Robert Scliuinann. Sein Leben und seine Werke. ^0krt ^t|umaM. Sein Leben und seine AVex*ke dargestellt August Eeissmann. Z"weite, verbesserte Auflage. Berlin. Verlag von I. Guttentag. (D. Collin.) 1871. AURDACH Vorwort zur ersten Auflage. Das Leben unseres grossen Meisters bietet in seinem aus- sem Verlauf kaum hinreichend Stoff fur eine besondere, ein- gebende Darstellung. Bis auf das ftirchtbare Ereigniss, das ihn in den Jahren der reifen, mannlichen Kraft seiner Thatig- keit wie seiner Familie so gewaltsam entriss, zeigt es nur wenig hervorragende Momente und auch diese entziehen sich meist noch einer eingehenden Darstellung aus Grunden schul- diger Eucksicht und Pietat. Noch ist der Kreis derer nicht klein, welche ein hoheres, fast ausschliessliches Kecht an sein Leben haben, als die Nation. Ihr gehort: was er gewirkt und geschaffen, was er ihr an Kunstschatzen zum ewigen Besitz hinterlassen hat; sein Leben dagegen nur, so weit es sich hierin offenbart. Dies sind die Anschauungen, welche mich bei meiner Ar- beit leiteten. Ich habe versucht : des Meisters innere Entwicke- lung, wie sie sich in seinen Werken kund thut, und die grosse kunst- und culturgeschichtliche Bedeutung, welche er dadurch errang, darzulegen. Den aussem Verlauf seines Lebens beruck- sichtigte ich nur so weit als er auf jene innere Entwickelung Einfluss gewinnt; als das geschaffene Kunstwerk dadurch ver- standlicher wird. Bei diesem untergeordneteren Theil meiner Arbeit konnte ich mich auf Wasielewsky's mit Fleiss gesam- melte Mittheilungen liber das Leben Schumanns und den von ihm veroffentlichten Briefwechsel stutzen. IV1343MS Eine erschopfendere Darstellung der kunstlerischen Ent- wickelung und Bedeutung Schumanns, namentlich als bahn- brechender Genius, wird hier zum ersten Male versucht. Wie consequent auch die Entfaltung desselben immerhin erscheint, bei der grossen Fulle von Werken verscMedenen Werthes, in welchem sie sich darstellt, ist es doch nicht leicht, sie uberall genau zu erkennen* Doch war ich mindestens immer bemuht, mich von jener Phraseologie entfemt zu halten, die in voll- tonenden Worten nur den Schein anstatt des eigentlichen We- sens der Sache giebt. So moge das Werkchen den Geist des Meisters den weitesten Kreisen vermitteln helfen, damit er ztindend und zeugend weiter wirke zur Neugestaltung der Kunst unserer Tage. Berlin, im April 1865. Der Verfasser. Vorwort zur zweiten Auflage. Zu einer durchgreifenden Umarbeitung fand ich bei diesem neuen Abdruck noch keine Veranlassung; ich habe nur kleinere Fehler und Ungenauigkeiten berichtigt und manches Thatsach- liche erganzend hinzugefugt. Berlin, im Mai 1871, Der Verfasser. I Inhalt. Erstes Kapitel: Daa Vaterhaus. Leipzig und Heidelberg 1 Zweites Kapitel: Die Entscheidung und Vorbereitung far den Ktinstlerberuf 19 Drittes Kapitel: Die oppositionellen Compositionen (Op. 1 — 23) . 31 Viertes Kapitel: Der Brautstand. Die Lieder 74 Funftes Kapitel: Die kritische Thatigkeit 100 Sechstes Kapitel: Die Werke der hochsten Reife 115 Siebentes Kapitel: Die Kraft zersplittert. Das tragische Ende . 169 Achtes Kapitel: Schumanns kunst- und kulturgeschichtliche Be- deutnng 205 Anhang: Schumanns gedruckte Werke chronologisch geordnet .... 233 Erstes Kapitel. Das Vaterhaus. Leipzig imd Heidelberg. Wie wenig auch die Erziehung Kobert Sebum anns und die ganze Umgebung im Vaterhause geeignet waren, den in ihm schlum- mernden Genius zu friiher und berrlicber Entfaltung zu bringen, so gewannen beide doch wesentlicben Antheil daran, dass sein Geist nach jener eigentbiimlichen Richtung gefubrt wurde, durch welche seine hohe kunst- und kulturgescbichtliche Bedeutung fast ausscbliesslich begriindet ist Scbumanns Individualitat war viel zu eigenartig, als dass sie einer besonderen Erziehung bedurft batte. Aeussere Anregung und Zeit zu innerer Arbeit, das waren ihre bedeutsamsten Bildner, und wie sie in den Jahren des uppi- gen Wachsthums unter