlungen geprägten Situationen wird das Medium zum Anlass, zueinander zu kommen und sich auszutauschen; es ist dabei insgesamt eher Nebensache und die rezipierten Inhalte sind eher kontingent. Den digitalen Medien kommt hier übergreifend der Status einer Alltagsheuristik zu, die einerseits eine spontane Hinwendung dazu impliziert und andererseits in ansonsten gewöhnliche Beschäftigungen eingereiht wird. Auch jenseits einer gemeinsamen Praxis mit ihrem Vater beschreibt Carola ihr gesamtes Medienmenü als abhängig von selektivem Interesse und einer auf den Moment gerichteten Attraktivität. Beispielsweise spricht sie dem "Lesen" eine gleichsam wertschöpfende, zumindest eine nutzbaren Erfolg versprechende, Funktion zu und weist ihm positive Folgen für den Schriftsprachgebrauch zu: (109) C: Lesen, also früher war ich dafür. Also da habe ich sehr viel gelesen. Ich habe eine ganze Palette von Harry Potter, und auch so spannende Bücher, so Alfred Hitchcock und so. Habe ich auch, da habe ich auch manchmal bisschen gelesen. Oder (2) Psychozum Beispiel so was. Ja, so spannende Romane oder so habe ich auch manchmal gelesen. Aber jetzt, habe ich auch nicht mehr so viel Zeit dafür, ist auch immer wieder so-und manchmal gucke ich noch in Büchern nach, lese dann mal ne Seite, oder es gibt ja auch von irgendwelchen Serien, zum Beispiel Bücher auch von Charmed habe ich ein Buch von. Das habe ich sogar DURCHgelesen. Oder Anne Frank zum Beispiel, das habe ich auch schon zweimal durchgelesen, weil es mich dann interessiert hat. Ja, und so. Früher war ich für Bücher, also da war ich auch noch besser in Rechtschreibung in Deutsch und so. Ich denke mal schon dass es irgendwo auf einer Seite was mit dem Lesen zu tun hat, da man sich die ganzen Worte irgendwo im Gehirn auch speichert. Also, wenn man viel liest. Ich denk mal schon dass das irgendwas bringt so. Konzediert wird, dass Lektüre einen Mehrwert haben kann (in Form der Ablagerung der Wortgestalt im Gehirn und dadurch eine korrekte Rechtschreibung). Reformuliert enthält Carolas Darstellung folgende Intention: Läse sie viel, hätte sie eine gute Rechtschreibung; dies bedeutete einen Erfolg, der sich später und bei hohem Lesepensum einstellen würde. Sie allerdings präferiert, deutlich durch den Bezug auf Genuss, Thrill und ein direktes und unmittelbares Erleben etwas, was mit momentanen Neigungen zu tun hat. Lesen wäre gewissermaßen vernünftig, aktuell wird jedoch statt einer nachhaltigen Investition eine eher situative Bedürfnisbefriedigung gesucht. Deutlich wird daran: Ihre Mediennutzung folgt den aktuellen und jeweiligen Lebensinteressen und Relevanzen -sie wird ihnen untergeordnet. Welchen Stellenwert Medien überhaupt haben, wird eng an Situationen des momentanen Lebensvollzugs gebunden. Erneut beschreibt Carola damit eine Hinwendung zu Medien in Relation zu einem Effekt, der sich dann einstellt oder entwickelt, wenn man sich kontinuierlich und bei Vorhandensein eines hohen subjektiven Interesses damit beschäftigt. Ein solcher subjektiver Effekt wird z. B. sichtbar in ihrer musikbezogenen Fanhaltung, die sich darin ausdrückt, ausnahmslos alle Tonträger von der ihr favorisierten "J-Lo" (81) zu besitzen, der US-amerikanischen Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin Jennifer Lopez: (93) C: Ja, ich habe ALLE Alben von ihr. Ja also ich hör-also, Musik ist für mich eigentlich mein LEBEN ((lacht)). Ich hör eigentlich, also sobald ich nach Hause komme, Tasche weggeworfen, dann immer gleich Musik an so, also Musik ist mir schon SEHR wichtig eigentlich. Ja. Musikhören ist nicht nur auditives Geschehen, sondern ein den gesamten Lebensvollzug prägendes Phänomen. Erneut reproduziert sich damit Carolas positiver Gegenhorizont, der darin besteht, sich einem Medium begeistert und intensiv hinzugeben und ihm alles andere unterzuordnen, wenn dies ein subjektives Aufgehen impliziert. Mit Bezug auf Ferchhoff (2002a: 159) lässt sich hier von einer "Aktualität des Augenblicks" und eines "Subito-Prinzips des Sofort-Genusses" sprechen, an denen sich Carola orientiert. Medien erscheinen als das idealtypische Vehikel zur Enaktierung dieser Prinzipien in ihrem Alltag. In Bezug auf den damit zusammenhängen Verwendungsmodus der Medien wird zugleich eine geschlechtsbezogene Differenz deutlich: Während Carola bezüglich des Musikhörens ein Gefühl des momenthaften Aufgehobenseins, eine enge Verwurzelung im Alltagsleben und ein sinnlich-körperliches Erfasstsein artikuliert, beschreiben die Jungen Musikhören eher als ein technisch geformtes und rechnergestütztes Geschehen, dass sie zudem von der Seite der gerätemäßigen Wiedergabe her darstellen ("mit dem PC kann ich auch Musik hören"). Carolas Fanhaltung drückt sich auch darin aus, dass sie eine medienkonvergente Nutzungspraxis in Form der Rezeption von Popikonen enaktiert, an der sich ihrerseits ihr Orientierungsrahmen herausarbeiten lässt: (81) C: Bei google manchmal so, also Stars die mir so gefallen. So Beyoncé, oder Jlo oder so. Und dann, wenn ich manchmal so neue Bilder haben will von denen, weil ich ja auch Fan bin von Jlo so zum Beispiel, dann äh drucke ich mir die einfach aus. Ja. Also, ich gucke dann immer bei google, und dann gehe ich auf "Jlo" immer, und das-dann klicke ich auf Bilder, und dann sind da, manche sind ja auch GESPERRT manche Bilder, also die kann man dann nicht sehen. Oder man kann die auch nicht vergrößern oder so. Gibt's auch. Während sie in der Regel problemlos Zugang zu Bildern findet, schildert sie ihre Praxis auch als mit Schwierigkeiten konfrontiert, die der technologiebedingten Materialisierung der symbolischen Angebote geschuldet sind. Allerdings zeigt sich erneut, dass es ein subjektives Interesse ist, das für den Moment hohe Energie freizusetzen in der Lage ist: (95) I: Gibt's sonst manchmal Sachen, die dir schwierig erscheinen, [also mit denen du nicht so richtig klarkommst]? C: [Ja so manche Sachen] also, bei manche Seiten, so die in die ich früher reingegangen bin, ins Forum oder so, dann fällt mir manchmal nicht mehr ein, wie die Internetadresse war. Aber zum Glück habe ich ja so ein Buch, also mein Vater hat so ein ganz dickes Buch, und da stehen manche Internetadressen drinne. Wo man dann reingehen kann oder so. Dann steht da aber manchmal "Error" oder so. Und dann komme ich gar nicht in die SEITE rein, dann weiß ich gar nicht was los ist oder so manchmal. I: Ja, und was machst du dann, wenn so was [passiert] ? C: [Ja, das ist mir manchmal] egal, das interessiert mich dann nicht, dann gehe ich aus der Seite raus, versuche irgendwas anderes rein zu gehen was mich interessiert. Oder ich versuche dann so lange, bis ich dann irgendwie, bis mir die richtige Adresse eingefallen ist, oder ich hole mir Hilfe. I: Ah ja, und wo suchst du dir da die Hilfe? C: Also gibt's ja so eine, also dann steht da "F1" oder so, kann man sich ja Hilfe suchen oder so. Und dann drück auf die Taste, und dann steht da-manchmal liegt's vielleicht auch an den Kabeln oder so, weil die nicht richtig angeschlossen sind oder so. Oder an irgendwelchen Verbindungsproblemen oder so. Ja (3) Ein Handlungsproblem kann daraus erwachsen, sich mitunter nicht mehr an die korrekte URL eines bereits früher rezipierten Webangebotes zu erinnern. Sichtbar wird wieder das pragmatische und situative an Carolas Mediennutzung, die zumindest kein intensives oder technisch-nachhaltiges Interesse an Optionen mit sich führt, die der Rationalität der Technik selbst inhärent sind. Allerdings folgt daraus jedoch kein Abbruch ihrer Medienpraxis, im Gegenteil: Sie greift in dieser Situation auf eine traditionelle Problemlösestrategie zurück und behilft sich mit einem Printmedium. Ein selektiver Pragmatismus und eine situative Motivation sind hier so miteinander verknüpft, dass es die jeweilige finale Relevanz der Medienhandlung ist, die darüber entscheidet, ob sich eine Bereitschaft entwickelt, sich mit dem Medium zu beschäftigen oder nicht. Die Entschlossenheit, Bedienungsschwierigkeiten zu lösen relationiert sich zu einem situativen Interesse, und bei dessen Vorhandensein beschreibt sie sich als hartnäckig und ausdauernd ("versuche dann so lange"). Anders ausgedrückt: Erschwert das gegebene Problem das Nachgehen eines Bedürfnisses, kommt es zu intensiven Bemühungen. Insofern vermittelt Carola Computerprobleme als selektiv überbrückbar und dokumentiert darin einen Problemlösehabitus, innerhalb dessen -bei subjektiver Relevanz -dann auch der technische Strukturzusammenhang zu einem Problem wird, dem sich gewidmet wird. Diese Bereitschaft zu einem Sich-Einlassen in einen Problemzusammenhang, das dann erfolgt, wenn es mit einem affektiven Erleben einhergeht, zeigt sich auch an der Art und Weise, wie Carola Computerspiele thematisiert. Deren Reiz vermittelt sie darin, sich in einen spiralförmigen Prozess einzubinden und sich in einer Situation wieder zu finden, die ihr über eine längere Zeit eine hohe Involviertheit abverlangt: (62) C: Ich habe da so meine Lieblingsspiele und so, Tombraider und so. // I: Ja? // C: Ja also, manchmal spiele ich da meistens mehr so mit Waffen Spiele, so meistens, oder Kampfspiele, aber was ich auch gerne mache, ist Autorennen. Das spiele ich auch sehr gerne. Zum Beispiel. Ja, und meistens so in der Richtung, so Autorennen, Kampfspiele und TOMBRAIDER. // I: Ach so?] // C: [Ich mag die Strategie] einfach. Und die-einfach, man muss halt KÖPFCHEN einsetzen bei dem Spiel manchmal. Denn wenn, manchmal sitzt man drei Stunden vor dem Spiel, wenn man von einem Level einfach nicht weiterkommt. Und, dann MUSS man ja seinen KOPF anstrengen. Also, irgendwann MUSS man ja weiter kommen. Und das macht eben das Spiel aus. // I: Mhm // C: Ja, ich HAB ja alle Spiele von dem. // I: Ach? // C: Ja, außer, also ich habe von Playstation eins da habe ich ALLE Spiele, da fehlt mir nur Teil zwei glaube ich. Und den würde ich SO GERNE haben, weil ich den mal bei einer Freundin gespielt habe. Das Spiel mag ich, aber irgendwie FINDE ich das Spiel nicht mehr ((seufzt)). Ich habe schon bei Karstadt nachgeschaut und so was. Das Spiel ist nicht mehr zu kriegen, wahrscheinlich schon zu alt (2). Ja, und so, manchmal, also wie heißt das, Max Payne. Das spiele ich auch da manchmal. Aber auch manchmal Autorennen ((lacht)), also auch dort, also das spiele ich auch. Aber wenn dann gehe ich manchmal ins Internet. Gucke auf Seiten, so wie google nach oder so, dann gucke ich mir manchmal Stars an, so Fotos oder so ((lacht)). Durch Einsatz eigenen Nachdenkens gelingt es, eine Barriere zu überwinden, die daraus entsteht, dass der Sprung von einem zum anderen "Level" nicht gelingt, man sich als Spieler jedoch gleichzeitig in der Gewissheit wähnt, dass ein "Weiterkommen" unter der Bedingung der Investition von Energie und Hartnäckigkeit im Bereich des Möglichen liegt. Das Fortkommen ist dabei davon abhängig, ob man "Köpfchen" hat, dass heißt, Carola beschreibt hier ein Gefühl, bei dem sich durch den Einsatz kognitiver Anstrengungen am Ende eine Lösung einstellt, die, lässt man sich nicht davon abbringen, eine Art kathartische Wirkung entfaltet. An anderer Stelle beschreibt sie dies so: "Letztens, da war ich im letzten Level, das war so schwer, und da war ich so GLÜCKLICH dass ich das geschafft habe, ich bin so, also ich habe schon richtig Höhenflüge gemacht ((lacht)), so glücklich war ich darüber" (202). Dabei stellt sie bezüglich der Spielmotivation -wenngleich die von ihr genannten Spiele dem Action-Genre entstammenauch nicht auf Prinzipien von Wettbewerb oder Kampf ab, sondern gewissermaßen auf eine Strategie der Hartnäckigkeit, die sich am Ende durchsetzt. Zum Ausdruck kommt damit eine Art geistige Beharrlichkeit, die sich nicht vom eigenen Weg ablenken lassen will. Dass die von ihr favorisierte Spielreihe nicht vollständig in ihrem Besitz ist, beschreibt sie resignativ. Das Nicht-Verfügen über einen Teil erscheint hier wie eine Enttäuschung produzierende Lücke; das Spielerleben ist durch ein missing link unterbrochen; das begehrte Objekt ist nicht mehr zu "kriegen". Gleichzeitig wird hier wiederum ein selektiver Pragmatismus deutlich, was die Zusammenstellung ihres eigenen Medienmenüs angeht: Während sie sich einer konventionellen Einkaufsmöglichkeiten im Kaufhaus bedient, wird sie enttäuscht, weil ältere Produkte dort mit der Zeit aus den Regalen verschwinden. Das Internet selbst ist kein Medium der Handlungserweiterung, hat etwa der Online-Handel zum Erwerb des von ihr gesuchten PC-Spiels für Carola keine Relevanz. Ihre Enttäuschung resultiert daraus, dass sie das Computermedium vorrangig in seinem Potenzial wahrnimmt, sich für den Moment einer symbolischen Welt hingeben zu können, was dann mit hochgradiger Faszination und dem Verfolgen eigener Ziele besetzt ist. Infolgedessen sieht sie sich der Beendigung eines eigenen Projektes quasi selbst beraubt, deutlich daran, dass sie andere Spiele, im Gegensatz zu ihrem Favoriten als eher selektives Spielgeschehen ohne finale Relevanz beschreibt; sie werden eingereiht in das anschließende Ins-Internet-Gehen, um zum sich z. B. Bilder von Popstars anzusehen. Deutlich wird daran erneut der positive Gegenhorizont einer unmittelbaren Gratifikation der Mediennutzung. Neben der bisher deutlich gewordenen subjektiven bzw. selbstbezogenen liegt eine solche Gratifikationserwartung auch in einer sozialen Dimension. Diese zeigt sich beispielsweise in Carolas Überlegung, ob eine medienbedingte Option wie das Schreiben von Emails soziale Resonanz findet; in anderen Worten: Wo die Relevanz medienbedingter Nutzungsmöglichkeiten nicht an eine soziale Referenz gekoppelt ist -auch weil ihre Freundinnen nicht über die notwendige Ausstattung verfügen -stellt sie auch keine Motivation an einer entsprechenden Mediennutzung dar: (87) I: Mhm. Und schreibst du auch manchmal Emails? // C: Öh ((lacht)) Emails nicht. // I: Mhm. Interessiert dich nicht so, oder, weil machen ja viele Jugendliche. // C: Eigentlich nicht SO groß, also weil zum Beispiel meine Freundin die schreibt AUCH keine Emails. Und dann, eine andere Freundin von mir, die BESITZT gar keinen Computer. Ich HÄTTE noch eine Freundin, aber die hat zum Beispiel keinen Internetzugang und so. Also, von daher. Während sich bereits zeigte, dass Carola die Verwendung von Medien in eine Orientierung an affektiven Momenten und ein Erleben sozialer Beziehungsdynamiken einbettet, erfährt dies im weiteren Interview eine Zuspitzung: anschaulich beschreibt sie, wie sie sich aktiv betätigt, verschiedene Sportarten betreibt und mit Freunden unterwegs ist: (113) C: Also ich gehe eigentlich sehr oft mit meinen Freunden auf den Sportplatz, da spielen wir Fußball oder andere Sportarten. Ja, ich unternehme viel mit meinem Freund eigentlich, oder mit meinen Freundinnen, am Wochenende. Vorgesehen. Da gehen wir eigentlich meistens in die Disko, oder haben Privatpartys oder so, veranstalten irgendwas oder feiern Geburtstage nach, wenn jemand Geburtstag hatte, weil wir auch so viele Freunde haben. Die jetzt also im Herbst Geburtstag haben. Also, Oktober und November. Ja, feiern wir jetzt viele Geburtstage jetzt erstmal. Bloß, wenn ich dann Hausarrest habe, weil ich auch viel Mist anstelle, ist ja klar dass ich dann keine Zeit dafür habe ((lacht)). Weil ich dann zu Hause rum sitze ((lacht)). // I: Kriegst du den manchmal? // C: Na ja, also meine Mutter war eigentlich früher immer so locker, und hat alles nicht so ernst genommen. Aber seitdem ich da einmal Stress hatte mit der Polizei, äh ((lacht)) na ja. Da ist eben ja NICHT mehr alles so locker ((lacht)). Na ja. Ist ja dann klar. (3) I: Mhm, macht ihr denn im Freundeskreis auch manchmal was zusammen mit dem Computer? C: Ja, eigentlich schon, also bei meiner Freundin, die, also wie sagt man, wie soll ich das erklären (2), äh, die inszeniert selber manchmal so BILDER am Computer, so Farben, so Hintergründe, und dann schreibt sie irgendwas vorne rauf oder so, oder macht aus Geburtstagskarten selber oder so. So was, aber ihr Computer steht jetzt AUCH meistens aus. Weil sie braucht ihre Freizeit, weil sie sich sehr viel mit ihrer Mutter streitet. Und von daher, also manchmal sind wir auch bei mir, haben dann irgendwas am Computer gemacht, weil wir Internetzugang haben. Sind wir dann bei mir an den Computer gegangen, haben da was gemacht, aber da sich die Freundin von meinem Vater nicht so gut mit meiner besten Freundin versteht, weil sie daran beteiligt war, an diesem Stress mit der Polizei. Ja, äh, deshalb sind sie nicht so besonders gut, miteinander befreundet, ja (2). I: Ah so, und die hat das dann nicht so gerne, wenn ihr da im Internet seid bei deinem Vater. C: Na ja also sie sieht's ÜBERHAUPT nicht so gerne. Das Mädchen. die findet das eher so na ja. Und mein Vater hat ja NICHTS dagegen. Also er versteht sich ja gut meiner Freundin, er mag sie, weil ich kenne sie ja schon-wir kennen uns seitdem wir geboren sind. Und mein Vater kennt ja deren Mutter, genau wie meiner Mutter auch ihre Mutter kennt, die von meiner Freundin. Also wir kennen uns sehr lange schon. Deswegen. Geschildert wird ein hohes Freizeitbedürfnis, das vorrangig auf Beziehungspflege und gemeinsame Aktionismen gerichtet ist, denen ein festes Zeitbudget zugeordnet ist, etwa das dafür "vorgesehene" Wochenende. Neben körperlich-sportlichen Aktionismen und dem Besuch von Diskotheken werden Feiern im privaten Rahmen veranstaltet, die sowohl unspezifisch sein als auch einen konkreten Anlass haben können. Umfassend dokumentiert sich hier ein intensiver Selbstbezug, einhergehend mit notorischer Zeitknappheit: Geburtstage sind so zahlreich, dass sie nicht punktgenau begangen werden können, sondern nachgefeiert werden müssen. Daneben transportiert sich in der Passage eine Orientierung an einer Gemeinsamkeit der Gruppe, einer Anteilnahme und einer personenbezogenen Sorge. Neben gemeinsamen Leidenschaften wird dabei eine Abgrenzung gegenüber dem Alltag deutlich: Es ist ein großes Netzwerk an peers, das scheinbar ununterbrochen damit beschäftigt ist, beisammen zu sein und gemeinsame Rituale zu pflegen. Woran sich Carola in ihrer Darstellung orientiert, ist ein massives Engagement im Bereich von Aktivitäten, die die Funktion freizeitlicher Selbstverwirklichung im Kontext einer Peergroup-Geselligkeit haben. Mit Bezug auf Bohnsack lässt sich dies als im "Dienst einer episodalen Negation der Alltagsexistenz" stehend interpretieren (Bohnsack et al. 1995) , mit der sich die Erfahrungen des normalen Lebensvor allem unter der Woche -durch das Versinken in der gemeinsamen Handlungspraxis bearbeiten lassen. Der Dreh-und Angelpunkt ist dabei die Sphäre gemeinsam verbrachter Freizeit. Dazu gehören auch Erfahrungen von Konflikten mit Institutionen der öffentlichen Sphäre wie der "Polizei", bezüglich der Carola davon berichtet, schon einmal mit ihr in "Stress" geraten und daraufhin mit Hausarrest belegt worden zu sein. Insofern deutet sich bei Carola ein Verhalten an, dass als adoleszenztypische Auseinandersetzungsbewegung mit Formen gesellschaftlich strukturierter Sanktionierungsmechanismen und den damit korrespondierenden Grenzübertretungen gedeutet werden kann. In diesem Zusammenhang ändert sich auch die Beziehung zu ihrer Mutter: ließ diese früher die Zügel "locker", so hat sich dies seit dem Konflikt mit der Polizei geändert, was Carola belustigt und auf diesem Wege normalisiert; insofern deutet sich hier als Resultat ihres nicht nur freizeitbezogenen, sondern vor allem entwicklungsbezogenen Verhaltens das Erleben einer neuartigen Subjekt-und auch Beziehungsqualität an. Die hohe Bedeutung solcher Beziehungsqualitäten im Allgemeinen geht einher mit der Einbindung des Computermediums in eine Orientierung an Möglichkeiten des kreativen sich Ausdrü-ckens. Carola kann kaum rational erklären, was sie und ihre Freundin da tun, es ist eher ein Phänomen bzw. ein Ereignis, was sich abspielt und das man aufführt. Hier deutet sich an, was sich in Passagen zu ihrer "Digitalkamera" (siehe unten) weiter fortsetzen wird: Sie begreift Technik stark als Medium der Gestaltung, das im Rahmen der sozialen Beziehungspflege verwendet werden kann und auch verwendet wird und das sich zum kreativen Selbstausdruck eignet ("Geburtstagskarten selber" machen): Digitale Medien bieten Möglichkeiten zur Verwirklichung eigener Ideen und sind hinsichtlich ihrer Potentiale relevant, die in Relation zu ihrer sozialen Einbindung liegen. Vor diesem Hintergrund bindet Carola -wie schon in vorigen Passagen -die Nutzung des Computermediums daran, inwiefern diese mit einem sozialen Erleben und einer situativen Gefühlslage in Zusammenhang steht. Es hat dann Bedeutung, wenn es mit der Erfahrung von subjektivem Freiraum im Einklang steht, der sich seinerseits mit dem Erleben eines harmonischen Beziehungsgefüges in Wechselwirkung befindet. Was passiert, wenn sich dieses Gefüge negativ färbt, exemplifiziert Carola am Beispiel ihrer Freundin: "Freizeit" wird zu etwas, in dem der Computer auf einmal überhaupt nicht mehr vorkommt und stattdessen "aus" ist. Der kreative Gebrauchswert des Computermediums erlischt in dem Moment, in dem eine signifikante Beziehung getrübt ist, sich z. B. gerade "viel" mit der Mutter gestritten wird. Deutlich wird darin auch das Erleben einer Anfälligkeit für emotionale Befindlichkeiten, die in ihrer Wirkung auf soziale Beziehungen entscheidenden Anteil für das Verfolgen von Handlungsoptionen haben. Was den Computer anbelangt, so kann zwar noch auf einen anderen Ort ausgewichen werden, steht die Zugangsmöglichkeit zum väterlichen PC offen. Allerdings erscheint auch dort wieder als Faktor der Nutzung, dass sich die notwendigerweise daran Beteiligten gut miteinander verstehen. Da die Partnerin von Carolas Vater um die Beteiligung der Freundin an ihrer Auseinandersetzung mit der "Polizei" weiß, besteht hier ein Problem, dass sich die Partnerin und die eigene Freundin missgünstig gegenüberstehen. Dabei geht es offensichtlich nicht darum, dass die Mediennutzung der beiden gemeinsam nicht gerne gesehen wird, sondern um die persönliche Wahrnehmung der beiden Personen untereinander. Erneut wird der Computer damit in ein komplexes Sozialgeschehen eingebunden und seine Nutzung von Carola in ein familiales Beziehungsgeflecht bzw. familienübergreifendes und intergenerationelles Phänomen eingebunden, bestehend aus insgesamt sechs Personen samt ihres jeweiligen Verwandtschafts-bzw. Bekanntschaftsverhältnisses sowie Länge und Qualität der jeweiligen interpersonalen Verhältnisse. Die sich daraus ergebenen Konstellationen, die sich zudem wie eine Mischung aus Sympathie und Antipathie darstellen, erscheinen als zentrale Faktoren, die die Möglichkeiten, sich mit den Medien zu beschäftigen, außerordentlich stark beeinflussen. Wovon sie sich durchgängig abgrenzt, ist wiederum eine außerhalb eines sozial geprägten Erlebniszusammenhanges stehende und zweckfreie Hinwendung zu Medien. Das damit in Verbindung stehende Motiv der phantasievollen und eigenwilligen Aneignung von Medien kulminiert in ausführlichen Passagen zum Umgang mit ihrer Digitalkamera als eines zentralen Bestandteils ihrer Medienpraxis. In diesem Kontext zeigt sich zunächst, dass sie sich eigenständig ein digitales Medium beschafft hat, um kreativ sein zu können, wobei es auch zur Investition eigenen ökonomischen Kapitals kam: Ihre 249 Digitalkamera ("die hat 199 Euro gekostet", 184) hat sie sich von ihrem "Weihnachtsgeld" gekauft, zumal sie "ja an Weihnachten ja auch Geburtstag" hat (186): (190) C: Ja, und da ich viel Geld zusammen hatte, habe ich mir die Kamera geholt. // I: Mhm // C: Also ich mache eigentlich oft Fotos, dann wenn mir manchmal auf Partys sind, oder so. Mache ich dann richtige Fotos. Oder wenn wir draußen sind, irgendwas unternehmen, zum Beispiel schwimmen gehen oder so. Und dann mache ich auch manchmal Fotos. Ja. (2) Ja, und entweder ich drucke die dann aus bei meinem Vater, lade die erstmal runter. Weil dann kann ich die auf meiner Kamera löschen, dann habe ich genug noch frei für meinen Speicherplatz. Aber ich kann auch mit der Filme aufnehmen, mit der Kamera. Also mit Ton, und ich kann sie mir auch ansehen über die Kamera, ich muss nicht erst an den Computer oder so. Ich kann ich sie mir dann auch da ansehen. Bloß dann muss ich immer ganz viel Akku haben eben. Die Batterien müssen geladen sein. Oder ich muss welche holen die eben genug Volt, also eine genügende Volt-Anzahl haben. Deswegen, also manchmal nervt es dann, wenn die Kamera ausgeht und man möchte gerade was ansehen. Das ist natürlich blöd dann. // I: Ah ja. Und, wie viel Fotos hast du schon so gemacht [insgesamt] ? // C: [Oh Gott], ((lacht)), weiß ich nicht, also ich habe noch ein paar Fotos von meiner, ich war mal in einer Mädchengruppe, von der Fahrt habe ich noch viele Fotos, und noch Filme, drei Filme habe ich glaube ich aufgenommen oder so. Ja, von der Klassenfahrt, die ist schon ein bisschen länger her, die war im April, die habe ich alle auf dem Computer schon längst rübergeladen. Dann so, von paar Freunden, die ich mal so gemacht habe Fotos. Oder von meinem Hund oder von meiner Katze. Oder so, da habe ich auch Fotos. Die übergreifende Motivstruktur der hier dargestellten umfangreichen Medienpraxis, deren Merkmal es ist, das Gerät als konstitutiven Bestandteil freizeitlichen Erlebens überall mit hin zu nehmen, bezieht sich auf in einen sozialen Erlebniszusammenhang kontextualisierte Bilder -von gemeinsamen Feiern über Aktivitäten in der "Mädchengruppe" bis hin zu den eigenen Haustieren. Dabei handelt es sich um ein Geschehen mit einem affektiven Involvement, aus dem Carola sich vor allem dann herausgerissen sieht, wenn die gerätemäßige Leistung nachlässt oder ganz versagt. Ihre Medienpraxis wird auf diese Weise an ein den Moment zelebrierendes Erleben gekoppelt, in das sie hier auch technische Probleme einbindet. Tauchen diese auf, folgt ihnen ein situatives Engagement, in dem sich ein Wissen um die Rationalität der Technik dokumentiert, das in diesem Fall aktualisiert werden muss; möchte man "gerade was ansehen" und ist der Akku leer, muss umgehend für Ersatz gesorgt werden. Neben einer Medienpraxis mit hohem Produktionscharakter wird sichtbar, inwiefern ihre Schilderung sich daran orientiert, dass Medienwissen und Medienverwendung ihre ganze Bedeutung in einem subjektiv relevanten Engagement entfalten und eingebettet sind in ein Erleben, das sozial motiviert ist. Weiterhin zeigt sich, dass dieses Engagement auch Lernprozesse in Gang setzt, die auf der Entfaltung eigener Vorstellungen und einem individuellen Selbstbezug basieren: (197) C: Ich hab das mir eigentlich, ich habe mir mal die Gebrauchsanweisung, habe ich mir nur den Anfang durchgelesen ein bisschen. So, weil ich eigentlich ganz gut mit so was klar komme. Habe ich eben SELBER alles einge-eingearbeitet. Ich habe mir selber alles ins Menü, ich wusste alles eigentlich. Die meinten, ich kann es mir leichter machen, in dem ich mir es durchlese. Wusste ich ja auch selber, aber dann dachte ich mir so ja für mich ist es aber leichter wenn ich einfach SELBER ausprobiere. Alles, und dann habe ich eben alles ausprobiert, so, wo was ist, wo ich die Bilder wieder löschen kann. Dann habe ich, manche Sachen habe ich dann doch nicht gewusst, da habe ich mir dann einen kleinen Text durchgelesen. Zum Beispiel ich habe erst nach zwei Monaten erfahren, dass ich ein Video aufnehmen kann. Also, und da habe ich die ganze Zeit gesucht, weil die meinten zu mir "ja du kannst mit der Kamera ein Video aufnehmen" und so, und dann meinten die "lies dir doch mal die Gebrauchsanweisung durch", und dann meinte ich so "nein, ich will es aber selber rausfinden". Und so, und dann habe ich gemerkt, dass es ganz leicht ist, so da ist ein Schalter und ich brauch den nur zur Seite schieben. Und dann kann ich schon aufnehmen. Ja, das habe ich dann nach zwei Monaten erst so rausbekommen ((lacht)). Das zur Kamera mitgelieferte Manual wird nur anfänglich zur Kenntnis genommen, weil "so was" im Prinzip keine Instruktionen erfordert und sich der Umgang damit durch die Beschäftigung mit dem "Menü" erschließt. Im Kontrast dazu steht die Haltung der Eltern, deren Meinung es ist, ein einfacherer Zugang zu den Funktionen der Kamera erfolge auf dem Weg des "Durchlesens" der Bedienungsanleitung. Dass dies so sein kann, ist Carola "selber" klar, dennoch beharrt sie auf einem subjektiveigensinnigen Weg des Ausprobierens. Woran sie sich hier abarbeitet, erscheint wie eine intergenerationelle Differenz im Zugang zu Medientechnologien: Auf der Seite der Älteren steht die Präferenz für ein systematisches Vorab-Erschließen durch das Studium einer Handlungsanweisung, auf ihrer Seite, der der Jüngeren, steht eine zwanglose Herangehensweise. In dieser Situation positioniert sich Carola so, dass sie gerade nicht den Willen ihrer Eltern übernimmt, sondern einen selbstgesteuerten Lernweg verfolgt, der als ihr ureigener erscheint; anstelle des Studiums der Bedienungsanleitung ist es für sie selbst "leichter", die Funktionen "einfach" selber zu erkunden. Das Verfügen über die Möglichkeiten des Gerätes soll gerade allein das Resultat von subjektiven Suchbewegungen sein. So orientiert sie sich hier an einem Aneignungsmodus, der nicht vorrangig einer vermeintlich objektiven Rationalität der Technik entspringt, sondern der an der selbstreferentiellen Hinwendung bzw. eines mimetischen Sich-Anschmiegens an die Technik orientiert ist. Im positiven Horizont steht dabei, sich Funktionalitäten auf eine Weise zu erschließen, die eigengesetzlich und eigenwillig ist und sich dabei von einer Fremdlogik bewusst abgrenzt. Die eigene Zugangsweise wird dabei von der Anderer akzentuiert. Die Bedienung wird sich selber zurechtgelegt, und zwar so, dass dabei eine pragmatische Handlungsfähigkeit entsteht ("wo ich die Bilder wieder löschen kann"); selektiv wird bei Schwierigkeiten wiederum auch die Anleitung zur Hand genommen und ein "kleiner Text" gelesen. Übergreifend geht es darum, für den Moment hand-251 lungsfähig zu sein und das tun zu können, was im aktuellen Relevanzhorizont der Nutzung steht. Damit erinnert Carolas Aneignungsmodus der Kamera an einen technikbezogenen Lernvorgang, den Schelhowe (2007b: 144) folgendermaßen beschreibt: "Man muss nicht verstehen, was passiert und die Systematik erkennen, um die Technik erfolgreich nutzen." Es ist nicht ein rational-technikbezogenes Kalkül, in dem sich situations-und zweckunabhängig -z. B. vor dem Gebrauch -über die Funktionalität des Mediums informiert wird, sondern im Mittelpunkt steht ein situativ befriedigendes funktionales Anwendungswissen. Bestandteil dessen ist es auch, dass es Carola egal bzw. irrelevant ist, ob sich ihr auf diese Weise eine mögliche Funktion -"ein Video aufnehmen" -erst Monate später erschließt, wichtig ist allein, dass sie es selber "rausbekommen" hat. Sie will, das dokumentiert sich hier, gar nicht unbedingt wissen, was man mit der Digitalkamera alles machen kann, das heißt das Verfügen über ein breites Spektrum an Funktionen ist nicht ihr Ziel -entscheidender ist es, wozu eine jeweilige Funktion innerhalb tatsächlich aktualisierter und aktualisierbarer Situationen nützlich ist. In diesem Sinne erweisen sich ihr einmal erschlossene Möglichkeiten im Nachhinein als fast trivial -für eine Videoaufnahme ist lediglich ein "Schalter" zur Seite zu schieben. Auf diese Weise dokumentiert sich erneut Carolas Orientierung am Aufbau eigener Handlungskompetenz in Abgrenzung zu vorgegebenen Wegen bzw. die Emergenz einer eigenen Verwendungsweise von Medientechnologie abseits vorgezeichneter Strategien. Bedingung dafür ist, dass dies im Dienst der Verwirklichung eigener Vorstellungen steht, welche einen Bezug zur eigenen Person und zu kreativen Optionen implizieren, wie sie am Beispiel der Fotos weiter exemplifiziert: (225) C: Also wenn ich zum Beispiel Fotos ausdrucke, also natürlich mit einem Farbdrucker, hab ich bei einer Freundin gemacht, dann, also, soll-muss es auch eine besondere zum Beispiel Qualität haben. Also, nicht dass das irgendwie verschwommen aussieht, dass da die Augen irgendwie so schwarz sind dass man die gar nicht erkennt oder so. Also, die Farbqualität muss schon gut sein. Würde ich mal sagen. Nicht dass das dann irgendwie so grünlich ist, wenn es eigentlich gelb sein soll. Oder, weil es ja oft vorkommt, weil man zum Beispiel auch vom Handy ein Foto kopiert oder so. Weil die Qualität dann nicht so gut ist, dass das Bild nicht so toll aussieht eben. Also ich muss schon sagen, die Qualität muss gut sein, wenn man Fotos ausdruckt, das ist mir eigentlich wichtig. Weil, sonst bringt das Foto ja nichts, wenn man sich es dann nicht anhängen will. Wenn man es dann nicht erkennt, was soll es dann bringen? Die Materialisierung der eigenen Fotos ist ein Prozess, der an vielfältige ästhetische Kriterien gekoppelt ist: So werden die Bilder "natürlich" nicht in Schwarz-Weiß hergestellt und müssen sich durch eine herausragende Bildbeschaffenheit auszeichnen, soll das Motiv bis in kleine Details hinein unverkennbar und gut abgebildet sein und soll es außerdem zu keiner Farbabweichung von der Ursprünglichen kommen: Wozu, fragt sich Carola, sollte man überhaupt eigene Bilder herstellen, wenn nicht auf ihre Güte geachtet wird? Es geht ihr, kurz gesagt, um die Verwendung von medientechnisch gestützten Reproduktionsmöglichkeiten, die den eigenen Qualitätskriterien entsprechen. Entscheidend ist einerseits der Effekt, den das Resultat für einen selber hat, zum anderen die phänomenologische Wirksamkeit der selbsthergestellten Bilder in der fantasievoll ausstaffierten häuslichen Nahumwelt. So charakterisiert Carola die Zimmerwände der Wohnung als Orte, an denen die Ergebnisse ihrer Medienpraxis symbolisch repräsentiert werden. Dabei ist wiederum vorrangig relevant, inwieweit es sich dabei um Erinnerungen sozial bedeutsamer Anlässe handelt, wie etwa Feiern, deren Spuren verobjektiviert sind (als "Andenken") und welche ihrerseits schwerpunktmäßig soziale Beziehungen thematisieren ("wo wir alle zusammensitzen"). Die Medien erscheinen als Vehikel, selbsthergestellten Produkten in Form von Bildern eine eigene Note zu verleihen, die die eigene Autorenschaft dokumentieren und den persönlichen Blick ebenso lust-wie wirkungsvoll verkörpern. Neben Prinzipien von Selbstinszenierung und Selbstausdruck geht es auch hier um den Aspekt der Selbstverwirklichung: Der Effekt soll sich dadurch auszeichnen, dass er den eigenen Vorstellungen entspricht, dass er nach außen hin wirksam und sichtbar ist und dass sich die eigenen Intentionen darin widerspiegeln. Bei diesem Zugriff auf den Computer als Mittel zur kreativen Manipulation ist dann auch weniger relevant, wie nun die Software genau heißt ("so ein System"), entscheidender ist der lusterzeugende Ertrag des eigenen Tuns ("voll witzig"). Nicht der rechnergestützte Prozess des Bildbearbeitens steht hier im Vordergrund, sondern die Wirkung, die die eigene kreative Handlungspraxis für sich und die eigene Nahumwelt hat. Zwei Kontrastfälle zu Carola fallen hier ins Auge: Zum einen zum Fall von Andreas, der Bildbearbeitung als eher instrumentell-technische Handlung an Prinzipien von "Löschen", "Rüberziehen", "Wegmachen" oder "Aufbessern" darstellt; zum anderen zum Fall von Sercan, dem dies zur Projektionsfläche von Männlichkeitsfantasien dient. Das Zelebrieren des Moments, die hohe Relevanz das Augenblicks und der situative Pragmatismus zeigen sich schließlich auch darin, dass Carola bezüglich ihres späteren Lebensweges eine vorrangig selektiv-pragmatische Computernutzung imaginiert; hierzu 253 evaluiert sie die Sinnhaftigkeit der Computertechnik vor dem Hintergrund dessen, was sie für den Moment bringt: (101) C: Ja, also ich denke mal, ich weiß nicht, also ich will ja einen JOB, so, ne, Krankenschwester machen oder Arzthelferin. Ich denke mal so, auf einer Seite ist es SCHON sehr wichtig, weil man ja irgendwie den Computer braucht für die ganzen Termine, manchmal tippt man ja darin ein, oder auch, so für diese Krankenscheine und so Zettel, die werden ja daran ausgedruckt. Mit den-eben mit den Anforderungen und so. Irgendwo ist es schon wichtig. Aber früher war es ja auch eigentlich AUCH unwichtig, also die haben halt alles selber geschrieben, also würde es keine Computer geben, eigentlich so schlimm wäre das auch nicht. I: Mhm. Du meinst, man müsste die nicht unbedingt haben. C: Nein, also UNBEDINGT nicht. Aber sie nehmen schon, also wie sagt man, viel der Probleme, die man hat eben, nehmen die schon weg. Also erledigen die einem schon. Bereits ihr allgemeiner Zukunftsentwurf -das deutet sich mit der Formulierung "JOB" machen an -führt wenig Unternehmerisches mit sich. Wichtig ist der Computer dann, wenn er eingebunden ist in eine Struktur von "Anforderungen", die der Beruf eben mit sich bringt, z. B. die Erledigung notwendiger Tätigkeiten. Dabei reduziert Carola das Computermedium auf seine Zweckrationalität und platziert es in den Kontext der Bürokommunikation, wo es hilft, Probleme der Arbeitsorganisation zu bewältigen. Auf diese sachstrukturierten Bereiche ist seine Sinnhaftigkeit aber dann auch schon beschränkt bzw. kann sich Carola vorstellen, dass es darin eine Bedeutung in ihrer Berufsbiographie bekommen könnte. Jedoch hält sie die Computertechnik auch für weitgehend verzichtbar, was ihr Vergleich zu "früher" deutlich macht, sodass sie sich die von ihr vorgestellte Berufssphäre auch computerfrei vorstellen kann, ohne dass es hier zu irgendeiner nennenswerten Beeinträchtigung der (Arbeits-)Abläufe käme, im Gegenteil -so "schlimm wäre das auch nicht". Computertechnik erscheint damit wie eine rationale Erledigungstechnik, die einem vorrangig etwas "wegnimmt" und es "erledigt". Über dieses Szenario hinaus, führt man diesen Gedanken weiter, gibt sie einem aber auch nichts bzw. nichts, was ohne sie genauso gut möglich wäre. In Bezug auf die zukünftige Nutzung entwirft Carola damit eine rein pragmatische Technologienutzung im Sinne einer situativen Bearbeitung beruflicher Anforderungen. Deutlich wird an diesem Zukunftsentwurf erneut, inwiefern Carola den Mehrwert computerbezogener Handlungen in Bezug auf einen subjektiven Effekt relationiert: In der Vor-Computer-Ära sind die Menschen auch ohne diesen klargekommen. Das bedeutet: Entscheidend ist nicht die Technik selbst und ihre Möglichkeiten, sondern die menschliche Verwirklichung. Man kann seine subjektiv gesetzten Ziele auch ohne Computermedium erreichen; wichtig ist, dass sich ein Handlungsplan umsetzen lässt, im Zweifelsfall -ähnlich wie Vanessa dies artikuliert (siehe unten) -eben auch unter Verzicht auf Medientechnologie. Vor diesem Hintergrund hegt Carola auch wenig Ambitionen, ihre aktuelle Computermedienpraxis zu verändern oder zu erweitern; genügsam, pragmatisch und auf den Moment gerichtet erklärt sie, es sei "nicht so ihr "Ding", sich da "so richtig reinzusteigern darin. Um das kennen zu lernen. Mir reicht das aus, was ich mache am Computer, eigentlich schon. Ja" (224). Melanie ist 14 Jahre alt und lebt bei ihrer Mutter, seit sich ihre Eltern vor drei Jahr getrennt haben. Ihre Mutter ist von Beruf Apothekerin. Melanie ist Einzelkind, wobei sie diesen Status bedauert ("leider, ich hätte gerne Geschwister", 14). Als Hobbies gibt sie Fernsehen und ihre Haustiere an ("eine Maus und Fische", 19). Zu Beginn des Interviews erzählt sie ausführlich, dass sie anstelle auf die Real-lieber auf eine Gesamtschule gegangen wäre ("weil ich da auch meinen Gymnasialabschluss machen kann", 23), sich allerdings ihr Vater durchgesetzt habe; dieser meinte "dass ich DIREKT meinen Realschulabschluss machen soll" (25). Insgesamt ist sie auf der jetzigen Schule nicht sonderlich zufrieden ("ich fühle mich nicht so wohl (2) ‚aber'-naja", 26). Sie freut sich auf das Ende ihrer Realschulzeit und hofft, danach eine weiterführende Schule zu besuchen ("dann, wenn meine Zeugnisse GUT sind dann möchte ich gerne auf ein Gymnasium gehen", 27). Bei unserem Treffen macht Melanie einen offenen und fröhlichen Eindruck auf mich; sie hatte sich nach eigenem Bekunden sehr auf das Interview gefreut. Freundlich stellt sie am Ende klar, dass sie nach bestem Wissen auf meine Fragen eingegangen ist ("alles was ich erzählt habe stimmt", 523). Relativ am Anfang des Gesprächs berichtet sie davon, dass sie früher häufiger ins Internetcafe gegangen sei; auf die Frage, wieso sich dies verändert habe, antwortet sie: "Weiß ich nicht, wir GEHEN halt einfach nicht mehr ins Internetcafé ((lacht)) // I: Warum? // M: Weiß ich nicht, manche Dinge werden halt WENIGER, und dafür andere WICHTIGER. Oder, es bleibt halt GLEICH, oder es wird halt einfach weniger", 189). Erkennbar wird hier, wie Melanie ihre Medienbeschäftigung tendenziell als eher unspezifische Praxis betrachtet ("Dinge"); etwas, das sich eher beiläufig ereignet und dessen Veränderung in der Rangskala des persönlichen Erlebens eher erlebt als aktiv konstruiert werden. Angesprochen auf ihren ersten Kontakt zum Computermedium bettet sie dieses in eine familiäre Situation ein, in der das Medium von ihr vorgefunden wird bzw. in ihren Lebensverlauf mehr oder weniger einfach so eintrat: (48) M: Also FRÜHER, da haben meine Eltern, die sind jetzt getrennt, früher, wo die noch zusammengewohnt haben, dann hat mein Vater einfach mal den Computer gekauft, und das war's schon. Da war ich schon neun oder so, und da hab ich angefangen, da wollte ich auch mal am Computer gucken, und was da so GEHT und so, und die TASTEN haben mich irgendwie fasziniert ((lacht)). Keine Ahnung wieso, aber dann wollte ich einfach mal GUCKEN und dann hat mein Vater mir das gezeigt und, ja und seitdem tu ich den Computer nutzen. Die Emergenz des Computers in ihrem Lebensverlauf ("war ich schon neun") relationiert sie zu einer ungerichteten Faszination für die phänomenologische Gestalt des Gerätes und eines ebenso ungerichteten Interesses für die damit verbundenen Möglichkeiten ("was da so GEHT"), was -in Bezug auf die von ihr geschilderte Herangehens-255 weise -an eine Art kindliche Begeisterung für das Betätigen bzw. Drücken von Knöpfen erinnert, wobei die Motivation dazu sich beinahe aus dem Nichts ergeben hat. Dieser Prozess ist insgesamt eher diffus, sodass sie ihn nicht exakt beschreiben kann. Insofern schwankt Melanie zwischen einer konkreten Situation, den Computer vorzufinden und einer neugierig-begeisterten, gleichzeitig aber auch unspezifisch-momenthaften Herangehensweise an dieses Artefakt. Ein solcher pragmatischer Zugriff auf etwas Vorgefundenes zeigt sich auch darin, dass sie erzählt, gerne die computerseitig voreingestellten Spiele zu spielen, und zwar Solitair ("ich liebe am Computer Solitair zu spielen" (125) und Minesweeper ("ja ich spiele eigentlich nur DIE beiden" 127), wobei sie Spielen als Zeitvertreib und Randbeschäftigung kennzeichnet ("also in letzter Zeit habe ich keine, weniger Zeit, aber wenn ich Zeit HABE (2) zum Beispiel am Wochenende abends oder so (2) dann spiel ich schon, dann mach ich den Computer an und dann spiele ich. (4) Aber auch nicht OFT jetzt, also, das spiele ich nun mal ab und zu", 135). Weder der Computer als solcher noch dessen Applikationen sind für sie symbolischen Kapitalien, die man sich aktiv beschafft oder deren persönlicher Besitz wichtig sind, sondern es geht ihr um einen situativen und lustbetonten Vollzug computerbedingter Möglichkeiten, der sich jenseits eines strategisch-instrumentellen Handlungskalküls bewegt. In dieser Orientierung schildert sie auch ihren Kontakt mit dem Internet als ein Eingehen auf ein Angebot einer massenhaften Vielfalt von Optionen, aus der sie selber, wiederum entlang der eigenen Neugier und dem eigenen Interesse, auswählte: "Ja also mein Vater meinte auch zu mir "kannst ja mal gucken, da gibt's sehr-also TAUSENDE von Seiten, die dich vielleicht interessieren würden." Da meinte ich so "ja, kann ich ja mal MACHEN." Und dann bin ich das erste Mal ins Internet gegangen ‚und hab so geguckt' (53). Eine Selektion aus den "TAUSENDEN" Seiten, von denen sie berichtet, war ihr persönlich überlassen: Ob und wie sie die Einladung des Vaters annahm, erinnert sie hier als selbstgesteuert und an ein subjektives Bedürfnis gebunden. Im positiven Gegenhorizont steht hier, sich medienbedingte Handlungsoptionen nach eigenem Belieben anzueignen, im negativen Gegenhorizont steht das Vorhandensein einer Verbindlichkeit, Medien zielgerichtet oder funktional zu nutzen. Die digitalen Medien sind vor dem diesem Hintergrund eine eher unspezifische Ressource, der sie sich je nach eigener Ermessenslage und situativer Intention bedient. In der sich darin verdeutlichenden Orientierung werden von ihr auch Anlässe der Mediennutzung einer momenthaften Gelegenheit oder einer örtlichen Gegebenheit zugeschrieben ("also wenn Freunde von mir sagen, "lass mal ins Internetcafé gehen" oder so, dann geh ich natürlich MIT, aber sonst nicht. Oder in der Bibliothek, wenn ich da mal am Computer bin, dann geh ich da AUCH ran", 54). Entscheidend für ihre Mediennutzung ist, ob diese einem augenblicklichen Bedürfnis entspringt und sich situativ bequem enaktieren lässt ("ich habe ja einen EIGENEN Computer, da brauche ich ja nicht extra RAUS gehen, ins Internetcafé oder so", 55). Auch die generelle Verortung des Computers in ihrem Alltag wird von Melanie einer Zeitlichkeit zugeordnet, die sich daraus ergibt, dass sie den Großteil des Tages als computerabstinent darstellt ("also, ja eher abends, weil ich tagsüber immer DRAUSSEN bin, da habe ich eigentlich immer nur ABENDS dafür Zeit oder am Wochenende, wenn ich so mal, na ja (2) oder nichts zu tun hab, also, ja", 65). Neben der Lokalisierung des Computers in bestimmte Zeit-räume ist das Medium selbst -ähnlich wie bei Carola -eher nebensächlich oder ein Lückenfüller bei fehlenden Alternativen. In den ihr bedeutenden Handlungsarenen hat der Computer dann auch nur geringe Priorität und ist anderen Dingen untergeordnet ("Shoppen ((lacht)). (2) Freunde treffen, Familie und, äh (3) was man eigentlich so macht. Wenn irgendwo eine PARTY ist, dann gehe ich auf eine Party", 71). Auch bei ihrer Beschreibung der Computernutzung am Wochenende wird sichtbar, wie Melanie die Verwendung des Mediums vorrangig entlang der eigenen Gefühls-und Stimmungslage perspektiviert: (67) M: Nee, also (2). Es kommt manchmal so drauf an, manchmal gibt's so Tage bei mir, wo ich kein Bock hab raus zu gehen, ja und dann bleibe ich in meinen Schlafanzug und so ((lacht)) und dann geh ich auch mal an meinen Computer. Ihre Computermedienpraxis vermittelt sie abhängig von einem subjektiven Befinden; sie gestaltet sich jenseits von zu erfüllenden Verpflichtungen und in selbstbestimmten und privaten Situationen, wobei der Computer eingereiht wird in maximal selbstgewählte Formen der Beschäftigung und des Zeitvertreibs. Vor diesem Hintergrund erwächst ihr der Mehrwert des Computermediums hauptsächlich daraus, dass sie ihn überhaupt nutzen kann: (73) M: Eigentlich SCHON wichtig, weil man da schon Dinge SUCHEN kann, wie jetzt zum Beispiel, äh was für Arbeiten gibt oder so, dann kann ich da mal GUCKEN oder so, ob da irgendwas für mich ist. Also das ist schon auch wichtig, aber wenn's nicht geben würde, würde ich halt in ein ((lacht)) Internetcafé gehen. Entscheidende Funktion des Mediums ist es, Mittel zur Findung von Angeboten zu sein, die einen subjektiven Selbstbezug ("für mich") implizieren. Ihre Medienpraxis erklärt sie damit zu einer Option, die sie dann sinnvoll findet, wenn sie sich bedürfnisgesteuert realistischerweise lohnt. Insofern entsagt sie sich hier auch Potentialen eines eigenen Computerbesitzes und einem Interesse, eine eigene technische Infrastruktur selber zu gestalten. Zum Ausdruck kommt damit das genaue Gegenteil einer etwa possessiven Haltung. Wichtig ist lediglich der allgemeine und grundsätzliche Zugang zum Internet und damit ein selektiver Gebrauchswert, nicht ein Haben-Wollen oder Gestalten-Wollen eines eigenen Gerätes. Diese pragmatische Orientierung zeigt sich auch darin, dass sie das sich Zueigenmachen von Möglichkeiten des Computers anstelle einer Erweiterung technikgestützter Handlungsspielräume eher als kurzzeitiges Einweisen in handlungspraktische Umgehensweisen im Modus selektiver Demonstrationen von Eingabeoptionen zu einem einfachen Vollzug schildert: (76) M: ((lacht)) Mein VATER hat mir das beigebracht. // I: Mhm. // M: Ja, mein Vater hat mir einfach mal gezeigt, der hat mich auch gerufen "Melanie, komm jetzt HER" oder so. Dann hat er mir das gezeigt, was es da für Tasten gibt, dass ich da nicht raufgehen sollte oder wo ich raufgehen KANN. Ja. // I: Und, weiß der wie das geht? Kennt der sich gut damit aus? // M: Ja, er kennt sich GUT damit aus. Also woher, WEISS ich nicht ((lacht)). Aber er kennt sich schon gut aus, könnte man sagen. Das Zeigen des Vaters ist hier eine rudimentäre Unterweisung in Form einer Möglichkeit, daran anschließen zu können. Deutlich wird daran eine Aneignung des Mediums im Modus der Heranführung -wenn auch keiner besonders intensiven -und einem darauf folgenden eigenen Tun. Es ist ein alltägliches, normales Geschehen ohne Besonderungscharakter oder den Einsatz irgendeines Spezialisten-oder Expertenwissens. In homologer Weise beschreibt sie dies auch für das Internet: (85) M: Das habe ich mit der Zeit gelernt, wo ich-, wo meine Eltern mir das BEIGEBRACHT haben, da habe ich auch gesagt "kann ich mal ins Internet?" oder so. Dann hat mein Vater mir das einmal GEZEIGT und dann habe ich das NACHGEMACHT. Also so, da habe ich mir gemerkt, die Schritte und dadurch konnte ich das dann. I: Mhm. Wenn du sagst, dein Vater hat dir das beigebracht, mit dem Computer so, mit den Tasten und so, was hat er dir denn da alles gezeigt? Was hast du denn von dem alles gelernt? // M: ((Seufzt)) Das ((lacht)) ist eine SCHWIERIGE Frage. Mhm (5) mhm, keine-// I: Kann man nicht so genau sagen? // M: Ja. Geschildert wird ein sukzessiver Prozess, der sich mit der Zeit abspielt und der erneut das Muster von Ermöglichung durch Zeigen enthält. Ebenso deutlich wird wiederum ein selektives Interesse, das dazu führt, dass sich daran eine auf den Moment bezogene lernende Hinwendung ergibt; in dem hier dargestellten Imitationsgeschehen -dem sich "Merken" von "Schritten" -dokumentiert sich ein Aufbau von Handlungsfähigkeit, welche in Einklang mit einer spezifischen Situation steht und die an einem Resultat orientiert ist, das sich aus dieser Situation ergibt. Auch die Relevanz zukünftiger computerbezogener Wissensbestände wird von Melanie in enger Relation zu Situationen beschrieben, die an ihre persönliche Entwicklung gebunden sind: (335) I: Was meinst du denn, wie wichtig ist denn so der Computer für dich für später? M: Also, das kommt drauf an, was ich aus mir MACHEN möchte. Oder, ob ich vielleicht später damit doch etwas zu TUN habe. Oder, in meiner Freizeit, wenn ich jetzt sagen wir mal ausziehe und dann ALLEINE bin, dann möchte ich natürlich SCHON gerne wissen, wie das geht, damit ich mir auch helfen kann. Aber, wenn nicht, dann ist es dann nicht so schlimm. Als Bestandteil von und in Abhängigkeit ihrer weiteren subjektorientierten Biographiegestaltung werden Computerkenntnisse eingebettet in die Frage individueller Selbstverwirklichungsoptionen. Melanie deutet hier die subjektive Sinnhaftigkeit eines weiteren Kompetenzerwerbs an, verpflichtet diese aber sehr deutlich auf das Vorhandensein eines realen Handlungsbezuges. Implizit bedeutet dies, dass ohne einen solchen auch keine Notwendigkeit weiterer Computerfähigkeiten gesehen wird. Ebenso relationiert sie Computerwissen zu ihrer Entwicklung im Rahmen der mit zunehmenden Alter einhergehenden Ablösungsprozesse von der Familie ("ausziehe"), im Zuge derer es sich als nützlich erweisen könnte, um unabhängig von fremder Hilfe sein zu können. Deutlich wird, dass es ihr nicht darum geht, computerbezogene Handlungsoptionen zu erweitern, sondern sich selbst "helfen" zu können, in anderen Worten: pragmatisch Computerschwierigkeiten zu beheben, also einen Status quo wieder herstellen zu können, ohne sich eingehender damit zu beschäftigen und etwaige Computerkenntnisse zu vertiefen oder zu verfeinern. Sich im Zweifelsfall und auf sich allein gestellt nicht von der Rationalität des Mediums überwältigen zu lassen oder davor zu kapitulieren ist allerdings seinerseits nicht sehr wichtig, ein Rückgriff auf externe Hilfe undramatisch ("nicht so schlimm"). Darin dokumentiert sich erneut eine Relevanz von Computerwissen in Anlehnung an tatsächliche Situationen und wenig Anspruch auf eigene Expertise. Diese pragmatische Zukunftsoffenheit spricht auch aus ihren persönlichen Zukunftsentwürfen, die sich ihrerseits an der Idee orientieren, etwas nach eigenem Willen werden zu können: (331) M: Ich will gern, also VIELLEICHT Pharmazie studieren, also dass ich das werden kann. Oder, wenn ich nicht GUT genug dafür bin ((lacht)), dann würde ich gern pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte werden. Also, in der Apotheke halt arbeiten. // I: Mhm // M: Oder WAS mich auch interessiert: MODE. Mode interessiert mich. Aber das ist schon schwer, erstmal einen Laden überhaupt zu finden, der das auch FÖRDERT oder wirklich richtig damit was zu tun hat. Oder Anwalt, Anwältin. Was sie sich vorstellt, ist ein breites Spektrum an Lebensperspektiven, die aber (noch) kontingent sind. Als handlungsleitend erscheint hier das Vorhandensein eines eigenen Interesses zur Umsetzung der späteren Lebensgestaltung, die zwar auch die Möglichkeit eines Scheiterns beinhaltet, in der aber die persönliche Entwicklung sich vor strukturelle Erfordernisse, z. B. des Arbeitsmarktes, schiebt. Ähnlich, wie sie bereits die Bedeutung allgemeiner Computerkenntnisse eingeschätzt hatte, äußert sie sich auch zu computerbezogenen Fähigkeiten im Kontext beruflicher Erfordernisse entsprechend gelassen. Sich mit dem Computer auszukennen hat keine jenseits einer aktuellen Situation liegende Relevanz. Eine computerbezogene Handlungsfähigkeit wird sich mit der Zeit quasi automatisch einstellen -sie ergibt sich on the job: (337) M: Ach, also ich meine, als Anwalt, als Anwältin, braucht man schon Erfahrung. Aber ich meine das LERNT man ja mit der Zeit auch, oder Modedesignerin, das muss man halt die Schnitte ausrechnen so am Computer. Aber, das lernt man. Während sie Computerwissen innerhalb der beruflichen Sphäre als eine notwendige und hinzunehmende Bedingung ansieht, der man sich zwar zu stellen hat, die man gleichzeitig aber auch auf sich zukommen lassen kann, erscheinen ihr weitere computerbezogene Handlungsoptionen darüber hinaus -im privaten Bereich -einerseits diffus ("äh, das ist 259 eigentlich eine schwierige Frage", 345), andererseits aber auch wieder "interessant" (346), allerdings nur, wenn diese ein individuelles Projekt der Erfahrbarkeit der eigenen Handlungsfähigkeit mit anschließendem Erfolgserlebnis sind: Jenseits von funktionalen oder Statuserwägungen orientiert sich Melanie hier an einer Antizipation eines Könnens, das ganz auf sich selbst bezogenen und auf ein affektives Moment gerichtet ist. Im Orientierungsrahmen dieses selektiven Pragmatismus beschreibt Melanie auch den von ihr besuchten ITG-Unterricht. Dort wurden am Computer hauptsächlich "Bewerbungen geschrieben, mhm ja Tabellen, (3) einfach SO geschrieben, (2) ja, das haben wir eigentlich gemacht" (150). Bezüglich des Ertrags des Unterrichts ist es wiederum der pragmatische Nutzwert, etwa im Bereich Textverarbeitung, dem Erstellen und Layouten von Dokumenten oder der Erscheinungsweise des Schriftbildes, den sie als relevant für ihre eigene Computermedienpraxis kennzeichnet: (150) M: Eigentlich-(1) das mit den TABELLEN hat mir geholfen, als wir das-oder zum Beispiel, mhm FARBIG, oder in verschiedenen (2) mhm also (2) die SCHRIFT anders, das hat mir SCHON geholfen, weil ich das vorher nicht wusste. (2) Also zum Beispiel so BUNT und dann so SCHRÄG oder so. Ja, das hat mir geholfen. Aber der Rest hat mir eigentlich NICHT geholfen. Zum Ausdruck kommen hier ein betontes Selegieren von Inhalten der schulischen Medienbildung und die Trennung in Verwendbares und Unnützes. Insofern evaluiert Melanie den ITG-Unterricht weniger hinsichtlich eines Ermächtigungs-oder Erweiterungsgedankens, sondern eher hinsichtlich eines real-praktischen Handlungsbezugs. Ein solcher real-praktischer Handlungsbezug zeigt sich auch in ihren Schilderungen zu ihrer häuslichen Schreibpraxis am Computer, die sie sogar "häufig" (120) betreibt: (121) M: Ja zum Beispiel, wenn wir Hausaufgaben haben oder so, dann schreibe ich das erstmal VOR mit dem Computer oder so, dann schreibe ich das AB. Oder ich schreib einfach SO, wenn LANGWEILIG ist, dann gehe ich einfach an den Computer und schreibe irgendeinen Quatsch, egal was, über was mir grad so einfällt. Oder, was ich auch FRÜHER gemacht habe, manchmal so Briefe an meine Freunde geschrieben, aber wirklich kleine. Das Tippen charakterisiert Melanie als subjektiv zugänglicher als manuelles Schreiben. Interessanterweise wird der Computer hier zu einer Vorlage für die anschließende Handarbeit -und nicht etwa umgekehrt. Gleichzeitig ist Schreiben auch ohne äußeren Anlass attraktiv. Es dient, wie bei Carola und Vanessa, der Verobjektivierung einer eigenen Gedankenwelt mittels des Computers als Schreibwerkzeug. Die Inhalte relativiert Melanie zwar ("irgendein Quatsch" und "wirklich kleine"), misst ihnen aber doch auch eine Bedeutung zu, da sie manches davon, was sie aber nicht näher konkretisiert, aufhebt ("speichern"). Der PC erscheint hier als Medium und Speicher von aufgeschriebenen Fantasien und der Schreibprozess unabhängig von einer eindeutigen Funktionszuweisung, z. B. nur für die Erledigung schulischer Aufgaben. Schulbezogene und selbstbezügliche Mediennutzung verschwimmen hier im Modus einer eigenwilligen Verwendung des Computermediums als Werkzeug und als Denkzeug. Bezüglich dessen orientiert sich Melanie zwar auch am praktischen Nutzwert des Computers, den sie darin sieht, dass er eine Rechtschreibkorrektur ermöglicht ("also am Computer, also als ich Praktikum hatte, hatten wir so ein Berichtheft, und da habe ich eigentlich jeden Tag drei Wochen lang IMMER erst am Computer geschrieben, wegen meinen Rechtschreibfehlern und dann habe ich das übertragen", 103). Dieser praktische Nutzwert des Computers ist jedoch nicht alles, denn die Verwendung des PCs als Schreibmedium gegenüber graphomotorischen Aktivitäten schildert sie als lustbetonter; z. B. würde sie Hausaufgaben gerne "noch häufiger" (108) am PC erledigen: Neben dem, dass sie Computerschreiben als Erleichterung wahrnimmt, kann sie kaum erklären, was es ist, was auch den jenseits der konkreten Funktion der Erleichterung erlebbaren Reiz des Tippens ausmacht. Es ist kein rationales Geschehen, sondern eher eine implizite und deshalb nicht benennbare Faszination für einen motorisch-haptischen Prozess, der sich hier dokumentiert. Eben dies zeigt sich auch in der Verwendung des Computers zum bereits angesprochenen Briefeschreiben. Der Umfang dieser Tätigkeit hat sich im Gegensatz zu früher zwar verringert, dennoch zeigen sich auch hier Einblicke in Melanies Orientierungsrahmen: "Wo ich kleiner war, da wollte ich IMMER an den Computer UNBEDINGT, so wegen den Tasten, und, dann, ja, habe ich immer da Briefe geschrieben. (2) "Wie geht es dir?" und "was machst du?" und so" (119 ((lacht)) // I: Ah ((lacht)) // M: ((lacht)). Ja, ich lass mich nicht davon wegdrängen. Ich MACH'S, bis ich es geschafft habe. Beschrieben wird hier ein dreistufiges Handlungsproblem: Eine gesuchte Seite baut sich nicht auf oder es dauert extrem lange oder die antizipierten Angebote existieren nicht. Diesbezüglich schildert sie ein schematisches Vorgehen bei der Umgehensweise mit dem Medium, welche linear und festgelegt gedacht ist und in der, anders ausgedrückt, ein Weg in der Regel zu einem Ziel führt -die Eingabe eines "Wortes" etwa zum Auffinden einer "Homepage". Ist diese schematische Vorgehensweise erfolglos, schildert sie sich auf sich selbst zurückgeworfen. Dann entfalten sich jedoch auch Hartnäckigkeit, Beharrlichkeit und Ausdauer bei der Problemlösung, die ihrerseits jedoch nur bei höchstem subjektivem Interesse relevant sind ("UNBEDINGT"), das heißt wenn das Ziel klar und auch persönlich bedeutsam ist. In diesem Fall dokumentiert sich eine gewisse Standfestigkeit gegenüber technologiebedingten Schwierigkeiten -sie lässt sich nicht "wegdrängen". Dies steht in Zusammenhang damit, dass sich ein geplanter Handlungsentwurf nicht in die Tat umsetzen lässt, wobei entscheidende Priorität hat, ob sich das Finden des Medienangebotes verwirklichen lässt. Dieser situative Vewirklichungscharakter von Melanies Mediennutzung dokumentiert sich auch dort, wo sie berichtet, sie habe im Internet nichts über einen Sänger (den us-amerikanischen Rapper Baby Bash) finden können. Diese Situation karikiert sie als einen infolge akuter Schwierigkeiten zugespitzten Zustand der Belastung: (523) M: Dann krieg ich eine Krise ((lacht)) // I: Ach so ((lacht)) // M: Nein, aber, das ist schon doof. Dann muss ich halt die ganze Zeit SUCHEN, dann KANN ich halt nicht auf diese Seite, obwohl ich so gerne auf diese Seite WILL, dann hab ich halt PECH gehabt. Dann muss ich halt auf eine andere Seite gehen. Aber das ist schon doof, weil dann sollten die-, dann sollte diese Seite nicht in der Zeitung stehen oder im Fernseher angesagt werden oder so. // I: Mhm. Wie meinst du das? // M: Ja, zum Beispiel jetzt, zum Beispiel Baby Bash, sagen wir mal MTV.de. Ich KOMME nicht auf diese Seite, dann sollte da schon STEHEN, dass man nicht da IMMER hinkommt, oder, ach, dass man das eben schon VORHER weiß. Und sagen kann "vielleicht lohnt sich das gar nicht, da rauf zu gehen" oder, dass man dann eben halt keine Krise bekommt. Bei der Verwirklichung einer gewünschten Rezeption wird Melanie enttäuscht, obgleich ihr die Erwartung des Auffindens eines bestimmten Angebotes angepriesen wurde und sich infolgedessen ihr Bedürfnis und ihr Willen ausprägten, genau dieses Angebot aufzusuchen. In Reaktion auf das Enttäuschungserlebnis erhebt sie die normative Forderung, dass Medienanbieter aus den Bereichen Print und TV entweder gar nicht erst für dieses Angebot werben oder zumindest auf eine mögliche Beschränkung des Zugangs dazu aufmerksam machen sollten. Darin dokumentiert sich eine Orientierung am Primat einer Befriedigung eines situativen Bedürfnisses, einhergehend mit dem Wunsch, einem aktuellen Begehren, und zwar bequem und direkt, nachgehen zu können. Ebenso deutlich wird Melanies Orientierung an einem Pragmatismus, im Kontext ihrer Mediennutzung an ein Ziel zu kommen. Deswegen, so ihr Anspruch, könne ein die Mediennutzung begleitendes Frustrationserleben dadurch gemindert werden, dass der Nutzer sich erst gar keine Mühe mache bzw. keinen Aufwand betreiben müsse, wenn er wisse, dass sein Wunsch nicht erfüllt werde. Mit ihrer Forderung, es solle keine Wunscherzeugung beim Rezipienten stattfinden, verbindet sich erneut ihre Orientierung an einem pragmatischen Nutzwert des Computermediums und Möglichkeiten eines linearen und direkten Erlebens. Es geht, anders ausgedrückt, um eine sofortige Verfügbarkeit eines Angebotes zur Verwirklichung eines situativen Bedürfnisses. Dabei hat die technische Rationalität selbst wenig bis kaum Relevanz -sie wird nicht in Erwägung gezogen, etwa um sich Besonderheiten oder Schwierigkeiten der Navigation im Internet verständlich oder zugänglich zu machen. Stattdessen fokussiert Melanie, indem sie hier die Schwierigkeiten bei der Navigation als ein Wechselverhältnis von Aufwand und subjektivem Ertrag darstellt, auf Möglichkeiten der augenblicklichen Selbstverwirklichung. Im positiven Gegenhorizont steht hier eine sofortige Bedürfnisbefriedigung, die Einbindung der Mediennutzung in den Moment und eine praktische technische Zugänglichkeit zu Inhalten; im negativen Gegenhorizont steht eine rationalistische Handlungserweiterung jenseits von Momenten der Bedürfnisbefriedigung sowie der Einbezug der technologischen Rationalität des Mediums als Bedingung der Handlungserweiterung. Die in diese beiden Gegenhorizonte eingespannte Orientierung lässt sich auch dort herausarbeiten, wo Melanie Chatten thematisiert. Nachdem sie berichtet hat, "so manchmal zu chatten, aber nicht so oft" (368), verdeutlicht sie, inwiefern sie diese Mediennutzung mit dem Wunsch nach authentischem In-Kontakt-Sein mit einem personalen Gegenüber verbindet: (369) I: Was ist denn das Besondere am Chatten für dich? Also [was-?] M: [Es macht] Spaß. Du kannst, du lernst verschiedene von Leuten kennen, die mal DAHER kommen, mal DA und, die, weiß ich nicht, ihre ANDERE Erfahrung zum Beispiel in der Schule haben oder, einfach so, was die SO machen. Und das ist, ja-[…] // I: Wie lange bist du denn da so drin in dem Chat? // M: Das kommt drauf an. Wenn jetzt wirklich jemand, mit dem ich wirklich schreibe, dann kann es schon mal eine Stunde werden oder so. Dann schreib ich auch wirklich immer mit DEM, mit dieser Person. Wenn ich merke, da ist keiner, der mir, sagen wir jetzt mal so GEFALLEN würde, dann gehe ich auch RAUS. Ich bin ja nicht so süchtig, dass ich chatten MUSS, aber ab und zu schon. Ein selektiver Nutzungsmodus des Mediums und der nur temporäre Zugriff auf den Chat wird hier so beschrieben, dass sich daran ein direktes, quasi-echtes und selbstbezügliches Erlebnis koppelt, dem sich, bei Emergenz einer entsprechenden Erlebnisqualität, durchaus einige Zeit gewidmet wird. Zu kommunizieren hat für Melanie den Stellenwert einer Aktivität, bei welcher sich der Eindruck einstellt, real und authentisch mit jemand anderem in Austausch zu sein bzw. ein Akt, der vom Gefühl der Wirklichkeit des personalen In-Kontakt-Seins mit einem Gegenüber begleitet ist. Deshalb ist diese Nutzungsoption wiederum kein Selbstzweck, sondern auf sie wird pragmatisch zugegriffen, d. h. in Abhängigkeit davon, ob sich der Wunsch nach der Echtheit einer Begegnung verwirklichen lässt. Es geht dabei um ein momenthaftes Sich-Einlassen auf etwas, das mit "Gefallen" verbunden ist und ein Abwägen bezüglich der Mediennutzung, ob sie auch real mit einer tatsächlichen Gratifikation verbunden ist. Diese Gratifikation besteht hier in den Möglichkeiten einer authentischen Erfahrung, die Melanie als in Gefahr sieht, weil ihr bisweilen auch "so Ältere dir auch schreiben und wo du dein Alter sagst und so, die nerven dich dann, das ist schon, ja, das ist doof" (361). Melanies genereller Bezugspunkt ist also auch hier ein mit der Mediennutzung in Verbindung stehendes real spürbares Erleben. An diesem Aspekt orientiert sie sich schließlich auch dort, wo sie elektronische Medien untereinander anhand der Frage evaluiert, ob und wie die Rezeption mit einer direkten Erfahrung in Verbindung steht. Hierzu beschreibt sie Rezeptionsformen von Fernsehen und Internet in Relation zu einem Bedürfnis nach situationsadäquater Teilnahmefähigkeit: (430) I: Du hast vorhin gesagt, dass du jetzt zum Beispiel MTV guckst oder auch im Internet nach Musik guckst, so, [kannst du das nochmal-] M: [JA, also, eigentlich], ja, MTV. Also was ich-, wenn der Star, der einem irgendwie gefällt, genau DA ist, dann krieg ich auch alles mit, was der SAGT und so. Und da finde ich zum Beispiel, der FERNSEHER, also MTV im Fernsehen besser. Aber wenn der jetzt nicht DA IST, oder ich hab das VERPASST und es steht im Internet, DA find ich das dann gut, weil dann kann ich das im Internet gucken. I: Und wo ist der Unterschied, ob du das im Internet machst oder im Fernseher? M: Im Fernsehen kann ich ihn auch noch SEHEN ((lacht)). Ja und da ist ja auch, da steht, da ist ja auch viel MEHR, weil, sagen wir jetzt mal, wenn er Scherze macht und so, sieht man halt alles, und im Internet steht das ja nicht, was der GENAU DA gemacht hat oder gesagt hat. Als positiv vermittelt sie, dass das gewünschte Geschehen im aktuellen Blickfeld steht, sich also eine audiovisuelle Direktheit bei der Medienrezeption einstellt. Es geht ihr um ein Dabeisein bei einem unmittelbaren Ablauf am Bildschirm, der es vor allem erlaubt, Aspekte der personenbezogenen Performance mitzuverfolgen. An dieses audiovisuelle Erleben ist auch das Erfahren von Authentizität geknüpft. Eine dem Fernsehen nachgeordnete, später stattfindende Rezeption des Geschehens im Internet ist zwar möglich, hier entsteht aber -als erste Einschränkung -ein Authentizitätsdefizit und ein Mangel an Unmittelbarkeit. Unter diesem Primat der Unmittelbarkeit ist das Internet deshalb eher zweite Wahl; wird jedoch ihr Bedürfnis nach Unmittelbarkeit, das das Fernsehen bietet, nicht befriedigt bzw. erfüllt es nicht den Wunsch nach einem Erleben, greift Melanie auf das Internet zurück, weil sie hofft, wenigstens dort etwas über ihren bevorzugten Star Baby Bash (siehe oben) in Erfahrung zu bringen: "Weil man ja jetzt so, wenn man Fernsehen oder so guckt, GAR nichts über ihn (1) mehr erfährt, also er macht keine Lieder mehr hier, und ich würde schon mal gerne wissen WARUM (206)". Das Problem, was Melanie hier schildert, besteht darin, dass Baby Bash konventionell via Musikfernsehen nicht (mehr) verfügbar ist; er ist -wie sie es ausdrückt -"wie vom Bildschirm verschwunden" (210). Aus dem daraus resultierenden Bedürfnis nach einer anderen Informationsquelle entsteht das Motiv, sich ins Internet zu begeben ("Und da dachte ich so mal "gehst du mal auf seine Homepage", 210). Allerdings entsteht bei der Internetrezeption eine erneute und somit zweite Einschränkung, denn Inhalte sind neben ihrem Mangel an audiovisueller Erlebnisfähigkeit entweder nicht immer verfügbar ("da STEHT gar nix", 210) oder nicht jederzeit auf dem neuesten Stand: (210) M: Also, wenn ich DA RAUF gehe, dann ist schon vom LETZTEN Jahr noch was und da wurde NIX neu geändert oder so, und das finde ich ‚scheiße'. // I: Aha, mhm. (3) Wie, da ist vom letzten Jahr noch [was] ? // M: [Ja] , zum Beispiel er hatte DANN und DANN bei VIVA einen Auftritt, und das ist aber schon im September oder Oktober oder so gewesen und das steht da IMMER noch und da gibt's nix Neues. Ja. // I: Ach so, und das ärgert dich oder-// M: Ja ((seufzt)). Worüber sich Melanie hier ärgert, ist, dass ein reales Geschehen und eine diesbezügliche Online-Berichterstattung nicht synchron sind. Auf diese Wiese aktualisiert sich auch hier eine Enttäuschung, weil ihre Mediennutzung vor dem Hintergrund eines selektiven Pragmatismus vorrangig an einem Primat der Unmittelbarkeit, einer aktuellen Bedürfnisbefriedigung und der Bestrebung nach einer situativen Verwirklichung einer Authentizitätserfahrung orientiert ist. 265 Ähnliche Merkmale wie die Schilderungen von Melanie und Carola zeigen sich auch in den Darstellungen von Vanessa. Vanessa ist 15 Jahre alt und lebt seit ihrer Geburt in Berlin. Sie wirkt sehr aufgeschlossen, hatte sich z. B. während einer Schulbesuchsstunde sofort für ein Interview bereit erklärt. Sie lebt bei ihren Eltern, die als Zahnarzthelferin bzw. Steuerberater arbeiten. Vanessa hat eine sechs Jahre ältere Schwester, die demnächst ihre Ausbildung beendet; die Art, wie sich Vanessa über sie äußert, erinnert an ein Mischung aus Pragmatismus, Resolutheit und Amüsement; die Schwester wohnt zwar noch zuhause, "aber nicht mehr lange, also wenn sie ihre Ausbildung fertig hat dann muss sie ausziehen. // I: Mhm. // V: Sie wird RAUSgeschmissen ((lacht))" (7). Als ihre Hobbies benennt Vanessa "Fernsehen, vor allem Arztserien" und "Schlafen"; ferner berichtet sie davon, in der Jugendarbeit der evangelischen Kirchengemeinde ihres Wohnstadtteils aktiv zu sein. Bevor das Interview beginnt, wünscht sich Vanessa eine ausführliche Erklärung über Sinn und Zweck meines Forschungsvorhabens, die ich ihr daraufhin gebe. Sie sagt daraufhin "so okay kann losgehen". Nachdem sie über ihre häusliche Computersituation informiert hat (es sind "drei" PCs vorhanden und ihre "Schwester hat eine Verbindung und meine Eltern haben auch eine, also zwei haben wir" (19) berichtet sie gleichmütig, selbst keinen eigenen Internetzugang zu besitzen. Ihr eigener, nicht online-fähiger Computer "na ja steht halt bei mir in meinem Zimmer, also ja, auf dem Schreibtisch" (21). Inwiefern ihr hinreichend erscheint, dass Medien "halt" vorhanden sind, vermittelt sie auch auf die Frage, ob und inwiefern das Computermedium Gegenstand von Gesprächen im Freundeskreis sei: (353) V: Oh Gott, das kommt sehr SELTEN vor. Tja (2) also meine Freundin hat jetzt Internet bekommen. Da habe ich mal so gefragt, also habe ich ihr gesagt, "na ja ich habe KEINS, aber ist ja auch egal, weil meine Schwester und meine Eltern haben welches", und "das reicht ja auch", und dann meinte sie so "ja ja". Na ja, über SOWAS halt, aber sonst eigentlich nichts. Neben einer weitgehenden Exklusion von Fragen der technischen Infrastruktur aus dem Relevanzbereich der Peergroup-Kommunikation signalisiert Vanessa erneut: Man selbst muss einen Internetzugang nicht unbedingt besitzen, es genügt, ihn nutzen zu können. So vergewissern sich die Freundinnen darüber, inwiefern das Medium in der Nahumwelt verfügbar ist, ansonsten rückt es nicht ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Ein kommunikativer Austausch darüber ist "eher selten. Also es gibt ANDERE Themen ((lacht))" (354). Während es von ihr als etwas im Grunde Nebensächliches und mit lediglich selektivem Interesse verbundene charakterisiert wird, beschreibt sie das Medium auch bezüglich ihres Weges zu einer Computernutzerin als etwas Nicht-Konkretes und Verallgemeinertes: (56) V: Ja, wir haben das halt gekauft, und ich wollte halt da was mit für die Schule machen und da habe ich halt immer mal so halt irgendwas so mit ausprobiert. Ja, und dann hatten wir das auch mal in der Schule halt, Internet und halt ITG, in der siebenten Klasse. Und, ja, so bin ich dann dazu gekommen. Die technische Infrastruktur erscheint als ein unspezifischer Gesamtzusammenhang, der sowohl privat, im familiären Rahmen, als auch in Bezug auf die Schule wahrgenommen wird. Den Prozess, angefangen vom Kauf über ein unspezifisches Ausprobieren bis hin zum schulischen ITG-Unterricht, vermittelt Vanessa additiv und als eine pragmatische Herangehensweise, die sich "halt" ereignet. Ähnlich wie Melanie und Carola nimmt auch Vanessa die Medien in Form von etwas Bereitgestelltem wahr, wobei ihr die Intention dieser Bereitstellung eigentlich irrelevant ist: "Gekauft" haben das "Internet mein Vater und meine Mutter, die wollten Internet haben. Tja, warum? Ich habe keine Ahnung, ich habe sie nie gefragt ((lacht))" (61). Bezüglich ihrer Herangehensweise verdeutlicht Vanessa ein zwar beständiges, gleichzeitig aber auch eher ungerichtetes und nebensächliches Tun im Verlauf ihres altersmäßigen Entwicklungsprozesses: Bezüglich ihrer PC-Biographie führt sie aus: (74) V: ((seufzt)) Ja, meine Eltern haben sich halt mal einen gekauft, also WIEDER über meine Eltern ((lacht)), und (2) da habe ich halt auch immer irgendwie (2), das war als ich glaube ich zehn oder so was war, da habe ich auch mal Spiele bekommen, und dann habe ich zuerst mal damit gespielt und auch irgendwie so-. Ja, so halt (3) Deutlich wird ein aus Vanessas Sicht unspektakulärer Ablauf ohne Besonderungscharakter. Wie sie sich die Umgangsweise mit dem PC angeeignet hat, schildert sie als intergenerationellen und intrafamiliären Kompetenztransfer mit selektivem Zuschnitt: (81) V: Äh, also ja, meine Mutter hat mir das gezeigt, weil die auch mit Computern sehr viel bei der Arbeit zu tun hat. (2) Und, ja, so halt. // I: Was macht denn deine Mutter? // V: Sie ist Zahnarzthelferin, und dann halt manchmal muss sie da was am Computer machen, und von daher. Das sich Zueigenmachen des Gerätes gestaltet sich in Form einer Veralltäglichung eines aus der beruflichen Sphäre kommenden Computeranwendungswissens, das anschlussfähig gemacht und zu einer normalen und keine Schwierigkeiten bereitenden Nutzung der Tochter führt. Orientiert an einer solchen Normalbefähigung schildert Vanessa auch ihre anfängliche Herangehensweise ans Internet als Eintritt in eine Sphäre des gewöhnlichen Gebrauchs, in der man sich nach unspezifischen Gegenständen umschaut: "Irgendwie habe ich das halt SO mitgekriegt so // I: Also wie-// V: Ja. Naja, ich bin reingegangen und habe halt irgendwas geguckt halt, was es so alles gibt und sowas, und dann (2) bin ich halt dazu gekommen", 87). Dieser sich bislang bei Vanessa zeigende medienbiographische Pragmatismus mündet in einen ebenso pragmatischen Mediennutzungshabitus, deutlich z. B. daran, wie sie auf eine Nachfrage zu dem von ihr angesprochenen ITG-Unterricht Stellung nimmt: (63) I: Und dann hast du gesagt du hast ITG in der siebenten gehabt? Was habt ihr denn in ITG-V: =Nee, in der achten hatte ich das, also halt wie man eine eigene Homepage erstellen kann. Wie man (2) halt so mit den ganzen Sachen, zum Beispiel mit google oder so was umgeht. Und, na ja das WUSSTE ich zwar schon VORHER, aber ((lacht)), auch ein paar neue Sachen dazugelernt. Anstatt konkreter Inhalte oder Programme erinnert Vanessa unspezifische "Sachen", wobei sie sich hinsichtlich computerbezogener Wissensbestände an einer Dualität orientiert, nämlich dem eigenen Vorwissen, dass sie bereits vorher erwarb und "Sachen", die neu hinzukamen. Die Relevanz dieses neu Hinzugelernten -"ja, wie man so eine Web-, so eine eigene Homepage erstellt, das wusste ich vorher nicht" (65) -und dessen Anwendung bindet sie an eine extrinsische Motivation. Auf die Frage, ob sie dies bereits einmal ausprobiert habe, antwortet sie "Ja, naja, also wir hatten das auch mal in Deutsch, hatten wir so ein (??), das war so ein Projekt, und da sollten wir auch eine eigene Homepage erstellen, und so, na ja, halt" (67). Während sie das Ausprobieren eher passiv und fremdbestimmt vermittelt, sieht sie außerhalb eines schulischen Zusammenhanges keinen subjektiven Mehrwert derartiger Computeranwendungsbereiche, weder in zeitlicher noch in inhaltlicher Sicht ("also zuhause nicht, nee, weil ich irgendwie nie sehr viel Zeit dafür habe, irgendwie. Ich weiß nicht. Ich weiß auch gar nicht was ich da RAUF machen sollte ((lacht))" (69)). Inhalte mit dem Computer im Modus eines technischen Transformations-oder Programmiergeschehens selbst zu bearbeiten, findet sie prinzipiell nicht uninteressant ("vielleicht, na ja ich weiß nicht so, glaub schon", 71), jedoch außerhalb des aktuellen Relevanzbereiches stehend ("im Moment weiß ich das gar nicht ((lacht))", 73). Was sich über diese kurzen Fragmente hinweg dokumentiert, ist eine bejahende Orientierung an generellem Wissen um die Möglichkeiten des Mediums bzw. Prinzipien, mit ihm umzugehen. So artikuliert Vanessa Interesse daran, wie etwa ein Programmiergeschehen (die Erstellung einer Webseite) gemacht wird, das heißt sie konzediert einen Wissenszuwachs durch die schulische Medienbildung, jedoch kaum aktiven Zugriff darauf. Der Computerunterricht ist hier kein Transfergeschehen in die eigene Medienpraxis, sondern hinterlässt computerbezogene Wissensbestände, die lediglich einen Möglichkeitshorizont bilden; im Hier und Jetzt wird wenig praktischer Nutzwert gesehen. Einen solchen praktischen Nutzwert spricht sie auch einem Wissen über die PC-Architektur ab: "In ITG, da habe ich auch was, über das Innenleben des Computers was gelernt. Was ich aber wieder vergessen habe ((lacht))" (83). Anders formuliert: Ein erfolgter Wissenszuwachs aus dem Bereich Hardware sinkt wieder in den Bereich des Nichtwissens hinab -der Gebrauchwert von Computermedien leitet sich aus ihren auf die tatsächliche und unmittelbare Nutzbarkeit gerichteten Verwendungskontexten ab. Einen solchen unmittelbaren Verwendungskontext des Computers schildert Vanessa anhand des Schreibens am Computer für Hausaufgaben. Hier geht es ihr darum, den Computer selbstbezüglich zu nutzen, weil er einfach praktisch ist, ohne sich dabei über die schulische Rationalität hinwegzusetzen: (112) I: Mhm. Also du machst manchmal auch was für die Schule hast du jetzt gesagt. Was ist denn das so? V: Ja zum Beispiel jetzt wenn wir irgendwie zum Beispiel eng-lisch aufhaben, dann mache ich das halt gerne. Schreibe ich das dann damit, schreibe so die Antworten halt alles hin, und ((seufzt)), drucke das dann auch aus. Und dann ist es dann halt fertig ((lacht)). I: Machst du denn häufig Hausaufgaben mit dem Computer? V: Nee, na ja unsere Lehrerin sagt halt immer, das kannste ja dann-dass man das ja dann halt ZEHNMAL ausdrucken könnte und dann haben es ALLE irgendwie. Also sie MAG das nicht so wirklich gerne. Aber, man kann es schon machen. Aber man sollte es nicht zu oft machen. Anstelle der Demonstration, vermittels ihrer Computerpraxis die schulischen Anforderungen erfolgsorientiert zu meistern, erscheint das Medium hier als brauchbare Ressource zur Anfertigung textförmig zu erledigender Aufgaben. Dass es Vanessa dabei um einen Aspekt der unmittelbaren Selbstbezogenheit geht, wird dadurch deutlich, dass sie die Meinung der Lehrerin wiedergibt, die Reproduktionsmöglichkeiten des am Computer Geschriebenen könnten zu einer Unterwanderung der schulischen Praxis beitragen und der Computer werde zum Erfüllungsgehilfen einer Praxis des Schummelns. Zum Ausdruck kommt damit, dass ihre Computerpraxis gewissermaßen in vernünftigen Grenzen prozessieren sollte und dies auch tut, sodass die Ansprüche der Lehrerin nicht verletzt werden, gleichzeitig aber der praktische Nutzwert des Computers dennoch erfahrbar wird. Das Produkt verbleibt bei ihr selbst und ermöglicht ein Erleben, es mittels des Computers "fertig" gestellt zu haben. Dabei ist es der Vorteil des Computers, dass mit ihm unmittelbar und schnell geschrieben werden kann ("Das dauert halt nicht so lange ((lacht)), nicht wie normales Schreiben, 119), wenngleich sie wiederum aus der technischen Rationalität des Computers heraus erklärt, warum sie dies nicht häufiger tut: "Ich weiß nicht, na ja, (3) keine Ahnung ((lacht)). Man muss halt auch erstmal den Computer anmachen und so. Und das dauert dann eben auch wieder länger als wenn ich das gleich einfach SO-(3)" (121). Insofern vermittelt Vanessa ihre Lust zu Schreiben als abhängig von der jeweiligen Lust, sich situativ auf den Computer einzulassen. Ein Zugriff auf Schreiboptionen des Computers, der lustbetont ist und sich subjektiv lohnt, kommt da zum Ausdruck, wo sie, über den praktischen Nutzen für die Schule hinaus über eine private Schreibpraxis am Computer berichtet und auf diese Weise dem Schreiben generell neben extrinsischen auch in intrinsisch motivierten Situationen Bedeutung zumisst. Ähnlich wie Carola verdeutlicht Vanessa dabei, inwiefern dem Medium ein Stellenwert bei der Veräußerung einer eigenen Gedankenwelt zukommen kann. Am Computer schreibt sie "meistens irgendwelche Geschichten die ich mir ausdenke ((lacht)). Mhm, ja so was mache ich manchmal" (125): (378) V: Ja, ich habe halt mal eine Geschichte geschrieben, von Anfang bis Ende durch. Und, das habe ich gemacht. Das liegt jetzt irgendwo in meinem Zimmer. Und dann-das habe ich mal richtig fertig gemacht. Und sonst habe ich halt immer nur ANGEFANGENE Sachen. Die ich irgendwann zu Ende machen will. Kommt es zu einem Einlassen auf den Computer, dann beschreibt sie sich als produktiv, wenn auch nicht immer ergebnisorientiert. Angesprochen auf den Unterschied zum manuellen Schreiben führt sie aus: 269 (127) V: Na ja ((lacht)), also ist das so, also wenn ich gerade irgendwie ANgefangen habe, dann kommt immer MEHR. Und dann schreibe ich und schreibe ich und schreibe ich, und, irgendwie ist das mit der Hand so eine Sache. Dann werde ich immer unordentlicher. Und, das kann man dann nicht mehr lesen ((lacht)). Bei der Verobjektivierung eigener Vorstellungen in Form von Geschichten am Computer zeigt sich, dass Vanessa, kaum dass sie begonnen hat, in eine Art Sog des Schreibens gerät. Dabei orientiert sich ihre Darstellung an einer Gebrauchsform des Mediums, welchem situationsbezogen eine Art eigener Sinn eingeschrieben zu sein scheint, welcher dazu führt, dass sich die medienbezogene Handlung -und der damit verbundene Prozess der Veräußerung von Gedanken -fast verselbständigt. Gerade hierbei entfaltet sich der Mehrwert des Mediums optimal, denn es kommt bei längeren Schreibprozessen zu keiner Verschlechterung des Schriftbildes -erlahmt die Hand mit der Zeit und wird der Text "unordentlicher" ist dies beim Computer nicht der Fall. Deutlich wird damit, inwiefern der Computer ihrer Intention, sich auszudrücken, entgegenkommt, denn seine Verwendung unterstützt nicht nur ein kreatives Potenzial, sondern die "Geschichten" bleiben auch lesbar. Dass sie sich den Computer hierbei im Sinne einer Selbstverwirklichung zunutze macht, zeigt sich auch darin, dass dieses Schreiben eine Art von Privatsphäre bildet, in die dem Interviewer kein Einblick gewährt wird: Die Frage, ob sie erzählen mag, um was für "Geschichten" es sich handelt, weist Vanessa zurück: "Nein, die sind nur für MICH. Ja." (128). Ein ähnlich wie beim Schreiben beobachtbarer pragmatischer Mediennutzungshabitus zeigt sich auch bei Vanessas Schilderungen zur internetgestützten Suche nach Informationen aller Art: (143) I: Wenn du rein gehst, was interessiert dich denn da alles so? Was machst du denn da drin alles? V: Ich gehe halt irgendwie halt (2) manchmal zu google. Da gucke ich was nach, nach irgendwelchen BEGRIFFEN oder so, und, wenn zum Beispiel irgendwas auf ist für die Schule. So, wir hatten jetzt Geschichte, da sollten wir ein Referat machen, und da musste ich halt auch Bilder raussuchen. Von dieser Person da, ich weiß nicht mehr genau. Und sonst, da gehe ich halt NUR unter google, und gucke halt so. Oder halt unter irgendwie anderen Sachen, so, wie von Stars so was irgendwas raussuchen oder so. In von Vanessa dreifach gebrauchten unspezifischen Wortwahl ("irgendwelche, irgendwas, irgendwie") dokumentiert sich, inwiefern Inhalte weitgehend kontingent und in der Regel unbestimmt sind. Gleichzeitig ist ihr Zugriff aber auch zielorientiert und zweckbezogen ("nachgucken" und "raussuchen"). Deutlich wird daran, wie sich Vanessa des Internets auf ähnliche Weise bedient, die Parallelen zu einem selektiven und situationsbezogenen Umgang mit einem Katalog oder einem Lexikons zeigt. Handlungsleitend ist dabei der jeweils aktuell zu befriedigende Bedarf und eine Unmittelbarkeit des Erfolgs, was sie etwas später so formuliert: "Ich gucke das aber immer nur so DURCH, überlege da aber nicht lang, sondern drück' irgendwas. Halt irgendwas was sich irgendwie inte-ressant anhört oder so was", 159). Diesem weitgehend unspezifischen und auf kontingente Informationen bezogenen Zugriff steht jedoch ein weiterer Zugriffsmodus gegenüber, der sich dann einstellt, wenn sich der Gebrauch des Internets auf etwas ihr Bekanntes und mit Interesse Verbundenes bezieht: In diesem Fall wird der ansonsten dominierende Zugriff auf "google" zugunsten eines in die Breite gehenden Rezeptionsgeschehens im Internet erweitert: So rezipiert sie gerne Webseiten von "Christina Aguilera zum Beispiel" (145), wobei es sie interessiert, generell von Stars "irgendwelche Biografien und Texte raus[zu]suchen. So was mache ich auch gerne" (145). Das Medium wird ihr hier zu einer Möglichkeit, sich mit dem Gesamtzusammenhang eines Künstlers zu beschäftigen, vor allen seinen Texten: "Ja, halt ich gucke meistens auf der Homepage erstmal ob es die da gibt, dann drucke ich sie mir AUS. Oder ich geh halt auch woanders gucken, ob es vielleicht woanders welche gibt oder so was. Und dann (2) drucke ich sie mir halt aus dann. // I: Warum? // V: ((lacht)) Na ja ich will sie mir nicht abschreiben" (151). Dabei geht es ihr neben Texten aber auch um mehr, und zwar um Lebensgeschichten, aktuelle Informationen und Konzerttermine ("Ich weiß nicht, also es sind ja nicht nur die Texte, sondern auch irgendwie Biografien und so. Oder was für Neue, also, auch wann die so zu Konzerten kommen. Oder ob es was Neues von denen gibt", 155) -und insofern um den Umgang mit symbolischem Material, was durch Rückgriff auf das Medium der Verwirklichung einer Star-Fan-Beziehung dient. Zum Ausdruck kommt damit eine selbstbezügliche Beschäftigungsform mit mehreren Dimensionen eines subjektiv bedeutsamen Themas jenseits von funktionalen Erfordernissen, an die sich ein gegenüber sonstigen Verwendungsformen intensiviertes Rezeptionsgeschehen koppelt. Dass aber auch bei einem konkreten und auf einen spezifischen Gegenstand gerichteten Interesse pragmatisch mit dem Medium gehandelt wird, dokumentiert sich in einer Episode zu ihrer Internetrecherche nach einem Buch: (160) I: Mhm, und hast du denn bisher immer gefunden was du im Internet gesucht hast? V: Nicht wirklich ((lacht)), also nicht IMMER. Nee, kann man nicht sagen. I: Was war denn das was du nicht gefunden hast, weißt du das noch? V: Ja, also das war irgendwas, ja genau, ich wollte was über Jeanne d' Arc erfahren. Weil, es hat mich halt interessiert. Und da wollte ich halt ein BUCH von ihr. Und wollte halt gucken ob die da halt irgendwo was haben, und da habe ich nichts gefunden. Da waren irgendwelche ANDEREN Sachen. Und die haben mich irgendwie NICHT so interessiert, das war irgendwie alles uninteressant. // I: Mhm, ja, und dann? // V: Dann habe ich mir halt irgendwie was anderes genommen, habe ich so eine Seite gefunden, wo was über ihr Leben draufstand. Und das habe ich mir dann ausgedruckt, und dann war ich ein bisschen zufrieden ((lacht)). So hab ich halt doch was gefunden ((lacht)). Wurde das Internet von ihr zunächst als Verweismedium genutzt -und erschien alles andere als die Angabe zur Verfügbarkeit eines Printmediums als "uninteressant" -stellte sie im Moment des Nicht-Findens ein konkretes Interesse zurück und gibt sich mit etwas anderem "ein bisschen zufrieden". Diese Inhalte aus dem Internet sind eher zweite Wahl, die eigentliche Präferenz gilt dem Printmedium und nur aufgrund eines Nicht-Erfolges einer diesbezüglichen Recherche wird auf Webinhalte umgeschwenkt. Dabei steht die Verwirklichung ihres ursprünglichen Handlungsentwurfes -ein konkretes Informationsbedürfnis nach "Jeanne d'Arc" zu befriedigen -im Mittelpunkt; an diesem wird festgehalten, auch wenn es vermeintlich kein "Buch" über sie gibt. Entscheidend ist für sie, überhaupt etwas zu finden und es sich zu nehmen, sodass am Ende ein Informationsbedürfnis pragmatisch gestillt ist. Während sie an ihrem inhaltlichen Interesse festhält wechselt sie das Medium; höchste Priorität hat, dass der Handlungsentwurf verwirklicht wird. Im positiven Gegenhorizont ihrer Schilderung steht dabei, in jedem Fall an ein Ziel zu kommen und dabei dann auch situativ das digitale Medium nutzen, wobei dem Rückgriff auf etwas Konventionelles bzw. Nicht-digitales tendenziell der Vorrang gegeben wird und die Nutzung von Internetinhalten pragmatischen Zielwertcharakter hat, wenn andere Quellen nicht verfügbar sind. Diesem sich bisher zeigenden pragmatischen Gebrauch auf einer inhaltlichen Ebene der Mediennutzung korrespondiert auch Vanessas ebenso pragmatischer Umgang mit der Medientechnik, sichtbar z. B. dort, wo sie Umgangsschwierigkeiten mit dem Gerät beschreibt: Ihr genereller Nutzungsmodus angesichts von PC-Problemen besteht darin, sich an eine einfache Handlungsanweisung zu halten, die die Eltern ausgesprochen haben: (168) I: Gibt's da Sachen, die dir manchmal Schwierigkeiten machen? Die nicht funktionieren oder so? V: Na ja schon, jetzt irgendwie wenn mal so eine Seite kommt, die ich NICHT angeklickt habe oder so was. Wenn jetzt kommt "bitte klicken sie hier drauf" oder so, das gibt's ja jetzt. Und, da haben mir auch meine Eltern gesagt, dass ich das sofort schließen soll und NICHT darauf gehen soll, falls so was mal kommt. Sonst wird's halt (2) sehr teuer. Und irgendwie kommt man da dann nicht mehr-oder man fängt sich einen Wurm ein oder so. I: Ach hattest du so was schon mal, dass du dir einen Virus oder so was eingefangen hattest? V: Ich jetzt nicht direkt, also ich habe das NICHT fabriziert, sondern meine Mutter. Und da musste halt ein Freund von uns, der ist Computerspezialist, der musste dann halt da RAN. Und hat uns das dann wieder alles in Ordnung gebracht. I: Ach so, mhm, also das ist ein Freund von euch. Und wie häufig muss der dann so kommen? V: Also nicht SO häufig ((lacht)), das war einmal, da hatte meine Mutter irgendwas gemacht, und seitdem heißt sie auch Abstürzius ((lacht)), weil ihr der Computer abgestürzt [ist]… // I: [((lacht))] // V: …und der hat also, dann musste halt so, weiß nicht, glaube so eine neue Festplatte rein, und es war wohl GANZ schlimm. Ich konnte (3) da fast vier Wochen nicht an den Computer ran. Also da HATTE ich noch keinen eigenen. I: Und das hat euer Bekannter da-V: Ja, der hat das dann wieder in Ordnung gebracht so. Das Befolgen einer einfachen und auf das Auftauchen von Popup-Seiten bezogenen Vereinbarung funktioniert in der Regel und Vanessa fängt sich keinen "Wurm" ein. Wird sich, wie im Fall ihrer Mutter, nicht so verhalten, wie es eigentlich richtig gewesen wäre, wird dieser ihre auf den Moment bezogene Unzulänglichkeit in der Computerbedienung auf eine humorvolle Weise zurückgespiegelt -ihr wird ein Kosename gegeben. Deutlich wird an dieser Episode, wie sich Vanessa, jenseits von Fragen technischer Expertise, viel eher auf einer Ebene der sozialen Beziehungen bewegt, die sich infolge des Mediums symbolisch verändern. Während keine eigene Auseinandersetzung mit technischen Schwierigkeiten stattfindet, wird die Handlungsfähigkeit wieder hergestellt, indem sich mit dem Computerproblem auf pragmatische Weise arrangiert wird: Dem Verursachen eines Schlammmassels durch die Mutter, das diese "fabriziert" hat, folgt externe Hilfe und bringt die Situation "wieder in Ordnung". Was in diesem Zusammenhang geschieht, ist ihr weniger wichtig. Sie nimmt vor allem wahr, dass das technische Problem desaströs gewesen sein muss ("GANZ schlimm"), während sich jenseits des Reparaturgeschehens über eine vermeintliche Technikinkompetenz belustigt wird. In einer solchen ganz auf die Verwendbarkeit hin bezogenen Nützlichkeitserwägung beschreibt Vanessa auch ihren eigenen PC: Sie schildert ihn als Objekt, das infolge gestiegenen Alters zunehmend Eskapaden an den Tag legt, ohne dass sie dies grundsätzlich zu stören scheint. Sie besitzt einen noch ihrer Großelterngeneration entstammenden PC ("der ist noch von meinem Opa", 181), welchen sie "irgendwann, naja vielleicht mal" (181) zu ersetzen gedenkt: (183) V: Also meiner hakt halt sehr oft. Also früher ist halt immer so ausgegangen. Das lag aber am Bildschirm halt, da habe ich einen neuen bekommen, jetzt geht's wieder. Und (3) ja, sonst, na ja (2) die Maus funktioniert nicht so richtig, es funktioniert irgendwie ALLES nicht richtig ((lacht)). Und das ist schon manchmal blöd. Und klar, wenn der überlastet ist, stürzt der schon manchmal auch ab und-Ja. I: Was machst du denn dann? V: Dann hole ich meine Mutter und die bringt das dann meistens wieder in Ordnung ((lacht)). Also dann macht sie meinetwegen auf Reset und dann (2) Dem eigenen Gerät wird eine gewisse Eigenlogik zugeschrieben, die zu manchmaligem Ausfall führen kann; auf einfach Weise kann jedoch Abhilfe geschafft werden, in dem eine neue Gerätekomponente hinzugekauft wird, die eine augenblickliche Nutzung wieder ermöglicht ("jetzt geht's wieder"). Im Prinzip vermittelt Vanessa ihren ganzen PC als einen, salopp formuliert, Schrotthaufen, bei dem eigentlich nichts (mehr) einwandfrei funktioniert. Es entspricht der inhärenten Logik seines Alt-Seins, dass ein Zuviel an Arbeitsbelastung eben situativ zum Absturz führt. Anders ausgedrückt: Das gegenwärtige Sosein ihres Computers ist das Datum, das sie hinnimmt und auch hinzunehmen 273 bereit ist, selbst wenn es hin und wieder "blöd" ist. Darin dokumentiert sich erneut Vanessas Orientierung am Computermedium als eines selektiv pragmatischen Gebrauchsgegenstandes, in welche sie auch die eigene Computertechnik einbindet. Auch deren Wieder-in-Gang-Setzen folgt einem unmittelbaren Pragmatismus: Was die Mutter da genau tut, ist wenig bedeutsam -am Ende "funktioniert" es wieder. Entscheidend ist, dass man damit am Ende etwas tun bzw. verwirklichen kann, nicht ob das Artefakt einem bestimmten technischen Standard entspricht, besonders leistungsfähig oder hochwertig ist. Zum Ausdruck kommt damit auch Vanessas implizite Ablehnung eines materialistischen Besitzdenkens, die sich auch an einer anderen Interviewstelle transportiert, wo sie sagt, der Computer sei "halt irgendwie materiell" (111). Insgesamt folgt sie zwar keiner idealistischen Verzichtshaltung, stellt jedoch fest, dass, wenn man vorsichtig damit umgeht, auch etwas Altes durchaus noch gebrauchstüchtig sein kann, wie z. B. ihre alte "Computermaus" (338): (340) V: Ja, die irgendwie, keine Ahnung die rollt nicht mehr richtig. Und das ist halt nicht SO gut. Und da werden meine Eltern auch irgendwie nervös, wenn die das sehen, die sagen halt "wie kannst du nur mit der Maus umgehen?" Na ja, aber, geht, das muss man halt mit LIEBE machen ((lacht)). I: Na ja, du könntest dir ja einfach eine neue kaufen. V: (2) Ja, okay, ich hätte sogar das Geld. Aber ich will irgendwie nicht. Das reicht noch gerade so. Indem sie darstellt, dass das Gerät seinen subjektiven Zweck selbst dann noch erfüllt, wenn eine technische Komponente schon soweit ramponiert ist, dass sich darüber seitens der Eltern bereits echauffiert wird, kommt darin eine eigensinnige, fast nostalgische Züge tragende Beziehung zu einem Artefakt zum Ausdruck, die anstelle technischer Beherrschung eher an eine diffuse Gefühlsrelation erinnert und die ganz auf tatsächliche und reale Handlungsbezüge mit dem Gerät abstellt. Es ist dieser reale Handlungsbezug, der die Computertechnik zum diametralen Gegenteil eines symbolischen Kapitals macht, in das ökonomisch investiert wird, um es z. B. luxuriöser oder höherwertiger erscheinen zu lassen. Dieser auf reale Handlungsbezüge und eine gewisse Genügsamkeit ausgerichtete Habitus transportiert sich z. B. in Vanessas Schilderungen zu einem situativen Gebrauch und einer ebenso situativen Handlungsfähigkeit in Bezug auf ihren MP3-Player: (324) V: Also mein Vater hat mir halt erklärt, wie das geht auf einen MP3-Player draufzuspielen. Und hat das dann mit mir zusammen gemacht. Und das hat er mir dann halt erklärt wie das dann geht. // I: Hast du einen eigenen? // V: Ja. // I: Ach so, und seitdem machst du das dann selber oder-// V: Na ja, also ich habe den zu Weihnachten bekommen. Und da habe ich halt mal was raufgespielt, so 10, 12 Sachen. Und so, wenn ich jetzt mal irgendwelche neuen Lieder draufhaben möchte, dann könnte ich das schon alleine. Aber bis jetzt reicht mir das. I: Lädst du dir denn auch manchmal Musik runter? V: Nein. Also ich nicht, aber das macht ein Freund von meinem Vater, und der gibt mir das dann halt immer. So CDs und so. Also ich frage den immer ob ich das und das haben kann. Und dann klappt das schon. Durch das Zeigen des Draufspielens durch den Vater entwirft sich Vanessa als für den Moment handlungsfähig. Wichtig ist, dass sie Musik hören kann, die Demonstration einer darüber hinausgehenden technischen Expertise oder ein maximales Inventar an Songs sind nicht entscheidend. Äquivalent zur Computertechnik schildert Vanessa nun auch Mediendateien bar jeglicher symbolischer Überhöhung -und damit in maximalem Kontrast etwa zu Sercan; insofern orientiert sie sich hier an einer eigenen Handlungsautonomie und an einem technischen Wissen, mit dem Gerät im Sinne einer Situationsadäquanz umgehen zu können; eine laufende Enaktierung dieses Handlungswissens hat jedoch kaum Relevanz. Es "reicht" für den Moment, wenn sich "10, 12 Sachen" auf dem MP3-Player befinden, darüber hinaus ist nicht von Belang, sich Lieder ständig oder in großen Umfang zu beschaffen (schon gar nicht mittels Download) und ist völlig hinreichend, jeweils für den Moment an der Musiksammlung eines Bekannten zu partizipieren. Eine Nutzung von Medien in Gestalt momenthafter Handlungsvollzüge zeigt sich auch in der Weise, wie Vanessa Formen der kommunikativen Mediennutzung beschreibt. Beispielsweise hat Chatten nur geringe Bedeutung ("gehe ich eigentlich nicht", 197) und wird von ihr als situatives Zufallshandeln beschrieben. Überhaupt zu chatten ergibt sich aus einer Situation heraus, und zwar dergestalt, dass die Klasse infolge einer Vertretungsstunde bei "Frau T.", der "ITG-Lehrerin" "ins Internet manchmal" gehen darf (197) . So beschreibt sie diese Form der Computernutzung als ein Medienhandeln, dass ihr durch eine Vertreterin der Institution Schule ermöglicht wird ("sie erlaubt es uns auch dann", 197) und dass kaum darüber hinausgehende subjektive Relevanz hat. Kommt es im Rahmen einer Vertretungsstunde zum Chat, ist dieser zwar "ganz lustig" (198), hat aber keine konkrete oder personenbezogene Bedeutsamkeit ("ach das ist eigentlich egal. Also das ist mir nicht so wichtig mit wem ich chatte. Hauptsache ich habe irgendwie Spaß und so", 198). Insofern dokumentiert sich eine Chatpraxis, die keine wirkliche ist, sondern etwas, das sich aus einer zeitlichen Gegebenheit ergibt, die eigentlich für andere Dinge (Schulunterricht) vorgesehen ist. Sie ist insofern auch nicht planbar oder absichtsvoll herbeigeführt, sondern findet nur selektiv, im Rahmen eines zufälligen Zugangs zu den Schulcomputern, statt. Vanessa verbindet damit keine z. B. geschlechtsbezogene Positionierung und charakterisiert Chatten auch ansonsten kaum als symbolisch bedeutsame Handlungsform, sondern Chatten ist -in Form eines Überbrückungshandelns im Rahmen einer Freistunde -reiner Zeitvertreib mit momenthaftem Spaßcharakter. Die selektive Relevanz einer Nutzung des Computermediums für kommunikative Zwecke zeigt sich darüber hinaus auch bezüglich des Emailschreibens. Zwar verfügt Vanessa über eine eigene Emailadresse, greift aber nur äußerst sporadisch darauf zurück: "Also ich gucke schon ab und zu mal ob ich welche bekommen habe und dann beantworte ich die auch" (197) . Über diesen nur vereinzelten Zugriff hinaus macht sie die Email als eher unbedeutende Option kenntlich: (213) V: Na ja ich gehe NICHT so häufig in meine, also zu meinem Posteingang, weil irgendwie (2) vergesse ich das dann immer ((lacht)). Und dann sind dann da irgendwelche Werbungen drin ((lacht)). Und hunderttausende Emails die ich noch nicht gelesen habe. Und da habe ich dann keine Lust die zu beantworten. Sich über das eigene Vergessen, den "Posteingang" zu pflegen und die Zusendung diffuser Werbeangebote belustigend hypostasiert sie ihre elektronische Post zu einem Berg, der noch gar nicht abgearbeitet ist. In diesem Abbruch und der damit verbundenen Geringschätzung des Kommunikationsgeschehens -sie "beantwortet" die an sie gerichteten Emails nicht -dokumentiert sich, dass Vanessa dieses rechnergestützte Geschehen nur selektiv von Bedeutung sieht, weil sie andere Formen der Kommunikation präferiert. Dies wird daran deutlich, dass sie das Thema der Kommunikation selbst von digitalen zu nicht-digitalen Formen der Beziehungspflege hin wechselt: (215) I: Und mit wem schreibst du denn so Emails, wer ist das so? V: So eine Freundin, die ist umgezogen, die wohnt jetzt in Griechenland. Und mit der (2) schreibe ich halt manchmal. Aber so in letzter Zeit auch nicht mehr so. Und sonst mit meinen anderen Freundinnen halt die halt nicht in Berlin wohnen. Und sonst eben so AUCH, wenn ich im Urlaub bin halt so Postkarten, und sonst regelmäßig Briefe. Also Emailschreiben ist nicht SO wichtig, mir ist schon VIEL wichtiger Briefe zu schreiben. Weil irgendwie, das mag ich mehr. Da kann ich ein bisschen mehr, und so, ERZÄHLEN als in einer Email. Ein Mehrwert der Email ergibt sich bezüglich ihres funktionalen Gebrauchscharakters, der daraus resultiert, dass Realbeziehungen aufgrund räumlicher Distanz, z. B. durch Umzug ins Ausland, nicht face-to-face gepflegt werden können. Darüber hinaus macht Vanessa eine deutliche Trennung zwischen elektronischem und traditionellem Postweg, wobei sie letzterem den Vorzug gibt und ihn auch kontinuierlich nutzt. Vor diesem Hintergrund vermittelt sie ihre soziale Beziehungspflege als nicht vollständig digitalisiert, sondern sie evaluiert die zwei verschiedenen Schreibmodi hinsichtlich der Überlegung, wie dies mit ihrer subjektiven Intention in Verbindung steht, überhaupt mit ihren Freundinnen in Kontakt zu treten. Hier spricht sie dem Brief Vorteile gegenüber der Email zu, welche aus ihrer Sicht offensichtlich die Möglichkeit bietet, erzählen zu können, anders ausgedrückt: subjektiv über sich zu berichten und sich dem anderen mitzuteilen. Die Email, und damit der Zugriff auf das digitale Medium, ist situationsbezogen nützlich und erfolgt singulär, generell aber steht die Selbstverwirklichung bzw. die Umsetzung eines von digitalen Medien unabhängigen und eher sozial-kommunikativen Handlungsentwurfs für sie im Vordergrund. Im positiven Gegenhorizont steht hier, Potenziale der Medien zu einer Verwirklichung einer eigenen Gedankenwelt zu relationieren. Im negativen, Medien zum Selbstzweck zu nutzen, nur weil sie verfügbar sind. Diese, zumindest ansatzweise sichtbaren, Merkmale einer kulturkritischen Attitüde von Vanessa -dem Modernen nicht um seiner selbst willen den Vorzug zu geben, sondern auf einer Rückbindung moderner Technologien an subjektive Ausdrucksmöglichkeiten zu beharren -macht eine Homologie zur Schilderung ihres Computers augenfäl-lig (siehe oben), welcher antiquiert ist, aber dennoch seinen Zweck erfüllt. Hier wie dort geht es darum, an etwas Traditionellem festzuhalten, weil es im Sinne der eigenen Intention adäquat erscheint: Die Verwirklichung des Handlungsentwurfes wird nicht von der Frage des technischen Mediums her gedacht, sondern umgekehrt fügt sich dessen Verwendung der Überlegung, inwieweit dies der Verwirklichung des Handlungsentwurfs zuträglich ist -oder eben nicht. Dass Vanessa den digitalen Medien nur bedingt -und insofern selektiv und pragmatisch -den Vorzug gibt, zeigt sich auch daran, dass es mitunter ein sozialkommunikativer Zusammenhang ist, der aus ihrer Sicht über das für und wider von Computermedien entscheidet: (221) I: Ja, mhm. Benutzt du denn das Internet auch manchmal für die Schule. Also du hast gesagt, PC zum Schreiben, und jetzt Internet auch für die Schule? V: Ja, wenn wir zum Beispiel in Geschichte, falls wir ein Referat vorbereiten oder eins halten müssen über irgendwas. Oder wenn ich was über jemanden raus finden soll, oder halt irgendwie den Auftrag bekomme, über diesen und jenen was raus zu finden. Dann benutze ich das auch. Und halt, und ich gehe auch manchmal in die Bücherei und hole mir DORT was. Aber, ja, ich gehe ich auch ins Internet. I: Mhm. Für welche Fächer ist denn das dann so? V: Also Geschichte, Deutsch war das auch einmal. Und dann gucke ich halt so, wenn wir irgendwelche Hausaufgaben haben, in Bio oder so was, über die Leber hatten wir mal was. Und da habe ich auch mal meine Schwester gefragt. Und dann bin ich auch ins Internet gegangen. Würde ich auch ins Internet gehen, wenn keiner das wüsste in unserer Familie. I: Wie, wenn keiner das wüsste? V: Ja, meine Schwester ist Arzthelferin, sie WEISS es. Also-Ausschlaggebend ist, unmittelbar und auch unter Verzicht auf das Medium ein Informationsbedürfnis zu stillen, mit dem der "Auftrag" der Schule erledigt werden kann. Indem sie die "Bücherei" akzentuiert, verdeutlicht sich, dass in Bezug auf den Quellenort keine eindeutige Hierarchie erkennbar ist zwischen einem traditionellen und seinen diesbezüglichen Möglichkeiten und einem digitalen. Vanessas Orientierung an einem selektiven Pragmatismus der Mediennutzung verbindet sich hier mit einer Einreihung der Medien und ihrer Optionen in solche Möglichkeiten, sich anderer Mittler -konventioneller Medien und Menschen -zu bedienen. Bezüglich letzterer greift sie etwa auf inkorporiertes Wissen eines Familienmitgliedes zurück; dieser Weg erscheint zudem praktischer, da die "Schwester" über das benötigte Fachwissen verfügt. Der Gang ins Internet ist zwar möglich ("würde ich auch (…) gehen"), muss sich aber auch vor dem Hintergrund anderer Bezüge als sinnvoll erweisen. Das digitale Medium ist hier zwar nicht unbedingt zweite Wahl, seine Möglichkeiten bleiben aber in Vanessas Orientierung tendenziell hinter solchen Möglichkeiten zurück, die ihr ein sozial-kommunikatives Austauschgeschehen bieten können. Diese Orientierung an Medien als Möglichkeit, welche an den augenblicklichen und subjektiven Mehrwert gebunden ist, zeigt sich weiter darin, dass eine Erweiterung ihrer 277 derzeitigen Computermedienpraxis für Vanessa momentan keine Relevanz hat (" ((seufzt)) Oh, na ja (2), jetzt so spontan fällt mir nichts ein (2)", 270); auch sind ihr Möglichkeiten, nähere Einblicke in computerbezogene Umgangsmöglichkeiten jenseits der ihr aktuell bekannten zu nehmen, kaum bedeutsam -hier muss sie lange überlegen, ob ihr etwas einfällt ("(5) Nein, eigentlich bis JETZT noch nicht", 272). Gleichzeitig konzediert sie die Universalität von PC-Kenntnissen, etwa im Kontext einer arbeitsbezogenen Zeitersparnis, und spricht sie sich selbst eine generelle Nutzungskompetenz zu: (253) V: Ich denke mal eigentlich ist es SCHON wichtig. Dass es wichtig ist, weil ich ja auch vielleicht was mit Computern machen will. Und weil ich damit ja auch sehr gut klar komme. Und weil ich denke dass es irgendwie vielleicht auch SCHNELLER geht. Weil in JEDEM Beruf braucht man ja irgendwie Computer und-also denke ich mal. Und ohne Computer würde man (2) vielleicht ein bisschen dumm da stehen ((lacht)). Das Bewusstsein, mit dem Computer bereits "sehr gut" klar zu kommen, verbindet sich hier mit der Vorstellung, dieses Können in Relation zu einer berufsbiographisch ausgerichteten Perspektive einzusetzen. Während sie die Arbeitswelt als grundlegend computerisiert ansieht, argumentiert Vanessa, dass der Computer kein Objekt darstellt, das erweiternde oder ermöglichende Potenziale hat, derer man sich bedienen sollte, sondern dass ohne dieses Objekt die Rationalität der Berufssphäre nicht funktioniert, weswegen "man" "ohne Computer" dort auch handlungsunfähig wäre. Durch ihre Wortwahl "dumm da stehen" wird deutlich, dass es ihr um die Verinnerlichung einer generellen Erwartungshaltung geht, dass man den Computer braucht, obgleich der konkrete Einsatz und ein entsprechendes Wissen kontingent sind. Insofern artikuliert sie hier das Erfordernis einer pragmatischen Grundkompetenz, wobei die Verfügung über Computerwissen für sie kein Selbstzweck ist. Während sie einerseits noch keine klare berufsbiographische Perspektive für sich sieht ("also ich schwanke noch", 255) würde sie am liebsten "was mit Medizin so was" (260) machen, sieht bezüglich dessen aber die Hürde, dass dafür ein formal höherer Bildungsgang erforderlich ist ("da müsste ich studieren ((lacht))", 260). Dennoch vermittelt sie letzteres als einen Selbstverwirklichungsgedanken, der sich, wenn auch formal schwierig umzusetzen, auf das Verstehen eines humanen Zusammenhanges richtet ("zu sehen, woran die Menschen gestorben sind oder so. Das interessiert mich halt", 262). Verknüpft sie diesen Zukunftsentwurf an ein subjektives Interesse, erzählt sie einen alternativen als gebunden an einen situativen Einblick in die Berufssphäre: So kann sie sich als Beruf auch "Anwaltsgehilfin" (263) vorstellen, weil sie derzeit auch ein "Praktikum da, beim Anwalt" (263) absolviert. Daraufhin spielt sie verschiedene Optionen der Computerverwendung in den von ihr vorgestellten Wunschberufen durch. Als Gemeinsamkeit kennzeichnet sie dabei, dass es sich bei dem Erfordernis von Computerkenntnissen um eine notwendige Erscheinung handelt, die sich vor allem über einen zweckrationalen Anwendungsbezug legitimiert: Weil man die entsprechenden Kenntnisse gemäß einer Anforderung wirklich braucht: Im Beruf der Anwaltsgehilfin veranschlagt sie Computerkenntnisse als "SEHR wichtig, weil, was ich da gesehen habe, die sind da ja NUR an ihrem Computer. Und schreiben da alles irgendwie nur mit. Ich glaube das braucht man da sehr viel" (266). Bezüglich einer Arbeit im medizinischen Sektor hingegen relativiert sie Computerkenntnisse tendenziell: (268) V: Ich glaube nicht, weil ich glaube da bräuchte ich eher Kenntnisse über die Menschen. Und über die Krankheiten und so was. Ich meine dass kann ich zwar auch im Internet oder imauch NACHsehen, aber das ist schon besser wenn man das weiß. Und irgendwie in so Büchern stehen hat. Ich glaube DA ist dann der Computer nicht SO WICHTIG. Also so ein bisschen vielleicht irgendwie zum Identifizieren von irgendwelchen Leute oder so. Anders als bei der Büroarbeit unterstützen Computer die medizinische Berufspraxis nur situativ, besser noch wäre, wenn Wissen, zumal bezüglich eines Humanzusammenhanges, inkorporiert oder auf traditionelle Weise in Printform verobjektiviert sei. Computerwissen und Computerhandeln müssen hier situationsadäquat und subjektiv sinnvoll sein. Ein Zugriff auf das Medium ist kein Selbstzweck, hat keinen Vorrang vor konventionellen Wissens-und Handlungsbezügen und muss sich auf seine Stimmigkeit mit dem zu erfüllenden Handlungsziel befragen lassen. Insofern orientiert sich Vanessa erneut am Prinzip einer situativen Perspektive, aus der heraus sich ein Mehrwert einer Computerverwendung aus einem unmittelbaren Verwendungszusammenhang ergibt. Die Relevanz des Computermediums bemisst sich an seiner erkannten Funktion zur praktischen Bewältigung von Aufgaben, auf die, je nach Kontext, verzichtet werden kann. Bei den Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund lassen sich Orientierungen zur Mediennutzung rekonstruieren, die sich darin ähneln, dass sie übergreifend Prinzipien von Selbstbehauptung und affirmativer Einordnung zeigen. Sunay ist 15 Jahre alt und das älteste von drei Geschwistern. Sie hat eine drei Jahre alte Schwester und einen 14-jährigen Bruder. Ihr Vater stammt aus einer türkischen Großstadt, ihre Mutter ist in einer Kleinstadt geboren, beide leben seit über 20 Jahren in Deutschland. Von Beruf ist ihr Vater LKW-Fahrer, die Mutter Hausfrau. Sunay gibt als Hobbies "ins Café gehen", "einkaufen mit Freundinnen" und "Hello Kitty" an. Sie berichtet, einen großen Freundinnenkreis zu haben, sich ständig zu treffen und unterwegs zu sein. Sunay selbst hatte sich bei ihrem Klassenlehrer dafür stark gemacht, für das Interview eine Freistunde zu bekommen und sich damit durchgesetzt. Insgesamt wirkt sie bei unserem Treffen sehr offen und entspannt. Sie trägt lange schwarze Locken und ist sportlich-schick gekleidet. Als ich sie zum Interview in der Schule abhole, verlässt sie das Klassenzimmer unter lautem Johlen der männlichen Mitschüler; bevor wir den Raum verlassen, dreht Sunay sich um und zeigt den Jungen demonstrativ den Mittelfinger. Obwohl sie auf dem Kurzfragebogen angegeben hatte, ein bis dreimal wöchentlich den Computer zu benutzen, sagt sie vor Beginn des Interviews "also Computer benutze 279 ich wirklich nur Notfall" (7) -dass sie hier offensichtlich mit der eigenen Mediennutzung kokettiert, zeigt sich an einer sich im Interview offenbarenden eher umfänglichen Computerpraxis. Auf die Eingangsfrage nach ihrer Medienbiographie beginnt Sunay mit der Akzentuierung einer geschlechtsspezifischen Kompetenz-bzw. Wissenshierarchie und einer nahezu vollständige Abhängigkeit vom Funktionieren der Technik: (16) S: Das war, also meine Eltern haben uns einen Computer gekauft. Und dann habe ich dann halt durch meinen Bruder, der hat halt MEHR Ahnung als ich ((lacht)), der kennt sich mit dem Computer BESSER aus, und dann hat das so langsam mit schulischen Sachen angefangen. Und dann bin ich halt auch öfters ins Internet gegangen. Habe, auch wegen schulischen Sachen auch was nachgeguckt. So bei google zum Beispiel. Und dann war ich immer so Chatten, und halt das war auch unterschiedlich. Aber jetzt ist mein Computer kaputt ((lacht)), und ich kann GAR nix mehr dran machen ((lacht)). Männliche Expertise und eine intakte technische Infrastruktur erscheinen als voraussetzende und begleitende Einflussgrößen ihrer eigenen Medienverwendung. Es deutet sich ein eher technikferner Habitus an, in dem Computertechnik männlich konnotiert ist und die eigene Medienpraxis innerhalb einer davon abgegrenzten Sphäre erfolgt. Diese Sphärentrennung wird Sunay an späterer Stelle aufgreifen, an der sie davon spricht, Computer seien aus ihrer Sicht ohnehin "mehr so Jungssache" (242). Hier ist zunächst entscheidend, dass sie sich als tendenziell nicht-zuständig für technische Fragen erklärt, sondern ihr Handeln in Abhängigkeit von Rahmenbedingungen artikuliert: Ihr Medienumgang erscheint als etwas, was durch heteronome Bedingungsfaktoren ermöglicht wird, ebenso aber auch als Feld, auf dem sie im Sinne funktionaler und kommunikativer Verwendungsszenarien aktiv ist. Sie entwirft sich einerseits als handlungskompetent, andererseits als -angesichts des momentanen Computerausfalls -maximal handlungsunfähig; die Thematisierung eines eigenen Könnens und die Beschränkung dieses Könnens stehen sich hier gegenüber. Dass sie sich gegenüber der Medientechnik tendenziell als nicht-zuständig zu erkennen gibt -siehe hierzu auch Abschnitt 6.3.4 -steht allerdings nicht entgegen, sich eine überaus selbstbewusste Herangehensweise an das Computermedium zu bescheinigen: (32) S: Das ist eigentlich ganz leicht. Man MACHT es halt, okay manchmal macht man eben auch mal ein paar Fehler, aber dann lernt man eben daraus. Und das ist ja eigentlich ganz leicht mit dem Computer umzugehen. Weiß nicht, also wenn man so ein bisschen ein Gefühl dafür hat und (2) WEISS wie man damit umgeht, dann ist eigentlich ganz leicht. Ja. Naja, klar UND durch meinen Bruder, UND durch seine Freunde. Die haben mir das halt öfters gezeigt. Nicht nur ihre Zugangsweise an das Medium, sondern der Computer insgesamt erscheint als keine wirkliche Schwierigkeit, im Gegenteil. Sich selber das Verursachen von "Fehlern" zuerkennend, aus denen "man" als generalisierter Nutzer der Medien dann eben "lernt" vermittelt sie sich als beharrlich und artikuliert ihre Zugangsweise als selbstbewusst und unbeirrt. Durch die Beschreibung ihres Lernprozesses wird sie als jemand kenntlich, der sich beim Auftreten von Problemen oder Irrtümern nicht entmutigen lässt, sondern vielmehr gestärkt daraus hervorgeht. Das prinzipielle sich Zueigenmachen des Mediums vermittelt sie weiterhin entlang einer emotionalen Intuition ("Gefühl") sowie einem damit zusammenhängenden Wissen und sieht sich in diesem Rahmen als durchaus als fähig, das Medium zu benutzen. Sie beschreibt sich auf subjektive Art und Weise als handlungswirksam, bindet ihr Können wiederum auch betont ("klar", "öfters") an eine Ressource in Form männlicher Personen. Übergreifend zeigt sich Sunay als eigenmächtig und kompetent, achtet aber gleichzeitig sehr darauf, als durch andere ermächtigt zu erscheinen. Es ist ihr positiver Gegenhorizont, eine Selbsthandlungsfähigkeit anzuzeigen, die zugleich einen einordnenden Bezug aufweist. Auch weiterhin erscheinen das Wissen bzw. die Erfahrung Anderer als gewichtigen Faktor ihrer eigenen Handlungsbefähigung: (37) S: Na ja, wie das überhaupt angeht, am Anfang, und dann wie ich in die einzelnen Programme reinkomme halt. Ja (2) Neben der Akkumulation von Kenntnissen durch ihren Bruder und seine Sozialkontakte (von denen einer sogar ein formales Bildungsangebot belegt hat) sowie der anschließenden Partizipation durch die Schwester orientiert sie sich auch darüber hinaus an einer Fremdexpertise; dabei fällt auf, in welcher beinahe hochachtungsvollen Art sie die Kenntnisse des "Bekannten" wertschätzt, denn sie attestiert ihm Computerexpertise auf gleich mehreren Ebenen: Er hat formales Wissen, ist für den Herstellungs-bzw. Fertigungsprozess zuständig und unterrichtet über die Umgangsweise damit. Wie bereits zuvor positioniert sich Sunay als ermächtigt durch männliches Familienkapital, von dem sie profitiert, indem sie dessen Instruktionen folgt. Sie schildert hier eine Kompetenz, die einer Verinnerlichung von Vorgaben ähnelt und das Befolgen dieser Vorgaben als eine Art Schutz in eigener Sache deutet. Die Teilhabe an den Kenntnissen des "Bekannten" wiederum beschreibt sie als einen Prozess von Demonstration und Übernahme 281 grundsätzlicher Handlungsabläufe, die feststehend sind. Sie wird befähigt, sich gegenüber Computerschwierigkeiten zu erwehren und erhielt sogar ein entsprechendes Tool. Das Computermedium erscheint wie eine Maschine bzw. Automat, welchen man bei Problemen mittels der Anwendung eines erhaltenen Hilfsmittels wieder in den Griff bekommt. Augenfällig ist ihre Aussage, ihr sei beigebracht worden, dass etwas Bestimmtes nicht passiert, dass ihr also gezeigt wurde, wie man das Computermedium nutzt und es gleichzeitig fehlerlos bedient. Im Prinzip bestimmt sie damit ihr eigenes Lernen ex negativo und als Übernahme von Handlungsvollzügen zu einer schadensfreien Bedienung. Dabei artikuliert sie die Vorgaben anderer als kausalen Einflussfaktor des eigenen Wissens und Handelns, wobei die eigene Handlungsbefähigung in einer abgegrenzten -tendenziell inferioren -Form erscheint, gleichzeitig aber die eigene Befähigung betont wird. Die eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten erscheinen als allgemein und im Prinzip nicht weiter hervorhebenswert, vielmehr als eigene Sphäre, innerhalb der sie sich als kompetent und souverän beschreibt. Demgegenüber verdeutlicht sie ein exklusives und spezielles Wissen und Können jenseist der eigenen Sphäre. Deutlich wird hier eine Differenz: auf ihrer Seite ein einfaches Bedienen-Können durch die Verfügung über ein Wissen bezüglich feststehender Handlungsabläufe, auf der anderen Seite (der des männlichen Bekannten) die Produktion bzw. Herstellung und das Ins-Werk-Setzen der technischen Infrastruktur. Damit orientiert sich Sunay an einem Wissenstransfer von der speziellen, ihr heteronom bleibenden, Sphäre in die eigene, und zwar im Modus eines Imitationsgeschehens, das ein Erleben von Ermächtigung und Befähigung mit sich führt. Der Umgang mit dem Computermedium bedeutet für sie vor diesem Hintergrund ein Vermögen über aus ihrer Sicht leichte Handlungsschritte, die es einzuhalten gilt (etwa das Ein-und Ausschalten oder das Öffnen von Programmen). Eine solche Umgangsweise verortet sie in der ihr zugänglichen Normalität; sie ist Alltagshandeln ohne Besonderungscharakter. Damit spricht sie sich eine eigene Handlungsbefähigung bzw.autonomie zu, die sich zugleich in ein dichotomes und tendenziell hierarchisches Wissens-und Kompetenzschema verortet. Konzediert wird ein eigenes Können, das zugleich seine Situierung in unterschiedliche Sphären von Handlungsfähigkeiten betont, wobei diese Sphären als stabil vorgestellt werden. Zusammengefasst gesagt orientiert sich Sunay daran, sich einerseits innerhalb vorgegebener Rahmenbedingungen zu lokalisieren, andererseits innerhalb dieser funktional und erfolgreich zu sein. An Schilderungen zu Schwierigkeiten beim Umgang mit dem Computermedium, die ein grundsätzlicher Bestandteil ihrer PC-Praxis sind ("Ja ja, KLAR kenne ich auch. Ist mir auch schon mal passiert", 100), lässt sich dies weiter ausarbeiten: (100) S: Dass es irgendwie auf einmal STEHEN geblieben ist. Also da musste ich den Computer noch mal herunterfahren und neu starten. Und, das ist ja AUCH schon aufwändig. Und bleibt der auf einmal irgendwie STEHEN, und dann dauert es ein bisschen bis er wieder so normal wird. Und dann, ja, also es ist schon manchmal stressig also. Auch noch, also wenn man gerade ein Referat macht, also in was richtig vertieft ist, und dann stürzt der auf einmal AB, dann kriegt man ja voll die Macke. I: Ja, mhm, und ja, was passiert dann? S: Ja, dann WARTE ich erstmal, und wenn dann wirklich gar nichts passiert, dann fahre ich den herunter und dann fange ich noch mal von vorne an. Ja, das dauert zwar ein bisschen, aber na ja. I: Hast du denn häufiger mal Probleme mit so was? S: Na ja das ist mir ÖFTERS passiert, aber dann, nach einer Zeit ging es wieder. Und dann ging der Computer irgendwann GAR NICHT an. Dann stand da immer so was, so "Overwrite" oder so glaube ich, wenn ich den angemacht habe. Und dann, wenn ich richtig lange dran versucht habe, dann GING der wieder, und na ja es ist immer unterschiedlich. Also der Computer spinnt auch manchmal ((lacht)). Ja. Auf nicht näher benannte Weise erstarrt das Medium und der Vorgang des Wieder in Gang Setzens erfordert Mühe, Zeit und Energie; es dauert, bis sie den vorherigen Zustand wieder vor sich hat und daraus erwächst -zumal in Arbeitssituationen, die mit der Investition von Konzentration verbunden sind -eine nervliche Belastung. Vor allem letzteres stellt Sunay als Höhepunkt in einer Reihe von Schwierigkeiten dar. Das, was beim Umgang mit dem PC schwierig ist, widerfährt ihr einerseits, verlangt ihr einiges ab und bringt sie in eine eher passiv-reaktive Rolle. Andererseits hat sie einen ganz eigenen Modus gefunden, mit den Schwierigkeiten umzugehen. Anstatt sich gewissermaßen davon unterkriegen zu lassen, richtet sie sich entsprechend ein und behauptet sich: Sie arrangiert sich mit den Eigensinnigkeiten der Technik auf ihre Weise, zumal deren Tücken ihr ohnehin unabänderlich scheinen und hingenommen werden müssen. Funktioniert diese normale Handlungsstrategie des gleichförmigen Nichtstun oder Einund Ausmachen nicht oder hat kein Ergebnis, dann "spinnt" die Technik. Das Nichtfunktionieren liegt im Gerät. Nicht das eigene Unwissen oder Nicht-Beherrschen sind das Problem, sondern die eigensinnige Logik des Mediums. In dieser Umkehrung dokumentiert sich eine Entlastung und eine Wegführung von eigener Insuffizienz -die Situation wird bearbeitet, indem dem Computermedium Irrationalität zugeschrieben wird. Insofern dreht Sunay hier den Spieß um; sie nimmt eine situative Macht der Technik über sie hin und fügt sich ihr beinahe stoisch, andererseits arrangiert sie sich damit. Dem Computer wird Macht über das eigene Handeln zugeschrieben, gleichzeitig wird die eigene Unterlegenheit im Modus des Sich-darüber-Erhebens bearbeitet. Zum Ausdruck kommt darin, wie Sunay ihr eigenes Handeln mit dem Erleben einer Handlungsbegrenzung in Verbindung bringt. Sie positioniert sich als eingebunden in eine Struktur, in der sie das eigene Handeln so ausrichtet, dass es trotz vermeintlichen Ärgernisses über die Struktur Normalität ermöglicht. Während auf diese Weise ein selbstmächtiges Behaupten gegenüber dem Computermedium gelingt, beschreibt sie sich jenseits des Funktionierens normaler Handlungsstrategien partiell als ohnmächtig und angewiesen auf Fremdexpertise, ohne dass ihr dies übermäßig zu einem Problem würde: (109) S: Ja, und sonst, da habe ich dann immer meinen Bruder gerufen, weil DER kennt sich-I: Was war denn das? S: Also, irgendwie (2) ich weiß nicht, kam so eine Meldung "wenn Sie jetzt den Computer nicht ausschalten", halt so (2), äh, "wenn Sie den Computer nicht ausschalten, dann wird was passieren" oder so. Irgendwie so was so, dann wird ein Virus reinkommen glaube ich. Und dann habe ich meinen Bruder schnell gerufen ((lacht)), weil ich war echt in Panik, und dann meinte er, äh, "ja, fahr den jetzt einfach runter, und dann fang noch mal von vorne an". Und das dann-also, da bin ich schon auch in Panik geraten, also da wusste ich überhaupt nicht was ich machen sollte. Aber der hat mir dann weitergeholfen. Und einmal war er NICHT zuhause ((lacht)), da habe ich den einfach ausgemacht, und dann habe ich GEWARTET ((lacht)). Von der Wahrnehmung eines bevorstehenden Virenbefalls bedroht gerät sie außer Kontrolle und erlangt, das Kommando des Bruders befolgend, Handlungsfähigkeit wieder. Diesem bescheinigt Sunay nicht nur die technische Hoheit über das Problem, sondern schreibt ihm auch zu, ihre Gefühlslage beruhigt zu haben. Sich selbst in der Rolle einer affektiv durcheinander Geratenen bzw. Hilflosen und ihren Bruder als Könner beschreibend erhält sie eine Trennung medienbezogener Kompetenzsphären aufrecht und schreibt sie fort: Ohne Bruder macht sie nicht einfach das Gleiche, sondern verhält sich stattdessen (wieder) passiv. Es wird von ihr keine Gleichrangigkeit angestrebt, sondern die Ungleichheit im Umgang mit dem Medium (emotional/panisch versus kompetent/ruhig) wird reproduziert, ein wahrgenommenes Kompetenzgefälle stabilisiert und die Herstellung eigener Handlungsfähigkeit in Abhängigkeit von und Einbindung in eine dichotome Zugangsweise zum Computermedium erklärt. Insofern entwirft Sunay zwei Arten von Handlungsfähigkeiten: Eine männliche, der ein aktiver Part zukommt und eine weiblich, welcher eine Unsicherheit eingeschrieben ist und die im Zweifelsfall vom männlichen Part abhängig ist. In der Art und Weise, wie sie hier das Wiedererlangen von Handlungsfähigkeit durch Inanspruchnahme von Fremdexpertise und die die Befreiung aus einer Problemlage entlang einer Affirmation eines geschlechtsrollenförmigen Wissens-und Kompetenzgefälles schildert, dokumentiert sich eine Art zweiseitiger Habitus: Sich einerseits nicht einschüchtern zu lassen, sich andererseits aber wiederum an einem traditionellen Schema festzuhalten und sich in dieses einzuordnen. Anzeichen einer solchen Behauptung ihres Selbst und die Demonstration einer eigenen Handlungsautonomie, die eng mit einer schematischen Einordnung verbunden sind, zeigen sich weiter, als Sunay von der, eher zufälligen, Rezeption eines Online-Intelligenztests erzählt: (91) S: Ich habe mal einen IQ-Test gemacht ((lacht)). // I: Ach ((lacht) // S: Ja, also da kam irgendwie 100 raus oder irgendwie so was, ich weiß nicht mehr so genau. I: Wo hast du denn den gemacht, weißt du das noch? S: Ja, das war (2) also ich bin gerade ins Internet rein gegangen. Und dann kann da halt die Google-Seite. Und dann stand da "möchten Sie einen IQ-Test machen?" Und dann habe ich das halt angeklickt, und dann kamen da ganz viele Fragen. Das hab ich mit einer Freundin gemacht. Und dann, irgendwann hatten wir aber keine Lust mehr, weil es sind fast ((lacht)), also immer die gleichen Fragen fast gekommen. Und am Ende hatten wir irgendwie 100, oder so was in der Richtung. Und dann meinten wir "na ist ja nicht SO SCHLIMM" ((lacht)), ist wohl durchschnittlich. Geschildert wird eine spaßhafte Verwendung eines Messinstruments zur personenbezogenen Einordnung bzw. Selbstverortung innerhalb einer Gesamtgröße. Über dieses Instrument wird sich von Sunay erhoben -das Ganze ist im Prinzip monoton und gleich bleibend. Anderseits wird das von ihr ausprobierte Selbstverortungsverfahren affirmiert. Es ist nicht "SO SCHLIMM", wenn die Freundinnen das Resultat erfahren, ihre Leistung sei offenkundig "durchschnittlich". Ein Akt des Sich-Vermessen-Lassens mithilfe eines an standardisierte Verfahren angelehnten Instruments zur Ermittlung einer Kenngröße zur Bewertung eines Leistungsvermögens wird spielerisch ausprobiert, verspottet und im selben Moment als normales Bewertungsmuster präsentiert. So unterwerfen sich die Freundinnen hier einer Fremdattribution, verlachen deren Resultat, das heißt erheben sich darüber, machen sich diese Fremdbewertung aber gleichzeitig auch zu eigen. Sie akzeptieren das Resultat und behaupten sich selber, in dem die Rückmeldung, Durchschnitt zu sein, zu einem selbststabilisierenden und tröstenden Akt unter Freundinnen wird. Die kategoriale Einordnung wird auf diese Weise für gültig erklärt und als solche nicht angetastet, stattdessen ins eigene Selbstkonzept bzw. Selbstbild übernommen und zugleich eigene Integrität bewahrt. Eine solche habituelle Bewahrung der eigenen Integrität trotz vermeintlicher Insuffizienz zeigt sich auch bei Sunays Mediennutzung für die Schule. Auch hier dokumentiert sich, wie wechselseitig eine eigene Handlungsfähigkeit demonstriert wird, die zugleich auf eine Einbindung in die diese Handlungsfähigkeit bedingende Struktur verweist: (144) S: Also zum Beispiel Hausaufgaben. Jetzt für BO brauchen wir das auch. Und das gute ist, da ist ja auch gleich diese Rechtschreibkorrektur gleich mit drinne. Und dann mache ich das AUCH manchmal. Und, ja was mache ich noch? Ach ja, wir haben ja Encarta. Das ist so ein Programm. Und dann gucke ich mir da haltda gibt's auch was über Referate, in Geschichte und so. // I: Was ist das genau? // S: Also, das ist ganz unterschiedlich, da gibt's ganz viele unterschiedliche Sachen. Halt so, zum Beispiel (3) Gitarren, wo die herstammen damals. Und dann, über einzelne Personen auch, zum Beispiel Friedrich Wilhelm den Zweiten. Zeigen die dann auch ganz viele Informationen, ist schon interessant. Aber ich habe die CD jetzt verloren ((lacht)). Da muss ich mir jetzt eine neue besorgen. // I: Mhm, was war das [nochmal] ? // S: [Das] hat mein Bruder von seinem Freund bekommen. Das muss man glaube ich, also die zeigen das auch manchmal, wenn man www.encarta.de eingibt, dann muss man das erst mal runterladen. Also nee, nicht runterladen, sondern (2) auf eine Festplatte oder so, irgendwie so was. Und dann, ja, hat man das irgendwie auf einer CD. Also ist eigentlich ganz leicht. Also Encarta ist besser jetzt als Google eigentlich. Weil dann findet man dann auch was man haben will. Weil, da sind dann auch mehr Informationen drin. Mit dem Verweis auf die computerbedingte Erleichterung der Hausaufgaben, den Vorteilen der automatischen Fehlerkorrektur und der Erschließung unterschiedlicher Wis-sensgebiete (von Musikinstrumenten bis hin zu historischen Persönlichkeiten) positioniert sich Sunay als ehrgeizige Schülerin, die lernwillig und bildungsbereit das Computermedium als Hilfsmittel zum Zweck des schulischen Mitkommens und zur Gestaltung von Lernprozessen einsetzt. Gleichzeitig thematisiert sie, der dazu notwendigen Materialisierung verlustig gegangen zu sein. Deutlich wird dabei ihr Orientierung an einem Vermögen, das seine eigene Begrenzung mit thematisiert und kommunikativ durch Selbstbewusstsein bearbeitet. Hierbei zeigt sich erneut, dass sie objektiv gesehen vom Vorhandensein und vom Funktionieren der Technik abhängig ist und signalisiert, dass sie in diesem Bereich kaum über hinreichend eigene Handlungsmacht und Wissensbestände verfügt: Wie die Enzyklopädie nun auf den Computer kommt und damit nutzbar wird -das heißt der Prozess der technischen Materialisierung -ist ihr opak, die Nutzung hingegen erscheint ihr "ganz leicht" und sogar vorteilhaft gegenüber einer Suchmaschine. Anstatt auf einer technisch-formalen Ebene fokussiert sie damit ihre tatsächliche Nutzung auf einer inhaltlichen Ebene, etwa der Informationsrecherche. In den Mittelpunkt rückt dadurch ihre Lernwilligkeit und Bildungsbereitschaft -begrenzt durch beschränktes Funktionswissen -, die innerhalb eines Rahmens verbleibt, was durch Wissensbestände anderer ermöglicht wird. Ähnlich wie Derya vermittelt auch Sunay: sind die Rahmenbedingungen zur Mediennutzung gegeben und stabil vorhanden, beschreibt sie sich als aktiv. Sie macht dabei eine Verwiesenheit auf die das eigene Handeln ermöglichenden Rahmenbedingungen deutlich, gegenüber denen eine Abhängigkeit besteht. Erkennen lässt sich daran eine Einbindung in einen pränormierten Handlungsrahmen, innerhalb dessen sie aber selbstbewusst agiert; etwa partizipiert sie an der Medienkompetenz des Bruders, nutzt das Medium auf ihre Weise und bindet sich gleichzeitig an die technische Expertise anderer. Dass sie überaus aktiv, zielgerichtet und funktional mit Medien umgeht und dies gleichzeitig in einen Rahmen stellt, der geprägt ist durch unterstützende, vor allem familiäre Bedingungen, dokumentiert sich auch in einer Passage zum Referat über eine "türkische Sängerin" (120). Sie vermittelt sich darin als ehrgeizig und ausdauernd ("das hat wirklich lange gedauert, bis ich was über sie gefunden habe. Weil auf türkisch gibt's ja nicht so viel", 121) und zugleich abhängig von familiärem Bildungskapital ("dann habe ich halt voll lange geguckt, und dann habe mir halt einen Texte angeschaut, da steht alles auf türkisch und ich dann halt so ‚Mama, Hilfe', dann hat sie mir alles übersetzt noch mal so richtig", 122). Auch hierin dokumentiert sich eine Lernwilligkeit und Bildungsbereitschaft, die begrenzt durch beschränktes Wissen gekennzeichnet wird und die Abhängigkeit von Wissensbeständen anderer und eine eigene Durchsetzungsfähigkeit miteinander verbindet. Inwiefern Sunay Aspekte von Beschränkung und Handlungsfähigkeit miteinander verbindet, zeigt sich, als sie der Barriere einer schulbezogenen Computerbenutzung einfach eine soziale Ressource und ein lediglich geringes Erfordernis entgegenstellt: (150) I: Machst du denn viel für die Schule am Computer? S: Na ja jetzt nicht mehr. Also-naja also weil er kaputt ist. Aber wenn ich jetzt UNBEDINGT was brauche, dann gehe ich schon mal zu einer Freundin. Ja, aber eigentlich AUCH nicht so viel. Eigentlich brauche ich den Computer jetzt allgemein für die Schule NUR für Referate. Aber sonst eigentlich NICHT. Weil, die Lehrer sagen jetzt auch nicht "ja ihr müsst das jetzt mit dem Computer machen". Das ist halt immer freiwillig, ob wir mit dem Computer schreiben wollen oder nicht. Und dann schreibe ich halt lieber selber. I: Ach so, Ihr könnt Euch also du kannst dir das aussuchen-S: Ja ja, genau. Und mit der Hand ist dann halt auch besser finde ich. // I: Warum? // S: Na ja, wenn jetzt zum Beispiel jemand aus der Klasse keinen Computer hat, dann muss der irgendwo anders hingehen. Und wenn die Freunde auch nichts haben, dann halt Internetcafe oder so. Aber Internetcafe ist ja jetzt AUCH nicht mehr so, weil Internetcafe ist ja jetzt nur noch auch für Chat und so. Und wenn man halt im Internetcafe unbedingt nachgucken muss, dann muss man halt auch bestimmte suchen, damit man das dann auch wirklich dann ausdrucken kann. Weil das geht ja gar nicht überall. Vor allem durch den Redeimport ihrer Lehrer transportiert sich, dass sich Sunay trotz Einschränkung fähig sieht, sich etwa für die Gestaltung von Referaten Zugang zum Computermedium zu verschaffen, obgleich ihr diese Fähigkeit eigentlich nicht explizit abverlangt wird. Während sie einerseits -vor dem Hintergrund der Passage zuvor -die Qualität von medienbedingten Optionen sieht, deren Vorteile bzw. Mehrwert benennt, Interesse signalisiert und verschiedene Anwendungsmöglichkeiten beschreibt, relativiert sie dies nun in der Beschreibung ihrer Quantität: Der heimische Zugang zum Medium ist momentan nicht gegeben und die schulischen Anforderungen ohnehin kontingent. Insofern vermittelt diese Passage das Erleben eines Unvermögens und die Erfahrung eingeschränkter Möglichkeiten bezüglich a) der Beherrschung von, b) dem Zugang zu und c) die Zuständigkeit für die Computertechnik. Diese Situation bearbeitet Sunay mit dem Verweis auf Zwänge, in denen andere stecken, weil sie ebenfalls einer Handlungsbeschränkung aufgesessen sind. Mit ihnen -den "have-nots" -solidarisiert sie sich, wodurch sich implizit eine Entlastung von der Unzulänglichkeit der eigenen Medienpraxis transportiert. Hierzu führt sie aus, dass einem Computernutzer bei einem Nicht-Funktionieren oder dem Fehlen einer technischen Infrastruktur vielfältige Barrieren entstünden, die ihn vor fast unlösbare Probleme stellten: Er müsse sich anderer Orte bedienen, welche aber nicht automatisch eine gelingende Mediennutzung garantierten; öffentliche Institutionen seien eher ungeeignet, dort werde nur gechattet oder es gebe nicht immer Möglichkeiten, "ausdrucken" zu können. Das bedeutet: Das Erleben, sich im Falle der Nicht-Verfügbarkeit auf der falschen Seite eines digitalen Grabens wieder zu finden wird von ihr durch ostentative Ablehnung einer schulbezogenen Mediennutzung zugunsten manueller Tätigkeiten bearbeitet. Auf diese Weise präsentiert sich Sunay als selbstbewusst und es gelingt ihr, trotz Zwängen kommunikativ Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, um das eigene Bild -hier: einer lernwilligen und bildungsbereiten Schülerin, die die Anforderungen zu erfüllen weiß -aufrecht zu erhalten. Habituell vermittelt sie sich als einerseits eingebunden in heteronome Rahmenbedingungen, innerhalb der sie jedoch eigenständig und selbstbehauptet erscheint. Ein eigener Handlungsentwurf wird von Sunay in Zusammenhang mit Restriktionen gebracht, die machtvoll erscheinen -diese werden so bearbeitet, dass ihnen das Geltend-Machen von etwas Eigenem entgegengestellt wird. 287 Ein Dokument dieser Orientierung ist es z. B., wie Sunay ihre Mediennutzung in Verbindung mit der sozialen In-Wert-Setzung ihrer eigenen Fähigkeiten bringt, die von ihr innerhalb eines familienhierarchischen Ordnungsgefüges verortet wird und so die oben bereits angesprochene Sphärentrennung wieder aufnimmt. Geschildert wird von ihr zunächst ein vertrauter, alltäglicher Umgang mit Bildern und symbolischem Material, den sie sowohl selbstverständlich und handlungsroutiniert als auch ehrgeizig sowie kontextübergreifend, für sich selbst und für die Schule, pflegt: (71) S: Na ja ich gehe halt in google rein, und dann gucke ich mir Fotos von Sängern an und so. Dann gehe ich halt auf "Bilder", und dann tippe ich den Namen ein, und dann gucke ich mir die Bilder halt an. Wenn ich zum Beispiel ein Referat zum Beispiel machen muss, und dann zum Beispiel kein Poster jetzt von der Sängerin oder dem Sänger habe, dann drucke ich das halt aus, und dann ist das so als Posterformat. Dann benutze ich das dann halt dafür. I: Mhm. Welche Sänger interessieren dich denn so zum Beispiel? S: ((lacht)) Ach, zum Beispiel Ashanti. Jennifer Lopez auch, und Ja Rule, Usher. Halt ganz unterschiedlich. Und Christina Aguilera ((lacht)), ja, die finde ich so ziemlich cool. Also ich habe jetzt keinen FAVORITEN. Aber halt die so interessieren mich, weil ich will ja später AUCH irgendwas mit Musik machen. Ja. Und deswegen, mein Vater war ja auch Schlagzeugspieler ((lacht)). Ja, und das hat sich in der Familie so rumgesprochen. Und der hat auch viel mit Musik gemacht, und deswegen habe ich die Gabe glaube ich von ihm [((lacht))] // I: [((lacht) )] // S: Und daher will ich das AUCH so durchziehen. I: Machst du denn in deiner Freizeit auch so Musik? S: Ja, na ja geht eigentlich ((lacht)), also ich singe vor Freunden manchmal, also meine Freundin hatte mal Geburtstag, und da habe ich halt ihr vorgesungen. Meinten alle so "ja los sing mal" und dann habe ich gesungen, und dann waren die alle voll ERSTAUNT dass ich so eine gute Stimme halt habe ((lacht)). Ja und dann, keine Ahnung, dann meinten alle "ja mach doch später mal was mit Musik, weil du hast so eine gute Stimme, du hast Talent". Na ja, mal gucken. I: Und du willst das jetzt auch richtig machen, oder-S: Ja, aber mein Vater, weiß ich nicht, der glaube ich der traut mir das nicht so zu. Weil er hat meine Stimme noch NIE gehört. Und mein Bruder der wird ja Fußballstar ((lacht)), weil er jetzt in einer Mannschaft ist. Also mein VATER der wünscht sich das. Und der fliegt jetzt auch bald nach Türkei, in eine türkische Mannschaft, und dann kommt er halt vom Training da zurück. Weil, sein Trainer WILL ja auch unbedingt, weil er ist Linksfüßler und das ist sehr gut. Er ist sehr begabt. Und, deswegen. Mal gucken. In Verbindung mit einer selbstbewussten Zielsetzung werden Medienangebote zu einer strategischen Ressource, auf die zielstrebig zugegriffen wird. So bringt Sunay ihre gegenwärtige Rezeption von Popstars sogar Verbindung mit eigenen Zukunftsambitionen. Das von ihr genannte Feld popkultureller Bezüge vermittelt sie als Inspirationsquelle und Projektionsfläche gleichermaßen, wobei man die Gemeinsamkeit der von ihr aufgezählten "Sänger" darin sehen kann, dass ihnen künstlerischer und kommerzieller Erfolg, ein gesellschaftlicher Aufstieg und die Präsenz auf internationaler Bühne zu eigen ist. Künstlerisch und gesellschaftlich Anerkennung zu finden wird damit implizit zu einem für Sunay erstrebenswerten Lebensmodell von hoher Attraktivität. Zwei Bezugspunkte werden dabei evident, und zwar a) die gegenwärtige Musikszene und b) die Biographie ihres Vaters, die Sunay respektvoll thematisiert: Nicht nur genießt seine frühere Praxis als "Schlagzeugspieler" familienweit Anerkennung, sondern auch ihre eigene Musikalität ist eine "Gabe" von ihm, also etwas Weitergegebenes, das man pflegen, kultivieren oder entfalten kann. Dass sie diesbezüglich von "durchziehen" spricht, deutet an, ein zielorientiertes Vorgehen mit Ehrgeiz und Energie in die Tat umsetzen zu wollen. In Betracht gezogen ist damit, dass Gabe allein nicht ausreicht, sondern dass es Anstrengung erfordert, den von ihr hergestellten Bezug zu gesellschaftlichem Erfolg tatsächlich auch zu realisieren. Diesen von ihr in die Zukunft gerichteten Ehrgeiz stellt sie auf diese Weise quasi genährt von einer familienbiographischen Anlage dar: Die Fähigkeit, einen Lebensentwurf zu realisieren, wird hier in einer Vergangenheit verortet, über die sich zudem achtungsvoll geäußert wird. So sieht sich Sunay als Teil einer familienbiographischen Kontinuität und erklärt das Erreichen eines eigenen Zieles bei gleichzeitig starker Bindung an die Herkunftsfamilie. Auf die diesbezügliche Nachfrage beschreibt sie ihre tatsächliche musikalische Praxis jedoch als eher gering ("naja geht") und situiert sie in einen geschlossenen Rahmen unter Freunden; in Gestalt einer Aufführungspraxis bzw. einem szenischen Arrangement in einem sozialen Raum schildert Sunay hier die Artikulation eines eigenen Könnens und die Reaktion, die dies in einem subjektiv relevanten Umfeld hervorruft; im Exponieren auf einer sozialen Bühne wird ihr Gesang erstmals entdeckt und damit wahrgenommen. Ihre Fähigkeit erfährt sie zudem über diese momentane Situation hinaus als wertgeschätzt -es ist die geteilte Meinung der gesamten Zuhörerschaft, sie könne auch über den privaten Rahmen hinaus bestehen und ihr Stimmkapital auch zukünftig in Wert setzen. Sichtbar wird hier eine Praxis unter Gleichaltrigen, verbunden mit dem Aussprechen von Anerkennung und Ermutigung, die Qualität einer Fähigkeit und deren Beherrschung als ausbaufähiges Fundament anzusehen. Bezüglich der tatsächlichen Umsetzung dieser Gabe berichtet sie ein Erleben, das von einer Differenz bezüglich der sozialen In-Wert-Setzung von Fähigkeiten geprägt ist: Selbst im privaten Kreise Achtung erfahrend, wähnt sie ihren Vater als skeptisch bzw. misstrauisch und erklärt dies kausal mit seiner nichtvorhandenen Kenntnis ihrer Fähigkeiten; beide treten dazu nicht in Kontakt. Ganz anders beim jüngeren Bruder, dessen Ambitionen sie mittels einer Konjunktion anschließt: Sein Karriereprojekt wird vorangetrieben, nicht nur ist er bereits eingebunden ("Mannschaft"), sondern wird sogar -mit dem Vater als Förderer -jenseits seines Heimatvereins ein Spezialtraining absolvieren. Anders als bei ihr weiß der Vater um die Begabung des Bruders, wünscht sich dessen erfolgreiche Karriere und eine Position als "Star". Dem Bruder schreibt Sunay dazu eine sozial begehrte, weil exklusive Fähigkeit zu. Bruder und Tochter treffen sich hier in einem Punkt: Sie sind beide begabt, während sich Sunay selbst als die familiär Unentdeckte und Nichtgeförderte, ihren Bruder dagegen als mit väterlicher wie öffentlicher Aufmerksamkeit Ausgestatteten beschreibt; bei der Kultivierung dessen "Gabe" 289 wird Aufwand betrieben, in ihn wird investiert. Erkennen lässt sich hier eine Erfahrung der Ungleichheit in der sozialen In-Wert-Setzung von Fähigkeiten bzw. deren Zur-Geltung-Kommen, ohne dass dies von Sunay als ein Zurückbleiben hinter oder eine Benachteiligung gegenüber ihrem Bruder artikuliert wird, sondern viel eher als normaler Ausdruck einer primordialen Verschiedenheit einer geschlechtsrollenförmig geprägten Ordnungsmatrix, in welcher ein auf Unterstützung und Wertschätzung gerichteter intergenerationeller Umgang different ausfällt. Evident wird hier ein Innen-Außen-Schema: Auf der einen Seite eine nach innen gerichtete Sphäre, abgeschirmt und mit privater Anerkennung verbunden; auf der anderen Seite eine nach außen gerichtete, sichtbare und auf gesellschaftlich-öffentliche Anerkennung gerichtete. In diesem Schema findet Sunays eigene Entfaltung gleichsam nach innen gerichtet statt, sie prozessiert im Schatten. Ihren eigenen Erfolg erzielt sie dabei in einem den männlichen Familienangehörigen differenten Rahmen; die Freundinnen erscheinen als soziale Ressource einer eigenen Handlungsdimension, die sich selbst stützt und eine eigene Art von Anerkennungsmechanismen ausbildet. Über die Passage hinweg dokumentiert sich -wie schon bisher -die Demonstration einer eigenen und ehrgeizigen Handlungsfähigkeit, die zugleich in ein hierarchisches Ordnungsschema situiert wird. Einer aus der impliziten familiären Rangordnung resultierenden Begrenzung der eigenen Handlungspraxis, zumindest deren Nicht-Förderung, steht die Errichtung eines eigenen Handlungsfeldes gegenüber -die Begrenzung selbst wird als Ausdruck einer Ordnung gesehen, die als gültig erscheint und der sich gefügt wird. Orientiert an der Wechselseitigkeit von Affirmation einer familiären Rangordnung und einer eigenen Selbstbehauptung beschreibt sie an anderer Stelle, wie im Sinne eines wenn/dann-Schemas feststehend zu sein scheint, sich bezüglich der eigenen Mediennutzung der Praxis des Vaters unterzuordnen: (129) I: Erzähl doch nochmal so von zuhause, also-S: Ja, mein Vater, also. Der ist halt manchmal drinne. Und der guckt sich dann halt auch so verschiedene, bei ebay so, guckt er sich dann zum Beispiel Lastwagen-weil mein Vater ist Lastkraftwagenfahrer, so mit Transporter. Und der guckt sich dann halt so was an, so was es für Lastkraftwagen gibt zum Beispiel, ob's gute gibt, und wie viel die kosten. Oder wenn er mal ein Ersatzteil braucht, dann guckt er da AUCH noch mal vorher nach. Also mein VATER ist eigentlich oft im Internet drin. Und WENN er mal drin ist, dann bleibt er auch ganz lange drin. Und meine Mutter wird dann immer SAUER ((lacht)), weil wir müssen ja AUCH noch irgendwann mal ran. I: Ja, weil ich meine, du hast ja gesagt der Computer steht bei dir im Zimmer. // S: Ja, genau. // I: Und wie ist [das dann] // S: [Na ja], dann ist der manchmal so bis halb zehn oder so drinne. Und ich gehe ja normalerweise um halb zehn oder zehn schon schlafen. Und dann, boah ((lacht)) dann WARTE ich immer. Und wenn er dann sagt "oh Mann ich will auch mal" und so, "weil ihr seid ja auch die ganze Zeit drin". Dann sage ich "ja dann mach wenigstens"-er kommt ja, also manchmal kommt er spät nach hause manchmal früh, dann sage ich ihm "ja wenn du mal früher von der Arbeit kommst, dann mach es doch gleich DANACH, und nicht irgendwie dann erst abends, und dann nicht irgendwie abends, fang dann erst um neun halb zehn an". Weil ich muss ja auch noch Hausaufgaben irgendwann machen. Ja, und so, und der Computer ist ja halt auch auf dem Schreibtisch und so. Ähnlich wie Zeynep beschreibt auch Sunay eine implizite Vormachtstellung bezüglich der zuhause praktizierten Inanspruchnahme von Räumen; den eigenen Zubettgehrhythmus situativ am Verhalten des Vaters ausrichtend und auf die "Hausaufgaben" wartend, bis der "Schreibtisch" frei ist, wird deutlich: Der Vater behindert ihr Lernen, während sie, das zeigt sich in einer weiteren Passage, sein Lernen unterstützt. Beispielsweise erklärt sie ihr Bemühen, Wissenslücken des Vaters zu schließen, sodass dieser von ihr profitiert. Während eine gemeinsame Medienpraxis mit dem Vater selten ist ("wenn ich mal im Internet bin, dann ist er ja nicht zuhause. Er arbeitet ja", 137), ist ihr wichtig zu beschreiben, dass sie etwas für ihn tut: "Wenn ER halt was nicht versteht, wenn was auf englisch ist, weil bei ihm ja auch manchmal was englisches kommt, dann fragt er mich schon", 139). Darin bestrebt, in den Vater zu investieren, wird sie zur Ansprechpartnerin in Lernund Verständnisfragen; parallel zu Zeynep geht es auch hier um ein Zusammenspiel, in dem eine Restriktionen durch ranghöhere Familienmitglieder erlebt wird, denen gegenüber sich gleichzeitig in eine helfende Position begeben wird. So erklärt sich Sunay bereit, Bemühungen für das Familienoberhaupt auf sich zu nehmen, während dies andersherum weit weniger zu gelten scheint: Der Okkupation des eigenen Zimmers, die Einschränkung eines eigenen Raumes steht eine respektvolle Thematisierung des Vaters gegenüber: So schildert Sunay ihren Vater als strategischen und zugleich multiplen Internetnutzer; seine PC-Praxis sei mitunter beruflich orientiert und sie attestiert ihm implizit, er handele vernünftig und richtig im Sinne seines beruflichen Fortkommens. Zwar versucht Sunay, den Vater zu pädagogisieren -er solle seine Internetnutzung zeitlich anders organisieren ("mach es doch gleich DANACH, und nicht irgendwie dann erst abends") -und ist bestrebt, dem ihr Aufoktroyierten eine Selbstbestimmung entgegenzusetzen, bleibt aber doch gebunden an seine Dominanzstellung und ist implizit darum bemüht, diese auch zu erklären. Erneut entwirft sie ihre eigene Handlungsfähigkeit in Relation zu faktischen Rahmenbedingungen, die beeinflussen, inwiefern sie eine eigene Mediennutzung geltend machen kann. Sunays Habitus erscheint vor diesem Hintergrund wiederum von einem Oszillieren geprägt: Sie vermittelt ihr Handeln als von stabilen Macht-und Rollenverteilungen durchwirkt und versucht gleichzeitig, domestizierend zu sein; sie erhebt sich gegen eine implizite Machtordnung, der sich zugleich gebeugt werden muss, präsentiert den eigenen Handlungsraum als von Einschränkungen beeinflusst und zeigt sich zugleich auf gewisse Art als wehrhaft (wenn auch nur versuchsweise und tendenziell erfolglos). Ein Rückgriff auf diese Orientierung lässt sich auch bei Sunays Erzählungen ihrer Chatpraxis herausarbeiten. Chatten ist eingebettet in eine Handlungspraxis, die vor allem im Kontext einer geschlechtshomogenen Peergroupgeselligkeit stattfindet. Sie entfaltet eine eigene Dynamik, indem sie gemeinsam, im Kreise von Freundinnen, d. h. von Gleichen unter Gleichen, erfolgt und eine gewisse interne Stabilität hat -man geht zusammen in Internetcafes, die sich als soziale Räume aktiv angeeignet werden ("ich gehe eigentlich, halt wo ich gerade so bin, mit Freunden. Ja, kommt drauf an, manchmal in Wedding, manchmal in Neukölln", 163) und es den Freundinnen ermöglichen, ihren 291 separaten Interessen nachzugehen ("so mit Freundinnen, ja, da war ich halt mit Freundinnen da, dann waren wir, also die eine war dann bei myflirt, das ist AUCH so was, und die andere war in einem anderen Chatraum, und ich war in einem anderen. Und dann haben wir auch so ein bisschen so gechattet, 159). Vor allem das Internetcafe ist für Sunay eine von den Eltern unbeobachtete Sphäre ("na ja, Internetcafe ist so, da kommen deine Eltern nicht die ganze Zeit rein und lesen was du da schreibst ((lacht))", 161), geeignet, sich den Interventionsversuchen ihrer Eltern zu entziehen. Als solche berichtet sie z. B. davon, dass ihre Eltern zuhause nicht nur unangemeldet ihr Zimmer betreten, damit der Chat abgebrochen wird ("die kommen halt rein, und dann sagen sie ‚so, das reicht langsam'. Also meine Mutter meistens"), sondern auch um ihre Privatgespräche zu beenden ("auch beim Telefonieren und so, wenn ich mit meinen Freundinnen rede, sagt sie so ‚komm das reicht langsam'" (173). Dennoch relativiert sie die elterlichen Interventionen, etwa, indem sie eine Bloßstellung durch die Mutter mit dem Vorhandensein eines Vertrauensverhältnisses zu ihren Eltern in Zusammenhang bringt: (167) S: Na ja mein Vater kommt jetzt nicht, aber meine MUTTER. Ja, dann sagt sie "ja, was schreibst du denn da schon wieder" und so. Und dann sage ich "ja ich rede halt nur mit denen, ich KENNE die ja auch" und so. Damit ich mich schnell RAUSreden kann ((lacht)). Aber, im Allgemeinen sagt sie da nichts, weil sie vertraut mir ja auch. Und mein Vater auch. Und ich sage denen ja eigentlich auch fast alles. Durch diese Artikulation einer Reglementierung und einer Offenheit wirkt Sunay ambivalent: Zum einen ist sie an einer eigenbestimmten Mediennutzungsform interessiert und geht dieser auch nach, zugleich merkt sie aber, dass dies die Perspektive der Eltern verletzt. Das Erleben einer freiheitlichen Nutzungsform der Medien vermittelt sich hier in Komplementarität mit dem Sich-Fügen in eine Machtstruktur; die Erfahrung von Kontrolle und Disziplinierung scheint hier mit Referenz auf eine Familiengemeinsamkeit neutralisiert. Deutlich wird weiter, wie Sunay durch die Erwartungshaltungen ihrer Eltern beherrscht scheint, dieses Beherrschtwerden aber so habitualisiert, dass sie dadurch selber in eine starke Position gerät. Mitunter argumentiert sie selbst überaus normativ: Selbstbewusst bescheinigt sie sich etwa, inwiefern ihre eigene Mediennutzung von einer Art Ethos geprägt ist; beinahe beflissen erklärt sie, dass sie der Computer im Prinzip vom Nachgehen von Erledigungen abhalte und limitiert ihre Beschäftigung mit Verweis darauf, sie verhalte sich normgerecht: (171) S: Man KANN es ja auch übertreiben. Und ich bin ja jetzt auch nicht so ein Computerfreak. Weil, also-ich bleibe meistens nicht länger als eine Stunde oder so drinne, und das reicht ja dann auch. Man hat ja auch noch andere Sachen zu erledigen ((lacht)). Ein solches Ethos scheint in einer Erzählung wieder auf, die die Reglementierung und Konformisierung der Mediennutzung im Kreis von Freundinnen thematisiert. Auch hier geht es darum, sich anhand der Mediennutzung Freiraum zu verschaffen und den eigenen Interessen nachzugehen, wobei dieser Freiraum zugleich in Komplementarität mit der Einhaltung eines normativen Verhaltensschemas gebracht wird. So wird von Sunay in der folgenden Passage ein Handlungsrahmen beschrieben, in dem derjenige, der sich über die Maßen Freiheit zugesteht, nicht nur reglementiert, sondern auch performativ bestraft wird: (184) S: Ja wir sind halt manchmal zusammen Internet drinne. Und dann regen wir uns halt über die eine auf ((lacht)), und dann macht die ganz ANDERE Sachen, dann sagen wir "komm' lass uns jetzt mal rausgehen", weil irgendwie ist es noch Nachmittag. Dann sagt sie "ja ich bin gleich fertig" und so. Und dann dauert es halt doch manchmal DOCH länger. Und dann machen wir ihr den Computer einfach aus, dann wird sie sauer ((lacht)), ja und-// I: Was macht ihr denn wenn ihr zusammen im [Internet seid] // S: [Na ja die eine], die chattet dann halt auch meistens, bei MSN, diesem Messanger, mit Freunden oder Bekannten, mit ihrem Cousin und so. Aber im Allgemeinen, na ja, wir sagen dann meistens "so das reicht jetzt langsam" weil wir wollen dann auch mal zum Ende kommen. Und die Mutter wird dann AUCH manchmal sauer. Dann sagt sie zu ihrer Tochter "ja was soll denn das? Kommt sie jetzt nur zu uns, um ihre Beziehungen da im Chat zu regeln?" Aber sonst, ist eigentlich alles ganz normal. Gegenüber demjenigen Mädchen aus der peergroup, das aus einem normativen Verhaltensschema ausschert, begeben sich die Freundinnen in eine Position, die in Sunays Schilderung fast sittlichem Charakter annimmt. Die "eine" nimmt sich nach Sunay gewissermaßen etwas heraus, missachtet die Mahnungen der anderen, sich vom Computer abzuwenden und wird letztlich kurzerhand zur Räson gebracht. Die Formulierungen, die sie untereinander benutzen und mit denen Sunay sich und ihre Freundinnen zitiert, entsprechen dabei (siehe oben) wortgleich der Disziplinierung durch ihre Mutter ("so das reicht jetzt langsam"). Weiterhin hat das Ganze beinahe einen moralisierendpädagogisierenden Unterton, erinnert die Phrase "wir wollen dann auch mal zum Ende kommen" nicht zuletzt an die Worte einer Erzieherin/Lehrerin zur Beendigung einer Aktivität. Zudem wissen sich die ermahnenden Freundinnen offenbar auf einer Linie mit der Mutter derjenigen Freundin, bei der sich die Szene abspielt: Die Mutter wird zum Komplizen der Freundinnen, das Verhalten des Mädchens anzuprangern; ein Verhalten, das sich -um einen altmodischen Begriff zu gebrauchen -nicht geziemt: Die Freundin hat es überreizt, ihr Computerbeschäftigung dauerte am Ende "doch länger", ganz so, als würde der Besuch bei einer anderen Familie dazu ausgenutzt, einem egoistischen Interesse an der Online-Kontaktpflege nachzugehen. So fordert Sunay hier ein Handlungsmuster ein, das solche Grenzen zu beachten hat, die aus einer Einordnung unter bestimmte Verpflichtungen heraus erwachsen. Hier taucht im Übrigen ein Motiv auf, das in Abschnitt 6.2.4 weiter ausgearbeitet wird: Dass übermäßiger Medienkonsum Sunay als verwerflich gilt, weil er der Einhaltung implizit normativer Verhaltensstandards zuwiderläuft. Insgesamt zeigt die obige Passage auf erhellende Weise, wie eine Orientierung an Imperativen, sich nicht ungebührlich zu verhalten und gegen einen Verhaltenskodex zu verstoßen, augenscheinlich 293 in die Mädchengruppe hinein verlagert wird. Die Nutzung von Medien zum Verfolgen einer eigenen Zielsetzung wird in Verbindung gebracht mit der Unterordnung unter das Gebot einer Gruppenkonformität und in diesem Sinne gehen die Mädchen durchaus disziplinarisch und rigide miteinander um. Bestätigung findet diese Lesart am Ende, wo Sunay sagt, sonst sei "eigentlich alles ganz normal" -normal ist es demnach, sich nicht über Mahnungen hinwegzusetzen, sich aneinander zu orientieren und die Gebote der anderen zu befolgen -sich mit anderen Worten in ein implizites Schema aus kollektivhierarchischen Normen einzugliedern. Auch an der Art und Weise, wie Sunay ihre weiteren eigenen Chaterfahrungen thematisiert, lässt sich nachvollziehen, inwiefern sie bestrebt ist, eine starke Position zu erringen, die zugleich vom Befolgen eines Ordnungsschemas zeugt. Während Chatten, wie bereits gezeigt, ein fester und unhinterfragter Bestandteil der Peergroupgeselligkeit ist, bringt Sunay gegenüber den Möglichkeiten der Online-Kommunikation selbst eine normative Einschränkung hervor: (49) S: Wenn ich bei Freunden bin, oder die bei mir, dann gehen wir halt ins Internet. Und, ja bei Messenger, KENNEN sie bestimmt oder? I: Nein kenne ich nicht, was ist denn das? S: NEIN? Na ja das ist so eine Emailadresse. Macht man sich eine Emailadresse halt. Und dann chattet man halt mit seinen Freunden oder mit Bekannten, so Leuten halt. Aus Libanon (1) oder aus Türkei oder so. Kann man sich dann mit denen selber so unterhalten. Und, ja, und dann gibt's auch noch so andere (2) Chaträume. Wo man auch, chatten kann irgendwie. Das ist eigentlich ganz cool ((lacht)), ja. I: Ach so (1). Mhm, also das machst du [gerne] . S: [Ja, es] GEHT, aber ich TREFFE mich dann auch nicht mit denjenigen. Das ist mir viel zu riskant. I: Wie meinst du das? S: Na ja, also keine AHNUNG, vielleicht ist das gar nicht mein TYP, der aus dem Chat. Und ich WEISS nicht, also ich finde sowieso, man sollte sich auch gar nicht einem vom Chat treffen irgendwie. Weil, auf der Strasse gibt's GENÜGEND Jungs ((lacht)). Na ja, ist eigentlich schon so. Während sie einerseits betont, wie sie innerhalb des durch den Chat realisierbaren kommunikativen Geschehens einen aktiven Part einnimmt und sich die Potenziale einer unter anderem Grenzen überschreitenden Unterhaltung zunutze macht, die ihr durchaus attraktiv erscheinen, hebt sie andererseits hervor, es kommt von ihrer Seite aus zu keiner realweltlichen Verabredung mit einem Chatpartner. Dem Geltend-Machen eines freiheitlich-selbstbestimmten Mediengebrauchs steht die vorauseilende Subordination unter ein normatives Verhaltensschema gegenüber; das Nutzen von Möglichkeiten, sich auf grenzenüberschreitende Weise zu "unterhalten", wird konzediert, sich zugleich das Einhalten einer Grenze attribuiert. Dass sie dazu begrifflich auf Risiko abstellt, deutet darauf hin, dass sie "Treffen" mit einem Wagnis ohne abschätzbare Folgen und ohne Gewährleistung von Sicherheit assoziiert. Denken ließe sich z. B., bei einem Treffen in ein Machtgefälle zu geraten, in dem man sie als Schwächere einem distanzlosen oder über-griffigen Verhalten ausgesetzt wäre. Sunays Erläuterung gegenüber dem Interviewer nimmt jedoch eine gänzlich andere Wendung: "Riskant" ist in ihrer Darstellung, dass der Partner den eigenen Geschmack verfehle ("gar nicht mein Typ"). Was zunächst wie eine Gefahr anmutete, wird zur Frage eines personenbezogenen Gefallens bzw. Nicht-Gefallens erklärt, über die allein sie entscheidet. Die Verhältnisse kehren sich um: Aus der Angst, sich mit einem Unbekannten einzulassen, wird das selbstbewusste Geltendmachen eigener Geschmackskriterien. Dem folgt eine apodiktische anmutende Feststellung, die Sunay zudem generalisiert -vom Kontakt mit "einem vom Chat" sollte "sowieso" abgesehen werden. Wenn es aber im Prinzip darum geht, bei einem Treffen festzustellen, ob der ehemals digitale Gesprächspartner dem eigenen "Typ" entspricht, erscheint diese generelle Absage wie die Forderung einer Abstinenz gegenüber Möglichkeiten der eigenen Geschmackskultivierung und insofern widersprüchlich. Aufgelöst wird dieser Widerspruch durch ihre kausale Begründung, man finde ohnehin ausreichend "Jungs" auf der "Strasse": Man brauche den Chat eigentlich gar nichtmögliche Partner laufen doch in Scharen umher. Insofern konzediert sie das implizite Vorhandensein einer macht-und geschlechterbezogenen Asymmetrie, stellt sich aber zugleich als aktiv und selbstbewusst dar. Gegenüber den "Jungs" markiert sie auf diese Weise eine gewisse Überlegenheit in der Unterlegenheit: Sie sind einerseits ein Risiko, ein Treffen mit ihnen ist angstbesetzt; andererseits sind sie nur nicht ihr "Typ", sondern eine Frage ihres Geschmacks. Performativ gewinnt Sunay in diesem Ausschnitt die (weibliche) Oberhand zurück. Sie präsentiert sich als überlegen und informiert zugleich über die implizite Wirksamkeit einer geschlechtsrollenförmig verteilten Machtstruktur und dem Befolgen eines daraus abgeleiteten Handlungsschemas. Dieses Muster lässt sich an entlang der Nachfrage zu Möglichkeiten eines Treffens mit dem Chatpartner weiter ausarbeiten: Sich als diejenige beschreibend, die schon jede Menge Avancen bekommen hat und aus der Distanz des Chat auf überlegene Weise agieren kann, positioniert sich Sunay gegenüber dem Interviewer als begehrt; sie stellt sich in der Rolle eines Jungenschwarms und gleichzeitig -in Bezug auf ein tatsächliches Ausagieren dieser Rolle -als enthaltsam dar: (86) I: Aha, mhm. Und, also du hattest gesagt, das mit dem Treffen, dass du das nicht machen würdest. Hat dich denn schon mal jemand gefragt, ob du [das machen würdest?] S: [Ja, VIELE] . Ja klar. Halt, und ich meinte dann "na ja muss ich erstmal überlegen", aber ich hab es bis jetzt noch nie gemacht. Aber, meine Freundin hat mich dann halt mal mitgenommen. Sie meinte "komm wir gehen einkaufen", weil ich brauchte eine Jacke. Und dann meinte ich "okay", dann sind wir zur G.