dem befruchtenden Einflusse Shakespeare's, Jean Pauls, E. T. A. Hoffmanns, Heinrich Heine's, Franz Schuberts, Chopin's und Mendelssohns wunderherrliche Bliiten und Friichte trieb, so suchte und fand sie dort schon im Vaterhause den Bo- den, in welchem sie Wurzel fassen konnte, zu uppiger, fruchtreicher Entfaltung. Der Vater: Friedrich August Gottlob Schumann, war eine jener reichbegabten, glucklichen Naturen, welche erfolg- reich die Gestaltung eigenen, wie fremden Geschicks zu leiten vermogen. Aus den bescheidensten Verhaltnissen hatte er sich durch eigene Thatigkeit zu einer achtunggebietenden Stellung im Leben emporgearbeitet, und wenn er auch an der specifischen Geistesrichtung seines Sohnes Robert direct wenig Antheil zu neh- men vermochte, so fiihrte er doch selbst dieser Elemente zu, die spater wesentliche Erscheinungsmomente derselben bildeu. Ganz gegen seinen Willen hatte er den Handelsstand zu sei- nem Berufe wahleu miissen; doch die Beschaftigung im Material- 1 2 laden konnte seine Neigung zur schonwissenschaftlichen Literatur nicht ertodten. Namentlich waren es die Schriften von Young und Milton welche ihn besonders anzogen, und als er spater nach Leipzig kam, liess er sich dort als studiosus humaniorum inscri- bieren. Nach beendetem Studium begann er seine schriftstellerische Thatigkeit, welche indess kaum weitern Erfolg hatte, als dass er als Gehilfe in die Buchhandlung des Buchhandler Heinse in Zeitz aufgenommen wurde. Diese Stellung bot ihm ausser einer sichern Existenz nattirlich eine Menge neuer Bildungsmittel, welche er auch ausserordentlich fleissig benutzt haben muss, denn als er sich 1795 verheirathen wollte und sich deshalb veranlasst fand, wiederum ein Materialwaarengeschaft zu grunden, wusste er die hierzu erforderliche Summe von circa 1000 Thlrn. durch schrift- stellerische Arbeit zu erwerben. Nach Verlauf von vier Jahren gab er das, bisher mit einem Kaufmann in Ronneburg gefuhrte Geschaft auf, und grundete eine Buchhandlung. Durch rastlosen Eifer gelang es ihm, diese so zu erweitern, dass es nothig wurde, sie nach einer grossern Stadt zu verlegen; er siedelte 1808 nach Zwickau iiber und fuhrte mit einem seiner Briider imter der Firma „Gebruder Schumann" jene bekannte Verlagshandlung, welche bis 1840 bestand und durch eine Reihe werthvoller Verlags-Artikel seiner Zeit eines guten Rufes sich erfreute. An dem Text der „Gallerie beruhmter Zeitgenossen", welche in diesem Verlage er- schien, betheiligte sich unser Robert schon als vierzehnjahriger Knabe. So sehen wir den Vater fortwahrend bemuht, die materiellen Stiitzen des Gluckes seines Hauses aufzurichten und fest zu be- grunden, nicht ohne zugleich den Stromungen und Anforderungen seiner Zeit in der edelsten Weise Rechnung zu tragen. Dabei gewann er aber auch noch vollauf Zeit am innern Ausbau seines Hauses thatkraftig und erfolgreich zu arbeiten. Er ist nicht nur bemUht den Geist der Ordnung und einer geregelten Thiitigkeit auch hier einzubtirgern, sondern er weiss auch den hajislichen Heerd behaglich auszuschmUcken und wie er hier auch die edleren Nei- gungen seiner Kinder zu berUcksichtigen versteht, das zeigt er namentlich an seinem Sohne Robert Dieser wurde am 8. Jiiiii 1810 Abends YalO Uhr zu Zwickau geboren. Als jungstes Kind scheint er der Liebling der Eltern wie der Geschwister, namentlich aber der Mutter, gewesen zu sein. Diese, eine Tochter des Kathschirurgen Schnabel aus Zeitz, wird als eine Frau von angenehmem Aeussern, begabt mit einem natur- lichen Verstande und einer Tiefe des Gemiiths, die sich spater in schwarmerischer Sentimentalitat offenbarte, geschildert. Ihr gauzes Wesen, die schwarmerische Liebe zu ihrem Sobne, wie ihr prak- tischer Verstand sprechen sich riickhaltslos in jenem Briefe aus, den sie (von Zwickau unterm 7. August 1830) an Wieck schreibt und in welchem sie „mit Zittern und innerer Angst" fragt, wie „ihm der Plan gefallt, den sich Robert gemacht