-Passage gefahren, und dann meinte sie so "KOMM, uns holt gleich jemand ab". Dann meinte ich ja "was, also WOHIN denn?" und so. Dann sagte sie "ja ich habe auf dem Chat jemanden kennen gelernt, ich will mich TREFFEN gehen". Dann sind wir dahin gefahren, und ich war halt auch wirklich ZIEMLICH sauer. Und meistens die Jungs aus dem Chat, die sehen jetzt auch nicht so BESONDERS aus ((lacht)). Und deswegen TREFFE ich mich auch nicht einfach. Weil ich werde halt auf der Strasse ja halt GENUG angemacht. Deswegen, aber ich gebe denen aber meistens auch gleich einen Korb ((lacht)). Weil ich mag so was nicht. In Kontrast zum eigenen Verhalten steht die Episode ihrer Freundin, deren -erinnert man die Passage zuvor: grenzübertretendes -Verhalten hier auch von Sunay unverhohlen dafür angeprangert wird, eine Einkaufstour zur Flirttour umfunktioniert zu haben. Wie zuvor erklärt sie den Kontakt zu Jungen als eine vorrangig ästhetische Angelegenheit, verspottet die überwiegende Menge der Chatpartner und konkludiert, sich deshalb auch nicht mit ihnen einzulassen. Darin wiederum signalisiert sie ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, das reformuliert so lauten könnte: Mit einem hässlichen Jungen lasse ich mich doch gar nicht ein. Performativ erhebt sich hier gleich doppelt über die Freundin: Erstens artikuliert sie Ärger, dass diese ein normatives Verhaltensschema nicht nur eigenmächtig verlassen hat, sondern Sunay sogar hintergangen hat; zweitens belustigt sie sich implizit auch über die Freundin und spricht ihr zu, diese habe einen schlechten Geschmack. Es kommt hier -ähnlich wie bei Derya -zu einer Distanzierung von Freizügigkeit und einer Selbstzuordnung zu einem Verhaltensschema, das selbst als rollenkonform gekennzeichnet wird. Sich selber bescheinigt Sunay erneut, ein Verhalten wie die Freundin gar nicht nötig zu haben; sie werde ausreichend "angemacht", wisse sich aber dagegen zu wehren. Das Geltend-Machen eines eigenen Begehrtwerdens mit dem Hinweis, sich korrekt zu verhalten, reproduziert sich. In einer weiteren Passage wird sichtbar, dass es vor allem die Distanz der Chatkommunikation ist, die eine spielerisch-überlegene Selbstverortung ermöglicht; nicht ohne Stolz berichtet Sunay, online einige Bekanntheit bei "Jungs" zu genießen. Deutlich wird, wie sie ihre Bekanntschaft mit Jungen in die Medienkommunikation auslagert und ansonsten wenig realweltliche Kontakte zu ihnen pflegt: (81) I: Mit wem chattest du denn so überhaupt? S: Na ja, ist unterschiedlich. Manche Jungs KENNEN mich sogar ((lacht)), ich kenne DIE dann aber halt nicht. Ja, und dann, ja, FRAGEN wir uns halt gegenseitig, "ja woher kennst du mich denn" und so. "Sind wir uns schon mal begegnet?" Also sonst kennt mich eigentlich fast niemand, also ich bin jetzt auch nicht SO oft draußen, in der Schulzeit. Na ja und sonst halt mit Freunden ganz normal, was die halt gemacht haben, am Wochenende. Und wie das alles so war, und die Schule und so. I: Und chattest du auch manchmal auf türkisch? S: ((lacht)) Nee, weniger. Nein, ich kann zwar, aber jetzt nicht SO gut türkisch, und deswegen ((lacht)). Also, es war schon manchmal, dann sprechen mich SCHON viel auch Jungs aus der Türkei an, und fragen dann halt "ja kann ich mit dir reden?" und so. Und dann BLOCKE ich immer gleich ab. Dann sage ich "nee ich habe keine Zeit" und so. Dann rede ich auch nicht länger mit denen. Der Chat wird zur Möglichkeit, Beziehungsmuster auszuprobieren, die in der Realwelt offensichtlich verwehrt bleiben. Sich überwiegend in den eigenen vier Wänden aufhaltend kann sich Sunay online vortasten: Kennt man sich? Hat man sich schon einmal gesehen? Hinsichtlich des Sich-Unterhaltens scheint es zwei Ebenen zu geben: Mit Freundinnen werden Alltagsgespräche geführt ("normal"), man erkundigt sich nach Befindlichkeiten und zurückliegenden Aktivitäten; vor allem scheint es, dass der Chat mit Freundinnen nur die Funktion einer späteren Verabredung zu einer face-to-face-Unterhaltung hat: "Und mit Mädchen, na ja, WENIGER. Weil, obwohl, mit Freundinnen die auch manchmal drinne sind, dann REDE ich mit denen. Und dann verabreden wir uns auch später irgendwie. Und dann reden wir halt noch mehr ((lacht)), 88). Im Unterschied dazu lässt sich in der Unterhaltung mit Jungen ein Probehandeln realisieren, frei von Konventionen einer realweltlichen Begegnung. Vor allem scheint es so, dass Sunay hier die Kontrolle über das Kommunikationsgeschehen genießt; die Entscheidung, ob es überhaupt und wenn ja wie lange zu einer Unterhaltung kommt, liegt allein bei ihr. In diesem Geschehen ist sie selbstbestimmte Akteurin, beherrscht Anfragen von "Jungs aus der Türkei", und hat die Kontrolle über sie ("BLOCKE ich ab"). Sichtbar wird außerdem erneut, dass sich Sunay als umschwärmt von Vertretern des männlichen Geschlechts präsentiert und die Kontaktmöglichkeiten zu ihnen nutzt und genießt. Selbstbewusst und erhaben spricht sie sich in diesem Kontext auch gegen männliches Dominanzgebaren aus: (88) S: Wenn mir jetzt Jungs so POSITIV vorkommen, dann REDE ich auch gerne mit denen. Wenn die aber gleich so mit Sprüchen kommen, so "na meine Süße" und so, dann denke ich immer "ja, wer seid IHR denn?". Weil die KENNEN mich ja gar nicht, die wissen nicht wie man mit einem Mädchen UMgeht, also ich habe ja auch ANSPRÜCHE ((lacht)), wenn man das jetzt mal so betonen darf ((lacht)). Aber, na ja ich lasse mir so was nicht gefallen. Also, so Anmache, dass die dann so "Schatz" und was weiß ich. Das mag ich nicht. Aber sonst sind die eigentlich ganz nett meistens, halt bis auf ein paar Ausnahmen. Sie sieht sich als Kontrollierende und Starke, die auf die hegemonialen Ermächtigungsfantasien der Jungen herabblickt. Sich über die Jungen erhebend dreht sie den Spieß um: Aus einer respektlos Behandelten wird eine Mächtige. Es geht hier um die Bewahrung der weiblichen Würde, verbunden mit der Achtung einer Grenze, wobei sich zugleich ein von fundamentalen geschlechtsbezogenen Rollenerwartungen durchwirkter Habitus transportiert. So wehrt sich Sunay gegen ein geschlechtsstereotypes männliches Bewertungs-bzw. Sprechmuster -das der Hegemonie -und affirmiert gleichzeitig ein ebenso geschlechtsstereotypes weibliches Muster -das des bestimmte rollenförmige Umgangsweisen erfordernden Umworbenwerdens ("wie man mit einem Mädchen UMgeht"). Gegenüber einem geschlechterstereotypen Gebaren wird etwas in Stellung gebracht, was seinerseits tiefgreifend von einer Orientierung an einer stabilen und klassisch-asymmetrisch zu nennenden Rollenverteilung geprägt ist. Ihr Geltend-Machen der eigenen Integrität wird zudem begleitet von einer Selbstrelativierung der eigenen "Ansprüche"; beinahe scheint sich Sunay dafür rechtfertigen zu müssen, dass sie gegenüber den männlichen Annäherungsversuchen etwas Eigenes reklamiert. Insofern handelt es sich hier um einen Akt des Sich-Behauptens und des Sich-Verortens innerhalb eines asymmetrischen und hierarchischen Handlungsrahmens, der als gültig erscheint ("naja"). In einer Episode zur Auseinandersetzung mit Jungen "Internetcafe" steigert sich dies; positiver Gegenhorizont ist auch hier, sich zu entfalten, frei von Übergriffen zu sein und 297 sich gegen Angriffe gegen ihre geschlechtsbezogene Integrität zur Wehr zu setzenzugleich erscheint Sunay im Folgenden als Domestizierende und Domestizierte, Überlegene und Unterlegene: (160) Also, was mich jetzt am Internetcafe voll stört, die JUNGS da. Weil, die machen einen dann auch die ganze Zeit an, und das nervt dann nach einer Weile auch. Und wenn man denen sagt, "ja sei mal"-dann so "oh mann du eingebildete Kuh" und so, dann kommen halt SO'ne Sprüche dann halt raus. Und das lasse ich mir nicht gefallen. Die können mich nicht irgendwie so nennen, die KENNEN mich ja gar nicht. Dann sage ich auch schon mal was zurück, dann werde ich auch schon mal frech, und dann sagen die "sei mal nicht so frech" und so "sonst kriegst du gleich mal eine von mir reingecatcht". Sage ich dann "ja KOMM her mach doch" und so, und dann trauen die sich meistens schon gar nicht mehr. Aber manche KENNE ich ja auch, und dann tue ich so als ob ich die nicht kenne. Das ist mir letztens passiert. Mit dem habe ich früher mal geredet, und dann hat er mich auch die ganze Zeit so komisch angeguckt, und dann bin ich ihm halt die ganze Zeit aus dem Weg gegangen. Unerschrocken schildert Sunay, wie sie bestrebt ist, sich nicht einschüchtern zu lassen und auf die Einhaltung einer Grenze bedacht ist. Andererseits wird erkennbar, wie ihr Sich-Wehren gegen und ihr Sich-Fügen in einem hierarchischen Geschlechtergefüge miteinander verschachtelt sind: Dies zeigt sich etwa daran, dass Sunay ihre Reaktion auf die das Verhalten der "JUNGS" als "frech" bezeichnet; auf diese Weise erscheint ihr Verhalten viel weniger als angemessener oder gerechtfertigter Widerstand gegen einen beleidigenden Angriff, sondern als eines, das sich seinerseits nicht gehört, das anmaßend oder unverschämt ist. Legt man weiterhin in "frech" hinein, dass es eine gewisse Respektlosigkeit mit dem Beigeschmack von Verruchtheit suggeriert, erscheint weibliches Verhalten, das sich von männlichem Dominanzgebaren nicht einschüchtern lassen will, selber als aufrührerisch und ungebührlich. Ist jedoch ein Ringen um die eigene Position ein impliziter Verstoß gegen männliches Verhalten, affirmiert es dessen Vormachtstellung. Diese Konstellation scheint überdies von einer bestimmten Distanz-Nähe-Relation gekennzeichnet und scheint Sunay weniger darüber verärgert, dass sie degradiert wurde, sondern weil Jungen dies tun, ohne sie zu "kennen". Übertreten ist damit aus ihrer Sicht offenbar eine Grenze, die darin besteht, ihr verbal zu nahe getreten zu sein, ohne sich (vorher) intensiver mit ihrer Person zu beschäftigen. Die Beschädigung ihrer Integrität erscheint damit als Problem, weil diese aus einem Fremdsein heraus geschieht. Ist das eigentliche Kriterium das Kennen bzw. Nicht-Kennen, weist dies darauf hin, dass -sind sich Vertreter beider Geschlechter näher bekannt -der Mann eine durchaus männlich-hegemoniale Umgehensweise mit der Frau praktizieren darf, die sie, allerdings nur in diesem Fall, akzeptiert. Untermauert wird diese Lesart dadurch, wie -erinnert man die Passage zuvor -Sunay sich über die Konfrontation mit intimisierenden Anreden im Chat echauffierte. Zum Problem wurden ihr diese vorrangig deshalb, weil -wie sie es formulierte -(noch) keine Nähe realisiert war ("die KENNEN mich ja gar nicht"). Auch hier scheint es demnach so zu sein, demjenigen, der einmal in ihre Nähre gekommen ist, die Benutzung einschlägiger Attribute ("Schatz", "meine Süße") explizit zuzugestehen. Daraus lässt sich die Vermutung ableiten: Ein Junge darf schon auf die Semantik herablassender Männlichkeit zurückgreifen, er darf es nur nicht sofort tun; anstelle einer universellen Fairness im Geschlechterumgang scheint es hier um die Unberührtheit einer Grenze bzw. das Wahren von Distanz zu gehen. In Bezug auf den aktuellen Gesprächsausschnitt lässt sich auch hier eine Zweiseitigkeit von Selbstbehauptung und Einordnung ausmachen: Gelingt es Sunay situativ, sich in einer von Männern beherrschten Technikumgebung durchzusetzen, vermittelt sie ihre Handlungswirksamkeit als übergreifend von einer Machtverteilung geordnet, die primordial ist und mit ihr geschieht ("passiert"). In dieser bleibt ihr Auflehnen von begrenzter Reichweite -was in einem Moment ein offensives Kräftemessen, ist in einem anderen das sich Einfügen in ein unhintergehbar scheinendes Kräftefeld: Letztlich reicht schon der "komische" Blick eines Jungen aus, ihm das Feld zu überlassen. Insofern berichtet sie hier von einem Sich fügen unter die Macht eines männlichen Widersachers, die allein nonverbal funktioniert. Woran sie sich hier übergreifend abarbeitet, lässt sich als Einordnung in ein Erfahrungsmuster der exterioren Begrenzungen bezeichnen (auch z. B. in Form von Beschädigungen der eigenen Integrität), innerhalb der es zur Ausprägung eines Selbstbewusstseins kommt, das jedoch seinerseits diese Begrenzungen nicht überwinden kann, sondern stillschweigend affirmiert. Übergreifend dokumentiert sich darin eine Orientierung, die vom Geltend-Machen einer eigenen Handlungsautonomie durchzogen ist, die zugleich in eine stabile Ordnungsvorstellung eingebettet ist. Bestandteil dessen ist eine Selbstbehauptung, die auf Wahrung der eigenen Achtung bedacht ist und die gleichzeitig von einem Sich-Fügen unter rollenförmig gegebene Vorgaben gezeichnet ist. Bisheriges lässt sich so zusammenfassen, dass Sunay ihr Handeln so ausrichtet, dass es einerseits durch prästabilisierte Ordnungskriterien geprägt, anderseits aber auch an einer erfolgreichen Selbstpositionierung ausgerichtet erscheint. In dieser Orientierung spricht sie sich -gefragt nach ihrer medienbezogenen Zukunft -deutlich für ein Erfordernis zu verfügender Kompetenzen aus; dabei macht sie jedoch klar, dass sich diese in Komplementarität mit einer rollenförmig zu erbringenden Verpflichtung befinden sollten: (220) S: Na ja wenn man halt im Berufsleben viel mit Computer zu TUN hat, dann ist es SCHON wichtig. Aber wenn man fast GAR NICHTS mit dem Computer zu tun hat, dann, WEISS ich nicht. Es gibt doch hier zum Beispiel auch Informatik, das habe ich mal in der achten Klasse gemacht. Da lernt man halt wie man Zeugnisse schreibt, oder Einladungen, dass man das zum Beispiel nicht jedes Mal einzeln schreiben muss, sondern dass man das auch wirklich nur einmal schreiben muss und dann mehrmals ausdrucken kann. Gibt's schon, also wenn man wirklich später was mit dem Computer zu TUN hat, zum Beispiel als Sekretärin. Da ist man ja auch viel am Computer, dann braucht man das SCHON, aber wenn man jetzt einfach SO-weiß ich nicht, also (2) Ein zukünftiger PC-Umgang wird eingespannt in eine Dichotomie aus der Verpflichtung zur berufsbiographischen Erfüllung von Aufgaben und einer beruflichen Tätigkeit, 299 die gerade dies nicht beinhaltet. Zukünftiges Computerhandeln steht hier in Abhängigkeit dessen, inwiefern es gilt, eine aus heteronomen Erfordernissen abgeleitete (Sach-)Aufgabe zu erledigen. Sunay exemplifiziert dies bezüglich des schulischen Unterrichts, den sie als ein auch von ihr selbst besuchtes Angebot wahrnimmt und das den Schüler mit ausschließlich instrumentell-zweckrationalen Fähigkeiten ausstattet, die sich später in den Dienst der Ausübung einer Berufsrolle stellen lassen. Sie zementiert damit die Trennung zwischen einer computerbezogenen beruflichen Sphäre und einer sonstigen, innerhalb der ihr weiteres Computerwissen fraglich erscheint. Das bedeutet: Zukünftiges Computerwissen muss mit einer Anforderung korrespondieren, die sich komplementär zu einer rollenförmigen Verpflichtung verhält. So spricht sie sich für eine Kompetenzerweiterung aus, jedoch nur in Verbindung mit Inhalten, die im Sinne eines pränormierten Rahmens vorgegeben, vermittelt und legitimiert werden. Außerhalb dessen scheint es ihr beinahe abwegig, den eigenen medienbezogenen Handlungsrahmen zu erweitern. Einer freizeit-oder hobbymäßigen Erweiterung eines computerbezogenen Handlungsspielraumes, wie sie sich in anderen Fällen herausarbeiten ließ (vor allem bei Timo, Olaf und Andreas), scheint sie hier tendenziell fremd gegenüber zu stehen. Sich eine computerfreie spätere Berufstätigkeit wünschend ("((seufzt)) Ich finde das eigentlich GAR nicht so wichtig, also hoffe ich ((lacht))", 221) artikuliert sie einetrotz Ausschluss von PC-Kenntnissen -deutliche Bildungsaspiration; so das Erreichen eines höheren formalen Abschlusses ("entweder eine Ausbildung, oder mein Fachabi, falls ich das schaffen sollte", 222) und eine leitende Position ("also eine Ausbildung mit irgendwas so als Hotelmanagerin oder so. Und dann mal weitersehen", 223). Deutlich wird weiterhin eine sehr bewusste in die Zukunft gerichtete Wahrnehmung von Lernerfordernissen; ausdrücklich artikuliert sie z. B. die Sinnhaftigkeit berufsbezogener Fremdsprachenkenntnisse ("man muss halt so ein paar Sprachen gut drauf haben. Zum Beispiel englisch ist sehr wichtig. Und englisch ist meiner Meinung nach ja auch leicht zu lernen. Weil, ich finde das nicht so schwer jetzt", 224) sowie mögliche Lernbarrieren, deren Überwindung sie aber zugleich antizipiert ("aber jetzt so spanisch oder französisch, da werde ich schon bestimmt Schwierigkeiten haben. Dann muss man das wohl auch schnell lernen irgendwie", 225). Während sie zu erwerbende Kompetenzen und Wissen tendenziell funktionalisiert, vermittelt sie in diese als erfolgs-und erfordernisbezogen zugleich. In diesem Modus äußert sie auch Interesse an computerbezogenen Wissensbeständen; sie zeigt sich lernwillig, fokussiert ihren Lernwillen aber gleichzeitig auf schulische Belange ("na ja, weil das ja mit dem Schulischen viel zu tun hat. Ja, wenn man halt ganz speziell jetzt nicht weiß wie das geht, dann könnte man da halt nachgucken", 229). Statt explorativer Möglichkeiten geht es Sunay um eine aufgaben-und anforderungsbezogen Nutzung des Computermediums, die zudem leicht zugänglich, niedrigschwellig, systematisch und kostengünstig sein sollte: (228) S: Ja, so halt im Unterricht, wenn man zum Beispiel in Mathe speziell was nicht weiß, dann zeigen die es dann ja auch so in einzelnen Schritten wie man das macht. Und ich habe zum Beispiel so ein Lernprogramm. Da zeigen die es halt, aber nicht SO GENAU jetzt. Weil, das ist jetzt für die siebente und achte Klasse. Und ich habe da halt damals reingeguckt, und ich habe fast GAR nichts gefunden. Aber so im Internet, wenn die mal zeigen so, wie man das so macht, zum Beispiel Lernprogramme, damit man das jetzt nicht extra kaufen muss. Eine Bildungsvorstellung wird sichtbar, die auf eine erfolgs-und zielorientierte Handlungsfähigkeit setzt. Gleichzeitig verbleibt diese innerhalb einer konkreten und funktionalen Intention und impliziert eine Orientierung an instruktionaler Belehrung, an der Reproduktion von programmmäßig vorgegebenen Inhalten und einem Nachvollzug von vorgegebenen Schritten, wobei sich dies kontextbezogen und situativ als sinnvoll erweisen soll. Ähnlich wie bei Zeynep und Derya geht es auch hier um notwendige und auf spezifische Anforderungen bezogene Wissensbestände und die Adaption von direkten Bedienfertigkeiten. Sunays Orientierungsrahmen ist auch hier, eine Selbstbehauptung anzustreben -hier: in der Rolle einer aktiv Lernenden, die es "GENAU" wissen willund sich zugleich in eine festgelegte Struktur -hier: von Lernerfordernissen -einzuordnen. Das zweite Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund, Zeynep, ist 14 Jahre alt und lebt zusammen mit zwei Geschwistern bei ihren Eltern. Ihr acht Jahre älterer Bruder ist Adoptivkind, der kleine Bruder ist 6 Jahre alt und gerade eingeschult worden. Sie erzählt, dass ihre Mutter Ende der 1970er Jahre nach Deutschland gekommen sei, zwei Jahre später jedoch wieder in die Türkei zurückzog; mit 16 Jahren erfolgte ihre erneute Rückkehr, zwei weitere Jahre später die Hochzeit mit ihrem Vater, der auf diesem Wege nach Deutschland kam. Ihr Vater arbeitet in einem Restaurant, welches dem Onkel gehört; ihre Mutter ist nach Zeyneps Aussage arbeitslos. Auf ihre jetzige Schule geht Zeynep sei zweieinhalb Jahren, nachdem sie "das Probehalbjahr" (17) an einem Gymnasium nicht bestanden hat. Zeynep ist sehr elegant gekleidet, sie spricht mit heller und klarer Stimme. Als ihre Hobbies benennt Zeynep "Einkaufen", "Fernsehen" und "Internet". Zum Interview wird sie von einer Freundin begleitet, die während unseres ca. 45minütigen Gesprächs vor der Tür auf sie wartet. Zeynep thematisiert ihre Mediennutzung anhand von Schilderungen, welche diese zunächst als einerseits folgsam, anderseits selbstbestimmt erscheinen lassen. In Betonung einer bereits bestehenden intensiven Beschäftigung ihres Bruders positioniert sie sich fast wie in dessen Schlepptau, als es darum ging, sich das erste Mal mit den neuen Medien zu beschäftigen, ähnlich einem passiven Anhängsel, das dem Älteren und Erfahrenen eher zufällig mitgegeben wird. Sie verbleibt jedoch nicht in dessen Windschatten, sondern löst sich daraus und wird selber aktiv: (27) I: Wie bist du denn dazu gekommen dich damit zu beschäftigen. Z: Also mein Bruder, der ist voll OFT, also im Internet-Cafe und so. Und einen Tag halt, sollte ich äh, mit ihm mitgehen, und da habe ich gesehen, dass er so GECHATTET hat, und ich fand das dann halt voll GUT. Also, du schreibst was, danach ist der andere dranne und dann so. Und dann meinte ich so "ja, warum fange ich auch nicht damit an?" und so. Und danach gab es dann halt voll viele Hausaufgaben, so zum Beispiel wenn wir Referate halten mussten. Und dann gab es dort halt (2) Internetseiten. Und dann meinte ich, "ja, das macht doch bestimmt Spaß". Und dann habe ich die Aufgabe halt ANgenommen. Dann meinte ich, "ja Referate im Internet schreiben", so, das ist was für mich. Und ich lieb das auch, also mit dem Computer so halt (2) RUMzusurfen oder, was weiß ich, Spiele zu spielen. Und jetzt, also Emails, also jetzt so zum Beispiel EMAILS das liebe ich richtig über ALLES. Mit meinen Bekannten aus der Türkei. Und so, ja, (2) aber ich chatte meistens. Ja (2) Die Verwendung von Medien stellt sich in Form eines Möglichkeitsraums dar, der durch fremdgesetzte Impulse zunächst präformiert ist und innerhalb dessen eine eigene, selbstbewusste Perspektive gesucht wird. Auf diese Weise inszeniert sich hier eine Subordination unter exteriore Zwänge bzw. Imperative mit der nachträglichen Attribution einer Selbstbehauptung: Sie macht, was man ihr sagt, ohne dies als Akt der Unterordnung zu erleben, sondern als Entwicklungsfeld von etwas Eigenem: Aus einem familienhierarchischen Abhängigkeitsverhältnis ("sollte ich mit ihm mitgehen") entsteht eine eigene, zunächst hauptsächlich kommunikative Mediennutzung ("warum fange ich auch nicht damit an?"); die Annahme schulischer Verpflichtung ("Hausaufgaben") wird zu einem eigenen lustbetonten Projekt ("das ist was für mich"). Insofern changiert Zeynep performativ zwischen Merkmalen von Unterwerfung und Selbstbewusstsein -sie pendelt zwischen der Erfüllung wahrgenommener Anforderungen auf der einen und der Herstellung einer eigenen Perspektive. Das Computermedium selbst erscheint eingebettet in dieses Kontinuum: Es ist Mittel zur Erfüllung schulischer Aufgaben und bietet Optionen, die ihr Spiel, kommunikative Freiheit und die Pflege familienorientierter Beziehungen ermöglichen. Zum Ausdruck kommt darin, wie sich Zeynep an einer Balance abarbeitet zwischen der Befolgung heteronomer Impulse und der Präsentation eines ausgeprägten Selbstbewusstseins und beide Pole habituell zu synthetisieren versucht. Die hierin aufscheinende Orientierung lässt sich dahingehend verdichten, dass es Zeynep um eine Selbstverortung als Mediennutzerin geht, die sich einerseits funktional, andererseits selbstbehauptet bzw. selbstbestimmt verhält. So wirkt sie gegen Ende der Passage fast schwärmerisch ob der vielen Möglichkeiten, die die digitalen Medien ihr bieten. Es erscheint das Bild einer selbstbewussten modernen jungen Frau, die den Computer "lieb" gewonnen hat und sich als Teilhaberin an aufregenden Möglichkeiten sieht. Später wird sie sagen "also Computer ist ein TEIL von mir geworden" (55) -auch dies ist Dokument einer Selbstwahrnehmung, Akteurin in der Computersphäre zu sein, deren Optionen ihr in Fleisch und Blut übergangen sind. In Rahmen dieses Aktiv-Seins erzählt sie von einer intensiven Mediennutzung, die sie zugleich an feste Bezugsgrößen bindet; etwa eine kommunikativen Mediennutzung, vor allem zum Austausch mit ihren Verwandten in der Türkei ("Ja, also mit meinen Cousins. NUR, so, ja halt, mit denen schreibe ich mir halt, Emails und so, ja", 29), wobei sie die Email als technische Erleichterung gegenüber einer traditionellen Beziehungspflege herausstellt ("na ja, weil Postkarten, ich weiß nicht, ich bin nicht so ein Schreibtyp ((lacht))", 31). Neben einer solchen selbstbewussten Nutzung von medieninduzierten Formen des Verwandtenaustausches schildert sie auch das Eingebundensein in eine Sphäre von gemeinsamer Rezeption und von wechselseitigem Austausch über Medienerlebnisse unter Gleichaltrigen. Sichtbar wird auch hier wieder, dass Zeynep sich an festen Bezügen orientiert -waren es beim Email "NUR" die Cousins, nennt sie im Folgenden "nur" Personen des Nahbereiches als Referenzrahmen: Gerne nutzt sie das Internet "mit meiner Freundin oder der Tochter meiner Nachbarin. Mit DENEN, öfters, aber nur mit denen. Also wenn es mir keinen Spaß mehr macht alleine. Weil es gibt dann halt voll lustige Dinger, mit denen ich dann mit ihnen rede, ich will das auch mit meinen Freundinnen halt zusammen erleben" (217). Es entwickelt sich ein gemeinschaftlicher Erlebnisraum unter Freundinnen, im Zuge dessen Erfahrungen geteilt und spielerisch inszeniert werden; manchmal kontaktiert sie spontan ihre Freundin, nur um ihr etwas im Internet zu zeigen ("mhm, dann ruf ich sie an, "ja sei jetzt mal im Internet" oder so, "komm mal rüber, so", 219). Aufgrund ihrer Möglichkeiten, sich der Medien zu bedienen, etabliert sich Zeynep im Kreise ihrer Freundinnen zudem wie eine Art Expertin, sichtbar etwa in ihrer Schilderung zur Wahrnehmung einer Techniknutzenden, die von anderen nachgefragt werde und mitunter kleine "Aufträge" (220) von anderen erledige: (221) Z: ja, meine Freundinnen halt, die wissen ja dass ich ein richtiger Internet-Freak bin. Ja, und die finden das halt voll cool. Danach-die rufen mich dann an, "ja guck mal nach was das und das ist" und so. Und dann guck ich halt eben nach, weil die meisten von meinen Freundinnen die haben kein Internet zu Hause. Und deswegen. I: Und dann bist du diejenige die gucken soll, für die anderen auch. Z: Ja ((lacht)). Dann gucke ich halt nach und ruf sie dann an, und sage "ja, so und so". Die Medien nicht nur dazu verwendend, um sich gegenseitig zu helfen, erscheinen sie insgesamt eingebettet in ein Netz aus sozialen Beziehungen gleichaltriger Geschlechtsgenossinnen, in dem Zeynep stolz und aktiv agiert. Dass die überwiegende Mehrzahl der Freundinnen "kein Internet" hat, wird durch freundschaftliche Unterstützung überbrückt; hier einen Schritt voraus zu sein wird zur Quelle von Selbstbewusstsein, vermittelt über das Vorhandenseins technischer Möglichkeiten und darauf bezogenen Fähigkeiten, die andere dann "voll cool" finden. Während es Zeynep genießt, gewissermaßen der verlängerte Arm der Freundinnen sein zu können, wenn es um Rechercheaufträge für sie geht, zeigt sich eine genussorientierte Mediennutzung auch da, wo sie das Internet dazu nutzt, eigenen Interessen nachgehen zu können: (81) Z: Ja, H&M, das alles, also das, was alles halt der neueste Trend ist und so. Und dann, türkische Serien, die ich mir immer angucke. Also dort, was halt nächste Woche da so ablaufen wird und so. Dort halt. So am meisten. Oder ich lade mir öfters Lieder runter. Neben dem "neuesten Trend" und Fernsehserien aus der Türkei geht es ihr darum, Musikinteressen zu verfolgen. In diesem Zusammenhang wird das Medium zu einem Mittel, dem eigenen Geschmack nachzugehen, was auch beinhaltet, sich gegenüber 303 Medienangeboten der deutschen Kultur abzugrenzen bzw. sich solche aus der Heimat ihrer Eltern zu erschließen ("JA. Türkische Musik, SEHR GERNE […] deutsche nicht, also eher Black Music und türkische Hip-Hop-Lieder und so", 87), und daran zu partizipieren ("jetzt neue Stars, zum Beispiel Cetin Kaya oder so", 275). Insofern gelingt es Zeynep, sich spielerisch Zugänge symbolischen Angeboten zu verschaffen, die eine Bearbeitung von Fragen der eigenen Identität durch Rückgriff auf unterschiedliche kulturelle Kontexte ermöglichen. In diesem Zusammenhang haben vor allem Musikformate, die in der Herkunftskultur ihrer Eltern wurzeln, einen hohen Stellenwert: Während sie Anteil an einer kulturellen Sphäre türkischer Künstler und Produzenten nimmt und entsprechende Internetseiten besucht, rezipiert sie Angebote von Migranten für Migranten. Deutlich wird, wie Zeynep sich als eine Akteurin positioniert, welche medialen Beschäftigungen nachgeht, die das Potenzial haben, eine hybride Identität ausdrücken zu können; sie erscheint als fast prototypische Vertreterin der in dritter Generation in Deutschland lebenden Jugendlichen mit Migrationshintergrund, denen vermittelt über die Nutzung digitaler Medien -so der Kern der neueren Debatte -der "gleichzeitige Bezug auf (mindestens) zwei kulturelle Kontexte" (Hugger 2006: 44) zu gelingen scheint. 173 Zeigt sich darin einerseits eine selbstbestimmte Form der Mediennutzung, so steht dem gleichzeitig eine bestimmte Art von Rahmung gegenüber, die Zeynep, apodiktisch anmutend, folgendermaßen formuliert: "Also, naja, deutsche Musik hören WIR ja gar nicht" (275); an ihrer Mediennutzung wird auf diese Weise eine Eigenaktivität erkennbar, die in enger Anbindung an kollektiv-familiäre Geschmacksnormen steht, in die sie sich einordnet. Während sich bisher rekonstruieren ließ, inwiefern Zeynep mittels Medien eigene Interessen verfolgt und diese selbstbestimmt und selbstbehauptet nutzt, zeigt sich weiterhin, dass sie ihre Nutzung mit Restriktionen in Verbindung bringt, wobei besonders der Umgang damit kenntlich macht, inwiefern es zu einem Oszillieren zwischen Selbstbehauptung und affirmativer Einordnung kommt. Ein Dokument dafür sind z. B. bestimmte Rollenzuweisungen und Rechte im Kontext der Mediennutzung. So berichtet sie etwa darüber, dass die Zeit zu chatten zuhause eindeutig reglementiert ist ("ich darf eine Stunde, und dann aus" 214) und während der elterlichen Anwesenheit erfolgen muss, wobei der Vater eigentlich Anstoß daran nimmt: (242) Z: Ja, mein Vater ist SCHON dagegen dass ich chatte. Aber weiß auch dass ich das nicht LASSEN kann. Dass es mir halt Spaß macht. Und deswegen hat er mir auch bestimmte Zeiten gegeben. Bezüglich des vorgegebenen Zeitfensters thematisiert Zeynep kein Ärgernis, sondern rechtfertigt dies fast in eigenem Interesse. So wird der Interviewer hier über das Verhalten des Vaters als generöses Zugeständnis an seine Tochter informiert, das er ihr in einer verständnisvollen Haltung gegenüber ihrer Chataffinität ("nicht LASSEN kann") einräumt. Indem die eigene Reglementierung von Zeynep aus der Perspektive des Vaters nachzuvollziehen und zu verstehen versucht wird, wird ihm in diesem Zusammenhang auch stillschweigend das Recht eingeräumt, sich regelmäßig Zugang zu ihrer Praxis verschaffen: (245) Z: Ja, der kommt auch immer und guckt nach was ich mache. // I: Ach so-// Z: Was wir uns so gegenseitig schreiben. So halt. // I: Mhm, und dann, also-// Z: Ich finde das immer voll lustig, dass er kommt und guckt. Weil, äh, ich meine, manchmal sage ich auch "erwarte so was nicht", weil der erwartet dass ich da-was perverses oder so schreibe und so. Deswegen guckt er immer nach. Sich in die Praxis der Tochter Einblick zu verschaffen ist dem Vater offenbar jederzeit möglich und wird von ihm auch kontinuierlich praktiziert; dabei interessiert ihn augenscheinlich nicht nur der Text der Tochter sondern auch die Antwort des Chatpartners, mit anderen Worten der gesamte kommunikative Austausch. Dagegen kann nichts unternommen werden und selbst die von Zeynep mitunter ausgesprochene Versicherung, es werde bezüglich der Unterhaltung mit den Chatpartnern nichts Unanständiges geschrieben, reicht als Abschirmmechanismus vor seinen Blicken nicht aus. Deutlich wird, dass Zeynep ihm ein Recht zur Einsichtnahme gewähren muss und dies nicht antasten kann; die Kontrolle des Vaters über die Unterhaltung der Tochter wird aufrechterhalten und dieses Sich-Fügen in eine elterliche Gewalt wird kommunikativ mit dem Mittel des Humors bearbeitet -sie findet es "voll lustig". Ein Oszillieren zwischen affirmativer Einordnung und Selbstbehauptung findet hier im Prinzip uno actu statt: Es muss sich dem Vater unterworfen werden, gleichzeitig wird sich darüber erhoben. Auch an anderer Stelle wird deutlich, inwiefern ihre Medienverwendung an eine familiäre Gewaltenteilung gebunden ist, innerhalb der sich Zeynep auf ihre eigene Weise arrangiert: (113) Z: Also nach der Schule, wenn ich nach Hause komme, mache ich auf jeden Fall meine Hausaufgaben als erstes. Übe bisschen, und danach lege ich alles zur Seite, und dann fängt meine Serie an. Gucke ich mir das an, und dann gehe ich halt raus, so für zwei Stunden oder so, und wenn ich wieder nach Hause komme, und sehe halt ich habe nichts besseres zu tun, dann gehe ich ins Internet. Das ist halt so zu verschiedenen Zeiten, und dann, eine Stunde, und danach meint mein-kommt mein Bruder aus der Arbeit und meint "ja, so ICH will mal jetzt ans Internet", dann meine ich "ja okay", dann GEHE ich, also wieder in mein Zimmer. Mache wieder was für die Schule, bereite das alles vor, was ich morgen anziehen soll, und so, und dann gehe ich wieder Fernsehen gucken. Den freizeitlichen Stellenwert ihres Medienumgangs an einem normalen Tag beschreibt sie als stabile Ordnung mit festem Ablaufschema. Nach Erledigung der Schulaufgaben, einer kurzen Übungsphase, dem Anschauen einer Fernsehserie und einem Aufenthalt draußen stellt die Beschäftigung mit dem Internet eine willkommene Möglichkeit dar, etwas zu machen, wenn man "nichts besseres zu tun hat". Während Zeynep dies als variabel schildert ("zu verschiedenen Zeiten"), scheint es eine offenbar unantastbare bzw. invariante Gesetzlichkeit zu geben, die ihre Surfaktivitäten begrenzen, und zwar die Heimkehr ihres Bruders von der "Arbeit". Seiner Aufforderung, "jetzt ans Internet" zu wollen, wird Folge geleistet. Ihm wird anstandslos das Feld geräumt und der eigene Ausflug ins Internet wird zugunsten von auf die Erfüllung von Verpflichtungen gerichteten Handlungen beendet. Zum Ausdruck kommt damit eine implizite männliche bzw. geschwisterrollenförmige Vormachtstellung bezüglich des Zugangsrechts zum Computer. Ihre eigene Internetnutzung wird von Zeynep hier zwar nicht unbedingt als Muss dargestellt, sondern eher im Sinne einer Alternativlosigkeit, dennoch setzt sie sie performativ ans Ende einer Kette von freizeitlichen Handlungsaktivitäten -sie steht am relativen Schluss eines durchstrukturierten Tages, der von abzuarbeitenden Verpflichtungen und selbstgewählten Formen der Alltagsgestaltung geprägt ist. Auf diese Weise wirkt der Gang ins Internet wie ein selbst verabreichtes Belohnungserlebnis, das man sich zugesteht, das jedoch in dem Moment, da der Bruder auf den Plan tritt, abreißt. Allerdings erscheint ihr gesamtes Verhalten ohnehin eingepasst in eine Struktur von funktionalen Erfordernissen und Gewohnheiten, von denen die Praxis, dem Bruder nach Aufforderung Platz zu machen, nur ein Element darstellt, wobei dessen Vormachtstellung von ihr nicht als störend oder geringschätzend erlebt wird, sondern als Reglementierung stillschweigend affirmiert wird. Eine stillschweigende Einordnung in ein innerfamiliäres kommunikatives Machtsystem dokumentiert sich auch in ihrer Schilderung zum gemeinsamen "Fernsehen" (156), das ausschließlich zusammen mit den Eltern stattfindet. (157) Z: Also ich MAG SOWAS nicht. Wenn ich mich auf etwas konzentriere, dann will ich nicht dass was dazwischen kommt. Ich hasse das auch, wenn ich, also was MACHE und meine Eltern halt andauernd fragen "ja, wer ist denn DER, wer ist denn DAS?" oder so. Zum Beispiel wenn wir Fernsehen gucken, dann meinen sie halt so "ist der gestorben jetzt? Hat DER ihn umgebracht?" und so, und solche Fragen mag ich nicht. Ich will also, wenn ich was MACHE, will ich das alleine machen, und mich auch darauf konzentrieren. Aber, na ja. Dass während der Mediennutzung vonseiten der Eltern ständig hereingeredet wird, "hasst" sie einerseits, andererseits nimmt sie dies als hinzunehmend wahr ("na ja"). Deutlich wird daran erneut, wie sich Zeynep innerhalb eines implizit reglementierten Rahmens bewegt, gegen den sie einerseits aufbegehrt und etwas Eigenes reklamiert, den sie andererseits nicht transzendieren kann. Aspekte einer solchen Reglementierung zeigen sich auch darin, dass Zeynep generell den Zugang zu Medien in Form einer Möglichkeit darstellt, die durch das Verhalten anderer Familienmitglieder präkonfiguriert ist. Dies beginnt mit den Gelegenheiten fernzusehen ("wenn der besetzt ist, geht's nicht, dann kann ich noch DVD auf Computer gucken", 121), setzt sich fort bei der Verfügung über Computerspiele ("nur wenn mein Vater Spiele MITbringt", 121) und zeigt sich schließlich auch bei der Aufstellung des internetfähigen PCs zuhause: Dieser steht "im Schlafzimmer von meinen Eltern, ja und mein Bruder hat einen, aber da ist kein Internet" (71); während also zuhause der Zugang zum internetfähigen Computer beschränkt ist, weicht Zeynep des Öfteren auf ein Internetcafe aus. Allerdings bestehen auch hier Barrieren, denn dieses kann nicht immer einfach so betreten werden: "Wenn meine Cousins und so dort-da drin sind, dann DARF ich da nicht rein" (73) -Grund ist, dass diese nicht wollen, dass es zu einem Kontakt "mit Jungs" (77) kommt. Obgleich sie einerseits der Macht ihrer männlichen Verwandten unterworfen ist, gelingt es ihr dennoch, sich Zutritt zum Internetcafe zu verschaffen; sie beschreibt dies in Gestalt einer selbstbewussten Raumnahme durch ihre Peergroup ("wenn wir viele Mädchen sind, und wenn es auch leer ist, dann gehen wir rein", 78), die beinahe wie ein gruppenhafter Triumph anmutet ("Und dann machen wir, was wir da machen können", 79). Sind die Hürden zum Internetcafe überwunden, ist es Zeynep möglich, dort "Spaß" (143) zu haben und "am meisten ist das Chatten" (143): (145) Z: Ich weiß nicht so, du hast dann halt bestimmte Personen dort, mit denen du ÖFTERS chattest, denn meinst du halt so "ja, komm mal um so und so viel Uhr halt rein, lass mal reden" und so, und dann redest du halt mit denen. Oder mit anderen Kumpels aus der Gegend. Die sind halt dann auch öfters dort drinne. Dann chattest du halt mit denen, anders am Telefon halt. […] Weiß ich nicht, weil, am Telefon kannst du nur mit EINER Person reden. Und wenn du chattest, kannst du gleichzeitig mit voll vielen anderen chatten. Es bildet sich ein spezifischer Personenkreis aus, mit dessen Mitgliedern sich unterhalten werden kann, wobei sich auch zeitlich fest verabredet wird. Dies stellt sich dar als eine selbstbestimmte Möglichkeit, intensiv Kontakte mit Freunden zu pflegen und Alltagsgespräche in den Chat zu verlagern. Dabei ist gegenüber dem konventionellen Einszu-Eins-Gespräch per Telefon vor allem die Option interessant, die Unterhaltung auf eine größere Gruppe auszuweiten. Vermittelt über die Möglichkeiten des Chats setzt sie sich auch selbstbewusst über das eigentliche Verbot ihrer männlichen Familienangehörigen hinweg, zu Kontakt "Jungs" (35) zu haben. Während der Beziehungsaufbau zum anderen Geschlecht in die Online-Kommunikation ausgelagert wird, zeigt sich, dass Zeynep sich auch dort am Primat einer männlichen Dominanzstellung orientiert. Das "Reden" (35) mit Jungen schildert sie so: (36) Z: Mit dem, der mich halt (3) da-dazu anfordert. Und sagt "hallo", und denn (1) bin ICH halt an der Reihe, und dann kann ich dann, und dann haben wir halt so einen Kontakt. […] (1) Fast jeden Tag ((lacht)), also entweder bei Edencity oder myflirt. // I: Warum gerade da? // Z: Ich WEISS nicht, bei Edencity, da gibt's dann halt Bekannte aus Kreuzberg voll viele, und bei myflirt auch halt. Da kannst du dir doch AUCH denen-so die Fotos sehen und so. Und Jungs, na ja, dann meinte ich so "joah, der ist was für mich" ((lacht)). Danach halt, guckst du halt, wartest so, ob er dir ein Angebot macht, ob er dein Kumpel sein würde, und denn, wenn er "ja" sagt, dann hast du vielleicht AUCH Kontakt mit ihm, dann gibt er dir auch vielleicht so Email zum austauschen. Und dann, also WENN, schreibe ich ihm auch Emails, und die mir auch, oder (2) er mir. Während die Kommunikation unter vielen, der Gruppenchat, wie eine wechselseitige Aktivität des Redens "jeder mit jedem" schien, schildert sie den Moment einer heterosexuellen Kontaktanbahnung weitaus passiver und zurückhaltender. Es wird gewartet, bis sie ein Junge "anfordert" -was begrifflich eine Synonymität zu ordern oder bestellen aufwirft. Folgt man dieser Lesart, dann erscheint darin eine Selbstzuschreibung als Objekt, das die Zuneigung zu diesem vom Willen bzw. der Intention des Jungen abhängig macht. Das Zueinanderkommen innerhalb einer gemischtgeschlechtlichen Kommunikationssituation -die Geschlechterbegegnung -vermittelt sich auf diese Weise wie ein Aufrufen der Frau seitens des männlichen Partners. Eindeutig scheint in jedem Fall die sequenzielle Abfolge des Kontaktgeschehens zu sein: Erst nach Eingabe des auffordernden "hallo" ist das Mädchen "an der Reihe" und "kann" seinerseits aktiv werden bzw. sein. Den Vorteil der von ihr favorisierten Chatcommunities beschreibt Zeynep unter anderem damit, dass diese auf ihren Seiten eine visuelle Vorabauswahl einer offenbar großen Menge männlicher Chatpartner ("voll viele") erlauben; spielerisch ist es hier möglich, sich durch Betrachten von "Fotos" selbst einen Jungen auszuwählen, der den eigenen Vorstellungen entspricht; sie wähnt sich souverän und fast lustvoll, hier eine Auswahl treffen zu können ("joah, der ist was für mich"). Kontakt kommt jedoch erst dann zustande, wenn dieser gleichsam Auserwählte wiederum "ein Angebot" macht, sich also seinerseits interessiert zeigt und die Initiative ergreift. Übergreifend wird deutlich, wie sich Zeynep selbst in einer tendenziell passiven Rolle sieht, während der männliche Part als aktiv angesehen wird -er ist Agens und von ihm ist abhängig, ob "vielleicht" ein Kontakt zu ihm zustande kommt, indem er der Partnerin eine Emailadresse hinterlässt. Insofern schildert Zeynep den Chatkontakt zu Jungen als eine vergeschlechtliche Praxis mit klarer Rollenverteilung, die sich spiegelbildlich zu den Darstellungen etwa im Fall von Ferhat und Sercan liest -diese beschreiben die Rolle des männlichen Chatpartners als aktiv und betont souverän; man "holt sich" eine Freundin aus dem Chat bzw. will sich dort eine "klären". Diese Orientierung an einem bestimmten Geschlechtsrollenverhalten wird dadurch differenziert, dass Zeynep auch unterschiedliche inhaltliche Präferenzen der Mediennutzung damit in Verbindung bringt, die sie als Dichotomien von Vorlieben thematisiert: (115) Z: Also, (2) weiß ich jetzt nicht, so Internet? Also ohne Internet einen Computer zu besitzen ist langweilig. Ja, weil, ich weiß nicht, ist BESSER halt. Internet. Also wenn ich einkaufen will, aber ich weiß gar nicht also, was dort alles ist. Und im Internet gucke ich halt nach, ja, das ist ja billig, und meine Mutter macht es ja auch. Weil sie ist so ein Kauf-Freak. Ja, und dann halt, dort-und dann meinen wir "ja, lass uns dort hingehen, dort ist was billiges", dann gehen wir halt da so hin. Besser halt als halt SO rum zugehen und denn halt ohne Tüten wieder nach Hause zu kommen. // I: Was kauft ihr dann so? // Z: KLAMOTTEN ((lacht)) (2) Aber mein Vater, DER guckt sich SCHON auch so diese Seiten von Mediamarkt, Saturn oder so an. Geht auch manchmal hin so, guckt so, so da und da. Ein PC "ohne Internet" erscheint öde, weil man dadurch der Möglichkeiten beraubt wäre, sich vor einem Einkauf über das Produktangebot zu informieren. Das world wide web bietet optimale Gelegenheiten, sich über das Vorhandensein preiswerter Angebote einen Überblick zu verschaffen, wobei es sich um eine Praxis handelt, die sie auch gemeinschaftlich mit der Mutter teilt. Mutter und Tochter erscheinen hier wie Schnäppchenjäger, stets darum bemüht, etwas Günstiges zu finden, wobei ihnen das Internet zum perfekten Hilfsmittel wird, die Einkaufstouren nicht zu ergebnislosen Ausflügen werden zu lassen. In Kontrast dazu skizziert sie ihren Vater, den sie nach kurzer Pause mit einem betonten Demonstrativpronomen als jemanden darstellt, der im Internet "SCHON auch" das Angebot von Technikmärkten aufsucht. Sichtbar wird dadurch eine Grenzziehung zwischen einem weiblichem und männlichen Mediennutzungs-und einem sich daran anschließenden Einkaufsverhalten: Wonach geguckt bzw. gesucht wird, ist scheinbar klar festgelegt. Während Zeynep und ihre Mutter Kleidung favorisieren, ist das Interesse des Vaters auf Technik und Geräte gerichtet; sein Einkaufsverhalten ist flanierend bzw. schlendernd, während es Zeynep als "besser" bezeichnet, sich in Geschäften zielgerichtet und erfolgsorientiert zu bewegen anstatt sich treiben zu lassen. Das eigene Vermögen, sich spielerisch und kenntnisreich im Internet orientieren zu können, fokussiert sich hier auf die Funktionalität zu preisgünstigem Konsumverhalten, während dies für den Vater offensichtlich nicht gilt. Die Praxis der Frauen erscheint hier aus Zeyneps Schilderung nicht unbedingt minderwertig, wird jedoch deutlich hierarchisch konnotiert. Weibliche und männliche Medienzuwendung einschließlich ihrer Referenzen wird dichotomisiert und habituell festgeschrieben, gleichzeitig dokumentiert sich in der Nutzung der Frauen, abseits der Männerwelt eigenen Konsum-und Geschmacksinteressen nachzugehen, auch ein selbstbewusstes Verhalten. Inwiefern sich ein solches Selbstbewusstsein durchaus in Synthese zu einer Rollenund Machtverteilung befinden kann, lässt sich am Beispiel einer innerfamiliären Computerpraxis weiter verfolgen: (153) I: Erzähl doch noch mal ein bisschen was du sonst noch so alles mit dem Internet machst. Z: (3) ((lacht)) Ich konnte wegen dem Internet meinem Cousin bei seiner Prüfung helfen. I: Aha, erzähl doch mal davon. Z: Also, der hat-der will Geschichtslehrer werden. Und der wusste GAR NICHT mehr weiter ((lacht)). Und er war völlig durcheinander dass ihm das nicht einfiel dass er im Internet AUCH mal nachgucken kann ((lacht)) Und das war dann halt, ich weiß nicht. Es war glaube ich, der musste dann auch auf diealso an die Tafel, also, nee, was musste er denn tun? (2) Weiß ich auch nicht mehr, aber, vor der GANZEN Schule musste er schon was vortragen. Keine Ahnung. Und dann-er wusste gar nicht mehr weiter, er hatte nur ein Thema noch, und-dann meinte ich guck' doch mal im Internet nach und so. Und dann, er wusste die Seite nicht. Und dann meinte ich, also er hat bei google nachgeguckt. Und da hat er dann auch nichts Interessantes gefunden. Und dann, ich hatte ein Buch von Was ist Was. Und dort haben wir dann halt nachgeguckt, und da war voll vieles. // I: Und da hast du ihm dann so geholfen? // Z: Ja, und er hat es dann auch bestanden. Jetzt ist er Geschichtslehrer. Er hat's GESCHAFFT ((lacht)). Zeynep schildert ihren männlichen Verwandten als einigermaßen desorientiert, indem er während seiner Prüfungsvorbereitung beispielsweise vergaß, dass doch das Internet eine Informations-und Wissensquelle sein kann. Sie stellt dies dar wie ein belustigendes Erheben über den dummen, ahnungslosen Cousin. Vor dem Hintergrund, dass eben dieser Cousin ansonsten als gate-keeper in Erscheinung tritt, bestimmend, wann sie das Internetcafe betreten darf (siehe oben), erscheint es, als ob es Zeynep hier gelingt Weise gelingt, ein Stück Macht über ihn zurück zu gewinnen: Ohne sie wäre er "GAR NICHT" mehr weitergekommen. Die Abhängigkeitsverhältnisse kehren sich für einen Moment um -er ist nun auf sie angewiesen. Gleichzeitig überlegt sie in dieser Passage intensiv, worin denn nun die von ihm zu meisternde Herausforderung genau bestand, die sie dann als zumindest nicht eben einfache Aufgabe skizziert: Er hatte sich mit einem Vortrag vor der gesamten Schulgemeinde zu exponieren, steckte mit seinem "Thema" allerdings in einer Sackgasse. In dieser Situation dient sich Zeynep ihm mit ihrem Medienwissen und ihrer Medienerfahrung an: Sie gibt ihm den Tipp "doch mal im Internet" zu gucken, was sich jedoch nicht als erfolgreich erweist; am Ende dient als Quelle der Vorbereitung ein Sachbuch ("Was ist Was"). Was sich in dieser Erzählung dokumentiert, ist eine in ein spezifisches Rollenmuster eingelassen Beziehungsqualität, an der sich Zeynep orientiert. Vor allem hinsichtlich der Konstellation des Szenarios scheint darin der Habitus einer helfenden Unterstützerin auf, die ermutigend zur Seite steht und sich situativ fürsorglich kümmert, während sie gleichzeitig im Schatten des erfolgreichen Ranghöheren verbleibt. In diesem Sinne haftet der hier wiedergegeben Episode etwas Konservatives an: So geht es Zeynep betont darum, ihr Wissen in den Dienst des Cousins und seines beruflichen Projektes, Lehrer zu werden, gestellt zu haben. Der Hinweis auf entsprechende Webseiten ist der Versuch, zu dessen Erfolg -dem Bestehen der Prüfung -beizutragen, eine Aufgabe, die sie überdies fast in Form einer vom Cousin zu meisternden heldenhaften Bewährungsprobe vorträgt. Den Schlüssel dazu sieht sie zwar in ihrem Wissen, gleichzeitig ist der gesamte Prozess vor allem hinsichtlich seines Erfolges relevant ("er hat's GESCHAFFT"). Interessanterweise bindet Zeynep ihre Hilfe auch nicht an ihre technische Expertise, sondern letztlich gelingt die Prüfungsvorbereitung im Rückgriff auf ein traditionelles Printmedium, welches sie "hat". Das in der Passage zum Ausdruck kommende Selbstbewusstsein, vermittels eigenem Wissen und Erfahrung eine Gleichheit oder sogar eine Überlegenheit zu erringen, lässt sich so gleichzeitig als Orientierung an einem hierarchischen Ordnungsschemas von gesellschaftlich erfolgreichem Mann versus häuslich helfender Frau rekonstruieren. Insofern handelt es sich um ein Selbstbewusstsein, dass die eigene Einbindung innerhalb eines Macht-bzw. Ordnungsverhältnisses mit sich führt. Ihre Einordnung in ein solches Macht-bzw. Ordnungsverhältnis wird von Zeynep dann auch nicht nur als selbstverständlich und normal, sondern auch als positiv dargestellt, selbst da, wo dies wie eine Funktionalisierung anmutet, sichtbar in einer weiteren Szene familiärer Mediennutzung: (227) Z: Internet, ja, ist wichtig (2). Ist wichtig in unserer Familie. Weil wir erledigen voll viele Sachen im Internet. I: Und, ja, macht ihr auch manchmal was zusammen? Z: Ja, wenn ich halt zum Beispiel mit meinem Opa Emails verschicke und so. Und dann kommt die ganze Familie, und sagt "ja, schreib mal Opa das und das, schreib mal Opa das und das" und "was er macht" und so. Und halt so was. (2 Offensichtlich zunächst alleine am Computer "kommen" die anderen hinzu und geben ihr etliche Instruktionen, was sie nun zu schreiben hat. Zum Ausdruck kommt darin, dass sie funktionalisiert wird bzw. sich (bereitwillig?) funktionalisieren lässt, wenn es darum geht, die textförmigen Eingaben für die Familie zu erledigen. Ihre Darstellung weist darauf hin, dass sie eher Wünsche umsetzt als selbst am Inhalt der Nachrichten an die Verwandten beteiligt zu sein. Während sie für die Schreibarbeit zuständig ist, deutet sie dann euphorisch als "voll COOL", dass mittels Kamera auch Bilder verschickt werden; der dafür Zuständige ist wiederum ihr Vater, der eine solche Kamera "hat" und "weiß" wie man damit umgeht. Etwas überspitzt formuliert: Der Zuständige, Gestalter 311 und Ermöglicher des visuellen Erlebnisses ist das männliche Familienoberhaupt, während Zeynep die Funktion der Sekretärin übernimmt. Es kommt zu einer Funktionalisierung, die als im Dienste des gemeinschaftlichen Familienerlebens stehend geschildert wird und die zugleich erneut von einer Dichotomie männlicher und weiblicher Technikverwendung durchdrungen ist. Aspekte einer Funktionalisierung lassen sich auch daran zeigen, dass Zeynep den neuen Medien eine hohe berufsbiographische Relevanz zuspricht und sich mit ihnen bereits eigenaktiv über ihre berufliche Zukunft informiert hat. Zum Ausdruck kommt darin eine Selbstfunktionalisierung, die ihrerseits eingespannt ist in das Changieren zwischen der Suche nach einer eignen Entwicklungsperspektive und der Erfüllung anstehender Anforderungen. So berichtet sie stolz von ihrer Nutzung der Seite "Berufenet" (45): (45) Z: Bei Berufenet. Ja, weil ich, auch, bis zur heutigen Zeit nicht wusste, was ich SEIN will. Und (3) wegen dem Internet habe ich jetzt-WEISS ich jetzt was ich sein will. // I: Mhm // Z: Ja, äh, na ja ich habe halt so meine Interessen und so alles rauf geschrieben. Ich meinte so, "ja, mit dem Computer arbeiten" und so. Und dann, also auch wo ich auf der SCHULE bin, wie mein Notendurchschnitt ist, und dann, wie also-so der Gehalt sollte AUCH gut sein. Und dann, so halt, im Deutschunterricht und so, Rechtschreibung ist halt gut bei mir. Und danach meinten die dann halt ja, "Verwaltungsfachangestellte IST was für dich". Ja, weil da auch stand, Hobbies und so, Stärken und Schwächen. Ja so war das. I: Aha, und wer meinte das? Dass das was für dich ist, das habe ich noch nicht verstanden. Z: Ich hab's RAUF geschrieben, und denn kam auf einmal diese Seite. I: Ach so // Z: Ja // I: Und jetzt weißt du, dass du das machen willst? // Z: JA, Verwaltungsfachangestellte. Das eigene Aufsuchen einer offiziellen Berufsinformationsseite hat ihr nach eigenem Bekunden geholfen zu wissen, was sei "sein" will, worin anklingt, dass sie einen Zustand längerer Orientierungslosigkeit selbstständig beendet hat. Auf diese Weise vermittelt sich Zeynep als auf der Höhe der Zeit der einschlägigen Medienkompetenzdebatte, in der die Nutzung des Internets zur frühzeitigen eigenständigen Suche Jugendlicher nach Zukunfts-und Beschäftigungsmöglichkeiten eine häufige Forderung darstellt. Die Suche nach ihrem Wunschberuf schildert sie dabei so, dass dabei eigene Vorlieben, Leistungen sowie gewünschte Verdienstmöglichkeiten eine Rolle spielen sollten. Bei der Berufsberatung ging es ihr also zunächst darum, entlang der eigenen Interessen und Vorstellungen vorzugehen. Während sie diese nun einerseits gewahrt sehen möchte, übernimmt sie andererseits -scheinbar alternativlos -den Beruf, der als passend zu ihren Angaben herausgefiltert wurde. So thematisiert sie nicht, nach alternativen oder äquivalenten Berufen gesucht oder verschiedene Möglichkeiten einer zufrieden stellenden Passung durchgespielt zu haben, sondern allein die Übernahme einer Fremdeinschätzung, die ihrerseits nicht weiter hinterfragt, sondern affirmiert wird, zumal sie erklärt, dass diese Fremdeinschätzung doch genau mit ihrem Profil übereinstimmt ("Hobbies und so, Stärken und Schwächen"). Auf diese Weise vermittelt sie "Verwaltungsfachangestellte" als denjenigen Beruf, der augenscheinlich perfekt zu ihr passt, weil er sich komplementär zu ihrem Profil darstellt. Das Finden ihrer eigenen (Zukunfts-)Perspektive stellt sich demnach aus ihrer Sicht als Resultat einer Fremdeinschätzung und insofern als Übernahme heteronomer Kategorien dar, zugleich aber auch als persönlich adäquat. Im Prinzip ist hier kaum zu unterscheiden, ob es sich dabei um eine (überspitzt gesagt: selbstlose) Reproduktion einer Fremddiagnose oder, genau andersherum, um das selbstgesteuerte, zielstrebige und individuelle Projekt einer subjektiv zufrieden stellenden Zukunftsplanung handelt. Anders ausgedrückt: Sie macht, was man ihr sagt, ohne dass dies wie einfacher Gehorsam, sondern wie die Anbahnung eines selbst gewählten Weges erscheint. Homolog dazu schildert sie auch medienbezogene Lernwünsche: (161) Z: Ja, dieses-das freie Schreiben. Halt ohne auf die Tasten zu gucken. // I: Mhm // Z: Weil das braucht man auch als Verwaltungsfachangestellte. Weil man da richtig so voll viel Texte schreiben muss und so. Und da will ich halt nur auf den Bildschirm gucken. Weil das bringt mich dann ja AUCH völlig durcheinander. I: Mhm. Und, wie würdest du das lernen wollen, also hast du da schon eine Idee? Z: Ja, durch Computerkurse. Also ich will mich jetzt also nach diesem Halbjahr auch da anmelden bei TREND am M.-Platz. (2) Das ist mein Onkel, der Besitzer. Und deswegen, dort-durch den, und da will ich dort-// I: Das ist ein Computerladen? // Z: Ja, Computerkurs und Nachhilfe. // I: Ah ja, und da willst du das dann lernen. // I: Mhm. Freu mich schon drauf (2) Die für sich erwünschte Fähigkeit des blind Tippen Könnens erklärt Zeynep aus der Anbindung an die beruflichen Anforderungen in Form großer Mengen anfallender Textverarbeitung und relationiert einen medienbezogenen Lernwunsch insofern zu einer beruflichen Qualifikation. Dieses Tippen -eine externe Erwartungshaltung der Beherrschung instrumenteller PC-Kenntnisse -möchte sie so "richtig" wie möglich, das heißt am besten professionell ausführen können. Der Computer erscheint hier zwar als Hilfsmittel, das die Bewältigung großer Textmengen erleichtert und es kommt Zeynep vor allem auf die korrekte Bedienung an, um den Anforderungen gerecht werden zu können, von denen sie glaubt, dass sie an sie gestellt werden: In einer solchen Situation möchte sie ungern "durcheinander" geraten, d. h. fehlerhaft arbeiten und damit die erwarteten beruflichen Anforderungen verfehlen. Zu deren Vorbereitung plant sie die Inanspruchnahme eines formalen Bildungsangebotes, und zwar bereits sehr präzise: So stehen z. B. Zeit und Ort bereits fest, wobei sie an ein familiär vorhandenes Bildungskapital anschließen möchte. Deutlich wird hier eine Bildungsaspiration, die bereits sehr deutliche Züge trägt und die computerbezogenen Kompetenzerwerb zur Erfüllung sachstrukturierter Erfordernisse relationiert, die zudem in Obhut von männlichen Vertretern der familiären Sphäre erfolgt. Zum Ausdruck kommt damit eine Aufwärtsmobilität mit gleichzeitiger starker Bindung an die Herkunftsfamilie. Insofern dokumentiert sich hier wieder ein Selbstbe-313 wusstsein, das Verfolgen einer eigenen Perspektive und die Antizipation beruflicher Anforderungen -der Computerkurs wird eigeninitiativ aufgesucht ("ich will mich (…) anmelden"); gleichzeitig eine Unterwerfung unter das Erfordernis, heteronom geformte Anforderungen funktional zu erfüllen, die zudem in der Sphäre älterer männlicher Familienangehöriger erfolgt. Eine Sunay und Zeynep vergleichbarer Orientierungsrahmen lässt sich bei Derya nachzeichnen. Derya ist 15 Jahre alt und lebt bei ihrer Mutter. Ihre Eltern leben seit 26 Jahren in Deutschland, seit zehn Jahren sind sie getrennt. Ihre Mutter arbeitet als Servicekraft. Derya hat eine zehn Jahre ältere Schwester, die in einer westdeutschen Großstadt lebt. Auf die Frage nach ihren Hobbies gibt Derya an, eigentlich keine speziellen zu haben; "höchstens mal so Fernsehen" oder "rausgehen". Derya ist groß und erscheint zum Interview in dunkler eleganter Kleidung; sie ist leicht geschminkt und hat lackierte Fingernägel. Zu ihrer Verwandtschaft in die Türkei hat sie nach eigener Aussage wenig Kontakt ("also wenn ich natürlich rüberfliege, ich war jetzt das letzte Mal vor zwei Jahren da, und sonst nicht. Also wir telefonieren auch nicht", 88). Nachdem Derya zunächst etwas angespannt wirkte, wird die Gesprächsatmosphäre sehr schnell offen und freundlich. Um Getränke zu holen, unterbrechen wir das Interview einmal. Derya situiert ihr Handeln immer wieder in Relation zu Impulsen anderer Personen und vermittelt ihre Medienpraxis jeweils innerhalb von ihr als feststehend dargestellten Rahmenbedingungen. Wie sie zu ihrem Computer gekommen ist berichtet sie anhand einer Schilderung, in der sie die Anschaffung eines PCs als eine zielstrebige und ehrgeizige Investition ihrer Mutter in ihren Bildungserfolg darstellt ("dass ich auch lernen kann am Computer", 28), zugleich aber auch als eine heteronome Aktivität ("sie hat ihn angeschafft, also ein Exfreund hat den glaube ich mitgebracht", 28); ähnlich wie Zeynep und Sunay vermittelt auch Derya eine gewisse Lernwilligkeit und Bildungsbereitschaft, die sie zugleich als abhängig von fremden Impulsen kennzeichnet. So erklärt sie etwa, angesprochen auf eine Nutzung des Computers im Schulkontext, zu dessen Verwendung eine konkrete Aufgabenstellung zu benötigen, um aktiv zu werden: Sie beschreibt sich als ehrgeizig, zugleich aber auch begrenzt, selbstbewusst und zugleich auf die Erfüllung einer ganz spezifischen Aufgabe fokussiert; sich selbst verortet sie dabei zwischen Aktivität und Passivität: (99) I: Benutzt du den Computer manchmal für die Schule auch? D: Nee ((lacht)), GAR NICHT. Nein, na ja ich wollte mal, ich hab es mir vorgenommen, aber ich wusste gar nicht was. Weil, das einzige wenn ich so mal Referate schreibe, dass ich das tippen kann. Aber irgendwie habe ich noch nie die Gelegenheit gehabt, oder ich hatte noch nie ein Referat was ich zuhause schreiben konnte. Also ich habe das noch nie benutzt, für die Schule. Eine Absichtserklärung formulierend, sich einer Anstrengung zu unterziehen, signalisiert Derya das Vorhandensein einer prinzipiellen Motivation -allerdings ist ihr ein ebenso prinzipieller oder universeller Nutzen nicht klar. So dokumentiert sich hier ein lediglich diffuses Wissen um die potentiellen Einsatzmöglichkeiten des PCs im Schulkontext; das, worauf sie konkret zugreift, ist der Einsatz in Bezug auf eine spezifische Verwendungsform in Relation zu einer Aufgabenstellung. Damit erklärt sie eine deutliche Bereitschaft, Medien zu nutzen, die sie zugleich durch konkrete Impulse und Aufträge motiviert sieht. So koppelt sie ihre Absicht, mit dem Computermedium für die Schule aktiv werden zu wollen, aber bisher nicht geworden zu sein auch nicht an Unlust, sondern an einen Anlass, der sich bisher nicht ergeben habe -sie hatte bisher einfach noch nie ein Referat zum "tippen". Reformuliert deutet sich darin an, dass Derya sich implizit fragt, warum man ihr bislang keines aufgegeben hat -sie hätte es dann am Computer gemacht. Auf diese Weise entlastet sie sich von der Verantwortung für eine bislang ausgebliebene schulische Mediennutzung und behauptet sich selbstbewusst angesichts einer selbst erkannten und auch selbst thematisierten Begrenztheit des eigenen Handlungsspielraumes. Sie lässt hier die Möglichkeit im Raum stehen, dass es ja irgendwann mal eine Gelegenheit geben könnte, die sie dann ergriffe. Auf diese Weise inszeniert sie sich als grundsätzlich nutzungsbereit und schreibt sich das Vorhandensein eines Willens bzw. einer Motivation zu. Dass dies nicht in die Tat umgesetzt wurde relationiert sie zu äußeren Rahmenbedingungen, wodurch deutlich wird, inwiefern Derya sich daran orientiert, in einem vorrangig pränormierten Handlungsrahmen aktiv zu sein. Sie positioniert sich ehrgeizig, relationiert dies aber mit spezifischen Anforderungen und schildert sich abhängig von heteronomen Impulsen, infolgedessen sie eine entsprechende Medienpraxis enaktiert. Eine solche Selbstpositionierung zieht sie auch durch ihren biographischen Zugang zum Computer, welchen sie "seit drei oder vier Jahren glaube ich" (27) besitzt: Sie erzählt, wie sie den Wunsch hatte, im Verlauf der Zeit an die schulbezogene Mediennutzung der Schwester anzuschließen, einem Anliegen ähnlich, ihr nachzueifern bzw. es ihr gleichzutun -ohne eine tatsächliche Umsetzung. Stattdessen geht sie darauf ein, wie sie es stattdessen gemacht hat; sie erfuhr von anderen, was diese tun ("ins Internetcafe gehen", 24), ohne dass sie über ein gemeinsames Erschließen des Mediums mit ihnen berichtet, sondern wiederum nur ihre eigene Entwicklung hin zu einer Medienbesitzerin verdeutlicht. Insgesamt thematisiert sie auf doppelte Weise einen Anschluss an etwas ihr differentes mit anschließender Artikulation von etwas Eigenem und changiert dabei zwischen Prinzipien von Nachahmung und Abgrenzung; es geht ihr, ähnlich wie den anderen beiden Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund, um ein Geltend-Machen eines eigenen Handlungsrahmens, der sich eng an äußeren Vorgaben und Tätigkeiten anderer ausrichtet. An ihrer Nutzung von Emails wird dies besonders deutlich: (83) I: Wie ist denn das mit anderen Sachen bei dir so im Internet, so zum Beispiel Email schreiben, machst du das auch? D: Ich habe zwar eine Emailadresse, aber irgendwie, also mein Freundeskreis die haben alle KEINE Emailadresse. Und WENN ich mal Emails schreibe dann meiner Schwester, oder ja, also eigentlich NUR meiner Schwester. Sonst kenne ich keinen hier, der eine Emailadresse hat. Und ich glaube nicht die wollen auch nicht, dass ich jetzt Emails schicke oder so. Die würden das selber auch nicht machen. Während das Emailschreiben auf den Kontakt zu ihrer Schwester eingeschränkt ist, beschreibt Derya, wie sie sich darüber hinaus an ein soziales Einvernehmen bezüglich dieser Form der Mediennutzung hält. Deutlich wird daran erneut, inwiefern sie innerhalb eines Mediennutzungsrahmens verbleibt, den sie als feststehend erlebt. So ist sie prinzipiell bereit, das Medium (aktiv) zu nutzen und tut dies auch, allerdings in enger Relation zur Nutzungsmöglichkeit des Sozialgefüges ihrer peergroup, der sie eine fundamentale Prägekraft über ihr Handeln zuspricht: Emails zu schreiben, selbst wenn die anderen eine Adresse besäßen, wäre etwas sozial Unerwünschtes -eine Handlung, die nicht dem entspricht, was andere wollen. Es ist aus ihrer Sicht der Wille anderer, dass sie sich dieser Mediennutzungsoption nicht bedient, zumal die anderen das, was sie von Derya wollen, dass sie es nicht tut, selber auch nicht tun. Auf diese Weise verortet Derya ihre Mediennutzung innerhalb einer sozialen Konvention, in die sie sich einfügt. Sie übernimmt die Impulse, die von anderen ausgehen und setzt ihr eigenes Verhalten in Beziehung dazu. Auch die Genese ihrer Handlungsfähigkeit schreibt Derya vorrangig der Prägung durch andere zu und orientiert sich an Mechanismen der Adaption von Umgangsformen. Schilderte sie etwa die Bereitstellung der technischen Infrastruktur als heteronom, geht es ihr darum, sich dieser einfach bedienen zu können. Selbstbewusst stellt sie im Folgenden dar, auf welche Weise sie zu einer Internetnutzerin geworden ist und leitet dies zugleich durch die Nennung heteronomer Impulse und der für sie relevanten Rahmenbedingungen ein: (33) D: Durch meine Kumpels. Die haben halt gesagt "ja, komm mal mit, hier gibt's myflirt", das ist so eine Chatadresse. Und da habe ich mich halt angemeldet. Und seitdem nutze ich das auch regelmäßig. I: Wie hast du denn gelernt, wie man das Internet so benutzt? D: Eigentlich automatisch so irgendwie. Also ich habe mal gefragt immer mal wieder. So mal meine Schwester oder meine Mutter. Und die haben mir das erklärt. Oder wir hatten hier in der Schule auch ITG, da haben wir auch ein bisschen gelernt. Aber ich war auch nicht so oft da ((lacht)). Also, eigentlich so durch alleine. Irgendwie halt mal ausprobiert, wo man klicken muss, und was sich dann öffnet. Und SO hat man das dann eigentlich gelernt würde ich mal sagen. I: Hat dir das was ihr so in ITG gemacht habt geholfen? D: Eigentlich GAR nicht ((lacht)). Weil, irgendwie wir haben besprochen, aber ich muss auch sagen ich war wirklich nicht oft da, und als ich da war haben wir besprochen wie so ein Computer drinne aussieht. Und das hat mich irgendwie weniger interessiert. Weil ich schraub ja keinen Computer auseinander ((lacht)), und gucke erstmal was da so für Dinger da drin sind ((lacht)). Und sonst, eigentlich viel gelernt haben wir da nicht. Oder ICH zumindest nicht. Sich das Internet zunutze machen wird zu einem wie von selbst ablaufenden Prozess einer Praxis unter Freunden oder gleichgeschlechtlichen Familienangehörigen. Erkennen lässt sich hier, wie Derya sich zunächst selbst in ein durch die peergroup geprägten Schema einordnet und deren Aufforderung befolgt; sie verortet sich in einem vorstruk-turierten Rahmen, innerhalb dessen sie zielgerichtet agiert, wobei sie sich als grundlegend umgangskompetent präsentiert. Sich vom schulischen Computerunterricht distanzierend signalisiert Derya eine Abwehr gegenüber einer auf die Hardware bzw. die Architektur bezogene Auseinandersetzung mit dem Computermedium und stellt dem eigene Lernwege maximal gegenüber. Es geht ihr darum, im Rahmen eigener Ziele aktiv zu sein; so behauptet sie sich hier souverän gegenüber den Ansprüchen seitens der Schule, schreibt sich eine selbstgesteuert prozessierende Handlungsfähigkeit und situiert sich in einem Rahmen unmittelbarer Handlungsvollzüge. Insofern könnte man hier von der Herausstellung einer eigenen Handlungsfähigkeit angesichts einer bewussten Nicht-Einordnung unter Ansprüche und Verpflichtungen sprechen. Sie orientiert sich an einem Geltend-Machen einer selbstbewussten Position angesichts von Anforderungen und der Demonstration selbständiger Handlungswege. Im positiven Gegenhorizont stehen hier das Anzeigen einer vermittels des Einfügens in etwas Vorgefundenes erlangten Selbsthandlungsfähigkeit und die Abgrenzung von computerbezogenen Spezialkenntnissen. Orientiert an einem Geltend-Machen eigener Ziele, das sich in Wechselwirkung mit einem feststehenden Handlungsrahmen befindet, berichtet Derya von ehemals eigenständigen Medienaktivitäten ("früher, also ich hatte immer so Phasen, da gehe ich zum Beispiel im Monat so fast jeden Tag ins Internet", 41), die sich infolge eines kurzzeitigen Auszuges von zu hause reduziert haben. Dass sie nun weniger aktiv ist als früher beschreibt sie jedoch nicht mit einem nachgelassenen Interesse, sondern damit, dass sie zwischendurch "kein Internet" (41) mehr hatte. Auch im Folgenden wird deutlich, dass ihre Nutzung in stabile Rahmenbedingungen situiert ist, angesichts der sich Derya zwar negativ beeinflusst sieht, zugleich aber als unantastbar ansieht: (237) D: Und sonst halt früher runterladen, aber das jetzt auch nicht mehr, leider ((seufzt)) // I: Warum findest du das schade? // D: Na ja weil ich keine guten CDs mehr habe. Weil, so hatte ich halt immer gute CDS, oder wenigstens konnte ich das hören. Und jetzt darf ich das halt nicht mehr. Und das ist halt doof. Weil, ich kauf mir auch keine CDs, dafür bin ich viel zu geizig. Und, na ja. So hatte ich halt immer mal eine gute CD, oder konnte mir auch was brennen. Und das war halt besser. Und jetzt kann ich nicht mehr. Und ich wüsste jetzt auch wie man DVD-Filme runter lädt, aber das geht ja jetzt auch nicht mehr. // I: Wie meinst du das? // D: Durch einen Kumpel, also der hat es mir halt ein bisschen erklärt. Also ich weiß nicht ob ich es RICHTIG könnte, aber er hat es mir erklärt wie man es machen soll. Und, ja das wäre auch gut, wenn ich immer die neuesten Filme hätte. Aber das geht halt nicht. Weil da hat meine Mutter wirklich Angst, dass halt irgendwann die Polizei kommt, und wir Strafe zahlen müssen oder so was. I: Ach so, das hat sie richtig gesagt, dass du das nicht darfst? D: Das darf ich nicht. Sie hat irgendwie das Programm weggemacht. Ich finde das nicht mehr, oder sie hat es vollkommen gelöscht, glaube ich. Weil, ja ich finde es nicht, und ich kann SCHON ein bisschen suchen so auf dem Computer, so ob ich was finde. Aber ich glaube das gibt's gar nicht mehr. Also ich den-ke mal sie hat es gelöscht damit ich nicht heimlich was runterlade. I: Habt ihr darüber auch gesprochen oder hat sie das einfach so gemacht? D: Nee ((lacht)), also ich habe es erstmal noch gemacht, also es war noch da, und dann hat sie gesagt "hör mal bitte auf, mach es nicht. Weil die kontrollieren halt sehr stark". Aber ich habe es weiterhin einfach gemacht, mir war das egal. Und, dann bin ich ausgezogen von zuhause, und dann kam ich wieder, und dann war das weg. Dann war nix mehr da ((lacht)). Eine Veränderung ihrer zuvor aktiv-bereichernden Mediennutzung schreibt Derya selbst einer fast schicksalhaften Fügung unter die aktuellen Situation ihrer Nutzung zu; sie empfindet es als negativ, dass sich das eigene Medienmenü nicht mehr ständig erweitern lässt und sie keine "guten CDs" mehr hat, welche sie nicht einmal zu besitzen trachtet, sondern deren vorrangiger Mehrwert für sie das "Hören" ist. Dem Wunsch nach dem Besitz aktueller Medienformate steht das Verbot gegenüber, keinen Download mehr betreiben zu dürfen; dem Ausweichen auf Kaufprodukte steht der Umgang mit eigenen finanziellen Mitteln im Weg -insgesamt sieht sie sich mit dem Abgeschnittensein von einer medialen Lieblingsbeschäftigung konfrontiert. Selbst das von einem Freund beigebrachte Wissen, wie man sich "Filme runter lädt", kann nun nicht mehr zur Anwendung kommen, weil die Mutter ihre technische Infrastruktur modifiziert hat. Derya beschreibt hier den Wunsch nach medienbezogenen Konsummöglichkeiten als durch Restriktionen behindert, sieht gleichzeitig diese Restriktionen aber als unabänderlich an. Sie bringt zum Ausdruck, etwas zu wollen, zugleich aber auch eingeengt zu sein. So arbeitet sie sich daran ab, inwiefern ihre medienbezogene Handlungsautonomie eingeschränkt ist und artikuliert Ohmacht aufgrund fehlender Möglichkeiten; gleichzeitig wird die Beschränkung ihres Handlungsfähigkeit offenbar nicht als eigenmächtig überbrückbar angesehen: Sie verbleibt diesseits der Begrenzung ihres medienbezogenen Handlungsspielraumes und findet sich damit ab, dass bestimmte Mediennutzungsoptionen gegenwärtig nicht mehr erreichbar sind -diese Begrenzung wird einerseits zum Problem ("doof"), andererseits wird sie akzeptiert ("geht halt nicht"). Im positiven Gegenhorizont stehen hier einerseits ein Begehren, über aktuelle Medienformate zu verfügen und eine Enttäuschung angesichts einer Abgeschnittenheit diesbezüglicher Teilhabemöglichkeiten; andererseits eine Hinnahme von Verboten und Einschränkungen sowie die Abhängigkeit von der Praxis anderer. Im negativen Gegenhorizont stehen eigene Möglichkeiten der medienbezogenen Handlungserweiterung bzw. eine Ausweitung des persönlichen Handlungsspielraumes durch eigene medienbezogene Fähigkeiten. Insofern positioniert sich Derya habituell eingebunden in ein Bedingungsgefüge aus heteronomen Einflussfaktoren, die sie selbst als einschränkend, aber ebenso als nicht zu ändern imstande beschreibt. Im Wege stehen ihr dabei ihre Selbstbestimmung über eigene finanzielle Ressourcen ("geizig") und das Vorhandensein der mütterlichen Intervention. Insofern beschreibt sie sich als doppelt begrenzt und fügt sich in diese Begrenztheit, ohne jedoch eigenen Ansprüchen zu entsagen. Der Umgang mit den Medien erfährt eine Barriere, die ihrerseits als unüberwindbar -willentlich oder unwillentlich -thematisiert wird. Insofern verortet Derya mediale Verwen-dungsmöglichkeiten innerhalb von umgrenzten Spielräumen, die ihr insofern als normal erscheinen. Als ein ebenso normaler Handlungsspielraum erscheint es Derya, dass sie infolge der eigenen Nicht-Beherrschung der Technik nur geringe Möglichkeiten der Beschäftigung damit sieht. Beispielsweise spielt sie einerseits gerne ("ich mache manchmal gerne so Freecell oder so, wie heißt jetzt dieses Spiel", 92), andererseits aber nur "die da schon drinne sind im Computer. Die ich jetzt nicht extra rein mache, so mit CD-ROM oder so, das nicht. Weil, ich glaube das könnte ich gar nicht, oder-bei unserem Computer ginge das nicht" (102). Dass also die eigene Spielpraxis auf die vorgefertigten, vorab im PC installierten Spiele beschränkt bleibt bzw. bleiben muss, ist weniger ein Problem, sondern eher ein Datum, innerhalb dessen sie agiert. Trotz der bisher sichtbar gewordenen Beschränkungen ihres Mediennutzungsrahmens gelingt es ihr jedoch auch, sich eigenbestimmt auf spezifische Medienformate zurückzuziehen, um in diesem Rahmen Teilhabechancen zu realisieren. Dabei lotet sie Möglichkeiten aus, mittels Medien Erlebnisse von Eigenaktivität und Mitwirkungsmöglichkeiten zu haben und auch zu nutzen: (42) I: Was machst du denn sonst so in deiner Freizeit? Was sind dir da wichtige Sachen? D: Tja, na ja eigentlich nicht viel ((lacht)). Also ich habe keine Hobbies oder so. Ich habe früher mal getanzt in so einem Verein. Aber jetzt auch nicht mehr. Ja, was mache ich zuhause? Ich gucke Fernsehen, oder ich treffe mich mit einer Freundin. Oder mit Leuten. Und, das war's eigentlich auch schon. I: Wie wichtig ist dir denn so Computer in deiner Freizeit eigentlich? Auch im Vergleich zu den anderen Sachen so. D: Eigentlich wichtig. Also im Vergleich zum Fernseher ist er mir schon wichtig. Weil, na ja wenn man halt was sucht, oder zum Beispiel eine Strasse sucht. Einfach mal ins Internet geht. Kommt der Stadtplan, da weißt du genau wie du hinkommst und so. Also, es ist schon praktisch. Oder bei Ebay, wenn man sich da Sachen kauft, ist schon gut. Sich über die relativ geringe Ausprägung des eigenen Aktivitätsniveaus in ihrer Freizeit belustigend orientiert sich Derya daran, ihre generelle -auch nicht-medienbezogene -Handlungsfähigkeit in einem klar umgrenzten Rahmen zu situieren, sich aber auch mit dem von ihr benannten, nicht unbedingt sehr variabel oder intensiv stattfindenden Freizeiterleben zu begnügen: Während eine frühere sportliche Tätigkeit -zumal sozial eingebunden -nicht mehr stattfindet, informiert sie über drei klare Bereiche, in die sich ihr Alltag aufteilt; selbige vermittelt sie wie festgelegte Alternativen, mit denen im Grunde alles gesagt ist ("das war's eigentlich auch schon"). Ihren auf diese Weise als feststehend vermittelten Aktionsradius vermittelt sie auch bezüglich des Computermediums: Dessen prinzipiellen Mehrwert gegenüber dem Fernsehen sieht sie darin, dass in Rückgriff darauf eine zielgerichtete Orientierung im Stadtgebiet möglich wird. Hierfür ist der Weg ins Internet "einfach" -das Angebot "kommt" augenblicklich und erlaubt die exakte Angabe der Wegstrecke. Das Medium erscheint hier in Form einer unmittelbaren 319 Funktionalisierung in eigener Sache, da es, eingegrenzt auf eine spezifische Funktion, einfach "praktisch" ist. Auf diese Weise präsentiert sich Derya im Sinne einer punktuellen Mediennutzung als zielorientiert und aktiv. Inwiefern dies gleichzeitig in einem überschaubaren Rahmen verbleibt, vermittelt der folgende Ausschnitt: Dreh-und Angelpunkt ihrer Nutzung ist ein örtliches Radioangebot, dass sie als unmittelbar existent beschreibt. Das dazugehörige Webangebot rezipiert sie nicht nur häufig, sondern sie berichtet auch -vermittels ihrer Mitgliedschaft -über eine gewisse Affinität dazu. Die Rezeption gewährt ihr Einblicke in das aktuelle Szenegeschehen und ermöglicht ein nachträgliches Anschauen einer Bildberichterstattung über vergangene Geschehnisse; gleichzeitig artikuliert sie die motivationale Bindung an genau dieses eine Angebot betont und sogar doppelt. Jenseits der Nutzung dieses Angebotes und einer Chatseite wird ihr ihre weitere Internetnutzung selbst zur Frage; daraufhin artikuliert sie diese als "alles mögliche", suggeriert also einen gewissen Umfang ihres Mediennutzungsspektrums, exemplifiziert dies allerdings mit Rückgriff auf das bereits in der Passage zuvor angesprochene Thema "Stadtplan". Durch die fast wortgleiche Wiederholung dieses Themas zu oben ("nicht wissen wie man da hin kommt" -"gucken" -"dann kommt es") kommt zum Ausdruck, wie Derya ihre Mediennutzung in einem begrenzten Rahmen verortet, innerhalb dieses Rahmens aber selbstbewusst, aktiv und zielgerichtet agiert -sie weiß genau, wie sie sich das Internet zum Zwecke der Information über Erlebnisthemen und zur geographischen Orientierung in der Großstadt zunutze machen kann. Das Medium wird hier zum Navigationsgerät und zum Szeneseismographen -beides Funktionen, die implizit auf eine Selbstbehauptungsfähigkeit verweisen: Sich selbstständig den Weg bahnen zu können und medial bei nicht erfolgter Realteilnahme am Szeneleben teilzuhaben. Zugleich schränkt Derya ihre Mediennutzung weitgehend selbst darauf ein. Im positiven Gegenhorizont steht hier eine klare Fokussierung der Mediennutzung auf eine Form der modernen Teilhabe an aktuellen Geschehnissen und auf die Funktion zur Orientierung sowie eine Eingrenzung auf spezifische Angebote, bezüglich der sich eine Art von Selbstverständlichkeit und Eigenständigkeit bzw. Expertise entwickelt. Im negativen Gegenhorizont steht ein in die Brei-te gehendes Spektrum an Rezeptions-bzw. Verwendungsformen und damit eine Mediennutzung jenseits präkonfigurierter Möglichkeiten. Dies reproduziert sich im weiteren Interviewverlauf; beispielsweise benennt sie das bereits genannte Medienangebot "Kiss.FM" als ihre "Lieblingsseite" (110): (112) D: Na ja da kann man gucken halt wo Partys laufen. Oder da gibt's auch so Aktionen, wie zum Beispiel, ich weiß nicht ob du das kennst, im Radio "der Pate". Also da rufst du dann an, und der sagt "20 Euro, 40 Euro" und so. Und wenn man nicht "Kissfm" sagt irgendwann, dann schießt er dich ab und dann du kriegst du gar nichts. Oder du zögerst es so hinaus, dass du dann wirklich da 200 Euro da absahnen kannst. Und das kann man auch da spielen. Oder da gibt's meistens auch Fotos. Weil Kissfm auch in die Diskos geht und Fotos macht. Ja, so was halt. Und was gibt's noch? Ja Radio kann man da auch hören. Zusätzlich zur Funktion, sich über Partygeschehnisse zu informieren -die sprachlich nahezu identisch zur Passage zuvor ist -berichtet Derya die Nutzung des Senderangebotes im Radio, das auch Teilnahmemöglichkeiten der Hörer beinhaltet. Sie vermittelt hier, inwiefern sie -auch durch die Nennung des Titels -ihr Aktiv-Sein und ihr Auskennen in den Rahmen eines ganz spezifischen Angebots stellt, mit dem sie sich offenkundig identifiziert. Dass sie hier -trotzdem sie es selbst noch nicht ausprobiert zu haben scheint -über ein subjektiv bedeutsames Angebot berichtet, deutet sich dadurch an, dass sie nach der Bekanntheit dieses Angebotes beim Interviewer fragt; erklärend, was zu tun sei, um an diesem Angebot aktiv und erfolgreich zu partizipieren arbeitet sie sich an einer Möglichkeit ab, entweder im Rahmen vorgegebener Regeln eines Spiels aufmerksam zu sein, um nicht zu verlieren ("dann kriegst du gar nichts") oder darüber hinaus innerhalb dieses Regelwerkes durch den Mut zu "zögern" erfolgreich sein zu können. Insofern berichtet sie über ein Spielgeschehen, das einfach strukturiert ist und einen direkten Reiz-Reaktionsmechanismus, ein Wechselspiel von Vorgaben und deren Befolgung, impliziert und das sie mit Involviertheit und Aktivität assoziiert. Dass sie bezüglich der Ertragschancen von "absahnen", also einem erfolgsorientierten Abschöpfen von Gewinnen, spricht, deutet implizit an, inwiefern sich Derya an einer Mediennutzung als Möglichkeit der In-Wert-Setzung eigener Handlungen orientiert, die von ihr gleichzeitig daran gebunden wird, dass sie innerhalb eines fremdgesetzten Rahmens prozessiert. Diese Enaktierung ihrer Medienpraxis innerhalb eines fremdgesetzten Rahmen zeigt sich auch an der Art und Weise, wie Derya das Internetcafe als Ort einer möglichen Mediennutzung charakterisiert: Auch hier schildert sie sich in Relation zu Impulsen Anderer ("also durch meine Freundin kenne ich das. Das ist hier, in der Y.-Strasse. Und da, na ja ich war bisher vielleicht zweimal da. Sage ich mal so, also ich bin jetzt nicht jede Woche da. Und bei mir halt, in der G.-Strasse da gibt's auch eins. Und da war ich bisher auch einmal nur", 250). Zwar sind Internetcafes im Nahraum des Stadtteils vorhanden, dortige Besuche jedoch eher selten, weil sich dort regelmäßig "Jungs" (251) aus einer bestimmten ethnischen Community aufhalten ("so irgendwelche Jungs, Araber oder Türken, na ja", 251). Insofern sieht Derya das Internetcafe als Sphäre der Fremd-321 bestimmung, der sie sich nicht aussetzen möchte. Daher geht sie dort "also WENN ÜBERHAUPT mit Freundinnen" hin (249). Während sie den Besuch ähnlich wie Zeynep und Sunay als eine gemeinschaftliche Praxis unter gleichaltrigen Mädchen kennzeichnet, schildert sie weitere Zwänge, die sie davon abhalten, sich dort aufzuhalten: (255) D: Ja erstmal muss ich immer da auf die Uhr gucken, wie viel es halt in der Zeit kostet. Dann sind da irgendwelche Idioten, die dann deinen Namen gucken. Also deinen Nickname, und die dir dann schreiben wollen, und irgendwie voll bescheuert. Oder halt, ja, na ja es ist halt auch nicht so gemütlich, da kann ich nicht essen, dabei rauchen und so ((lacht)). Und zuhause kann ich halt was essen, rauchen, gucken. Macht mehr Spaß. Muss man nicht auf die Zeit gucken, so "oh schon ein Euro, ein Euro zwanzig" und so. Und es ist auch TEUER. Weil wenn ich einmal anfange zu chatten, dann chatte ich schon zwei drei Stunden. Und ich meine, drei Euro für Computer ist mir viel zu teuer, also für ins Internet gehen. Neben dem, dass der Gang ins Internet Kosten verursacht, versuchen andere Personen, sich Derya zu nähern und Kontakt zu ihr aufzunehmen; an anderer Stelle beschreibt sie dies folgendermaßen: "Da sind halt so viele Leute die gucken, und das macht keinen richtigen Spaß" (61). Zusätzlich zu diesem Ausgesetztsein fremder Blicke ist die Atmosphäre ungemütlich und steht einer von Genuss begleiteten Hingabe an das Chatgeschehen im Wege. Vor diesem Hintergrund beschreibt Derya den häuslichen Internetanschluss wie einen symbolischen Ausdruck persönlicher Freiheit: Sein Vorhandensein ist wie eine Privatsphäre, die sich von Möglichkeiten, anderswo ins Internet gehen zu können, fundamental unterscheidet; er ermöglicht ein maximales Erleben von Selbstbestimmung gleich in dreifacher Weise, und zwar in einer ökonomischen (nicht zu teuer), einer die persönliche Integrität wahrenden (niemand "guckt") und einer auf das eigene Verhalten bezogenen ("essen, rauchen, gucken") Dimension. Im positiven Gegenhorizont steht hier ein Ungezwungen sein abseits von heteronom geformten Einflussfaktoren und Unannehmlichkeiten; im negativen ein Sich unterordnen müssen unter exteriore Zwänge. Inwiefern sie ein Sich-Hingeben an das Medium anstrebt, vermittelt Derya anhand weiter Passagen zu ihrer Chatpraxis. Gleichzeitig zeigt sich erneut, wie sie dies als Reaktion auf einen Impuls schildert -ähnlich dem Besuch des Internetcafes und der Aufnahme ihrer Chatpraxis -, worin sich wiederum Momente der Einordnung in einen heteronom geprägten Handlungsrahmen dokumentieren: (56) D: Also, ich habe mich angemeldet wegen meinem Exfreund. Der hat gesagt "los meld dich mal an". Und dann habe ich mich angemeldet. Und automatisch lernt man ja da halt Leute kennen. Und jetzt meistens mit meiner Freundin immer. Eigentlich NUR mit meinen Freunden. So, die halt aus der Schule. Also, sonst nicht so, also mit anderen Leuten nicht. // I: Und wie häufig machst du das? // D: Also wenn ich chatte, wenn ich reingehe, dann chatte ich MINDESTENS drei Stunden oder so. Und das dann viel-leicht alle drei Tage oder so. Als ich noch bei meiner Mutter gewohnt habe. Weil, das ist ja auch gemütlicher, wenn man zuhause Internet hat als wenn man ins Internetcafe gehen muss. Da war ich eigentlich jeden Tag drin, so drei vier Stunden. Aber seit zwei Monaten nicht mehr so. // I: Aha, und wieso nicht? // D: Ja weil ich keine Lust mehr habe so oft zu meiner Mutter zu gehen, nur wegen Internet. Und Internetcafe macht mir auch nicht mehr SO EINEN Spaß. So, da ist keine schöne Atmosphäre ((lacht)). Da sind halt so viele Leute die gucken, und das macht keinen richtigen Spaß. Dass sie überhaupt zu chatten begann, vermittelt sie -ähnlich wie bereits zuvor -als ein Befolgen einer kommandoartigen Aufforderung: Sie tat zunächst, was ihr gesagt wurde und infolgedessen dessen entwickelte sich eine intensive kommunikative Mediennutzung, die sich auf Kontakt zu "Freunden" bezieht. Vor allem im privaten und häuslichen Umfeld gestaltete sich dies als angenehmer als in den Räumen des Internetcafes. Die Beendigung dieser in einem geschützten Kontext exzessiv betriebenen Praxis erklärt Derya anhand von zwei Faktoren: erstens, weil ein Weg zurückzulegen ist und zweitens, weil sie in den Räumen des Internetcafes den Blicken anderer ausgesetzt ist. Beidem gemein ist, dass es sich um Rahmenbedingungen handelt, welche die Weiterführung ihrer ehemaligen Chatpraxis aktuell erschweren. Dadurch zeigt sich erneut: Sind der Zugang zum Medium und damit die Rahmenbedingungen niedrigschwellig, leicht und angenehm, beschreibt sich Derya als aktiv. Geht von den Rahmenbedingungen dagegen etwas Begrenzendes aus, reagiert sie in einer abwehrenden Haltung. Deutlich wird ebenso, wie Derya ihre eigene Mediennutzungsaktivität in Relation zu äußeren Impulsen vermittelt: Dass zu chatten begonnen wurde ebenso dass damit aufgehört werden musste, macht sie an heteronomen und ihr eigenes Verhalten pränormierenden Anlässen fest: Der Aufforderung durch den "Exfreund" und der Wegfall eines häuslichen Zugangs zum Internet. Ihre Mediennutzung hat dadurch insgesamt eher kurzfristigen und episodalen Charakter, gerade weil sie (nur) dann aktiv ist, wenn die Rahmenbedingungen stabil sind und etwas Aufforderndes von ihnen ausgeht bzw. ihnen nichts Unangenehmes anhaftet. Weiterhin stellt sich heraus, dass Derya sogar das Chatten selbst -von ihr oben als häufig praktizierte Mediennutzung benannt -in ein Spannungsverhältnis einer Selbstbehauptung und einer Einordnung in einen das eigene Handeln begrenzenden Rahmen einbettet: (63) I: Was ist denn jetzt für dich das besondere am Chatten? D: Eigentlich ((lacht)) wenn ich ehrlich bin finde ich das voll bescheuert ((lacht)). Ja, weil-// I: Ach ((lacht)) // D: Das sind irgendwie immer die gleichen Fragen, so "hallo, wie geht's, was machst du?" Aber halt wenn man Langeweile hat und man denkt sich so okay, einfach ein bisschen quatschen, so dann halt. Aber eigentlich finde ich es doof. Und ich würde mich auch NIEMALS mit Leuten von da treffen. Weil, keine Ahnung, die können sich ja voll gut beschreiben, voll lieb und voll nett. Und dann kommt irgend so ein Psychopath da ((lacht)). Also davor habe ich auch Angst, und das mache ich auch nicht. Aber, halt aus Langeweile. Aber sonst? Hätte ich glaube ich mehrere Hobbies, und wenn ich beschäftigt wäre, dann würde ich das auch gar nicht nutzen. Weil das ist einfach nur (2) dumm. So "hallo, ja wie geht's, gut". Na ja, oberflächlich. // I: Ja, und worüber unterhaltet ihr euch dann so? // D: Also wir lästern meistens ((lacht)). Über irgendwelche Profile, weil da sind ja so Profile, und da steht zum Beispiel Lieblingsfarbe oder Lieblingsfilm und so. Ja, über alles mögliche halt. Was wir am Wochenende machen. Oder wen wir gesehen haben letztens oder so was. Alles mögliche eigentlich. Derya charakterisiert den Chat dreifach negativ; der Chatkommunikation Monotonie, Niveaulosigkeit und Oberflächlichkeit zuschreibend degradiert sie diese zu einem kommunikativen Geschehen ohne irgendeine Qualität: Die Kommunikation kreise um sich selbst und man erkundige sich nach dem jeweiligen Befinden und momentanen Aktivitäten. Derartige Unterhaltungen seien zwar ein probates Mittel, sich in Ermangelung einer aktuellen Handlungsalternative abzulenken, im Grunde aber "doof". Zudem könne zwischen der Online-Darstellung und der realen Person ein maximaler Kontrast bestehen. Neben dieser Erhebung über ihr eigenes Tun gibt Derya zu erkennen, dass sie eigentlich aus einer vermeintlichen Alternativlosigkeit heraus an den "dummen" Gesprächen teilhat und bearbeitet eben diese auf dem Wege einer sich selbstbewusst abgrenzenden Positionierung. So beschreibt Derya hier etwas äußerst Ambivalentes: Auf der einen Seite berührt der Chat nicht die wirklich relevanten Themen ("oberflächlich") und die Möglichkeiten eines Realkontaktes bereiten ihr "Angst", gleichzeitig macht es aber doch Vergnügen, die Daten anderer Chatteilnehmer durchzumustern und sich über Wochenendaktivitäten oder vergangene Begegnungen auszutauschen. Implizit lässt sie erkennen, dass diese Form der Mediennutzung Funktionen der Abgrenzung, Selbstverortung, des Austausches und des Up-to-date-Seins bietet. Während im positiven Gegenhorizont steht, Chatten zu degradieren bzw. sich darüber zu erheben und Möglichkeiten des Beziehungsaufbaus zu Fremden abzuwehren, steht im negativen, ein Chatopfer zu sein und sich einfach so auf ein Treffen einzulassen. Gleichzeitig genießt es Derya aber offenbar, die Möglichkeiten, die der Chat bietet -trotzdem sie ihn nur praktiziert, weil sie nicht "beschäftigt" ist -auch in eigener Sache zu nutzen. Deutlich wird dies da, wo sie Chatten als Ort der Geschlechterbegegnung beschreibt, der es ermöglicht, sich selbstbewusst auszuprobieren: (72) D: Ja, na ja mit Jungs ist es halt so, das baut sich so alles halt auf Lügen auf irgendwie ((lacht)). Also ich bin nicht so wie ich vor meinen Freundinnen bin. Und, so halt, ich verstelle mich da, ich schreibe so Sachen die gar nichts mit mir zu tun haben, die gar nicht zu mir passen. Also ich verarsche die besser gesagt ((lacht)). Und meine Freundinnen verarsche ich nicht. Zum Ausdruck kommt hier eine spielerische Selbstbehauptung gegenüber männlichen Altersgenossen in Form eines Rollenspiels bzw. eines Vortäuschens von Identitäten. In der Anonymität des Chats kann gleichsam mit den Jungen gespielt werden, während dies in der Realwelt -das deutet sich in der nächsten Passage an -keine Fortsetzung findet. Bezüglich der Möglichkeiten einer dem Chat folgenden Verabredung mit dem Chatpartner führt Derya aus: (75) D: Ja, ich kenne VIELE die sich schon mal getroffen haben ((lacht)). Also ich habe mich allerdings auch schon einmal getroffen, EINMAL. Und, okay mit dem bin ich dann auch zusammengekommen, acht Monate. Aber das war Zufall. Also ich hätte nicht gedacht, dass das so klappen würde. Aber sonst, ich habe eine Freundin, die trifft sich fast mit jedem da. Also es ist keine Freundin, sondern eher eine Bekannte besser gesagt. Und die erzählt selber halt, dass sie irgendwelche Leute kennen gelernt hat. Oder besser gesagt irgendwelche Jungs, die ihr dann gleich an den Arsch gefasst haben oder so. Und, na ja, sie ist halt auch selber schuld, dann soll sie da auch nicht hingehen. Geschildert wird eine massenhafte Handlungspraxis des Sich-Treffens mit Chatpartnern, bezüglich der Derya eingesteht, dies selbst bereits einmal ausprobiert zu haben, betonend, dies sei singulär und eher überraschend gewesen -wenn auch mit dem Resultat einer mehrmonatigen Beziehung. Ihr Erlebnis kontrastiert sie zum Verhalten einer "Freundin", die exzessiv und beinahe jede Gelegenheit zur Kontaktanbahnung nutzt und von der sich Derya dann auch sogleich kommunikativ distanziert -diese erlebte, dass es infolge des Kontaktes zu einer unvermittelten sexuellen Annäherung kam: Diesbezüglich wird Derya nicht das Verhalten der "Jungs" zu einem Problem, sondern "schuld" ist vielmehr die Freundin. Deutlich wird daran, dass innerhalb der geschützten Sphäre der Online-Kommunikation offensichtlich eine Abgrenzung von und ein spielerisches Experimentieren mit der Geschlechterordnung mühelos gelingt. Dies zeigt sich, nebenbei, auch daran, wie Derya einen gemeinsamen Austausch über Medienerlebnisse mit der Mutter beschreibt, wo sich beide vornehmlich über männliche Personen aus der von Derya rezipierten Chatcommunity unterhalten ("ich zeige ihr irgendwelche Typen von myflirt, also so ‚guck mal Mama der ist voll so und so', 213), sich Personen auf der Homepage einer Diskothek anschauen ("sie zeigt mir mal Bilder, da von ihrer Disko, die Leute, den DJ, zeigt sie mir ‚guck mal das ist der und der'", 213) oder die Mutter Deryas Chatpraxis kommentiert ("sagt halt ‚na da fragt irgend so ein Ochse ja wie heißt du denn'", 213). Abseits der Online-Kommunikation, in der realen Welt, findet dies keine Fortsetzung: Ganz im Gegenteil schildert Derya hier die Geschlechterordnung als unantastbar und geht von einer männlichen Dominanzstellung aus. In diesem Sinne wird Derya -ähnlich wie sich dies auch bei Sunay zeigte -gegenüber ihrer "Bekannten" fast zu einer moralischen Instanz und äußert sich abfällig über deren Verhalten, während sie ihr eigenes Verhalten als korrekt beschreibt. Damit behauptet sich gegen ihre Bekannte und affirmiert gleichzeitig die bestehende Geschlechterordnung als feststehenden Rahmen. Ähnlich wie sie die Geschlechterordnung als feststehenden Rahmen darstellt, den sie als vorgegeben und unabänderlich thematisiert, schildert sie ihren Umgang mit Schwierigkeiten des Computermediums. Auch hier zeigt sich, dass diese von Derya als unumstößliche Handlungsbegrenzung beschrieben werden, der sie sich einerseits fügt und gegen die sie sich andererseits zu behaupten trachtet: 325 (137) I: Gibt's denn oder gab's denn manchmal Sachen die du schwierig findest? Oder wo du Probleme hattest? D: (2) Ja, beim Speichern, ja da. So Sachen speichern, da weiß ich immer nicht so genau. Zum Beispiel, ich hatte Fotos drin im Internet. Und da wollte ich die verkleinern, weil die sonst nicht bei myflirt reingehen würden. Und das konnte ich zum Beispiel nicht. Das ging irgendwie nicht. Und da habe ich halt den Exfreund von meiner Mutter angerufen, und der hat es mir gemacht ((lacht)) // I: Ah ja // D: Oder halt so Dinger, ja was noch? Ja, ich weiß immer nicht so wo die ganzen Ordner, für was sie sind und wo alles gespeichert ist. Also das fällt mir schwer, weil da komme ich nicht mit klar. Also, weil klicke ich jetzt da rauf, dann kommt irgendwas anderes, und dann weiß ich manchmal gar nicht mehr wo das ist was ich suche. Sowas eigentlich, aber sonst-I: Na ja, zum Beispiel kann es ja sein, weiß nicht, also dass der Computer jetzt abstürzt, das kann ja auch passieren. D: ((lacht)) Dann drücke ich einfach irgendwo auf die Tasten ((klopft mit den Fingern auf den Tisch)), und dann geht's meistens immer irgendwie ((lacht)). I: Ach so, mhm. Hattest du denn schon mal ein Problem was du nicht, wo das nicht weiterging alleine, am Computer? D: Ja, dieser Absturz, das war schon mal, da habe ich den Computer einfach ausgemacht. Und wieder angemacht. Und dann ging es auch. Und sonst eigentlich kann ich mich nicht erinnern, dass irgendwas war. Trotz Schwierigkeiten beim "Speichern" und der Reduktion einer Grafik gelingt es ihr, ein medienbezogenes Handlungsziel zu erreichen; sie kann, wenn auch nur mit fremder Hilfe, ein Foto in der von ihr rezipierten Chatcommunity platzieren. Trotz einer Nicht-Beherrschung der dazu notwendigen Bildbearbeitung realisiert auf diesem Weg eine Teilnahmefähigkeit im Netz. Ihr Bild am Ende bei "myflirt" positionierend behauptet sie sich hier, obwohl sich der zu erreichende Handlungsentwurf zunächst "irgendwie nicht" in die Tat umsetzen ließ, zumindest nicht eigenhändig. Was sie einerseits wie ein Scheitern vermittelt, schildert Derya andererseits als einfachen Griff zum Telefon und insofern als aktiven Rückgriff auf eine heteronome Instanz, an die das Problem einfach delegiert wird. Dabei wird der Bekannte, dessen sie sich bediente, zu einer Person, die ihr einen freundschaftlichen Servicedienst erbracht hat ("hat es mir gemacht"). Während sie sich also auf der einen Seite als eher wenig kompetent und tendenziell nichtwissend zu erkennen gibt ("weiß ich immer nicht so genau") stellt sie sich auf der anderen Seite als Expertin für schnellen Zugriff auf externe Hilfe dar. Dabei scheint bezüglich ihrer Computernutzung der Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung eines eigenen Könnens, dem Erleben einer Grenze und dem Rückgriff auf eine externe Ressource ein stabiles Muster darzustellen ("konnte ich nicht… ging nicht… habe ich angerufen"). Computerschwierigkeiten als "Dinger" beschreibend deutet sich an, dass Derya Probleme beim Medienumgang verobjektiviert bzw. existentialisiert -sie erscheinen als etwas Seiendes, das unabhängig von der Möglichkeit existiert, dass es für sie zugänglich und somit für sie selbst verhandelbar würde. Dass aus Deryas Sicht diese Dinge vermeintlich sind, wie sie sind, deutet sich auch dadurch an, dass sie das Haben einer Schwierig-keit (als Explanandum) kausal mit ihrem Nichtklarkommen (als Explanans) erklärt, und nicht etwa umgekehrt. Da also, folgt man ihrer Beschreibung, ein Nicht-Klarkommen mit dem Medium gerade nicht aus einer Schwierigkeit heraus und somit eine Handlungsbegrenzung aus einem Problem erwächst, sondern genau umgekehrt ein Schwerfallen am Anfang steht, gibt sie der handlungspraktischen Umgangsweise mit dem Medium und den dabei auftauchenden Barrieren etwas Unausweichliches -ohne dass sie hier besonders resigniert wirkt. Damit erklärt Derya implizit, dass das digitale Medium bezüglich seiner Bedienung ein scheinbar fundamentaler Problemzusammenhang ist, innerhalb dessen Situationen der Schwierigkeit emergieren, denen man sich zu fügen hat, weil man sie ohnehin nicht grundsätzlich lösen kann. Sie beschreibt sich selbst als partiell handlungsohnmächtig, gleichzeitig aber auch als im Rahmen der ihr gesetzten Ziele als durchsetzungsfähig. Das Computermedium erscheint als eine Option, die im Sinne der eigenen Intention verwendbar, gleichzeitig aber aufgrund handlungspraktischer Schwierigkeiten damit nur eingeschränkt nutzbar ist, weil es in eine Fremdheits-bzw. Nichtzuständigkeitsrelation eingebunden ist (vgl. dazu auch Abschnitt 6.3.4): So ist die Computersystematik nach Deryas Schilderung etwas, das in seiner Eigenlogik bzw. seiner Rationalität unverstanden bleibt und das aufgrund dessen Momente der Handlungsbeschränkung hervorruft, die ohne Rückgriff auf ein Sich-Einlassen auf seine Logik oder Rationalität gelöst werden müssen und auch gelöst werden. Dadurch beschreibt Derya ihre Medienpraxis so, dass sie unterhalb solcher Möglichkeiten verbleibt, die sie vermittels eines Wissens über erweiterte Umgangsfähigkeiten eigentlich hätte. Gleichzeitig ist ein Sich-Einlassen auf grundlegende Aspekte einer medienbezogenen Systematik kein Bestandteil ihres Orientierungsrahmens. So artikuliert sie hier eine vermeintlich mit Problemen behaftete Medienpraxis, ohne sich selbst bzw. die eigenen Fähigkeiten infrage zu stellen oder sich darüber zu beschweren, dass der Umgang mit dem Computer so problematisch ist (und ohne sich z. B. auch eine bessere Usability zu wünschen). Zusammenfassend lässt sich dies so interpretieren, dass Derya kein Kompetenzdefizit erlebt, sondern dass ihre Mediennutzung eher einem Habitus folgt, Handlungsbeschränkungen als unausweichlich hinzunehmen und sich damit zu arrangieren. Dies steigert sich in Passagen zu Schwierigkeiten im Umgang mit dem Internet; die von Derya als objektiv wahrgenommenen Probleme des Mediums werden auch hier in Rückgriff auf eine externe Ressource bearbeitet: (146) D: ((lacht)) Nee, also dann gehe ich einfach. Also ich habe überhaupt keinen Bock drauf. Weil manchmal ist es so. Dann steht da zum Beispiel "diese Seite wurde nicht gefunden", obwohl Internet und so alles angeschlossen ist, ja und dann habe ich keinen Bock mehr. Dann mache ich Computer aus, oder sage meiner Mutter Bescheid dass sie da was machen soll. Und wenn's dann wieder klappt, dann gehe ich wieder ran. Also ich mache es dann meistens nicht. Meine Mutter macht es dann. Das Ende einer Surfaktivität berichtet sie wie einen Fortgang aus einem Raum, in dem man nichts (mehr) verloren hat. Den ursprünglichen Plan, etwas zu finden, aufgebend wird sich von einem ehemaligen Ziel abgewandt, da sie maximale Unlust verspürt, sich 327 weiter damit zu beschäftigen. Ihr Verhalten vermittelt sie so, dass es wie ein stillschweigendes Sich-Fügen angesichts einer als feststehend wahrgenommenen Situation erscheint -sie kapituliert angesichts einer technisch-strukturellen Problematik des Mediums. Implizit fragt sie sich aber auch, warum sie sich überhaupt mit etwas abtun soll, was ohnehin unlösbar und irrational ist; eine Eigensinnigkeit des Mediums erscheint ihr als gegeben und unabänderlich ("ist so") und öffnet sich z. B. eine Webseite nicht, obwohl "alles angeschlossen ist". Die Zuständigkeit dafür überlässt sie ihrer Mutter, die dann dafür sorgt, dass es am Ende wieder "klappt". Dabei signalisiert Deryas zweimalige Verwendung des "keinen Bock" mehr Habens eine Abwehr von Anforderungen, für die sie sich nicht selbst zuständig erlebt und die von sich gewiesen wird. Auf diese Weise transportiert die Passage eine Selbstbehauptung gegenüber aufgrund von technischen Rahmenbedingungen und Strukturen resultierenden Schwierigkeiten, gleichzeitig auch das Erleben eigener Unzulänglichkeit. Im positiven Gegenhorizont steht hier das Geltend-Machen einer eigenen Handlungsautonomie angesichts einer für sie unabänderlich scheinenden Situation; im negativen eine Bereitschaft, sich auf einen computerbedingten Problemzusammenhang nachhaltig einzulassen. Dieses Muster reproduziert sich weiter in Deryas Schilderung bezüglich der Schwierigkeiten bei der Informationsrecherche: (151) D: Also was auch so was ist, wenn ich bei google was suche, dann kommen GANZ ANDERE Sachen, als ich eigentlich gesucht habe. Und dann muss ich halt ALLE anklicken, und DAS nervt halt echt, das ist schon ein Problem. Weil, ich gebe halt was ein, und es kommt was ganz anderes raus. Und da muss ich ja alles anklicken, und das sind ja zehn Seiten oder was weiß ich. Und das ist halt ein Problem. Das Finden von Informationen fordert ihr mitunter einiges ab; Ergebnisse entsprechen nicht dem Gesuchten und müssen nacheinander durchgemustert werden. Dabei scheint durch Deryas Schilderung eine Haltung hindurch, die an eine Arroganz angesichts eines Nichtverstehens erinnert: Implizit arbeitet sie an der Frage ab, was sich das Medium, salopp ausgedrückt, eigentlich dabei denkt, dass es ihr eine solche Belastung abverlangt. Im Erleben, dass Anfrage und Ergebnis bei einer Suchmaschine kein lineares Kontinuum sind, empfindet sie es hier fast als dreist, dass das Medium sich erlaubt, "was ganz anderes raus" zu geben, als das, was sie eingegeben hat, zumal sie dies dann alles "anklicken" muss. Ihr hauptsächliches Auswahlverfahren beschreibt sie schließlich so: (156) D: Wenn ich was suche, ja dann tippe ich das einfach ein, klicke und dann gucke ich halt, wenn ich nach dem fünften Mal nicht DAS gefunden habe was ich suche, dann lass ich es auch sein. Weil, ich bin dann ((lacht)) ja auch schon mal irgendwie aggressiv, und dann habe ich auch keinen Bock mehr darauf ((lacht)). Gestaltet sich ein normaler Suchvorgang nach Derya im Grunde "einfach" -eingeben, klicken, gucken -ist das Auswahlprozedere mengenmäßig limitiert: stellt sich nach dem "fünften Mal" kein Ergebnis ein, welches exakt dem Suchwunsch entsprach, er-folgt ein Abbruch -sie kapituliert und hat wiederum, ähnlich zu oben, "keinen Bock" mehr. Trotz einer Kapitulation zeigt sich auch hier eine gewisse Art von Selbstbehauptung und wirft ihr Verhalten eine Analogie auf zu einer Situation, die man angesichts des Erlebens, mit den gegebenen Anforderungen nicht zurechtgekommen zu sein, beendet und dabei dennoch das eigene Gesicht wahrt. Man ist nicht der Verlierer oder Unterlegene, sondern hatte einfach "keinen Bock" mehr. Schwierigkeiten der Umgangsweise mit dem Medium werden von ihr hingenommen -sie werden affirmiert -gleichzeitig wird sich eine eigene Integrität bewahrt. Auf diese Weise gelingt es Derya, ihr Scheitern im Sinne eines nicht mehr Wollens zu beschreiben und damit vor sich selbst zu legitimieren. Deutlich wird dabei auch, wie vermeintlich selbstbewusst sie sich angesichts einer erlebten Handlungsbeschränkung inszeniert: Entscheidend ist ihr das, was sie gesucht hat; findet sie es nicht, lässt sie "es auch sein", verweigert sich also eines nachhaltigen Engagements. Zudem merkt sie, wie sie "aggressiv" wird, das heißt sie erlebt, wie sie in eine emotional äußerst angespannte Situation gerät, nicht ans Ziel zu kommen -in dieser Situation entlädt sich ihr Frust allerdings gerade nicht bzw. investiert sie keine weitere Energie, sondern auch hier, ähnlich wie bereits zuvor, wendet sie sich in der Haltung des "keinen Bock mehr" Habens vom Medium ab und verweigert sich jeglichen weiteren Versuches. Das Medium und seine Anforderungen befinden sich damit in keiner symbolischen Gegnerschaft (mehr), sondern die Auseinandersetzung damit wird von Derya beendet. Auf welche Weise Derya hier erneut eine eigene Begrenzung thematisiert und sich innerhalb eines Rahmens verortet, innerhalb dessen sie eigene Handlungsautonomie geltend macht, erinnert an ein Phänomen, das man in zwangloser Anlehnung an Poschardt (2000) als Coolness bezeichnen kann. Damit lässt sich ausdrücken, wie sich das Ich in einem handlungsbeschränkenden Rahmen erlebt, ohne diesen Rahmen als solchen transzendieren zu können. Cool sein bzw. cool bleiben erscheint dann als die -nicht unbedingt bewusste -Strategie, die Bedingungen der Handlungsbeschränkung bewältigen zu können. In dieser Richtung muten die Schilderungen Deryas an, als habe sie sich einen unsichtbaren Panzer zurechtgelegt, um stark zu sein und unantastbar zu wirken. Sie vermittelt durchgängig, sich gerade nicht an Bedingungen der technischen Rationalität anzupassen, sondern sich den daraus resultierenden Schwierigkeiten zu verweigern. Mit einer gewissen Lässigkeit transportiert Derya, welche Strategien sie entwickelt hat, um die Problematik technisch bedingter Schwierigkeiten von sich abzuhalten. Auf diese Weise lässt sich sagen, dass sie Probleme mit dem Computermedium habituell in einem coolen Modus bearbeitet -im Prinzip war ein tatsächliches Computerproblem am Ende doch gar nicht ihres. Auch darin reproduziert sich ein habituelles Geltend-Machen von Handlungsautonomie, die zugleich innerhalb eines durch Computerschwierigkeiten begrenzten Handlungsrahmens verbleibt. Eine solche Haltung der Abgrenzung ihrer eigenen Perspektive gegenüber komplizierten und mit Aufwand verbundenen Bemühungen und Anforderungen verdeutlicht sich schließlich auch in Deryas Schilderungen zur Nutzung von Printmedien, welche sie als von ihrer Mutter aufgedrängt bezeichnet ("Ich will eigentlich GAR NICHT lesen ((lacht)), aber meine Mutter zwingt mich immer", 128): (130) D: Ja, oder eben die B.Z., okay ich weiß das ist eigentlich voll die eklige Zeitung ((lacht)), aber die B.Z. ist halt so, da versteh ich was, da ist nicht alles so kompliziert geschrieben, und, ja also die manchmal. Aber nicht so oft. Sich selbst der Leserschaft eines Printmediums zuordnend, über das sie sich zugleich lachend erhebt, rechtfertigt Derya die Boulevardzeitung vorauseilend als ein ihr verstehensmäßig zugängliches Medium; auf der einen Seite "eklig", ist ihr entscheidend, die Inhalte zu begreifen. Anders ausgedrückt: Ihr ist bewusst, dass sie etwas jenseits des guten Geschmacks tut -dies aber ist ihr egal, gerade weil sie das zu Rezipierende als nicht so "kompliziert" wünscht. Auf diese Weise verortet sie sich selbst erneut innerhalb eines Mediennutzungsspektrums, das klar, übersichtlich, gut strukturiert und gleichzeitig begrenzt ist -und innerhalb dessen sie selbstbewusst agiert. Selbstbewusst und zugleich an einer Komplexitätsreduktion orientiert bearbeitet Derya auch das Zukunftsthema: Bezüglich einer in die Zukunft gerichteten Sinnhaftigkeit eines Computerwissens und einer Computernutzung äußert sie sich zunächst aufgeschlossen. Dabei antizipiert sie sich als Mediennutzerin, die als Erwachsene an einem Prozess fortschreitender Modernisierung teilzuhaben gedenkt: (286) D: Also auskennen sollte man sich schon, etwas, finde ich. Weil, ich glaube mal in zehn Jahren wird es NUR noch Computer geben überall. Da werden die schon in der dritten Klasse anfangen mit Computern umzugehen. So denke ich mal. Und später im Beruf wird es mir bestimmt auch wichtig sein. Weil, auch so das mit dem online Zahlen, so Miete oder Sachen, alles kann man ja mit dem Computer bezahlen, so mit dem Internet. Und das ist ja schon auch wichtig. Grundsätzlich der Ansicht, dass -zumindest ansatzweise -ein zukünftiges Erfordernis von PC-Kenntnissen besteht und zeigt Derya an, dass sie dies in abstrahierender Form, also alle Menschen betreffend, für gültig hält. Binnen einer Dekade werde Computertechnologie ubiquitär geworden sein und eine neue Generation Heranwachsender infolge dieser fundamentalen Entwicklung bereits im Grundschulalter damit vertraut gemacht. Es geht ihr darum, nicht hinter einer gesellschaftlichen Entwicklung zurückzubleiben -sie wähnt eine Mediennutzung, die sich als Anschluss an äußere (gesellschaftliche) Rahmenbedingungen versteht, innerhalb der es ihr "wichtig" erscheint, sich funktional zu verhalten. In eine selbstbezügliche Sprachform wechselnd verdeutlicht Derya dann die Relevanz zukünftiger computerbezogener Handlungen für ihre eigene Person, die sie zunächst auf das Eingebundensein in eine Erwerbstätigkeit bezieht, innerhalb der sie dem PC eine hohe Bedeutung zuweist. Deutlich werden daran einerseits ein Selbstbezug und ein eigenes Interesse, Teilhaberin an der von ihr vermuteten Modernisierung zu sein, andererseits auch die Vorstellung einer Reaktion auf und einer Anpassung an veränderte äußere Bedingungen, angesichts der sie eine eigene Funktionalität antizipiert, die mit der Erfüllung eines konkreten Erfordernisses harmoniert. Ihre Begründung, mittels der Medien kommerzielle Transaktionen abwickeln zu können, deutet an, wie sich Derya antizipativ selbstbewusst als Nutzerin modernisierter Formen von Zahlungsmöglichkeiten wähnt, was die Vorstellung einer erwachsenen, rollenförmigen und öffentlichen Form der gesellschaftlichen Partizipation impliziert. Obwohl noch keine näher umrissene Vorstellung einer eigenen beruflichen Perspektive ("eigentlich nicht richtig, nein. Vielleicht Modedesignerin oder so", 289), stellt sie sich weiter vor, dass diese weitgehend ohne das Erfordernis einer Computernutzung auskommt ("Aber, ich glaube da braucht man ja glaube ich auch keinen Computer", 289). Auf die Bitte, sich dennoch einmal vorzustellen, inwiefern das Computermedium beruflich wichtig sein könnte, führt sie aus: (291) D: Wenn ich Modedesignerin wäre, dann so halt, dass ich das Grunddings so weiß. Also dass ich weiß wie man einen Computer anmacht, wie man ins Internet geht, oder wie man halt so bestimmte Sachen macht. Aber halt nicht so schwer und kompliziert ((lacht)). Ich habe ja bald Praktikum, und das ist halt in der Werbegrafik, und da werde ich wohl auch viel mit dem Computer umgehen müssen, und da werden die es mir auch erklären. Das ist auch GUT. Also man kann nie zuviel wissen, aber ich will jetzt nicht unbedingt wissen, wie nun das kleinste Detail da jetzt geht, oder wie man das und das und das und so macht. Das interessiert mich eigentlich jetzt NICHT so. Also (2) das wichtigste nur, wie man ins Internet geht, wie man vielleicht irgendwas druckt oder scannt oder so. So was. Aber jetzt halt nicht so alles mögliche. I: Und, gibt's denn sonst Sachen, die du am Computer gerne noch lernen würdest? D: Tja, ja wie man halt Festplattenspeicher löscht, und (2) ja jetzt zum Beispiel wo ich Praktikum mache, die machen so Autobeschriftungen. Und die machen es ja irgendwie im Internet. Und dann drucken die es irgendwie, und das würde ich auch gerne wissen wie das geht. Dass wenn ich jetzt hier sage ich mal ein "A" mache, dass es dann in so einer Druckermaschine gedruckt wird. Also so was, das ist halt voll kompliziert ((lacht)). Aber so was würde ich auch gerne wissen. // I: Warum? // D: Ja weil ich das vielleicht irgendwann selber machen könnte, so Beschriftungen oder so. // I: Und sonst am Computer, irgendwas damit zu machen, gibt's da noch was-// D: Nee, am Computer eigentlich fast gar nicht. Also ohne Internet, nein. Also am Computer wüsste ich jetzt nichts. Wenn man einen Text halt schreiben will geht man einfach in ein Programm rein, da sind die Schriftarten, die Größen und dann geht man auf Drucken, also das weiß ja wirklich jeder so. Ihr geht es zunächst um ein Basiswissen hinsichtlich der Bedienung, was für sie vom allgemeinen In-Betrieb-Nehmen des Gerätes bis hin zur Erledigung spezifischer und konkreter Aufgaben reicht. Wie sehr sie sich eine Beschränkung auf diese Ebene wünscht, zeigt ihr Nachsatz, der Umgang mit bzw. das Wissen über den Computer solle möglichst einfach und nicht zu diffizil sein. Ihr Verhältnis zu Medientechnologien innerhalb der beruflichen Sphäre kleidet sie in ein Beispiel zu einer zeitlich nahe gelegenen Berufsvorbereitungsmaßnahme: Sie ist sich sicher, dass dort der Umgang mit der Technologie auf sie zu kommen werde, was ihr wie eine nicht zu umgehende Notwen-331 digkeit erscheint. Dies bringt sie in Verbindung mit einem Instruktionsszenario, in dem ihr die in der Werbeagentur Tätigen den Umgang "auch erklären" werden, was sie als "GUT" bewertet. Bilanzierend stellt sie sich das Verhältnis von technologiebezogenen Handlungsoptionen und ihrer eigenen Position folgendermaßen vor: Auf der einen Seite sei es nicht nur möglich, eine große Menge Wissen über Technologie zu besitzen, sondern darüber hinaus auch unmöglich, "zuviel" davon zu haben -auf der anderen Seite beschränkt sie ihren Wunsch nach eigenen Anteilen an diesem Wissensbestand und grenzt sich ab von detailliertem Spezialwissen, das mit vielfältigen Handlungsoptionen einhergeht ("wie man das und das und das so macht"). Auf diese Weise stellt sie sich eine medienbezogene Befähigung hinsichtlich ganz konkreter Bereiche vor -woran sie interessiert ist, sind notwendige oder auf spezifische Anforderungen bezogene Wissensbestände: Es geht ihr gerade nicht um "alles mögliche", sondern nur um das "Wichtigste" im Sinne einer Adaption von direkten Fertigkeiten. Habituell präsentiert sie sich abermals als lernwillig, grenzt dies aber gleichzeitig auf lediglich funktionale und überschaubare Aspekte ein. Über solche funktionalen und überschaubaren Aspekte hinaus artikuliert sie kaum Interesse an etwas Neuem. So sieht sie einerseits die Relevanz zukünftigen computerbezogenen Wissens, unterscheidet aber andererseits sehr deutlich zwischen einem grundlegenden ("Grunddings") und einem spezialisierten ("voll kompliziert"). Während sie das grundlegende Wissen als universell ansieht, ist das spezialisierte eines jenseits ihres Interesses. Allerdings ist sie bereit, sich zumindest soweit damit zu beschäftigen, dass sie selbst zukünftig über die Fähigkeit verfügt, ein konkretes Produkt möglicherweise einmal selber zu produzieren. Entscheidend ist hier, dass Derya das, was sie denkt tun zu wollen, wiederum eng an die vorherige Präsentation durch andere anlehnt. Deutlich wird darin ein Wunsch zur eigenaktiven Gestaltung mittels der Technologie, andererseits entspricht dieser exakt dem, was dem Rahmen einer heteronomen Anforderung und eines heteronomen Impulses durch andere (und die Erklärung durch sie) entspringt. Ansonsten fokussiert sie Computertätigkeiten, die ihr einen praktischen Umgang mit dem Artefakt gewährleisten und die sie in Form eines linearen Vorgehens schildert: Das Programm öffnen, die Schriftart auswählen, die Größe festlegen, etwas ausdrucken. Den Computer auf diese Weise zu nutzen ist ein universeller Wissensbestand ("wirklich jeder so weiß"), den sie ausdrücklich nicht als erweiterungsbedürftig ansieht, sondern als vollständig und bereits erworben. Damit verortet sie sich selbst im Rahmen eines nicht nur für jedermann zugänglichen, sondern eines ohnehin bei jedermann vorhandenen Wissens. Es geht ihr darum, einerseits etwas angesichts des von ihr Geforderten und andererseits etwas im Rahmen des ihr aktuell Zugänglichen zu tun. Möglichkeiten erwachsen damit in ihrer Orientierung weniger aus der individuellen Entscheidung für die Erschließung eines medienbezogenen Handlungsspielraums, sondern aus der Einordnung in einen präformierten Handlungsrahmen, innerhalb dessen sie sich dann aber aktiv und selbstbewusst positioniert. Der Themenbereich der Bewertung von Medien fokussiert die Fragestellung, auf welche Weise sich die Jugendlichen ins Verhältnis zu Medien setzen und welche Folgen bzw. Auswirkungen sie im Zusammenhang mit der Rezeption von Medienangeboten wie reflektieren. Dies betrifft zum einen die These der Wirkungen von Medien auf das Handeln und Verhalten des Rezipienten, das heißt das allgemeine Wechselverhältnis von subjektivem Nutzerverhalten einerseits und Medienangeboten andererseits und die Frage, welche Instanzen das medienbezogene Verhalten überhaupt regulieren bzw. regulieren sollten. Zum anderen geht es um die Frage, wie sich zu den Möglichkeiten der freien Verbreitung und Zugänglichkeit von Medieninhalten durch das Internet positioniert wird, welche Potentiale und Gefahren hiermit verbunden werden und aufgrund welcher Vorstellungen welche Regulierung der Medienangebote als sinnvoll erachtet wird. Neben den im Interview von den Jugendlichen selbst angesprochenen Reflexionen des Medienumgangs bei sich und anderen basieren die zum Thema Medienbewertung evozierten Schilderungen unter anderem auf der Konfrontation mit der Behauptung negativer bzw. schädlicher Medienwirkungen in Form von Sucht oder Vereinsamung; ferner auf der Diskussion um einen möglichen Zusammenhang zwischen der Rezeption so genannter Ego-Shooter 174 und dem Amoklauf von Erfurt, welcher bei vielen Jugendlichen zum Zeitpunkt der Interviewdurchführung noch gut im Gedächtnis war; schließlich auf der Konfrontation mit der Fülle der Verfügbarkeit und der Streuung von Medienangeboten mit gewalthaltigem, rechtsradikalem oder pornographischem Inhalt und der Frage, inwiefern dies und was davon genau als problematisch angesehen wird und sich mögliche Auswirkungen bzw. Regulierungs-oder Interventionsmaßnehmen vorgestellt werden. Die Orientierungsrahmen, innerhalb der Medien einer Bewertung unterzogen werden, sind in ganz unterschiedlichen Textsorten aufgehoben (Argumentationen, erlebnisbezogene Schilderungen, gedankenexperimentell entworfenen Szenarien bis hin zu biographischen Erzählungen). Wie auch schon im Abschnitt zuvor zeigt sich, dass es nicht ein einziges, sondern mehrere Merkmale sind, die die jeweiligen Orientierungen konstituieren. Zudem handelt es sich um Orientierungsmuster, die weit über den thematischen Bezug hinaus auf generelle subjektive Vorstellungs-und Erfahrungswelten verweisen -von Modellen des Subjekts über Erziehungs-und Entwicklungsvorstellungen bis hin zu individuellen Entwürfen bezüglich Krankheit bzw. Gesundheit. Zu den Subgruppen ließen sich folgende Orientierungs-und Bewertungsmuster rekonstruieren, wobei sich natürlich nicht alle Jugendlichen im Interview gleich intensiv bzw. themenidentisch geäußert haben. So finden sich in den Schilderungen der Jungen mit türkischem Migrationshintergrund vor allem Prinzipien der Stärke und Stabilität, der sozialen Vergemeinschaftung und der autoritären Begrenzung (6.2.1). Die Jungen aus den deutschen Familien hingegen bewegen sich bei der Medienbewertung in einem Rahmen von Selbstregulierung und der Internalisierung institutionalisierter Regelstrukturen (6.2.2 [Ja, also SO einen Freund hatte] ich mal ((lacht)), er hieß K., und er war IMMER an der Playstation. Er hat einen Computer bekommen, IMMER Computer. Dann habe ich immer mal zu ihm gesagt "komm, lass mal schwimmen gehen" und so. "Nein, keinen Bock", er so immer nur "Computer, Computer, Computer". Und, ich glaube auch das ist schädlich für die Augen, JEDEN Tag Computer. I: Und, hast du eine Idee, was man dagegen jetzt machen könnte? Dass Jugendliche NICHT süchtig werden? S: Ich glaube da mehr, so die ausländischen Leute, die beschäftigen sich NICHT mit dem Computer so. Ich glaube mal, so die DEUTSCHEN so, die beschäftigen sich mit dem Computer. Dass eine zeitlich übermäßige Computerbeschäftigung dazu führt, dass der PC reale Peerbeziehungen ersetzt, transportiert Sercan sprachlich in Form einer Forderung, die an ein generalisiertes Subjekt gerichtet ist ("man SOLL"): Es sollte sich also ein gewis-ses Zeitbudget, das ihm zur Verfügung steht, für das Pflegen von Sozialkontakten allgemein reservieren -eine Anspruch, den Sercan mit hohem Aufforderungscharakter ausstattet. Performativ werden damit ein normativer Verhaltensstandard und die Einforderung zu dessen Einhaltung umgesetzt. Inwiefern ein Verstoß hiergegen für Sercan aussieht, erklärt er so, dass ständiges und langes Beschäftigen mit dem Computer diesem zum "Freund" werden lasse. Auf diese Weise wird genau das Gebot der Achtung des Kollektivs, die Verpflichtung, sich darin einzubringen, verletzt. Dies scheint Sercan ein verwerfliches Verhalten darzustellen, das er in einen Vorwurf kleidet, indem ein so imaginierter Nutzer zeigend herausgestellt wird: "Du und dein Computer" -der Computersüchtige erscheint hier wie ein Hybrid, eine Einheit aus Nutzer und Computer, die sich drinnen in seinen vier Wänden, abgekapselt und getrennt von Anderen, befindet. Demgegenüber spielt sich draußen gleichsam das Leben ab, zumal auch "GUTES Wetter" herrscht. Auf diese Weise wird der sich seiner Computersucht Hingebende von der Sphäre der Anderen maximal isoliert. Er macht genau das Gegenteil nicht nur von dem, was irgendwelche Anderen machen, sondern was für Sercan eine soziale Gesamtheit um ihn herum tut. Der intensive PC-Nutzer ist demnach erneut isoliert -er ist einsam und damit kein Teilnehmer einer kollektiv stattfindenden Handlungspraxis. Solche in ihrem Verhalten nicht mit den kollektiv stattfindenden Geschehnissen übereinstimmenden Personen existieren für Sercan überdies ganz sicher ("GIBT solche Leute"). Diese haben es offenbar versäumt, reale (nicht mediale) Kontakte zeitlich intensiv zu pflegen und darüber die Orientierung an in der Gruppe als gültig erkannten Verhaltensmustern verletzt, sich gewissermaßen daraus ausgeklinkt und eben missachtet. Das infragestehende Medienverhalten wird auf diese Weise zu einem Ausscheren aus kollektiv zu beobachtenden Verhaltensmustern. Dies elaboriert Sercan anhand eines Freundes offensichtlich deutscher Herkunft ("Kevin"), den er performativ wie ein Opfer der Medien darstellt. Kevin habe sich beinahe automatisch, nämlich gleich nach Erhalt des Computers in eine Art Isolation begeben, welche auch mit dem Appell, sich einem peergruppenbezogenen Verhalten anzuschließen, nicht aufzubrechen schien. Hierzu schildert Sercan, wie er selbst kontinuierlich einen verbalen Impuls an seinen Freund richtete, wobei es sich um eine Aufforderung handelt, sich einer kollektiven Handlungspraxis anzuschließen ("komm lass mal Schwimmen geh'n"), die Sercan zuvor als eine Verallgemeinerte bezeichnet hatte. Damit entspricht sein eigenes Vorgehen einem Impuls, der sowohl ein Beziehungsangebot an den computersüchtigen Freund enthält, nämlich gemeinsam mit ihm etwas zu unternehmen, als auch eine Erinnerung an kollektiv wahrgenommene Verhaltensnormen. Allerdings hatte sein Freund bereits alles um sich herum vergessen, war starr auf Computer fixiert und verhielt sich quasi nur noch selbstreferentiell. Er hatte alles um sich herum ausgeblendet, was Sercan in Form einer mechanisch-roboterhaften Hinwendung zum Computer darstellt ("Computer, Computer, Computer"), die seiner Ansicht nach neben dem Effekt der sozialen Isolation auch gesundheitliche Schäden nach sich ziehen kann. Was Sercan hier schildert, lässt sich also als -wenn auch gescheiterter -Versuch interpretieren, auf das Verhalten des Freundes mit der Wiedereingliederung in eine soziale Struktur und das Angebot von Zusammengehörigkeit einzuwirken, um ihm auf diesem Wege eine verloren gegangene Stabilität zurückzugeben. Damit wird ein positiver Gegenhorizont sichtbar, nämlich eine stabile Vergemeinschaftung zur Prävention schädlicher Medienwirkungen bzw. allgemein eines abweichenden Verhaltens. Als Ressource, persönliche Stabilität auszubilden, erscheint hier eine gemeinschaftsbezogene Praxis und ihre Struktur, innerhalb der sich Subjektstärke und entwickeln kann. Diese Orientierung verdeutlicht sich im Anschluss an die exmanente Frage nach möglichen Interventionsstrategien, denn Sercan beantwortet sie mit Verweis auf eine Differenz der generellen PC-Nutzung infolge kultureller Unterschiede zwischen Ausländern und Deutschen; diese Argumentation lässt sich folgendermaßen interpretieren: Da Sercan explizit nicht von Türken spricht, sondern von "ausländischen Leuten", werden diese, eben durch ihre Nicht-Einschränkung auf eine bestimmte ethnische Community, generalisiert und zu den "Deutschen" maximal kontrastiert. Die Deutschen sind somit besonders herausgestellt bzw. allein -sie sind es, von denen Sercan annimmt, sie seien dafür anfällig, sich an den PC zurückzuziehen. Diese Lesart wirft noch einmal besonderes Licht auf das von ihm vorgebrachte Freund-Beispiel: Kevin war, so ist zu vermuten, Deutscher -dass er also, wie Sercan beschreibt, so computersüchtig wurde, ist offenkundig ein Phänomen seiner sozialkulturellen Zugehörigkeit, aus der ein Fehlverhalten resultierte, das als außerhalb gemeinschaftlich geltender Verhaltensnormen und -konventionen stehend gedacht wird -es ist gleichsam überindividualisiert, zumal Kevin sich auch auf den Versuch, sich ein Stück weit wieder zu ent-individualisieren, nicht ändern lassen wollte. Entscheidend für die Entwicklung ist demnach für Sercan die Zugehörigkeit zu einer sozialkulturell gedachten Gemeinschaft bzw. die Zusammengehörigkeit in einem Kollektiv. Wird man dorthinein einsozialisiert, existiert auch kaum die Gefahr der Entstehung computersüchtigen Verhaltens und erhält sich Gesundheit bzw. entsteht keine Sucht. Anders gewendet resultiert daraus die Orientierungsfigur, dass Sucht bzw. Schwäche vor dem Hintergrund eines Individualismus gedacht wird, der einem Ausscheren aus kollektiv gültigen Praxisnormen gleichgesetzt wird. Darin dokumentiert sich, inwiefern Sercan das Thema der als schädlich erkannten und von ihm auch explizit benannten Medienwirkungen vor allem in Zusammenhang mit sozialen Zugehörigkeiten stellt und erklärt. Wie Medien wirken, ist für ihn eine Frage der Bindung an ein Kollektiv, von dem verhaltensregulierende Impulse ausgehen und das zur Entwicklung von Stärke den Rahmen setzt. Dieser Erklärungskategorie folgt Sercan auch weiter, als es um die Frage nach der Wirkung von Computerspielen geht: (183) S: Ja, Amoklauf, in Erfurt. I: Ja, genau, Amoklauf, da hat ja jemand 16 Leute erschossen, und da wurde hinterher immer gesagt, das kommt davon, dass er Counter-Strike gespielt hat, so viel. S: Ja ja, Counter-Strike. I: Was meinst denn du, ist das was dran? S: Ja, BESTIMMT, weil man denkt-Ich habe das auch mal gespielt. Gefällt mir nicht SO, aber, jetzt unter Freunden macht das schon Spaß. Ich habe das so drei Stunden gespielt. Immer abballern, abballern. Danach, also ich hatte keine Lust mehr, wir sind dann raus gegangen mit meinen Freunden. Danach, so ich habe IMMER noch gedacht, so Schießen Schießen Schießen. Ich habe immer noch so gedacht, dass ich das jetzt noch so spiele so. Das Thema der Medienwirkung durch Computerspiele demonstriert er am Beispiel seiner eigenen mehrstündigen Spielepraxis, die auch später noch einen starken Effekt hinterließ. Den quasi intrapsychischen Nachhall des Spiels bei sich selbst führt er auf eine heftige Intensität dieses Medienerlebnisses zurück, die sich in seiner anschließenden Rückkehr in die Realität offenbar weiter fortsetzte. Damit macht er deutlich, wie überaus heftig sich die Wirkungen von Counter-Strike sich ihm selbst darboten. In diesem Zusammenhang hypostasiert er den Effekt des Spiels auf seine Wahrnehmung hier so weit, dass er sich nach Beendigung so wie ferngesteuert beschreibt, indem er nämlich das mediale Programm ("Schießen Schießen Schießen") noch einige Zeit nach der Rezeption in sich getragen hat. Auf diese Weise attestiert sich Sercan selbst das Erleben äußerst intensiver und nachhaltiger Medienwirkungen, die er in eine soziale Vergemeinschaftung eingebettet beschreibt ("unter Freunden"), auf die jedoch gerade bei ihm selbst keine Imitation des Schießens in der realen Welt folgte. Implizit deutet sich hier an, dass Sercan, zumal er davon ausgeht, dass das Erfurter Attentat "BESTIMMT" im Zusammenhang mit dem Spiel zu sehen ist, sich selber das Aushalten der Rezeption attestiert, ohne selbst von einer Gefahr betroffen zu sein, selbst zum Attentäter zu werden. Diese hier von Sercan kommunikativ demonstrierte lineare Wirkungshypothese wird hier kombiniert mit der Präsentation eines Vorhandenseins eigener Selbstbeherrschung, sich vor einer Nachahmung schützen zu können bzw. gegen eine Anfälligkeit gefeit zu sein. Genau diesen Mechanismus, nach dem ein intensives Medienerleben reale Handlungseffekte haben könnte, attestiert er im Folgenden dem Erfurter Amokläufer: (189) I: Ja, mhm, also meinst du da ist was dran oder wie? Dass der Amoklauf damals was damit zu tun hatte? S: Ja, bestimmt, ja. Er dachte-Vielleicht dachte er, er ist auch noch im Spiel oder so. Das wurde auch verboten glaube ich, oder, jetzt haben sie das dann wieder erlaubt. Da gab's auch so einen Film, "Tanz der Teufel", der ist ab 21. Kennen sie diesen Film? // I: Nee // S: "Tanz der Teufel", da sind so, ich habe es gehört, so in den 70er Jahren so, das geht über Satan und so, Satan rufen. Da sind so viele Leute voll von Herzinfarkt gestorben. Das habe ich so gehört, und, das ist AUCH nicht jetzt erlaubt, der Film. Und ich meine halt, GUT so. I: Aber, wenn du jetzt meinst, Counter-Strike hätte da jetzt irgendwie mit Schuld dran, meinst du man müsste das deswegen verbieten, oder wie meinst du das? S: Eigentlich SCHON, weil (3) Leben ist ja WICHTIG für ein Spiel. I: Ja, aber-(2) also findest du man sollte das jetzt verbieten, oder-S: Eigentlich JA, eigentlich NICHT. Weil, wenn die es verbieten (3) Na ja, also was sollen die Jugendlichen dann spielen? Also, JEDER spielt das. // I: Ja // S: Ja, ich gehe-Also JEDES Internetcafe wo ich reingehe, sind IMMER da Jugendliche und spielen Counter-Strike. Aber das ist nichts für mich, so, Counter-Strike. Sercans Schilderung zufolge konnte der Täter anscheinend nicht mehr differenzieren zwischen seiner Spieleaktivität und der Realität. Damit spiegelt er den Medieneffekt, dessen Erleben er oben bei sich selbst wahrgenommen und demonstriert hatte, auf das infragestehende Verhalten des Amokläufers. An diese Vorstellung der direkten Wirkung medialer Erlebnisse koppelt er kommunikativ das Thema des Verbots. Auf diese Weise arbeitet er sich am Thema einer möglichen Verhaltensregulierung so ab, dass es eingespannt wird in Fragen von Verhinderung bzw. autoritärer Begrenzung. Vor allem sein Hinweis auf den Horrorfilm "Tanz der Teufel", der seiner Wahrnehmung nach einer Reglementierung unterliegt ("ab 21") und von dem er gehört hat, mittlerweile verboten zu sein 175 illustriert erneut den Horizont, vor dem Sercan medienbezogenes Verhalten deutet: Auf der einen Seite stehen sich dabei ultrastarke Medienbotschaften, auf der anderen Seite anfällige Medienopfer gegenüber, die den Wirkungen der Medien erliegen. Ein Verbot entsprechender Darstellungen hält er deshalb auch für "GUT", weil es nach seiner Erklärung eben eine große Zahl Personen gibt, die zu schwach oder labil sind, mediale Darstellungen zu ertragen und die offenbar direkt infolge des Ansehens eines entsprechenden Programms zugrunde gehen, indem sie einen "Herzinfarkt" bekommen. Hier reproduziert sich das oben angedeutete Muster: Medien können demnach sehr starke, tendenziell lineare Wirkungen haben und bieten die Möglichkeit intensiven Erlebens einschließlich der Gefahr eines anschließenden imitatorischen Ausagierens von Gewalt oder eines physischen Zusammenbruchs. Der Nutzer muss demnach in der Lage sein, kraft eigener, sozial vermittelter Stärke und Stabilität mit den Angeboten der Medien umzugehen. Wem dies nicht gelingt, dem muss die Rezeption eben verboten werden. Auf dieser Folie lässt sich auch interpretieren, weshalb Sercan auf meine Aufforderung, sich zu einem Verbot des Spiels eindeutig zu positionieren, so ambivalent bleibt ("Eigentlich JA, eigentlich NICHT"). Ein Verbot von Counter-Strike beraubte die Jugendlichen ihrer medialen Lieblingsbeschäftigung, der zudem "JEDER" nachgehen würde. Als einzige Möglichkeit der Verhaltensregulation bleibt allein die Zuversicht, mit Medienangeboten im Modus der Selbstsicherheit umzugehen, so wie er: Während in allen Internetinternetcafes nämlich "IMMER" gespielt würde, ist dies, so sein Fazit, "nichts für mich". Die bewusste Abgrenzung aus einer kollektiv stattfindenden Medienpraxis hat hier den vermeintlichen Zweck der Demonstration eigener Stabilität. Diese Orientierung an der eigenen Selbstsicherheit koppelt sich in der Passage zu Darstellungsmöglichkeiten des Internet zunächst wiederum mit der bereits aufgeworfenen Orientierung an der Demonstration eigener Stärke, die in Relation zu einer sozialen Gemeinschaft steht. Deutlich wird auch hier ein spezifisches Wechselverhältnis von individuellem Lebensentwurf und der Einbindung in ein Kollektiv, von dem Sercan ausgeht. Es impliziert eine Statusvorstellung, die auf der Präsentation eigenen Vermögens aufbaut: (213) I: Das ist ja sehr frei. Und dass das so frei ist, wie findest du das eigentlich? S: Eigentlich gut. Jeder hat dann was, also mit dem Internet zu tun. Lohnt sich ja dann auch, Internet zu haben, zuhause und so. // I: Mhm. // S: Ich finde so was eigentlich gut, meiner Meinung nach. I: Warum findest du gut, dass das so frei ist? Also, was ist daran das Gute für dich? S: (2) Dass die jetzt so eigene Bilder da reinstellen können und so? I: Zum Beispiel. Jeder kann ja da was rein bringen. S: Sie können ja nur in ihre EIGENE Seite was rein machen. Dann können sie es sich so vorstellen und so, und dann können ja andere Menschen sehen, was der so DRAUF hat und so. Was der in seinem Leben so macht. Irgendwie, so was drauf schreiben, oder rein machen. Die freien Möglichkeiten des Internet scheinen für Sercan zunächst ein gutes Vehikel der Selbstdarstellung zu sein; es kann dazu dienen, sich anderen zu zeigen und zwar so, dass dabei vor allem Einblicke in das eigene Können genommen werden und Betrachter sehen können, was man eben "so drauf hat". Eine wichtige Funktion ist hier die Präsentationsfigur des eigenen Ich und die Möglichkeiten, auf diesem Wege Stärke vorführen zu können, deren Resonanzboden die Wahrnehmung generalisierter Anderer ist. Somit verläuft diese Argumentation ähnlich wie im Fall von Ferhat, der von einem Plan berichtet, sich eine eigene Homepage zum Ausweis seiner sportlichen Erfolge anzuschaffen. Nach meiner Konfrontation mit der Existenz von Gewaltdarstellungen verdeutlicht Sercan zunächst sein eigenes Wissen bezüglich der massiven Verbreitung entsprechender Angebote. (224) S: Es gibt ja auch eine Seite, rotten.com, kennen sie diese Seite? // I: Ja. // S: Das ist auch sehr EKLIG und so. Also, das war mal eine lange Zeit geschlossen. Verbietet diese Seite, jetzt ist es wieder offen. Es gibt VOLL VIELE Seiten, es gibt ogrish.com, es gibt rotten, es gibt VOLL VIELE solche Seiten. Nach der Information über die Existenz einer so genannten Schockerseite im Internet zeigt sich, wie gut Sercan Bescheid weiß über das Vorhandensein einer "ekligen" Bilderwelt im Internet, die seiner Wahrnehmung nach riesig ist. 176 Er beobachtet außerdem, inwiefern diese Bilderwelt von Interventionsmaßnahmen betroffen ist, indem Seiten über längere Zeit unzugänglich waren, jetzt aber wieder "offen" stehen, was er offensichtlich für einen normalen Mechanismus hält. Nach einer knappen Bewertung schildert Sercan, wie er das Verhalten anderer Mediennutzer angesichts solcher Medienangebote beobachtet: (227) S: (3) Das ist eklig eigentlich, so was. Ich war letztens mal so im Internetcafe, so kleine Kinder gucken sich das an. Schon KLEINE Kinder. Weil, jeder hat dann diese Seite, rotten, ich muss dann mal auch da reingehen, wie das aussieht. Ich glaube, die STEHEN auf so was. I: ((hustet)) Mhm, und warum stören die dich im Internet, also, was findest du an denen nicht gut? S: (5) Also, es ist eklig. Und, es gibt jetzt viel Terror, viel Gewalt. Und, also, sind die geil darauf, so Opfer zu sehen? Dass die aufgeschlitzte Menschen sehen? // I: Mhm, mhm. (3) // S: Ja ja, aus Neugier guckt sich das mal JEDER an, danach sagt man "nein, ich gucke das nicht mehr wieder an", dann sagt jetzt dein Freund "es gibt da so eine Seite", dann erzählt es jeder jedem, ganz Deutschland weiß das dann. Dann gehen die ja alle rein, und danach-(1) I: Ja, ist ja jetzt die Frage, was sollte man machen-was meinst du denn? S: (2) Eigentlich sollten die es lassen. Manche Menschen sollen auch sehen. Also-(3) Die Rezeption derartiger Angebote deutet Sercan als ubiquitäres Phänomen, auf das man bereits stößt, wenn nur "mal so" das Internetcafe aufgesucht wird. Es ist für ihn ein Geschehen, dass einfach jeden betrifft, woraus er seine Neugier ableitet, sich selbst ein Bild davon machen zu müssen. Gleichzeitig betont er jedoch, nicht darauf zu "stehen", was signalisiert, dass er sich selbst also nicht mit den Kindern, die er beobachtet, in eins setzen, sondern deutlich von Ihnen abgrenzen und sich über sie stellen möchte. Dies setzt er kommunikativ folgendermaßen um: Seine eigenen Motive, sich die Schockerseite einmal angeschaut zu haben, erscheinen hier gleichsam journalistischer Natur und er entwirft sich wie ein Beobachter, der unter dem Vorwand, sich neutral ein Bild von der Praxis anderer zu machen, im Prinzip seine eigene Schaulust befriedigen kann. Damit vermittelt Sercan, dass er einerseits an den infrage stehenden Angeboten eigentlich doch selbstverständlich teilhat und sie gut kennt, gleichzeitig aber nicht als jemand gelten will, den dies über Gebühr fasziniert, sondern darüber steht. Somit erscheint er selbst als erhaben, mithin als stabil (genug) ausgestattet, diese Bilderwelt subjektiv einfach aushalten zu können. Diese Demonstration eigener Erhabenheit wiederholt sich, indem er die Frage stellt, ob andere eigentlich "geil" drauf seien, sich an der Betrachtung von Gewaltdarstellungen zu ergötzen, was performativ an eine Entrüstung über andere erinnert, die Sercan hier dem Interviewer gegenüber artikuliert. Daraufhin fährt seine Erklärungstheorie fort, indem sie einen Wirkungsmechanismus entfaltet, der Sercan der Wechselspiel von Verbreitung und Nutzung gewalthaltiger Medieninhalte zugrunde zu liegen scheint: Danach steckt die Neugier zur Rezeption entsprechender Darstellungen dispositional in allen Subjekten ("guckt sich das mal JEDER an"). Im Anschluss an die Rezeption flaut diese Neugier jedoch wie von selbst wieder ab. Zum Ausdruck kommt darin ein Moment der Naturalisierung, mit dem beispielsweise auch Yüksel (weiter unten) erklärt, seine Spielelust verflüchtige sich nach einiger Zeit automatisch. Sercan stellt zudem dar, wiederum ähnlich zu Yüksel, wie sich fragwürdige Medienangebote auf unaufhaltsame Weise in der Medienlandschaft ausbreiten und man sich ihnen dadurch kaum entziehen kann; sie geraten nach dem Schneeballprinzip in Umlauf und verbreiten sich durch Mund-zu-Mund-Propaganda, bis irgendwann "ganz Deutschland" davon Kenntnis hat. In diesem Prozess bleibt niemand außen vor, vielmehr gehen "ja alle rein". Somit entwirft Sercan eine Situation, in der der Nutzer sich im Prinzip in großer Gemeinschaft weiß, die zudem qua Natur anfällig für die Verlockungen sind, sich ab und an "eklige" Webangebote anzuschauen. Implizit macht Sercan deutlich, dass er hier erneut auf einen Regulationsmechanismus von Stärke und Stabilität abstellt; dass es also angesichts einer Verlockung gilt, souverän zu sein und über den Weg natürlicher Stärke die entsprechenden Medienangebote aushalten zu können oder ihnen zu entsagen. Auf diese Weise schlussfolgert Sercan auch, es mache keinen Sinn, die Angebote einzudämmen, deshalb sollte man sie gewähren lassen. Es ist den Nutzern, zumindest einer nicht näher bestimmten Gruppe ("manche Menschen") und ihrer Gefestigtheit überlassen, sich in einer Medienwelt, in der die Rezeption abstoßender Inhalte jederzeit möglich ist, zu bewegen. Zugehörig zu dieser Gruppe ist, wer stabil und souverän genug ist. In genau dieser Weise entwirft sich Sercan selbst, indem er über die Passagen hinweg transportiert, wie er selbst scheinbar distanziert, gleichzeitig aber auch stark involviert, Medien samt der von ihm selbst als fragwürdig ("eklig") charakterisierten Inhalte nutzt, nämlich im Modus der Stabilität, der Stärke und der Erhabenheit. Dass sie ihn und sein Verhalten nicht negativ beeinflusst, ist bei ihm überdies an die Frage einer sozialen Vergemeinschaftung gebunden, die zugleich einen Präventionsmechanismus gegen übermäßigen Medienkonsum und abgibt. Im Gegensatz zu Sercan berichtet Yüksel von einer häufigen Rezeption des Spiels Counter-Strike. Dies ist auch der Ansatzpunkt, an dem die Rekonstruktion seiner Orientierung zur Bewertung von Medien ihren Anfang nimmt. Yüksels frühere intensive Spielepraxis, vor allem im Internetcafe, hat sich aufgrund einer Regulierungsmaßnahme stark modifiziert; durch eine Altersbeschränkung rückt das Spielen -zumindest im Internetcafe -in weite Ferne und kann von ihm, formal betrachtet, erst in drei Jahren wieder aufgenommen werden (er ist gegenwärtig 15 Jahre alt). Dies nimmt er als Eingriff wahr, der eng durch staatliche Kontrollorgane überwacht wird und von der Gefahr der Sanktionierung bzw. Bestrafung der Betreiber von Internetcafes begleitet wird. Sie fügen sich diesen Maßnahmen und reglementieren den Zugang für die Besucher durch Vorlage des Ausweises: (134) Y: Also früher haben wir es gemacht, Counter-Strike haben wir sehr oft gespielt. Aber, dann haben sie es ja VERBOTEN, muss man jetzt ab 18 und so sein. Jetzt spielen wir also fast gar nicht mehr Counter-Strike so zusammen. Und danach wir haben auch-I: Ach die haben es Internetcafe verboten euch zu [spielen] ? Y: [Ja ja, weil] in Erfurt ist doch dieser, also der Junge hat doch seinen Lehrer getötet, und da meinten die so "wegen Counter-Strike!". Danach, also die Polizei macht doch jetzt Kontrollen im Internetcafe. Und die Besitzer haben Angst, weil sonst bekommen sie ja die Anzeige. Und deswegen fragen die immer nach dem Ausweis, ob man 18 ist. Geschildert wird zunächst die Verbannung einer sich zuvor gemeinschaftlich gebildeten Medienpraxis aus ihrem angestammten Ort durch die Regulation mittels Verbote. Yüksel positioniert sich als Teilhaber einer zuvor autonomen Medienpraxis, die nun mit äußeren Maßnahmen der Reglementierung konfrontiert ist und dadurch beschnitten wird. Sie bedeuten für ihn eine Exklusion aus früher selbstverständlichen, normalen und üblichen Computernutzungsformen; im Folgenden wird deutlich, wie er dadurch eine stabile Vergemeinschaftungsform in ihrer Existenz bedroht sieht, die sich durch enge Gruppenkohäsion auszeichnete: (137) Y: Also das finde ich SEHR scheiße, weil, also wir sind vor einem Jahr, ungefähr eineinhalb Jahren war es ja sehr Mode Counter-Strike. Es war ja im Internetcafe gab's sogar keinen Platz mehr im Internetcafe. Danach hat es sehr Spaß gemacht, wir haben sehr oft gespielt, wir haben auch andere Spiele gespielt, also wie Strategiespiele, also (Revenant?) und, wie heißt das noch mal das Spiel, ich habe jetzt vergessen, so Strategiespiel, haben wir auch sehr oft gespielt, im Internetcafe und jetzt haben sie es ja verboten, muss man ja ab 18 sein. Und deswegen gehen wir auch immer Chatten. Also gehen wir surfen, weil man ja nicht mehr Counter-Strike spielen kann. Das als maximal negativ empfundene Verbot richtet sich in Yüksels Wahrnehmung gegen eine bis vor kurzem gängige "Mode" des Spielens. Nimmt man deren metaphorischen Gehalt ernst, meint Mode eine in einem bestimmten Zeitraum und in einer bestimmten Gruppe von Menschen als zeitgemäß geltende Art, bestimmte Dinge zu tun, Dinge zu benutzen oder anzuschaffen, sofern diese Art, etwas zu tun, nicht von großer Dauer ist, sondern im Verlauf der Zeit infolge gesellschaftlicher Prozesse immer wieder durch neue -dann als zeitgemäß geltende -Arten revidiert wird, sofern sie also zyklischem Wandel unterliegt. Auf das Computerspiel übertragen dokumentiert sich, dass Yüksel die intensive Counter-Strike-Praxis als etwas ansieht, was eigentlich nicht regulierungsbedürftig ist, sondern irgendwann eben wieder "aus der Mode" kommt und sich insofern auf natürliche Art und Weise von selbst erledigt und verschwindet; es handelt sich um einen Zeitgeist, bei dem man einfach mitgegangen ist und dabei war. Wie beliebt diese Mode war bzw. wie viele Anhänger sie mobilisieren konnte, verdeutlicht seine Beschreibung der intensiven Erlebnisse im Internetcafe: Dieses war mitunter völlig belegt und im Zuge dessen bildete sich im Internetcafe eine Sphäre gemeinschaftlichen Erlebens, die sich als eine Mischung aus Spaß und dem Ausprobieren verschiedener Spieleoptionen wie ein Sog darstellt, in den man hineingezogen wird. Die Reglementierungsmaßnahme in Form der Heraufsetzung der Altersfreigabe hat diese Sphäre zwar nicht zerstört, aber doch fundamental modifiziert, insofern sie sich nun hauptsächlich um die kommunikativen Nutzungsmöglichkeiten des Internet gruppiert. Eine mögliche Verknüpfung des Spiels mit dem Ereignis des Amoklaufs ist für ihn vor diesem Hintergrund eine Diskussion, die sich weit weg von seinem eigenen, gemeinschaftlich eingebetteten Erleben abspielt: (139) I: Wie ist denn das, also du hast jetzt gesagt, dass dieser Mord da in Erfurt, der hätte was mit Counter-Strike zu tun. Oder könnte [was]-Y: [Ja haben] DIE ja behauptet. I: Glaubst du das, dass das stimmt oder-Y: (2) Naja, also der Junge, also haben DIE ja gesagt DER hat oft das gespielt Counter-Strike und danach, also vielleicht hat er danach gedacht, "also Töten ist ja was Leichtes" und dann hat er es einfach gemacht aber na ja, keine Ahnung (2). I: Und was meinst du jetzt? Stimmt das? Y: Also hat SCHON damit was zu tun, aber dass man das jetzt gleich verbietet, ab 18, ich finde es auch ein bisschen ZU hart. Also dass es gleich ab 18 ist. Dann hat man ja keinen Spaß mehr, spielt man zu Hause alleine, macht nicht so viel Spaß. Also, hat beide Seiten, eher gut eher schlecht, also mittelmäßig meine ich. (3) Ein Zusammenhang des Spielens mit dem Amoklauf stellt für Yüksel eine fremde Behauptung dar, die er gleich doppelt als generalisierte These unpersönlich bleibender Urheber kennzeichnet. Dabei stellt er sich einen möglichen Wirkungsmechanismus als lineares Ablaufschema vor, das aus den drei Schritten Spielen, Denken und Handeln besteht. Der Amokläufer hat danach das im Spiel angebotene Handlungsprogramm des Tötens mechanistisch umgesetzt, was für Yüksel einem schicksalhaften Ausagieren gleichkommt. Etwaige Motive oder Dispositionen des infrage stehenden Verhaltens bleiben hier ausgeblendet, stattdessen ereignet es sich -es wurde "einfach gemacht". Obschon er einen Zusammenhang für denkbar hält, der aber unspezifisch bleibt, arbeitet sich Yüksel viel intensiver am Verbot als solchem ab, das für ihn in einem völlig unverhältnismäßigen Zusammenhang mit seiner eigenen Spielepraxis steht. Es ist als zeitliche Sofortmaßnahme zu radikal und vom Maß der Altersbeschränkung her zu hoch. Vor allem bezieht es sich auf ein Verhalten, das ohnehin stattfindet, wenn nicht in der Sphäre des Internetcafes, dann eben im privaten Rahmen, wo es allerdings um wesentliche Komponenten seiner Faszination beraubt ist. Insofern ist die Reglementierung für Yüksel völlig willkürlich und prozessiert als ein Verfahren, das etwas Natürliches und an positive Emotionen sowie spielerische Formen der Vergemeinschaftung Gekoppeltes behindert. Eine Einschränkung qua Verbot widerspricht dem Mechanismus, der das medienbezogene Verhalten der Nutzer eigentlich zu regulieren in der Lage ist. Auf welche Weise sich dieser für Yüksel darstellt, dokumentiert sich in der Passage, in der das Thema Sucht aufgeworfen wird. (145) Y: Ja ja, das ist-I: Was meinst du denn dazu eigentlich? Y: Ist SCHON eigentlich, also ich war auch so, Manager 2004 hatte ich, habe ich auch sehr oft gespielt, wurde ich auch ein bisschen süchtig, aber nach einer Weile bei mir, nach drei vier Wochen, so einem Monat, spätestens zwei Monaten, habe ich keinen Bock mehr auf das Spiel und dann spiele ich nicht mehr. Also bei MIR ist es so, bei ANDEREN, die werden süchtig, und dann spielen die es jeden Tag. Yüksel bejaht die Möglichkeit eines Abdriftens in die Computerspielsucht, das er im Zusammenhang mit einem Fußballsimulator auch selber an sich erlebt hat. Deren Überwindung schildert er im Rückgriff auf das Verstreichen von Zeit, worin sich ein naturalisierendes Moment andeutet. Es verging eben eine "Weile", und darüber vermittelt erledigte sich das Gefühl, "ein bisschen süchtig zu sein", automatisch. Dieser Mechanismus erinnert an das Phänomen der Modeerscheinung, das er oben in Bezug auf das Spiel Counter-Strike artikuliert hatte. Deutlich wird dies hier vor allem auch an seiner zeitlichen Angabe: Spätestens nach zwei Monaten hatte er auf naturwüchsige Weise das Interesse an "Manager 2004" verloren ("keinen Bock mehr"). Während er, ähnlich wie Timo, auf Zeitkategorien abstellt, die den Medienkonsum regulieren, ist es hier, anders als bei Timo, keine Regel, etwa in Form der zwischenzeitlichen Abstinenz, auf die Yüksel abzielt. Vielmehr setzt er hier einen deutlichen Schlusspunkt, der für ihn, das vermittelt der letzte Satz, gleichzeitig als Ausweis der Demonstration von Stärke bzw. persönlicher Stabilität fungiert, die ihn im Gegensatz zu "ANDEREN" auszeichnet. Diese Dichotomie des eigenen Verhaltens auf der einen und des infragestehenden Verhaltens auf der anderen Seite verläuft homolog wie im Fall von Ferhat, der sich ebenso attestiert, mit den Medienangeboten aufgrund einer naturwüchsigen Fähigkeit umgehen zu können, während er dies bei anderen stark bezweifelt. Dies steigert sich, als Yüksel, sein eigenes Verhalten in Beziehung zu dem beobachteten Verhalten anderer Jugendlicher thematisiert: (149) Y: [Ja ja, also ich] war mal Internetcafe, ich bin reingegangen, ich habe so einen Jungen gesehen, der spielt so ein Strategiespiel gerade. Danach ich bin rausgegangen, komme nach zwei drei Stunden wieder, und er spielt IMMER noch weiter. Also, manche sind schon sehr süchtig. Und dann bin ich noch eine Stunde im Internetcafe geblieben, und er spielt immer noch weiter, also-I: Was meinst du wie ist das gekommen, dass er so geworden ist? Y: Na, wenn er, also wenn die Leute, die Ingenieure sehr GUT machen die Spiele, da wird man ja süchtig. Will man ja immer MEHR spielen, immer mehr immer mehr immer mehr. Danach kommt man also halt dazu dass man sehr oft spielt. Also ich finde die Kinder haben auch keine Schuld, wenn die zu VIELE Spiele raus machen, und jeder spielt, und dann-(4). Ähnlich wie Sercan bringt Yüksel Medienangebote in einen kategorialen Zusammenhang von Versuchung und Widerstand; so ziehe ein gut konstruiertes Spiel unvermeidlich eine intensive Beschäftigung damit nach sich, äquivalent zu einer Droge, deren anfänglicher Konsum zum Verlangen einer immer höheren Dosierung führt. Damit verbunden sind in Yüksels Argumentation zwei Merkmale: Einerseits eine Entlastung der (jungen) Spieler, andererseits eine Zuweisung von Verantwortlichkeit an die Entwickler und Produzenten ("Ingenieure"), welche den Markt mit ihren Produkten überschwemmen und auf diese Weise eine (erhöhte) Hinwendung dazu erst provozieren. Anders formuliert: Die Verlockung, sich einem spannenden Medienangebot hinzugeben, ist sehr stark. Von Medien gehen insofern starke Effekte aus, da ihnen die Versuchung inhärent ist, sie auch entsprechend intensiv zu rezipieren. Diese Hinwendung ist ihrerseits ein Schicksal, das heißt kein individuelles Fehlverhalten der Nutzer, sondern der natürlichen Disposition eines Jeden geschuldet ("jeder spielt"), ähnlich wie auch Sercan dies betonte. Sich angesichts dieser Bedingungen zu positionieren, ist auch für Yüksel an die Ausbildung und die Demonstration eigener Stärke gekoppelt, in einer solchen Situation eben nicht schwach zu sein, sondern sich im Gegenteil souverän und ich-stark in Absetzung zu denjenigen zu entwerfen, die den Verlockungen der Medienangebote nicht widerstehen konnten. Deswegen steht Yüksel der von mir erneut nachgefragten Schuldfrage im Prinzip ambivalent gegenüber, weil sie in der Konstellation seiner Orientierung nicht eindeutig zu beantworten erscheint: (153) I: Also du meinst die Schuld haben nicht die Spieler, sondern mehr die Entwickler, oder wie meinst du das? Y: Eher BEIDES so, also wenn die Entwickler also so Spiele entwickeln, und danach, also die entwickeln es ja damit die Leute das auch spielen und kaufen. Und die spielen es und dann werden die süchtig. Danach, also die dürfen halt nicht so oft spielen, also hat auch was mit den ELTERN was zu tun. Die Eltern müssen auch sagen "ja jetzt reicht es, nicht mehr spielen, mach Hausaufgaben, kein PC mehr", das ist ja bei mir AUCH so, deswegen bin ich auch nicht eigentlich süchtig. Also wenn ich jetzt eine Stunde PC spiele zu Hause und er sagt "ja mach jetzt aus und lern was". Und danach muss ich auch ausmachen. Im Prinzip muss sich das Verhalten durch natürliche (Ich-)Stärke angesichts einer medialen Umwelt regulieren, die übersät ist mit ansprechenden Produkten. Ist diese nicht vorhanden oder nur mangelhaft ausgebildet, müsse -gewissermaßen als ultima ratioeine Disziplinarmaßnahme erfolgen, über deren selbstverständliches eigenes Verfügen und Befolgen Yüksel hier gleich mit informiert. Auf diese Weise koppelt er die Verfügung über die Fähigkeit, Stärke auszubilden bzw. ausgebildet zu haben, an die Existenz eines Autoritätsimpulses; dieser erscheint als persönliche Stärkequelle, indem er im Fall exzessiven Mediengebrauchs in Form einer unzweideutigen Begrenzung auftritt. Auf diese Weise konstruiert Yüksel ein anfälliges Subjekt, das medialen Optionen ausgeliefert ist und dazu neigt, in seinem Verhalten einer Art Versuchung anheim zu fallen; vor allem ist es ein Subjekt, dem im Falle eines Schwachwerdens mit Autorität begegnet werden muss, damit es gerade nicht zum Medienopfer werden kann. Insofern stellt sich Yüksel eine medienbezogene Verhaltensregulierung derart vor, dass sie auf der Grundlage des Vorhandenseins einer stabilen Ordnungsstruktur stattfindet, die aufgrund einer durch sie demonstrierten Autorität geschaffen und reproduziert wird. So handelt es sich bei den Erziehungsforderungen, die Yüksel -ähnlich den anderen Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund -von Eltern wiederum einfordert, auch um Formen autoritärer Begrenzungen, denen respektvoll Folge zu leisten ist bzw. selbst auch geleis-345 tet wird. Der Modus von Verhalten insgesamt erscheint hier erneut vor dem Hintergrund einer Vorstellung von Stabilität und Stärke, der nur autoritär begegnet werden kann um sie überhaupt regulieren zu können. Inwiefern Yüksel dieser Vorstellung einer Demonstration von Stärke einen durchaus schicksalhaften Charakter zueignet, verdeutlicht sich dort, wo er die Möglichkeiten der Informationsfreiheit im Internet einschätzt: (269) Y: Ist doch GUT, sagt jeder seine eigene Meinung. Aber manchmal sollte man auch nicht so übertreiben mit der Meinung, weil es gibt's ja auch andere, Kritiken, also die sagen "nein du hast nicht Recht" und danach streiten die sich. Kann auch, also wenn der eine schreibt so, das ist so und so und der andere sagt "nein das ist nicht so", danach streiten die sich ja. Und, wenn die sich auf der Strasse sehen würden, würden die sich ja gegenseitig schlagen, töten (3). Den zunächst positiv bewerteten Aspekt des Internets, Raum für die Artikulation individueller Ansichten zu sein, relativiert Yüksel durch ein Beispiel für ein fatalistisch anmutendes Szenario. So führt das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen, übermäßig stark artikulierten Meinungen für Yüksel beinahe automatisch in einen gewalthaltigen Konflikt, sieht er die personale Konfrontation zweier unterschiedlicher Meinungsinhaber relativ geradlinig und unausweichlich in ein tödliches Ende driften. Beide Parteien verharren danach so stark in ihrer jeweiligen Perspektive, dass eine reziproke Vermittlung oder gar Verständigung ausgeschlossen erscheint. In Anlehnung an Toprak (2007: 171) nimmt Yüksel hier physische Gewalt als "folgerichtig, legitim und angebracht" wahr, um "unversöhnliches Verhalten und Unnachgiebigkeit" zu regulieren. In diesem von Yüksel hier artikulierten Konflikt-anstelle eines Diskursmodells geht es also letztlich darum, dass sich zwei Parteien nur im Modus ihrer Demonstration von Macht und Stärke überhaupt miteinander auseinandersetzen können, und sich dabei im Extremfall gegenseitig zum Schweigen bringen. Daher gilt es für Yüksel auch, es nicht "zu übertreiben mit der Meinung". Die Ausbildung und die Vervielfältigung einer Meinung qua Medien wird demnach nicht vor einem Hintergrund bewertet, der auf wechselseitige Verständigung oder Anregung abzielt, sondern die Artikulation von Medienbotschaften wird daran bemessen, inwiefern sie in einer situativen Konkurrenz in der Lage ist, bestehen zu können oder nicht -und diesem Falle unterzugehen. Bei der Frage nach einem etwaigen eigenen Nutzen der Möglichkeiten, sich via Internet zu artikulieren, arbeitet Yüksel diese Orientierung weiter aus: (271) Y: Ja, würde ich gerne mal-I: Hast du das schon mal gemacht irgendwie wo? Y: Nein, nein. Nicht. Ich bin auch noch zu jung finde ich für so was. Muss man ja erst, also man muss sich auch erst mit so was AUSKENNEN. Man muss ja auch überlegen und dann schreiben, und nicht einfach seine Meinung hinschreiben. Für eine eigene Betätigung in Form eines Online-Beitrags fühlt sich Yüksel nicht hinreichend sozialisiert. Hierin dokumentieren sich zunächst Merkmale von Alter und Wis-sen, die für ihn zu einer Befähigung führen, in öffentlicher Form eine Position zu vertreten. Im Gegensatz etwa zur Argumentation von Melanie koppelt sich für Yüksel die Fähigkeit, die Informationsfreiheit des Internet zu nutzen, nicht an Kriterien wie Seriosität und Ernsthaftigkeit (also: einen inhaltlichen Aspekt), sondern eher an formale. Der Autor muss weniger thematisch beschlagen oder normativ korrekt ausgewiesen sein, sondern Aspekte von sozialisatorischer Reife erfüllen, um den eigenen Standpunkt zu vertreten. Allerdings äußert Yüksel tiefe Skepsis bezüglich der Möglichkeiten einer normalen Koexistenz verschiedener Sichtweisen: (275) I: Also du findest auf jeden Fall, dass es frei ist dass jeder da aktiv sein kann-Y: =Ist SCHON gut. Aber, vielleicht haben Sie in den Nachrichten gehört, der Van Gogh hat ja seine Meinung ein Film gemacht, da haben wir ja gesehen, was passiert ist. Das meine ich ja damit. Ähnlich zu oben stellt sich das Öffentlichmachen einer standortgebundenen Meinung und somit der aktive Gebrauch von Möglichkeiten der Meinungsfreiheit für Yüksel als ein Terrain dar, das von vorneherein Konfliktpotential birgt. Mit Verweis auf einen islamkritischen Autor 177 belegt er, wie er den Umgang mit und den Effekt von kontroversen Medienbotschaften beobachtet; in einer Haltung der moralischen Enthaltsamkeit deutet er hier die soziale Welt als eine Arena von Auseinandersetzung und Kampf, in der es gilt, sich zu behaupten -oder eben zu schweigen. Damit gibt Yüksel Einblicke in fundamentale Aspekte seines Weltbildes, das zutiefst geprägt von einem Glauben an ein Leben nach dem Modell des survival of the fittest zu sein scheint und in dem offenbar wenig Spielräume für diskursive Formen von (medialen) Auseinandersetzungen existieren. In diesem geht es weniger darum, sich sozial abzustimmen oder Standpunkte hinsichtlich des Versuchs einer Vermittlung in einem Diskurs mit anderen zu prüfen, sondern viel eher darum, sich sozial durchzusetzen. Sichtbar wird dies im Weiteren darin, dass Yüksel von einem Meinungsrelativismus überzeugt zu sein scheint, dessen Balance nur auf dem Weg der autoritären Begrenzung reguliert und aufrechterhalten werden kann. Dies zeigt sich, als er sich zur Existenz gewaltverherrlichender und rechtsradikaler Internetseiten positioniert: (277) I: Ja. Also, es gibt da ja zum Beispiel, hast du ja selbst auch gesagt, so Gewaltseiten oder Rechtsradikalenseiten oder so. Y: Also wenn die an so was GLAUBEN, sollen die also. Also, gibt's ja nicht nur Nazis, gibt's auch in der Türkei Leute die zum Beispiel gegen Kurden sind, da haben die auch immer so, also. I: Aber das wird einfach alles so ins Internet gestellt so. Y: Ja, aber die bekommen doch glaube ich Strafen oder? Gibt's so was nicht? I: Ich weiß es nicht genau. Y: Also wenn man zum Beispiel im Fernseher was zeigt, dann bekommt man doch so ein paar Tage Sendesperrung, DARF man ja nichts zeigen. I: Aber im Internet ist das ja alles drin. Man muss nur wissen wo es ist dann kann man sich das angucken. Y: Also, ich weiß nicht, also wenn man so EIGENE Meinung von macht. Also für denjenigen der das hin macht, ist ja GUT also für SEINE Leute und so. Wenn die also zum Beispiel in den Nachrichten schreiben "die Schwarzen oder die Ausländer raus" oder "die Juden sind scheisse" ja das ist ja gut was für Nazis, aber für die Juden ist es ja was Schlechtes. Deswegen also. Also wenn man ein Nazi ist würde man sagen "ja, er hat Recht. Weiter so, ist ja gut". Und wenn man ein Jude ist halt nicht (6) Eine Perspektivenvielfalt wird sichtbar, in der im Prinzip alle möglichen Standpunkte koexistieren dürfen; welche Botschaften vertreten werden, ist Yüksel eine Frage, woran die Menschen "GLAUBEN", was sie demnach auch "sollen" dürfen, ähnlich einem universellen Grundmuster der sozialen Welt. Begrenzung findet dieser Mechanismus in der Existenz übergeordneter autoritärer Instanzen, die bestimmte Perspektiven unter Strafe stellen: Insofern kann man, folgt man Yüksels Argumentation, eine problematische Medienbotschaft bzw. daran erkennen, dass ihr nach Ausstrahlung "ein paar Tage Sendesperrung" auferlegt wird. Statt einer Möglichkeit der Verschränkung oder Veränderung der Perspektiven auf einen Medieninhalt wird diese Vielfalt als ein Phänomen wahrgenommen, das nahezu automatisch Konfliktpotential birgt, welches seinerseits nur durch die Anrufung autoritärer Instanzen reguliert werden kann, denn jede Perspektive hat offensichtlich aus ihrer Warte heraus gesehen eine eigene Berechtigung, solange sie sich einer sozialen Akzeptanz bzw. Mehrheit sicher sein kann. So ist die Wirksamkeit einer "Meinung" hier von Yüksel daran gekoppelt, inwiefern sie sich eben als "GUT" für "SEINE Leute", dass heißt in Bezug auf die soziale Stabilität eines Meinungsführers darstellt. Eine Regulation der Medien und ihrer Angebote bzw. ihrer Nutzung scheint hier verhärtet, sodass im Prinzip keine anderen Modi denkbar sind, als die des selbstbewussten Ausagierens zum Zweck der Durchsetzung. Anders ausgedrückt geht es Yüksel weniger um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Genese oder dem Charakter des infragestehenden Mediengeschehens, sondern um die Vorstellung einer Kraft der autoritären Begrenzung einer ihrerseits ungebändigten Kraft subjektiven Ausdrucksvermögens. Hier schließt sich der Kreis zu seiner oben dargestellten Bewertung der Wirkung von Counter-Strike. Ein Verbot dieses Spiels deutete er als negative Maßnahme, nicht aber deswegen -wie im Fall von Andreas -weil man auf diesem Wege nichts erreicht, da die Nutzer selbstreferentiell nach ihren eigenen Regeln prozessieren, sondern weil ein Verbot eine Medienpraxis trifft, die ohnehin mehrheitlich Akzeptanz findet und in einer stabilen sozialen Vergemeinschaftung aufgehoben ist und in die ein Eingriff von außen einem Verstoß gegen einen starken esprit de corps gleichkommt, der sich im Inneren entwickelt hat und der sich dort reguliert. Bislang dokumentierte sich, dass für Yüksel allgemein über Botschaften von Medien im Rahmen einer sozial starken Vergemeinschaftung entschieden wird, aus der heraus bestimmte Formen des Umgangs emergieren. Ebenso zeichnete sich ein Medienrelativismus ab, an den die Anbindung an eine Autoritätsstruktur resultiert, die eine starke Orientierung bietet und die Vorgaben für die Gestaltung der eigenen Lebenspraxis gibt. Diese Orientierung lässt sich im Zusammenhang sehen mit einem Gesprächsausschnitt, den Yüksel damit einleitet, er spiele ja "eh, also nicht so viel" (169), weil er einen beträchtlichen Teil seiner Freizeit in der Moschee verbringt: (170) Y: Also WENN ich was lerne, ich gehe auch immer in die Moschee, da ist auch immer der Hoca, also der Prediger, also der immer alles beibringt und der immer so betet. Also der dort, also der, also der Boss, der sich mit alles auskennt, wenn man Fragen hat geht man zu ihm. […] Hoca ist zum Beispiel wenn man zum Beispiel jetzt betet, einer ist doch immer vorne, vielleicht haben's Sie es Fernseher schon mal gesehen? Und das ist der Hoca, der zum Beispiel sagt "Allah hu akbah", dann macht jeder ihn nach. Und danach also, der kennt sich mit alles aus, wenn man zum Beispiel Fragen hat, Probleme hat, geht man ZU ihm, und also so zusagen. Er ist der BOSS, also der in einer Moschee ist. Der sich am meisten auskennt. Und da MUSS ja auch einer so Hoca sein, in jeder Moschee gibt's auch einen. Also, zum Beispiel, wenn man zum Beispiel beten, um eine bestimmte Zeit muss man beten gehen. Und danach, wenn man betet, danach, so zwanzig Minuten gibt es dann noch Zeit bis zum Beten, danach erklärt der immer, wie Moslems leben müssen, oder was sie machen müssen. Wie das früher war mit unseren Propheten und so. Der sich also sehr gut auskennt. Der also Koran und so alles auswendig kann. // I: Mhm // F: Also ich gehe jeden Tag, so um sechs gehe ich immer hin, erst beten wir, und danach, ich und meine Freund, und er bringt uns immer bei, wie wir beten müssen, was wir auswendig lernen müssen. Also wie das früher war, also-Also Islam ist SEHR GROSS, also wenn sie mal gerne möchten, können Sie ja AUCH mal hingehen, und also alles so Sachen erfahren. Die ist hier U-Bahnhof B. Wenn auch nicht unmittelbar thematisch auf die Bewertung von Medien bezogen, kommt der hier wiedergegeben Passage doch der Status einer sogenannten Fokussierungsmetapher zu, die die vorab dargestellten und interpretierten Textstellen erhellt. 