hat" (nehmlich die Jurisprudenz mit der Musik zu vertauschen). Es ist wahr- haftig keine Beschranktheit, wenn ihr „fur Roberts Zukunft bange ist — da sehr viel dazu gehort, sich in dieser Kunst auszuzeich- nen" und das geangstete Mutterherz fiihlt schon alle die truben Schatten, die in des Sohnes Seele einst fallen sollten, wenn sie fortfahrt: „und ware sein Talent wirklich so ausgezeichnet, so ist und bleibt es noch inuner ungewiss, ob er Beifall erhalt und er sich einer gesicherten Zukunft erfreuen kann." Aber so geangstigt sie auch ist, und wie heftig die andern drei alteren Sohne sich gegen den Wunsch des Bruders erklaren, sie „ist mcht daran, ihn zu zwingen, wenn sein eigenes Gefuhl ihn nicht leitet." Wie ver- standig und von der zartlichsten Liebe durchgluht ist endlich der Schluss dieses Briefes*): „Ich weiss, dass Sie die Musik lieben — lassen Sie das Gefuhl nicht fiir Roberten sprechen, sondem beur- theilen seine Jahre, sein Vermogen, seine Krafte und seine Zu- kunft. Ich bitte, ich beschwore Sie, als Gatte, Yater und Freund meines Sohnes, handeln Sie als redlicher Mann! und sagen Sie unumwunden Ihre Ansichten, was er zu furchten oder zu hof- fen hat." Wie in den meisten Fallen gehorten auch die Jugendjahre Roberts ziemlich ausschliesslich der Mutter und unter ihrem Ein- fluss musste sich jene keusche Innigkeit der Empfindung ent- *) Vollstandig bei Wasielewsky p. 81. 8?. wickeln, die namentlich seine hohe kiinstlerische Stellung bedingt und von welcher Zeugniss sein ganzes Leben giebt; die ihn aber auch freilich bald fremd warden liess innerhalb der aussern Welt und in welcher wol ausschliesslich die tiefe Melancholie wurzelt, die ihn oft „bis zum Todtschiessen" iiberfiel. Unter der Hand der Mutter mogen schon viele jener wunderlieblichen Gebilde sei- ner Phantasie entsprossen sein, die er spater in so beriickenden Tonbildern verausserte, und der Ton ihrer Rede mag schon manche der wundersamen Melodien hervorgezaubert haben, mit denen er spater seine Schmerzen und seine Freuden aussang. Vom Vater aber scheint er jene Energie des Geistes gewon- nen zu haben, welche auch unter den widerstreitendsten Umstan- den ihr' Ideal zu verwirklichen strebt; die unablassig nach Er- reichung des gesetzten Ziels ringt. Und Robert Schumann bedurfte dieser Energie noch ungleich mehr als sein Yater. Die Kiinstler- laufbahn bot ihm viel mehr Dornen als Rosen; viel ofter Ent- tauschung als Verwirklichung seiner Hoffnungen, und jene Sirene „die Gunst der Masse", die schon manches bedeutende Talent in den Abgrund gezogen hat, sie trat ja auch an ihn heran, ver- lockender als an manchen andern, so dass es seiner ganzen sitt- lichen Starke bedurfte, um nicht in ihre Netze verstrickt zu wer- den und in dem Strudel unter zu gehen. Den ersten Unterricht, etwa in seinem sechsten Lebensjahre, genoss Robert in einer sogenannten Sammelschule und wahrschein- lich schon in seinem siebenten Jahre wurde auch mit dem Musik- unterricht begonnen. Der Baccalaureus Kuntzsch ertheilte ihm Clavierunterricht, wol kaum weniger oberflachlich, als es in klei- nen Stadten in der Regel geschieht. Obwol Schumann diesem Lehrer auch spater noch grosse Achtung bewies — von Godes- berg bei Bonn schickte er ihm zum Jubil^um 1850 neben einem herzlichen Briefe einen silbernen Lorbeerkranz — so ist doch anzunehmen, dass er keinen irgendwie nennenswerthen Einfluss auf die Entwickelung unseres Meisters gewann. Diese war, wie bereits erwahnt, kaum zu erziehen und, wie spater gezeigt werden soil, von ganz andern Einfltlssen bedingt, als von irgend welchem Musikunterricht. Weit bedeutsamer ist es schon, wenn wir erfahren, wie frtih der Schaffensdrang in dem Knaben lebendig wurde. Kamn hatte er sich die Elemente der Claviertechnik angeeignet, als er sich audi schon in kleinen Phantasien versiicbt und die Naivetat und Treue, mit welcber er die Eigentbiiralicbkeiten mancher seiner Jugendgenossen musikaliscb zu charakterisieren verstand, erregte bei diesen nicht geringe Yerwunderung. So erschien dem Knaben scbon die Musik als eine Sprache, als die Kunst, durch welche innere Anscbauungen ausserbcb fassbare Gestalt gewinnen sollen. Wie plan- und ziellos eigeiitlich aucli die weitern musikalischen Studien Schumanns waren, sie wurden immer von dieser Erkennt- niss geleitet, so dass ibm die Tonkunst eigentlicb nie als blosses Tonspiel erscbienen ist; dass er sicb nie nur von der naiven Lust am Scbaffen leiten liess, sondern immer unter dem Einfluss zwingender und gestaltonder Ideen arbeitete. Dass bierin eine na- tiirlicbe Scbeu vor theoretischen Studien begrtindet ist, und welchen Einfluss diese wiederum auf Scbumanns Entwickelung iibte, werden wir spater nacbzuweisen versucben. Der Vater begiinstigte diese Neigung des Sobnes, und wenn er aucb, wie scbon erwabnt, nicbt im Stande war, sie speciell zu leiten und in geregelte Babnen zu ftibren, so sorgte er doch hin- langlicb dafiir, sie zu nabren und zu unterstutzen. An der Auf- ftibrung der „Rauberkomodien", welcbe der Sobn scbrieb, betbei- ligte sicb ausser dem Bruder Julius und den Scbulkameraden nicbt selten aucb der Yater. Spater scheinen die musikaliscben Uebun- gen in Scbumanns Yaterbause die Oberband gewonnen zu haben; namentlicb als Robert in Carlsbad, wobin er den Yater begleitet batte, Ignaz Moscbeles, den bocbberiibmten Meister des Clavier- spiels, gebort batte, neigte er sicb mit der entscbiedensten Yor- liebe der Musik zu. „Als icb vor mehr als dreissig Jabren," scbreibt er unterm 20. November 1851 an Moscbeles, mir einen Concertzettel, den Sie berubrt batten, wie eine Reliquie lange Zeit aufbewabrte, wie batte icb da getraumt, von einem so beruhmten Meister auf diese Weise geebrt zu werden."*) *) Moscbeles hatte ihm seine Senate Op, 121 fur Piano und ViolonceU dediciri Nachdera er — Ostern 1820 — in die Quarta des Gymna- siums seiner Vaterstadt aufgenommen worden war, kam etwas mehr Plan in seine Beschaftigung mit der Tonkunst. An dem Sohne des Dirigenten einer Regimentsmusik — Piltzing — hatte er hier einen Mitschuler gewonnen, und mit ihm spielte er ausser Original- Compositionen von Carl Maria von Weber, Hummel und Czerny, auch die grossern Instrumentalwerke von Haydn, Mozart und spa- ter auch von Beethoven fleissig vierhandig, namentlich als ein neuer Streicher'scher Flugel aus Wien im Hause angelangt war. Ja als Robert unter den Musikalien seines Vaters die in Orchester- stimmen vorhandene Ouverture zu „Tigranes" von Rhigini fand, wurde auch ihre AuiFiihrung durch Zusammensetzung eines kleinen Orchesters ermoglicht. Durch seine Schulkameraden konnten Gei- gen, Floten, Clarinettc und Horn besetzt werden; die iibrigen Stimmen fiihrte Robert am Clavier aus, und da dieser erste Ver- such iiber Erwarten gut ausfiel, wurde er bald wiederholt und hatte stehende derartige Auffuhrungen zur Folge. Sie regten zu- gleich die ersten Compositionsversuche Schumanns an. Er com- ponierte — in seinem zwolften oder dreizehnten Jahre — den 150. Psalm fur diese Musik auffuhrungen und auch Ouvertiiren- und Opernanfange fallen in diese Zeit. Die grosse Begabung Schumanns fand gar bald in seinev Vaterstadt bewundernde Anerkennung; in den Famihen, in welchen musiciert wurde, war er natiirlich ein gern gesehener Gast und die Abendunterhaltungen im Gymnasium fanden an ihm eine thatige Stiitze. Der Vater erkannte auch alsbald den eigentlichen Beruf des Sohnes, und obgleich die Mutter heftig widerstrebte, fasste er dennoch den Entschluss, ihn fiir die Tonkunst zu er- ziehen. Carl Maria von Weber, welcher seit 1819 als Capell- meister in Dresden lebte, sollte seine Ausbildung tibernehmen. Weshalb dieser Plan nicht zur Ausftihrung kam, obgleich Carl Maria von Weber sich geneigt zeigfe, konnte bisher nicht ermit- telt werden, da der betreffende Briefwechsel verloren gegangen zu sein scheint Robert blieb im elterlichen Hause und in sei- nem