178 Folgt man Yüksels Schilderung seiner Erfahrungen in der Moschee und damit seiner religiösen Praxis, zeigt sich, dass die Ausprägung einer seinen Alltag bestimmenden Orientierung offensichtlich vor dem Hintergrund des Eingebundenseins in eine hierarchisch gegliederte Ordnungsstruktur und dem Vorhandenseins eines opinion leaders erfolgt, welcher einerseits eine inhaltlich-richtungsweisende, andererseits aber auch eine sozialpsychologische Beratungsfunktion innehat. So orientiert sich Yüksel bezüglich der prägenden Momente seiner Erfahrungen deutlich an einem Oberhaupt bzw. einem Meinungsführer, der den Subjekten sagt, "was sie machen müssen", in diesem Fall dem "Hoca" 179 (den Yüksel als "BOSS" tituliert"), denn insbesondere dieser "kennt sich sehr gut aus", vor allem aber "MUSS" es auch eine solche Figur geben. Dieser Struktur misst Yüksel hohe Bedeutung zu, wenn es darum geht, sich im Sinne einer für ihn subjektiv relevanten Lebensorientierung beeinflussen zu lassen ("WENN ich was lerne"). Erneut fällt hier ein positiver Gegenhorizont ins Auge, nämlich eine soziale Gemeinschaft und eine Zusammengehörigkeit, die in Anleitung durch eine herausgehobene und mit Autorität ausgestattete Instanz sowie die Befolgung ihrer Weisungen Stärke und Stabilität ausbildet und in den Besitz einer lebensorientierenden Gewissheit gelangt. Zugleich drückt sich hier ein hohes Vertrauen darin aus, dass eine Lebensorientierung, die sich hier im Modus einer Mischung aus Respekt und Gehorsam auf der einen und persönlicher Nähe und dem Erfahren von Stärke auf der anderen Seite angeeignet wird, als fraglos und richtungsweisend erweist. Bezogen auf das Thema der Medienbewertung ergeben sich hier folgende Interpretationsfolien und Deutungshorizonte: In Bezug auf die Einschränkungen, die Yüksel durch den Verbot des Ego-Shooters scharf kritisiert lässt sich -etwas überspitzt -formulieren: Es ist die deutsche Polizei, die hier eine Reglementierung von außen vornimmt und die Yüksel als völlig inakzeptabel zurückweist, weil dadurch eine starke Gemeinschaft (die der Spieler) mit einem Ordnungsmuster konfrontiert wird, das als fremdreferentiell erfahren wird und das in eine community-bezogene Praxis eingreift, die sich -wenn überhaupt -nach eigenen Ordnungsmustern selbst regulieren lassen möchte. Es ist in diesem Fall nicht die von ihm anerkannte Autoritätsinstanz, von der er sich den Weg weisen bzw. etwas verbieten lassen möchte. Dass seine Reaktion anders ausfiele, spräche sich etwa der Hoca gegen diese Art der medialen Beschäftigung aus, darüber kann hier freilich nur spekuliert werden. Vor allem opponiert Yüksel auch deshalb, weil sich die Begründung des Verbots, wie er sie wahrnimmt, auf die Behauptung eines Mechanismus stützt -den des nachahmenden Tötens -von dem er bzw. seine Freunde sich als Ausführende einer solchen Spielepraxis weit entfernt wähnen, weil sie sich als ohnehin beherrscht, stabil und selbstwirksam erleben: Sie haben eine stabile Orientierung, die sie vor der Anfälligkeit negativer Medienwirkungen schützt -andere haben diese möglicherweise nicht, und deshalb "kommen" sie dann "halt da so zu". Deswegen haben für Yüksel, wie er es formulierte, "auch die Kinder keine Schuld, wenn die zu VIELE Spiele raus machen" -wenn es also Hersteller von Medienprodukten gibt, die ihre Angebote mit einem Höchstmaß an Anreizen ausstatten. Heranwachsende, so lässt sich interpretieren, können für Yüksel mit Medien umgehen, aber nur unter der Bedingung, dass sie ansonsten stabile Lebensorientierungen ausgebildet haben. Genau diese sind für ihn wichtig, gerade weil es so viele mediale Verlockungen gibt, die nur darauf warten, dass sich der Nutzer ihnen hingibt und dann "immer mehr immer mehr" will. Dass dieser Effekt bei manchen zu beobachten ist, auch bei anderen Jugendlichen gleichen Alters, ist für Yüksel daran gekoppelt, dass sie nicht genügend Stabilität aufweisen, um dagegen gefeit zu sein. Eine Möglichkeit, dieser Anfälligkeit für eine Schwäche zu begegnen, besteht für ihn daher auch darin, dass eine starke Instanz dem Subjekt mit starker Hand den Weg weist ("er [der Vater] sagt 350 ‚mach jetzt aus'"); dies ist Präventionsmittel gegen individuelle Schwäche eines Einzelnen, der anfällig ist für die Verlockungen einer (auch medial) transportierten Botschaft. Ein weiterer Bezugspunkt ergibt sich bezüglich der These der freien Möglichkeiten von Informations-und Meinungsverbreitung via Medien: In diesem Zusammenhang geht Yüksel davon aus, dass Ansichten bzw. allgemeine Haltungen aus einer stabilen Vergemeinschaftung erwachsen, die als wichtigste Referenz dafür in Stellung gebracht wird, welche Perspektive sich auf einen Gegenstand sozial durchsetzt und welche nicht. Deshalb muss bei einer weithin vernehmbaren und öffentlichkeitswirksamen Veräußerung einer "Meinung" auch damit gerechnet werden, dass es andere Lager gibt, die nicht derselben Auffassung sind und sich die deshalb dagegen zur Wehr setzen. Ein solcher Meinungsrelativismus ist deshalb ein sozialer Tatbestand und kann bei übermäßig starker Artikulation einer Meinung zu einem Problem werden, weil die Gewissheit der Richtigkeit einer Botschaft der Gewissheit der eigenen Community entspringt, die wiederum stabil vergemeinschaftet und daher tendenziell nach außen hin abgeschottet ist. Legt es ein Urheber eines Medienangebotes darauf an, sich mit der Intention seiner Botschaft gegen die Überzeugungen derjenigen zu richten, die diese innerhalb einer stabilen Vergemeinschaftungsform als ihre Gewissheit erfahren, kann dies unweigerliche Folgen tragen, die man auch in der Realität beobachten kann ("da haben wir ja gesehen, was [mit dem Filmemacher Van Gogh] passiert ist"). So macht der sich im Fall von Yüksel abzeichnende Orientierungsrahmen, der sich -ähnlich den anderen Jungen mit türkischem Migrationshintergrund -aus den Momenten der Stabilität und Stärke, der Anbindung an eine Gemeinschaft und der autoritären Begrenzung zusammensetzt, offenkundig Prozesse der Verständigung schwierig, weil hinter der Ausbildung und dem Transportieren von Botschaften immer starke Gemeinschaften stecken, die unzweifelhaft im Recht sind. Inwieweit eine Reglementierung von Medienangeboten weniger über den Weg der inneren Einsicht, oder der Bewusstheit erfolgt, sondern vorrangig durch eine Grenzsetzung von außen gedeutet wird, zeigt sich auch im Fall von Ferhat. Angesprochen auf die Freiheit der Informationsangebote des Internet führt er aus: (357) Y: Also ((seufzt)) für MANCHE Sachen ist das okay, aber füralso zum Beispiel solche rechtsradikalen Sachen zum Beispiel finde ich nicht okay. I: Ja, die sind da ja drin, ne, jede Menge und so. Y: Ja, deswegen. Also ich meine jetzt so LEGALE Sachen so, die niemandem irgendwie was tun oder die jemanden persönlich beleidigen oder so was, DANN ist es okay. Ja, aber ich meine solche Sachen das ist doch SCHEISSE. Ich meine, ich finde es doch Schwachsinn, dass sie so etwas zulassen, also Deutsche haben ja auch eine Geschichte von früher, und die WISSEN, in wie weit das ausarten kann, wenn man so was erlaubt. Angebote, die für Ferhat respektvoll sind (niemandem "was tun") sind für ihn "LEGAL", also im Einklang mit Gesetzen. Hier zeigt sich, dass Ferhat die aus seiner Sicht problematischen Inhalte nicht auf entlang eines moralisch-inhaltlichen Standards 351 evaluiert, sondern vor dem Hintergrund, inwiefern sie zu einer abstrakten Gewalt konform sind. Es ist demnach, so lässt sich daraus ablesen, die Aufgabe einer machtvollen Ordnungsstruktur, den Umgang miteinander zu regeln. Ist diese Regelung gewährleistet, findet sie Ferhats Billigung. Für "Schwachsinn" hält er deshalb gerade nicht die Darstellung (hier: rechtsradikaler Angebote im Internet) aufgrund ihres fragwürdigen Charakters, also ihrer Intention, sondern eher, dass es zu einer entsprechenden Darstellung überhaupt gekommen ist. Dass dies so ist, liegt für ihn daran, dass "sie" so etwas "zulassen", dass -von Ferhat nicht näher differenzierte -autoritäre Dritte dies ermöglicht haben. Dass sich eine Meinung, von deren Darstellung bzw. Verbreitung dann beleidigende Wirkungen auf andere ausgehen kann, also überhaupt ausbildet ist weniger die Verfehlung einer Maxime, deren Einhaltung er hier vermisst oder einfordert. Das Heranwachsen einer Einstellung koppelt sich weniger an einen Prozess innerer Einsicht, indem sich z. B. Überzeugungen bilden und kognitiv verfestigen, sondern verläuft in Relation zu äußeren Geboten und Verboten, reguliert sich also Verhalten in Orientierung an einer autoritären Ordnungsstruktur. Versagt diese Struktur, kann infolgedessen durchaus Fehlverhalten resultieren, für welches Ferhat aber gerade nicht das Individuum moralisch verantwortlich machen will, sondern das sich allein einer autoritären Struktur zu unterwerfen hat. Ein solches Ergebnis lässt sich für Ferhat in der Geschichte zeigen. Hier wurde versäumt, auf externem Weg für eine innere Ordnung zu sorgen, vielmehr wurde zugelassen, dass sich rechtsradikale Meinungen bilden konnten. Lasse man dies zu, schlage das Verhalten "aus der Art", treibt also Blüten, die dann wiederum vermittels einer autoritären Ordnungsstruktur zu bewältigen sind. Zur Frage zur Regulierung solcher Medienangebote meint Ferhat: Anstelle einer inhaltlichen Auseinandersetzung denkt Ferhat an eine Intervention zur Bereinigung des Internets von entsprechenden Inhalten. Problematische Medienbotschaften deutet er so, dass es ihm nicht um die Wechselwirkung von Inhalten und Nutzer oder um einen Schutz der Rezipienten geht, weil etwa eine sozial folgenreiche Rezeption befürchtet wird, sondern dass sich in der Durchführung einer autoritären Begrenzungsaktion eine eindrucksvolle Wirkung einstellt. Ähnlich wie Andreas stellt Ferhat hier auf einen technischen Eingriff ab -nicht jedoch um eine Barriere zu institutionalisieren, sondern orientiert an einer Machtdemonstration. Dass es vor allem Stabilität und Stärke sind, die den Umgang mit und die Wirkung von Medien beeinflussen, zeigt sich auch in den Passagen zur Ferhats selbstbezogener Verhaltensregulierung. Ähnlich wie Yüksel gibt auch er sich als großer Fan des Spiels Counter-Strike zu erkennen: (181) F: Ja, Spiele. Counter-Strike, kennst du vielleicht // I: Ja // F: Ja ja ((lacht)),voll der-also VOLL der üble Zocker bin ich // I: Ja? // F: Ja, süchtig danach. ((lacht)) Ja. ((lacht)). Da zocke ich manchmal über das Internet. Manchmal stundenlang, gibt schon Tage, wo ich einfach die Jalousien runtermache und 8 Stunden durchspiele. // I: Mhm // F: Ja. Das ist geil so, weil das Spaß macht da, haut das voll rein, voll geil. ((lacht)) I: Spielst du das dann von zu Hause aus im Internet? F: Mit Clan zum Beispiel. Ich habe einen Clan. Also das ist ein TEAM, also die spielen gegen andere Teams jetzt zum Beispiel so. I: Gibt ja auch viele, die ins Internetcafé gehen, um das da zu spielen. Machst du das auch oder-? F: Na ja, ja, selten. Aber, Clans spielen MEISTENS von sich zu Hause aus. // I: Aha. // F: Und, die machen ja-, also die meistens ins Internetcafé gehen, spielen ja nur über LAN-Kabel, und die spielen dann nur gegen einander halt und WIR spielen-und wir haben auch schon gegen Leute aus Europa gespielt, also ganz Europa zum Beispiel, ja, Spanien, Griechenland. Da gibt es nämlich auch solche Gruppen, die das machen und, ja, gibt's schon manchmal, dass wir uns da verabreden so. Sich selbst mit seinem eigenen Verhalten brüstend kokettiert Ferhat damit, bereits "süchtig" zu sein. Sich als Nutzer beschreibend, der sich mitunter zeitlich sehr intensiv aus dem normalen Tagesgeschehen ausklinkt und sich ganz in die Mediensphäre hinein versenkt entwirft sich als involviert und souverän zugleich. Deutlich wird darüber hinaus seine eigene Grandiosität, auf dessen Grundlage seine Spielepraxis aufbaut und die sich, innerhalb einer medienbezogenen Vergemeinschaftung, bereits in konkurrenzorientierten Situationen mit anderen Spielern sogar aus anderen europäischen Ländern bewährt hat. Wie schon in Abschnitt 6.1.1 deutlich wurde, nimmt Ferhat auch hier eine Statusbestimmung vor; sind andere Spieler darauf angewiesen, ins Internetcafe zu gehen -und haben insofern nur über eingeschränkte (technische) Möglichkeiten, verfügen er selbst und seine Mannschaft mittels häuslicher Internetverbindung über die Option, sich länderübergreifend mit Gegnern zu messen; er ist selbst Teil einer starken Community, die nicht darauf beschränkt ist, nur im engen Rahmen der Nahumwelt zu agieren, sondern Teilhaber an einem globalen Wettbewerb. Im Folgenden wird deutlich, wie unumstößlich er sich selbst als Zentrum einer medienbezogenen Verhaltensregulierung wahrnimmt und sich attestiert, souverän mit Medienangeboten wie Counter-Strike umgehen zu können: (194) I: Was macht dir an dem Spiel so besonderen Spaß? Was macht das denn aus für dich? F: (4) Keine Ahnung, das IST einfach so-ich weiß nicht so, viele sagen ja dieses blutige Rumgemetzel und so, das ist schrecklich für die Kinder, aber ich meine das ist, ich finde es ÜBERHAUPT NICHT, weil wenn man sich denkt, dass es ein SPIEL ist und nicht irgendwie verherrlicht und sich nicht irgendwie da rein steigert, dann ist es okay. // I: Mhm. // F: Weil dann macht es auch wirklichen Spaß so. Ich meine, das Blut stört mich nicht, und so zuzusehen, wie man wen abballert macht SCHON Spaß. Aber, ich meine da sind keine kranken Hintergedanken dabei. So, dass man sich so denkt, morgen mache ich Amoklauf und so. Man denkt sich, ist ein SPIEL mehr auch nicht und so. Soweit geht es dann halt AUCH nicht wieder. Während er zunächst nicht näher eingrenzt, worin der Reiz des Ego-Shooters für ihn liegt, gleicht es seiner folgenden Darstellung einem eher natürlichen Mechanismus, dass dieses Angebot Faszination ausübt ("IST einfach so") und an dem man deswegen teilhat. Seine eigene Haltung schildert er vor dem Hintergrund, dass er sich sehr wohl bewusst ist, inwiefern in der Öffentlichkeit ein kommunikativ geteiltes Wissen über die Brutalität des Spiels kursiert ("viele sagen ja"): Dessen Intention oder Relevanz will er jedoch für sich selbst nicht gelten lassen bzw. bringt sich in deutliche Opposition dazu. Auf diese Weise präsentiert er sich als ein Nutzer, der sich selber die Freiheit zugesteht, an etwas Spaß zu haben, das im öffentlichen Diskurs als zweifelhaft gebrandmarkt ist. Er setzt sich damit souverän über eine sozial geteilte Meinung hinweg und entwirft sich als erhaben. Hierzu demonstriert er, inwiefern er persönlich über die Fähigkeit verfügt, Fiktion und Realität auseinander zu halten. Für ihn ist entscheidend, Distanz zu bewahren und sich eben nicht in das Spiel "hineinzusteigern". Seine sich darin zeigende Souveränität macht sich dadurch bemerkbar, dass er meint, erst "dann", also erst über den Dingen stehend, mache es erst "wirklichen" Spaß. Dieser Mechanismus ist für ihn wiederum eine Frage physischer Kontrolliertheit, über die "man" als Spieler ganz einfach verfügt. Deutlich wird dies auch daran, wie er darüber informiert, welche Details er während des Spiels alle sieht und erlebt -und gleichzeitig darauf insistiert, es seien eben keine "kranken Hintergedanken" dabei sind. Konzediert wird damit, dass die Rezeption zwar kognitive Spuren hinterlassen kann, er selbst davon aber keinesfalls so betroffen ist, auf diesem Wege manipulierbar zu sein. Gerade mittels der Art und Weise, auf die er einen gewalttätigen Ausgang der Spielepraxis als negativen Gegenhorizont entwirft, präsentiert er sich selbst -gegensätzlich -als grundsätzlich gefestigt. Inwiefern er diese Gefestigtheit als Garant für die Verhinderung unbeherrschten Ausagierens ("morgen mache ich Amoklauf") sieht, zeigt sich auch in der folgenden Passage: (198) I: Ja. Aber es gibt es ja auch manchmal, dass in den Zeitungen was darüber steht, dass Jugendliche, die irgendwie so ganz viel Computer spielen, dass das auch schädliche Folgen haben kann. F: Ja ja ja, KANN. I: Also kann man manchmal lesen in der Zeitung, so dass die vereinsamen oder süchtig werden. Was meinst denn du dazu? F: Also ich würde mal sagen, also (2) dass sind ja auch, also die SOWAS HABEN, die so WERDEN, das sind meistens sowieso Einzelgänger, oder Leute, die keine Freunde haben. So Außenseiter zum Beispiel. Die haben sich dann den Computer zum Freund sozusagen ((lacht)). Und bei MIR ist es NICHT so. Ich habe genügend Freunde, mit denen ich auch abends weggehe, Party mache, auch Freunde, mit denen ich rumchille und so. Also, ja-, es ist ja NICHT so, dass ich den ganzen Tag am Computer rumhocke und so. Ich meine, wenn es sich ergibt, dann gehe ich RAN, wenn NICHT, dann halt NICHT. Ich meine es ist nicht, dass das jetzt lebensnotwendig ist oder so. Mit der betonten Antwort "KANN" dokumentiert Ferhat, dass er einer direkten Wirkungshypothese eine Absage erteilt bzw. sich dagegen wehrt. 180 Allerdings gebe es durchaus Subjekte mit einer Empfindlichkeit für negative Medienwirkungen -sie charakterisiert er zunächst als solche, denen eine Eigenschaft anhaftet ("die SOWAS HABEN"), was er dann aber hinsichtlich eines Prozesses korrigiert ("die so WERDEN"). Implizit erscheinen diejenigen Personen, die aus seiner Sicht für Medienwirkungen empfänglich sein können, als Individuen, die von Grund auf ("sowieso") mit irgendeiner Art von Anfälligkeit ausgestattet sind. Diese wiederum liegt für ihn in einer sozialen Deprivation begründet, welche er aber weniger als Auslöser für ein bestimmtes Verhalten deutet, sondern eher in Form einer schicksalhaften Koinzidenz, von der vor allem soziale Verlierer ("Außenseiter") betroffen sind. Seine eigene Situation entwirft Ferhat daraufhin als genau gegensätzlich. Er ist gerade kein Medienopfer, was er auf eine Weise hervorhebt, die nicht nur die Quantität seines sozialen Netzwerkes anzeigt, sondern gleichzeitig auch die Qualität gemeinsamer Aktivitäten. Damit erklärt er seine soziale Position vor dem Hintergrund einer starken sozialen Vergemeinschaftung als stabil und überlegen zugleich. Vor allem sein eigener Computerumgang ist soweit selbstbeherrscht, dass er als souveräne Medienpraxis erscheint, in welcher es sich "ergibt", ob und wann er an den PC "RAN" geht. Dies transportiert auch die von ihm gebrauchte Begrifflichkeit, mit der er eine scharfe Grenze zwischen einer seiner Ansicht nach defizitären und einer gelungenen Beherrschung des Medienumgangs markiert. Anders als für sozial Deprivierte ist nämlich der PC für ihn selbst gerade nicht "lebensnotwendig", hat also nicht den Stellenwert eines existenzsichernden Grundnahrungsmittels, sondern im Gegenteil den eines Luxusgutes, dessen Konsum hin und wieder gefrönt wird. An einer anderen Stelle des Interviews formuliert er, der Computer sei "im Endeffekt auch nur so ein Blechhaufen, ja ((lacht))", 223) und transportiert auch hier die Überzeugung, so beherrscht zu sein, dass ein Verzicht nicht nur auf Spielen, sondern im Prinzip seine gesamte Medienpraxis jederzeit möglich erscheint: der Computer wird soweit symbolisch degradiert, dass er als totes Blech erscheint, über dessen Wirkung allein er selbst als Nutzer wacht. Bezogen auf die Frage der medienbezogenen Verhaltensregulation geht es ihm weniger um Verhaltensstandards als Regulationsmechanismus, als vielmehr um die Demonstration dessen, souverän, stabil und grundsätzlich beherrscht zu sein -eine Stärke, die nicht zuletzt in einer stabilen Vergemeinschaftung wurzelt, die überdies exklusiv ist. Darüberhinaus zeigt sich, wie Ferhat das Muster der sozialen Deprivation und der Schwäche als Erklärung für negative Medienwirkungen um den Aspekt der Pathologie erweitert: (202) I: Aber du meinst, es könnte schon negative Folgen haben für manche? F: Für MANCHE. Also die nicht so richtig so selbständig sind so, also nicht richtig klar DENKEN können, die bisschen schon so in ihrer eigenen Welt leben, also, das ist schon-kann schon ganz schön KRASS werden bei denen, dass die dann irgendwie Amoklauf machen zum Beispiel. // I: Mhm. // F: Durch dieses Spiel also, es gibt ja solche kranken Leute, die so was machen. Das Bewertungsmuster, nach dem sich Ferhat selbst die Fähigkeit zugesteht, mit Medienangeboten wie Counter-Strike angemessen und stabil umzugehen und gleichzeitig auf negativen Effekten für "MANCHE" beharrt, erinnert an das aus der medienwissenschaftlichen Literatur bekannte Beispiel des Dritte-Leute-Effektes (vgl. Kunczik/Zipfel 2004). Es besagt, dass Personen ihren Umgang mit solchen medialen Inhalten, die in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit als negativ beurteilen (z. B. aufgrund ihrer Gewalthaltigkeit) im Hinblick auf sich selbst als unproblematisch ansehen, im Gegensatz dazu aber für andere -vor allem jüngere Rezipienten (z. B. Kinder) negative Auswirkungen postulieren. Eine solche Anfälligkeit für negative Medienwirkungen ist für Ferhat dann auch ein Ausdruck von Krankheit, die dann gegeben ist, wenn es nicht gelingt, richtig "selbständig" zu sein. Damit stellt er auf Kategorien von Befähigung und Reife ab, die medienbezogenes Verhalten regulieren und die Stärke derjenigen von solchen, die sozial isoliert sind, unterstreicht. Eine Gefahr der Medien ist für Ferhat daher gegeben, wenn diese Aspekte schwach ausgeprägt sind oder ganz fehlen: Vor diesem Hintergrund universalisiert er die Existenz von Medienopfern: (206) I: Es gab mal so einen Amoklauf, in [Erfurt, der-] F: [JA ja, und der] hat ja AUCH-ja auf diesem Gymnasium, so'n Gymnasiast, ne-((lacht)) I: Genau, hast du davon gehört? F: Ja KLAR ((lacht)). I: Damals [wurde ja auch immer behauptet, dass das ein-]. F: [Robert Steinhäuser], oder wie der auch heißt. I: Genau. Dass das von Counter-Strike kommt, wurde von einigen gesagt. F: Ja, weil der das gespielt hat. KANN sein, MUSS nicht sein. Also, ich meine, mhm, es gibt IMMER irgendwelche Leute, die bei irgendeiner Sache austicken können, das muss ja nicht unbedingt Counter-Strike sein. Das kann jedes andere Spiel genauso sein. Zum Beispiel wenn man Spiderman spielt und man denkt sich halt, dass man Spiderman IST, man kann aus dem FENSTER springen oder so. Es gibt ja genügend solcher Leute. Ich meine, es muss ja nicht Counter-Strike sein. Es gibt IMMER solche Fälle, also da kann man nichts gegen tun. Seine Reaktion impliziert zunächst, inwiefern sich Ferhat darüber belustigt, dass ein vom formalen Bildungshintergrund höher stehender Computerspieler ("so'n Gymnasiast") offensichtlich nicht in der Lage war, so beherrscht mit dem Spiel umzugehen wie er. Darüberhinaus sind zwei Aspekte wichtig: Zum einen führt er vom Spiel Counter-Strike weg und entlastet es somit von dem Verdacht, mit gewalttätigem Handeln in Verbindung zu stehen -es erscheint eingereiht in ein umfassendes Medienangebot, das ebenso negative Wirkungen entfalten kann. Zum anderen entwirft er eine diffuse Masse von Personen, von denen er ausgeht, sie könnten jederzeit infolge ebenso diffuser Auslöser die Kontrolle verlieren. Dies ist wiederum in Zusammenhang zu sehen mit seiner oben geschilderten Selbstdarstellung, nicht nur über das Spiel und seine etwaigen (kognitiven) Folgen, sondern auch über den Anlass, sich diesem überhaupt zuzuwenden, autonom zu walten. Darin reproduziert sich erneut Ferhats Überzeugung, dass die Medienrezeption nur dann negative Wirkung entfaltet, wenn der Nutzer zu schwach bzw. zu labil war. Auch der von ihm dargestellte lineare Wirkungsmechanismus, den er am Beispiel des Spiels "Spidermann" veranschaulicht, steht in der Funktion dieses Musters: So attestiert er dem Spiel Effekte, die dann eintreten, wenn man einfach das Handlungsprogramm des Medienangebotes imitiert und z. B. glaubt, man verkörpere selbst die Spielfigur und besitze dann eben die Fähigkeit, einen Fenstersturz zu überleben. Diese naive Identifikation mit der Spielfigur, die er "genügend" Leuten attribuiert, steht im maximalen Kontrast zu seiner oben geschilderten Selbstzuschreibung einer affektiv-physischen Totalkontrolle, mit der er seine eigene Spielepraxis beschreibt. Die Selbstverantwortung des Spielerindividuums hält Ferhat für äußerst schicksalhaft -man kann über dessen inneren Regulationsmechanismus, also das, was er möglicherweise dabei dachte oder fühlte, eigentlich nichts wissen, dies ist vollkommen opak. Damit entwirft Ferhat erneut den Horizont einer sozialen Ordnung, die sich durch grundsätzliches Vorhandensein von, salopp gesagt, Menschen als tickenden Zeitbomben auszeichnet, eine Gefahr, die er als durchaus realistisch ansieht und die ihm unabänderlich erscheint. Vor diesem Horizont konstituiert sich seine Orientierung, die die Bewertung von Medien in den Rahmen von Aspekten der gemeinschaftlich gestützten Stärke, Stabilität und der Souveränität stellt. Darin einbezogen ist eine Art negative Anthropologie, die dieses Muster so unterfüttert, dass sie streng trennt zwischen sozialen Gewinnern und sozialen Verlierern, denen nicht nur Schwäche und Instabilität, sondern tendenziell auch Unfähigkeit unterstellt wird, mit Medienangeboten umgehen zu können, die ein intensives Erleben ermöglichen. Eine solche Praxis erscheint vielmehr exklusiv für denjenigen Personenkreis reserviert, der -beinahe schon evolutionistisch gedacht -fähig, stark und stabil ist, um in einer Art Gesamtspiel, das hier gespielt wird, bestehen zu können. Timo vermittelt seine Medienbeschäftigung generell als eher maßvollen Umgang mit Computer und Internet, der einer geregelten Zeitstruktur folgt ("Na ja, eigentlich meistens jetzt nicht länger als ne halbe, dreiviertel Stunde so. Im INTERNET jedenfalls. Computer, immer wenn ich Lust habe, irgendwas zu zocken oder so" (67). Diese limitative und regelhafte Bewertung der eigenen Medienpraxis projiziert Timo auch auf die These negativer Medienwirkungen: (165) T: Also, naja ich denke NICHT, dass ich süchtig bin. (2) Und, ich treffe mich eigentlich auch in letzter Zeit sehr viel mehr mit Freunden oder so. Und, na ja, man kann ja schon MAL auf eine LAN-Party gehen (3) und dann halt den ganzen Tag spielen. Aber dann muss es auch für ein halbes Jahr oder einen Monate, oder zwei, drei Monate REICHEN finde ich. Also ich muss jetzt nicht den ganzen Tag alleine am Computer sitzen. So, das macht auch irgendwie AUCH keinen Spaß mehr ((lacht)). Seine Überzeugung, nicht computerabhängig zu sein, koppelt Timo an aktive Bemühungen um soziale Kontakte in der Peergroup. Er kleidet dies sprachlich in ein verinnerlichtes Vorhandensein einer regen Beschäftigung von der nahen Vergangenheit bis in die Gegenwart. Interessant ist, dass er dann mittels des unpersönlichen Pronomens den Modus seiner Darstellung wechselt. Auf diese Weise führt sie im Folgenden performativ von einer Ich-zu einer generalisierten Perspektive und wieder zurück. Darin dokumentiert sich, wie das eigene Handeln, das hier in Frage steht, in Beziehung zu einem abstrakten Handlungsprogramm gesetzt wird, welches Handlungsprämissen enthält, die in Form einer Verinnerlichung als wirksam und maßstäblich angesehen werden. So hält es Timo für durchaus legitim, sich einer LAN-Party anzuschließen und sich den "ganzen" Tag einer Spielbeschäftigung hinzugeben, sich also einer intensiven und zeitlich langen Computerpraxis zu widmen. Ein solches Verhalten ist aus seiner Sicht vollkommen unproblematisch, man "KANN" dies "ja SCHON MAL" machen. Demgegenüber bringt er argumentativ eine Einschränkung in Form einer Art Selbstdisziplinierung hervor, denn im Anschluss an eine erfolgte Spielparty ist aus einer Sicht erst einmal eine zeitliche Pause angesagt, die "man" sich selbst verordnen muss, wobei er auch gleich angibt, welchen Umfang diese Auszeit haben sollte. Dass er sich hier nicht eindeutig festlegen will ("ein halbes Jahr oder einen Monate, oder zwei, drei Monate") signalisiert erneut, dass es ihm um einen Aspekt der Selbstkontrolle geht, der gar keiner unbedingten Festlegung bedarf, wichtig ist vielmehr ein generelles Vorhandensein dieses strukturierenden Mechanismus, dem man Folge leisten sollte. Die Legitimierung eines intensiven und spaßbezogenen Abtauchens in die Mediensphäre gelingt hier über das anschließende sich selbst Auferlegen einer Abstinenz. Das Zugeständnis des Ausagierens einer exzessiven Computerpraxis wird auf diesem Wege nicht negiert, sondern im Gegenteil an das Vorhandensein eines Bewusstseins für eine Struktur gebunden, das dafür sorgt, dass die Computerspielepraxis nicht ausufert und sich darüber möglicherweise negative Medienwirkungen einstellen. Die Wirkung von Medien in ihrer Form, Ermöglicher intensiver und gemeinschaftlicher Erlebnisse zu sein, wird von Timo hier also auf dem Wege eines verinnerlichten Bewusstseins für deren Steuerbarkeit rationalisiert. Inwieweit sich die Bewertung von Medien bei Timo als gebunden an formalverinnerlichte Regeln darstellt, zeigt sich auch an einem Gesprächausschnitt, in dem er eine skeptische Haltung gegenüber einer vorbehaltlosen Rezeption von Internetinhalten artikuliert: (213) T: Na ja, wenn man jetzt zum Beispiel irgendwelche Programme downloaded oder so, könnte ja ein Virus drauf sein. Also na ja DA ist man SCHON immer ein bisschen skeptisch oder so. Oder, wenn es jetzt ums Kaufen oder so geht, oder jetzt also, naja, wie nennt man das, ja auch bei ebay und so. Bin ich SCHON manchmal ein bisschen skeptisch, ob das alles so mit rechten Dingen zugeht. // I: Warum? // T: Na ja, das kommt von meiner Mutter ((lacht)), die will das AUCH NICHT so, dass ich da die ganze Zeit irgendwas kaufe oder so. Und dann-// I: Aha. (2) Die will das nicht-// T: Nee, die MAG das nicht so gerne, weil (2) die denkt dann PASSIERT irgendwas Schlimmes oder so. (3) Also sie HAT es nicht so mit der Technik, so mit Elektronik und so. Eher noch so ein bisschen altmodisch ((lacht)). I: Aha. Wie ist das denn überhaupt bei euch zu Hause, wenn du jetzt sagst deine Mutter, also die will zum Beispiel nicht, das du bei Ebay so viel kaufst, äh, inwiefern ist das denn bei euch zu Hause überhaupt ein Thema, so Computer und Internet? T: Also, ich würde nicht sagen, das es bei uns ein großes Thema ist, nee (2) Außer, wenn da jetzt mal irgendwelche Rechnungen kommen oder so. Dann gibt's SCHON mal ein bisschen Ärger, aber sonst. // I: Wie, was meinst du damit? // T: Na ja, auch irgendwie, dass jetzt, ((seufzt)), na ja, was gibt's für Rechnungen? Ja, halt wenn ich zu LANGE im Internet war oder so. Aber in letzter Zeit ist da nicht so. // I: Musst du die dann selber bezahlen-// T: Nee, meine Mama bezahlt das dann. ((lacht)) Gibt's dann halt nur einen bösen Blick und dann halt so, "na ja gut (2), machst du nicht noch mal" ((lacht)) Neben der Vermutung, dass bei der Beschaffung irgendeines Programms aus dem Internet sein PC kontaminiert werden könnte vermittelt Timo ein Misstrauen, ob ein Einkauf bei Ebay gefahrlos und ordnungsgemäß abgewickelt werden kann. Die Existenz dieses Misstrauens bei sich selbst schreibt er der Wahrnehmung seiner Mutter zu, der er aufgrund eines generationellen Unterschiedes zwar ein wenig differenziertes Technologieverhältnis attestiert, während er jedoch gleichzeitig sein eigenes Verhalten in Bezug zu ihrem Denken relationiert. Dass sich Timo nicht immer gemäß der Haltung der Mutter verhält, erzeugt zwar familiäre Spannungen ("ein bisschen Ärger"), die aber metakommunikativ bewältigt werden. Abgesehen davon, dass Timo nicht selber zur Kasse gebeten wird, um die "Rechnungen" zu begleichen, ist hieran entscheidend, dass er und seine Mutter sich hier vermittels eines Vertrauens in die Einhaltung einer institutionalisierten Regel verständigen. Es bedarf offensichtlich keiner erzieherischen Intervention, einer offenen Maßregelung oder autoritären Grenzsetzung, sondern es reicht aus, vermittels des "bösen Blickes" zu transportieren, dass sich die Sache nicht wiederholen wird. Andererseits setzen sich Timo und seine Mutter kaum inhaltlich mit seinem Medienverhalten auseinander, sondern regeln das Ganze formal. Auf diese Weise wird von Timo auch das Verhältnis zur Mutter im Orientierungsrahmen formaler institutionalisierter Regelstrukturen bearbeitet, auf dessen Grundlage sich (sein) medienbezogenes Verhalten reguliert. Auch an anderer Stelle wird sichtbar, wie Timo sich an Strukturmomenten abarbeitet, etwa dort, wo er seine Computerspielpraxis als ein Phänomen entwirft, dass sich gewissermaßen in geregelten Bahnen bewegt: Die LAN-Party im Freundeskreis ist eine Praxis, die vor allem einer Organisation bedarf und sich über eine Regelstruktur entfaltet, innerhalb der sie dann "schon Spaß" macht. Entscheidend ist, dass Timo bezüglich des Spielens viel weniger auf Prinzipen der Kompetition oder der Action eingeht (anders als etwa Ferhat und Yüksel), die die Spielepraxis rahmen und daraus ihre Faszination gewinnen, sondern dass er Spiel vor allem als eine geordnete Veranstaltung vermittelt, die zwar durchaus "eine Nacht durch" gehen kann, die aber vor allem nach bestimmten Regeln prozessiert -angefangen von der Verfügung über die Zeit, die alle Teilnehmer überhaupt haben müssen, um sich treffen zu können, bis hin zur Organisation derjenigen Person, die die Verpflegung übernimmt. Nach dieser Schilderung geht es also einerseits darum, medienbedingte Verhaltensregulation so zu steuern, dass selber individuell Maß gehalten wird bzw. darum, ein solches Maß als abstraktes Regelprogramm zu verinnerlichen und andererseits darum, das Verhalten an eine Regelstruktur zu binden. Indes zeigt sich hier, wie die Rezeption eines vermeintlich problematischen Medienproduktes selber rationalisiert wird -so besitzt das von Timo und seiner Peergroup favorisierte Spiel Call of Duty nach Einschätzung der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) keine Jugendfreigabe gemäß §14 Jugendschutzgesetz (JuSchG); es dürfte also streng genommen von Timo nicht gespielt werden. Hier dokumentiert sich, dass in Timo Orientierung ein verbotenes Tun kaum als ein solches wahrgenommen wird, weil es im Rahmen formaler Abläufe verhandelt wird. Die Hinwendung zu Medienangeboten erscheint hier als ein organisiertes Handeln, eingebunden in eine Raum-, Zeit-und Rollenstruktur mit einem gewissen Grad der Formalisierung. So vermittelt sich Timo als Angehöriger einer Computerspielgruppe, die wie ein geordnetes Kollektiv aus Rechtssubjekten erscheint, das sich einen "Saal mietet". Darin dokumentiert sich erneut eine Orientierung in Gestalt einer Selbstregulation durch Internalisierung institutionalisierter Strukturen. Dieses Muster zeigt sich weiter bei der potenziellen Computersuchtgefahr bei anderen Jugendlichen: (166) I: Und hältst du das überhaupt für realistisch, dass es-das so was passiert bei Jugendlichen? T: Ja, na ja ich würde SCHON sagen, weil (3) wenn die in der Schule auch keine Freunde haben oder von allen da irgendwie, wie nennt man das (2), hier, also jetzt RUNTER gemacht werden und so, dass die dann SCHON ganz einsam am Computer sitzen und so. // I: Mhm. // T: Über einen längeren Zeitraum (2) Also, hat schon was DAMIT zu tun, wäre ja auch schon KRASS wenn man so ange-na ja also, hier (2) behandelt wird halt von andern Leuten so halt. (2) Negative Medienwirkungen sind hier ein Phänomen, das sich an eine mangelnde soziale Einbindung in Form der Exklusion aus freundschaftlichen Beziehungen oder einer massiven Beschädigung von sozialer Anerkennung knüpft. Aus der Erfahrung einer missachtenden Behandlung, dem "runtermachen" durch andere, resultiert aus Timo Sicht eine Reaktion auf seiten des Subjekts, das sich daraufhin zurückzieht und sich isoliert einer Computerbeschäftigung hingibt. Diese Verhaltensweise entsteht nach Timo allerdings nicht linear, sondern dergestalt, dass kontinuierlich ("über einen längeren Zeitraum"), eine Erfahrung der Missachtung und Abwertung durch andere verarbeitet werden muss. Somit wird das hier infrage stehende Verhalten nicht als schicksalhaft bzw. unausweichlich gedeutet, sondern im Gegenteil als voraussetzungsvoll und langwierig. Entscheidend ist, dass Timo die Ursachen des Verhaltens desjenigen Subjekts, das dann möglicherweise "SCHON ganz einsam" am Computer sitzt, in Wechselwirkung zu sozialen Interaktionsformen deutet, die sich im Rahmen institutionalisierter Sozialbeziehungen abspielen und dort etabliert haben. Hierzu führt er aus, dass er ein Abgleiten in die Mediensucht vor allem bei denjenigen für denkbar hält, die "in der Schule" keine Freunde haben oder vor allem dort, also im Rahmen institutionalisierter Umgangsformen, Missachtungserfahrungen sammeln müssen. Damit bindet Timo die Prävention negativer Medienwirkungen an das Vorhandensein einer institutionalisierten Verhaltensrationalität, welche -sollte sie negative Formen annehmen -das Subjekt auch negativ beeinflusst. Dieser auf diesem Weg in Gang gesetzte und nach innen gerichtete Verarbeitungsmechanismus ist von zentraler Bedeutung, zumal Timo in seiner Darstellung keinen Appell an die Sphäre der sozialen Einbindung vorträgt, Merkmale der von ihm beschriebenen potentiellen Isolation durch Missachtung zu verhindern, sondern sich fast ganz auf die Frage beschränkt, welche Folge dies für das Subjekt haben könnte. In seiner Orientierung ist vorrangig von Belang, in welcher Form das Subjekt darauf reagiert, wenn es sich der Situation einer negativen Behandlung durch andere ausgesetzt sieht. Diese Orientierung an einem nach innen gerichteten Regulationsmechanismus zeigt sich auch in der Passage zum Umgang mit der Informationsfreiheit des Internet: (191) T: Ich find es eigentlich ganz GUT, dass jeder seine eigene Meinung sagen kann. Aber, na ja, er muss ja jetzt nicht irgendwie damit preisen, dass er irgendwie ein Nazi ist oder so. Also, DAS würde ich schon ein bisschen heftig finden. Aber wenn jetzt zum Beispiel gegen George Bush oder so jemand sagt, dass er ihn Scheiße findet und so, DANN finde ich das ganz okay. Die Möglichkeiten der Meinungsfreiheit als positiv deutend sieht Timo sie davon abhängig, inwiefern eine angemessene Balance sichergestellt werden kann. Ihr Gelingen erklärt er dergestalt, dass derjenige, der sich öffentlich artikuliert, eine subjektiv zu verurteilende Meinung zwar haben darf, sie aber nicht über Gebühr exponieren sollte. Dies signalisiert der von ihm gebrauchte Begriff des "Preisens": Es geht also darum, dass für die infrage stehende Positionierung ("ein Nazi ist") keine Werbung nach außen hin gemacht werden sollte, mittels der die Botschaft gemehrt und in die Öffentlichkeit gestreut wird -in diesem Fall verurteilte er dies bzw. würde es "heftig" finden. Im Prinzip bemisst er auf diese Weise das Thema der Informationsfreiheit an der Frage, welche Haltung oder welche Einstellung vertreten wird und wie damit umgegangen wird. Entspricht die Meinungsäußerung einer nach seinen Maßstäben richtigen Haltung -und richtet sich z. B. gegen den (zum Zeitpunkt des Interviews amtierenden) US-Präsidenten George Bush -ist sie als "ganz okay" zu bewerten. Die Evaluation einer Meinungsäußerung erfolgt hier also in Abhängigkeit von einer normativen Bewertung, die zugleich auch einer bestimmten Regelung unterworfen werden soll. Vor diesem Hintergrund argumentiert Timo im Rahmen einer Norm als einer verbindlich geltenden und anerkannten Regelstruktur für das Verhältnis von Menschen, die sich in Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Verhältnissen abgebildet hat und die, um zu funktionieren, internalisiert worden sind. Ganz in diesem Sinne äußert er sich hier performativ wie eine Art Schiedsrichter, der die Regeln aufstellt, nach denen er das Geschehen bzw. die Teilnehmer des Geschehens wiederum normativ, d. h. in Bezug auf gegebene Regeln, bewertet. Im Rahmen dieser Regeln darf jeder Akteur eine "eigene Meinung sagen", solange er das Gebot der institutionalisierten Kommunikation nicht verletzt. So dürfen Personen aus seiner Sicht zwar rechtsradikales Gedankengut in sich tragen, dies aber eben nicht in die Sphäre öffentlicher Meinungsbildung einfließen lassen. Es geht hier also um den Umgang mit entsprechenden Medienangeboten, der sich über die Verfügung über eine internalisierte Bewertungsstruktur vollzieht. So äußert sich Timo negativ über die Verfügung von Rechtsradikalenseiten, weil der Nutzer doch die Kenntnis darüber haben muss, um welche Art Geschehnisse es sich handelte, über die die entsprechenden Seiten informieren. Medien erscheinen hier übergreifend als Transporteure von Botschaften, mit welchen wiederum mittels der Etablierung internalisierter Regeln auf seiten der Nutzer umgegangen werden kann. An späterer Stelle im Interview sagt Timo "Ich höre gerne Ärzte und so. Also was gegen die Nazis und so, weil ich das voll Scheiße finde von denen, damals" (332) -Medien werden hier funktionalisiert, indem die Band "die Ärzte" in Form einer Institution definiert wird, die eine politische Botschaft transportiert. Auch hier orientiert sich Timo an einer Selbstregulierung durch Internalisierung, insofern er von einer Abhängigkeit eines Bewusstsein über Medieninhalte ausgeht, über das sich Verhalten regulie-ren soll. So vollzieht sich die Einschätzung des rechtsradikalen Gedankenguts im Internet anhand eines solchen Bewusstseins für die historische Entwicklung. In dieses Muster passt auch Timo generelle Haltung gegenüber dem Umgang mit derartigen Medienangeboten: (194) I: Und hast du eine Idee, was man dagegen machen könnte? T: Na ich denke NICHT, das man die Seiten VERBIETEN kann oder so. Aber, na ja, also man könnte darauf hinweisen, dass die halt Scheiße sind diese Seiten oder so. Anstelle einer Verhinderung geht es hier um eine Steuerung durch Aufklärung. So impliziert sein Vorschlag eines Hinweises darauf, dass die entsprechenden Seiten "halt Scheiße sind" die Prämisse, dass das Verhalten der Nutzer nur auf dem Wege der Anregung innerer Dispositionen erreicht werden kann, um z. B. einen aufklärerischen Hinweis, wie ihn Timo vorschlägt, überhaupt deuten und verarbeiten zu können. Der Nutzer erscheint so mit der Fähigkeit ausgestattet, sich mit den Medien auf dem Weg der Einsicht zu befassen und sich ihnen gegenüber zu positionieren. Was sich Timo demgemäß vorstellt, ist eine Art Kampagne, die eine normative Bewertung der zu beeinflussenden Angebote vorträgt, deren Intention dann von den Rezipienten wiederum auf dem Weg der Internalisierung aufgenommen werden muss, um ihr Bewusstsein zu erreichen. Darin besteht die entscheidende Analogie zum oben behandelten Thema Computersucht: Eine Verhaltensregulierung erscheint übergreifend im Modus der Internalisierung institutionalisierter Regeln bzw. Strukturen. Ausdruck findet dies auch dort, wo Timo seine eigene Medienpraxis des Musikdownloads als Regelverstoß deutet: Diese Passage dokumentiert, inwieweit Timo sein Medienverhalten in Bezug zu strukturellen Folgewirkungen relationiert bzw. von einer Wechselwirkung ausgeht, sprich: dass nämlich der Download des individuellen Nutzers von Musik aus dem Internet Effekte bezüglich der "Wirtschaft" hat. In diesem Sinne wähnt er sich absolut im Klaren darüber, welche Folgen sein Medienverhalten für die gesellschaftlich-öffentliche Sphäre möglicherweise hat, dass aus seiner Sicht nämlich "Arbeitsplätze" in der "Musikindustrie" vernichtet würden, die aber in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation eigentlich vonnöten seien. Timo bisher angedeutete Orientierung an der Internalisierung 363 öffentlicher bzw. institutionalisierter Regeln geht hier soweit, dass er sich selbst zwar mitunter illegal verhält, gleichzeitig aber das eigentliche Phänomen, nämlich einen Regelverstoß, mit thematisiert. An dieser Stelle zeigt sich etwa, dass sich Timo Medienhandlungspraxis -isoliert betrachtet -mit derjenigen von Ferhat trifft, der ebenfalls berichtet hatte, sich Musik mit illegalen Downloads zu beschaffen. Während Ferhat dies jedoch im Rahmen einer eigenen Könnerschaft betrachtet und betont, wie es ihm souverän gelungen ist, nicht dabei erwischt zu werden, verweist Timo viel eher darauf, dass es sich hierbei um ein Wechselspiel der eigenen Handlungen mit institutionalisierten Strukturen geht, derer man sich klar sein müsse. Das bedeutet indes nicht, dass sich das eigene Verhalten nicht auch entgegen dieser wahrgenommenen strukturellen Folgewirkungen ausprägen kann -illegales Herunterladen von Musik ist eben für den Einzelnen, auch für Timo selbst, "nicht SCHLECHT", allerdings steht es in einem dialektisch anmutenden Zusammenhang mit gesellschaftlich-öffentlichen Strukturproblemen; es "SCHADET halt". Medien Ein Mediensuchtpotential besteht für Andreas bei vermutlich einer spezifischen Fraktion von Mediennutzern gegeben, die er klar benennt und die sich vollständig und zeitlich umfassend in ihrer Aktivität verlieren: Am Beispiel seiner Schwester illustriert er dies: Sie verhalte sich strukturlos, in dem sie sich "den ganzen Tag" mit den "Sims" beschäftige. Wenn überhaupt negative Folgewirkungen von Medien ausgehen, dann nur sehr partiell ("höchstens") im Hinblick auf einen abgegrenzten körperlichen Bereich. Diesen Mechanismus schreibt Andreas der Missachtung ergonomischer Parameter zu: Aus dem zu nahe Sitzen am Bildschirm resultierten Augenschäden, aber wiederum nie automatisch, sondern nur wenn der Nutzer zu wenig Abstand halte. Wichtig ist ihm in jedem Fall das Einhalten eines korrekten ergonomischen Settings der Computernutzung, welches ihm entscheidend für einen nicht gesundheitsbeeinträchtigenden Umgang mit dem Artefakt erscheint: Man muss hier das richtige Maß finden, ansonsten ist eine angemessene Mediennutzung per se gar nicht möglich, muss die Darstellung am Bildschirm zum Nutzer in eine funktionale Passung gebracht werden (sonst "erkennt man ja auch nichts mehr"). Die Befolgung solcher technischen Handlungsregeln demonstriert er an sich selbst: Durch die Verfügung über eine Lesehilfe gelingt ihm ein korrekter Umgang mit dem Computermedium. Als positiver Gegenhorizont erscheint hier, dass der Mediennutzer für Andreas sich seine Medienumgebung selbst gestaltet und formt und damit kein passives Opfer von Geräten oder Medien ist: Ob diese wirken, hängt davon ab, ob der Nutzer in der Lage ist, sie in ein regelgeleitetes Verhältnis zu sich setzen. Wichtig hierzu ist, die inneren Mechanismen bzw. Wirkweisen der beteiligten Instanzen zu kennen (Medium und Akteur), denn erst vor einem solchen Hintergrund lässt sich eine stimmige Passung dazwischen installieren. Deutlich wird bis hierher, dass Andreas das Thema der negativen Medienwirkungen als eine formal-strukturelle Frage behandelt. Die von mir nachge-fragte Gefahr der sozialen Isolation erklärt Andreas als abhängig vom aktiven Aufsuchen sozialer Kontakte, die mit Alternativen zu medienbezogenen Aktivitäten einhergehen. Damit dies gelingt, müssen diese initiativ aufgesucht werden. Bei ihm selbst ist dies klar geregelt: Seine Freizeit ist so strukturiert, dass er "eh" unterwegs ist und sich deshalb auch keiner negativen Beeinflussung ausgesetzt sieht. Indem er dann die Existenz eines direkten Zusammenhanges des Spiels Counter-Strike und dem Erfurter Attentat scharf zurückweist wiederholt sich in seiner Erklärungstheorie ähnlich oben, dass Wirkungsszenarien immer in Abhängigkeit von gedacht werden müssen, in diesem Fall abhängig von bestimmten internalisierten Verarbeitungsmechanismen bzw. den kognitiven Regelstrukturen derjenigen, die das Spiel rezipieren. Andreas erhebt dies zum dominanten Faktor schlechthin, indem er ihn am Beispiel eines kleinen Kindes verdeutlicht, das in seinen Augen dazu in der Lage sein könnte, mit dem Spiel Counter-Strike angemessener umzugehen als der Erfurter Attentäter, wenn es nur über eine richtige "Auffassung" darüber verfüge. Deutlich wird hieran, inwiefern Alter, und damit auch Aspekte wie Erfahrung oder sittlich-moralische Reife, für Andreas wenig Relevanz bezüglich vorgestellter Wirkungen haben, sondern er sich den Nutzer in Form eines regelverarbeitenden Systems vorstellt, das unabhängig von sonstigen Faktoren allein durch das Vorhandensein interner Regelungen funktioniert. In dieser, gleichsam an ein systemtheoretisch striktes Postulat der Neutralität erinnernden, Vorstellung gibt es keine objektiven oder linearen Wirkungen von Medien, sondern deren Entfaltung ist vollständig an interne Dispositionen und Mechanismen gebunden. Als erklärender oder gar alleiniger Faktor für das Attentat erscheint Andreas deshalb das Spiel auch nicht hinreichend: Wenn überhaupt, hat sich im Zuge des Spielens eine innere Vorstellung entwickelt, auf welche Weise der Amoklauf in die Tat umgesetzt worden ist ("dass er es so anstellt"). Medienwirkungen entfalten sich demnach so, dass sich die Rezeption bestimmter Inhalte zu "Ideen" verfestigen, die wiederum aber von der Struktur der Realitätsverarbeitung des Nutzers abhängen. Problematisch erscheint es Andreas daher folgerichtig, wenn das Spiel in einer affektiv negativen Stimmung rezipiert wird: Deutlich wird hier, inwiefern ein Wirkungsszenario wiederum an innere Dispositionen und ein entsprechendes Bewusstsein darüber gekoppelt wird: Ist man wütend, solle man sich in diesem emotionalem Zustand vom Spiel lieber fernhalten, da dann eine kognitive Kontrolle nicht mehr gewährleistet ist und sich die Wahrnehmung verengt, und zwar auf aggressive Anteile im Spiel. In diesem Fall käme es für Andreas zu einer Kanalisierung der Wahrnehmung, ähnlich einem Tunnelblick, und damit zur Fokussierung auf "dieses Töten" als jedoch nur eine von mehreren Facetten des Spiels, die dann aber außerhalb des Blickfeldes geraten. Das isolierte Spiel als Verursacher der Gewalttat weitgehend ausschließend stellt sich Andreas vor, die Verfasstheit des Spielers habe dazu geführt hat, dass sich dieser sich daraufhin dem Spiel zugewandt habe, ohne dass ihm die Qualität dieser Verfasstheit weiter ausführenswert erscheint -es waren "irgendwelche Probleme wahrscheinlich". Wie man sich in einer solchen Situation verhalten sollte, formuliert Andreas im Anschluss daran -erneut -in Form einer Regel, die es offenkundig zu befolgen gilt: man "soll so ein Spiel halt nicht aus Wut" spielen. Anders gewendet bedeutet dies: Man kann das Spiel schon spielen, dann aber eben im Bewusstsein einer das eigene Befinden betreffenden Regel. Darin dokumentiert sich, wie Andreas auf die Internalisierung eines inneren Verhaltensstandards abzielt, die aus seiner Sicht eine medienbezogene Verhaltensregulation steuert. Dabei handelt es sich um einen Kontrollmechanismus, derselbstauferlegt und reflexiv -als Garant für schädliche Medienwirkungen in Erscheinung tritt. Damit stellt sich Andreas Argumentation ähnlich zu der von Timo dar: in beiden Fällen zeigt sich, inwiefern nicht der Umgang mit Medien (hier: Counter-Strike) an sich negativ bewertet wird, sondern dass er vielmehr an das Vorhandensein einer Regelstruktur gekoppelt wird; während es bei Timo eine selbstauferlegte (zeitliche) Abstinenz zwischen den "LAN-Parties" ist, ist es bei Andreas das Bewusstsein über die eigene affektive Verfasstheit. Die eingeworfene Verbotsforderung des Spiels Counter-Strike als öffentlich verbreitete Präventionsmaßnahme weist Andreas ebenso scharf zurück wie oben bereits die Behauptung einer linearen Wirkung: (233) A: Das finde ich AUCH schwachsinnig, weil die Leute kriegen es SOWIESO irgendwoher, egal aus den Videotheken, die werden das wahrscheinlich auch nicht gleich rausstellen oder so, auch unterm Ladentisch oder von Freunden noch kopieren und so, und aus Amerika kann man sich die Sachen sogar bestellen lassen, das haben Freunde von mir auch gemacht, bei Amazon.com einfach ein Spiel bestellt und das wurde ihm auch einfach zugeschickt. // I: Mhm // A: Ja, und es kommt ja darauf an, wie die Leute das AUFFASSEN das Spiel. Die meisten sehen das ja nur als SPASS an, als Spielspaß. Es überrascht nicht, dass Andreas ein Verbot des Spiels als sinnloses Mittel erscheint. Unter Bezugnahme auf die strukturelle Verfasstheit des Mediensystems einerseits und der Nutzer, die um diese strukturelle Verfasstheit wissen, andererseits führt er dies aus: Demnach stellt sich die Situation so dar, dass die Verbreitung des Spiels so allgegenwärtig ist, dass es über verschiedenste Kanäle überall erhältlich ist: über den kommerziellen Verleih, über soziale Netzwerke sowie den globalen Online-Handel. Zum anderen ist in Rechnung zu stellen, dass "die Leute" sich das Spiel unbeirrt von irgendwelchen Barrieren ("SOWIESO") beschaffen: Man kopiere sich das Spiel "bei Freunden", außerdem würden öffentliche Medienanbieter ("Videotheken") das Spiel vermutlich eben nicht "gleich rausstellen", vielmehr auch "unterm Ladentisch" weiter vertreiben. Ein Verbot griffe also gar nicht, zumal die Möglichkeit der Internetbestellung jederzeit gegeben ist, was Andreas durch die Nennung von "Amazon" mit dem Kürzel ".com" verdeutlicht -selbst wenn der nationale Vertrieb reglementiert würde, könne man jederzeit schnell und einfach auf den internationalen Handel ausweichen. Wie problemlos dies möglich ist, demonstriert Andreas am Beispiel seiner "Freunde": Auch sie haben sich das Spiel "einfach" so beschafft, ohne dabei auf Hindernisse gestoßen zu sein. Die Frage also, wie man Probleme im Zusammenhang mit dem Spiel Counter-Strike möglicherweise in den Griff bekommen kann, stellt sich für Andreas dergestalt dar, dass er sie in Form einer Art Dialektik von strukturellen und individuellen Aspekten des Rezeptionsgeschehens insgesamt deutet. Woran er sich vorrangig abarbeitet, ist die Frage, inwiefern ein Wechselspiel stattfindet zwischen den institutionellen bzw. 367 institutionalisierten Regelstrukturen und den Mediennutzern als Subjekten, die diese kennen, also internalisiert haben. Der Medienmarkt ist weitgehend selbstreguliert, weil sich die Rezipienten das innere Funktionieren von Medienangeboten und -institutionen längst zu eigen gemacht haben. Ein Verbot, zusammengefasst, ist demnach eine völlig unterkomplexe Maßnahme und wird sowohl den Distributionsmechanismen der Medien als auch dem Funktionieren beteiligter Akteure nach ihren eigenen Regeln nicht gerecht bzw. kann sie nicht außer Kraft setzen. Was als Möglichkeit übrig bleibt, ist erneut der regelgerechte Umgang der Nutzers mit dem Medienangebot ("wie die Leute das AUFFASSEN"), über den die "meisten" ohnehin verfügen. Das sich bislang bei Andreas dokumentierende Muster, dass es vor allem vom Nutzer und seinem Regelwissen abhängt, wie er mit den Medienangeboten umgeht und wie er sie bewältigt, zieht sich auch durch den weiteren Verlauf des Interviews. Vor allem die Informationsfreiheit des Internet ist für ihn ein Phänomen, das er als technischstrukturelle Herausforderung begreift und das beständig dazu führt, sich mit Problemen herumschlagen zu müssen. So bezeichnet er die Offenheit des Internet als "Schwachsinn" (315) Der Datenfluss prozessiert für Andreas in einer technischen Logik, die sich manche Spezialisten ("Freaks") zunutze machen, um gezielt Inhalte aller Art zu streuen, die dann "auch jeder Arsch" findet. Über diese Erfahrung verfügt auch Andreas selbst, indem er nämlich während der beliebigen Suche nach einem "Musikvideo", aber auch sonst, also im Prinzip unabhängig vom Inhalt der Suche immer wieder zu dem einen Ziel (dem "Porno") geleitet wird. Darüber scheint er einerseits verärgert, gleichzeitig kann er sich aber einer gewissen Faszination für die Beschaffenheit dieses Mechanismus nicht erwehren ("wie GEHT DAS?"). Die technischen Regelstrukturen des Internet werden von ihm hier als etwas aufgefasst, was aufgrund eines technischen Wissens manipulierbar ist, gleichzeitig hat er Interesse an dem dahinter stehenden Mechanismus, der dafür verantwortlich ist und sie ermöglicht. Vor allem möchte er wissen, worin das aus seiner Sicht rationale Kalkül derjenigen Urheber besteht (was es ihnen "bringt"), die ganz offensichtlich sogar funktionsunfähige Dateien ins Internet schleusen. Dabei bezieht sich sein Unmut im Kern auf die damit zusammenhängende technische Rationalität, dass nämlich die Dateien aus formaler Sicht gar nicht das sind, was sie zu sein scheinen ("als was die beschrieben sind"). Außerdem ist er sichtlich irritiert darüber, dass die Urheber solchen Datenmaterials selbst von ihrer eigenen Logik scheinbar abweichen und eben auch solche Inhalte ins Netz stellen, die ja "noch nicht mal infiziert sind". Implizit steht hier also die Frage im Raum, welche Strategie die Urheber eigentlich verfolgen: Wollen sie dem Nutzer nun schaden oder nicht? Auf diese Weise dokumentiert sich erneut Andreas Orientierung an einem technisch-formalen Bewusstsein bzw. technisch-strukturellen Regeln, mittels dessen es einem gelingt, sich innerhalb der technischen Gegebenheiten des digitalen Mediums zu bewegen. In diesem Sinne unterstellt er im weiteren Verlauf, dass sich "die Leute da echt hin setzen" (340), um offenbar aus zweckrationalen Motiven heraus gezielt Schäden anzurichten und den normalen Gebrauch des Internets für die User nachhaltig zu stören. Auch sucht er wiederholt nach Gründen dafür, denn seiner Überzeugung nach schädigten sich Produzenten bzw. Anbieter von entsprechenden Downloadseiten letztlich selber ("Das ist doch-, dadurch werden doch DEREN PCs ja eigentlich langsamer, wenn da zig Leute, fast 20.000 Leute was runterladen"; 342). Was ihn interessiert, ist demnach weniger die Bewertung des Geschehens auf einer inhaltlichen Ebene, sondern auf einer formal-technischen: Warum handeln die Verantwortlichen der ihn selbst störenden Internetinhalte so, dass sie sich dabei selber ein technisches Problem einhandeln, nämlich die Verlangsamung ihrer eigenen Rechenpower. Erneut orientiert er sich damit an einer Art technologischen Grammatik und dessen Kenntnis, innerhalb der für ihn eine Regulierung medienbezogenen Verhaltens aufgehoben ist. Dies zeigt sich auch an der Stelle, an der ich das Interview direkt auf die Einschätzung von rechtsradikalen und gewaltverherrlichenden Angeboten lenke; auch hier orientiert sich Andreas vorrangig daran, ob etwas technisch machbar ist: (344) I: Wie findest du denn das, dass die da einfach so drin stehen? A: Äh, solche Seiten könnte man schon LÖSCHEN. Könnten-also sollten die vielleicht auch machen, so Seiten. Was ich NOCH schwachsinniger finde, ist dass zum Beispiel die ganzen Seiten wie Kazaa und BearShare nicht einfach GESPERRT werden. Nicht die Inhalte sind hier das Problem, sondern viel eher die Frage, inwiefern man diese für die Sphäre der Nutzer gezielt steuern kann. In diesem Zusammenhang erscheint es ihm sogar als äußerst fragwürdig, dass solche Download-Seiten, die er an anderer Stelle im Interview als seine Lieblingsseiten bezeichnet hatte ("Kazaa" und "BearShare") nicht längst unzugänglich gemacht worden sind und stattdessen weiterhin existieren. Woran er sich im Weiteren abarbeitet, ist die Frage, warum eigentlich diejenigen Personen verfolgt würden, die ein im Internet angebotenes Programm nutzen, das Programm selbst aber im Internet stehengelassen werde. Dies macht für ihn keinen Sinn, denn dadurch lasse man "vielleicht fünf Leute im Monat hoch gehen und zwanzig neue Leute holen sich das Programm und nutzen das dann" (346). Worum es also auch hier geht, ist der Wunsch, hinter eine logische Strategie zu kommen, die das Problem quasi bei den Wurzeln packt und auf diesem Wege nachhaltig behebt. So stellt er sich vor, man solle "dann diese ganzen Sachen sperren und so. Aber vielleicht auch Strafen auf DIE Leute, die das entwickeln, weil die entwickeln das ja nicht dafür, dass die Leute es nicht BENUTZEN" (346). Das bedeutet zunächst, dass es aus seiner Sicht ganz einfach die institutionalisierte Rationalität des Internet ist, dass es Anbieter gibt, die ein Produkt absetzen wollen. Die Logik der Strafverfolgung von Internetanbietern ist für ihn deshalb nicht der Logik der Nutzer angepasst, da sich diese unbeeindruckt davon zeigen. Darin orientiert er sich wiederum an einer Autonomie-Heteronomie-Spannung des Mediennutzers, was sich soweit steigert, dass Andreas mich im weiteren Verlauf des Interviews in ein Gespräch verwickelt, in denen er Möglichkeiten auslotet, unter Zuhilfenahme welcher institutionalisierter Regelungsmechanismen mit dieser Spannung möglicherweise umzugehen sei. Es kommt dabei zu einem von ihm angestoßenen Diskurs darüber, wie man einerseits als Mediennutzer autonom agieren kann und wie man andererseits -gedankenexperimentell -vorgehen müsste, um in diese Autonomie auf technisch logischem Weg einzugreifen. Insofern hat sich das Topos der technischen Regelungen und Operationen soweit verselbständigt, dass es von Andreas in Form eines Spiels mit den technischen Möglichkeiten abgehandelt wird. Deutlich wird darin die hohe Relevanz dieses Themas für ihn, was sich in einer hohen interaktiven Dichte des Interviews dokumentiert. Das Thema der Medienbewertung bzw. der medienbezogenen Verhaltensregulierung erscheint somit eingebettet in eine Kontroll-bzw. Steuerungsphantasie durch die Anwen-dung technischer Regeln und Standards. Dabei interessiert ihn vorrangig, wie eine medienbezogene Verhaltensregulierung operationalisierbar ist, wenn doch gleichzeitig sowohl Nutzer als auch Anbieter von Medienprodukten nach ihren eigenen Regeln, mithin ihren eigenen Gesetzen prozessieren: (349) I: Mhm. Aber du benutzt es doch selber AUCH, und wenn es gesperrt wäre, könntest du selber es ja auch nicht mehr benutzen. A: Ja, aber ich finde es schwachsinnig von der Polizei, dass die dann DIE Leute jagt, die es downloaden. // I: Ach so. // A: Weil die können ja nicht alle einfach-die Leute lassen sich doch davon nicht einschüchtern, die machen das ja trotzdem weiter. In diesem Zitat dokumentiert sich, wie Andreas, ähnlich zur obigen Counter-Strike-Passage, die Masse der Internetnutzer als selbstreferentielle Systeme wahrnimmt, die mittels einer einfachen Verfolgungsstrategie nicht davon abzuhalten seien, sich Zugang zu Medieninhalten zu verschaffen. Was er hier im Kern als "schwachsinnig" empfindet, ist demnach, warum die innerhalb der Polizei-Logik institutionalisierten Regeln es einfach nicht berücksichtigen, dass sie ihr Ziel im Prinzip verfehlen müssen. Wenig später entwirft er sogar eine eigene Strategie, wie er selbst die Autonomie des Mediennutzers einschränken würde, inwiefern also nur ein Bewusstsein für die technischen Regelzusammenhänge der Internetnutzung Erfolg hat: Deutlich wird auch in diesem Zitat, wie es ihm darum geht, das Phänomen der Informationsfreiheit entlang der Verinnerlichung technischer Regeln zu thematisieren. Sich selber imaginiert er sogar in der Rolle einer Art von Netzpolizist, der einen höheren "Erfolg" erzielen würde, als ihm dies bisher der Fall zu sein scheint. Dass dabei seine eigene Praxis des Downloadens eingeschränkt werden könnte rückt dabei in den Hintergrund -zwar störte es ihn "SCHON", sich nichts mehr herunterladen zu können, das Ganze wird jedoch überblendet von einer Steuerungsphantasie, deren Effekte er für weit nachhaltiger hält als diejenigen institutionalisierten Regelmechanismen, wie sie ihm derzeit praktiziert zu werden scheinen. Was Andreas, so zeigt sich hier, nicht versteht, 371 ist, warum man sich nicht einfach soweit in das rationale Denken der Nutzer und ihr Kalkül hineinversetzt, dass man das Problem dann eben richtig angeht. Dabei geht es ihm auch nicht darum, die Entwickler von entsprechenden Programmen zur Verantwortung zu ziehen, wie er auf Nachfrage zu erkennen gibt: (362) I: Es ist ja gar nicht so leicht, die Leute zu finden, die das entwickelt haben. A: Das nicht, aber die könnten ja einfach die SEITEN sperren und so. Es gibt ja auch Coverseiten und so, wo man die ganzen CD-Cover herkriegt und so. Und da steht sogar immer-, manchmal stand da auf einer Seite, hatte ich gesehen: "Diese Seite ist verboten. Klicken Sie bloß nicht hier drauf" und so. I: Kann man denn so Seiten einfach sperren? A: Auf jeden Fall eine Seite WURDE gesperrt mit Covern, die wo man dann darauf klicken musste, um da rein zu kommen und dann erstmal durchlesen-I: Wie kann man denn Seiten sperren? A: Keine Ahnung. Auf jeden Fall WURDE die gesperrt. (2) Auch rotten.com, ich weiß nicht ob sie das kennen. Das ist so eine Seite mit total kranken Bildern und so, von irgendwelchen Unfällen, und so zerstückelten Menschen und so was. Und rotten.de GAB es mal, habe ich zumindest GEHÖRT, und rotten.com gibt es jetzt immer noch. // I: Mhm. // A: Das ist auch in den Internetcafés, da kommt man da nicht rein, das ist gesperrt, also von dem Internetcafé, wenn man Privatanschluss hat, kommt man TROTZDEM rauf ((lacht)). Obgleich Andreas hier, angestoßen durch meinen Einschub, eine personenbezogenen Strategie der Einschränkung von Webinhalten für schwierig hält, gibt er sogleich wieder zu erkennen, dass es sich eigentlich ohnehin um ein technisches Problem handelt: Die beste Lösung sei es, Zugangsbarrieren im Netz zu institutionalisieren, wobei ja bereits entsprechende technische Vorkehrungen existierten, zu. B. zur Beschränkung der Beschaffung von "CD-Covern". Indem das Phänomen des illegalen Beschaffens von Inhalten wiederum mittels technisch-institutionalisierter Strukturen bewältigt werden solle, konstatiert Andreas hier eine Medienrationalität, die wiederum durch Vorkehrungen und Mechanismen reguliert wird. Dies betrifft aus seiner Sicht auch Medienangebote, die dezidiert "total krank" seien und "irgendwelche Unfälle" sowie "zerstückelte Menschen" präsentierten. 181 Scheinbar ist er amüsiert darüber, warum die bisherigen Verfahrensweisen so offensichtlich unterkomplex sind, obwohl man doch eigentlich wissen müsste, dass die Sperrung von "rotten.de" an öffentlichen Netzzugängen nichts an der Möglichkeit häuslichen Zugangs und der Nutzung ändert. Seine Orientierung an einer Strukturlogik des technischen Umgangs mit Medienangeboten weitet sich nun auch explizit auf solche mit gewalthaltigem Inhalt aus. Was sich darin zeigt, ist, dass ein etwaiges Problem solcher Angebote nicht in ihrer Beschaffenheit gesehen wird; vom inhaltlichen Charakter her sind sie für Andreas wenig von Belang -so bezeichnet er sie vorrangig als eine Angelegenheit, über die der autonome Nutzer weitgehend selber entscheiden darf und soll: (372) I: Und was sagst du jetzt dazu, dass die da einfach alle drin sind diese Seiten? Mit zerstückelten Leichen und sonst was, also [findest-] A: [Das stört mich] eigentlich nicht, das sollen DIE Leute sich ansehen, die sich dafür interessieren und so und sich die anderen nicht darüber aufregen. Auch deswegen ist Google, wollten das ja sperren, wenn man so Pornos und so findet, aber die können das doch damit nicht VERHINDERN, wenn man im Internet, egal WO, allein nur die Seiten ausprobiert, sagen wir mal www.sex.de oder so was einfach nur mal eingibt, dann FINDET das ja irgendein-JEDES Kind. Und Kinder, wenn die das meinen, das ist schlecht, wenn die das sehen-, versteh ich nicht. I: Also findest du es-, ja aber die Gefahr bestünde, dass Kinder aus Versehen da landen auf so einer Seite. Wie findest du das? A: Ja aber, wenn-, das ist ja nur die Bildersuche, die sie da anschwärzen dann. Aber die Kinder-aber das sind ja DIE Kinder, die wirklich dann nach diesen Begriffen SUCHEN. Die haben das auch gezeigt in einer Reportage, die haben wirklich einfach nur nach diesen Begriffen wie Sex und so gesucht. Das Aufsuchen und die Rezeption gewalthaltiger Darstellungen ist für ihn eine Frage individuellen Interesses, dem man unter freiheitlichen Bedingungen nachgehen kann und das keine emotionale Bewertung von extern nach sich ziehen sollte. Eine solche, so deutet sich hier an, macht aus Andreas Sicht ohnehin wenig Sinn, da man z. B. auch das Auffinden von pornographischem Material generell nicht "VERHINDERN" kann, zumal das gesamte Internet damit angefüllt ist. Es entsteht eine Analogie zu oben, wo Andreas die Beschaffungsmöglichkeiten des Spiels Counter-Strike trotz eines möglichen Verbots herausgestellt hatte: Selbst beim Versuch, die Funktion einer Suchmaschine einzuschränken, fänden diejenigen Nutzer mit Interesse an entsprechenden Angeboten andere Wege finden, um an den gewünschten Inhalt zu gelangen. Dies gelänge überdies sehr einfach ("JEDEM KIND"). Hier zeigt sich: Die Fokussierung auf technische Fragen der Machbarkeit bzw. Steuerung hat sich bei Andreas soweit verselbständigt, dass ihm z. B. mögliche Folgen der Rezeption von Pornographie für Minderjährige unverständlich bleiben ("versteh ich nicht"). Sie sind vielmehr gar nicht sein Thema bzw. bilden keinen Bestandteil seines Orientierungsrahmens, innerhalb dessen er Medien bewertet. Eine qualitative Prädikation von Darstellungen als solcher ist ihm nahezu irrelevant, da irgendeine Positionierung hierzu ohnehin an der Autonomie der Nutzer vorbei geht, weswegen man sich auch gar nicht länger damit aufzuhalten hat. Ihn interessiert vielmehr, wie genau die Autonomie des Nutzers angesichts der technischen Komplexität des Internet eigentlich funktioniert und wie sie organisiert werden kann. Dieses Wechselspiel ist für ihn wie ein Strukturzusammenhang, in welchem es darum geht, dass die technisch versiertere Instanz, also diejenige mit dem ausgefeilteren Regelkenntnissen über die jeweils andere obsiegt. 