bisher verfolgten Bildungs- und Entwickelungsgange trat keinerlei Aenderung ein. Auch der Vater erkiarte sich schliess- lich damit einverstanden, dass Robert das Studium der Jurispru- denz erwahlte. Die Musik wurde indess durchaus nicht vernachlassigt; sie blieb nach wie vor die Lieblingsbeschaftigung in den Mussestim- den. Auch der am 10. August 1826 erfolgte Tod des Yaters brachte keine wesentliche Aenderung in dem Lebensgange Roberts hervor. Sein jugendlich heiterer Sinn begann jetzt schon einer mehr triiben Melancholic zu weichen, und jene Schweigsamkeit und Verschlossenheit. welche spater den personlichen Verkehr mit ihm vielfach erschwerten, zeigten sich in ihren ersten Spuren. Nur im musikalischen Verkehr offenbarte er sich rlickhaltslos und nur in der gleichen Liebe zur Musik wie zu unsern grossen Dich- tern, namentlich zu Shakespeare uud Jean Paul, fand er den Einigungspunkt zu unzertrennlicher Freundschaft. Auch im ge- sellschaftlichen Yerkehr vermochten ihn nur die Hauser dauemd zu fesseln, in weichen „gute Musik" gemacht wurde. Mehrfach wird das Haus des Kaufmanns Cams erwahnt, in welchem er viel und gem verkehrte, ganz besonders als im Sommer 1827 eine musikkundige Dilettantin, die Gattin des Dr. med. Cams — nach- maliger Professor an den Universitaten Leipzig und Dorpat — dort verweilte. Die junge Dame machte durch ihren Gesang na- mentlich einen ungewohnlichen Eindruck auf ihn und begeisterte ihn zu einer Reihe von Liedem. Wie unverkennbar sich in alle dem sein eigentlicher Beraf aussprach und wie mancherlei Erfolge er auch schon mit seiner reichen musikalischen Begabung erreicht hatte, so vermochte er doch ' nicht seiner Mutter Zustimmung ztlr Verfolgung der Kiinstlerlauf- bahn zu gewinnen. Die Mutter wurde in ihrem Widerstande noch durch den Vormund, Kaufmann Rudel, unterstutzt, so dass sich Schumann genothigt sah, nach beendigter Gymnasialzeit die Univer- sitat zu beziehen. Er gieng im Marz 1828 nach Leipzig und wurde dort immatriculiert, kehrte aber dann wiederum zuriick nach sei- ner Vaterstadt, weil das Abiturientenexamen noch zu bestehen war. Dass er bisher seine wissenschaftUchen Studien iiber der Musik durchaus nicht versaumt hatte, ersehen wir aus dem vor- ztiglichen Zeugniss, das er bei seinem Abgange erhielt. 8 Eine Reise nach Miinchen, welche Schumann nacb beendetem Abiturientenexamen unternahm, ehe er nach Leipzig iibersiedelte, bietet einige zwar nicht aussergewohnlicho, doch immerhin inter- essante Ereignisse, welche uns das Bild des Junglings vervoUstan- digen helfen werden. Schumann hatte in Leipzig rasch mit dem Stud. jur. Gisbert Rosen ein inniges, und wie wir erfahren wer- den, dauerades Freundschaftsbundniss geschlossen. Dieser, im Be- griff nach Heidelberg iiberzusiedeln, folgte Schumanns Einladung nach dem Vaterhause und verweilte bier bis nach der Beendigung des Abiturientenexamens. Als er dann nach Heidelberg abreiste, begleitete ihn Schumann bis Miinchen. In Bayreutli verweilten beide einen Tag, um die durch Jean Paul denkwiirdig gewordenen Statten: die Phantasie, die Eremitage und das Haus der Rollwenzel zu besuchen, und von der Letztern iiber den llichter selbst noch einiges Nahere zu erfahren. Dieser war erst zwei Jahre vorher (am 14. November 1825) gestorben, in seiner nach- sten Umgebung also noch im frischesten Andenken. War es hier nur der Geist des so nah verwandten Dichters, der ihm an den durch ihn geheiligten Statten naher erschien, so sollte er in Miinchen mit jenem grossten Lyriker der nachgoethischen Periode, mit Heinrich Heine, zusammentreffen, mit dessen Geiste spater die reichste und schonste Seite seines Innern zu einem iippig empor- schiessenden Liederfriihling befruchtet wurde. Heine lebte jener Zeit in Miinchen, und unsere beiden Freunde, von Augsburg aus an den Dichter empfohlen, verlebten mit ihm einige der genuss- reichsten Stunden. In Augsburg batten beide Freunde im Hause des bekannten Chemiker