373 Deshalb gleicht für ihn die Frage der Medienrezeption allgemein einem Zusammenspiel autonomer Regelsysteme, deren wechselseitiges Verhältnis ihn reizt und darüber die Frage der Medienbewertung fast völlig dominiert. Vor diesem Hintergrund bearbeitet er auch die erneute Frage nach der Gefahr, dass etwa Kinder auf pornographische Seiten gelangen könnten, vorrangig als technische Frage: Die freie Zugänglichkeit als solche ist für ihn ein marginales Problem und betrifft auch nur einen kleinen Teil Heranwachsender, nämlich diejenigen, die dazu motiviert sind und sich eigenaktiv auf die Suche danach begeben. Selbst wenn man die Suche nach direkten Darstellungen erschwerte ("anschwärzen"), bliebe immer noch die Tatsache, dass der Nutzer via Begriffssuche an sein Ziel kommt. Auch hierbei verbleibt Andreas ganz innerhalb seines Orientierungsrahmens: Ein "Kind" führt danach eben einen technischen Vorgang aus -gibt z. B. "www.sex.de" in den Browser ein -daher bekommt es strukturbedingt eben logischerweise auch ein entsprechendes Ergebnis zu sehen; dabei handelt es sich für Andreas um eine Art technisch-abstrakten Prozess, worin sich dokumentiert, wie eng er das Verhalten der "Kinder" mit einer Rationalität technischer Strukturen und ihrer Logik relationiert: Sucht man, dann findet man eben auch. Daraus leitet er jedoch weder die Konsequenz ab, dass Kinder z. B. nicht nach problematischen Inhalten suchen sollten oder sie deswegen zu erziehen seien, noch richtet er einen Appell an die Medienanbieter, die Inhalte gar nicht erst herzustellen und zu vertreiben. Ihm geht es allein um die Frage, wer die internen Regelstrukturen des Mediensystems kennt und wie diese mit den Verhaltensweisen der Nutzer in Wechselwirkung stehen, von denen er annimmt, sie seien eben selbstreferentiell. Sichtbar wird hier ein ingenieurales Steuerungsdenken, das auf der Internalisierung formal-abstrakter Regeln aufsattelt und inhaltliche Wertungen weitgehend entthematisiert. Ob es danach bei der Medienrezeption zu einem Kontakt mit gewalttätigen oder pornographischen Inhalten kommt, ist ein Problem der technischen Strukturen und ihrer Steuerung und nicht des Verhaltens und seiner etwaigen Fehlgeleitetheit oder (moralischen) Unreife. Ob entsprechende Angebote rezipiert werden, ist gar nicht die Frage, sondern nur, vor dem Hintergrund welchen technischen Regelmechanismus dies erfolgt ist. Zur Regulation des medienbezogenen Verhaltens bedarf es also einer formalabstrakten Struktur, die darüber wacht und die im Zweifelsfall zu verändern ist. Dass dies aber selten und bislang nur unzureichend gelingt, liegt daran, dass die Nutzer nach ihren eigenen Regeln funktionieren und es ihnen gelingt, immer neue Wege finden, die technischen Regelstrukturen aufgrund ihres eigenen technischen Strukturwissens zu umgehen bzw. zu überlisten. Auf diese Art und Weise orientiert sich Andreas an einem Mediennutzer, der sich so im "Dickicht der Medienangebote" zu bewegen sucht, indem er über entsprechende institutionalisierte Regelmechanismen verfügt bzw. diese verinnerlicht hat, um sich darüber zurechtzufinden. Ähnlich zu Timo und Andreas lassen sich auch im Fall von Olaf Orientierungen an institutionalisierten Regelstrukturen erkennen, vor deren Hintergrund Medien bewertet werden. Auch ihm stellt sich das Zusammenspiel von Medienwirkungen und Nutzerverhalten als Verhältnis von Subjekt und institutionalisierter Struktur dar: (220) O: Also süchtig machen kann es denke ich mal schon. Also, es gibt ja auch die Sorte von Leuten, die jetzt also, die gehen nicht zur Schule, natürlich nur die Älteren, aber die sind dann STÄNDIG davor. Die fangen morgens an, bis spät in die Nacht, oder bleiben sogar 24 Stunden online. Also wenn das soweit, also, finde ich dann auch schon vielleicht bisschen krank so (2). Weil, irgendwann wird's einfach auch zu viel. Irgendwann denkt man sich "oh, aufhören, es reicht". Und, also ich kann mir schon vorstellen, dass man süchtig davon werden kann, ja. Toll ist das nicht. Und, vereinsamen tut man wahrscheinlich auch, weil, man ist dann so daran gefesselt, dass man dann-Also man geht dann nicht mehr raus, man redet auch kaum noch mit Leuten. Man sitzt da halt nur extrem viel vor dem Computer. I: Und, kennst du jemanden, von dem du sagen könntest, der ist so? O: Nee, die meisten die ich kenne, die sehr lange online sind, sind die die daran arbeiten. Und dann damit auch Geld verdienen. Die MÜSSEN dann ja logischerweise so lange da dran bleiben, aber natürlich sind die jetzt auch nicht 24 Sunden am Netz. Aber sonst kenne ich keinen, der süchtig danach ist. I: Ja, mhm. Aber, verstehe ich das richtig, dass du das aber für eine Gefahr hältst, dass eine sein könnte? // O: Ja. // I: Und was meinst du könnte man dagegen machen? // O: Oh, gute Frage (3). Also man kann ja die Person ja dann nur vom Computer weg kriegen, indem man irgendwie den Computer weg tut einfach. Oder dass der unzugänglich gemacht wird. Aber, also das ist ja oft gar nicht möglich. Wo soll man den denn hin tun? Ein computerbedingtes Suchtpotenzial besteht nach Olaf als eine Möglichkeit, weniger als ein Automatismus. Mit einer einleitenden Konjunktion folgt dann seine Exemplifizierung. Das Prädikat süchtig erfüllt seiner Ansicht nach diejenige Untergruppe von Personen, die nicht "zur Schule gehen", die also keine formal-institutionelle Einbindung (mehr) haben und insofern auch nicht in institutionalisierte Regelstrukturen integriert sind. Dabei handelt es sich um eine Exklusion aus einer bis zu einem bestimmten Alter selbstverständlichen Eingebundenheit, die überdies nicht freiwillig erzeugt ist, sondern aufgrund der gesetzlichen Schulpflicht für alle bindend ist. Versteht man das "dann" als temporale Konjunktion, deutet sich an, dass für Olaf die von ihm angesprochene "Sorte" von Leuten, eben die "Älteren", nicht mehr zur Schule gehen, sie erleben demnach etwas nicht mehr, und zwar die Normalität eines durch Institutionen geprägten Alltagslebens. Damit stehen sich in seiner Argumentation zwei Parteien gegenüber: Auf der einen Seite die Jüngeren (Schüler), eingebunden in eine Realität normaler Ablaufmuster, welche einerseits Leistung einfordert und andererseits soziale Integration gewährleistet und auf der anderen Seite Personen, die es vermeintlich nicht geschafft haben, danach, also nach Ausscheiden aus der Schule, ein vernünftiges Pendant zur ehemals institutionell geformten Rationalität ihres Lebens aufgebaut zu haben. Folgt man seiner Schilderung, ist exzessives Computern eine (Ersatz-)Beschäftigung von massivem Ausmaß für sie geworden. Olaf beschreibt damit einen Prozess, der, angestoßen durch äußere Faktoren, sich als ein nach innen gerichteter Prozess (weiter-) entwickelt. Es erscheint ein Subjekt, das das Herausgenommensein aus den Bahnen der 375 Normalität kompensiert und seine Zeit vollständig mit der Hinwendung zum PC verbringt -die Beschäftigung damit ist dann umfassend und total: Der Tag ist damit ausgefüllt, wofür Olaf zwei Szenarien denkbar hält, die sich in ihrer Intensität steigern: Der Tag beginnt entweder damit, dass bereits bei Tagesanbruch mit Computern begonnen wird und sich dies bis weit über das Tagesende hinaus kontinuierlich fortsetzt oder gleich die komplette Zeit in Beschlag genommen wird ("24 Sunden online"). Damit beschreibt Olaf eine Art Strukturlosigkeit, in der natürliche und normale Tageszeitkategorien außer Kraft gesetzt sind: Man hört einfach nicht mehr auf und die Verbindung zum Netz wird nicht mehr entkoppelt, stattdessen findet Leben "online" statt. Damit ist ein Zustand erreicht ("wenn das soweit-"), den Olaf als im Ansatz als pathologisch bezeichnet ("bisschen krank so"). Was sich daran zeigt, ist, dass Olaf das infrage stehende Medienverhalten an eine Normalität koppelt, die geprägt ist durch gesellschaftlich strukturierte Mechanismen, innerhalb der sich ein für ihn normaler Mensch auch ebenso normal entwickelt und bei Funktionieren dieser Kopplung keine Pathologie ausbildet. Den Abwehrmechanismus gegen diese Art von Pathologie begründet Olafs Argumentation mit dem Vorhandensein einer selbstverständlichen und verinnerlichten Schranke: Irgendwann "wird's einfach auch zu viel", wobei dieses "wird" auf einen Prozess-anstellte eines Zustandsgedankens hinweist: Normal ist, dass nach dem Verstreichen einer gewissen und nicht näher zu bestimmenden Zeit von alleine eine Sättigung eintritt, ähnlich einem ungeschriebenen Gesetz. Eine Sättigung ist demnach nicht unbedingt bewusst geplant, sondern resultiert wie selbstverständlich von innen, erinnert sich der generalisierte Nutzer also nach einer gewissen Zeit wie von selbst daran, dass sein Verhalten an eine Grenze stößt. Bezieht man diese Lesart zurück auf die sich andeutende Einbindung in eine institutionell bedingte Normalität, die Olaf als suchtverursachend annimmt, zeichnet sich eine Vorstellung des Subjekts ab, das autonom und selbstreflexiv zur Prävention übermäßigen Medienkonsums fähig ist, weil es über eine verinnerlichte Schutzreaktion verfügt, die in der Regel den Erhalt eines natürlichen Gleichgewichts sichert und aufrecht erhält. Vor diesem Hintergrund kann sich Olaf "schon vorstellen", dass Sucht entstehen kann, und zwar als Verlust der Selbstkontrollkräfte des Subjekts, dem anscheinend etwas abhanden gekommen ist und es etwas nicht mehr kann oder nicht mehr hat. Tritt dies ein, funktionieren die eigentlich verinnerlichten und normalen Schranken nicht mehr korrekt, die Folge ist Suchtverhalten. Es entwickelt sich für Olaf analog zu einem (Selbst-)Kontrollverlust, den das Subjekt erleidet -und sich dann nicht mehr sagen kann "oh aufhören, es reicht". Im Zuge dessen entwickelt sich eine soziale Isolation und es ist unmöglich, diese aus eigenem Antrieb aufzubrechen: Das Resultat sind Einigelung und der Verlust von kommunikativen Kontakten. Anders ausgedrückt: Ist der PC-Süchtige erst einmal so an den Computer "gefesselt", liegt es nicht mehr in seiner Macht, sich davon zu befreien, sondern er muss befreit werden -im Sinne der Fessel-Metapher, also z. B. bei Handschellen, von jemandem, der den Schlüssel besitzt. Dieses Szenario tritt für Olaf dann nicht ein, wenn es sich bei übermäßiger PC-Tätigkeit um Arbeit handelt, d. h. Lohnerwerb in Form einer wirtschaftlichproduktiven Tätigkeit. Arbeit erscheint hier als das genaue Gegenteil davon, sich einfach so zeitlich intensiv dem Computer hinzugeben, gerade weil Arbeit als Tätigkeit nicht selbstreferentiell, sondern fremdreferentiell gerahmt ist. Hat man einen PC-Job, geht es gar nicht anders, als sehr viel Zeit am PC zu verbringen -begründet liegt dies in der inneren Logik der Struktur der Arbeit ("müssen dann ja logischerweise so lange da dran bleiben".) Diese Nutzung ist der Rationalität von Arbeit geschuldet und muss auch gar nicht weiter hinterfragt werden, allerdings existieren auch bei dieser Nutzungsform gewissen Grenzen, denn die PC-Arbeiter sind aus Sicht von Olaf natürlich "auch nicht 24 Stunden am Netz". Das heißt: Hier, im Rahmen von Arbeit, funktioniert die Entkoppelung, das Vom-Netz-Gehen erfolgt selbstverständlich ("natürlich") -und damit genau im Gegensatz zu der "Sorte" Personen, die er zuvor beschrieben hatte. Dass kein Suchtverhalten entsteht, wird von Olaf damit doppelt an institutionalisierte Regelstrukturen gebunden: Die Logik der Schule (als Prägekraft zu strukturiertem und funktionierendem Verhalten) und die Logik der Arbeit (als fremdreferentielle Rahmung einer sachorientierten und produktiven Tätigkeit). Beide Logiken sind -in ihrer Gemeinsamkeit -derjenige Modus, der das Subjekt davor schützt, nicht an die "Fessel" Computer zu geraten. Vielmehr ist es gerade dann -und nur dann -frei und verfügt über funktionierende Selbstkontrollmechanismen. Demnach besteht für Mediennutzer also in einer Sphäre institutionalisierter Regeln und Strukturen auch kaum die Gefahr, Suchtverhalten auszubilden. Eine Verhaltensregulation findet hier statt im Modus der Internalisierung einer Regelhaftigkeit, dass der Nutzer eben genau weiß, zu welchem Zweck und in welchem Kontext er Medien -auch durchaus intensiv und lange -nutzt. Computersucht wird dagegen zu einer Form des Herausfallens aus einer sozialen Sphäre, die durch institutionalisierte Anerkennung und Eingebundensein geprägt ist, was nach Olafs Darstellung ähnlich dem Fehlschlagen einer Balance von innerer und äußerer Struktur erscheint. Dass dies ein für Olaf relativ klares, gleichzeitig aber auch komplexes Wechselspiel ist, offenbart seine Reaktion auf meine Interventionsfrage; hinter einer möglichen Intervention steckt demnach ein komplexes Problem, auf dass es keine so eindeutige Antwort gibt. Als Interventionsmaßnahme erscheint ihm denkbar, den Computer -gewissermaßen als das Objekt der Begierde -mittels eines externen Eingriffs zu entfernen oder den Zugang für die entsprechende Person dazu zu versperren. Um jemanden also vom Computer als seiner "Fessel" zu befreien, müsste dieser a) zum Verschwinden gebracht oder b) eine Barriere zwischen den Süchtigen und den Computer konstruiert werden. Beiden Optionen ist gemein, dass es sich um äußerliche Maßnahmen der Verhaltensregulierung handelt und sich auf den Gegenstand, nicht aber auf eine etwaige Umerziehungs-oder Hilfsmaßnahme für das Subjekt handelt (im Sinne einer ihm angebotenen Hilfe, davon loszukommen oder eines Beziehungsangebotes, dass es auf andere Gedanken bringt etc.). Es handelt sich vielmehr um nicht-kommunikative Maßnahmen, die, anstelle an der inneren Problemlage des Subjekts anzusetzen, es eher formalisiert behandeln wollen: in beiden Fällen würde "die Person", einem Drogensüchtigen ähnlich, auf kalten Entzug gesetzt. Allerdings zweifelt Olaf selbst an der Umsetzbarkeit der Optionen a) und b), denn ihm ist unklar, wo man mit dem Computer "hin" soll -eine Wegnahme funktioniert nicht -die Welt ist ohnehin computerisiert und der Nutzer könnte sich wahrscheinlich eines anderen Computers bedienen. Sich also der Computertechnik als eines potenziellen Suchtobjektes einfach zu entledigen ist schwierig. Entscheidend ist, dass sich hier das Muster aktualisiert, in dem Olaf über die Passage hinweg das Verhältnis von Ver-377 halten und Struktur beschreibt. Eigentlich, so zeigte sich, vom Vorhandensein eines normalen Mechanismus ausgehend, der eine Medienbeschäftigung begrenzt, erwähnt er diesen bei der Frage nach Veränderungsmöglichkeiten nicht mehr: Hier geht es ihm darum, den Nutzer vom Computer "weg zu kriegen". Ist die natürliche Schranke nicht mehr da, hilft demnach, salopp gesprochen, kein Reden mehr, sondern es bedarf eines unempathisch anmutenden Eingriffs von außen. Dieser ist weniger erzieherisch konnotiert oder auf die Veränderung bzw. Entwicklung des infragestehenden Subjekts gerichtet, sondern entspricht viel eher einer formalen Behandlungsmethode nach Art eines technisch-abstrakten bzw. formal-institutionalisierten Eingriffs. Sie erklärt sich in Olafs Argumentation daraus, dass eine Verhaltensregulierung über das Prinzip der Einsicht als eigentlichem Generalprinzip nicht mehr möglich ist. Insofern erscheint seine Idee (PC "weg tun"), als (hilfloser) Versuch, das Medienverhalten zu regulieren, wenn alles andere nicht (mehr) hilft -aber auch dies scheint ihm kaum möglich, da man dieses Objekt nicht ausmerzen kann. Übergreifend dokumentiert sich daran das Prinzip, an dem sich Olaf orientiert: Das Suchtverhalten ist danach ein nach innen gerichteter Akt der Selbstregulation, was sich in extremer Weise als Prozess einer fortschreitenden sozialen Isolation ausbilden kann und der zu einer Spirale wird, wenn die für das innere Gleichgewicht erforderliche institutionalisierte Regelstruktur nicht mehr gegeben oder zerstört ist. Diese sich bisher andeutende Orientierung an einer Internalisierung institutionalisier Strukturen und Regeln wird erhellt durch einen Gesprächsausschnitt, in welchem Olaf seine eigene Medienpraxis in Bezug auf seine Freizeit schildert und dabei eng zu zeitlichen Vorgaben relationiert, die ihm infolge institutionalisierter Verpflichtungen gesetzt sind: Indem aus der institutionelle Verpflichtung zur Teilnahme am Schulleben wenig Raum bleibt, sich einem zentralen Hobby zu widmen zeigt sich, wie die Institution Schule sehr deutlich die Form seiner Strukturwahrnehmung prägt -ohne dass sich Olaf erkennbar darüber ärgert oder etwa darunter leidet. Es "ist eben" so, dass wenig Zeit besteht und dies ist ein so stabiles Muster, dass es sogar "am Wochenende" prinzipiell "nicht anders" ist. Hierin dokumentiert sich einerseits die Akzeptanz einer Wechselseitigkeit von institutionalisierten Strukturen und individuellem Verhalten -beides ist miteinander verwoben und bedingt einander. Andererseits kommt aber auch die Prägekraft institutionalisierter Strukturen zum Ausdruck, die Olaf fraglos verinnerlicht hat und an der er sich orientiert. So kommt aufgrund dessen, dass sich für ihn "Schule" aufgrund der noch nach Schulschluss darauf bezogenen Tätigkeiten "sehr lange" in den Nachmittag hinein verlängert diejenige Aktivität, die er "eigentlich machen will" auch performativ bei Olafs Darstellung einer Tageszeitabfolge ganz hinten, wird der Computer erst angemacht, wenn die Anforderungen der Schule erledigt sind. Das bedeutet: Tagesablauf und Freizeitinteressen sind hier mit der Rationalität der Schule gekoppelt und werden in Abhängigkeit dazu entworfen. Was man "will" hängt eben davon ab, wann man aufgrund struktureller Bedingungen und Zwänge überhaupt Zeit dazu hat. Hier wird der Bezug zu Olafs Ausführungen zum Thema Computersucht sinnfällig: Die Schule als idealtypische institutionalisierte Struktur hält einen ganz einfach davon ab, sich über ein bestimmtes zeitliches Maß hinaus mit dem Computer zu beschäftigen, auch wenn dieses der persönlichen Präferenz zufolge "das wichtigste" Element im Ensemble aller Freizeitaktivitäten darstellt. Zur Einschätzung der Informationsfreiheit im Internet äußert sich Olaf zunächst indifferent -"ja, naja, wie soll ich das finden?" (229) und auf die konkrete Nachfrage meint er "Na ja also Nachteile würde ich mal sagen NICHT. Was sollte das sein?" (229). Daraufhin spreche ich konkret das Vorhandensein von Gewaltdarstellungen an, worauf er antwortet: (230) O: Na ja, SO FREI ist das eigentlich gar nicht. SO wie immer erzählt wird ((lacht)). Also besonders frei, denn zum Beispiel so Seiten, damit verbreitet man ja seine Meinung auch, das ist ja nicht UMSONST. Also SO FREI ist es gar nicht. Also es ist eigentlich sehr teuer. Ganz schön sogar. I: Okay, es kostet Geld, mhm. Aber nehmen wir mal an, das Geld ist nicht das Problem für jemanden, also er HAT das Geld sozusagen. Dann kann er das ja machen. O: Ja. Wie dieser Ausschnitt zeigt, arbeitet sich Olaf zunächst an den strukturellen Bedingungen der Verfügbarkeit von Inhalten ab: Danach ist es gar nicht so ohne weiteres möglich, einfach so oder gar beliebig Content ins Internet zu bringen, sondern dies ist bedeutend an materielle Ressourcen gekoppelt und davon abhängig. Damit vermittelt Olaf übergreifend, dass er sich einerseits mit den (technikbezogenen) Möglichkeiten des Inhalte-Verbreitens im Internet auskennt und sich andererseits von der allgemeinen Sichtweise, dies sei umstandslos möglich, distanziert. Dass das Internet offen sei, verweist er beinahe in den Bereich eines Gerüchtes oder einer Legende. Was sich hier 379 dokumentiert, ist, dass es Olafs, ähnlich wie Andreas, vor allem um eine technischstrukturelle Sicht geht, weniger um inhaltlich-moralische Aspekte. Dass Inhalte zur Verfügung stehen, ist für ihn genau ein solches technisch-strukturelles Phänomen, dasso zeigt die nächste Passage -anhand eines rationalen Verfahrens in den Griff zu bekommen ist: (240) O: Okay, das ist natürlich schon irgendwie blöd, aber ich denke mal NIEMAND der nicht danach sucht, findet dann auch solche Seiten. Deswegen. Und die wenigen sind ja auch nicht schlimm. Also wenn man danach nicht sucht, dann kommt man da auch nicht drauf. Weil, also ich zum Beispiel in den ganzen Jahren auch noch nie so was gesehen habe, oder gefunden habe. Weil ich auch gar nicht danach SUCHE. Aber, es ist schon nicht SO GUT. Also okay, das ist schon vielleicht ein Nachteil, dass das Internet so frei ist. Aber sonst (2) Dass die Existenz gewaltverherrlichender Seiten per se eher unproblematisch ist, schreibt Olaf dem Vorhandensein eines Mechanismus zu, der das Ganze gewissermaßen von selbst reguliert: Der Nutzer muss sich zum Finden entsprechender Angebote erst einmal selbst aktiv auf die Suche begeben. Selbige sind zudem nur geringfügig vorhanden, seltenen und verstreut liegenden Inseln in einem großen Meer ähnlich, deren Existenz deshalb einerseits vernachlässigbar ist und die andererseits nur auffindbar sind, wenn einiger Aufwand dafür betrieben wird. Somit stattet Olaf den Nutzer mit dem Vorhandensein eines Willens und eines Bewusstseins für sein eigenes (Medien-)Handeln aus. Nicht die vielleicht fragwürdigen Internetinhalte stehen im Mittelpunkt, sondern das Nutzerverhalten, sein "Suchen", seine absichtsvolle und zielgerichtete Aktivität. Während nun die angesprochenen und möglicherweise als problematisch zu geltenden Inhalte des Internet für Olaf gering an der Zahl und damit kein wirkliches Problem sind, arbeitet er sich an der Frage ab, ob die infragestehenden Angebote überhaupt wahrgenommen werden und somit überhaupt zu einem diskussionswürdigen Thema werden. Es ist dem einzelnen Nutzer und seinem individuellen Surfverhalten überantwortet -weniger ein Problem des Informationsangebotes. Somit beharrt er deutlich auf den Voraussetzungen der Internetnutzung und weniger auf ihren Effekten. Vor diesem Hintergrund geht es einfach darum, entsprechende Inhalte nicht zu suchen, und ist der Nutzer autonom und selbst verantwortlich. Man braucht, so lässt sich schlussfolgern, kein großes Aufheben darum machen, da es für die Frage nach möglicherweise problematischen Inhalten und dem Umgang mit ihnen eine einfache Lösung gibt: Man muss einfach unterlassen, sie zu rezipieren. Diese Wenn-dann-Beziehung gleicht Olaf einer klaren Regel, deren Verinnerlichen und deren Einhalten dazu führt, dass sich das Ganze von selbst reguliert. Dies verbindet er mit einer Art der Selbstmoralisierung, die zugleich über die Verfügung über diesen inneren Regelmechanismus bei ihm selber informiert: Deutlich macht dies sein Beispiel, sich selbst integer zu verhalten, denn in seiner zeitlich umfangreichen eigenen Medienpraxis ist es noch nie zu einem Kontakt mit derartigen Darstellungen gekommen. Die kausale Begründung dafür lautet, dass er eben "gar nicht danach sucht". Die von ihm aufgestellte Regel funktioniert seiner Wahrnehmung nach scheinbar optimal und ge-währleistet es, dass ggf. problematische Inhalte des Internet eben gar erst nicht zu einem Problem werden. Darin dokumentiert sich wiederum erneut seine Orientierung an der Verinnerlichung von (Regel-)Mechanismen, die als Garant bzw. verantwortliche Instanz dafür erscheinen, ob es überhaupt zu einer Berührung mit entsprechenden Medienangeboten kommt und ob diese letztlich Wirkung zeigen. Die Verbreitung von Inhalten jeglicher Couleur -und dann eben auch von gewalthaltigen -wird auf diese Weise entproblematisiert und als individuelle sowie selbstregulative Angelegenheit des Nutzers und seines regelgeleiteten Verhaltens gedeutet. Die Mädchen deutscher Herkunft betten ihre Bewertungen von Medien vorrangig in Phänomene von sozialen Beziehungen ein, die sie im Zusammenhang mit Medien und deren Angeboten tangiert sehen. Im Fall von Vanessa zeigt sich zunächst, inwiefern es sich bei ihrem Medienalltag um einen dialektischen Prozess von erzieherischen Interventionen auf der einen und einem Akt ihrer eigenen Perspektivenübernahme auf der anderen handelt. Sie informiert zunächst darüber, warum sie selbst (im Gegensatz zu ihrer Schwester und ihren Eltern) keinen eigenen Internetanschluss besitzt: (27) V: Ja, weil irgendwie, na ja das ist weil irgendwie wird es denen dann zu teuer. Und weil ich dann wahrscheinlich NUR im Internet wäre. Oder so, wahrscheinlich deswegen. I: Mhm. Musst du denn dafür irgendwas bezahlen wenn du mal ins Internet gehst? V: Nee, also ich FRAGE eigentlich immer nur wenn ich mal will, und dann, wenn meine Eltern das halt sagen dass ich nicht reingehen soll, dann GEHE ich auch nicht. Und dann geht's eben nicht. Aber sonst darf ich eigentlich ab und zu mal. Deutlich wird hier, inwiefern Vanessa die verbale Absichtserklärung ihrer Eltern in Bezug auf ihren Medienumgang als ein Erziehungsgeschehen deutet, dessen Effekt sie für sich anerkennt ("dann geht's eben nicht"). Weiterhin erzählt sie, dass der Computer, an dem sie ins Internet geht, im "Wohnzimmer" (40) steht, wo sie dann "meistens halt so dran" (40) geht. Auf die Bitte, dies weiter zu erläutern, führt sie aus: (41) I: Und, also du meintest eben du musst dann fragen-V: Naja, nee, nur wenn halt, wenn ich also zu lange drin war oder so, dass jetzt zu viel bezahlt werden muss, dann sagen meine Eltern immer "du kannst dann und dann wieder gehen, aber jetzt erstmal lieber nicht". Hier dokumentiert sich, dass Fragen des Medienzugangs und der -verwendung bei ihr selbst auf solche Weise reguliert sind, dass sie hier performativ ihre Eltern gleichsam zu Wort kommen lässt, die ihr eine Grenze setzen, wobei es kein drastisches Verbot ist, 381 dass hier ausgesprochen wird, sondern lediglich eine zeitliche Abstinenz. Entscheidend daran ist, dass sie sich selbst als Medienerzogene sieht, die sich an die Intentionen ihrer Eltern hält: (43) I: Und, wie ist das so, darfst du denn meistens oder ist es auch schon mal vorgekommen dass du NICHT durftest? V: Also DÜRFEN tue ich eigentlich immer, also das ist nicht so das Problem. I: Weil du eben meintest, dass-V: Ja, also ich gehe nicht so sehr lange ins Internet, die haben mir schon vorgeschrieben, dass ich irgendwie nur so eineinhalb Stunden oder zwei Stunden drin bleiben darf. Weil, sonst wird es halt auch zu teuer, und meine Eltern sind selber AUCH NICHT viel länger drin. I: Das habt ihr vereinbart dann oder wie? V: Ja. Na ja, also klar, die sind ja meistens immer DA wenn ich da ins Internet gehe. Weil alleine DARF ich ja gar nicht. // I: Ach so // V: Nein, also sie haben halt gesagt, halt "wenn irgendwas passiert" oder, keine Ahnung, falls es abstürzt oder so was. Also, aber das IST mir ja auch schon öfter passiert ((lacht)). Ihre Nutzungszeit schildert Vanessa als limitiert, weil die Vereinbarung eines zeitlichen Rahmens besteht, über dessen Einhaltung durch ihre eigenen Eltern sie hier gleich mit informiert. Deutlich wird hier, wie das eigene Verhältnis zum Medium eng an eine Gemeinsamkeit mit den Eltern gekoppelt wird. Es ist das Resultat einer gemeinsamen Praxis und eines Erziehungsgeschehens, das reziprok zueinander vermittelt ist. Ihre eigene Möglichkeit, sich mit den Medien auseinanderzusetzen, ist zwar auf eine gewisse Weise fremdreguliert, doch sie wird kenntlich als eine Mischung aus Erlaubnis, Zugeständnis und Kontrolle, das sich Vanessa selbst zu eigen gemacht hat. So relationiert sie das Ausmaß ihrer eigenen Medienpraxis zu einem Verhalten der Eltern, die "selber auch nicht viel länger drin" sind. Auf diese Weise deutet sie ihre Eltern implizit als Vorbild, die auf diesem Weg zu erreichen versuchen, dass sich die Formung ihrer Medienpraxis im Modus der Perspektivenübernahme gestaltet. Entscheidend ist weiterhin, dass sie ihr eigenes Verhalten wiederum perspektivisch mit der erzieherischen Absicht ihrer Eltern verschränkt, indem sie nachschiebt, dass ihr ein technisch-instrumentelles Handlungsproblem tatsächlich "auch schon öfter passiert" sei. Dies stellt sie so dar, dass sich ihre Eltern in sie hineinversetzen und Folgen ihres Medienumgangs antizipieren und dass dies aus ihrer eigenen Sicht auch gerechtfertigt erscheint. Sie selbst erscheint durchgehend, auch in anderen Textstellen, als Erzogene: "Meine Eltern sagen halt, dass man irgendwie die Zeit vergisst und dass ich deswegen nicht chatten soll. Und ich WILL eigentlich auch gar nicht chatten" (197) . Über die einzelnen Passagen hinweg wird also deutlich, dass sich Vanessa daran abarbeitet, inwiefern die erzieherische Absicht ihrer Eltern mit ihrem eigenen Verhalten wechselseitig in Zusammenhang steht bzw. inwiefern dies ein Prozess von Erziehung ist, der bei ihr selbst Spuren einer wechselseitigen Verwiesenheit des eigenen Standpunktes mit einem erzieherischen Willen darstellt, der ihr eigener geworden ist. Es zeichnet sich das Muster ab, dass Vanessa Medien vor dem Hintergrund einer selbst erlebten intentionalen Medienerziehung wahrnimmt, welche sich bei ihr selbst als Habitus einer an Momenten eines reziproken Erziehungsgeschehens orientierten Medienbewertung niederschlägt. Vor allem, wie sie die von ihr geschilderten medienerzieherischen Absichten reproduziert, gibt sie als Trägerin eines erzieherisch konnotierten Habitus zu erkennen, welcher Verhalten insgesamt sehr stark an die Frage von gegenseitiger Anerkennung und Sozialität bindet. Ähnlich wie Melanie (siehe weiter unten) versetzt sich auch Vanessa im Folgenden die Lage anderer, die aus einer Außenperspektive wahrnehmen, inwiefern ein in Frage stehendes Medienverhalten mit einer Veränderung des Subjekts einher geht und darüber Fragen des gemeinsamen Zusammenseins tangiert: (275) I: Dann möchte ich dich noch mal fragen, also in der Zeitung wird ja manchmal berichtet und geschrieben, dass Jugendliche die ganz viel am Computer sitzen, so den ganzen Tag beispielsweise, dass das auch schädliche Wirkungen haben kann. Dass die zum Beispiel süchtig werden können oder dass die dadurch vereinsamen können. Sowas liest man ja manchmal. Was sagst denn du dazu? V: ((seufzt)) Ich denke AUCH-ich finde dass, also wenn man den ganzen TAG daran sitzt, dass man seine Freunde verlieren könnte, weil man halt nichts mehr mit denen macht. Und, die dann halt auch vielleicht sagen "ja, mit DIR wollen wir NIX mehr zu tun haben, DU sitzt halt nur am Computer und du kümmerst dich halt nicht darum was mit UNS ist, dass du dich mit uns TRIFFST" oder sowas. So "was hängst nur an dem COMPUTER rum" und-das ist auch irgendwie-Also, ICH würde das NICHT so schön finden wenn meine Freundin jetzt nur am Computer hängen würde. I: Mhm, kennst du denn jemanden, von dem du sagen würdest der hat sich jetzt irgendwie sehr verändert dadurch dass er viel am Computer sitzt? V: Nee, kenn ich nicht. I: Und sonst, ich meine dass das irgendwie Wirkungen haben kann, ich meine das wird ja immer mal wieder behauptet. V: ((seufzt)) Ich kann dazu nichts sagen, also ICH krieg nur immer Kopfschmerzen wenn ich zulange Fernsehen gucke oder so was alles ((lacht)), ja. Den potentiellen Verlust freundschaftlicher Beziehungen durch eine exzessive Beschäftigung mit dem Computer führt Vanessa nicht darauf zurück, dass sich andere einfach abwenden, sondern weil ein Nutzer in diesem Fall "halt nichts mehr mit denen macht", und damit die soziale Einbindung und somit Fragen der Perspektivenreziprozität gefährdet sind. Sie elaboriert diese Orientierung durch ihren Wechsel in den Modus der indirekten Rede, wodurch sich verdeutlicht, wie sie sich in die Situation derjenigen begibt, die das infrage stehende Medienverhalten möglicherweise aus einer kommunikativen Außenperspektive kritisieren; dies gleicht einer appellativen Rede, die hier, überspitzt formuliert, beinahe pastorale Züge annimmt und mittels der eine Sanktion des in frage stehenden Verhaltens transportiert wird. Der Person des Nutzers, der sich über Gebühr mit dem Computer beschäftigt, wird danach angedroht, fallengelassen zu werden ("mit DIR wollen wir NIX mehr zu tun haben"), wenn er eine soziale Konvention verletzt hat, und zwar die des sich gegenseitig umeinander Kümmerns. Was dem Subjekt, das aus Vanessa Sicht "den ganzen Tag am Computer sitzt" vorgeworfen wird, ist also, dass sich dieses mit seiner Handlung gewissermaßen egozentrisch verhält. So besteht der Vorwurf einerseits darin, dass die Person auf diese Weise die Existenz anderer vernachlässigt, um die es sich aber aus ihrer Sicht zu kümmern gilt. Andererseits wird ihr vorgehalten, sich nicht in die anderen hineinversetzt zu haben, um auf diese Weise zu erkennen, dass auch sie davon betroffen sind, denn ihre Perspektive ("was mit UNS ist") scheint nun nicht mehr von Belang. Aus der Sicht der bewertenden Personen, die Vanessa hier imaginiert, geht es allerdings weniger um ein Verstehen dessen, was sich im Anderen abspielt, sondern entscheidend ist die Forderung nach Aufrechterhaltung von Sozialität. Dies ist bedeutend für eine sich darin verbergende Vorstellung vom Umgang mit Alterität: Diese wird als etwas fremd zu regulierendes angesehen, die unter zu Hilfenahme erzieherischer und moralischer Imperative quasi an das Gebot der Perspektivenreziprozität zu erinnern ist. Darin enthalten ist die Demonstration fordernder, vorwerfender und sozial ansprüchlicher Haltungen. Dabei wird der Modus der Perspektivenreziprozität generalisiert und im Falle einer Verletzung derselben Exklusion angedroht. Eine Missachtung der für Vanessa offensichtlich wichtigen Maxime, sich in die Lage anderer hineinzuversetzen, erscheint ihr sozial problematisch, weswegen es auch eine moralisierende Reaktion auf seiten der anderen nach sich zieht. Dazu kommt, wie sich weiterhin dokumentiert, dass Vanessa insgesamt eine intensive Beschäftigung mit elektronischen Medien ("so was alles") eher als eine fremde kalte Welt erscheint. Deutlich wird dies etwa in ihrer Weigerung, zu weiteren Medienwirkungen weiter Stellung zu beziehen ("ich kann dazu nichts sagen"). Stattdessen beantwortet sie den Frageimpuls mit einem ostentativen Bezug auf sich selbst und den negativen Folgen, die ein übermäßiger Medienkonsum bei ihr selbst hinterlassen: "ICH krieg immer nur Kopfschmerzen". Nimmt man die Betonung ernst, transportiert dies einerseits Bedeutung in Form eines demonstrativen (im Sinne von "sieh her!") und andererseits in Form eines perspektivischen Ausdrucks (im Sinne von "ich sitze doch selber nicht so lange vor dem Bildschirm") -und damit wiederum einen moralisierend appellativen Moment, ganz ähnlich dem Modus der Rede, den sie bei Anderen als Reaktion auf überhöhten Medienkonsum artikuliert hatte. Ihre Orientierung an erzieherischen Merkmalen bestimmt auch diejenige Passage, in der sie sich an der Frage der Wirkung des Spiels Counter-Strike abarbeitet. In ihrem Fokus steht hier das Motiv einer Erziehung als Fremdeinwirkung zu gutem und gemeinschaftlichem Verhalten: V: Na ja, vielleicht ein BISSCHEN, aber ich denke mal klar, das hat auch was mit der Erziehung zu tun. Dass also die Eltern vielleicht auch mal sagen könnten, dass (2) äh, er vielleicht mal AUFhören sollte und auch mal RAUSgehen soll. Und NICHT immer nur am Computer hängen soll. Und irgendwie auch mal-Und nicht immer ALLEINE ist. Und, ich denke mal das hängt auch ein bisschen was mit den Eltern zusammen. Dass die da hätten auch mal gucken können was ihr Sohn so macht und so was. I: Also, wie würdest du das jetzt sagen, wie groß ist die Wirkung dieses Computerspiels? V: ((seufzt)) Ach keine Ahnung, ich weiß nicht ich habe so was noch nie gespielt. Ich will es auch gar nicht. Also, mich interessiert so was gar nicht. Verantwortlich für den Erfurter Amoklauf kann für Vanessa nicht so sehr das Spiel als solches gewesen sein, es hat höchstens ein "BISSCHEN" dazu beigetragen. Viel entscheidender ist für sie elterliches Fehlverhalten, das es an Verantwortung und Verpflichtung dem Kind gegenüber hat fehlen lassen. So wurde in der Erziehung versäumt, einerseits deutliche Grenzen des Medienkonsums zu setzen (dass der Spieler mal "AUFhören sollte") und andererseits auch Alternativen zu ihm anzumahnen (in dem der Spieler "auch mal RAUSgehen sollte"). Einen weiteren Grund sieht Vanessa darin, dass sich anscheinend kein hinreichendes soziales Miteinander etablieren konnte, der Attentäter stattdessen "ALLEIN" gelassen wurde und sich sein Verhalten vor allem auch durch fehlende Kontrolle und Unbeaufsichtigtsein der elterlichen Erziehungspersonen ausgebildet und entwickelt hat. Auch an dieser Stelle dokumentieren sich deutlich diejenigen Merkmale, die Vanessas Orientierungsrahmen bezüglich der Bewertung von Medien konstituieren; dabei enthält die Art und Weise, wie Vanessa hier den Aspekt der Fremdregulierung artikuliert, wiederum moralische und pädagogisierende Momente in Richtung eines sozialen Miteinanders. Dies steht in maximalem Kontrast zu den Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund, die das Thema der Verhaltensregulierung auch in Bezug auf eine Fremdeinwirkung behandeln, dabei jedoch weniger auf moralische oder appellative Ansprüche eingehen, sondern dies als Akt der Disziplinierung (im eigenen Interesse des Kindes) beschreiben. Wie deutlich es Vanessa um die Etablierung eines sozialen Miteinanders geht, zeigt sich auch da, wo sie erneut, ähnlich zu oben, ein richtiges Verhalten quasi demonstriert: Ihr selber ist das Spielen gewalthaltiger PC-Spiele fremd ("habe so was noch nie gespielt") und sie möchte sich die Folgen lieber auch gar nicht erst vorstellen ("Ach keine Ahnung"). Überdies ist für Vanessa charakteristisch, dass sie Fragen der Medienbeschäftigung als solche stark an Aspekte einer sozialen Einbindung koppelt, die in Form eines wechselseitigen Austauschprozesses gestaltet ist und ebenfalls das Motiv des sich umeinander Kümmerns impliziert. So geht sie z. B. "viel raus" (101) und manchmal "auch zur Nachhilfe so" (102). Einen wichtigen Platz innerhalb ihrer Freizeit nimmt die Beschäftigung in der Kirchengemeinde ihres Stadtteils ein; dort verbringt sie mehrere Nachmittage pro Woche. Auch als sie darüber spricht, findet sich das Muster der Perspektivenreziprozität und zeigt, inwiefern sich Vanessa selbst häufig in erzieherisch konnotierten Kommunikationsformen bewegt: (102) V: wir haben so eine Konfer-Schulung, da wo wir so Teamer werden. Und die Konfirmanden halt so durch den Konfirmandenunterricht bringen. Und dann mache ich das auch jetzt mit. Und daher habe ich nicht so viel Zeit. Und eigentlich ist Montag der einzige Tag frei in der Woche, wo ich mal für MICH Zeit habe. Zentral erscheint hier das Phänomen von Perspektivenübernahme und -weitergabe, ausgedrückt in dem Vorhaben, die Jüngeren durch das kirchliche Bildungsangebot "durchzubringen". Während sie sich viel und aufopferungsvoll um andere kümmert, sodass sogar nur Montag der "einzige Tag frei bleibt, hat der Computer für Vanessa insgesamt auch nur untergeordneten Stellenwert. Vor diesem Hintergrund erscheint ihr eine exzessive Computerpraxis als Ausdruck eines Verhaltens, das sich als eine Hinwendung zu etwas Leblosem darstellt und das deshalb auch a priori mit dem Potenzial behaftet zu sein scheint, Sozialität zu gefährden: (111) V: So Computer ist mir da Eigentlich NICHT so wichtig. Weil, mir sind meine Freunde und halt die anderen Sachen so mehr wichtiger. Weil, Computer ist halt irgendwie materiell und ich kann also damit nicht sehr viel (3) jetzt machen außer jetzt vielleicht irgendwas schreiben oder, irgendwie spielen oder, keine Ahnung. Ja, und mit meinen Freunden kann ich halt auch REDEN und so (2) Vor allem das Miteinander "REDEN" innerhalb des Freundeskreises ist hier ein positiver Gegenhorizont: Als Ausdruck eines intensiven wechselseitigen Austausches und eines Eingebundenseins erscheint es als Modus, der medienbezogenes Verhalten reguliert. Der Computer ist hier demgegenüber tote Materie ("irgendwie materiell"), etwas, mit dem man eben nicht sozial interagieren kann; daher ist die Beschäftigung mit ihm auch das genaue Gegenteil einer sozialen Praxis. Diese sich bislang dokumentierende Orientierung, in deren Mittelpunkt das Bedürfnis steht, dass sich gewissermaßen die Perspektiven sozial Handelnder Akteure ineinander verschachteln und aufeinander Bezug nehmen, reproduziert sich, als ich sie bitte, zur Frage der Informationsfreiheit Stellung zu beziehen. Die These, dass im Internet Angebote jeglicher Art verbreitet werden können, beurteilt sie folgendermaßen: (296) V: ((seufzt)) Na ja, ja. Na ja es geht. Also jetzt wenn irgendwelche (3) Rassisten das tun würden das fände ich jetzt nicht so gut. Dass die da halt hinschreiben was die WOLLEN. Also DAS finde ich nicht gut. Also wenn man das aber mal anders sieht, jetzt irgendwelche, vielleicht über eine Reise oder so, die da gemacht worden ist. Und dass das lockt, dass man vielleicht AUCH da mal hin möchte. Und sich das halt mal auch anguckt. Also manche Sachen sind gut und manche Sachen sind halt NICHT so gut dass die da drin sind. Ihre Argumentation zielt darauf ab, dass die Urheber rassistischen Gedankenguts im Prinzip erst gar nicht den Willen haben sollten, sich entsprechend zu äußern ("was die WOLLEN"). Es ist hier weniger die Tatsache, dass sich entsprechende Personen überhaupt äußern, die Vanessa zu stören scheint, sondern dass dies offensichtlich aus einem willentlichen Bewusstsein heraus geschieht, ohne Antizipation möglicher Folgen. Inwiefern es vor allem ein sozialer Effekt ist, auf den Vanessa abstellt, zeigt sich daran, dass ihr erneut die Frage der Perspektive entscheidend ist ("wenn man das mal anders sieht"): Medienbotschaften und -angebote, die sie "gut" findet, sollten demnach so gestaltet sein, dass sie Impulse aussenden, die die Perspektive des generalisierten Anderen so treffen, dass Anregung stattfindet. Deshalb sollte die informative Freiheit des Internet für sie vorrangig danach bemessen werden, inwiefern daraus Angebote bzw. Darstellungen resultieren, die eine Bilder-bzw. Vorstellungswelt im Kopf des Anderen entstehen lassen, etwa in Form eines Inhaltes, von dem man sagen kann, er "lockt", anders formuliert: der auf eine Weise gestaltet ist und die Intention hat, eine Orientierung anzubieten, die für andere anschlussfähig ist -so z. B., indem ein Autor über seine selbstgemachten Urlaubserfahrungen berichtet ("eine Reise") und der generalisierte Adressat im Zuge seiner Rezeption ein eigenes Interesse daran entwickelt, möglicherweise einmal den gleichen Ort aufzusuchen ("AUCH da mal hin möchte"). Bestätigung findet auch hier das Muster der Wechselseitigkeit, dass nämlich in Vanessas Orientierung "gute" Medienangebote davon abhängig gemacht werden, inwiefern daraus positive soziale Folgen für andere resultieren. Insofern evaluiert sie hier Medienangebote vor dem Hintergrund, inwiefern sie mit einer von ihr vermuteten Gedankenwelt der Nutzer und deren realen Handlungseffekten abgestimmt sind. Auch bei der erneuten Ansprache von Gewaltdarstellungen im Internet greift sie thematisch auf Aspekte der wechselseitigen Anerkennung und der Perspektivenreziprozität zurück: (297) I: Na ja, du hast es selber schon angesprochen. So Gewaltseiten, gibt's ja sehr viele im Internet. V: Ja ja, also ich war noch nie auf einer drauf, aber ich WILL auch gar nicht da drauf. Weil irgendwie, ich finde das irgendwie nicht in Ordnung dass man das halt da so einfach SCHREIBT. Weil JEDER Mensch ist halt so wie er IST. Und er KANN ja nichts dafür. I: Mhm, und hättest du eine Idee was man dagegen machen könnte? V: Vielleicht irgendwie (2), na ja also man VERFOLGT die ja schon irgendwie, keine Ahnung jetzt, also bis nach Hause, oder so was. Ich habe keine Ahnung irgendwie. Vielleicht so-so was EINbauen dass man so was nicht rein schreiben kann, vielleicht so was. Vanessa signalisiert sehr deutlich, inwiefern ihre eigene Medienpraxis absolut frei von der Rezeption gewalthaltiger Angebote ist. Ihre Schilderung bezieht sich daher nicht auf eine ihr selbst bekannte problematische Mediendarstellungen und eine diesbezügliche Abwehr, sondern rekurriert auf eine eigene grundsätzliche Haltung bzw. Perspektive. Zusätzlich attestiert sie sich sehr betont den eigenen Willen, auf die infrage stehenden Seiten gar nicht "drauf" gehen zu wollen. Deutlich wird daran eine Subjektvorstellung, 387 in der die eigene Fähigkeit zur unbedingten Perspektivenübernahme mit einem Willen korreliert, nicht etwas zu tun, was einer Achtung sozialer Gleichheit bzw. Gleichwertigkeit widerspricht ("JEDER Mensch ist halt so wie er ist"). Aufgrund dessen stellen entsprechende Angebote für sie eine Verletzung des Prinzips wechselseitiger Achtung dar, welches sie mit einiger Emphase artikuliert und das von seiner Intention her nicht zuletzt an die Programmatik der Integrationsbewegung erinnert, die sich ein Wort von Richard von Weizsäcker zu eigen gemacht hat: Dass es gewissermaßen "normal ist, verschieden zu sein" (vgl. Eberwein 2003) . Vor diesem Hintergrund reproduziert sich auch erneut Vanessas negativer Gegenhorizont, nämlich etwas zu tun, ohne die Effekte dieses Tuns bezüglich der Perspektive anderer Menschen zu reflektieren. Es geht ihr darum, sich gerade nicht einer Freiheit zu bedienen, die die Einzigartigkeit und Integrität des Anderen missachtet. Auf diese Weise attribuiert sie Medienbotschaften das Potenzial der Verletzung einer sozialen Würde, an der Medienangebote mit entsprechendem Inhalt direkt beteiligt sind. Medien modellieren demnach eine bestimmte Perspektivik auf andere, die nicht deren individueller Eigenheit entspricht. Vor diesem Hintergrund stellt sich Vanessa vor, dass man entsprechend personenbezogen "die" nachhaltig "VERFOLGT" oder zumindest einen Mechanismus installiert, der die Veröffentlichung eines entsprechenden Gedankenguts verhindert. Es geht ihr hier um die direkte Erfahrbarkeit eines Sanktionsmechanismus bzw. eine spürbare Intervention, die in den privaten Nahraum hineinreicht, mithin um ein personales Geschehen, das Urheber persönlich adressiert und persönlich haftbar macht. Erneut evaluiert sie darin das in frage stehende Verhalten auf einer unmittelbaren Personenebene und stellt sich auf diese Weise vor, Medien und ihre sozialen Folgewirkungen auf dem Wege einer Fremdregulation zu erreichen. Auch Carola verdeutlicht, inwiefern medienbezogenes Verhalten in eine soziale Beziehungsstruktur eingebettet ist, innerhalb der sich der Umgang mit Medien vor dem Hintergrund erzieherischer Beeinflussungsversuche entwickelt: (50) C: Ja, also jetzt im Moment eigentlich NICHT mehr so oft. Aber sonst, eigentlich, so bestimmt so (2) paar Mal in der Woche. Würde ich mal sagen. Ja also weil ich auch manchmal dann bei meinem Vater bin. Also ich bin ja paar Mal in der Woche bei meinem Vater im Moment. Entweder wenn ich ihn so besuche, also wenn ich dann keine Playstation spiele, weil ich dann keine Lust mehr habe ((lacht)), dann gehe ich meistens an den Computer. I: Ach Playstation spielst du auch gerne? C: Ja ((lacht)), oh ich liebe Playstation. I: Bei dir zu Hause oder bei deinem Vater dann auch? C: Bei meinem Vater. Meine Mutter erlaubt mir nicht, dann sagt sie "ja dann spielst du zuviel", und so, und "ich kenn dich" und dann so. Weil sie will mehr, dass ich mich in der Schule anstrenge, und wenn ich dann noch Playstation noch spiele, dann mach ich ja GAR nichts mehr. Dann sitze ich nur noch zu Hause und spiele. Deswegen. I: Mhm. Aha, ja also man liest das ja ach manchmal in der Zeitung, weiß nicht ob du das schon mal gesehen hast-// C: Ja. // I: Dass so Jugendliche die so ganz viel am Computer sitzen, dass die so vereinsamen würden. Oder sogar süchtig werden. // C: Ja, ja. // I: Was meinst du denn dazu? // C: Ja, also okay so das glaube ich jetzt nicht, dass ich danach süchtig bin oder so. Aber, also ich spiele eigentlich so zu sagen regelmäßig. Wenn ich die ZEIT dazu habe, oder Langeweile habe oder so zu Hause, und nix zu tun habe, gehe ich fahre ich extra zu meinem Vater um Playstation zu spielen. Also das mach ich schon, also vielleicht bin ich's schon ((lacht)). Ich habe da so meine Lieblingsspiele und so, Tombraider und so. Was Carola in dieser Passage schildert, sind im Prinzip soziale Bedingungsfaktoren, die ihren Medienumgang geformt haben und als eine soziale Praxis kennzeichnen: Ihr Medienverhalten hat sich im Vergleich zu früher deutlich reduziert, findet aber sonst mehrfach statt und ist an den Besuch bei ihrem Vater gekoppelt, da sie zuhause dem erzieherischen Einfluss der Mutter ausgesetzt ist, der zweifach zum Ausdruck kommt: Zum einen in dem Appell, es nicht zu übertreiben ("dann spielst du zuviel"), zum anderen in dem Hinweis, sie wisse sehr genau über den Habitus von Carola Bescheid ("ich kenn dich"). Darüberhinaus sieht sich Carola mit dem Anspruch konfrontiert, einer formalen Bildungsverpflichtung nachzukommen, deren Erfüllung das Spielen an der Playstation nicht nur entgegen zu stehen scheint, sondern sogar vollkommen aushebelt, weil sie dann "GAR" nichts mehr macht. Deutlich wird hier, wie sich in Carolas Orientierung ein medienbezogenes Verhalten in Abhängigkeit von erzieherischen Interventionen entwickelt, die es begleiten und versuchen, zu beeinflussen und zu reglementieren, was ihr auch sehr bewusst ist. Darin dokumentiert sich, wie Carola den Umgang mit Medien in Relation zu einer sozialen Perspektivenreziprozität darstellt, in dem sich generalisierte Medienwirkungen als ein Resultat von sich wechselseitigen Bedingungen darstellen. So schildert sie hier spiegelbildlich einen Modus, in dem auch Melanie (siehe unten) das Medienverhalten ihrer eigenen Kinder regulieren wollen würde, nämlich durch elterliches Aufpassen und elterliche Erziehungsversuche. Solchen erzieherischen Interventionsversuchen sieht sie sich Carola real ausgesetzt und diesen versucht sie aktiv zu entgehen, in dem sie sich auf den Weg zu ihrem Vater begibt, um dort ungestört und fern von einer intentionalen Medienerziehung ihre "Lieblingsspiele" zu spielen. Eine Wertung ihres Verhaltens als Sucht erscheint ihr daher auch wenig bedeutsam. Vor allem sieht das in frage stehende Suchtverhalten als ein individuell verantwortetes und absichtsvolles Verhalten an, das sich nicht schicksalhaft gleichsam ereignet (wie etwa sich etwa im Fall von Zeynep zeigt) und auf das eine autoritäre Grenzsetzung erfolgt, der man sich -wie Zeynep -gehorsam zu fügen hat. Im Gegensatz dazu gibt Carola Ursachen in Form von sozialen Bedingungsfaktoren an, die ihr Medienverhalten als Resultat wechselseitiger Interaktionen einer Erziehungspraxis kenntlich machen. Dass sie Computer spielt, hat gewissermaßen Gründe, die in der Sphäre der bewussten Aushandlung eigener und fremder Perspektiven, das heißt in der sozial bedingten Herbeiführung bzw. Genese eines bestimmten Rezeptionsverhaltens, liegen. Somit ist Medienverhalten für Carola ein Phänomen, das in seiner Regulierung über eine Abhän-gigkeit von reziproken Perspektiven entwickelt und ausprägt. Eine Form der "Mediensucht", über deren möglicherweise Vorhandensein bei sich selbst sie sich belustigt entwickelt sich nicht einfach so, sondern entsteht, indem sie sich bewusst der Perspektive der Mutter und ihren erzieherischen Appellen entzieht, sich also gleichsam unerzogen verhält und ganz einfach einen anderen Ort aufsucht. Bisher deutete sich an, wie Medien im Orientierungsrahmen reziprok vermittelter sozialer Beziehungen und Perspektiven bewertet werden, der darauf abzielt, welche soziale Wirkung Medienbotschaften auf die Interaktion zwischen Akteuren haben und welche sozial Beziehungen wiederum die Hinwendung zu Medienangeboten evozieren. Diese Sichtweise auf Medien und ihre Rezeption bzw. Wirkung zeigt sich auch da, wo Carola berichtet, sie habe während der Besuche im Internetcafe bereits mehrfach unfreiwillig mit pornographischen Inhalten im Netz zu tun gehabt: (73) C: (2) ((seufzt)) Ach es gibt da SO VIEL ((lacht)). Also ((lacht)) manchmal ist es auch blöde wenn man chatten geht oder so, dann kommen manchmal so Sexseiten auch, also das ist voll beschissen irgendwie. Also dann kommt man manchmal so schwer RAUS aus den Seiten. Und dann denken die ich habe das extra gemacht, manchmal so, das ist voll bescheuert. Obwohl die Seiten mich gar nicht interessieren. Neben dem, dass sie das plötzliche Auftauchen pornographischer Internetseiten als ein instrumentelles Handlungsproblem wahrnimmt -man kommt "schwer RAUS aus den Seiten" -ärgert sich Carola darüber, dass sich auf diese Weise die Einstellung Anderer ihr gegenüber modifizieren, anders formuliert: dass sie auf diese Weise in eine Wahrnehmung anderer gerät, die objektiv nicht der Wirklichkeit entspricht. Was sie hier "voll bescheuert" findet ist, dass Andere denken, sie rezipiere Webseiten mit sexuellem Inhalt absichtsvoll, obwohl diese sie "gar nicht interessieren". Insofern kommt es hier zu einer Schieflage der wechselseitigen sozialen Perspektiven, die sie selbst in sozialen Misskredit bringt und sie bloßstellt -deswegen ist sie auch darum bemüht, die entsprechenden Seiten möglichst schnell "irgendwie WEG zu klicken" (75). Auch hieran dokumentiert sich, wie Carola vor allem die sozialen Folgeerscheinungen von Medienangeboten bzw. die soziale Einbettung ihrer Wirkung thematisiert. Diese Orientierung lässt sich auch dort herausarbeiten, wo Carola die Informationsfreiheit des Internet als ein Phänomen beurteilt, das die Möglichkeit in sich birgt, dass anderen Schaden zugefügt wird. Was sie stört, ist, dass es aus ihrer Sicht offenbar Urheber von Medienangeboten gibt, die sich keine Gedanken über die Folgen ihres Handelns auf seiten der Nutzer machen: (122) C: Also okay, das finde ich NICHT so toll, wenn man jetzt macht-so zum Beispiel so Sachen verbreitet oder so. Manche sind ja auch so, die, das hat man ja jetzt auch wieder im Fernsehen gehört, die geben irgendeine SEITE an, und da steckt ein Virus drin. Also wenn man dann auf diese Seiten geht, hat man dann gleich das Problem, also das finde ich schon ein bisschen (2) SCHEISSE. Weil manche Viren sind ja schwer rauszukriegen, also wir HATTEN schon mal, so weit ich mich erinnern kann, HATTEN wir schon mal ein Virus, aber den haben wir rausbekommen. Also der Freund von meinem Onkel hat den Virus dann irgendwann mal rausbekommen, so weit ich mich erinnern kann. Ja. I: Und das findest du nicht so gut, dass das so-C: Nee, weil das ist ja, was soll denn das bringen? Also (2) I: Mhm, na ja, warum macht man das? // C: Ja deswegen. // I: Und wer das macht, hast du da eine Idee? // C: ((seufzt)) Weiß ich nicht. Kranke, würde ich dazu sagen, ja. Die Langeweile wahrscheinlich haben. Und nichts anderes zu tun haben. An der Existenz von Viren enthaltenden Webseiten nimmt Carola -ähnlich zur obigen Passage -zunächst hauptsächlich deshalb Anstoß, da ihr durch das Aufrufen derartiger Seiten ein unmittelbares medienbezogenes Handlungsproblem erwächst, denn der Virus ist "schwer rauszukriegen". Hier erscheint also die Frage nach der ungehinderten Verbreitung von Medieninhalten ähnlich wie auch in den Fällen von Andreas und Olaf zunächst als eine technisch-strukturelle. Anders als die Jungen aber evaluiert Carola das Online-Stellen von schädigenden Inhalten viel stärker vor dem Hintergrund dessen, welche Folgen dies für sie selbst hat, zumal sie selber nicht genau weiß, wie sie (technisch) damit umzugehen hat, sondern der Hilfe anderer bedarf. Es ist ihr negativer Gegenhorizont, dass "die" (gemeint sind hier offensichtlich die Verantwortlichen von Viren-Seiten) sich aus Carola Sicht einer Freiheit bedienen, die diejenige ihrer eigenen Internetnutzung behindert, worunter sie selbst zu leiden hat, zumal sie auch -für eine Weile -handlungsunfähig gemacht wurde, solange nämlich, bis ein Bekannter den Virenbefall ihres Computers "irgendwann mal" behoben hat. So steht im Zentrum der sich hier andeutenden Orientierung eine Kritik, sich eine Schwierigkeit einzuhandeln, die ein Anderer bewusst bzw. willentlich verursacht hat. Die Frage nach der Verantwortung wird zu einer personalen, denn Carola sieht diejenigen digitalen Angriffe, derer sie selbst sich nicht erwehren kann, von realen Personen verursacht; deren Verhalten deutet sie als pathologisch, was hier einem Mangel an Handlungsalternativen entspricht, aus dem sozial dysfunktionales Handeln resultiert. Der Datenfluss des Internet wird hier als eine Sphäre intentionalen Handelns gedeutet, das eine Missachtung der Handlungssphäre anderer mit sich führt. Darin dokumentiert sich, inwiefern es Carola um ein aus ihrer Sicht offensichtlich nicht vorhandenes Bewusstsein von Medienanbietern für die Effekte geht, die daraus auf einer sozialen Handlungsebene resultieren. Ein weiteres Dokument dieser Orientierung zeigt sich auch in Carolas Beurteilung von gewalthaltigen Inhalten im Netz. Woran sie sich abarbeitet, ist die von ihr wahrgenommene Tatsache, dass der Akt der Brutalität einer von ihr beschriebenen Mordszene bildlich veröffentlicht und dadurch zugänglich gemacht wird: (130) I: Es gibt ja auch viele andere Sachen im Internet, die so, also so Gewalt-Seiten zum Beispiel. Was sagst du dazu? C: Ja also (2) ja was soll ich dazu sagen, ja also? Puh ((seufzt)) ((lacht)) Na, also jetzt zum Beispiel, im Moment hier mit so, die zeigen ja Seiten, also das war auch im Fernseher glaube ich, wo (2) die Araber oder so von so einem Japaner jetzt richtig den Kopf abschlagen. Das finde ich auch ein bisschen krank, dass sie das auch noch in einer Internet-Seite zu zeigen. Und wer sich DAS dann noch ansieht, vielleicht das dann auch noch GUT findet. Also ich weiß auch nicht (2) Das ist so ein bisschen, also schon KRASS eigentlich. Dass die sich das trauen, im Internet zu zeigen. Außerdem, woher sollen die wissen wie die anderen Leute darauf reagieren? Also von daher. Bei der von ihr geschilderten Szene handelt es sich aus Carolas Sicht offenbar um reale Geschehnisse, die hier gezeigt werden ("richtig den Kopf abschlagen"). Darstellungen dieser Art sind, so meint sie, ohnehin bereits massenmedial im Umlauf ("Fernseher") und von daher sehr präsent. Deshalb empfindet es Carola als "krank", dass etwas ohnehin Verbreitetes zusätzlich "auch noch" auf einer Internetseite erscheint, dass also, so lässt sich interpretieren, der Nutzer Gewalt auf vielen Kanälen bzw. multimedial angeboten bekommt. So kann die mediale Darstellung und Verbreitung von brutalen Inhalten für Carola die Konsequenz haben, dass dies auf Nutzer stößt, die Interesse an einer entsprechenden Rezeption haben. Problematisch erscheint ihr deshalb nicht nur die Existenz jemandes, der entsprechende Angebote rezipiert, sondern selbige auch noch für sich "GUT findet", also eine positive Haltung gegenüber dem Gesehenen einnimmt. Deutlich wird daran, dass es Carola eben nicht nur um den Rezeptionsakt als solchen geht, sondern vor allem auch um die Einstellung, die sich daraufhin verändert. Diesbezüglich äußert sie sich resignativ ("ich weiß auch nicht"), gerade weil sie im Folgenden vor dem Hintergrund argumentiert, dass man eben nicht genau wissen kann, wie es um die Reaktion der Nutzer bezüglich der Rezeption bestellt ist. Den Anbietern von Medienangeboten kann es aus ihrer Sicht überhaupt nicht gelingen, die Reaktion der Nutzer abzuschätzen; eine wechselseitige Perspektivenübernahme ist nicht möglich, um den Effekt der Medienangebote im Kopf der Nutzer überhaupt abzuwägen. Aus Sicht der Medienanbieter erscheint der Nutzer hier gerade nicht als eine Art black box, sondern als ein eigenlogisch reagierendes Subjekt, das die Angebote auf seine Weise deutet (und vielleicht eben auch positiv übernimmt bzw. gut findet). Gerade weil man darüber aber nichts weiß, erscheint ihr nicht nur der Akt des Zeigens "krass", weil es möglicherweise zu einer Perspektivenübernahme kommt, sondern auch der Umstand, dass sich von ihr nicht näher beschriebene Medienanbieter "sich das trauen". Wer sich etwas traut, geht ein Wagnis ein; er betritt unbekanntes Terrain, kann die Folgen seines Handelns nicht exakt vorausberechnen und nimmt Ungewissheiten in Kauf. Genau dies tun nach Carola die Medienanbieter. Sie wagen es, etwas Brutales zu zeigen, obwohl ihnen die Reaktion der Rezipienten ungewiss ist. Der Ausgang dieses Wagnisses ist völlig offen -man weiß nicht "wie die anderen Leute darauf reagieren". Eine Antizipation der Effekte des Zeigens kann nicht gelingen; anders formuliert: Reziprozität kann nicht gewährleistet werden. Damit erfolgt Carolas Bewertung von gewalthaltigen Inhalten homolog zu den von ihr beschriebenen Virenangriffen im Internet: sie artikuliert sich vor dem Hintergrund, was das Dargestellte bzw. Transportierte möglicherweise mit anderen macht bzw. welche Effekte es auf die Perspektive Anderer hat. Bezüglich Carola Medienbewertung zeigt sich hier: Ein problematisches Medienangebot ist vor allem deswegen problematisch, weil das Rezeptionsgeschehen insgesamt nicht so gestaltet ist, dass die Folgen der Rezeption direkt erfahrbar sind. Deutlich wird allerdings auch ein Dilemma, das zeigt, wo die Grenzen dieser Orientierung liegen, die Carola auch bewusst sind. Denn im Prinzip müsste man bezüglich einer Änderung dieser Situation da anfangen, wo die jeweilige Quelle des Problems liegt und direkt dort einen Perspektivenwechsel herbeiführen. In diesem Sinne spielt Carola gedankenexperimentell einen Appell an die in ihrem Beispiel vorkommenden Aggressoren durch: (132) I: Und hast du eine Idee was man dagegen machen könnte? C: Nee, ich denke mal man KANN ja nichts dagegen machen. Man ja nicht da hin gehen, jetzt extra irgendwie nach Arabien fliegen, und sagen jetzt "hört auf damit!". Nee, also was soll denn das bringen? Krieg führen bringt auch nichts, also. (3) Die Darstellung von Gewalt und Brutalität ist demnach deshalb so gut wie nicht zu verhindern, weil diese Verhinderung für Carola eigentlich über das Prinzip der direkten Perspektivübernahme erfolgen sollte, wobei sie sich vorstellt, diese mittels eines erzieherischen Appells in die Tat umzusetzen. Gleichzeitig ist ihr bewusst, dass dies praktisch gar nicht umsetzbar ist: Man kann die Verantwortlichen nicht direkt erziehen, denn man kann sich nicht direkt zu ihnen hinbegeben ("nach Arabien fliegen") und mit ihnen in direkten kommunikativen Austausch treten, um auf sie einzuwirken, indem man ihnen die eigene Botschaft bzw. die eigene Sichtweise/Perspektive übermittelt ("hört auf damit"). Was hier von Carola resignativ verneint wird, macht zugleich den Kern ihrer Orientierung aus: Eine Regulierung der Medienangebote erfolgt darin vor dem Hintergrund einer gemeinsamen kommunikativ geteilten sozialen Praxis. In dieses Muster ordnet sich auch Carolas pazifistisch konnotierter Schlusssatz ein ("Krieg führen bringt auch nichts"), welcher anstelle des Ausübens von struktureller Gewalt eine personenbezogene Perspektivenreziprozität einfordert, die auf kommunikativem Wege als umsetzbar gedacht wird. Das Resultat übermäßigen Medienverhaltens erscheint ihr logisch, einer mathematischen Gleichung ähnlich, mit der man die vorhandene Zeit und die darin stattfindenden Aktivitäten in eine Relation bringt. Indem sie sich also implizit gleichsam auszurechnen versucht, was mit Subjekten geschieht, die den "GANZEN TAG" am Computer verbringen, signalisiert sich ein positiver Gegenhorizont: Er besteht darin, sich in andere hineinzuversetzen und ihr Verhalten in Bezug auf soziale Effekte hin wahrzunehmen. Als negativer Gegenhorizont erscheint hier eine Tätigkeit, die, ähnlich wie im Fall von Vanessa, eine Beschäftigung mit anderen in Form einer sozialen Praxis vernachlässigt. Dieses Verhalten als negativ wertend wechselt sie dann in den Konjunktiv und imaginiert eine Situation, in welcher sie selbst in der Rolle einer Erziehungsberechtigten mit einem solchen maßlosen Verhalten konfrontiert wäre. Die ihr schutzbefohlenen und von ihr zu erziehenden eigenen Kinder würden das infrage stehende Verhalten demnach kaum ausbilden, da sie es ihnen nicht erlauben, in anderen Worten: gestatten bzw. ermöglichen würde, sich übermäßig viel mit dem Computer zu beschäftigen. Deutlich wird hieran, wie sich Melanie daran orientiert, das in frage stehende Verhalten mit gedanklichen Handlungsalternativen, in diesem Fall ihren eigenen erzieherischen Eingriffen, zu relationieren und in Wechselwirkung zueinander zu bringen. Auch bei der Bearbeitung des Themas Amoklauf greift sie auf diese Orientierung zurück: (284) M: Ja, das ist AUCH schlimm, also, man sollte schon wissen-, also ich finde es zum Beispiel SCHON gut, wenn die Eltern wissen, auf was das Kind für SEITEN geht. Ich meine MAL ist es ja erlaubt, so ´ne Ballerspiele zu spielen oder, aber wenn ich MERKE, dass mein Kind ständig nur noch DAS spielt, dann würde ich das meinem Kind auch nicht erlauben. Weil ich dann auch denken würde, er lässt sich davon beeinflussen, oder, er kommt auf dumme Gedanken oder so. Dann würde ich das mein Kind auch nicht machen lassen. I: Meinst du denn, das kann dazu führen, dass tatsächlich jemand so [einen Amoklauf da-] M: [Ja, zum Beispiel] vielleicht, wenn die das lustig finden, es gibt ja so `ne, die das lustig finden, wenn jemand erschossen wird oder so, und sich da wirklich richtig hineinsteigern, dann würde ich SCHON denken, ja dass manche das machen würden, vielleicht, die auch nicht so ganz im Kopf sind. ((lacht)) (2) I: Und was meinst du, sollte man das Spiel jetzt verbieten? Oder-M: Nein also, verbieten würde ich das NICHT, aber ich würde halt auf mein Kind AUFPASSEN, auf was das für SEITEN geht. Also, ICH bin auch der Meinung, die Eltern sind AUCH schuld, weil die müssen das schon kontrollieren. Die von ihr oben angesprochenen erzieherischen Interventionen sind hier damit verbunden, dass bereits frühzeitig Einblicke in die Medienpraxis des zu Erziehenden bestehen, das heißt bevor es überhaupt zu einem Eklat kommen kann. Dies gelingt für Melanie über ein "Wissen" über die Inhalte und Vorlieben des "Kindes" bezüglich der Medien. Auf diese Weise stellt sie wiederum eine Perspektivenreziprozität her, denn einerseits konzediert sie, dass das Kind über eine ausgebildete und ggf. stabile Medienpraxis ver-fügt, die andererseits also solche zunächst nicht angetastet oder erzieherisch überformt werden sollte, sondern über die man sich erst einmal grundlegend informieren müsse. Entscheidend ist hier, dass man voneinander weiß, dass also Einblicke in eine zu begleitende Medienpraxis bestehen. Dabei konzediert Melanie sogar, diese Medienpraxis dürfe auch Elemente enthalten, denen sie selber eigentlich ablehnend gegenüber steht ("so 'ne Ballerspiele"). Die Rezeption gewalthaltiger Mediendarstellungen per se hält sie also für unproblematisch und würde ihn selber auch -in Maßen -billigen. Dieser Aspekt verhält sich spiegelbildlich zur Argumentation von Timo, der ebenso auf das Vorhandensein eines subjektiv verinnerlichten Regelmaßes abgestellt hatte, nur dass Melanie dieses hier quasi von außen -in ihrer imaginierten Mutterrolle -erzieherisch in ihr wiederum imaginiertes Kind hineinzuverlagern gedenkt. Wichtig ist ihr außerdem, dass ein Gewalt implizierendes Medienangebot die Medienpraxis weder dominieren noch zum alleinigen Gegenstand selbiger werden darf ("nur noch DAS"). Es geht ihr also um eine Ausgewogenheit, an der für sie entscheidend ist, aus einer Fremdperspektive auch selber Anteil daran zu haben, indem der infrage stehenden Medienkonsum begleitet wird, um dann "merken" zu können, wann die normativ gewünschte Ausgewogenheit kippt. Erst in diesem Fall plädiert sie für einen reglementierenden Eingriff bzw. würde diesen selbst (als Mutter) vornehmen wollen. Eine erzieherische Intervention ist demnach für Melanie an das tatsächliche Vorhandensein einer als gefährlich wahrgenommenen Medienpraxis gekoppelt, deren Genese aus Sicht einer diese Praxis begleitende und sich darum sorgende Perspektive mitverfolgt wird und ihr insofern (rechtzeitig) bekannt ist. Dass jemand so weit durch ein Computerspiel beeinflusst wird, dass es zum Ausagieren aggressiver Handlungen kommt, ist für Melanie "vielleicht" möglich, und zwar unter derjenigen Bedingung, dass jemandes subjektive positive Emotion in einen drastischen Gegensatz zu einem für sie zweifelsfrei brutalen Geschehen gerät (man es eben "lustig findet, wenn jemand erschossen wird") oder wenn das eigene Lusterleben sich sogar noch verstärkt -sich die Betrachter da nämlich "wirklich hineinsteigern". Worum es Melanie hier geht, ist, dass Haltung und Wahrnehmung des Subjekts mit dem Beobachteten in eine aus ihrer Sicht stimmige Passung gebracht wird -dass sich also, wie sich bereits oben andeutete, eine Reziprozität der Perspektiven ausbildet. Dieses Prinzip ist für Melanie offenkundig verfehlt, wenn sich jemand über die Tötung eines anderen Menschen belustigt; infolgedessen, jedoch erst dann, hält sie dann "SCHON" auch einen gewalttätigen Effekt eines "Ballerspiels" für denkbar. Während ihr ein Verbot des entsprechenden Spiels nicht zielführend ist, orientiert sie sich auch weiterhin an Prinzipien von erzieherischer Fürsorge und Kontrolle. Eine etwaige medienbezogene Verhaltensregulierung bedarf daher weniger der Grenzsetzung als solcher, diese ist eher ultima ratio; viel eher geht es ihr um ein "Aufpassen" -was synonym gebraucht werden kann zu darauf achtgeben und wachsam sein -was sich für Vorstellungswelten und Bewertungsmuster sich beim Anderen infolge der Medienrezeption konstituieren. Damit validiert sich erneut ihre Orientierung am Prinzip der sozialen Perspektivenreziprozität: Fokussiert ist darin die Forderung nach einem Bewusstsein darüber, welche Gedankenwelten sich im Kopf des anderen ausbilden und das in Rechnung Stellen des eigenen Anteils daran. Damit konstitutiert sie eine Vorstellung des Subjekts, nach der diesem die Gefahr des abweichenden Verhaltens inhärent ist, und 395 das deshalb einer in sozialem Miteinander aufgehobener Fürsorge und der Beobachtung bedarf. Eine möglicherweise negative Medienwirkung ist demnach in Melanies Orientierung kein individuelles Phänomen, sondern ein soziales, an welchem die alteritäre Perspektive mit "schuld" ist, wenn sie die Aufgabe verantwortungsvoller Begleitung und rechtzeitiger Intervention nicht wahrgenommen bzw. verfehlt hat. Ganz in diesem Sinne äußert sie auch sehr grundsätzlich und betont ("ICH bin der Meinung"), dass eben nicht nur der Einzelne für sein Handeln verantwortlich zu machen sei, sondern dass es sich um ein gemeinsames Geschehen Abgesehen davon, dass sich Melanie darüber wundert, dass die Möglichkeiten der Partizipation prinzipiell jedem Internetnutzer -und damit auch ihr -offen stehen, möchte sie bezüglich der Informationsfreiheit des Internet die Möglichkeiten des Veröffentlichens am liebsten exklusiv halten bzw. von ihrer Erlaubnis abhängig machen, dass sie im Prinzip vorher weiß, dass derjenige dann auch "Ahnung" von dem hat, was er tut, damit kein "doofes Zeug" in die Internetsphäre gelangt. Sie begründet dies im Folgenden mit dem Verweis auf die Existenz von mitunter benachteiligenden und herabwürdigenden Inhalten: (251) I: Ja. (2) Warum würdest du das nicht jedem erlauben? M: Weil, ich meine (2), manchmal ist es auch diskriminierend, oder halt es nicht SCHÖN, was die schreiben, und dann würde ich wirklich nur DIE machen-, okay, man KANN zum Beispiel über Stars doofe Sachen schreiben, aber das sollte schon in Grenzen sein und nicht jetzt zum Beispiel dass kleine Kinder das lesen, das ist NICHT schön. Zwar findet es Melanie in Ordnung, wenn über "Stars" mitunter Positionen veröffentlicht würden, die sie "doof" findet, vor allem aber sorgt sie sich um eine mögliche Rezeption durch "kleine Kinder"; deshalb wünscht sie sich eine Reglementierung in gewissen "Grenzen", was einer Aufforderung entspricht, dass die anbietende Seite (also die Produzenten von fragwürdigen Inhalten) mögliche Verhaltensweisen auf Seiten der Nutzer reflektieren sollte. Es geht ihr demnach um die Forderung nach einer Art von Reglementierung, welche sich aus dem Bewusstsein für die Folgewirkungen auf Nutzerseite legitimiert. Direkt auf die Existenz von gewaltverherrlichenden Darstellungen im Internet angesprochen wird wiederum deutlich, dass sie befürchtet, es könne bei der Rezeption von problematischen Inhalten zu einer Perspektivenübernahme kommen: (258) M: Ja, das ist NICHT schön. Aber ich GEHE auch nicht auf solche Seiten, aber TROTZDEM, das sollte man-, deswegen meinte ich ja, nicht JEDER sollte auf so eine Seite kommen. I: Meinst du das ist, äh, warum sollen die Leute das da nicht rein schreiben? Warum nicht? M: Weil, manche Leute lassen sich davon beeinflussen. Und die können halt nicht ihre EIGENE Meinung-, und wenn sie jetzt das da LESEN, dann sagen sie das auch "ja ja klar, Nazis sind gut oder so", obwohl die das gar nicht SIND. Die haben keine Ahnung davon. Und ja, die sind wirklich schon-das ist nicht schön (2) Sich vorstellend, dass aus der Rezeption entsprechender Angebote eine kritiklose Übernahme resultiert befürchtet sie hier manipulative Wirkungen der Medien, die sich in Form von Kognitionen auswirken und die Nutzer darüber quasi verblenden, vor allem dann, wenn diese eigentlich gar "keine Ahnung" von der Materie haben. Es geht ihr also um mögliche Einstellungen, die sich infolge der Rezeption beim Nutzer ausbilden können und an deren normativem Gehalt sie interessiert ist. Worum sie sich sorgt, ist wiederum ein möglicherweise stattfindender Perspektivenwechsel, der sich nach dem "LESEN" rechtsradikaler Webseiten bei "manchen Leuten" einstellt. Sichtbar wird auch in dieser Passage, wie Melanie über das Verhalten Anderer räsoniert, worin erneut deutlich wird, inwiefern sie ihre eigene Perspektive auf Medienangebote mit derjenigen anderer zu verschränken sucht. So wünscht sie sich etwa, dass eben "NICHT JEDER" auf Webseiten mit gewalthaltigem Inhalt kommen möge. Darin dokumentiert sich, wie sich Melanie an der negativen Beeinflussung der Gedankenwelt anderer durch die Übernahme einer aus ihrer Wahrnehmung heraus gesehen objektiv falschen Sichtweise abarbeitet ("obwohl die das gar nicht sind"). Diese erzieherische Haltung den Medienangeboten und den Nutzern gegenüber erklärt sich somit erneut -analog zu oben -daraus, dass die Rezeption von Angeboten für Melanie eine fragwürdige Vorstellungswelt im Kopf des Nutzers entstehen lassen kann; eine Vorstellungswelt, die aus ihrer Sicht nicht mit einer von ihr angenommenen tatsächlichen Sichtweise übereinstimmt. Anhand eines eigenen Erlebnisses erzählt sie daraufhin, warum sie die einfache, völlig voraussetzungslose Zugänglichkeit zu entsprechenden Angeboten für sehr problematisch hält: (262) M: Mhm (2). JA, es gibt eine Seite, die heißt genauso wie ICH und das kotzt mich VOLL AN. ((lacht)) Also-warum GIBT'S so was? (2) I: Was ist das für eine Seite? M: Das ist auch da, so eine Frau, eine NACKTE Frau, und als wir im-noch ITG hatten, ja da hat so ein Junge aus meiner Klasse auch einfach so www und dann meinen Namen .de eingegeben. Da kam dann so eine Pornoseite, also das ist schon wieder-((lacht)), das finde ich NICHT schön. // I: mhm // M: Mein NAME, ja ((lacht)). I: Ja, das finde ich auch nicht schön. M: Ja dann haben die halt so "Melanie, was machst DU denn da?" und so. Ja, das fand ich nicht so gut, also, so was finde ich nicht schön. In der hier geschilderten Begebenheit liegt für Melanie eine drastische Grenzübertretung, die ihre Haltung verdeutlicht, dass Medienangebote die persönliche Integrität derart verletzen können, dass dies einer öffentlichen Bloßstellung gleichkommt. 182 In Wechselwirkung stehen hier die Existenz von Medienangeboten, eine umstandslose Nutzung selbiger und die daraus resultierende soziale Situation. In dem von ihr erzählten Beispiel bedienen sich z. B. ihre männlichen Mitschüler der Zugänglichkeit zu pornographischen Webinhalten, um sie gezielt zu demütigen. An diesem Verstoß gegen die Achtung ihrer Person und ihrer Würde stört Melanie vor allem, dass er aufgrund der Nicht-Reglementierung der Inhalte überhaupt realisierbar ist -man kann sie "einfach so" aufrufen. Darin dokumentiert sie erneut eine Orientierung, in deren Mittelpunkt die Sorge darum steht, welche sozialen Folgen ein unreflektierter und verantwortungsloser Umgang mit Medienangeboten haben kann. Bezüglich der Medieninhalte ist entscheidend, dass der Umgang anderer mit diesen Inhalten zum zentralen Problem wird: So ist es nicht nur die Existenz pornographischen Seite bzw. die Möglichkeit, diese durch Eingabe ihres Eigennamens einfach so aufrufen zu können, woran Melanie sich abarbeitet, sondern vor allem auch die Situation, dass dies tatsächlich jemand in ihrer Gegenwart getan hat ("Junge aus meiner Klasse") und sie auf diese Weise persönlich brüskiert. Damit bestätigt sich erneut, dass es Melanie um den (negativen) sozialen Effekt geht, der von einem Mediengebrauch ausgehen kann und sich beispielsweise, wie hier geschildert, in einem sozialen Geschehen äußert, das sich als Verletzung der Würde ausprägt. Was hier den Kern von Melanies Erfahrung ausmacht ist nämlich, dass das Eingeben der Sexseite erfahrbar wird -und zwar dergestalt, dass die anderen aus der Klasse daraus noch ein -aus Sicht der Jungen offenkundig lustiges -Ereignis machen ("was machst du denn da?"). Erst dadurch fühlt sie sich bloßgestellt. Was sich aus Sicht von Melanie demnach abgespielt hat, ist das Erleben einer beschädigten sozialen Praxis. Vor diesem Hintergrund konturiert sich auch erneut ihr negativer Gegenhorizont, dass nämlich jemand ein Medienangebot so wahrnimmt, deutet und zum Anlass seines Handelns nimmt, dass eine andere Person -in diesem Fall sie selbst -darunter zu leiden hat. Insofern sind innerhalb von Melanies Orientierung auch nicht die Medien als solche das hauptsächliche Problem oder das eigentliche Thema, sondern die soziale Praxis, in der bestimmte soziale Effekte infolge des Umgangs mit Medien auftreten. Damit wird ein Bestandteil ihres negativen Gegenhorizontes sichtbar, nämlich sich über Gebühr mit etwas zu beschäftigen, was keinen Wert hat. Sie begründet ihre Haltung mit einer finanziellen Belastung, welche durch langes Surfen der Kinder auf seiten der Eltern verursacht. Zum Ausdruck kommt hier eine Abwehr von solchen Verhaltensweisen, mit welchen die Erziehungsberechtigten als eine natürlich gegebene Autorität gleichsam zum Zweck des eigenen Vergnügens ausgenutzt werden. Insofern orientiert sich Sunay an einer Dyade aus persönlicher Verschwendung und Missachtung elterlicher Autorität. Hier zeigt sich im Übrigen ein Zusammenhang zu ihrer an anderer Stelle gemachten Aussage, die Quantität ihrer eigenen Chatpraxis habe sich infolge einer verbalen Zurechtweisung durch die Mutter reduziert ("früher hat meine Mutter mich dann abends dann schon manchmal angeschrien ‚ja geh' jetzt raus!' und so, ‚was machst du denn da so lange'", 81). Dass sich übermäßiges Medienverhalten überhaupt ausprägen kann, liegt für Sunay daran, dass man seine Zeit "wegschmeißt", diese also im Prinzip wie etwas Unwertes bzw. wie Müll behandelt, dessen man sich entledigt, wenn man real über keine anderen Handlungsalternativen verfügt. Dem gegenüber stehen für sie aber sehr wohl Möglichkeiten, seine Lebenszeit in die Hand zu nehmen, welche sie zweifach artikuliert: zum einen in der Erfüllung schulischer Bildungsansprüche, und damit der Anerkennung einer institutionellen Verpflichtung, derer man sich bewußt sein sollte ("Hausaufgaben"); zum anderen in der Unterstützung häuslich-familiärer Strukturen bzw. eines sich darin Einbringens und Betätigens ("im Haushalt mithelfen"). Dass diese beiden Handlungsoptionen -deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass es sich um eine Unterordnung unter fremdgesetzte Verpflichtungen handelt -nicht wahrgenommen werden, liegt für Sunay vorrangig an den Eltern, die diese Situation überhaupt erst zugelassen haben. Sie handeln verwerflich, weswegen sie von Sunay vorwurfsvoll daran erinnert werden, einmal "aufzupassen", wie sie handeln. Das infrage stehende (Medien-)Verhalten ist für sie demnach weniger eine individuelle Fehlleistung des Subjekts als vielmehr einerseits durch die Erziehungsberechtigten und deren Verhalten hervorgerufen bzw. verantwortet. Andererseits erklärt sie die Genese durch eine fehlgeschlagene Anpassung des Verhaltens an externe Erfordernisse und Verpflichtungen. Als verabscheuungswürdig empfindet sie daher auch ein solches Verhalten, das sogar noch damit prahlt, genau diese Anpassungsleistung nicht erbracht zu haben und sich in selbstgefälliger Angeberei noch damit brüstet, mal wieder "VOLL LANGE" im Internet gewesen zu sein, obwohl doch andere Verpflichtungen bestanden, die hätten erledigt werden müssen und deren Erfüllung somit verletzt wurden. Sie kann kaum nachvollziehen, was den Reiz ausmacht, sich gerade diesen Verpflichtungen entzogen zu haben, vielmehr relationiert sie das infrage stehenden Verhalten in Bezug auf eine Abweichung, dessen Aktualisierung sie sogar "ängstlich" macht. Dass sie von Angst spricht, deutet implizit an, dass sie es als Bedrohung empfindet, wenn ein Handlungsmodus der Einordnung in ein Schema von Disziplineinhaltung angesichts einer strikt asymmetrischen Eltern-Kind-Konstellation in Form einer maßlosen Hingabe an ein Mediengeschehen infragegestellt wird. Dass es Sunay um einen Verhinderungsmechanismus zur medienbezogenen Verhaltensregulierung geht, reproduziert sich auch in der Passage zur Freiheit von Internetdarstellungen: 401 (209) S: ((seufzt)) Also ich finde das ganz unterschiedlich. Aber, na ja also wenn es WIRKLICH jetzt was Kreatives ist, oder wenn es was Sinnvolles ist dann ist es okay. Aber wenn es halt nur dummes Gespött oder so ist, dann finde ich das halt negativ. Weil, ich weiß nicht, na ja Internet ist doch eigentlich auch dazu da um was zu lernen. Meistens, also wenn es zum Beispiel um das schulische geht. Und wenn die da so irgendeinen Quatsch reinpacken, dann wird man, für Kinder halt, wirklich so zurückgeblieben ((lacht)), sage ich mal so. Und manche drucken das halt wirklich aus, und dann kriegen sie in der Schule eine schlechte Zensur dafür. Und ich weiß nicht, also man sollte schon NACHdenken, was man ins Internet wirklich so alles reinstellt. In Ordnung sind für Sunay Inhalte, die tatsächlich schöpferischen Charakter haben oder bestimmten Sinn haben. Dem gegenüber stehen für sie unnütze Formen der Kommunikation ("dummes Gespött"). Das Internet darauf verpflichtend, eigentlich als ein Medium des Lernens wahrgenommen zu werden möchte sie dessen Nutzen hauptsächlich auf die Erfüllung schulischer Ansprüche eingeschränkt sehen. Füllten unpersönliche Andere das Internet jedoch mit diffusen und sinnlosen Inhalten füllen führt dies ihrer Erklärung zufolge zur Einschränkung der geistigen Entwicklung -man bleibt "so zurückgeblieben". Dies ist für Sunay verwerflich, weil es ein Versäumnis der Medienproduzenten darstellt, ein Informationsangebot zu präsentieren, das geradezu dazu führen muss, dass infolge einer Rezeption Verstöße der Nutzer gegen die ihrer Ansicht zu erfüllenden externen Anforderungen (hier: in der Schule gut bewertet zu werden) überhaupt zugelassen werden. Hierin liegt Äquivalenz zur vorigen Passage, in der sie Eltern vorwarf, durch ein Versäumnis, Kinder nicht rechtzeitig zu verpflichten, sich ihnen unterzuordnen (indem sie an Verbindlichkeiten erinnert und gebunden werden), gegen ihre Normalvorstellung einer Verhaltensregulierung verstoßen zu haben. Darin dokumentiert sich folgende Analogie: Durch das diffuse Medienangebot im Internet und seine Rezeption kann der eigentliche Entwicklungspfad des Nutzers, hinter dem er als Subjekt gerade nicht "zurückbleiben" sollte, in seiner Naturwüchsigkeit gestört werden, was -etwas salopp formuliert -dem Modell einer Pflanze ähnelt, über der sich saurer Regen ergießt: Diese nimmt dann gewissermaßen einen schlechten Entwicklungspfad, indem sie den sauren Regen aufnimmt und infolgedessen nicht mehr einer Idealvorstellung entspricht, wie sie eigentlich sein sollte. Übertragen auf die informationelle oder Medienumwelt bedeutet das, dass das Internet für Sunay eigentlich von schädlichen Inhalten frei bzw. rein gehalten werden sollte, da sonst ein Hineinwachsen in solche Verhaltensnormen tendenziell verhindert wird, die sie in Abhängigkeit zu sozialen Verpflichtungen entwirft. Das Subjekt erscheint hier als überaus anfällig für die Rezeption und weiterführende Nutzung aller möglicher Inhalte ("manche drucken sich das wirklich aus") -deshalb sollte den Nutzern gar nicht erst die Möglichkeiten dazu gegeben werden, zumal sie in dem Fall, dass sie ungehindert Medienangebote nutzen, bezüglich einer rollenförmigen Verpflichtung letztlich schlecht da stehen ("kriegen sie in der Schule eine schlechte Zensur dafür"). Es gilt aus Sunays Sicht also, den (vor allem kindlichen) Rezipienten zu schützen, dass er sich nicht einfach so der zur Verfügung gestellten Inhalte bedient bzw. bedienen kann und sich infol-gedessen auf eine Weise entwickelt, die nicht einem Hineinwachsen in eine Rollenmodell entspricht, das sich vorrangig durch die Übernahme von Verpflichtungen auszeichnet. Ihre Bewertung des von ihr oben so ambivalent beurteilten Informationsflow führt sie auf Nachfrage weiter aus: (211) I: Mhm, was ist denn so Quatsch für dich im Internet? Was würdest du denn da sagen? S: Keine Ahnung, ich weiß nicht, so, ich habe nur mal einfach so geguckt, und dann war da irgendwie George Bush, der irgendwie so was geredet hat, was richtig schwachsinnig ist, oder Saddam Hussein. Ja, der sich dann darüber freut dass er irgendwie die World Trade Center irgendwie eingekracht hat. Und dann machen die da so zwei World Trade Center, und dann so im Hintergrund so "Ha ha ha". Und ich finde so was richtig schwachsinnig. Man muss ja auch mal bedenken, wie viele Leute da ums Leben gekommen sind. Und das ist-finde ich nicht zu spaßen. "Quatsch" findet man demnach bereits dann, wenn man sich kurz und unverbindlich ins Internet begibt: Die von Sunay angeschaute Darstellung im Internet in Form der beiden politischen Akteure ist für sie "schwachsinnig": Bush habe irgendetwas Diffuses von sich gegeben, Hussein sich über den Angriff bzw. die Zerstörung des World Trade Centers amüsiert. Interessanterweise arbeitet sich Sunay aber nicht etwa an einer Bewertung der beiden inhaltlichen Positionen ab -beide sind gewissermaßen gleich "schwachsinnig", sondern an der Darstellung in ihrer Existenz als solcher. Es scheint ihr dabei viel weniger um eine z. B. moralisch konnotierte Bewertung der Darstellung zu gehen oder um die Frage, welche Spuren die Rezeption dieser Darstellung in Bezug auf mögliche Einstellungen oder Wahrnehmungen der Nutzer hinterlassen oder eine irgendwie geartete Vorstellungswelt bei ihnen entstehen lässt, die sozial problematische Folgewirkungen nach sich ziehen kann (etwa wie bei Vanessa oder Melanie). Viel eher geht es ihr um deren Gesamtbewertung als negativ. Woran Sunay ganz offensichtlich Anstoß nimmt, ist, dass man hier etwas auf eine Weise zeigt, die an dem wesenhaften Realismus des Geschehens aus ihrer Sicht völlig vorbeizugehen scheint. Denn der eigentliche Tatbestand des Attentats vom 09. September liegt darin, dass dort "viele Leute da ums Leben gekommen sind", und mit diesem Tatbestand ist "nicht zu spaßen". Dies wiederum lässt sich als ein Plädoyer dafür interpretieren, dass es keine andere Sichtweise auf dieses Geschehen geben sollte -auch keine satirische (wie man bezüglich ihrer Darstellung der von ihr beobachteten Szene vermuten könnte) -als eine solche, die den vermeintlich wahren Kerngegenstand thematisiert. Medien präsentieren dabei Inhalte auf eine Weise, das nicht einem Abbild der Wirklichkeit entspricht -somit geht das hier infragestehende Medienangebot an dem vorbei, wie es eigentlich sein sollte. Die von Sunay geschilderte Szene hat eine ganz eigene Sichtweise transportiert und damit etwas verfremdet. Indes befürchtet Sunay nicht, es könne zu einer Perspektivenübernahme kommen, etwa durch Rezipienten, die sich über etwas derart in Szene gesetztes amüsieren, sondern der Akt der medialen Darstellung als solcher ist für sie anstößig, weil er etwas anderes vermittelt als dasjenige Phänomen, um das es eigentlich geht. Die Rezeption solcher Angebote führt den Nutzer damit von ei-403 nem vermeintlich richtigen Blick auf die Dinge weg, denn er bekommt eine Bilderwelt zu sehen, die an der eigentlichen Bedeutung der Dinge vorbeigeht. So erscheinen Medien als Instanz, der das Potential innewohnt, Lügen über die reale Welt zu verbreiten, was Sunay an anderer Stelle im Interview auch explizit ausdrückt; beispielsweise ärgert sie die Berichterstattung über von ihr hochgeschätzte Musiker wie etwa "Jennifer Lopez", die "ja jetzt auch verheiratet" (250) ist und über die zwar "kaum noch was" kommt, aber wenn, "dann ist das sowieso meistens eine Lüge" (250). Während Mediendarstellungen mitunter den wahren Gehalt eines Sachverhalts verfehlen, besteht für Sunay das Gegenteil davon in solchen Medienangeboten, die ihr eine direkte Relation von Dargestelltem und Inhalt vermitteln: (213) S: (2) Ja, also es gibt ja so einzelne Läden, die auch eine eigene Website haben. Jetzt zum Beispiel Esprit oder so. Da kann man dann ja auch gucken was die so alles neu haben. Und dann muss man nicht unbedingt extra da hin. Wenn einem wirklich was sehr gut gefällt, dann läuft man da einfach hin und fragt ob sie diese oder diese Ware haben, schreibt man sich die Nummer auf, und dann HOLT man sich das. Muss man nicht unbedingt jetzt zum Kuhdamm oder so laufen, so extra. DAS ist halt was Positives. Oder Deichmann hat ja auch eine Seite, und da kann man sich die Schuhe angucken, man kann sich das da glaube ich auch zuschicken lassen. Und das finde ich eigentlich GUT so, aber, ja. Was ihr nach dieser Passage gefällt, sind Möglichkeiten der Nutzung eines Warenangebots bzw. die einfache Zugänglichkeit dazu; hierüber vereinfachen sich das Anschauen und der Konsum und stellt sich eine Erleichterung des Alltags ein. Vor allem geht es hier um den direkten Zusammenhang zwischen Darstellung und objektiver Dingrealität, auf die man sich nach dem Prinzip des what you see is what you get verlassen kann. "Positiv" sind ihr demnach Medienangebote, die den Nutzer in direkten Kontakt zu den Dingen bringen, wobei sozusagen eine Eins-zu-Eins-Übersetzung gewährleistet ist, die sich zudem auf Inhalte bezieht, die -wie Bekleidung und Schuhe -harmlos sind, weil sie einen täglichen Gebrauchswert haben. Der Wert bzw. Unwert eines Medienangebotes wird hier also nicht, wie z. B. von Vanessa, vor dem Hintergrund dessen bewertet, inwiefern eine Anregung des Nutzers entsteht, die möglicherweise seine Wahrnehmungen, Einstellungen und Verhaltensweisen prägt, sondern daran, inwiefern der Nutzer nicht belogen, sondern stattdessen gewissermaßen reell informiert wird. Das Interview wird daraufhin nochmals auf die Existenz von Gewaltdarstellungen gelenkt. Deren negative Bewertung dokumentiert erneut Sunays subjektive Entwicklungstheorie, die an die obige Passage zur Füllung des Internet mit "irgendeinem Quatsch" erinnert: (215) S: So Gewaltseiten. Ich find das nicht gut. Weil, zum Beispiel, wenn jetzt mal meine kleine Schwester irgendwie aus VERSEHEN da ran geht, und dann sieht sie wie da jemand zusammengeschlagen wird, das finde ich halt SCHLIMM. Weil, die kleinen Kinder nehmen ja so was schnell auf, weil die sind ja gerade in der Lern-phase wo die so viel lernen. Und das ist dann SCHON SCHLIMM wenn man so was zeigt. Und man soll ja auch (2), na ja also ich finde so was sollte man irgendwie verbieten, weil, und das sollte auch bestraft werden. Ja, und dann so Kazaa und so gibt's ja auch, das ist ja auch (???). Also ich weiß nicht. Ich finde das schwachsinnig. // I: Was ist das noch mal? // S: Das ist so eine, also da kann man Lieder downloaden. Aber ist ja verboten. ich weiß nicht, also das sollte schon bestraft werden, wenn man weiß wer das ist und so. Da sollte schon mehr darüber getan werden. Ihre Verurteilung von Gewaltdarstellungen exemplifiziert Sunay mit Bezug auf ihre Schwester, die sie als Beispiel für die mögliche Gefährdung von Entwicklung durch die ungehinderte Rezeption entsprechender Angebote anführt. Darin deutet sich an, dass Entwicklung für Sunay in Form der ungefilterten Aufnahme von Informationen aus einer (Medien-)Umwelt prozessiert, bei der das Subjekt -wiederum analog zu obenauf keinen Fall gestört werden darf: Deshalb evaluiert sie auch das imaginierte Verhalten ihrer kleinen Schwester, sollte diese einmal aus "VERSEHEN" an derartige Inhalte "ran gehen" als überaus desaströs. Sunays subjektive Entwicklungstheorie trägt hier Züge einer bewahrpädagogischen Haltung: Sieht das sich in Entwicklung befindliche Subjekt eine Gewaltdarstellung, ist dies für Sunay folgerichtig "GANZ SCHLIMM". Sie wähnt, es würde in einem solchen Fall zu einer sofortigen, direkten und linearen Aufnahme des Gesehenen kommen. Wozu es nach Sunays Befürchtung offensichtlich kommt, ist die Zerstörung eines kindgerechten Weltbildes, womit hier ein Bewertungsmusters vorliegt, das auch Meister et al. (2008: 63) bei der Argumentation von Jugendlichen bezüglich der Wirkung medialer Gewalt rekonstruieren konnten. Für Sunay ist überdies charakteristisch, dass es nach ihrer Erklärungstheorie weniger darum zu gehen hat, "Kindern" Einsicht zu vermitteln bzw. nachträglich und auf erzieherischem Wege an ihren inneren Vorstellungen anzusetzen; erforderlich ist vielmehr, sie unbedingt vor entsprechenden Darstellungswelten zu beschützen bzw. die Bilderwelt als solche zu verbieten und die Medienproduzenten als Urheber mit einer Strafe zu belegen. In diese Forderung nach einer Sanktionierung bzw. Disziplinierung der Medienproduzenten bezieht sie sogar nicht nur die vorher angesprochenen Gewaltdarstellungen ein, sondern weitet sie auch auf Anbieter von Musikdownloads aus. Darin zeigt sich erneut, wie deutlich sich Sunays Orientierung an einem Mediennutzer abarbeitet, der aus ihrer Sicht Schaden an einem ungehinderten Zugang zu und der Nutzung von Inhalten solcher Art nehmen kann, die nicht sachbezogen sind oder mit der Erfüllung eines für ihn sinnvoll gedachten Ziels in direktem Zusammenhang stehen. Darin dokumentiert sich wiederum eine Orientierung am Prinzip der Fremdregulierung durch Disziplinierung: Anders als etwa bei Vanessa, Melanie und Carola geht es Sunay nicht vorrangig darum, über eine Einsicht in die Kognition des Anderen, indem z. B. seine Bilderwelten im Kopf begleitet oder erzieherisch kontrolliert werden sollten, Entwicklung zu begleiten, sondern seine Entwicklung, die für Sunay nach einer Art innerem Bauplan abläuft, nicht zu stören oder irre zu leiten. Wichtig dafür erscheint eine Disziplinierung der strukturellen Medienumwelt und ihrer Angebote, welche es dem Subjekt ermöglicht hat, sich abweichend zu entwickeln. 