Dr. von Kurrer, der eine Zwickauerin zur Frau hatte, gastliche Aufnahme gefunden, und Schumann fasste sofort eine tiefe Neigung zur liebenswiirdigen Tochter des Wirths. Obgleich dieselbe nicht erwidert wurde, da Clara bereits verlobt war, so zieht sie sich doch noch langere Zeit durch den Briefwcchsel mit Rosen. — In Mtinchen trennten sich die Freunde; Rosen reiste nach Heidelberg; Schumann zurtick in's Vaterhaus, um dann nach Leipzig tiberzusiedeln. Schliesslich sei hier noch erwahnt, dass von Schumann aus jener Zeit audi Proben einer nicht ungewohnlichen Begabung fiir die Dichtkunst vorhanden sind. Zwei Gelegenheitsgedichte, welche er zur Hochzeit seiner Brtider dichtete, tlieilt Wasielewsky im Anhange seiner Biographie Schumanns mit. Ueberblicken wir noch einmal diesen ganzen Lebensabschnitt, so erkennen wir, dass er fiir Schumanns eigentlichen Lebensberuf nur innerlich, nicht auch ausserlich erfolgreich wurde. Seine Er- ziehung ist auf andere Ziele gerichtet, als auf das, welches sein Lebensziel wurde. Daher werden auch nur seine wissenschaft- lichen Studien planmassig geleitet; sein eigentliches Lebenselement, die Musik, ist, obgleich die stete Begleiterin auch dieser Periode, dennoch nicht einer eigentlichen Pflege unterworfen. Wie viel er auch musiciert, ein eigentliches Verstiindniss dieser Kunst wird ihm in dieser Periode nicht eroffnet. Nur was Zufall oder spe- cielles Bediirfniss ihm zufiihrten, das unterwirft er seinem Studium, und dies konnte sich wiederum nur auf jene Seiten des Kunst- werks beziehen, die ihm selbst auch ohne Anleitung und specielle Kenntnisse verstandlich wurden. Er lasst in dieser Periode einzig die monumentale Schonheit des Kunstwerks auf sich wirken, ohne durch die Kenntniss der Natur des Darstellungsmaterials die, dem Kunstjiinger unerlassliche Erkenntniss der Ursache dieser Wirkung zu gewinnen. So erkennt er die Kunst frtih schon als „dar- 1 eg end", nicht auch schon als „gestaltend". Sie erscheint ihm als eine, die wunderbarsten Geheimnisse enthiillende Sprache, aber noch niclit als die gestaltende, in klingenden Tonformen dar- stellende Kunst. Wie sehr er auch darnach strebte sich den Organismus dieser Sprache anzueignen, so gelang es ihm doch nicht iiberall bis zu vollkommener Verstandlichkeit, weil er viel zu fruh bemtiht war, ihn seinem eigenartigen Innem gemass um- zuformen. Dies Innere wurde schon in dieser Periode so reich befruchtet, dass es nur weniger Jahre sorgsamer Pflege bediirfte, um es zu einer Pflanzstiitte wunderbarer, mustergiiltiger Kunst- werke zu machen. Schumann wurde im Vaterhause nicht direct zum Musiker erzogen, aber jener heilige Born, aus dem seine Lieder fliessen, hat dort seinen Ursprung, und alle die prachtigen Bilder und Farben, in welchen seine Phantasie in den reifen Jahren 10 strahlt und prangt, sie weisen zuriick auf denselben Boden. Wie tief er das selbst ftihlte, beweist er dadurch, dass er sich so gern in die Kinderwelt zuriick versetzt; dass er ihr einige seiner werth- voUsten Werke entkeimen liess. Wie wir spater nachweisen wol- len, sind sie die Dankopfer, die er jener Zeit des unbewussten Empfangens, die er dem Geist des Vaters, der auf ihm ruhte, dem Herzen der Mutter, das ihn mit beisser Liebe umschloss; die er der Zeit des naiven Geniessens und Schaffens brachte. Der Geist Jean Pauls, wie er dem Knaben und dem Jtingling erschienen war, stellt sicb bier ganz anders dar, als spaterbin in dem reifen Manne. Einer so eigenthtimlich entwickelten Individualitat bot das Leipziger Studentenleben, in welcbes Schumann jetzt eintrat, aus- serst wenig Anziehendes; Schumann hielt sich ihm friih schon ziemlich fern. „Ach," schreibt er unter dem 5. Juni 1828 an Rosen, „welche Ideale machte ich mir von einem Burschen, und wie armselig fand ich sie meistens." Auch sonst erschien ihm, wie aus dem Briefe hervorgeht, das Leben in Leipzig wenig be- haglich, bis er wieder einen Kreis gleichgestimmter Seelen fand, die „das Fliegen mit Jean Paul oder am Clavier" nicht nur dul- deten, sondern auch eifrig forderten. Zwar war Schumann kurz nach seiner Ankunft in Leipzig einer Burschenschaft beigetreten, welcher auch sein Freund Moritz Semmel — ein Verwandter sei- nes Hauses — (spater Justizrath zu Gera), angehorte; allein aus den bereits angedeuteten Grunden traten beide bald darauf wieder aus und schlossen sich der Verbindung „Marcomannia" an, welche ihnen auch wenig mehr bot, als gelegentliche Theilnahme am Com- merce oder an den Uebungen auf dem Fechtboden. Noch weniger aber als alles dies, vermochte ihm das Studium der Jurisprudenz, dem er sich nach dem Wunsch der Mutter und des Vormundes widmen sollte, irgend welches Interesse abzugewinnen. Zwar ver- sichert er dem Vormund (in dem Briefe vom 4. Juli 1828), dass er die Jurisprudenz ganz sicher zu seinem Brodstudium erwahlt habe, dass er „fleissig arbeiten will, so eiskalt und trocken auch der Anfang ist", aber er kam uber diesen Anfang nie hinaus. Aus dieser Collision der Pflichten und der Neigungen einer, und dem 11 schneidenden Gegensatz seiner Ideale zur Welt der Wirklichkeit, dessen Herbheit er immer tiefer empfand, andererseits musste sich jene dtistere Lebensanschauung entwickeln, die bei ihm weder ju- gendliche Coquetterie noch Blasiertheit war, mid die sich auf seine Werke wie auf sein Leben gleich einem verhiillenden Schleier legte; die ihn aber auch mit immer gesteigerter Allgewalt zu jener Kunst drangte, in welcher er alle seine Ideale allein rein und ungetriibt wiederfand: der Musik. Er pflegt nur Umgang mit wenigen Studiengenossen, und auch diese sind nicht im Stande, ihm sein Leipziger Studentenleben er- traglicher zu machen; er fand, wie er an seinen Freund Rosen schreibt, „keine Rosen im Leben und keinen Rosen unter den Menschen." Er besucht weder ein Collegium, noch schUesst er sich den Menschen an; er flieht sie vielmehr und ist zerknirscht iiber die Winzigkeit und Erbarmlichkeit dieser egoistischen Welt. Diese Welt mit Menschen ist ihm nur „ein ungeheurer Gottesacker eingesunkener Traume, ein Garten mit Cypressen und Trauerwei- den, ein stummer Guckkasten mit weinenden Figuren." In diese Zeit tritt nur die Musik licht- und freudespendend hinein. Im Hause jener kunstsinnigen Frau Dr. Agnes Cams, der er, wie bereits erwahnt, friiher schon manchen musikalischen Genuss verdankte, und deren Gatte mittlerweile als Professor nach Leipzig berufen worden war, begann auch fiir ihn wieder ein emeutes Musikleben. Hier machte er auch jene Bekanntschaft, welche die folgenschwerste fiir sein ganzes Leben werden soUte, die des aus- gezeichneten Lehrers des Pianofortespiels: Friedrich Wieck. * Dieser, 1785 am 18. August zu Pretsch bei Wittenberg geboren, hatte wie Schumann erst in seinen spatern Lebensjahren die Kiinstlerlaufbahn eingeschlagen. Erst als er 1803 die Universitat Wittenberg bezog, um Theologie zu studieren, wurde ihm hier Ge- legenheit, Musik zu treiben, natiirlich nur als Nebenbeschaftigung. Nachdem er dann mehrere Jahre als Hauslehrer fungiert hatte, grundete er in Leipzig eine Musikalien- und Pianoforte-Leihanstalt, und ertheilte zugleich nach Logiers, von ihm allmalig umgestalteter Methode Clavierunterricht. Ostern 1840 siedelte er nach Dresden 12 iiber, wo er noch gegenwartig segensreich wirkt. Von der Vor- trefflichkeit seiner Methode haben besonders zwei seiner Schule- rinnen, seine beiden Tochter Clara und Marie, offentlich Zeug- niss abgelegt. Namentlich erwarb sich Clara, die fiir uns noch deshalb das grosste Interesse gewinnt, als sie die liebende, sorg- same Gattin Schumanns wurde, nicbt minder dnrch ihre staunens- werthe Virtuositat, wie durch ihre geniale Vortragsweise einen Weltruf. Clara Josephine Wieck, am 13. September 1819 zu Leipzig geboren, wurde friih von ihrem Vater zur Kunst erzogen. Kaum neun Jahre alt trat sie schon offentlich auf, und im elften Jahre machte