405 Ein dem bisherigen vergleichbarer Orientierungsrahmen zeigt sich im Fall von Zeynep. Während sie sich zur Frage der Informationsfreiheit des Internet nicht äußern mochte, enthält das Interview mit ihr eine geschlossen Episode, die die Beziehung zwischen Medien bzw. ihrer Wirkungen und dem Verhalten des Nutzers thematisiert. Interessant ist zunächst, dass sie sofort ins Thema einsteigt, indem sie mich unterbricht und damit eine hohe subjektive Anschlussfähigkeit durch eine selbst gemachte Erfahrung des Erlebens bzw. Bewältigens einer medienbezogenen Verhaltensproblematik verdeutlicht: (170) I: Ich weiß nicht ob du das schon mal gehört hast, so, aber das steht ja manchmal in der Zeitung, oder dass die sogar süchtig [werden] // Z: [JA JA] // I: Wenn sie ganz viel am Computer sind. Was meinst du denn dazu? Z: Ich war früher-total süchtig-// I: Ach. // Z: = also RICH-TIG süchtig, also ich konnte mich gar nicht mehr, also davon lassen halt. UNBEDINGT Computer, UNBEDINGT. Ich habe dann die Schule dann, ich habe mich gar nicht mehr für die Schule konzentriert und so. Nur Chatten und am Computer sitzen und so. Und dann, ich wollte auch keine Freunde haben. Computer hat mir schon gereicht, Computer war mein bester Freund und so. Ja, und danach halt hat mein Vater mit mir geredet. Hat mir auch nicht so geholfen. Danach hat mein Onkel mit mir geredet, den ich auch sehr mag, und WENN er mir was sagt und wenn er mich halt dafür auch anbrüllt, dann-das verletzt mich richtig. Seine Wörter. Und er hat dann halt mit mir geredet, er meinte dann so "ja mach dein Schule, ist doch besser für dich" und so. Und er hat mir dann halt gezeigt, wo es halt LANG gehen soll. Ja, und wegen ihm habe ich-bin ich das dann los geworden halt. Im Modus der Beschreibung schildert Zeynep eine biographische Phase der gänzlichen Vereinnahmung durch ihre eigene Computerpraxis; in selbiger empfand sie sich als völlig gefangen im Bann ihrer Computerbeschäftigung und sah sich nicht in der Lage, sich eigenmächtig daraus zu befreien. Bezüglich dieser von ihr eindrücklich beschriebenen Phase hebt sie zwei Aspekte hervor: Einerseits beschreibt sie ihre Vernachlässigung schulischer Bildungsaspirationen im Sinne eines Abweichens von einer eigentlich wich-tigen Verpflichtung ("gar nicht mehr konzentriert"). Andererseits beschreibt sie, wie ihr offensichtlich der Wille abhanden gekommen ist, soziale Beziehungen zu pflegen bzw. überhaupt zu "haben", indem sie sich abkapselte. Insofern stellt sie die von ihr dargestellte Lage in doppelter Hinsicht als desolat dar. Bezüglich ihres soweit geschilderten eigenen Verhaltens thematisiert sie keinerlei Beweggründe oder Motive, wodurch Aspekte der Genese ihres Verhaltens weitgehend ausgeblendet bleiben, sondern sie entwirft sich als machtlos und handlungsunfähig. Insofern vermittelt sich ihre Episode weniger als individuelles Fehlverhalten, für dass sie nach Gründen sucht oder die sie zumindest für thematisierungsbedürftig hält, sondern eher wie ein automatisches Abdriften in eine Computersucht und damit wie eine Art schicksalhaftes Abgleiten in die Mediensphäre mit starken negativen Effekten für ihr Alltagserleben. Diesem Verhalten gegenüber thematisiert Zeynep zwei Akte der Intervention seitens älterer, männlicher Familienangehöriger, die bezüglich ihrer Computersucht auf den Plan treten. Deutlich wird daran, wie sie das infrage stehende Verhalten zu autoritären Instanzen der Disziplinierung und ihren Reaktionen relationiert. Wie wichtig ihr dies ist, zeigt sich auch daran, dass sie zwei aufeinander folgende Akte schildert, in denen ihr Verhalten zu einer Angelegenheit des familiär strukturierten Machtgefüges wird, welches dafür eintritt, das Verhaltensmuster der Tochter zu modifizieren. Nachdem die Aussprache mit dem Vater zunächst folgenlos bleibt ("nicht so geholfen") tritt mit dem Onkel eine weitere Autoritätsperson an sie heran, wodurch sich die von Zeynep dargestellte Orientierung bezüglich der Verhaltensregulierung noch einmal steigert. Die Beziehung zu ihm zeigt zwei Merkmale, einerseits eine starke emotionale Verbundenheit mit ihm, ist der Onkel jemand, den Zeynep "sehr mag", andererseits ist der kommunikative Austausch bezüglich ihrer Erziehung mit ihm eher selten, sondern tritt offenbar vor allem dann auf, wenn es um die Herstellung von Struktur und Ordnung geht. Darüberhinaus kleidet Zeynep die Umgehensweise des Onkels mit ihr in deutliche Worteer "brüllt" sie an, was sie "richtig verletzt". Deutlich wird hier also das Praktizieren einer unzweideutigen Grenzziehung mit den Mitteln der verbalen Zurechtweisung. Außerdem dokumentiert sich darin, dass die zurechtweisende Instanz, hier der Onkel, eine offensichtlich normative Perspektive bezüglich Zeyneps Entwicklung verfolgt, ausgedrückt in dessen Appell, die Schule sei "besser" für sie. Deshalb erscheint es so, dass das infrage stehende (Medien-)Verhalten hier als ein solches verhandelt wird, dem eine als richtig empfundene Bahn gewiesen werden muss. Eingebettet ist dieser Prozess in ein autoritär strukturiertes Ordnungsmuster, das ein Garant der Einflussnahme ist. An diesem Punkt offenbart sich Parallele zum Fall von Sunay: Was zur Umsetzung der Frage einer Verhaltensregulierung greift bzw. greifen soll, ist bei beiden das Vorhandensein einer Struktur, die dafür Sorge trägt bzw. tragen soll, dass sich ein abweichendes Verhalten entweder erst gar nicht entwickelt, oder die im Grenzfall als ordnungsstiftende Instanz in Erscheinung tritt. Das infrage stehende Verhalten in Form von Zeyneps Computersucht wird darüber hinaus nicht unbedingt moralisch angeprangert oder als solches auf seine innere Motivkonstellation hin befragt oder überprüft, sondern als Ausdruck eines gleichsam natürlich-schicksalhaften Vom-Weg-Abkommens wahrgenommen und entsprechend behandelt. So zeigt gerade Zeyneps Formulierung "wo es halt LANG gehen soll", inwiefern ihr Verhalten scheinbar vom Weg abgekommen ist und nun vermittels eines disziplinierenden Eingriffs auf 407 externe Weise korrigiert werden muss. Diese Intervention erscheint einerseits autoritär, andererseits wird sie von Zeynep offenbar nicht als restriktiv wahrgenommen, sondern als notwendige und legitime Maßnahme, infolge der sich eine Befreiung von ihrer Computersucht einstellte ("losgeworden"). Was sich hier zeigt, ist, dass Zeynep ganz offensichtlich dem Anspruch der älteren Männer auf saygi (Achtung) nachkommt (vgl. Toprak 2004; Kizilhan 2006) . Dieser Begriff bezeichnet den Respekt bzw. die Achtung in Bezug auf die Familienhierarchie, welche sich z. B. in einer entsprechend respektvollen Äußerung über höhergestellte Familienmitglieder oder ein zurückhaltendes Verhalten in der Gegenwart von hierarchisch Höherstehenden niederschlagen (vgl. Toprak 2004: 32) . So kommt Zeynep hier gehorsam den Aufforderungen nach, ohne zu widersprechen. Ebenso deutet sich an, wie die älteren männlichen Familienmitglieder Zeynep gegenüber das Prinzip von sevgi zur Geltung bringen (vgl. Toprak 2004: 67) , das auf die Verantwortung der Eltern gegenüber der Erziehung der Jüngeren abzielt. Das Ineinandergreifen dieser beiden Prinzipien konkretisiert sich gegen Ende der Passage darin, dass Zeynep sich in ein familiär strukturiertes Ordnungs-und Machtgefüge einpasst bzw. dorthinein eingepasst wird: Sie begann, im familiären Restaurant als Servicekraft zu arbeiten. Deutlich wird hier ein Prinzip der Unterordnung, indem sie ihre dortige Tätigkeit in einer klar dienenden Funktion schildert, in welcher sie "richtig" Fenster und Geschirr säuberte und die Restaurantgäste "bediente". Vor allem in Zeyneps Konklusion dokumentiert sich dann noch einmal, inwiefern sie Medien und ihre Wirkung bewertet und mit dem Thema der Verhaltensregulierung relationiert: Demnach haben Medien und ihre Angebote das Potential, jemanden so einzunehmen, dass er sich ihrer nicht erwehren kann und gleichsam in seinem eigenen Interesse in die Schranken gewiesen werden muss. Negative Medienwirkungen können für sie dann entstehen bzw. werden zu einem Problem, wenn die Nutzer von "klein auf", das heißt zu Beginn eines Entwicklungspfades, bereits einen falschen Weg einschlagen und diesen grenzenlos, also ohne das Erleben einer disziplinierenden Beschränkung, beschreiten. Eine Mischform aus Schutz und Disziplinierung, an der sie sich orientiert hat, schildert Zeynep überdies auch bezüglich alltäglicher Mediennutzungssituationen. Nachdem eine häusliche Internetverbindung in der Familie eingerichtet wurde, begann ihr Vater sogleich damit, den Umgang der Kinder damit zu strukturieren: (55) Z: Aber jetzt ist es halt Scheiße, wir haben, mein Vater sagt immer, äh, "DU bleibst ne Stunde drinne und DU bleibst ne Stunde drinne", also NICHT lange. // I: Mhm // Z: Ja. Und er hat manche Seiten auch-die Seiten verschlüsselt und so, wegen meinem Bruder. // I: Wie denn? // Z: Weiß ich nicht. Dafür braucht man ein bestimmtes Passwort, also ein Passwort. // I: Für dich auch? // Z: (2) Also, für MICH nicht. Also, weil er hat Vertrauen zu mir. Aber bei meinem Bruder, bei DEM weiß man nicht was der macht. Die zeitliche Länge der Internetnutzung der Kinder ist hier unzweideutig und vor allem autoritär reglementiert, zusätzlich wird auch die Zugänglichkeit zu Inhalten beeinflusst. Wenn dies auch nur für ihren Bruder gilt, hält Zeynep das Errichten von Barrieren ("Passwort") offensichtlich für ein probates Mittel, (sein) medienbezogenes Verhalten zu regulieren. Die Beschäftigung mit Medien erscheint hier erneut als ein Handlungsfeld, das einem Regelement unterliegt, über das sich Zeynep einerseits ärgert, dem sie sich andererseits fügt. Medien werden als potentielle Gefahrenquellen gesehen, die es ermöglichen, unerwünschte Verhaltensweisen auszuprägen und die deshalb strukturell einzuschränken sind. Inwiefern sich Zeyneps Medienalltag auch ansonsten als fremdreguliert darstellt, zeigt sich an einer Passage, in der sie von einer Kontrolle ihrer Medienumgebung: (73) Z: Also wenn wir mit FREUNDEN zusammen sind, und dann, wenn wir meinen, "ja, lass uns mal reingehen", und wenn das halt dort nicht zu VOLL ist, dann GEHEN wir halt rein. Aber wenn es da halt zu voll, und wenn meine Cousins und so dort-da drin sind, dann DARF ich da nicht rein. // I: Warum? // Z: Meine Cousins, weil, die erlauben das nicht. I: Die wollen nicht dass du ins Internetcafe gehst? Z: Ja, weil dort voll viele Jungs sind und so. (2) Und die meinen halt, also-wollen halt nicht dass ich Kontakt mit Jungs habe und so. // I: Mhm // Z: Ja, aber wenn die NICHT dort sind, und wenn wir viel zu viele Mädchen sind, und wenn es auch leer ist, dann gehen wir rein. Und machen da was wir machen können. Neben der Tatsache, dass das Internetcafe nicht zu ausgelastet sein darf, um von Zeynep und ihren Freundinnen betreten zu werden, ist hier entscheidend, dass die Zugangsmöglichkeit durch die Gegenwart älterer männlicher Familienangehöriger reguliert wird. Der freie Besuch des Internetcafes ist von der Abwesenheit der "Cousins" als gatekeeper abhängig, denn diese befürchten einen Kontakt der Cousine zu Angehörigen des anderen Geschlechts. Dieser sozialen Kontrolle muss sie sich unterordnen, wodurch sich erneut zeigt, wie ihr Medienverhalten von Momenten der Disziplinierung geprägt ist, welche sich in diesem konkreten Fall offensichtlich aus einer Sorge der Cousins um die namuú (Ehre) ihrer Cousine erklärt. Bezüglich dieses spezifischen Ehre-Prinzips haben die Männer in türkischen Familien darauf zu achten, dass die Frauen "sich so verhalten, dass es nicht zu Grenzverletzungen kommen kann" (Przyborski 2004: 201) , wobei sich die Ehre der Frau vor allem mit ihrer sexuellen Reinheit verbindet und "in starkem Maße an den weiblichen Körper und das sexuelle Verhalten geknüpft" ist (Kizilhan 2006: 104) . Zeynep erscheint vor diesem Hintergrund erneut als Mediendisziplinierte, zumal sie auch von anderen Reglementierungen berichtet: (244) Z: Mein Vater, so, der verbietet eben auch, dass ich so mit Jungs so halt Kontakte haben darf. Weil, da wird man dann halt als schlechtes Mädchen bezeichnet und so. Ja, und deswegen, also mein Vater hat zwar nichts dagegen dass ich mit Jungs Kontakt habe, aber er will nicht dass ANDERE hinter meinem Rücken halt so REDEN. Und deswegen sagt er, "du darfst nur bestimmte Zeiten haben, aber du darfst dich mit dem Jungen nicht treffen. Neben dieser Anerkennung eines Verhaltensregulationsprinzips, nach dem unsittliche Verhaltensweisen der Tochter auf die Familie zurückfallen, zeigt sich in den zitierten Passagen durchgängig ein Moment der Anpassung, denn ein bestimmter Weg, eine bestimmte (Lebens-)Orientierung ist für Zeynep so vorgesehen, dass Medien dabei potentielle Störfaktoren darstellen, indem eine Beschäftigung damit ein selbstbestimmtes Ausagieren individueller Vorlieben enthalten kann (wie z. B. den Kontakt zum anderen Geschlecht), die nicht konform zu dieser Vorbestimmung laufen. Insofern deutet sich hier bezüglich Zeyneps Orientierung der Medienbewertung eine tief greifende Ambivalenz an: Es zeigt sich, dass sie Eingriffe in ihren Medienumgangs einerseits bejaht und als Schutz in eigener Sache deutet. In diesem Sinne akzeptiert sie die von geschilderten Disziplinierungen und generalisiert sie sogar als positive Möglichkeit, Verhalten zu beeinflussen ("man sollte SCHON Grenzen haben"); andererseits sucht und findet sie Wege, mit alltäglichen Begrenzungserfahrung, wie z. B. in Form der das Internetcafe bewachenden Cousins, kreativ umzugehen. Die Cousins können nämlich offensichtlich nicht immer da sein, und genau das ist ihre Chance, die sie, vor allem in Gemeinschaft mit Freundinnen, ergreift. Hier reproduziert sich, was in Abschnitt 6.1.4 bereits herausgearbeitet wurde, dass ihre Mediennutung einem Orientierungsrahmen von Selbstbehauptung und affirmativer Einordnung folgt. Etwas anders gelagert als bisher stellt sich der Fall von Derya dar. Sie berichtet nicht von Erfahrungen selbsterlebter Disziplinierungsmaßnahmen bezüglich der eigenen Mediennutzung und orientiert sich, anders als Sunay und Zeynep, auch weniger an elterlichen Interventionsmöglichkeiten. Dennoch zeigen sich bei der Art und Weise, wie sie Medien bewertet, ähnliche Prinzipien, die eine Orientierung an den Merkmalen von Schutz, Anpassung und Disziplinierung dokumentieren. Dies zeigt sich z. B. bezüglich der These der freien Informationsverbreitung im Internet: (182) D: Eigentlich finde ich das gut, aber irgendwie finde ich es auch schlecht. Weil die Menschen es glaube ich missbrauchen. Also, die machen nicht anständige Sachen rein, zum Beispiel, es gibt ja so welche Dinger, so ogrish zum Beispiel. ((lacht)) Ah, genau. Da gehe ich auch oft hin. // I: Was ist das? // D: Ogrish.com. Also, das ist so was wie rotten.com halt. Aber da sind halt so Videoclips über, ich weiß gar nicht so genau, die Russen und die Tschechen sind doch im Streit, und die Russen haben irgendwie tschechische Geiseln genommen, oder eine Geisel genommen. Und haben der halt vor laufender Kamera den Kopf abgeschnitten. Und das ist aber alles echt. Und man hört noch so "uah uah" und so was, wie das Blut spritzt. Ja, und ich finde SOWAS-Okay ich guck's mir zwar selber an, aber ich finde manche Leute sollten es besser nicht gucken. Weil die vielleicht dann zwei Wochen nicht schlafen können. Und das die halt SOWAS ins Internet stellen, dass viele das einfach missbrauchen. Und einfach IRGENDWAS, zum Beispiel ja auch Pornos oder so-I: Mhm, ja da sind ja auch sehr viele einfach so drin. D: Ja, genau. Und manche wissen es ja auch gar nicht, dass die da drin sind im Internet. und so was finde ich Scheiße. Aber, im Großen und Ganzen finde ich das eigentlich okay, dass jeder da was rein machen kann wie er es möchte. Aber halt GUTE Sachen und nicht so was. Eine Ambivalenz bekundend unterstellt Derya zunächst dem "Menschen", das heißt dem generalisierten Subjekt einer Gattung, die Optionen des Internet nicht im Sinne eines als richtig gedachten Zweckes zu nutzen, diese stattdessen zu "missbrauchen". Prinzipiell sei davon auszugehen, dass ins Internet unanständige Inhalte gelangten, die das Gebot von Ehrenhaftigkeit, Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit verletzen ("nicht anständig"). Dies gleicht ihr einer Art Fatum, gegen das nichts unternommen werden kann. Die Existenz derartiger Inhalte nennt sie in Form von etwas Unspezifiertem und greift mit "ogrish.com" 183 ein Beispiel heraus, wobei ihr spontan einfällt, dass sie dieses Angebot "auch oft" aufsucht. Deutlich wird darin zunächst ein Bewusstsein für eine Art doppelte Moral, indem sich nämlich die Fragwürdigkeit einer Darstellung und die tatsächliche eigene Medienpraxis zum Gegenüber werden, worüber sich Derya amüsiert. Daraufhin offenbart sie eine relativ detaillierte Kenntnis über Angebote dieser Art, deutlich zum Beispiel in der Benennung einer genreverwandten Seite ("so was wie rotten.com") 184 und die zur Verfügung stehenden Optionen ("so Videos"). Das von ihr Gesehene schildert sie äußerst anschaulich, wobei sie besonders den audiovisuellen Realismus betont und in seinem ganzen Ausmaß entfaltet ("man hört noch so ‚uah uah' und so was, wie das Blut spritzt"). Damit attestiert sie sich selbst eine Rezeptionshaltung, in der sie sich das regelmäßige Ansehen brutaler Darstellungen selber zugesteht bzw. auch zutraut. Hierbei nimmt sie keine moralische Beurteilung der Darstellung als solcher vor, die deshalb selber zur Disposition stünde, sondern arbeitet sich an der Frage ab, welche Auswirkungen ein solches Anschauen für das Subjekt haben könnte, nämlich die Störung eines ansonsten natürlichen Biorhythmus, den sie dann als maximal defizitär bezeichnet ("zwei Wochen nicht schlafen können"). Abstrahiert man davon, erscheint folgende Lesart: Schläft man zwei Wochen nicht, erleidet man erhebliche körperlich-gesundheitliche Schäden und ist kaum noch lebensfähig, worin sich andeutet: Darstellungen hinterlassen in Deryas Erklärungstheorie weniger psychische Spuren, sondern tangieren vor allem das natürliche Gleichgewicht des Körpers. Aufgeworfen ist damit eine Orientierung an einer Verhaltensregulierung, die durch Anpassung an einen natürlich gegebenen Entwicklungsverlauf bestimmt wird und ein gleichsam natürlichmechanistisches Menschenbild impliziert. Ähnlich zur Argumentation von Sunay fällt die Analogie zu einem natürlichen Wachstumsprozess ins Auge: Bei einem -zugespitzt formuliert -schädlichen Input wächst man zwei Wochen lang nicht, danach geht es vermeintlich so weiter wie zuvor. Deshalb müssen für Derya bestimmte Nutzer -und insbesondere die Jüngeren, wie sich im weiteren Verlauf ihrer Schilderung zeigen wird -vor der Rezeption beschützt bzw. soll Ihnen das Anschauen entsprechender Bilder verwehrt werden. Dieses Anschauen ist für sie erst dann möglich, wenn man eine bestimmte Reife erreicht hat, die dem Nutzer die Rezeption ohne negative Folgen ermöglicht. So hält sich Derya selbst, das doku-411 mentiert auch die folgende Passage -für bereits hinreichend reif, sich brutale Gewaltdarstellungen im Internet anschauen zu können: (188) I: Mhm. Gibt's denn was, was dich jetzt besonders stört am Internet, dass das da drin ist? D: Ja, dass so zum Beispiel diese Pornos einfach drin sind. Und, ja halt manche Sachen, auch andere Sachen wie dieses ogrish da, mit der Geisel da. Aber ganz ehrlich, ich guck mir das ja SELBER an, weil ich davon fasziniert bin, wie so was geht, wie so was aussieht. Aber ich meine, jeder Zehnjährige kann da reingehen, und wenn der irgendwie ein bisschen bekloppt ist, ja, dann macht er das irgendwie nach. Oder probiert das nachzumachen. Und das finde ich halt Scheiße. Also es müssten irgendwie nur bestimmte Leute gucken können. Aber das kann man ja auch nicht kontrollieren oder so. Das ist halt doof. Abgesehen von der Kritik an der Zugänglichkeit von Pornographie gesteht sie ein, wie aufregend es sein kann, nah dran zu sein und Einblick zu nehmen in die bildlichen Details einer Gewaltdarstellung. Gewalt wird ihr hier selbst zum "Faszinosum" (Soeffner 2004: 69), das sich mithilfe des Internet auf eine Weise erleben lässt, die die Möglichkeit von Erfahrungen leidenschaftlichen Schauderns beinhaltet. Demgegenüber artikuliert sie aber auch deutliche Bedenken, steht doch die Zugänglichkeit zu Darstellungen dieser Art prinzipiell offen, auch Jüngeren ("Zehnjährige"), die, vor allem in dem Fall, dass sie einen psychischen Defekt aufweisen das Gesehene mehr oder weniger automatisch reproduzieren. Hier validiert Derya die bereits oben angedeutete Orientierung an einem tendenziell naturalistischen Menschenbild: Weicht das Subjekt von dieser Normalitätsfolie ab, ist es eben scheinbar "bekloppt" und in diesem Fall anfällig für die Imitation gewalthaltiger Medienangebote. Ähnlich den anderen Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund stellt sie hier auf einen linearen Wirkungsmechanismus der Medien ab, den vor allem die Jungen in ihren Darstellungen so funktionalisieren, dass er ihre eigene Stärke demonstriert, ihn aushalten zu können, ohne selbst der Gefahr einer Beeinflussung ausgesetzt zu sein. Auch bei Derya wird demnach die Fähigkeit, solche selbst als gewalthaltig und normverletzend benannten Inhalte folgenlos rezipieren zu können, an die Natürlichkeit einer sich entwickelten Stabilität gekoppelt. Sie selber darf -aufgrund dessen, dass sie eben nicht mehr "Zehn" ist -vom Anschauen einer Enthauptung im Internet "fasziniert" sein, weil ihre natürlich Reife dies zulässt. Damit erinnert ihre Argumentation zumindest ansatzweise an die These Postmans (1983), nach welcher Medien zum Verschwinden der Kindheit beitragen, indem diese ihnen ohne Zugangsbeschränkung und ohne kindgerechte Erklärung eine Welt der Erwachsenen präsentieren. Was Derya hier nämlich weiterhin beschäftigt, ist weniger die Rezeption also solche, sondern die Konsequenz in Form eines bestimmten Verhaltens nach dem Kontakt mit einer bestimmten Art bildlicher Darstellungen. Deshalb sollte die infrage stehende Bildwelt, folgt man ihrer Argumentation, exklusiv sein, und zwar nur für eine kleine Nutzergemeinde, die eben fähig ist, damit umgehen zu können. Letztlich ist ihr für die Organisation oder Durchsetzung dieser Exklusivität aber kein Filter oder eine Zugangsbeschränkung denkbar, der -salopp formuliert -die Fähigen von den Unfähigen trennt, stattdessen ist die Nutzung unkontrollierbar. Darin dokumentiert sich eine Orientierung, nach der es bezüglich der Wirkungen von Medien weniger um die Sorge um die Bilderund Vorstellungswelten im Kopf des Nutzers geht -wie bei Melanie oder Vanessa -, sondern um den Zugang zu den Bildern. Anstelle des Verhältnisses von Darstellung und innerer Wahrnehmung, die in reziproker Weise zu einander vermitteln sind, geht es Derya deswegen um die Fremdregulation der Quelle von Bildern und Darstellungen. Setzt man dies in Bezug zum Fall von Andreas, bildet sich hier ein maximaler Kontrast, denn Andreas etwa stellte sich vor, dass bereits ein Sechsjähriger berechtigt sei, Counter-Strike zu spielen, wenn er nur in der Lage dazu sei, das Geschehen am Bildschirm richtig aufzufassen (weswegen er auch ein Verbot für nicht zielführend hielt). Für Derya, so lässt sich zusammenfassend festhalten, sind weniger die Darstellungen oder ihr Charakter problematisch, sondern das aus ihrer Sicht unlösbare Problem, dass man den Zugang dazu nicht regulieren kann. Weiterhin zeigt sich, dass sich Derya zusätzlich zu ihrer skeptischen Haltung gegenüber der freien Zugänglichkeit von Darstellungen auch als eine Art Anwältin des Nutzers entwirft und die Verbreitung von Medienangeboten, wie sich bereits andeutete, deutlich einschränken möchte: Zunächst wird deutlich, wie sich Olaf implizit über mich lustig macht und meine Bitte in den Bereich der Naivität und darüber hinaus der Unmöglichkeit verweist: Das Wesen von Technologie ist gerade nicht oder nur äußerst schwierig zu beschreiben oder verstehbar zu machen, jedoch aber gerade nicht, weil er sich selbst dies nicht zutraut, sondern weil es, zumindest auf diese Art, schlicht unmöglich ist. Dies signalisiert auch die von ihm gebrauchte Analogie des "Blinden": So wie dieser keine (oder zumindest keine funktionsfähigen) Augen für die Erscheinungsweise der visuell wahrnehmbaren Welt hat, hat der Mensch keine Augen für die computerbezogene Rationalität, die im Inneren der Technologie prozessiert: Man kann sie nicht einfach unmittelbar sehen und dann beschreiben, sondern die Dinge liegen weitaus komplizierter: Eine einfach Übersetzbarkeit der einen in die andere Sphäre ist an sprachlich kategoriale Schwierigkeiten gebunden, weil sie sich fundamental voneinander unterscheiden. Daraus ergibt sich Olafs Frage, welche Möglichkeiten übrig blieben, jemandem ohne "Ahnung" überhaupt den Computer näher zu bringen: Würde man sich dem Computer über seine Funktionen für den Nutzer nähern, also "was man damit machen kann", würde man ihm nicht gerecht, weil dies nicht (allein) dasjenige Charakteristikum ist, was sein Wesen ausmacht. Olaf verwirft diese Möglichkeit daher, bricht ab ("ach nee, nein") und resümiert hoffnungslos, er könne der von mir angefragten Bitte der Modellierung nicht nachkommen. Kurze Zeit später nimmt er den Faden wieder auf, denn offenbar ist sein Ehrgeiz geweckt, sodass er sich ein weiteres Mal an einer beschreibenden Definition des Computers versucht: (357) O: Na ja, also der Computer ist, ähnlich wie der Fernseher, ach nee, das stimmt auch nicht so richtig, Quatsch (3) ((Seufzt)) Ich weiß es nicht genau zu sagen (4). Also jetzt fehlt mir irgendwie die Phantasie, ich weiß auch gar nicht wie ich da anfangen soll (1). Mist (3) Eine Analogie des Computers zu einem anderen elektronischen Gerät scheint Olaf nicht "stimmig". Dies entspricht keinem korrekten Vergleichshorizont, entlang dessen sich der Computer richtig entwerfen lässt, was Olaf auch sogleich als "Quatsch" bezeichnet. Für ein begriffliches Einfangen und eine Präzisierung der technischen Rationalität hält er einiges an Phantasie für notwendig, um eine Übersetzungsarbeit überhaupt vornehmen zu können; zudem erscheinen ihm mehrere Ansatzpunkte denkbar, die ihn in dieser Situation überfordern und er deshalb nicht weiß, womit er da "anfangen soll", da es an 421 einfachen Erklärungskategorien mangelt. Dieses Nicht-Gelingen macht ihn zudem sichtlich ärgerlich, denn offenkundig würde er technische Zusammenhänge gerne besser erläutern können, wenn sich dies weniger komplex darstellte. Zum Ausdruck gebracht ist damit die Relevanz technischer Erklärungskategorien in Olafs Wahrnehmung, die jedoch -trotz eines Interesses bzw. ihres Vorhandenseins -nicht performativ zum Ausdruck gebracht werden kann. Das Moment der Rationalisierung zeigt sich auch bei der Modellierung des Internet: (352) O: Na ja, ich meine das Internet ist eine RIESEN-Ansammlung von Informationen. Erstmal so, ja. Und, das Internet ist halt sortiert in mehrere, also in Milliarden einzelner Teile. Also halt in diese Seiten, wo halt über alles was drin ist. Also das Internet ist VOLLER Informationen über ALLES MÖGLICHE. Auch über die Sachen über die man vielleicht gar nichts wissen möchte, oder vielleicht auch nicht besonders angebrachte Sachen. Aber na ja, eigentlich ist es alles nur REINE, also PURE Information. Und dass man dort danach suchen kann, was man halt wissen will, oder eben worüber man sich informieren will. Ja. I: Mhm, und könntest du mir denn erklären, wenn ich dich fragen würde, wie das Internet aufgebaut ist, oder wie das funktioniert? O: Na ja, wie gesagt, das Internet ist aufgebaut in ganz viele einzelne Teile. Und, ja, also wie es aufgebaut ist? Gute Frage, na ja, also die einzelnen Teile, das sind die einzelnen Seiten. Ja. Olaf charakterisiert das Internet als eine in seinen Ausmaßen ungeheuere Menge von Informationen, die in sich in kleinste Partikel aufgeteilt ist. Er stellt es sich vor wie ein monströses Informationsreservoir, welches durch eine Feinstruktur innerlich geordnet ist. Die darin enthaltenen Informationen existieren einerseits in einem großen Spektrum bzw. haben eine große Bandbreite; andererseits existieren sie für sich, und zwar unabhängig davon, ob dies mit einem etwaigen Bedürfnis der Nutzer nach Wissen oder einer Opportunität der Inhalte in irgendeinem vorgängigen Verhältnis steht. Damit entwirft Olaf das Internet in weitestem Sinne entlang einer technologisch bedingten und ermöglichten Eigengesetzlichkeit eines ungebremsten und entfesselten Informationsflusses. Zum Ausdruck kommt damit ein Reduktionismus, der an informationstheoretische Sichtweisen erinnert, und der in Informationen zunächst nichts weiter als wertfreie und bedeutungsungebundene Zeichen sieht. Deutlich wird dies an der Betonung der Ausdrücke "REIN" und "PUR", wobei vor allem letzteres in seiner Metaphorik die Bedeutung "von jeglichen Zusätzen befreit, ohne Aroma, ursprünglich und klar" mitführt. Im Prinzip geht es in Olafs Wahrnehmung um eine von jeglicher Zweckbestimmung entkleidete und somit nicht an sich mit Wert gebundene (digitale) Sphäre, die von moralischethischen Kriterien ebenso frei ist, wie von a priori festgelegten Bedeutungen. Ähnlich wie im Fall von Olaf lässt sich bei Timo zeigen, inwiefern sich seine Wahrnehmung an technologisch-rationalen Kriterien abarbeitet. Dies beginnt bereits am Anfang des Interviews, als Timo erklärt: (227) T: Ich habe leider nur 56 K Modem. Aber ich finde, eigentlich REICHT das auch AUS. Muss jetzt nicht super High Speed da haben. Um mir irgendwelche Filme oder so da down zu loaden, da kann ich auch ins Kino gehen ((lacht)). Dass Timo eine an sich veraltete Technik besitzt bzw. nutzt, empfindet er einerseits als schade, andererseits beschränkt er dies mit dem betonten Hinweis auf dessen Genügsamkeit. Ein Hochgeschwindigkeitsanschluss ans Internet erscheint ihm überflüssig, zumal dieser lediglich dazu dient, eine Medienpraxis zu unterstützen, dessen Mehrwert Timo als subjektiv irrelevant bezeichnet. Die sich abzeichnende Rationalisierung in Form einer limitativen Eingrenzung der Technik findet ihre Entsprechung bei der Modellierung des Computermediums: (274) T: Also meinst du jetzt, wie man den BEDIENT? Wie, soll ich dir jetzt sagen, wie man den hoch fährt? Wie man Programme öffnet? Und dann schnelles Schreiben macht oder-I: Was verstehst du unter einem Computer, wenn du mir den beschreiben solltest. Was ist das eigentlich? T: Hm, na ja (3) das ist eigentlich ein großer Taschenrechner, mit SEHR vielen Funktionen. Und, wenn man halt bestimmte Knöpfe drückt, dann RECHNET der auch eigentlich ganz normal nur. Und die Ergebnisse werden halt dann am Bildschirm ausgegeben. Also, MEHR als ein Taschenrechner ist das im Prinzip eigentlich AUCH nicht. I: Mhm. Und, äh, ja, du hast jetzt schon gesagt so mit Hochfahren und so. Wenn du, also jetzt so die Bedienung, wenn du miroder könntest du mir erklären, wie so ein Computer aufgebaut ist? Oder wie der funktioniert? T: Oh Gott ((lacht)). Äh, äh (2) ja, wie funktioniert denn das so? Na ja-(2) // I: So ungefähr. // T: Meinst Du mit den ganzen Zahlen und so? Oh nee ((seufzt)) keine Ahnung ((lacht)), nee. I: Na ja, aber du hast ja schon mal in einen Computer rein geguckt, ne. T: Ja klar. I: Also so der Aufbau von so einem Ding. Hast du den dann, (1) hast du dir den dann sozusagen nur angeguckt, oder-T: Na ja, angeguckt ist immer schön GUT, aber wenn weiß ich nicht dann halt was nicht FUNKTIONIERT, dann ein bisschen RUMgebastelt und andersrum rein gesteckt oder so. // I: Mhm. Mhm. // T: Na ja, lässt sich jetzt schwer erklären (3). Die Nachfrage deutet daraufhin, dass Timo bezüglich der Bitte nach einer Beschreibung vielgestaltige Zugangsweisen der Erklärung für denkbar hält. Er breitet ein Spektrum von mehreren Anknüpfungspunkten aus, von der "Bedienung", der basalen Fertigkeit des Anmachens, der Menüführung und der Textverarbeitung. Darin dokumentiert sich eine Mehrperspektivität und diese wiederum meldet dem Interviewer zurück, dass die Frage nach einer einfachen Erzählung des Computers so gar nicht erfüllbar sei, da es sich um einen komplexen Gegenstand handelt. Auf die immanente Nachfrage überlegt er entsprechend einen Moment. Seine Beschreibung beginnt mit der funktionalen 423 Gleichsetzung des PCs mit einem Taschenrechner mit dem Unterschied der Multifunktionalität. Die Funktionsweise schildert er sachlich-nüchtern, als Ablauf eines Eingabe-Ausgabe-Prinzips. Dabei reduziert er den PC auf seine technologische Grundoperation, das Rechnen. Darin dokumentiert sich eine Rationalisierung und Entmystifizierung der Technik, die mit einem erneuten Hinweis auf die Funktionsäquivalenz des PC mit einem Taschenrechner validiert wird. Die Reaktion auf die Nachfrage nach genaueren Funktionsprinzipien (in Form des lachenden "Oh Gott") dokumentiert einerseits die von Timo wahrgenommene Schwierigkeit der Frage. Anderseits deutet sich darin an, dass er sich über die von mir aufgeworfene Idee der Beantwortbarkeit tendenziell amüsiert, dass es also in Prinzip nicht möglich sei, hierauf präzise zu antworten. Dennoch lässt er sich darauf ein und führt sich die Frage selbst vor Augen. Die Einschränkung, die als Ermutigung gemeint war, dass er sich also in der Antwort ruhig beschränken könne, führt Timo zu einer Gegenfrage, welche auf ein Verständnis, dass Zahlenoperationen der Funktionsweise zugrunde liegen müssen, hinweist. Diese Funktionsweise kann auch durch bloße Anschauung der PC-Architektur allein nicht hinreichend erklärt werden ("angeguckt ist immer schön GUT"), wodurch Timo deutlich macht, dass Aufbau und Operationsweise zwei unterschiedliche Sphären für ihn darstellen. Dass die Technik im Inneren zwar zentraler Bestandteil des Computermediums sein muss, die aber letztlich nicht anders als opak bleiben kann, zeigt eine Passage, an der Timo weiteres Interesse am PC schildert: (159) T: Also, jetzt würde mich noch interessieren, wie jetzt so ein Rechner noch GENAUER aufgebaut ist. Wie das mit den ganzen Prozessoren und so funktioniert. Also, okay, Zusammenstecken das ist ja KEIN Problem (3), aber was das dann eigentlich so richtig FUNKTIONIERT da drin, das weiß ja KEINER eigentlich richtig. Im Prinzip, folgt man Timo Darstellung, hat man mit der Ebene des oberflächlichen "Steckens" das tatsächliche Operationsprinzip des Computermediums noch gar nicht erreicht. Die Prozesse auf einer technologischen Ebene bleiben unsichtbar, gleichzeitig gilt Timo Interesse genau dieser Ebene. Ein weiteres Dokument dieser Orientierung an einem rational-strukturellen Ermöglichungscharakter von Technologie bietet seine Modellierung des Internet: (288) T: Also, kurz, ich würde dir sagen, dass es aus einem militärischen Projekt ist, von den Amerikanern. Ja. Und dass das eigentlich gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war damals. Dass wir das aber trotzdem gekriegt haben dann. Und, dass es halt (2) eine RIESENdatenbank ist, von Daten, die wir halt ÜBERALL und ALLE Zeit abrufen können. Und dass, wenn halt mal EIN Rechner mal nicht funktioniert, dann gehen wir halt an den NÄCHSTEN ran, da haben wir dann genau dieselben Daten. Also wie ein riesengroßer Speicher ist das eigentlich. I: Mhm. Und könntest du mir beim Internet irgendwie erklären oder beschreiben, wie das aufgebaut ist? Oder wie das so funktioniert? T: Hm (3) na ja, halt jeder Rechner hat seine eigene IP Adresse. Und der loggt sich dann halt in dieses Riesennetz von anderen Usern und so ein. Und dann kann man halt auf die Daten von den anderen Computern zugreifen. Dass Timo die Antwort auf meine Bitte mit "kurz" beginnt, verweist darauf, dass das Internet für ihn im Prinzip ein mehr oder weniger logisches Prinzip darstellt, was keiner langen Erklärung bedarf, sondern in einigen wenigen und zentralen Aspekten zusammengefasst werden kann. Er schildert darauf hin den gesellschaftlichen und ideengeschichtlichen Hintergrund und die Diffusion dieser Technologie aus einer speziellen Sphäre zu einem sozial verfügbaren Medium für alle ("wir haben das gekriegt"). Er rekurriert hier auf die Geschichte des Internet, die auf das militärische ARPA-Net zurückgeht und bis in die späten 1960er Jahre zurückgeht. Implizit deutlich wird dabei, inwieweit Timo Schilderung eine Vorstellung davon erahnen lässt, inwiefern mit der Diffusion einer ehemals exklusiven Kommunikationsanwendung mit einem Innovationsschub verbunden ist und eine technische Netzwerkstruktur zu einem (sozialen) Handlungsraum geworden ist. Deutlich werden in diesem Zusammenhang erneut die Kategorien der Handlungserweiterung und der Rationalisierung, von denen auch Timo Erzählungen bezüglich seiner Mediennutzungsszenarien durchdrungen sind. Im Mittelpunkt seiner weiteren Erklärung der Technologie steht dann das Speicherprinzip, welches eine uneingeschränkte Benutzbarkeit zur Verfügung stellt. Das Abrufprinzip erklärt er durch den Aufbau von Zentrum und Peripherie, deren singuläre Dysfunktion nicht zum Ausfall des Datenspeichers führt. Die Nachfrage zum Aufbau des Internets beantwortet er mit Prinzip der Vernetzung. Sein Orientierungsrahmen verdichtet sich hier zu einem zweckrational-technischen Muster an Aufbau und Operationsweise von Technik. Auch bei Andreas lässt sich, zunächst in Ansätzen, der Gebrauch einer technologischen Semantik erkennen, vor allem aber auch die Reduktion des Computermediums auf ein quasi handwerklich zu gebrauchendes Werkzeug: Indem Andreas seinem PC eine Vernünftigkeit attestiert, dokumentiert sich die Orientierung an einer technischen Rationalität, in der die Betonung vor allem etwas Richtigen und zugleich Beschränkenden herausgestellt wird. In einer anderen Passage signalisiert Andreas ein Interesse an den Prozessen im Inneren der Technologie. In seiner Art und 425 Weise, dies in eine Frage an mich zu kleiden, zeigt sich eine gewisse Ähnlichkeit zu Sercan (siehe unten), der ebenfalls mit mir über technische Aspekte ins Gespräch zu kommen versuchte. Anders als Sercan jedoch, dem es hauptsächlich darum ging, gleichsam kompetitiv die Ausstattung meines eigenen PCS auszuloten, steht bei Andreas technisches Detailwissen im Fokus. Ausgangspunkt ist seine Schilderung, dass seine Mutter an seinem PC einmal Daten gelöscht hatte, die er sich daraufhin bemühte wiederzubeschaffen: Im Prinzip arbeitet Andreas sich hier am Phänomen der Differenz von Oberflächen-und Tiefenstruktur des Computermediums ab. Über einen grafischen Darstellungsmodus vermittelt der Computer den Eindruck eines sehr realitätsnahen Prinzips des Umgangs mit Müll, dessen man sich entledigt. Werden etwa Daten gelöscht, erscheinen sie, durch das Werfen in den Paperkorb, wie entsorgt, sichtbar auch daran, dass der Papierkorb in seiner Ikonographie auf dem Bildschirm als gefüllt dargestellt wird. Dass es Andreas bereits gelang, einmal gelöschte Daten wiederzuholen, bezeichnet er als "Glück", weil sie sich noch dort befanden, er sie also im Modus des einfachen Wiederherausholens retten konnte: Damit ist aber das technologische Prinzip nicht verstanden, um dass es ihm hier geht und das ihn interessiert, nämlich welchen Status Daten haben, wenn sie in den Papierkorb geschoben werden und wie dies mit der Operationsweise des PCs in Verbindung steht. Deshalb fragt er sich, ob gelöschte Daten den gleichen Speicherplatz im Computer beanspruchen wie zu dem Zeitpunkt, als sie noch nicht gelöscht waren. Abstrakt gesehen verbirgt sich dahinter die Frage, welches Prinzip dem phänomenologisch Wahrnehmbaren des Computers zugrunde liegt, das heißt Andreas orientiert sich hier am Zusammenspiel von "konkreten Bildern und Prozessen, der Simulation und den dahinter stehenden Abstraktionen" des Mediums (Schelhowe 2007b: 147). Meine Reaktion, die eigentlich der Frage ausweicht und sich nur auf den Akt des Wiederherstellens von Daten bezieht, stimmt ihn daher auch nicht zufrieden, sondern er möchte den technischen Mechanismus erklärt haben, nachdem dies funktioniert. So zeigt sich Andreas Orientierung genau darin, wie er mich hier in ein technisches (Fach-) Gespräch verwickelt, dies vermutlich auch deshalb, weil er mir eine gewisse Expertise auf diesem Gebiet unterstellt, von der er hofft, profitieren zu können. Allerdings, so zeigt der Abbruch der Passage, den ich hier, Andreas ins Wort fallend, vornehme, gestehe ich ein, dass ich innerhalb dieser technischen Orientierung selber Wissens-bzw. Verständnislücken habe und keine exakte, d. h. der Rationalität des Computers angemessene entsprechende Antwort geben kann. Ein Dokument seiner Orientierung an technischen Grundoperationen kommt auch an anderer Stelle zum Ausdruck, an der Andreas diese in einen werkzeugartigen Gebrauch des Mediums transformiert, und zwar bei seiner Praxis des Bildbearbeitens: (432) A: So Bilder bearbeiten manchmal, wenn mir irgendwas an einem Bild, so schlechte Qualität oder so, kann man das verändern oder selber so Bilder gestalten. Manchmal zum Beispiel vom Label Aggro-Berlin oder so, da hatte ich so Hintergrundbilder mal gemacht. I: Was hast du das gemacht mit den Bildern? A: Das ist eigentlich nicht kompliziert, einfach nur diesen Labelnamen, die Buchstaben so-, Hintergrund gelöscht, und dann auf so ein Berliner Bild, irgendetwas Typisches, so Berliner Mauer, nee nicht Berliner Mauer, sondern Brandenburger Tor. Einfach rüber gezogen. Oder irgendwas so Kleinigkeiten, wenn irgendwas so WEG ist, wenn irgendwas so ist, kann ich das manchmal auch so wegmachen. Oder halt die Qualität ein bisschen aufbessern. I: Womit machst du das dann, diese Bildbearbeitung? A: (2) Wie heißt das-Paint-Shop-Pro-9 oder 8 oder so, ach weiß ich nicht genau. I: Was hast du überhaupt so auf deinen Computer drauf, also, was ist das so? A: Diese Grundprogramme, also Word, Excel, dann habe ich Mozilla für Internet, BearShare für Musik und so, Kazaa habe ich für Musik, dann habe ich noch Emule, das hat jetzt mein Bekannter, der benutzt den PC ja eigentlich MIT, drauf gemacht, für Filme, und ja dieses Paint-Shop und Brennprogramme in Übermassen, weil die kriegt man ja auch von diesen Download-Programmen. Nero6, habe ich von meinem Vater bekommen. Das Computermedium nimmt Andreas wahr als ein Mittel zur Herstellung und Bearbeitung eigener Produkte, die mittels geeigneter Programme umfangreich und kreativ gestaltet werden können. Interessant ist darüber hinaus, inwiefern Andreas über Kenntnisse über eine gewisse Programmhierarchie bzw. -systematik verfügt, indem er zu der Nennung der Programme jeweils einen konkreten Anwendungsbereich dazu erwähnt. Im Prinzip erscheint das Medium hier rational ausgestattet mit einer softwaremäßigen Grundlage ("diese Grundprogramme") und zusätzlich verfügbaren Spezialprogrammen für jeweils unterschiedliche Einsatzbereiche, die sie abdecken. Weniger um deren Leistung als solche (im Sinne z. B. einer Euphorisierung ihrer Potenziale) geht es ihm dabei eher um eine handwerklich zu nennende Perspektive, die zur Umsetzung bestimmter Aufgaben eben auf bestimmte Applikationen zurückgreift. Diese wiederum rationale Orientierung innerhalb der Wahrnehmung des Computermediums entfaltet sich weiterhin, wo Andreas Probleme schildert, die der Computer hin und wieder bereitet. Die Orientierung an einem rationalen und eher nüchternen Artefakt erscheint dabei verdoppelt: Einerseits kann der PC in seiner Funktionsweise beeinträchtigt sein aufgrund von Zusammenhängen, die ihrerseits auf technisch verursachten Problemkonstellationen beruhen. Andererseits werden diese von Andreas gleichsam abgeklärt als handwerklich zu bewältigende Situationen beschrieben. Der Rationalität des Computers muss mit einer ebenso gearteten, nämlich rationalen, Handlungsstrategie begegnet werden: (452) A: Na ja, wenn es zu lange dauert, oder wenn wirklich so richtig viele Viren kommen oder so, das ist manchmal so, dann kommt andauernd alle fünf Sekunden ein Virusalarm, dann muss ich den PC einmal NEU starten und so. Manchmal-, deswegen muss der jetzt auch mal neu gemacht werden irgendwie. Wenn er irgendwie richtig lange für Kleinigkeiten braucht oder plötzlich irgendwie streikt, dann. Wenn ich im Internet bin, da wollte ich einmal nur Word öffnen, und da hat er gestreikt. Und Word geöffnet, da wollte ich wieder-, da wollte ich, dass er Word vernünftig ÖFFNET und dann bin ich wieder auf die Internetseite und da ist er bei diesem offenen Word geblieben und hat GAR NIX mehr gemacht. Ohne Grund oder so, da war nicht einmal ein Programm am Laden oder so. I: Und dann, was hast du dann gemacht? A: Dann habe ich den Computer halt noch einmal neu gestartet. I: Ah. Und das hat dich geärgert oder wie? A: Und die Popups nerven AUCH manchmal, wenn der dann irgendetwas so auf Großbild macht so, einen Film sieht, oder (2) wir auch manchmal SIMS spielen, das ist ja auch zum Teil Vollbild und wenn dann Popups kommen, dann macht er das alles wieder runter, erstmal Popup schließen und so. Das Computermedium ist hier ein Objekt, welches bei Problemen erst einmal gebietet, Ruhe zu bewahren, anstatt in hektischen Aktionismus zu verfallen. Der PC muss z. B. erst dann wieder neu gestartet werden, wenn wirklich gar nichts mehr geht, etwa in dem Fall, dass er durch die Ankündigung eines tatsächlichen oder eines erwarteten Befalls durch Viren beeinträchtigt ist. Das heißt, wenn sich ein technisches Problem ergibt und sich dieses als Faktum soweit in den Vordergrund schiebt, dass die vorgängige Nutzung nicht mehr ausgeführt werden kann, ist der PC eben technisch beschädigt, und muss dann "auch mal neu gemacht werden irgendwie", ähnlich einem Gegenstand, der in die Reparatur gebracht werden muss, wenn er seinen Dienst versagt. Der sich durch diese Passage ziehende Modus gleicht einer Wahrnehmung nach dem -etwas salopp formulierten -Motto "Problem erkannt, Problem gebannt", das, so unprätentiös es hier vorgebracht wird, in gewisser Weise an den Habitus eines technischen Kundenberaters erinnert, der ein Gerät zur Wartung und Reparatur begutachtet und es dabei zunächst in Betrieb nimmt, sein Funktionieren bzw. Nicht-Funktionieren in Augenschein nimmt und bei fehlerhafter Operationsweise eine technische Veränderung vornimmt. Die sich darin ausdrückende Wahrnehmung einer technisch gegebenen Rationalität zeichnet sich im Wesentlichen dadurch aus, dass sie jegliche Form von Metaphysik vermeidet, sondern sich bei Nicht-Funktionieren auf ein mehr oder weniger besonnenes Suchen nach Gründen dafür konzentriert: In diesem Sinne schildert Andreas auch den von ihm erlebten Absturz seines Computers als ein Szenario, in dem er nur zwei verschiedene Programme öffnet, die offenbar bei gleichzeitigem Offensein nicht harmonieren; ein Wechsel dazwischen ist nicht mehr möglich, obwohl es für diesen Sachverhalt nach Andreas Wahrnehmung eigentlich keine (technisch bedingte!) Ursache geben sollte, denn immerhin war im Hintergrund nicht einmal "ein Programm am Laden". Anstatt sich etwa darüber aufzuregen, kommt Andreas' Reaktion dieser als technisch bedingt wahrgenommenen Problematik entgegen und nimmt den Computer einfach neu in Betrieb. Damit ist seine Orientierung der Wahrnehmung des Computers erneut bestätigt. Sie bildet sich analog zu einer leblosen, technischen Maschine, von der man auch sprichwörtlich sagen kann, dass sie eben hin und wieder "streikt", was angesichts ihrer Rationalität gar nicht weiter verwunderlich ist, sondern vielmehr konstitutiver Bestandteil davon ist, den man nüchtern hinzunehmen und zu akzeptieren hat. Diese Orientierung reproduziert Andreas auch in der Passage zur Modellierung des Computers: (460) A: Man kann damit jetzt gut so Texte bearbeiten, man findet viele Informationen, das ist BESSER als so-, du hast sozusagen alle Duden und so, alles Mögliche. Verschiedene Fremdsprachen und so, kannst du alles da herausfinden, dann kannst du ihn für alles Mögliche nutzen, man kann sich selber Programme entwickeln. Man kann sich informieren, Bestellungen machen, verkaufen, alles, was man möchte geht über das Internet auch. I: Mhm, und jetzt so ein Computer, so ein PC, könntest du mir erklären, wie der aufgebaut ist oder wie der funktioniert? A: (2) So von der Bedienung jetzt oder-(2) Das ist nicht wirklich SCHWER, einfach-, die einfachsten Programme sind meistens auch so mit Beschreibung, Hilfe und so. Und SO schwer zu bedienen ist er eigentlich nicht. I: Und der Computer, wie der der aufgebaut ist und funktioniert? A: Das WEISS ich nicht. Ich weiß auch nicht, wie viel Megahertz, so Gigahertz, oder was das auch immer sind da, meiner hat. // I: Mhm // A: Also so etwas wüsste ich nicht mal von meinem. Der Computer kennzeichnet sich nach der Eigenschaft einer multifunktionalen Maschine, die nicht etwa aufgrund ihrer Grandiosität den Nutzwert älterer oder konventioneller Medienformate ersetzt oder überflüssig macht (wie bei Sercan), sondern eher erweitert und vereinfacht. Das Computermedium erscheint im Sinne einer "Technik für jedermann", deren Benutzung "nicht WIRKLICH schwer ist", zumal der Einblick in die grundlegenden Operationsweisen in Form basaler Programmwerkzeuge gleich mit einer Art Bedienungsanleitung ausgestattet ist ("sind meistens auch so mit Beschreibung"): Diese informiert über ihre Funktionsweise und kann darüber hinaus bei der Benutzung behilflich sein. Dabei steht der Nutzen der in Form des Computers gegebenen Technologie für einen breiten Anwendungskontext im Vordergrund. Deren technische Spezifikationen im Detail haben hier aber nur untergeordnete Priorität, sie sind im Prinzip als solche bzw. für sich alleine nicht in jedem Fall wissenswert, stattdessen kennzeichnet 429 Andreas sie als beinahe egal ("oder was das auch immer da sind"). Das Internet wiederum ist für Andreas (468) A: …ein Programm, mit dem man verschiedene Seiten, wie Nachrichten und so abrufen kann, mit dem man alle Informationen herausholen kann. Man kann damit gratis Kontakt aufnehmen und so was, man kann halt EINKAUFEN und so. I: Und könntest du mir denn erklären, wie das Internet aufgebaut ist? Oder wie das funktioniert? A: (3) Funktioniert, Bedienung vielleicht so einfach. Ist ja nicht SCHWER, man gibt oben den Text ein, was man HABEN will oder sucht bei Google, das ist halt nur Seite vor, Seite zurück, schließen und so. Man muss sich halt selbst so gucken, wo man hin will. Nach Art einer einfachen und nüchternen Charakterisierung ist das Internet für Andreas ein Programm gleich einer brauchbaren Datenbank, welche das "Abrufen" von Informationen ermöglicht. Im Modus einer bedienungsmäßigen Beherrschung und von nahezu jeder Überhöhung entkleidet erscheint es hier -bis auf die Funktion des "gratis" Kontaktaufnehmens -beinahe so rational wie das Medium des Teletextes, das ebenfalls, obgleich in reduzierter Form, das Bedürfnis nach grundlegender Informationsbeschaffung erfüllen kann. Ähnlich den deutschen Jungen des Sample beschreiben auch Sercan, Ferhat und Yüksel Computermedien vorrangig in einem technologischen Modus, der ihre Wahrnehmung dieser Medien kennzeichnet. Dabei werden jedoch unterschiedliche Akzente gesetzt, die einen anderen Orientierungsrahmen erkennen lassen. Die Beschreibung des Computers durch Sercan arbeitet sich von außen nach innen vor: Sie beginnt phänomenologisch und schreitet zu einer Art innerer Aufbaustruktur fort, die sich als Zusammenwirken verschiedener und ineinander verschachtelter Komponenten des Mediums darstellt, die in einem hierarchischen Zusammenhang stehen: Seite dann vielleicht doch nicht gab oder so, vielleicht war es auch MEINE Schuld, vielleicht weil ich mich dann geirrt habe oder so. Und dann sagen alle immer so zu mir "ja, du wirst immer viel zu schnell sauer, du rastest viel zu schnell AUS, du musst mal wieder runterkommen". Ja, ich bin immer so, wie sagt man, wenn ich manchmal etwas da nicht gleich hinkriege oder so, dann werde ich patzig immer und so. Ja, sonst habe ich eigentlich Ruhe. Sonst, wenn ich irgendwas mache. Diese Episode verdeutlicht, wie sich Carola an der Rationalität von Medientechnik abarbeitet und dabei im Umgang mit dieser scheitert. Dabei kommt zu es zu einer intensiven Interaktion mit dem Medium, während dieser sie emotional stark involviert ist. Worüber sie sich hier im Kern ärgert, ist, dass sich eine vorgängige Vorstellung des Funktionierens der Benutzung des Mediums nicht adäquat umsetzen ließ, da sich die von ihr eigentlich "ganz sicher" gewusste Webseite nicht mehr auffinden ließ. Deutlich wird dabei, inwiefern es die Technik zu sein scheint, die etwas mit Carola macht, anstatt, zumindest in dieser Situation, sie mit ihr: Sie ist so aufgewühlt, dass Sie präventiv mit Abbruch reagiert, da sie ansonsten erwartet bzw. befürchtet, "noch zu sauer" zu werden, wobei sie nicht sicher zu sein scheint, ob sie die Schuld daran eher der Technologie oder sich selbst zuschreiben soll. Anders als die Jungen, die eher distanzierte bis nüchterne Reaktionen schildern, die ihre Wahrnehmungen beim Umgang mit Medien begleiten und damit Beherrschung signalisieren, räumt Carola hier negative Empfindungen ein, die einen Bestandteil ihrer Involvierung mit der Technik ausmacht. Die Orientierung ihrer Wahrnehmung an der Schwierigkeit der Rationalität von Technik verdeutlicht sich auch darin, wie sie ihren Gefühlsausbruch bezüglich der gescheiterten Mediennutzung in Form einer Rückmeldung durch andere Personen weiter elaboriert ("sagen immer alle zu mir"). Ebenso gibt sie zu verstehen, inwiefern sie dies häufig erlebt und insofern vor allem ihre Wahrnehmung des Computermediums als mit Schwierigkeiten verbunden sieht, denn während anderer, computerfreier Aktivitäten empfindet sie "eigentlich Ruhe". Inwiefern zu einer solchen affektiven Involviertheit auch Momente von Sprachlosigkeit angesichts der Technologie treten verdeutlicht eine Passage, in der Carola der Internettechnologie insgesamt im Modus der Fassungslosigkeit gegenübersteht: (222) C: Ja ich habe mich schon IMMER, ich hab mich schon immer gefragt eigentlich, wie man in die Seiten REINkommt. Also, das irgendwie habe ich schon, also immer wenn mich jemand fragt bin ich immer sprachlos eigentlich. Ich weiß nie, wie kommt man in die Seite eigentlich rein? Oder wie ist das eigentlich mit der ganzen Technologie heutzutage? Überhaupt, über das ganze Netz und so. Ja, also das ist ja irgendwie eigentlich unfassbar, was man heute eben so schon geschaffen hat. Heutzutage eben. Also ich glaube ich könnte das gar nicht erklären, ich frage mich wie die Leute das MACHEN. Die es selbst ERFUNDEN haben, also ich frage mich wie man das erklären soll, also. // I: Würdest Du [selber denn] // C: [Also ich glaube], in dem Sinne eigentlich nicht, nein. Also weil das nicht so mein Ding ist, jetzt da mich so richtig reinzusteigern darin. Um das kennen zu ler- Sowas ist auch blöd. Genauso wie das auch mit anderen Sachen ist, zum Beispiel wenn jetzt die Moslems irgendwie sagen, ja "Krieg für Allah" oder so, das ist auch genauso bescheuert. Also, so was darf man eigentlich nicht ins Internet stellen. Weil dann irgendwelche bekloppten Leute, ja, das nachmachen. Und halt Kinderpornos oder so was. Das regt mich RICHTIG auf. Also wenn ich da glaube ich so einen Typen in die Hände kriegen würde lacht)), das ist ja wie einem Blinden erklären wie man aussieht. (3) Gute Frage (2) Also überhaupt keine Ahnung was ein Computer überhaupt sein könnte? Ich denke mal ich würde erstmal erklären was man damit Könntest du mir erklären wie ein Computer aufgebaut ist oder wie der funktioniert? O: Wie der funktioniert, na ja. ((lacht)) Na ja das wüsste ich schon, ich glaub schon, das ist ja auch gar nicht SO SCHWIERIG. Also-(3) I: Wenn ich dich als fragen würde, wie so ein Computer eigentlich aufgebaut ist und wie der funktioniert. O: Na ja, dass der Computer also (3), also gute Frage Würde ich so beschreiben. Da gibt's alles Bestandteile, also alle Teil sind in dem Rechner drinne. Und außen drum gibt's ein Gehäuse, zum Schutz. Es gibt einen Fernseher, einen Monitor. So, ja. (3) Es gibt einen Monitor. Wo du dann die CD in den Rechner rein steckst, wo du das dann halt sehen kannst und so. Dann gibt's eine Tastatur zum Schreiben alle da drinne" sein müssen besticht der Computer für Sercan durch solche Feature, über die eben nicht jeder verfügt und die das Thema der Distinktion durch Ausstattung aufwirft. Sercan aktualisiert hier einen Aspekt bezüglich seiner Wahrnehmung des Computers, der bereits in einer früheren Passage auftauchte, in der er schilderte, was für einen Computer er besitzt: (28) S: Äh, also zwei Gigahertz, ein Zwei-Gigahertz-Computer. Und eine TV-Karte, also das bedeutet dass man sich Fernsehen angucken kann. 512 (1) Arbeitsspeicher, also 80 Gigabyte-Festplatte, also so, ja. Und mein Vater hat einen eigenen Laptop. I: Aha, das heißt ihr habt zwei Computer [oder] S: [Zwei] Computer. Also, dieser Rechner da, der war schon ganz alt, so 133 Megahertz, aber mein Vater hat da so Teile gekauft, so aufgemotzt dann, den Computer. I: Mhm, aufgemotzt, das hat dein Vater da gemacht? S: Ja, der hat ALLES wieder neu gemacht. Mit unten so LICHT, so Neonlicht irgendwie, und, das sieht schon RICHTIG gut aus Wenn du dir vorstellst, ich hätte davon noch nie gehört, dass es das also überhaupt gibt. Internet. Wie würdest du mir das denn beschreiben? (211) C: ((lacht)) Oh mein Gott ((lacht)), das wüsste ich gar nicht. I: Hast du da irgendeine Idee? C: (3) Also, du weißt nicht mal wie du den Computer anschaltest? I: Ich wüsste gar nichts. C: (3) Also, ich denke mal, ich würde erstmal erklären, wie man den Computer einschaltet, also WO und so. Wie man mit der Maus umgeht. Also, wo man dann reingehen kann, in welches Menü, also erst mal die Einzelheiten eben. Den Anfang alles erklären. Dass man also, erstmal wartet bis alles an ist, und so Der von mir zur Einleitung der Frage gebrauchte Unwissende wird sich von ihr so vorgestellt, dass ihm ein ganz konkreter Zugang wichtig ist, und dem sie -ähnlich wie Melanie -ganz konkrete Handlungsschritte vermitteln würde. Deutlich wird dies auch daran, dass dies alles für Carola nicht unbedingt oder prinzipiell leicht oder von vorneherein klar ist, sondern durchaus eines längeren und wiederholten Tuns bedarf, bis sich für einen potentiellen User eine Vorstellung von der Nutzung und Nutzbarkeit des Computers eingestellt hat. Man macht eben etwas solange, bis man es "raus hat". Der Umgang mit der Phänomenologie des Computers stellt sich demnach für Carola keineswegs als so voraussetzungslos dar, sondern bedarf eines gewissen Sich-Einlassens darauf. Inwiefern sich in ein solches Sich-Einlassen Probleme einschreiben, zeigt eine Passage, die ebenfalls in Carola Orientierungsmuster der Wahrnehmung von Medien passt: (206) C: Ja, zum Beispiel, wenn ich mir ganz sicher war, dass das eine Seite war die ich im Kopf habe, und dann die es gar nicht GIBT oder so, vielleicht, aber ich war mir ganz sicher. Dann rege ich mich manchmal VOLL DARÜBER auf Zur Rekonstruktion der bezüglich der Medienbewertung zutage tretenden Orientierungen der Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund wird zuerst auf Sunay eingegangen. Die ihr Bewertungsmuster konstituierenden Merkmale lassen sich zunächst an einer Passage nachzeichnen, in der sie sich allgemein zu Medien positioniert. Dabei handelt es sich um eine Textstelle, die vordergründig Ähnlichkeiten zum Fall von Olaf aufweist, da auch hier das Verhältnis von Mediennutzung und Schule angesprochen wird. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich Sunays Schilderung jedoch als fundamental verschieden:(275) S: Also, jetzt in der Schulzeit, habe ich eigentlich weniger was mit dem Computer zu tun. Weil, dann bin ich auch wirklich beschäftigt mit meinen Hausaufgaben. Und die muss man ja meistens dann zum nächsten Tag anfertigen. Und dann, ja, muss man halt noch so ein bisschen die anderen Sachen machen, so Sachen packen. Und dann ist es auch gleich schon spät, weil man macht zwischendurch ja auch sehr oft Pausen. Und man isst zum Beispiel was oder so, und dann geht die Zeit halt AUCH schon schnell rum. Aber sonst, na ja dann gucke ich auf die Uhr, dann ist es schon neun Uhr, dann muss man halt noch schnell was machen. Und wenn ich dann fertig bin, dann gehe ich auch schlafen. Also, so, damit ich am nächsten morgen nicht so müde aufwache ((lacht)). Damit ich nicht so fertig in der Schule bin.Sunay schildert hier durchgehend ein Verhalten, das davon geprägt ist, sich um die Erfüllung schulischer Verpflichtungen zu kümmern. Im positiven Gegenhorizont steht hier, den eigenen Alltag so zu gestalten, dass das eigene Funktionieren als Schüler, und damit einer rollengemäßen Verhaltensnorm, nicht gefährdet ist. Eine Beschäftigung mit dem Computer, so vermittelt sie, hält im Prinzip davon ab, die Anforderungen richtig zu erledigen: Es gibt viel zu tun, Hausaufgaben müssen zeitnah und pünktlich ausgeführt werden; insgesamt gesehen ist die Zeit knapp -sie geht "schon schnell rum", in anderen Worten: Es gilt, sein eigenes Zeitbudget richtig zu nutzen und keine Zeit -ähnlich ihrer Aussage in einer späteren Passage -sinnlos zu vergeuden. Selbst der Schlafrhythmus ist mit der Anpassung an die Wahrnehmung einer Verpflichtung synchronisiert.Übergreifend fügt sich Sunay einer Konvention und den dadurch gesetzten Grenzziehungen. Sie will morgens ausgeschlafen und fit sein, worin sich dokumentiert, sich im Hinblick auf eine Verpflichtung so anzupassen, indem man sich gleichsam vernünftig und konform verhält. In Bezug auf die Positionierung zu Medien und damit deren Bewertung bedeutet das: Nicht die Schule hält davon ab, sich mit den Medien zu beschäftigen (wie bei Olaf), sondern die Medien halten davon ab, sich mit der Schule zu beschäftigen. Der Computer erscheint hier wie eine Störquelle bezüglich der funktionalen Anpassung an Erfordernisse. Deshalb ist hier auch eine Beschäftigung mit ihm in der"Schulzeit" Anderem klar nachgeordnet, weil "wirklich" Wichtigeres auf der Agenda steht. Deutlich wird hier ein negativer Gegenhorizont, der sich auf ein Verhalten bezieht, das der Anpassung an externe Vorgaben bzw. ihrer Erfüllung zuwider läuft. Im 399 positiven Horizont steht, das eigene Verhalten im Interesse des Nicht-Abweichens an Vorgaben auszurichten.Im Rückgriff auf diese Orientierung bearbeitet Sunay auch die Frage, inwiefern eine Mediennutzung möglicherweise zu Vereinsamung oder sogar Sucht führen könne: (199) S: Na ja, es gibt halt diese Leute, klar. Auch in meiner Klasse, die halt wirklich fast den GANZEN Tag im Internet sind, und dann statt irgendwie, wenn draußen schönes Wetter ist irgendwie rauszugehen, vergeuden die ihre Zeit im Internet. Und gucken sich irgendwelchen Quatsch an. Und ich finde das lächerlich. Weil, erstens ist es so, die ELTERN müssen das ja bezahlen und nicht sie SELBER. Und deswegen ist das ja halt auch schon manchmal wirklich krass. I: Wie ist denn das bei Euch mit dem bezahlen, wer macht denn [das?] S: [Meine] Eltern, meine Mutter. Die machen das, also wir müssen da nichts beisteuern. I: Okay, also du meinst das könnte schon eine Gefahr sein? So, also ein dauerndes Davor-Sitzen? S: Na ja, ich weiß nicht, ich find das halt nicht-entweder man schmeißt seine Zeit weg, wenn man halt WIRKLICH nix besseres zu tun hat. Man kann aber auch dann irgendwas ANDERES machen, so Hausaufgaben irgendwie, wenn man was zu erledigen hat, oder im Haushalt mithelfen und so. Und ich finde auch, also die Eltern die SOWAS wirklich auch erlauben, die sollten mal aufpassen was sie machen. Weil, ich finde das nicht gut, also-I: Und wie ist das, in deiner Klasse sind da jetzt auch welche, die-S: Ja, also die ERZÄHLEN das halt so, aber ich weiß nicht genau ob das jetzt der Wirklichkeit entspricht. Aber einige, die sagen dann so "ja, ich war gestern mal wieder VOLL LANGE im Internet" und so. Und dann frage ich mich, was MACHEN die denn da so lange? Ich meine, als ob die nichts Besseres zu tun haben? Weil, wir kriegen ja auch viele Hausaufgaben manchmal auf. Und dann machen die wahrscheinlich ihre Hausaufgaben nicht mal richtig und so. I: Und warum sind die da so lange drin, was meinst du? S: Ich weiß nicht ((lacht)), keine Ahnung. Die chatten bestimmt, also ich weiß nicht. Ich finde das dann auch schon wieder irgendwie ängstlich wenn man SO LANGE im Internet ist.Bezüglich des infrage stehenden Medienverhaltens geht Sunay auf abweisende Distanz ("diese Leute"), obwohl sie entsprechende Personen auch aus ihrem direkten Umfeld kennt ("meiner Klasse"), diese hier aber nicht als Mitschüler bezeichnet, sondern viel eher als aus einer in diesem Kontext normalen Rolle fallend. Darin vermittelt sich eine scharfe Ablehnung des hier verhandelten Themas eines abweichenden bzw. problematischen Verhaltens. Dies stellt sich ihr so dar, dass in dem Fall, dass sehr viel Zeit online verbracht wird, diese "vergeudet" werde, was metaphorisch Bedeutungen von "verprassen" und "verjubeln" transportiert. Jemand, der so handelt, verhält sich verschwenderisch, unverhältnismäßig und maßlos, zumal der Inhalt der Beschäftigung für Sunay jeglichen Sinns entleert ist und den sie als grotesk empfindet.Aus dieser sich hier abzeichnenden Schutzorientierung resultiert, dass es ihr nicht darum geht, den Rezipienten zu stärken, damit er möglicherweise erst gar kein Bedürfnis entwickelt, entsprechende Angebote rezipieren zu wollen, sondern um eine maximale Bestrafung des aus ihrer Sicht Verantwortlichen, hier vor allem des Urhebers der im Internet zur Darstellung gekommenen Kinderpornographie. Diesen möchte Sie zudem gerade nicht in institutionalisierte Formen der Bestrafung überführen, wie dies etwa im Fall von Vanessa deutlich wurde (welche darüber spekulierte, ob Urheber fragwürdiger Internetinhalte von der Polizei "bis nach Hause verfolgt" würden); stattdessen sinniert Derya offen über das Mittel der Selbstjustiz. Diese Orientierung erinnert, vor allem was den letztgenannten Aspekte anbelangt, an den von Grimm (1999) herausgearbeiteten sogenannten Robbespierre-Affekt, nachdem Rezipienten die Perspektive der Opfer einnehmen und aufgrund eines Mitleids mit den Betroffenen und aus einer moralischen Entrüstung über aggressive Handlungen heraus Rachegelüste sowie die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt gegenüber dem Aggressor entwickeln. Dass es möglicherweise dem Mediensystem und seiner Struktur anzulasten ist, dass Darstellungen wie die von Derya angesprochenen verbreitet und zugänglich gemacht werden, ist dabei nicht Be-413 standteil ihrer Orientierung, sodass Derya von der Vorstellung einer Disziplinierung der Bilder zum Schutz der Rezipienten geleitet bleibt.Bisher ließ sich herausarbeiten, dass Derya Medien danach bewertet, inwiefern der Umgang damit zu einer negativen Entwicklung beiträgt, die gleichermaßen abgeschirmt und diszipliniert werden muss. In dieser Orientierung bearbeitet sie auch den Zusammenhang von Medienwirkung und individuellem Nutzerverhalten. Hier zeigt sich, dass sie das vom Interviewer aufgeworfene Phänomen der Mediensucht für etwas hält, das aus ihrer Sicht einer fehlgeschlagenen Anpassung an eine soziale bzw. kollektiv gültige Normalität entspricht: (192) D: Ja das finde ich auch. Ich kenne zum Beispiel so einen Jungen, und der sitzt wirklich den GANZEN Tag vorm PC, er hat gar keine Freunde, er wird irgendwie als Opfer bezeichnet, also als jemand, dessen einziger Freund der Computer ist. Und, halt der wird auch von allen gehauen, geschlagen und so ((lacht)). Also halt weil alle denken, na ja er ist ein kleiner und dünner Junge, weiß nicht, er sitzt den ganzen Tag am Computer. Hat gar keine Freunde, geht nicht raus. Und ist halt immer so jemand, der immer Lieder runter lädt, und kann man doch jetzt auf Handys so Videoclips und so was alles machen. Und, ein Idiot, lädt das alles runter, bezahlt Geld dafür, und die anderen NEHMEN das alle von ihm. Also das stimmt schon dass die vereinsamen, wenn die fast 20 Stunden vorm PC sitzen, finde ich schon. Und das ist auch nicht gut.An den Frageimpuls mit der Erzählung eines ihr bekannten Beispiels anschließend bedient sich Derya einer Beschreibung der aus ihrer Sicht defizitären Situation des "Jungen": Er ist sozial isoliert und im Zuge seiner Marginalisierung, für die Derya ein symbolisches Label gebraucht ("Opfer"), auch noch körperlichen Attacken und Demütigungen seitens seiner Mitschüler ausgesetzt. Sie begründet dies damit, dass in den Köpfen der anderen offenbar ein bestimmtes Bild von ihm existiert bzw. sich darin festgesetzt hat ("weil alle denken"), zumal die Physiognomie des Jungen auch deutlich von der der anderen abweicht. Allerdings schließt Derya an diese Schilderung nicht mitleidig an, z. B. indem sie seine marginale Position als etwas zu Schützendes oder zu Tolerierendes deutet, sondern bringt die Problematik der infrage stehenden Person und ihres Verhaltens in eine soziale Relation. Ganz offensichtlich weicht hier die Person, das Subjekt, von den sozialen Maßstäben ab und manövriert sich selbst in eine soziale Schieflage. Ihre Beschreibung fährt folgendermaßen fort, dass der Junge scheinbar nicht bemerkt, dass er sich durch sein Verhalten augenscheinlich selbst in diese Lage gebracht hat: Er ist ein "Idiot", einer, der sich sogar finanziell verausgabt, in anderen Worten sorglos mit materiellen Ressourcen umgeht, während er zugleich von den anderen ausgenommen wird -offenbar müssen die Mitschüler nichts für den Erhalt der Mediendateien bezahlen bzw. tun es einfach nicht, was den Jungen aus dem Beispiel umso mehr zu einem "Opfer" der Ausbeutung macht. Damit stellt Derya implizit fest, dass die Ursache für dessen Situation eigentlich bei ihm selbst zu suchen ist. Er verhält sich so, dass er gleichsam automatisch in eine missgünstige Wahrnehmung Anderer gerät, die dann auch entsprechende Folgeerscheinungen nach sich zieht. N 414 Nicht das Verhalten dieser Anderen ist hier für Derya das eigentliche Problem, sondern dies gleicht ihr einer eher normalen Reaktion auf die Marginalisierung des "Jungen", welcher durch seine eigene Abweichung vom Mainstream eigentlich selbst verantwortlich dafür ist, dass er in eine so desolate Lage geraten ist: Abweichendes Verhalten zeitigt demnach wie selbstverständlich negative Reaktionen seitens der personalen Umwelt. Folgt man dieser Lesart, bedeutet Deryas Gedanke reformuliert, dass sich jemand, der sich wie der von ihr geschilderte Junge verhält, eigentlich nicht wundern muss, wenn er abwertend behandelt wird. Diese Lesart steht in Kontrast zur Deutung im Fall von Timo: Während dieser vermutete, erst das "runtermachen" im Sozialgefüge innerhalb der Schule führe -als Auslöser -dazu, dass man sich den PC zum Freund mache, deutet Derya diese Problematik in genau umgekehrter Weise: Wer sich den PC zum Freund macht und damit von den normalen Verhaltensweisen der anderen abweicht läuft Gefahr, ausgegrenzt zu werden. Das individuelle Verhalten muss sich also auf seine Passung in Bezug auf das kollektiv gültige hin befragen lassen und wird daran gemessen.Auf die Frage, welche Änderungsmöglichkeiten sie sich vorstellt, arbeitet Derya diese Orientierung weiter aus: Nicht das umgebende Sozialgefüge habe sich zu ändern, etwa indem es Toleranz dem Marginalisierten gegenüber entwickelt, sondern im Gegenteil müsse sich das Subjekt den gängigen Normalitätsvorstellungen des Sozialgefüges anpassen:(194) D: Na ja die sollten einfach, ich weiß nicht das muss von denen alleine kommen. Die müssen sich selber sagen "okay ich habe keine Lust den ganzen Tag da vor dem Computer zu verbringen, sondern ich möchte eine Freundin haben oder einen Freund, oder Kumpel". Und die müssen selber was dafür tun. Weil wenn nicht, dann haben sie halt selber Pech gehabt. Oder die Eltern müssten am besten mal so vorher schon so Druck machen, und sagen "geh mal raus, und triff dich mal mit Freunden" und so.Was den PC-Süchtigen nach Derya fehlt, ist eine soziale Einbindung und Strukturiertheit, die sie in die Normalität zurückholt und damit zu Gleichen unter Gleichen macht. Diese Anpassung an sozial gültige Verhaltensmaßstäbe ist für Derya der zentrale Weg, der sich von außen scheinbar nur schwierig beeinflussen lässt. Deutlich wird dies daran, wie stark sie den Impuls, das infrage stehende abweichende Verhalten zu modifizieren, ins Subjekt hineinverlagert -die Änderung und der dazu notwendige Antrieb müssen natürlich angelegt sein, man muss es selber wollen. Im Vergleich dazu stellte beispielsweise Vanessa viel mehr darauf ab, mittels von außen kommender (moralischer bzw. erzieherischer) Appelle auf das Verhalten einzuwirken. Für Derya stellt sich das Zurückkommen in sozial stabile Vergemeinschaftungsformen als "selber was dafür tun müssen" dar. Dies gleicht ihr allerdings weniger einem individuellen Projekt, das auch scheitern kann, z. B. in dem Fall, dass es vielleicht nicht gut genug ausgeführt wurde, sondern Derya naturalisiert diesen Anspruch ausdrücklich: Das mögliche Ausbleiben einer so erfolgten Verhaltensänderung deutet sie als "Pech"; dieses ist -ebenso wie sein Pendant Glück -zufallsmäßig bestimmt und ereignet sich gerade unplanbar und schicksalhaft. Gelingt die Anpassung an die soziale Normalität also nicht, ist auch dies einer-415 seits ein Schicksal, gegen das kaum etwas unternommen werden kann. Andererseits kann die Normalität anders als auf diesem Wege gar nicht hergestellt werden.Dadurch validiert Derya erneut ihre Orientierung am Prinzip einer Fremdregulation durch Disziplinierung, denn als Alternative zu diesem "Pech" führt sie die Eltern an, die, so ihre Idee, idealtypischerweise "Druck" ausüben sollten. Bevor also die in ihrem Beispiel geschilderte Marginalisierung überhaupt entstehen kann, sollte es im Vorfeld, das heißt präventiv, zu Interventionen kommen, die das Verhalten beeinflussen. Damit spricht sie sich -homolog zu Zeynep und Sunay -klar für eine Verantwortung von Eltern aus, ihrem Kind in Form von "Druck" klare Anweisungen zu setzen, um einer abweichenden Entwicklung vorzubeugen. Den entsprechenden Modus kleidet sie in eine Form klarer Direktive, die die Eltern "am besten" frühzeitig an ihr Kind aussprechen sollten. Die individuelle Entwicklung, so lässt sich schlussfolgern, wird von Derya -ähnlich zu den beiden anderen Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund -eng an elterliche Imperative gekoppelt. Sie werden charakterisiert in Form einer stabilen Struktur, welche über das Wohl der Kinder zu sorgen bzw. zu wachen hat und der im Falle von Abweichungen auch die Verantwortung dafür attribuiert wird.Inwiefern solche Imperative aber sehr deutlich mit dem Interesse des Kindes zu verbinden sind, zeigt sich in einer weiteren Interviewpassage, in der sich Derya, angestoßen durch den Frageimpuls zum Erfurter Amoklauf, an der Frage des Verhältnisses von Medienwirkungen sowie Eigen-und Fremdverantwortung abarbeitet:(195) D: Also ich weiß nicht. Vielleicht könnte es sein, dass irgendwelche Menschen, die halt labil sind und sich nicht beherrschen können, dass die wirklich denken "okay ich stecke jetzt in einem Computerspiel drin". Aber ich finde im Großen und Ganzen kann das eigentlich jeder spielen, ohne dass er gleich so was macht. Also ich finde das okay. Man hat ja damals auch gesagt, er hat zuviel Marilyn Manson gehört, und darum. Und ich meine, ja was SOLL denn das? Man kann doch nicht einen Sänger verantwortlich machen, weil irgendein Typ da, weiß nicht, zuwenig Liebe bekommen hat oder so. ICH MEINE IST SO. Was kann denn ein SÄNGER dafür, wenn irgendein so ein Typ austickt? Oder jetzt Counter-Strike. Okay, ich finde man sollte das ab einem bestimmten Alter erst spielen dürfen. Zum Beispiel sage ich mal 16 oder 18. Und nicht mit 10. Weil die 10-Jährigen SIND halt nicht so reif wie 16-Jährige. Aber, ich meine, der war ja 18 oder so war der oder? Und der kann doch selber entscheiden, und müsste auch soviel Grips haben um zu wissen, dass das Leben eben kein Computerspiel ist, sondern halt Realität. I: Mhm. Und was meinst du jetzt, wie groß war der Anteil von dem Computerspiel da dran? Also wie stark hat das wohl dazu beigetragen, was meinst du? D: Vielleicht war es ja einfach so, der hatte das schon immer in sich, so was zu machen. Und das war dann der Auslöser vielleicht.Einen Zusammenhang zwischen Spiel und Gewalthandlung nur eingeschränkt geltend lassend beschreibt sie die möglicherweise davon Betroffenen als schwach und mit mangelnder Selbstbeherrschung ausgestattet. Sie haben aus dem Spiel nicht wieder heraus-416 gefunden ("stecken noch drin"), anders ausgedrückt: Ihr Situation ist festgefahren und aussichtslos. Hier handelt es sich aber nur um eine kleine Randgruppe, denn ansonsten bestehe keine Gefahr. Stärke und Selbstbeherrschung sind beim Gros der Nutzer natürlicherweise vorhanden und stabil ausgeprägt und es ist aufgrund dessen nicht mit nennenswerten Nachahmungseffekten zu rechnen; es ist die gegebene soziale Norm, dass so etwas nicht passiert. Es kann, so argumentiert Derya weiter, niemals ein Medienangebot als solches sein, das wirkt, sondern darüber entscheidet -erneut -die Reife des Rezipienten. Deutlich wird dies daran, wie stark sie sich darüber ärgert, dass der Erfurter Amoklauf aus ihrer Sicht in Zusammenhang mit einem Musiker bzw. seiner Band gebracht wurde. 185 Ihm bzw. seinen medialen Botschaften irgendeine Verantwortung für aggressives Verhalten zuzuschreiben, lehnt Derya scharf ab. Stattdessen betont sie ein anderes, starkes Kriterium, wo die Ursache für den Gewaltausbruch zu suchen ist: Der Attentäter hat aus ihrer Sicht unzureichend "Liebe", das heißt emotionale Zuwendung und Wärme erfahren.Damit schließt sich der Kreis zu der bereits oben herausgearbeiteten Argumentationsfigur: ganz offensichtlich haben die Eltern versagt, und zwar indem sie in die Entwicklung des Kindes nicht genug Liebe investiert haben, für Derya der zentrale Garant dafür, dass das Aufwachsen richtig verläuft und ein Heranwachsender eben nicht "austickt". Der objektiven Wahrhaftigkeit dieses Prozesses ist sie sich, das drückt sich hier auch performativ aus, absolut sicher ("IST SO"). Innerhalb des von ihr so vorgestellten Entwicklungsprozesses entsteht für sie ein rational denkender und handelnder Mensch, der "doch selber entscheiden kann", was er tut und wie er sich verhält. In Bezug auf ihre Argumentation bezüglich der Medienwirkung bedeutet dies: Verantwortlich sind nicht die Medien und ihre Angebote, sondern die sozialisatorische Struktur, innerhalb der der Rezipient aufwächst und sich entwickelt; es gilt einerseits, das heranwachsende Subjekt davor schützen, bestimmte, vor allem gewalthaltige, Medieninhalte überhaupt zu Gesicht zu bekommen (Kontrolle der Bilder bzw. Inhalte), andererseits gilt es, ihm bedingungslos mit Liebe zu begegnen, sodass es in einem wünschenswerten Rahmen zu einer Ausbildung konformen Verhaltens kommt.Mit Bezug auf diese Denkfigur arbeitet sich Derya wiederum an der Frage möglicher Grenzsetzungen ab, das heißt sie hält am Prinzip der Disziplinierung fest: Dieses sollte ihres Erachtens bis zu einem gewissen Punkt des Heranwachsens praktiziert werden, dann aber darf bzw. soll es aufhören, da zu erwarten ist, dass eine disziplinierende Haltung einem Heranwachsenden gegenüber natürlicherweise obsolet geworden ist. Dies ist für sie völlig natürlich und unumstößlich: Die "10-Jährigen SIND halt nicht so reif wie 16-Jährige". Attentäter von Erfurt doch "18 oder so war", dass heißt sich eigentlich in einem Lebensabschnitt befand, bei dessen Erreichen sie eine sozial funktionale Normalität und Stabilität erwartet. Er hätte eine mit dem biologischen Alter korrelierende Reife erreicht haben müssen, welche automatisch dazu befähigt, "richtig" mit den Medienangeboten umgehen und "selber entscheiden" zu können. Deutlich wird dabei erneut, wie sie -ähnlich wie bisher -auf eher natürliche Entwicklungskategorien abstellt: Ab einer bestimmten Reife in einem bestimmten Alter ist man gleichsam logisch dazu befähigt, eben nicht "auszuticken". Das Subjekt ist für Derya demnach irgendwann ("sage ich mal 16 oder 18") gewissermaßen aussozialisiert und besitzt so viel "Grips", "Leben" und "Computerspiel" auseinander zu halten. Gerade auch durch diese Metaphorik konturiert sich Deryas Orientierungsrahmen, versteht man "Grips" als die umgangssprachliche Wendung für eine funktionierende und gesunde Gehirnaktivität. Sie wird erreicht, indem der Heranwachsende emotionale Zuwendung erhält, die eine Garantie für eine Entwicklung zu natürlicher Reife darstellt.Das bedeutet: Bei problematischem (Medien-)Verhalten ist eine solche Entwicklung nicht hinreichend begleitet worden, aber gerade nicht, indem versäumt wurde, Einblick in die inneren Vorstellungswelten des Nutzers zu nehmen (wie in der Argumentation von Melanie), ihn intentional zu erziehen und zu versuchen, eine Einsicht in das eigene Verhalten herbeizuführen, sondern indem stattdessen versäumt wurde, das Kind mit Liebe zu versorgen und seine Entwicklung -salopp gesagt -zu hegen und zu pflegen, bis es natürlicherweise reif, kräftig und erwachsen ist. Die Medien oder eine gemeinsame medienerzieherische Praxis überhaupt in Zusammenhang mit einem gewalthaltigen Ausagieren zu stellen, ist für Derya vor diesem Hintergrund ausgeschlossen. Sie stellt sich vor, der Erfurter Amokläufer sei einem gleichsam natürlichen Programm gefolgt, ähnlich einem im Subjekt schlummernden Trieb. Der Weg zu einem potentiellen Attentäter war auf drastische Weise biographisch vorgezeichnet und es bedurfte lediglich eines "Auslösers", bis sich der Trieb entlud. Darin dokumentiert sich ein gleichsam latentes Muster, durch den Deryas Orientierungsrahmen zusammengehalten wird: Es handelt sich um eine Vorstellung des Subjekts, welches man vor dem Hintergrund der Auffassung von Entwicklung als natürliche Anpassung an eine soziale Umwelt schützen, disziplinieren und lieben muss, kaum jedoch erziehen. Der Themenbereich Wahrnehmung fokussiert Sichtweisen und Vorstellungswelten der Jugendlichen auf Medien. Bereits in den Schilderungen zu den verschiedensten Interaktionsformen mit Medien lassen sich Anhaltspunkte dafür finden, auf welche Weise und als was die Jugendlichen den Computer bzw. das Internet konstruieren. Zusätzlich zu diesen in den Handlungspraxen verborgenen Modellvorstellungen habe ich die Jugendlichen während des Interviews direkt nach Wahrnehmungen und Modellierungen der Medien befragt und hierzu gebeten, mir so genau wie möglich zu beschreiben, was sie sich unter den einzelnen Medien (Computer und Internet) vorstellen, wie diese ihrer Wahrnehmung nach aufgebaut sind und wie diese funktionieren. Insofern ging es mir darum, bestimmte "Computerinterpretationsmodelle" (Möller/Sander 1988: 363) der Jugendlichen hervorzulocken. Bezüglich des Sample ließen sich, wie im Folgenden dargestellt, folgende vier Orientierungen identifizieren: Bei den Jungen aus Familien deutscher Herkunft ist als übergeordnete Rahmung eine Rationalisierung der Technik zu finden (6.3.1); bei ihren Altersgenossen mit türkischem Migrationshintergrund ordnet sich die Wahrnehmung im Rahmen von Grandiosität, Souveränität und Leistungsfähigkeit (6.3.2). Die Medienwahrnehmung der Mädchen aus deutschen Familien lässt sich fassen als Schwierigkeit und Irrelevanz der Rationalität von Technik (6.3.3), wohingegen sich bei den Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund ein Rahmen von Fremdheit und Nichtzuständigkeit findet (6.3.4). Auf die allgemeine Frage nach seiner häuslichen Computerausstattung greift Olaf auf eine technische Orientierung zurück, mit der er zugleich etwas über seine Medienwahrnehmung mitteilt: Er sieht seinen Laptop als Gerät, dass sich durch technische Spezifikationen auszeichnet und sich anhand dessen auch charakterisieren lässt: Olaf verdeutlicht hier, dass technische Spezifikationen ein an und für sich konstitutiver Bestandteil sein müssen und dass der Mediennutzer über diese Dimension eigentlich auch etwas wissen kann: dass die "technischen Daten" also im Prinzip zu einer Wahrnehmung von Medien dazugehören, er jedoch nicht exakt darüber verfügt. Wichtig ist 419 ihm die Verortung seiner technischen Ausstattung im Bereich des "Normalen" und damit Unprätentiösen und Unauffälligen, wozu er seinen Computer limitativ beschreibt ("nicht irgendwas Besonderes jetzt oder so"). In dem von Olaf gebrauchten Begriff des "Schnick-Schnack" dokumentiert sich, betrachtet man dessen metaphorischen Gehalt, noch ein Mehr an Bedeutung: Schnick-Schnack steht für an sich überflüssige Merkmale aller Art und umgangssprachlich lässt sich damit ein nutzloses Beiwerk bezeichnen, das für die Funktionalität eines Objekts im Prinzip wertlos, nicht nötig bzw. unsinnig ist. Damit vermittelt Olaf "seinen Laptop" als frei von nutzlosen Ausstattungsmerkmalen, die nicht im engeren Sinne mit dessen Funktionalität in Verbindung stehen. Die in Olafs Familie vorhandene Anbindung ans Internet schildert er auf meine Nachfrage ebenfalls im Sinne eines technisch-rationalen Datums. Hierzu ist ihm die Bezeichnung der Internetverbindung präsent, wobei er offensichtlich weiß, dass "DSL" von mehreren Anbietern zur Verfügung gestellt werden kann, und seine Familie bzw. er eben eine bestimmte, anbieterabhängige Variante nutzen ("eben das von der Telekom"). Olafs Wahrnehmung der technischen Infrastruktur relationiert sich damit in Bezug auf eine technische Rationalität, die als Ausdruck eines rationalisierenden Modus der Aneignung von Technik erscheint.Dieser Modus transportiert sich auch in einer anderen Passage, in der Olaf -relativ knapp und eher nebenbei -erwähnt, dass er auch hin und wieder chattet, wozu er das Programm "ICQ" (119) benutzt:(121 I: Ah ja, äh, also was heißt das? O: ((Seufzt)) Na ja, wie soll ich das erklären, das ist halt ein Programm, wo man sich selbst anmelden kann. Was über den Computer halt läuft. Man kriegt da eine Nummer zugewiesen. Und dann ist man halt online, und dann kann man mit Leuten sprechen, die aber das gleiche Programm haben müssen.Olaf erklärt seine Chatpraxis weniger als erlebnismäßiges Szenario, in dem man beispielsweise mit Identitäten spielt oder in das man sich zum Zweck der Ablenkung oder des Amüsements hineinbegibt, sondern viel eher im Sinne eines Prozessierens technisch richtiger Abläufe. Wichtig sind dabei das Vorhandensein der entsprechenden Software und der entsprechend durch den Nutzer befolgten Handlungsroutinen, deren Einhaltung zur Verwendung des Chatprogramms erforderlich sind. Anstelle einer Thematisierung z. B. eines kommunikativen Dabeiseins geht es Olaf also viel stärker um Aspekte einer technischen Funktionserklärung: So ist das Zustandekommen der Chatpraxis abhängig von der Verfügung über eine technisch stimmige und synchrone Ausstattung der einzelnen Computerbenutzer.Am deutlichsten zum Ausdruck kommt Olafs Orientierung an der Semantik technischer Rationalität in der Passage, die von der Modellierungsfrage eingeleitet wird:In der bewussten Betonung und dem Gebrauch technischer Fachtermini vermittelt Sercan seinen PC als hochwertig, schnell und mit leistungsstarken Komponenten ausgestattet. Computertechnik ist eine gestaltbare, die sich durch den bastelnden Umgang damit aufrüsten lässt, wodurch sie, obwohl eigentlich "schon ganz alt", wieder in neuem Glanz erstrahlen kann und sich dadurch individualisieren und personalisieren lässt 186 . Dies verdeutlicht er an der Praxis seines Vaters, der in einer Weise, die Sercan als technikkompetent schildert, den Computer "aufgemotzt" hat. An dieser Praxis des sogenannten case moddings 187 ist Sercan zwar selbst unbeteiligt bzw. hat dies nicht selber durchgeführt. Entscheidend ist vielmehr, dass, und das dokumentiert diese Passage, dies seine Wahrnehmung von Technik als leistungsstark, distinktiv und optisch exquisit prägt. Dies steht in maximalem Kontrast zu den Schilderungen der deutschen Jungen, die ihre eigene Computertechnik viel eher rationalisieren (er soll lediglich "vernünftig" sein, keinen "Schnick-Schnack" enthalten) oder sogar symbolisch beschränken ("ein 56K-Modem reicht").Bedeutsam Nach Sercans Erklärungstheorie existieren Computer in allen möglichen Erscheinungsformen. Entscheidend für das Funktionieren ist das Vorhandensein bestimmter Leistungsmerkmale, die in Form spezifischer innerer Strukturen gegeben sind bzw. von ihnen abhängen, wobei die technische Entwicklung fortschreitet und zu immer besseren, leistungsfähigeren Abläufen und somit insgesamt schnelleren Geräten führt. Die Form der visuellen Darstellungsmöglichkeit ist ihm dabei besonders wichtig: Sie erfordert eine leistungsstarke Grafikkarte, deren prototypischen Vertreter Sercan auch gleichzeitig benennt und sie aus einem Ensemble verfügbarer Komponenten besonders hervorhebt. Es geht im Weiteren um "den Hauptteil" des Rechners, der für Sercan das Herzstück darstellt, ohne den man "GAR NICHTS" machen kann: Diese Technik muss funktionsfähig sein, ansonsten ist der Nutzer machtlos und handlungsunfähig. Deutlich wird hier, dass es weniger um das tatsächliche Zusammenwirken der einzelnen Bestandteile auf einer (technischen) Operationsebene geht, sondern um den Ermöglichungscharakter der Technik einerseits im Effekt, den die innerlich ablaufenden Prozesse auf der Oberfläche haben, und andererseits für den Technik besitzenden und benutzenden Akteur als Subjekt, der über diese leistungsstarken Aspekte dann verfügt. Dieser sich hier zeigende Topos der grandiosen Ermöglichung dokumentiert sich auch bei der Modellierung des Internet:(459) S: Internet, das ist (4), Internet, ich kann ja jetzt auch nicht sagen "Internet ist eine Seite", nein nein. Internet ist ein Programm, besser gesagt, wo du ALLES finden-wo du machen kannst, wo du ALLES machen kannst. Also, wo du was drüber erfahren willst, du KANNST das erfahren. Du kannst ALLES runterladen, Filme, Musik, du kannst Spiele spielen. Ja, DAS ist es 432 also. Ich würde dann sagen, Internet gehört auch zum Computer DAZU. Dann würde ich auch sagen Internet macht Spaß. So was.Die Internettechnologie ist hier etwas hochkomplexes, daher nicht reduzierbar auf etwas singulär sichtbares, etwa in Form lediglich "einer Seite" -eher handelt es sich um ein Programm, das zu maximalen Handlungsoptionen befähigt, und zwar weniger zu speziellen oder ganz bestimmten (zum Beispiel "finden", was eher der gezielten Informationsrecherche entspricht), sondern darüber hinaus vielmehr der Umsetzung einer totalen Handlungs-und Erfahrungsfreiheit entspricht, sprachlich umgesetzt im mehrfachen und betonten "ALLES". Es ermöglicht die Verfügung über den maximalen und uneingeschränkten Zugriff auf Inhalte und Erlebnisse unterschiedlichster Provenienz ("Filme, Musik" und "Spiele"). Es entspricht einer Art Wunscherfüllungstechnologie und erinnert hier an eine Programmatik des "du willst es -du kannst es". Es ist nicht überraschend, dass Sercans Orientierung Computer ohne Internetzugang als unbedingt zusammengehörig sieht; ein Computer ohne Internet wäre gleichsam flügellahm und um den Zugang zu einem über das unmittelbare Gerät hinausgehenden grandiosen Erfahrungs-und Erlebnisraum gleichsam beraubt.Die Verfügung über Technologie macht es denn auch möglich, bei minimalem Aufwand große Wirkungen bzw. Effekte zu erzielen, wie in einer weiteren Passage deutlich wird:(468) S: Gucken wir jetzt, also ((Geräusche von Fingern auf dem Tisch)), DAS ist der Monitor, so, ne, hier ist der Arbeitsplatz, Papierkorb, und DAS ist dann das Internet. Wenn sie jetzt hier raufklicken, kommt ein großes Bild und so, und HIER oben, äh, klicken sie REIN, was für eine Seite sie haben wollen. // I: Ah ja // S: Also, dann würde ich auch nicht dazu sagen, sie müssen nicht "www" und so schreiben, ich würde sagen dann müssen sie W-W-W PUNKT, sagen wir mal, ja über WAS wollen sie was erfahren? Über die Arbeitsstelle? Ja, okay, wie heißt das? Sagen wir mal "Revier" (1). So, also klicken sie "Revier" rein, und dann Punkt de. Klicken sie rein, sehen sie, DAS ist jetzt ALLES über ihr Revier. Aber wenn sie jetzt ausländische Seiten reingehen möchten, dann müssen sie auch manchmal com, das gibt's auch, COM. I: Ja, mhm, und innen drin, das Internet? Also, wie ist das so aufgebaut so zu sagen, also wie funktioniert das denn mit diesen Seiten da? S: Das Internet, das ist eigentlich SEHR leicht damit umzugehen. Also JEDER Mensch kann das heutzutage. Und, (3) das ist eigentlich SEHR leicht. Also, nach einem Mal sehen, da KÖNNEN sie das. Einfach so, das ist wirklich sehr leicht, einfach "www Punkt, das und das Punkt de". Noch ein Vorschlag von mir, eigentlich, wenn sie ins Internet reingehen, und sie können nichts finden, gehen sie einfach www.google.de so, http://www.google.de, da gibt's auch froogle, da gibt's auch andere Seiten, Suchseiten und so, google halt, und danach steht da "Suchliste", klicken sie einfach was an, EGAL was sie machen, klicken sie "Tisch", dann auf "Bild", dann kommen ALLE Bilder von einem Tisch. Klicken sie auf "Web", auf "Seiten", 433 klicken sie auf "Tisch", kommen ALLE Seiten über Tisch. So alles halt, so wie der Tisch hergestellt wird und so. So was, ist eigentlich leicht. Internet ist so, gleich nach einem Mal sehen kann das JEDER. Wie gesagt, heutzutage kann das JEDER, jeder Mensch kann mit dem Internet umgehen.Performativ begibt sich Sercan in die Situation eines Demonstrators, der mir zeigt, wie einfach und voraussetzungslos sich der technische Umgang mit dem Internet vollziehen lässt: Er imaginiert dazu einen vor uns befindlichen Computers mit Internetanschluss, mit welchem er im Folgenden eine Interaktion gleichsam aufführt. Die Interviewfrage eröffnet für ihn sozusagen eine Bühne, die er dazu nutzt, sich als Spezialisten für die Modellierung des Mediums und sein Funktionieren in Szene zu setzen.Das Muster ist analog zur obigen Passage: eine einfache Eingabe des Nutzers ermöglicht sofortige Effekte ("raufklicken, kommt großes Bild"), notwendig ist lediglich die Spezifizierung eines Wunsches, welcher in Form einer entsprechenden Anzeige sogleich erfüllt wird. Über die einzelnen Passagen der medienbezogenen Wahrnehmung hinweg lassen sich abschließend folgende Komponenten von Sercans Orientierung festhalten: Als positiver Gegenhorizont ist Technik omnipräsent, sie besteht aus Einzelbestandteilen, die zusammengenommen ihre Leistungsfähigkeit ausmachen bzw. generieren. Die Qualität dieser Einzelbestandteile ist ein Distinktionsmerkmal, das man einerseits kennen, andererseits besitzen sollte. Weiterhin eröffnet Technik dem Nutzer maximale Handlungsspielräume und -optionen. Damit ist zugleich der negative Gegenhorizont markiert, und zwar Technik, die minderwertig bzw. leistungsschwach ist. Sein Orientierungsrahmen lässt sich demnach als Aufbau/Operationsweise von Technik in Bezug zu Faszination, Leistung, Souveränität, Grandiosität verdichten.Ein ähnliches Muster lässt bei Ferhat identifizieren: Dieser beeilt sich beispielsweise am Beginn des Interviews, mir mitzuteilen, dass er einen eigenen Laptop besitzt ("ja KLAR"; 29) und dass dieser auch eine Internetverbindung verfügt ("Ja, auch auf dem Laptop, also auch wenn ich RAUS gehe, habe ich Internet da drauf"; 31). Er kann also immer online sein und hat jederzeit grenzenlosen Zugriff, und zwar aufgrund des Verfügens über eigene, leistungsstarke Technologie.Diese hier zunächst schwach aufscheinende Orientierung setzt sich weiter fort und steigert sich, vor allem in der Passage zur Modellierung. Den Computer als beschreibt Ferhat folgendermaßen:(461) F: dass das-, das man ihn BRAUCHT zum Beispiel, es ist viel leichter Sachen auszuarbeiten damit, Texte. Es gibt ja Rechtschreibprogramme da drin, die einem zeigen, wie man-ob was FALSCH geschrieben ist. Einfacher, zum Beispiel, wenn man Internetanschluss hat, dass man sich einfach so-dass man neue MENSCHEN kennen lernen kann. (2) Und dass man einfach Spaß hat dran.Ferhat modelliert das Computermedium weniger in Form einer Arbeitstechnik, sondern viel eher als Nutztechnik, die den Arbeitsvollzug erleichtert und auf die man angewie-434 sen ist, um etwas nicht "falsch" zu machen: Man "BRAUCHT" diese Technologie ganz einfach, um etwas nach außen hin Sichtbares gut zu machen und dann darüber zu verfügen. Die Art und Weise, wie er dies am Beispiel der Ausarbeitung von Texten verdeutlicht, signalisiert, dass die Leistungsfähigkeit des Computers sich weniger auf die Funktion der Korrektur als Hilfe beim Arbeiten bzw. währenddessen bezieht, sondern hauptsächlich als Garant dafür erscheint, dass das damit ins Werk gesetzte Produkt (eben der Text) phänomenologisch ansehnlich ist.Darin dokumentiert sich: Die in Technik eingebaute Rationalität in Form von Unterstützern ist weniger etwas, das man bedienen oder erlernen muss, sondern was vor allem für ein Anzeigen dessen zuständig ist, dass man nach der erfolgreichen Benutzung über eine gutes Resultat verfügt. Das Potenzial im Inneren der Technologie erzeugt demnach sehr gute Effekte. Bezüglich des Aufbaus und Funktionsweise des Computers findet dies eine Weiterführung:(465) F: Ja, also-na ja, es gibt einfach, ohne Rechner, also ohne Rechner funktioniert der Computer SOWIESO nicht, der Bildschirm ist eigentlich Nebensache. Aber der gehört AUCH dazu, also das gehört ALLES dazu. Tastatur, Maus, Rechner und Bildschirm, meistens auch Boxen. Ja, und, aber das WICHTIGSTE Stück ist der Rechner. Auf JEDEN Fall, weil DARAUF ist auch die Festplatte, wo du deine Sachen speichern kannst. Dann gibt es auch noch Grafikkarte, wenn man Spiele spielen möchte. Das ist AUCH wichtig. Ich spiele gute Spiele, um eine gute Grafik zu haben, nicht dass man irgendwie solche Pixel drauf hat, so, einen viereckigen Kopf oder so ((lacht)), sollte man schon eine gute Grafikkarte haben, ja so was halt.Den "Rechner" nimmt Ferhat gewissermaßen nach Art einer Zentraleinheit war, die ein Ensemble weiterer Geräte versorgt und am Laufen hält. Diese weiteren Geräte sind zwar ebenso wichtig bzw. machen erst die Gesamtheit des technischen Gebildes in seiner Ausstattung aus, verblassen aber angesichts der Prominenz des "Rechners". Dessen Stellung ist von herausgehobener Bedeutung, sichtbar auch an dem von Ferhat gebrauchten Ausdruck "Stück", denn dieser transportiert die Charakterisierung eines Objektes aus einer Menge mit Betonung dessen einzigartiger Qualität. Die Herausgehobenheit dieser Komponente steht für Ferhat unumstößlich fest ("auf JEDEN Fall"). Dessen Funktion erscheint zunächst wiederum technologisch konnotiert, weil er ein Speicherprinzip ermöglicht.Mit der daraufhin ins Spiel gebrachten Grafikkarte betont Ferhat ein Ausstattungsmerkmal, das sich durch Leistungsfähigkeit, Hochwertigkeit und Aktualität auszeichnen soll: Es geht ihm um das Neueste, welches sich von älteren und überholten Technik-Generationen abgrenzt, mithin um die Verfügung über eine souveräne Technologie, die wiederum gute Effekte erzeugt: Hierauf weist vor allem seine Analogie zum "viereckigen Kopf" hin, über den sich Ferhat lustig macht: Ältere, weniger leistungsstarke Technik ist nicht einmal annähernd in der Lage, etwas eigentlich rundes richtig darzustellen. Damit konturierte sich zugleich der negative Gegenhorizont in Ferhats Wahrnehmung, nämlich veraltete, schwache Technik, die es einfach nicht (mehr) bringt und an der Oberfläche nur minderwertige Ergebnisse erzielt. Als positiver Gegenhorizont steht 435 dem entgegen, dass die im Inneren wirkende Technologie leistungs-und funktionsfähig, daher nicht schwach bzw. kümmerlich sein darf. Dies ermöglicht dem Computermedium vorrangig, Darstellungstechnik zu sein.Das Internet wiederum ist für Ferhat ein globales Netz, das vor allem den visuellen Zugriff auf unbestimmte Inhalte ("Sachen") erlaubt, wobei die thematische Auswahlmöglichkeit grenzenlos und unbeschränkt erscheint:(467) F: Internet ist ein System, oder ein Netzwerk, weltweit, wo man sich halt also SACHEN angucken kann: Bilder, zu JEDEM Thema gibt's das was, zu JEDEM. Also EGAL was man sucht, findet man da. Das ist unbegrenzt, also ALLES Mögliche. Ob vom Fußball bis zum was weiß ich was. Es gibt bestimmt eine eigene Homepage für, äh (3) Das Angebot, dass die global verbreitete Netztechnologie anbietet ist dabei so umfassend, dass der generalisierte Nutzer dort alle Möglichkeiten hat. In seiner Verfasstheit bietet das Internet Raum für Darstellungen und Angebote jedweder Couleur ("was weiß ich was") und ist wie ein Schauplatz für alle möglichen und noch so ausgefallenen Inhalte; Ferhat überlegt hierzu eigens, welches absurde Beispiel ihm zur Verdeutlichung dieses Modells einfällt, was er dann in Form der Existenz einer Webseite vorträgt, die sich vermutlich ausschließlich dem Besteck asiatischer Esskultur widmet und deren Bestehen er belustigt für sehr wahrscheinlich hält. Die Technologie als solche deutet er in Form einer maximalen Verknüpfung von Anschlüssen ("jedes, mit jedem verbunden halt") und weiterhin als den Zusammenhang von Knotenpunkten und daran angeschlossenen Computern, wobei er sich den Hauptanschluss als eine mächtige Maschine vorstellt ("so ein richtig großes-, so eine richtig große Maschine"), die ihrerseits die weit verstreuten Abnehmer versorgt ("da sind dann halt alle Computer, die da angemeldet sind, dran angeschlossen"). Insofern partizipiert der häusliche Internetnutzer für Ferhat an einer grandiosen und leistungsstarken Megamaschine, die das gesamte System versorgt und zusammenhält.Die Wahrnehmung im Fall des dritten Jungen mit türkischem Migrationshintergrund, Yüksel, findet sich übergreifend in der folgenden Passage: 436 (359) I: Wenn du mir mal beschreiben solltest, was ein Computer ist. Wie würdest du das machen? // Y: Also, beibringen oder nur sagen? // I: Einfach erzählen, beschreiben // Y: Also erstmal würde ich sagen Computer ist was SEHR gutes. Ein Glück gibt's also auch PCs. Ich würde auch sagen dass man sehr gute Sachen darin machen kann, wie zum Beispiel man kann was da rein speichern, man kann Spiele spielen, man kann's ins Internet gehen. Da kann man zum Beispiel, im Internet kann man ja auch alles machen. Du kannst zum Beispiel Zeitung lesen, braucht man nicht Zeitung kaufen. Ist ja auch so, also gibt's, oder (2) ich würde dir sagen gibt's auch Internet, du kannst zum Beispiel durch Internet mit der Webcam mit Mikrofon kannst du aus der Türkei, oder was weiß ich wo, oder aus USA, aus Indien, kannst du mit ihnen also chatten, reden, also braucht man nicht telefonieren. Also schon sehr geile Sachen, also sehr gute Sachen gibt's da drinne. Man hat auch sehr Spaß davon, würde ich Ihnen erzählen (2) I: Und jetzt so das Internet? Wie würdest [du mir da] Y: [Also ich würde] Ihnen sagen also dafür braucht man erst einen Anschluss und einen Anbieter. Und man muss erst so Modem und so kaufen, also alles so machen. Und wenn man alles HAT, dann würde ich sagen, also man muss erst die Adresse eingeben, würde ich sagen, und danach kommen auch die Sachen. Würde ich sagen, du kannst ALLES im Internet finden würde ich ihnen sagen. Ist ja auch so, gibt's ja man kann alles finden was man will. Was ich noch sagen würde-äh, wie es aufgebaut ist.(3) Ich würde auch sagen es ist sehr GUT aufgebaut. Gibt's also, gibt's sehr leichte Sachen, also wenn er sich gar nicht auskennen würde, wenn ich dir sage hier ist Internet geh rein, also du würdest das SEHR schnell kapieren. Das ist eigentlich schon sehr leicht. Man muss ja nur die Adresse eingeben und danach kommen schon die Sachen und danach steht da, wenn man eine Adresse eingibt, zum Beispiel Fußball-Adresse, wenn man zum Beispiel dann will man ja vielleicht nur wissen wie die letzte Woche gespielt haben. Dann drückt man drauf und dann kommt letzte Woche. Oder Tabelle oder, oder was vor zwei Monaten passiert ist. Oder dann drückt man dann wo anders dann drauf, also es ist immer so abgeteilt. Also es ist immer so unterschied-Würde ich Ihnen alles sagen. I: Mhm. Du hast ja vorhin erzählt also wenn Du so mit dem PC was machst, wie meinst Du denn ist der aufgebaut, also hättest Du eine Idee? Y: Also, äh, der braucht also bestimmte Sachen Festplatte braucht der, einen Kühler braucht der, Grafikkarte braucht der, braucht Megahertz, braucht also RAM, also MB braucht der, also braucht schon sehr viele Sachen. Ich habe ihn auch aufgemacht, ich habe meinen PC drinne gesehen, da sind sehr viele Kabel dort. Also wenn man so gucken würde, würde man sagen "ALTERwie haben die es gemacht?" Das ist so RICHTIG kompliziert also. Da ist auch ein Kühler der sich die ganze Zeit dreht, der alles kühlt und so. Also, also schon sehr kompliziert so was zu machen. Also ich bin auch auf den Gedanken gekommen, also, wie haben die es gemacht? Wenn man zum Beispiel was SPEICHERT, und wenn man immer so speichert speichert und man löscht auch. Wie 437 das von dem PC entleert wird. Also man denkt, du legst was rein, und danach löscht man das, das muss doch IMMER NOCH irgendwie drinne sein. Aber ist ja nicht mehr. Ist einfach WEG. Also das habe ich mich mal gefragt wie die auf so was gekommen sind. // I: Und was meinst du? // F: Also wenn man es löscht, also ich habe es auch meinem Freund gesagt, also "ja guck mal wie sind die auf so was gekommen?" Muss man doch sehr schlau sein um so was zu erfinden. Und da meinte er ja "also das sind ja Daten", und danach wenn man die löscht, und dann sind die einfach weg, kann man löschen. Dann sind die WEG. Also zum Beispiel, der Besitzer von Microsoft, der ist doch auch sehr reich. // I: Mhm // Y: Also wie hieß der, also wie hieß noch mal der Mann, ich wusste seinen Namen (2) // I: Bill Gates. // Y: Ja genau Bill Gates, genau und der ist auch sehr reich. // I: Ja // Y: Ja ja, also muss man ja so schlau sein. (3) Nachdem Yüksels Nachfrage impliziert, dass er selbstverständlich über die Fähigkeit zu einer computerbezogenen Modellierung verfügt, schildert er im weiteren Verlauf der Passage Computermedien als etwas uneingeschränkt Positives, über dessen Verfügung der Mensch froh sein könne ("ein Glück gibt's PCS"). Daran schließt sich eine beispielhafte Schilderung mehrerer, wiederum positiv konnotierter Handlungsoptionen an, die mittels des Artefakts realisierbar sind: Es bietet scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten und ersetzt in seiner Operationsweise konventionelle Medien, wie beispielsweise das Printmedium Zeitung oder das Telefon. Vor allem in seinen kommunikativen Möglichkeiten liegen (technikbedingte und technikunterstützte) mächtige Potenziale der Überschreitung von Grenzen: So ist der Kontakt zu Leuten von "was weiß ich wo" möglich, worin Yüksel eine Substituierung des klassischen Telefonats anstatt dessen Erweiterung sieht. Darin dokumentiert sich seine euphorisierte Wahrnehmung der Leistungsfähigkeit von Technik ("sehr geile Sachen, also sehr gute Sachen"), die das Internet als einen positiven Erlebnis-und Handlungsraum konstitutiert.Die Bedingungen, online gehen zu können, charakterisiert Yüksel zwar einerseits als technologisch voraussetzungsvoll, andererseits schätzt er diese insgesamt eher gering ein, denn sie sind im Prinzip relativ leicht herstellbar. Nach dem Einrichten der technischen Infrastruktur (Anschluss, Anbieter, Modem) erledigt sich der Rest gleichsam wie von selbst. Als Türöffner zur Welt des Internet erscheint lediglich das Eingeben einer Adresse, danach prozessiert die Internetnutzung nach Art eines "you can get what you want". Dass dies so ist, erklärt Yüksel mit der "guten" Konstruktionsweise des Internet, die es dem Nutzer so leicht wie möglich macht, sich darin zu bewegen: Vor allem findet man direkt und ohne Umwege das gewünschte Ziel, wobei der Nutzer von einem vollständigen und allzeit verfügbaren Angebot an allen erdenklichen Inhalten ausgehen darf. Das Internet erscheint darin euphorisch weniger als ein Medium des Suchens als eines des Findens, ständig und nebenbei verwendbar, vor allem auch in Situationen, in denen man als Nutzer "nur eben" mal etwas wissen möchte.Yüksels Wahrnehmung des Computers ist von der Vorstellung der PC-Architektur geprägt, die zusammengesetzt ist aus verschiedenen Instanzen, welche zur Arbeitsweise "gebraucht" werden. Damit modelliert Yüksel den Computer in Form des Zusammenwirkens eines technologischen Bedingungsgefüges. Nach Art eines neugierigen Blicks gleichsam hinter die Kulissen ("drinnen gesehen") stellt er dann dar, inwiefern sich hier 438 eine faszinierende Sicht auf die nackte und entblößte Technik als solche eröffnet: Das Öffnen des PCs gibt ihm den Blick frei auf die komplizierte Verschaltung im Innenraum, für deren Konstruktionsweise er gleich mehrfach Bewunderung artikuliert ("Alter -wie haben die es gemacht?").Neben der Fokussierung auf die konkret sichtbare Funktionsweise dieser wundersamen Maschine und ihrer materiellen Gestalt ("ein Kühler, der sich die ganze Zeit dreht") geht es ihm auch um die unsichtbar bleibenden Prozesse: Vor allem die Vorgänge des Speicherns und Löschens von Daten erscheinen ihm opak und er kann sie sich nicht erklären. Zum Ausdruck kommen darin wiederum eine Faszination für und eine Bewunderung der visuell unsichtbar bleibenden Prozesse des digitalen Mediums, an dessen Verstehen Yüksel aber weit weniger Interesse signalisiert, als an der Fähigkeit generalisierter Anderer, dieses an sich Unmögliche, Unsichtbare und Leistungsfähige gleichsam in die Welt gesetzt zu haben. So ist es neben der technischen Rationalität, an der sich Yüksel abarbeitet, gerade auch die Macht des Erfinders, etwas so Kompliziertes selbst herstellen zu können bzw. zu konstruieren.Neben der Euphorisierung der Leistungsfähigkeit von Technik dokumentiert sich darin eine weitere wichtige Komponente von Yüksels positivem Gegenhorizont, nämlich die Grandiosität des Verfügens über Technik, die ihrerseits selbst grandios ist. Medientechnologie selbst erscheint hier sinnbildlich für Möglichkeiten des gesellschaftlichen Aufstiegs und des Erfolgs. In diesem Szenario erscheint ihm folgerichtig die Person des Bill Gates als eine, die es geschafft hat, durch Erfindung und Vermarktung von Technik zum Prototyp des klugen, vermögenden und erfolgreichen Mannes geworden zu sein. Im Gegensatz etwa zu Olaf, der sich darüber zu ärgern schien, warum er die Computertechnik nicht gut genug verstanden bzw. durchdrungen hat, um sie erklären und darstellen zu können, entwirft sich Yüksel als jemand, der leider nicht so schlau und erfolgreich ist, dass er eine so faszinierende und bewundernswerte Technologie einfach erfinden kann, um auf diesem Wege -genau wie die Technik als solche -Bewunderung zu ernten. In Kontrast zu den Jungen des Sample zeichnet sich die Wahrnehmung der Medien bei den Mädchen nicht durch technologische, also vorrangig an Aufbau und Operationsweise orientierte, Aspekte aus, sondern ist viel eher phänomenologisch geprägt.Bezüglich der Wahrnehmung im Fall von Vanessa verdeutlicht sich zunächst eine Irrelevanz technologisch-abstrakter Strukturen und Kategorien von Computermedien: Einerseits konzediert sie die Beschäftigung mit der Computertechnik innerhalb des Schulunterrichts, ("in ITG, da habe ich auch was, über das Innenleben des Computers was gelernt", 83). wobei der Lerngegenstand relativ diffus bleibt ("was"); andererseits weist sie die inhaltliche Relevanz solchen Wissens für sich selbst weit von sich, worüber sie sich gleichzeitig belustigt ("was ich aber wieder vergessen habe ((lacht))" 83). Vanessas eher phänomenologisch geprägte Wahrnehmungsweise kommt auch darin zum Ausdruck, in welcher Form sie ihre eigene technische Infrastruktur beschreibt. 439 Beispielsweise berichtet sie davon, dass sie hin und wieder mit dem Computer schreibt. Ich frage daraufhin, mit welchem Programm sie ihre Schreibpraxis gestaltet:(137) I: Wenn du sagst du schreibst, mit welchem Programm machst du das denn? V: ((seufzt)) (1) Oh, na ja mit Microsoft da halt (2) I: Was hast du denn sonst so auf deinem Computer drauf, also auf deinem eigenen? V: (2) ((seufzt)) Oh Gott das sind so viele ((lacht)) (3) Noch so, halt Excel und (3) oh die fallen mir alle irgendwie nicht ein ((lacht)).Die Frage nach der Spezifizierung des Schreibprogramms ruft bei ihr die Reaktion einer empfindenden Interjektion hervor, in der sich gegenüber meiner Frageintention eine distanzierende Verzögerung andeutet; kommunikativ signalisiert sie damit zunächst Ablehnung, die dann jedoch in die Nennung eines Herstellers mündet. Bereits hier ist angedeutet, wie wenig bedeutsam ihr die technisch korrekte Rationalität der Programmspezifikation ist. Meine Nachfrage nach weiterer vorhandener Software auf ihrem PC ruft ein ähnliches Muster hervor. Zunächst deuten sich sowohl eine Verzögerung als auch eine Verlegenheit an, wobei die vielen Pausen auf kognitive Suchbewegungen hindeuten, die Vanessa bemüht, um die Ausstattung ihres Computers mir gegenüber zu thematisieren. Sie benennt dann, inwiefern sie bzw. ihr Computer über eine große Anzahl von Programmen verfügt, die sie aber, mit Ausnahme des Tabellenkalkulationsprogramms Excel, nicht begrifflich spezifiziert und deren begriffliche Beschreibung sie darüber hinaus auch nicht weiter aktualisieren kann.Ihre Reserviertheit gegenüber der technologisch kategorialen Rationalität von Computermedien dokumentiert sich schließlich auch in der Passage, wo ich sie darum bitte, mir eine Modellvorstellung dieser Medien zu entwerfen: 440 V: (4) ((seufzt)) Also, das ist ((seufzt)) (3) Ja. Na ja da kann man (2) Sachen raus finden. Über bestimmte Themen. Man kann auch (2) auf Internetseiten gehen, wo halt was drauf steht irgendwie so was, über dieses Thema. Und man kann sich das dann ausdrucken lassen. Und man kann da chatten gehen. Und so was alles halt. I: Mhm. Und könntest du mir erklären wie das Internet aufgebaut ist oder wie das funktioniert? V: ((lacht)) Also DAVON habe ich erst recht keine Ahnung ((lacht)). I: Mhm. Also es gibt ja zum Beispiel viele ältere Leute die noch nie im Internet waren, und die da auch gar keine Ahnung von haben. Wenn du so jemandem das mal erklären solltest? V: Ich glaube da würde ich sagen, dass sie im Lexikon nachgucken sollen ((lacht)). Ja, also erklären könnte ich das nicht.Die spontane Reaktion auf die Bitte, den Computer zu modellieren, wirft bei Vanessa, ähnlich den vorangegangenen Ausschnitten, die Reaktion eines performativen "Kopfzerbrechens" hervor ("Oh Gott") und verdeutlicht, inwiefern sie mein Ansinnen als etwas scheinbar unmöglich zu Bewältigendes empfindet. Nach einer längeren Pause lässt sie sich dann aber doch darauf ein und beginnt mit einem phänomenologischen Begriffseinstieg ("das ist eine Kiste"), begleitet von einer Belustigung und dem weiteren Versuch, deren Funktionsweise näher einzukreisen, was aber abbricht. Nach einer längeren Pause fährt sie mit dem visuellen Ausgabegerät fort ("Bildschirm"), wobei die sprachliche Betonung verdeutlicht, inwieweit sie froh zu sein scheint, über eine konkrete bzw. bildlich-gegenständliche Modellierung zu einer flüssigeren Darstellungsweise zu kommen.Ihre Darstellungsweise dokumentiert im Weiteren eine äußerliche, wenngleich mit einer gewissen Systematik verbundene Modellierung, denn die einzelnen Bestandteile werden von ihr in funktionaler Abhängigkeit voneinander benannt: Mit der Tastatur kann man beispielsweise "halt irgendwie schreiben", wobei wiederum gegenständlich wird, dass dies geschieht, nicht etwa wie. Ein Download etwa ist an die Verfügung über den Zugang zum Internet gebunden, weiterhin werden isolierte Funktionen wie etwa Speichern und Spielen genannt. Meine Bitte des Versuchs einer weitergehenden Erklärung und Differenzierung begegnet Vanessa deutlich ablehnend. In ihr Muster der Wahrnehmung passt dann auch stimmig, dass sie das technologisch geprägte und intendierte Angebot des schulischen ITG-Unterrichts als völlig an ihr vorbeigehend darstellt. In seiner Ausrichtung auf die Vermittlung vorrangig technologischer Zusammenhänge hat es überhaupt keine Spuren bei ihr hinterlassen ("DA rein und DA wieder raus") bzw. ihr subjektives Wahrnehmungsmuster aufgrund kaum vorhandener Anschlussmöglichkeiten maximal verfehlt. Vanessas Modellierung des Internet zeigt eine ebenfalls deutliche Absehung davon, innere technische Abläufe oder Strukturen des Mediums zu charakterisieren; es ermöglicht ihrer Erklärung zufolge eine themengebundene und sachorientierte Informationsrecherche und ist insgesamt eine Art mehrfunktionales Artefakt.Während schon die beschreibende Modellierung mit einigen Schwierigkeiten verbunden war, so ist es in Vanessas Sicht die Wahrnehmung innerer Abläufe "erst Recht". Je technisch-abstrakter es wird, so dokumentiert sich darin, desto weniger Relevanz hat 441 dies für Vanessa und desto weniger "ahnungsvoll" nimmt sie sich wahr. Seinen Abschluss findet dies, als ich zum Schluss der Passage vorschlage, sich in eine ältere, und damit generationsmäßig Technik meist distanzierter gegenüberstehende Personengruppe, hineinzuversetzen, um dieser das Internet nahe zu bringen: Gerade weil sie Technik als etwas generell schwieriges empfindet, empfiehlt Vanessa zu dessen Verständnis die Lektüre eines Fachartikels ("in einem Lexikon nachgucken"), also eines aus Sicht von Experten verfassten Einblicks zu Fragen bezüglich Aufbau und Operationsweise des Internet. Dies erscheint ihr als eine angemessene Quelle, sich eines so komplexen Artefaktes wie des Internet zu vergewissern bzw. sich darüber zu informieren. Technologie erscheint über die Passage hinweg als etwas begrifflich schwierig zu fassendes, das eigentlich nur im Rückgriff auf eine systematische Einarbeitung verstanden werden kann; dabei grenz sich Vanessa durchgehend davon ab, computerbezogene Abläufe durch Rückgriff auf eine technische Semantik zu erläutern bzw. zu benennen oder sogar selbst als jemand aufzutreten, dem es relevant erscheint, entsprechende Zusammenhänge für sich oder für andere begreiflich zu machen oder zu demonstrieren.In einer ähnlichen Weise stellt sich die Wahrnehmung von Melanie dar. Sie bejaht zunächst meine Frage, ob sie einen eigenen Computer besitzt; daraufhin möchte ich wissen, um was für einen es sich handelt: Melanie gestaltet ihre Antwort im Rückgriff auf kategorial phänomenologische Merkmale, nämlich Größe und Alter ihres eigenen Computermediums. Im Nachsatz verdeutlich sich, inwiefern sie technische Spezifikationen als weitgehend außerhalb ihres Relevanzhorizontes liegend wahrnimmt, indem sie die Nutzbarkeit ihres so beschriebenen Computers für sich selbst als ausschlaggebend und hinreichend kennzeichnet. Wichtig erscheint hier zudem weniger, um was für eine Technik es sich in Melanies Umfeld überhaupt handelt, sondern wie diese sozial verteilt und somit zugänglich und nutzbar ist. Deutlich über der Relevanz der Funktionsweise steht in Melanies Wahrnehmung die Relevanz der gerätemäßigen, personalen und räumlichen Aufteilung.Auch in einer anderen Passage wird deutlich, wie sich Melanie an der auf der Oberfläche von Technik abspielenden Benutzung abarbeitet und dabei Merkmale der technologischen Rationalität des Funktionierens als nicht nur weniger relevant, sondern vor allem als schwierig kennzeichnet:(143) M: Oder wenn ich halt sagen wir mal ich will beim Schreiben eine Tabelle einfügen oder so, dann muss ich erstmal immer so genau GUCKEN, und dann wegradieren und das ist voll schwer mit dem Radiergummi zum Beispiel, finde ICH. I: Ja, mhm. Das findest du schwer? M: Ja ((lacht)) 442 I: Was machst du da? Tabelle einfügen? M: Ja, ich meinte jetzt zum Beispiel jetzt als wir ITG hatten, mussten wir auch manchmal so Tabellen einfügen, Zeilen, Spalten und so, und dann das immer wegzuradieren, wenn das FALSCH ist oder einfach wegzuklicken. (3) Hätten sie irgendwie EINFACHER machen können ((lacht)). I: Wie, die (1) Programmierer oder wie? M: =Ja. ((lacht)).Geschildert wird, inwiefern ihr das Umsetzen eines technisch vorformatierten und damit vom Nutzer zu akzeptierenden Ablaufschemas Probleme bereitet, indem es zur Notwendigkeit führt, sich an die innerliche Gesetzmäßigkeit des Textverarbeitungsprogramms anzupassen: In ihrer Wahrnehmung erfordert dies eine präzise Koordination der eigenen Handhabung und des Blickes mit den Funktionserfordernissen der technischen Rationalität -genau dies empfindet sie als "voll schwer". Sie verdeutlicht dies am Beispiel des Erstellens von Tabellen: Während man mit dem Programm interagiert, kommt es beständig zu Fehlern bezüglich der Eingabe bzw. bei der Handhabung.Das Vorkommen solcher unerwünschter Resultate, die Melanie ganz offensichtlich als selbstverständlich und grundlegend ansieht, beschäftigt sie als Nutzerin dauerhaft bzw., indem sie sich mit den dann erforderlichen Routinen immer wieder neu herumschlagen muss. Daraus erwächst der Wunsch einer erhöhten Benutzerfreundlichkeit, das heißt: Die technische bzw. programmmäßig unvermeidlich gegebene Rationalität ist ihr im Grunde zuwider. Dem gegenüber steht die Sichtweise, dass die Schwierigkeit, die Technik bereitet, im Prinzip durch einfache Abänderungen seitens der Konstrukteure bzw. Hersteller beseitigt werden könne, wobei das "sie", mit dem sie die Urheber anspricht (und die erst durch mich als "Programmierer" benannt werden) darauf hinweist, dass sie sich selber kaum über den Prozess der Konstruktion Gedanken gemacht hat.Der von Ihr hier angesprochene Wunsch nach einer einfacheren Usability von Technologie reproduziert sich in einer weiteren Passage:(178) M: Also na ja ich finde SOWIESO die Logik von den Internetseiten-Machern, also das finde ich total KOMISCH. Also irgendwie, es ist doch alles voll durcheinander alles, ich weiß nicht. Also ich hätte das ganz anders gemacht, aber-// I: Ach du hättest es anders [gemacht] // M: [Ja, auf] jeden Fall. Ich hätte es auf jeden Fall mit nicht so vielen Farben gemacht, und das was am wichtigsten ist, das hätte ich alles in einer Farbe gemacht. Und die machen es ja total BUNT so. Manchmal muss man ja auch echt voll SUCHEN. Oder, da steht meinetwegen so "mein Haus", da steht "meine Wohnung", also TOTAL KOMISCH. Ich weiß gar nicht wie ich das erklären soll so. Weiß nicht, ich finde das irgendwie total immer durcheinander so.Die Oberflächenstruktur des Internet nimmt Melanie als etwas wahr, das sie sehr grundsätzlich und von vorneherein betont in Frage stellt ("sowieso"). Diese Grundsätzlichkeit stellt sich dadurch dar, dass es ihr nicht um eine konkrete Seite oder einen bestimmten Inhalt geht, den sie als Nutzerin rezipiert und der in seiner Nutzbarkeit problematisch oder schwierig erscheint, sondern es geht ihr um die Gesamtheit der abstrakten Syste-443 matik und der Struktur, welche sie hinter den Angeboten vermutet -eine "Logik", die sie den Internetseiten-Machern unterstellt.Damit spricht sie zunächst die Produzenten bzw. Urheber der Online-Angebote an bzw. viel mehr deren Art und Weise, Inhalte zu präsentieren und zu verbreiten. Dass sie diese als "Macher" bezeichnet, verdeutlicht wiederum, dass sie die generalisierten Urheber von Angeboten nicht unbedingt spezifisch Rollenförmig ansieht (etwa als Firmen, Verbände oder Privatpersonen etc., die Inhalte online stellen), sondern als diffuse Menge von Akteuren, die etwas herstellen. Genau dies tun sie in einer Systematik, die Melanie nicht nur hin und wieder oder manchmal "KOMISCH" findet, sondern in einem umfassenden Sinne ("total"). Betrachtet man den Begriff des "komischen" fällt auf, dass er -unabhängig von seiner alltäglichen Verwendung -in einem strengen Sinn ein Phänomen meint, das Lachen oder Heiterkeit impliziert. In Melanies Gebrauch zielt er auf das genaue Gegenteil ab und erscheint im Sinne von absurd und befremdlich. Das heißt: Die Rationalität des Resultates dessen, was "Internetseiten-Macher" tun, produziert eine Situation, in der ihr angesichts der von ihr wahrgenommenen Merkwürdigkeit quasi das Lachen im Halse stecken bleibt.Die dargebotenen Inhalte empfindet sie in Ihrer Gesamtheit ("alles") als "voll durcheinander", das heißt sie erlebt sie als strukturlosen, willkürlichen Zustand der Unordnung. Das world wide web erscheint hier als chaotische Ansammlung völlig unzusammenhängender, wahlloser Angebote, die Melanie wortwörtlich Kopfzerbrechen bereitet. In den Konjunktiv wechselnd zeigt sie daraufhin an, wie sie sich eine andere Rationalität der Technologie vorstellt bzw. wie diese von ihr selbst "gemacht" worden wäre. Hier stellt sich Melanie eine grundsätzlich andere Gestalt des Internet vor, wiederum nicht nur in einem bestimmten Bereich, sondern unter allen Umständen und ganz sicher ("auf jeden Fall"): Sie wünscht sich eine von seiner Grundkonstitution her gedachte andere, fundamental verschiedene Rationalität der Präsentation von Internetangeboten als die Momentane.Zunächst spricht sie die visuelle Struktur an, die sie bezüglich der optischen Wahrnehmung anders machen würde, und zwar mittels des Gebrauchs eines verringerten Farbspektrums. In ihrer Wahrnehmung zeichnet sich das Gesehene demnach durch eine inflationäre Colorierung aus, woran sie den Wunsch einer Vereinfachung durch Reduktion koppelt. Eine bessere Navigierung erscheint ihr auch auf dem Wege möglich, dass man wesentliche oder gleich alle Inhalte einheitlich darstellt, um sich Suchwege zu ersparen. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Das Internet macht für Melanie in seiner Rationalität Probleme, da durch chaotische Darstellungsweisen die Wahrnehmung irritiert wird und dadurch das exakte und zielsichere Navigieren im Netz und das Finden von Inhalten darin erschwert werden.Auf die von mir eingeleitete Passage der Modellierung reagiert Melanie mit einer bejahenden und zugleich belustigten Verzögerung, die signalisiert, dass sie sich auf mein Ansinnen im Sinne eines "Mal sehen was dabei herauskommt" durchaus einzulassen gedenkt. Sie suggeriert darin, dass dies einem "Abenteuer" gleichkommt, wenn sie eine entsprechend der Interviewfrage motivierte Bearbeitung des Themas vornehmen soll: dass sie dies tatsächlich nicht für möglich hält, was sie auch mit dem Verweis auf ihr bekannte Personen verstärkt ("kenne ich niemanden"): Dadurch gibt sie zu erkennen, dass sie einen technisch-erklärenden Zugang für eine eher ungewöhnliche Art und Weise hält, sich dem Medium Internet zu nähern, da es ohnehin niemanden zu geben scheint, der eines solchen bedarf.In der sich bezüglich des Computers angedeuteten Gegenständlichkeit modelliert Melanie dann auch das Internet: Der Einstieg erfolgt über eine bildliche Oberfläche ("da gibt's so eine Seite"), über die man zunächst ins Internet gelangt. Diese bildet gleichsam eine Plattform, auf der man die Gesamtheit von Seiten "rauf und runter gehen" kann; hierbei bedient sich Melanie einer sprachlichen Ausdrucksform, die an das klassische und bei nahezu jeder Form der Computernutzung vorfindliche Scrolling erinnert, bei dem man innerhalb eines sichtbaren (Text-)Dokuments rauf und runter scrollt. Ihre Darstellung bleibt innerhalb dieser räumlichen Zweidimensionalität, welche andere Semantiken der Navigation, z. B. vor und zurück oder hinein und hinaus, unerwähnt lässt.Diese Beschreibungsform hat in ihrer Modellierung gleichsam vorbereitenden Charakter, denn sie unterbricht ihre Schilderung zugunsten einer anderen Beschreibungsform: Die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, ein Artefakt wie das Internet begrifflich abstrakt zu vermitteln, führt sie zu der Idee des zeigenden Präsentierens, das Melanie bezüglich eines Internet-Novizen in Stellung bringt: Sie würde sich mit ihm zusammen auf die "Seite" begeben, damit er selbst dann "gucken" kann. Anstatt ein Bild von der Technologie zu geben, soll bzw. muss sich der Novize lieber selber, mit eigenen Augen, ein Bild davon machen. Etwaige Vorstellungen von technischen Ablaufstrukturen werden von ihr wiederum kategorisch abgelehnt ("davon habe ich KEINE Ahnung"), relevant ist ihr allein das reibungslose Prozessieren der Nutzung, in der das "Reich der Technik" unsichtbar und darauf beschränkt bleibt, zu funktionieren ("Hauptsache es GEHT"). Damit wird zugleich ihr positiver Gegenhorizont sichtbar: Technik sollte gut und einfach funktionieren, um damit etwas machen zu können; wichtig ist dafür die Analogie zu einem ähnlich einfachen und voraussetzungslosen ein-und auszuschaltenden elektronischen Gerät, das zudem keinerlei technische Schwierigkeiten macht: dem Fernseher. Dazu kontrastiert der entsprechende negative Gegenhorizont von Melanies Wahrnehmung, nämlich etwas technisch-kategorial explizieren zu müssen, das zudem ein benutzerunfreundliches Handling bzw. -erinnert man die Passage zuvor -eine schlechte Usability aufweist.Ähnlich zu Vanessa und Melanie stellt sich auch die Wahrnehmung im Fall von Carola dar. Das Szenario des völlig Ahnungslosen, der nicht einmal im Entferntesten eine Vorstellung vom Computer hat, und dem sie eine grundlegende Modellvorstellung davon vermitteln soll, gleicht für sie zunächst einer Situation der Unmöglichkeit:nen. Mir reicht das aus, was ich mache am Computer, eigentlich schon. Ja.Carola berichtet von einem "schon IMMER", und damit lange und anhaltenden Staunen über das operative Funktionieren der Internetnutzung als solcher. Das von ihr gebrauchte unpersönliche Pronomen macht deutlich, inwiefern sie sich nicht nur selbst anspricht, sondern das Staunen in eine generalisierte Form kleidet. In kommunikativen Situationen ("wenn mich jemand fragt") ist sie nicht in der Lage, sich prinzipiell oder angemessen ausdrücken zu können, stattdessen erlebt sie sich dann als "sprachlos". Daran schließt sie zwei Fragestellungen an: Zum einen weiß sie, über eine tatsächliche handlungspraktische Benutzung des Internet hinaus, "nie" so recht, was da eigentlich wirklich, und das heißt technisch, vor sich geht. Darüberhinaus entwirft sich im Modus einer Beobachterin der modernen Medientechnologie als Ganzer, deren Genese sie vor allem in Gestalt der aktuell gegenwärtigen Form ("heutzutage") für "unfassbar" hält. Sie sind nicht richtig greifbar, erscheinen eher fluide und kaum materialisierbar. Dabei geht es ihr nicht um ein einzelnes Artefakt, sondern um eine übergreifende Gesamtheit der digitalen Rationalität ("Netz und so"), die "man" geschaffen hat, sodass in der Jetztzeit darüber verfügt werden kann. Angesichtes derer sieht sie sich in Erklärungsnot gebracht, gerade in Bezug auf Prozesse von Herstellung und Erfindung. Anders als etwa Yüksel, der gegenüber der Konstruktion von Medientechnologie ebenfalls eine bewundernde Haltung artikuliert, geht es Carola überhaupt nicht darum, Grandiosität zu unterstellen und die damit verbundenen Merkmale als positiven Gegenhorizont zu entwerfen, sondern schlicht um die Feststellung, dass technische Entwicklungsprozesse stattgefunden haben bzw. weiter prozessieren, die man nicht richtig erklären kann.Meine Nachfrage auf das Vorhandensein eines näheren Interesses an solchen Erklärungen unterbricht sie, was darauf hindeutet, dass Carola antizipiert, worauf diese abzielen sollte. Sie macht damit folgendes deutlich: Ihr Interesse richtet sich auf die pragmatische Nutzung von Medientechnologie, nicht auf den Bereich des rationalen Erklären Wollens. Eine persönliche Annäherung bzw. Beschäftigung mit der technischen Rationalität liegt außerhalb ihres subjektiven Relevanzbereiches, was sich vor allem auch im Begriff des "Reinsteigerns" transportiert, das Carola weitgehend ablehnt, um Technik mehr als nötig "kennen zu lernen". Gerade das Reinsteigern vermittelt die Bedeutung eines "tief Eindringens" und in etwas "Aufgehens", das denjenigen, der sich einer solcher Praxis verschreibt, über den Horizont alltäglicher Bedarfe und Relevanzen zu einem Experten macht. Neben einer übergreifenden Orientierung an phänomenologisch geprägten Sichtweisen zeigen die Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund, anders als die drei zuvor skizzierten Fälle, eine zum Teil maximale Distanz gegenüber der Medientechnologie. So fällt beispielsweise Derya spontan und ohne zu überlegen eine Situation ein, die für sie mit "Nervereien" (264) am Computer verbunden war: 449 (265) D: Oh ja, Werbung, die hatten wir früher oft mal. Aber irgendwie haben wir jetzt so ein Programm das das wegmacht, glaube ich ((lacht)). Aber diese Werbung hat mich schon genervt, und halt das, wenn ich was suche, dass andere Dinger kommen und NICHT das was ich suche. Das hat mich auch immer schon genervt. Und auch zum Beispiel das immer alles immer so langsam geht, und so kompliziert ist. // I: Inwiefern, wie meinst du das? // D: Ja, wenn man jetzt halt irgendwie was anklickt, dann kommt da manchmal was ganz ANDERES. Oder manchmal kommt dann ‚die Seite kann nicht geöffnet werden', und ich weiß gar nicht WARUM. Halt so Kleinigkeiten. Wenn es dann immer häufiger wird, dann stresst es mich langsam.Was am Computer nervt, sind die sich in die Internetnutzung unerwünscht einschleichenden Inhalte. Deren Bewältigung mittels eines dafür eingesetzten Programms nimmt sie zwar wahr, findet dafür aber in der vorliegenden Passage kein Mittel der kommunikativen Bearbeitung. Sie ist sich nicht einmal ganz sicher, ob das Wegfallen der Werbung auf technischem Wege erfolgt ist. Wahrgenommen wird von ihr weniger der technische Prozess, auf dem die technische Schwierigkeit offenbar behoben wurde, sondern nur dass dies, auf heteronomem Weg "irgendwie" passiert sein muss. Weiterhin nimmt sie das Medium als ein solches wahr, das sie vor allem deshalb ärgert, weil es auf scheinbar eindeutige Eingaben nicht mit eindeutigen Reaktionen gleichsam antwortet. Ihre eigenen Handlungsvollzüge und das Resultat fallen demnach auseinander bzw. laufen nicht so synchron, wie sie dies gerne hätte. Für diesen Sachverhalt aktualisiert sie keine Möglichkeiten der Erklärung. Viel eher scheint, dass sie den Eindruck hat, das Medium verselbständige sich hin und wieder und entwickle quasi ein Eigenleben, vor dessen Fremdheit Derya ratlos zurückbleibt.Die Wahrnehmung der Technologie in ihrem Status der Fremdheit wird von Derya darüber hinaus existentialisiert, indem sie die Frage der Genese von Inhalten im Netz an den Interviewer zurückgibt:(172) D: Ich weiß auch gar nicht, wer macht denn diese Dinger da rein? I: Na ja das ist unterschiedlich-// D: Ganz normale, ganz normale Menschen, oder? // I: Ja // D: Ja, das wusste ich zum Beispiel jetzt nicht ((lacht)). Weil ich dachte irgendwie das IST einfach so, also IRGENDEIN Typ macht es da einfach alles rein. Aber stimmt, kann ja eigentlich nicht gehen. // I: Naja, Internet ist ja so dass da eigentlich jeder was reinstellen kann. Also der einen Computer hat und weiß wie das geht der kann da was reinstellen, auf der ganzen Welt. // D: Ja? Oh, das wusste ich zum Beispiel nicht. Keine Ahnung.Derya ist fast überrascht, dass die Rezeption von Medienangeboten z. B. vor dem Hintergrund einer Angebot-Nutzungs-Struktur gesehen werden kann. Die Verfügbarkeit von Informationen wurde von ihr bislang einer diffusen männlichen Person zugeschrieben, wobei sie zu erkennen gibt, dass dies im Prinzip nicht der rechte Funktionsmechanismus sein kann. Die Möglichkeiten, content online zu stellen erscheinen als Ausdruck 450 eigenen Nicht-Wissens, wobei die Distanz zu einer technikrationalen Sichtweise von ihr bekräftigt wird ("keine Ahnung").Die Wahrnehmung des Computermediums weniger als etwas eigenes, sondern viel eher fremdes kommt auch da zum Ausdruck, wo Derya ihre eigene Medienpraxis mit Rückgriff auf fremde Handlungen beschreibt, die sie selbst erst in die Lage versetzt haben, etwas am Computer zu machen, in diesem Fall Emailkontakte zu pflegen:(275) D: (2) Also ich habe mich gefreut als ich meine Emailadresse bekommen habe, aber das habe ich ja nicht selber gemacht. // I: Mhm, wer denn? // D: Der Exfreund von meiner Mutter. Weil, der kennt sich halt sehr gut mit allen möglichen Dingen gut aus, der ist auch Student. Und der kann voll gut mit dem Computer umgehen. Und der hat das alles für uns gemacht. Also die Emailadresse eingerichtet, das und das eingerichtet, und darum.Die positive Emotion des Verfügens über medientechnische Optionen resultiert nicht aus eigenen Handlungen, sondern aus einer Möglichkeit, die Derya durch andere bereitgestellt wurde. Ihre Wahrnehmung ist damit erneut an Fremdheit orientiert; diese ist in dieser Passage an den Exfreund ihrer Mutter gebunden, der mit seiner Expertise für die technische Infrastruktur von Derya und ihrer Mutter sorgt. Dieser erscheint hier gleichsam in doppelter Weise symbolisch erhöht, denn Derya attestiert ihm nicht nur Spezialkenntnisse, etwa bezüglich einer einzelnen und klar abgrenzbaren Domäne, sondern er kennt sich sehr gut "mit allen möglichen Dingen" aus; darüber hinaus nimmt sie ihn als eine Person mit höherem formalen Bildungskapital wahr ("Student"). Deryas eigener Zugang zum Computermedium bzw. auch der ihrer Mutter vermittelt sich insofern inferior.Ähnlich wie im Fall von Sunay (siehe unten) erscheint auch hier Technik als das Projekt der Männer, an dem diese die Frauen in helfender Weise einerseits partizipieren lassen, dass es andererseits ohne sie überhaupt nicht zu geben scheint:(281) D: Also, ich wollte ja mal eine CD brennen. Und da wusste ich halt AUCH nicht, wie ich das hinkriege, und da habe ich halt ihn angerufen, hat er es mir erklärt. Dann habe ich aber trotzdem nicht gekonnt. Und dann kam er vorbei und hat es gemacht. Also, dann, na ja, ich habe da auch nicht wirklich richtig zugeguckt jetzt. Also ich war schon daneben, aber ich habe es nicht wirklich realisiert. Also ich hab es mir jetzt nicht gemerkt wie man es macht. Einfach nur geguckt so. I: Und, äh, falls das später noch mal auftritt, dass du [das dann selber]-D: [Ja soweit habe ich] nicht gedacht in dem Moment ((lacht)). So ich dachte okay Hauptsache er macht das schnell, damit ich meine CD hier brennen kann und fertig. Aber jetzt gemerkt oder so habe ich mir das nicht, nee.Derya schildert hier keinen Versuch, sich wiederholt oder in irgendeiner Form systematisch mit der Rationalität der Technik auseinanderzusetzen, sondern greift, als sie das gewünschte Produkt nicht selber herstellen kann, auf fremde Hilfe zurück. Dies ist kein 451 singulärer Fall, sondern reiht sich offensichtlich ein in eine Kontinuität dieser Wahrnehmung ("wusste ich halt AUCH nicht"). Hier dokumentiert sich, wie das Computermedium im Prinzip fundamental und von vorneherein mit Aspekten der Fremdheit und der Wahrnehmung einer eigenen Nicht-Zuständigkeit assoziiert ist. Die Heteronomie, mit der Derya die technische Rationalität wahrnimmt, reproduziert sich dabei selbst, in dem sie das, was in der Situation passiert, die Produktion einer gebrannten CD durch den Exfreund der Mutter, auch gar nicht "realisiert": Es ist demnach nicht ihre Wirklichkeit und wird auch nicht zur ihrer.Die Rationalität der Technik verbleibt außen und gerät gar nicht in den Horizont ihrer eigenen Wahrnehmung, stattdessen steht sie sprichwörtlich gesprochen daneben bzw. die Technik neben ihr. Interessant ist hier zudem, wie Derya meine gedankenexperimentell verfasste Nachfrage unterbricht, die auf das sich zu Eigenmachen des beim Exfreund ihrer Mutter beobachteten Umgehens mit dem Computer abzielt: hier dokumentiert sich, wie ihre Orientierung bezüglich der Wahrnehmung des Mediums an Fremdheit aufrechterhalten bleibt und sich somit reproduziert: auch in Zukunft stellt sich Derya vor, auf fremde Hilfe zurückzugreifen, deshalb hatte es für sie auch keine Bedeutung, sich den (medienbezogenen) Handlungsvollzug des Erwachsenen zu "merken".Ähnlich den anderen Mädchen signalisiert auch Derya, inwiefern sie das Computermedium vorrangig phänomenologisch deutet, wie die Passage der Modellierung zeigt:(301) D: ((Seufzt)) Oh, also ich würde so anfangen dass ein Computer aus einem Bildschirm besteht, aus einem Monitor, und dann halt (2) ich weiß nicht, wie nennt man das denn? Da unten halt das Ding, wo man das anmacht. Na ja, keine Ahnung. Also ich glaube ich würde es irgendwie malen oder so. Und, dann würde ich also beschreiben dass man da ins Internet gehen kann, dass das Internet welt-ist, ja? ((lacht)). Dass man wenn man irgendwas sucht das da finden kann. Na ja, dass man (2) Sachen damit schreiben kann, drucken, malen. Also so.Ihr Zugang erfolgt zunächst über dasjenige Gerät, was vor allen anderen sichtbar ist. Während sie hierfür noch einen Begriff aktualisiert, gelingt ihr dies im Laufe ihrer weiteren Definition nicht mehr, weswegen sie auf eine topologische Bestimmung des Computers zurückgreift ("da unten das Ding halt"). Aufgrund der von ihr selbst wahrgenommenen Schwierigkeit der kategorialen Beschreibung hält sie dann eine bildlichzeichnerische Verdeutlichung für zielführender ("würde es irgendwie malen oder so"). Im weiteren Verlauf des Interviews betont sie weiterhin, wie wenig zuständig sie sich fühlt, auf meine Bitte der Modellierung weiter einzugehen und signalisiert damit ihre dringende Bitte, sie nicht weiter mit entsprechenden Fragen zu traktieren: "Also das einzige was ich erklären könnte, wäre halt dass da ein Monitor da ist, ja, eine Maus noch. Aber sonst, wie das sonst so ist, keine Ahnung ((lacht))" (305). Als eine Art Zugeständnis lässt sie sich dann gegen Ende des Interviews doch noch darauf ein, kurz ihre Wahrnehmung des Internet zu erläutern: 452 (307) D: Es ist halt eine weltweite Suchaktion irgendwie. ((lacht)) Wo man was suchen kann, wo man chatten kann, wo man halt-ja wie soll man das erklären? So halt-aber sonst? Also das einzige was ich da sagen könnte wäre dass irgendwelche Menschen da alles rein machen. Also so irgendwelche Sachen rein stellen. Dass es ein freier Zugang ist zu allen Menschen, na ja zumindest zu denen die ein Internet haben ((lacht)). Dass man alles rein machen kann was man will. Also ich habe jetzt halt auch nicht so die Fachbegriffe dafür dass ich das sagen kann ((lacht)). Na ja, das ist halt so ein Ding, da klickt man dann seine Adresse ein, dann geht man auf "Suchen", und dann kommt halt das was man sucht. // I: Okay, mhm. // D: Oh, hoffentlich treffe ich nie so einen Menschen der keine Ahnung davon hat, und ich muss es erklären ((lacht)). I: ((lacht)) Wer weiß, vielleicht triffst du mal so einen, und der fragt dich dann. D: ((lacht)) Ach was, doch heutzutage nicht mehr, glaube ich nicht.Abgesehen davon, dass das Internet eine Sphäre ist, die von als fremd gekennzeichneten Personen beherrscht wird ("irgendwelche Menschen") und die es in Form eines Angebotsraumes aktiv handelnd darbieten, beobachtet Derya das Vorhandensein einer Fachsprache, von dessen Existenz sie zwar weiß, über die sie selbst aber nicht verfügt. Die Technologie prozessiert demnach für Derya in einer symbolisch fremden Ausdrucksform, zu der sie sich in Distanz begibt. Deshalb wünscht sie sich, es würde niemals zu einer Situation kommen, in der sie selbst zu deren Aktualisierung genötigt wird. Assoziiert ist dies für sie mit dem Kontakt zu einer Person, der ihr diese symbolisch fremde Ausdrucksform (noch einmal) abverlangt. Über die Interviewsituation und die hier von mir hervorgerufene Anstrengung hinaus nimmt Derya das Internet als etwas wahr, das sich ohnehin so veralltäglicht hat, dass es keiner formalen Beschreibung mehr bedarf.Für den Fall von Sunay ist charakteristisch, dass sie das Computermedium wie ein Gerät schildert, dass bestimmte Handlungen zwar ermöglicht, bei einem Ausfall jedoch zu einer unmittelbaren Handlungsbarriere führt, die sie als hinzunehmend erlebt und für deren Überwindung sie nicht zuständig ist. In diesem Modus beschreibt sie auch die häusliche Infrastruktur ("Internet -ja HABEN wir. Aber dadurch dass der Computer jetzt abgestürzt ist, irgendwie der geht auch gar nicht mehr AN, können wir halt nicht mehr ins Internet rein gehen", 29). Es bereitet ihr Probleme, dieses Phänomen einzugrenzen ("ich glaube (2) da, weiß nicht, da ist so'n Virus drin", 19), vielmehr scheint es aus ihrer Sicht so zu sein, dass bei technischen Problemen einfach auf ein neues Gerät zurückgegriffen wird ("ja, meine Eltern so, da wollen wir uns jetzt einen neuen kaufen", 19).Der Modus der Fremdheit begründet sich darüber hinaus an einer Passage, in der sie ihre eigene Haltung gegenüber Computermedien relationiert: 453 (242) S: Computer ist mir da eigentlich GAR nicht so wichtig. Weil, ich finde auch das ist mehr so Jungssache. I: Ach so. Aber du bist ja selber auch viel da dran. S: Ja schon ((lacht)), eigentlich nicht SO halt, nur wenn mir langweilig ist. Oder zufällig gerade wenn ich mal mit meinen Freundinnen am Internetcafe durch-vorbeilaufe, dann-Aber sonst eigentlich nicht so. I: Wie, aber was meinst du mit Jungssache? S: Na ja, die Jungs sind halt ÖFTERS im Internet, die MACHEN da halt auch mehr drin. Und Mädchen sind meistens eigentlich ja nur, die gucken sich was an. Halt, wenn man so Fanatiker ist, so nach "Hello Kitty" oder so zum Beispiel. Dann guckt man sich da halt die ganze Zeit irgendwas an. Oder man chattet ein bisschen, und das war es dann eigentlich schon. Also, ich weiß jetzt nicht WAS die Jungs so direkt da machen, aber, ach ich weiß nicht ((lacht)). Die kennen sich ja auch besser mit dem Computer AUS finde ich. I: Ach so, mhm. Na ja aber du kennst dich doch auch damit aus. S: ((Lacht)) Na ja es GEHT, ich würde mich jetzt nicht als Spezialistin ausgeben ((lacht)). Und SO GUT kenne ich mich ja AUCH nicht aus. Aber, halt wenn man wirklich was weiß wie das geht, dann ist es einfach, aber ich weiß ja AUCH nicht alles. Ich weiß eigentlich nur wie man ins Internet reingeht, in einzelne Sachen so. Aber so speziell weiß ich jetzt eigentlich fast GAR NICHTS. Jetzt, wenn es jetzt um-meinetwegen um Innenausstattung oder so was geht.Sunay begründet die subjektiv geringe Bedeutsamkeit des Computers nicht mit dem Verweis auf andere Aktivitäten, die möglicherweise einfach höhere Priorität in ihrem alltäglichen Leben haben als der Umgang mit dem Computer und dessen Relevanz daher unterhalb der anderer Handlungsdimensionen angesiedelt sind, sondern mit der Verrückung des Computers in eine geschlechtsspezifisch differente Sphäre und damit in einen ihr nicht zugänglichen und damit persönlich fremd bleibenden Bereich in Form eines sehr klar abgegrenzten Raumes von "Sachen". Deutlich wird dabei, inwiefern Sunay hier eine sehr grundsätzliche Haltung bzw. einen unumstößlich scheinenden Standpunkt gegenüber Medientechnologie einnimmt ("ich finde auch"): Nicht einzelne Aspekte des Computermediums, sondern im Prinzip der gesamte Bereich der technischen Rationalität ("das") wird von ihr als different wahrgenommen, er ist im wahrsten Sinne des Wortes nicht "ihrer", sondern einer "der anderen".An diesem von ihr different wahrgenommenen Raum der Medientechnologie hat sie zwar selber Anteil bzw. bewegt sich darin, ("ja schon"), allerdings "nicht SO", und dies signalisiert: Für Sunay existiert zwar eine Praxis mit und damit eine Wahrnehmung von Medientechnologien, die sie auch kennt und beobachtet, die allerdings nicht als eine fundamental eigene empfunden wird. Ihr Zugang entspricht nicht einem von ihr als "eigentlichen" wahrgenommenen, männlichen, Muster, sondern weicht erheblich davon ab. Diese Abweichung führt sie weiter aus, in dem sie ihre Wahrnehmung von Medien auf Phasen des Alltags reduziert, die entweder nur von gleichschwebender Emotionalität (Langeweile) gekennzeichnet sind oder die lediglich einer nicht geplanten oder antizipierten, sondern viel mehr akzidentellen Situation entsprechen, indem sie mit ihren 454 Freundinnen zusammen das Internetcafe nicht regelmäßig oder systematisch aufsucht, sondern im Regelfall am Wegesrand und damit sprichwörtlich "links liegen" lässt. In gewisser Weise durchläuft Sunay damit die Sphäre der Medientechnologie eher bzw. streift sie nur kurz, als dass sie sich wirklich in ihr aufhält. Deutlich werden darin eine Ablehnung und eine Fremdheit der Wahrnehmung von Medientechnologie als solcher, stattdessen ist diese vorgängig in eine soziale Handlungssituation des gemeinsamen Erlebens eingebettet.Diese Orientierung an der Medientechnologie als einer ihr differenten Sphäre verdeutlicht sie weiterhin an zwei grundlegenden und sehr deutlich artikulierten Kategorien: Einerseits erlebt sie die Jungen als zeitlich häufiger mit dem Internet handelnd ("sind halt ÖFTERS im Internet"), und damit vertrauter und eingeweihter, andererseits als weitaus aktiver handelnd ("die MACHEN da halt auch mehr drin"). Dass dieser Sachverhalt für Sunay "halt" so ist -nimmt man die Doppelung dieses in der Regel umgangssprachlich bedeutungslosen Füllwortes einmal sehr ernst -führt dabei die Bedeutung von "es ist halt so wie es ist" mit sich, und das heißt: Die von Sunay empfundene Differenz deutet sie als schicksalhaftes, gleichsam natürliches und anthropologisches Datum einer geschlechtsspezifischen Wahrnehmung von Medientechnologie. Damit deutet sich deren Dualität an, die Sunays Erklärung mitführt: dem häufigen und aktiven auf der einen steht ein seltenes und passives Umgehen mit Medien auf der anderen Seite gegenüber.Zugleich deutet sich damit eine Inferiorisierung des weiblichen Zuganges auf Technologie an, der sich im weiteren Verlauf der Passage bestätigt: Die Medienwahrnehmung der Mädchen, und damit Sunays eigene, ist demnach handlungsmäßig distanzierter und auf ein visuelles "Dabei sein" beschränkt ("die gucken sich was an") und dieses ist eigentlich auch nur dann der Fall, wenn man dem Interesse für ein Nischenhobby nachgeht, was Sunay als "fanatisch" umschreibt. Gerade in diesem Ausdruck steckt eine aufhellende Metaphorik, denn fanatisch transportiert die Bedeutungen eines eifernden, mit blinder Überzeugung verfolgten, unduldsam oder rigorosem Handelns, mit der Sunay hier die Medienpraxis der Mädchen umschreibt: Ihre Wahrnehmung des Mediums ist demnach kaum die "richtige" oder ist doch zumindest von Inferiorität gekennzeichnet. Zum "gucken" hinzu gesellt sich höchstens noch ein "bisschen chatten", damit sind aber zugleich auch die Grenzen dessen bezeichnet, was im Horizont der weiblichen Medienwahrnehmung liegt.Bedeutsam ist in diesem Kontext, dass Sunay dezidiert keinen nähren Einblick in die Medienpraxis der Jungen hat, sie weiß nicht genau "WAS die Jungs so direkt da machen", ein solcher Blick scheint ihr aber, wie die lachende Beendigung des Satzes andeutet, auch nicht wirklich offen zu stehen oder sie zu interessieren. Sunay wiederholt hier das bereits oben genannte Muster der Naturalisierung: Die Jungen kennen sich eben "besser mit dem Computer AUS". Etwas überspitzt formuliert lässt sich zusammenfassen: Schauen bzw. Zuschauen und sich unterhalten sind Sache der Frauen, aktives Handeln, mit Medientechnologie arbeiten und etwas darüber wissen ist die Sphäre der Männer; letztere bleibt ihr verschlossen, dafür ist sie als Mädchen nicht zuständig und bleibt gewissermaßen unbeteiligt und außen vor.Diese Lesart bestätigt sich weiterhin, indem Sunay den Intervieweinwurf, sie selber kenne sich doch auch mit dem Computer aus, offenbar als Relativierung dieser von ihr 455 selbst vorgenommenen Dichotomisierung auffasst und ihrerseits lachend relativiert: Ihr eigenes Wissen ist gering und sie würde sich selbst nicht als "Spezialistin" ausgeben. Diese Selbstbeschränkung steht in maximalem Kontrast etwa zur Wahrnehmung der Jungen mit türkischem Migrationshintergrund, die, anstatt sich zu beschränken, im Gegenteil nahezu unbegrenztes Handlungswissen in Bezug auf Medientechnologie artikulieren. Anders Sunay: Sie konzediert, man könne natürlich etwas über Medien wissen bzw. sich mit ihnen auskennen, und in diesem Fall ist das Handeln damit auch "einfach" -sie selbst allerdings verfügt über diesen Wissenshorizont nicht. Sie nimmt ihn limitiert wahr, nämlich reduziert auf "wie man ins Internet reingeht, in einzelne Sachen so", ein darüber hinausgehendes Spezialwissen kennzeichnet sie als so gut wie nicht vorhanden ("weiß ich eigentlich fast GAR NICHTS"). Im Grunde genommen sind es dann auch nicht einzelne Aspekte technologischer Details, sondern viel eher generelle, nämlich "meinetwegen", und das heißt "was auch immer" der gesamten Sphäre einer technischen Rationalität.Dass Sunay der Computer unwichtig ist, begründet sie etwas später erneut mit den Worten: "Weil, einen Computer benutze ich wirklich nur im Notfall. Wenn es, na ja halt was mit dem schulischen was zu tun hat. Wie ich schon vorhin meinte" (274). Das Medium ist hier etwas, dessen sie sich bedient, wenn es wirklich gar nicht mehr anders geht -ähnlich einer Arznei, auf die man mangels Alternativen zurückgreift; es erscheint als ein Artefakt für äußerste Notsituationen und wird sein Gebrauchswert weniger darin gesehen, eine Situation zu gestalten, sondern eine Situation akuten Zwanges zu lindern. Anstelle eines lebendigen Bestandteils oder einer persönlich wichtigen Ressource der eigenen Wahrnehmungs-und Handlungssphäre wird der Computer hier zu einer Option der Alternativlosigkeit.Diese sich bislang dokumentierende Wahrnehmung von Medien als eine Sphäre des Nicht-Zuständigen und des Fremden kommt auch da zum Ausdruck, wo Sunay eine Szene beschreibt, in der sie fremdbestimmt, weil in einer schulischen (Pflicht)-Situation mit dem Computer umzugehen hatte:(260) S: Ja also ich habe mal, das war hier, also mit einem Lehrer haben wir halt mal so, in Informatik mal ein Deckblatt halt gestaltet. Das war eigentlich schon sehr interessant. Aber da habe ich halt sehr lange gebraucht bis ich das wirklich hinbekommen habe. Da habe ich dann auch meistens die Jungs aus meiner Klasse gerufen, die haben mir dann auch weitergeholfen. Aber sonst, so privat, habe ich eigentlich nur so mal was ausgedruckt wenn es um die Schule ging. Ja, sonst eigentlich nicht.Den Umgang mit dem Computer situiert sie hier in einer schulisch arrangierten und vom Lehrer gerahmten Handlungssituation, die für Sunay mit wenig Interesse verbunden zu sein schien ("haben wir halt mal so"): Die Erfahrung computergestützter Gestaltungsmöglichkeiten werden hier so kontextualisiert, dass sie zunächst wenig mit eigener Neugier assoziiert sind. Sie signalisiert zwar Interesse, relativiert dies aber sogleich mit Hinweis auf ihr Empfinden, dass sie bei der Bearbeitung der Aufgabe zeitlich hinter den 456 anderen herhinkte bzw. nicht auf eine Art und Weise computerbezogen handelte, wie dies der Situation angemessen schien.Ihr zur Gestaltung des Deckblattes gebrauchter Ausdruck des "hinbekommens" signalisiert, dass sie sich daran abarbeitete, etwas in Stand bzw. ins Werk zu setzen, was ihr jedoch -zumindest in dieser Situation -nicht "wirklich", das heißt richtig und korrekt, gelang. Die Bewältigung dieses Problems gelingt Sunay hier im Rückgriff auf heteronom geformte Handlungsoptionen: Die technische Rationalität erscheint ihr darin wiederum, analog zu oben, als Sphäre der anderen, vor allem in Form einer dauerhaften, zumindest nicht singulären Form des Angewiesenseins auf die Hilfe ihrer männlichen Mitschüler, in dem sie "meistens die Jungs ruft", die ihr computerbezogen offensichtlich etwas abnehmen und das Werk dann eben richtig machen bzw. ihr weiterhelfen. Den Computer schließlich modelliert Sunay folgendermaßen:(264) S: Na ja, also (2) ((lacht)), da gibt's einen Drucker, der ist ungefähr so groß ((lacht)). Dann gibt's eine Fernplatte, oder (2) nee. Ach na egal irgendwie so was, so in der Richtung heißt die. Das ist halt das Bildschirm und so, der erscheint dann da. Und dann gibt's halt noch den PC. Und DA sind halt alle möglichen Sachen drin. Also, ich glaube (2) so Dings, oder so was. Also wie man das ein-und ausschaltet. So, also ich kann das eigentlich mir gar nicht richtig vorstellen. Also, meine Mutter will das ja AUCH langsam mal lernen ((lacht)). Und ich erklär ihr das dann halt manchmal, wie man das an-und ausschaltet. Das ist eigentlich ganz leicht, sagt sie dann auch im Endeffekt.Sunay fällt die falsche Benennung der Festplatte zwar offensichtlich selber auf, ihr ist das Nichtverfügen über den Fachbegriff aber unwichtig; somit spiegelt sie zurück, inwiefern sie sich selbst in fremdem Terrain wähnt, wodurch die hier entstehende kommunikative Situation derjenigen ähnelt, in der man -unfreiwillig in eine subjektiv unbedeutende Umgebung gestellt -um eine Wegbeschreibung gebeten wird, man aber selber aufgrund eigener Ortsunkenntnis nur eine grobe, nicht näher präzisierte, Richtung weisen kann. Über das In-Betrieb-Nehmen des Computers hinaus erscheint ihr die weitere technische Rationalität des Mediums vollständig opak, diese kann sie sich "gar nicht richtig vorstellen". Hier wähnt sie sich verbunden mit ihrer Mutter, der dies offenbar ebenso geht und die sich der Technik nun auch einmal "langsam" anzunähern gedenkt. Sie attestiert damit ihrer Mutter ebenso wie sich selbst das Wahrnehmungsmuster der Fremdheit und damit, zumindest bislang, eine geschlechtsbezogene Nicht-Zuständigkeit für Technik, die sie zwar für überwindbar, letztlich aber für normal hält.Als ich Sunay bitte, sich noch ein weiteres Mal an einer Modellierung des Computers zu versuchen, steigert sich die Orientierung an der Fremdheit, indem sie das Medium in der folgenden Passage nahezu vollständig ent-technisiert:(266) S: Oh ((lacht)) Na ja, der Drucker (2) weiß nicht, wo man den hinpackt. Das ist glaube ich freiwillig wo man den hinpackt. Dann der Bildschirm, der steht halt meistens irgendwo dass man das auch gut SEHEN kann. Also zum Beispiel NEBEN einem, wenn 457 das jetzt so ein Schreibtisch ist, dann packt man das halt gleich daneben, wo Platz ist. Und der PC ist dann halt unten. Irgendwo versteckt, falls-damit das nicht so schnell KAPUTT geht. Die Tastatur liegt auf dem Schriebtisch, und die Maus liegt gleich daneben, damit man gleich alles anklicken kann.Woran sich Sunay hier abarbeitet, ist zunächst eine Topologie der einzelnen Geräte, indem sie über Lage und Anordnung der einzelnen Bestandteile spricht. Diese darf nicht zu kompliziert sein, damit man am Bildschirm alles "gut sehen" und mit der Maus gleich "alles anklicken" kann. Sie konstruiert den Computer damit im Modus einer pragmatischen Phänomenologie, die maximal von dessen technischer Rationalität abgerückt ist bzw. von dieser absieht. Wichtig ist in dieser Definition nicht mehr die Computertechnik als solche, sondern die Frage, wie sie sich in Gestalt von Apparaten in den vorfindbaren Raum einpassen lässt, der über die Einsatzfähigkeit bestimmt. Hier wird das Computermedium kaum noch als ein technisches Ensemble wahrgenommen, sondern beinahe analog zu Möbeln oder Einrichtungsgegenständen, von denen man überlegt, wie sie mit dem vorfindbaren Raum harmonieren und sich in diesen einpassen. Das Internet stellt sich für Sunay folgendermaßen dar:(270) S: Ja da gibt's halt mehrere Programme, dann guckst du halt erstmal wo Internet steht. Man kann ja auch lesen heutzutage [((lacht))] // I: [((lacht) )] // S: Und dann guckst du, und dann machst du einen Doppelklick, und dann kommt die Seite, und ganz oben ist (2) na ja halt so dieses Dings da, und dann drückst du da auf "Enter". Und dann gibst du das halt ein was du möchtest. Zum Beispiel ((seufzt)) keine Ahnung, sagen wir mal google. Und dann klickst du halt dann wieder auf "Enter" und dann erscheint das da schon alles. Aber ansonsten so, Aufbau ((lacht))? ((seufzt)) Nee, also das weiß ich SELBER nicht. Ich hab keine Ahnung ((lacht)), also, nee.Zunächst zeigt sich, wie sich Sunay einer Modellierung des Artefaktes beinah verweigert, denn als Nutzer könnte man doch aufgrund vorhandener Literalität eigentlich selber einen Zugang dazu finden, indem man einfach liest. Es erschließt sich weiterhin über einfache haptische Vollzüge des Klickens, Eingebens und wieder Klickens, indem sich darin durch das gleichsam mechanische Prinzip von Eingabe und Ausgabe die Phänomenologie des Mediums vermittelt. Über die Schwierigkeit hinaus, die Rationalität der Technik kommunikativ zu bearbeiten, stellt sich hier als entscheidend dar, inwiefern Sunay eine Distanz dazu aufbaut: Medientechnologie ist zwar ein Phänomen, über das zwar etwas gewusst werden kann, dies tun jedoch andere, nicht man selbst.Eine Fremdheit der Technik in Form einer Heteronomie artikuliert auch Zeynep. Zunächst geht sie in der folgenden Passage auf die Frage ein, wie wichtig der Computer für sie ist: 458 (55) Z: (2) Weiß ich nicht (2). Also, Computer ist ein TEIL von mir geworden. Also, ohne Computer geht's auch nicht. Also mein Vater, der hat dann halt gesehen, dass ich immer ins Internetcafe gehe und immer Geld dafür ausgebe. Und dann meinte mein Vater "willst du ein Internet zu Hause haben?", und dann meinte ich "ja, würde schon gehen", weil mein Bruder ist ja auch so ein Chatfreak und so. Und meine Mutter geht öfters einkaufen im Internet und erledigt ihre Aufgaben dort, von der Bank und so. Und dann meinte mein Vater "okay, dann lasst uns ein Internet hier reinbauen". Und dann, ja jetzt haben wir Internet zu Hause.Zeynep empfindet Computermedien als unlösbar mit sich selbst verschmolzen und möchte auf keinen Fall (mehr) auf diese verzichten. Die Verfügung darüber verdankt sie anderen: Ihr Vater z. B. reagierte auf ihre außerfamiliäre und kostspielige Beschäftigung mit dem Internet und eröffnete ihr die Möglichkeit, dieser auch zuhause nachzugehen. Er erscheint darin als "Versorger" und "Ermöglicher", der die technikbezogenen Interessen der Familienmitglieder durch das Zur-Verfügungstellen der notwendigen technischen Infrastruktur befriedigt. Zeynep beobachtet demnach andere, wie diese technisch handeln, während sie selbst als lediglich Benutzende erscheint. Es sind vor allem die männlichen Familienmitglieder, die mit dem Computermedium umgehen, wobei Zeynep diese als hauptsächliche und eigentliche Akteure bezüglich Umgang und Wissen um den Computer entwirft:(109) Z: (2) Also, mein Vater der KONNTE das schon. Ich war KLEIN, ich war auch so (2) alt wie mein kleiner Bruder, der kennt sich AUCH richtig gut aus. Und dann, aber er kann das nicht lesen, er weiß aber wo die Tasten und so sind. Wie er alles machen soll. Und ich habe das auch so meinem Vater gelernt. Ich habe gesehen, also-wie er es an-und ausschaltet, wo er immer RAUF drückt und so. Und von ihm aus habe ich das denn halt so gelernt.(2) Also wie das da halt so funktioniert, da mit dem Computer. Wie man Spiele auf's Computer rauf ladet. Ja, so, mein kleiner Bruder der kennt sich besser aus.Über Technik verfügen vor allem andere: Am Beispiel des kleinen Bruders (dieser ist, wie Zeynep an anderer Stelle im Interview erzählt, sechs Jahre alt) verdeutlicht sie dies; so klein dieser noch ist, dass er noch keine elementaren Fähigkeiten ausgebildet hat, so fähig sieht sie ihn bereits an, zumindest basal (auf einer haptischen Ebene) mit dem Computer in Interaktion zu treten. Erst dann thematisiert sie eigene (Lern-)Handlungen: Sie beobachtet den Vater bei grundlegenden computerbezogenen Tätigkeiten (das In-Betriebnehmen bzw. Ausschalten), die sie offenbar anschließend reproduziert. Bezüglich eines Vertrautmachens mit der Umgangsweise schildert sie keine weiteren eigenen oder aktiven Handlungsvorgänge. Die Beschreibung, "wie das halt so funktioniert" bleibt relativ rudimentär und folgt einer explizit nicht-technischen Ausdrucksweise. Wiederum erscheint ihr kleiner Bruder als Experte, den sie als mit weit höheren Fähigkeiten als sich selbst ausgestattet ansieht. Zeynep selbst thematisiert sich insgesamt 459 passiv; Technik und der Umgang erscheint eher als die Welt anderer, vor allem männlicher Familienangehöriger.Deutlich wird dies auch daran, wie sie vor allem wiederum ihren Vater als technisch aktiv Handelnden wahrnimmt und entsprechend beschreibt. Nach der Erwähnung, dass sie gerne Musik hört, die sie aus dem Internet hat, geht sie auf die Frage nach deren Erwerb ein:(89) Z: Ja, mein VATER macht das halt. Und dann, er macht das halt mp3, weil so halt, dass wir eben voll viele Alben so in einer CD haben. Ja, und dann laden wir es auf unseren Computer, und dann, wer will kommt halt zu uns, und meint "ja, wir wollen eben diese CD", und dann gibt mein Vater denen das halt.Es ist das Familienoberhaupt, das, auch mithilfe des Internet, eine umfangreiche Musiksammlung angelegt hat und sie nach Bedarf und Wunsch von Interessierten verteilt und sie mit technischer Hilfe verbreitet. Ihre eigene, im Gegensatz zum Vater, fremd bleibende Haltung der Technik gegenüber dokumentiert sich auch, als ich Sie nach ihrer Modellvorstellung frage.(266) Z: (3) ((lacht)) Der beste Kumpel den man haben kann ((lacht)).(3) Der Computer, ist was NÜTZLICHES halt. SEHR Nützliches sogar. I: Mhm. Könntest du mir beschreiben, wie ein PC so aufgebaut ist, oder wie der so funktioniert? Z: Nee ((lacht)). I: Und das Internet? Du bist da ja viel unterwegs, hast du eine Idee, oder wie würdest du mir das Internet beschreiben, wie das aufgebaut ist und wie das funktioniert? Z: Im Internet, da kannst du alles mögliche machen, also reingehen wo du halt reingehen WILLST. Das machen was dir halt Spaß macht und so. Ja, Internet ist so was wie ein ((lacht)) Spielzeug halt. (3) I: Mhm. (2) Also man kann alles machen… Z: Ja, worauf man Lust hat (3) Die verhältnismäßige lange Pause und das Lachen deuten darauf hin, inwiefern Zeynep auf meine Bitte der Beschreibung des Computermediums zögerlich bis irritiert reagiert und die Frage bei ihr Befremden und Unsicherheit auslösen. Zur Charakterisierung des Computers greift sie dann auf einen so nicht-technischen Erklärungsbegriff wie nur möglich zurück ("beste Kumpel"), den sie zudem abstrakt generalisiert ("den man haben kann"). Darin deutet sich eine Anthropomorphisierung der Medien an, die aus der Nicht-Verfügbarkeit technischer oder formaler Kategorien resultiert und aus dem die Bezugnahme auf soziale Kategorien, kombiniert mit einem Superlativ, folgt. Dem Artefakt Computer attribuiert Zeynep zwar einen Nutzwert, was aber von ihr nicht weiter spezifiziert wird.Die Vergleichsinstanz, die sie zur Bezeichnung des Internet wählt, folgt einem ähnlichen Muster. So charakterisiert sie es als einen Gegenstand ("Spielzeug"), der sich in der Regel dadurch auszeichnet, dass er weitgehend zweckfrei benutzt wird und es allein 460 dem Belieben des Spielers überlassen ist, als was es erscheint, wobei große Variationsbreiten diesbezüglich denkbar sind und ein Spielzeug trotz seiner invarianten Phänomenologie heute dies, morgen jenes bedeuten kann. Als positiver Gegenhorizont erscheinen hier zwei Aspekte: Zum einen, Medien zu anthropomorphisieren und sie zum anderen mit technikfernen Gegenständen in eins zu setzen; als negativer Gegenhorizont zeichnet sich ab, Medien in abstrakte Begriffe zu fassen. Die darin eingespannte Orientierung kennzeichnet sich demnach als Fremdheit der Technik.