sie ihre erste Kunstreise. Daneben war sie eifrig bemtiht, sich eine weit umfasscnde Musikbildung zu erwerben, welche den Virtuosen in der Kegel fremd ist. Sie iibte sogar eine Zeit lang Violine und studierte unter dem beruhmten, nunmehr verstorbenen Gesanglehrer Mieksch in Dresden auch den Gesang. Ihre spate- ren Kunstreisen wurden namentlich dadurch hochbedeutsam, dass sie in einer Zeit, in welcher das Virtuosenthum die ganze Musik- entwickelung zu beherrschen begonnen hatte, sich von dem ver- fiihrerischen Schimmer desselben nicht blenden liess. Sie hat mit ihrer Virtuositat nie Schau gestanden, sondern sie nur im Dienste echter Kunst verwerthet. Es gehorte viel Muth dazu in jener Zeit, in welcher nur das staunenerregende Spiel mit selbstauferleg- ten, anscheinend unuberwindlichen Schwierigkeiten Gold und Ehren errang, das Panier der wahren und heiligen Kunst hoch zu hal- ten, und Clara Wieck erwies sich auch hier als die echte Ge- htilfin des grossen Meisters, der sein Leben dem gleichen Ziele geweiht hatte. Wie Robert Schumann durch Wort und Schrift und seine eigenen Werke an der Wurdigung und Verbreitung echter Kunst rustig arbeitete und zugleich ihre Verjungung und Neuge- staltung thatkraftig beforderte, so Clara Wieck in ihrer Weise. Neben den Meisterwerken der sogenannten classischen Periode waren es die, eines der bedeutendsten JUnger der Neuzeit : Friedrich Chopins, denen sie eine weite Verbreitung zu sichern verstand, und als auch Schumann jene, nur ihm eigenthtimlichen Kunst- werke schuf, die seine Bedeutung fUr alle Zeiten bedingen, wurde 13 sie der eifrigste Herold und zugleich der geistvoUste Interpret derselben. Wie weit die erste Begegnung Schumanns mit der Familie Wieck fiir diesen einflussreich wurde, lasst sich nattirlich nur an- naheriid bestimmen. Clara, obwol noch Kind, hatte schon eine bedeutende Stufe der Virtuositat erreicht, und so war es natiirlich, dass der jimge Schumann bewogen wurde, die Vortreffiichkeit der Methode, die zu solchen Resultaten fiihrte, auch an sich zu er- proben. Er nahm bei Wieck Unterricht und unterzog sich den eigentlich technischen Studien, die er bisher vernachlassigt hatte, mit grossem Eifer. Nur die Uebungen im sogenannten Generalbass, welche Wieck verstandiger Weise immer mit dem Clavierunterricht verband, ver- nachlassigte er auch jetzt noch, weil er ihre Nothwendigkeit nicht einzusehen vermochte. Es ist dies wieder ein charakteristisches Zeichen fiir die Eigenart seiner Individualitat, die nicht eigentlich erzogen werden konnte. Wie er dennoch sich alle Mittel aneignete, sein uberfluthendes Innere in voUendeten Tonformen darzulegen, werden wir spater nachzuweisen versuchen. Im Februar 1829 musste Wieck den Unterricht wegen Man- gel an Zeit aufgeben. Was auch Schumann in technischer Be- ziehung diesem Unterricht zu verdanken haben mochte, die Vor- theile, die er fiir seine Entwickelung als schaifender Kiinstler aus dem anregenden Verkehr im Hause Wiecks gewann, iiberwiegen jedenfalls alles Andere. Sein Eifer fiir die Kunst wurde immer grosser, und aus dem nahern Kreise seiner Bekannten scheint naturgemass alles entfernt werden zu sein, was diesen Eifer nicht theilte. So finden wir ihn bald in fast ausschliesslichem Verkehr mit Julius Knorr, dem nun leider auch dahingegangenen nach- maligen geschatztesten Clavierlehrer Leipzigs, Verfasser einiger treff- licher Studienwerke fiir Clavier und thatiger Mitarbeiter an Schu- manns Musikzeitung; mit Taglichsbeck, dem nachmaligen Gym- nasiallehrer und Musikdirector in Brandenburg, als welcher er 1858 starb, und Clock, nachher Biirgermeister in Ostheim bei Meiningen. Im Verein mit ihnen studierte er nicht nur die altere, sondern auch die neuere Musikliteratur. Franz Schubert gewann 14 allmiilig mit seinen wunderbar tiefempfundenen Weisen Eingang in den musikalischen Kreisen, und Schumann fand so viel Verwandtes in ihm, wie in Jean Paul, so dass er sich bald von ihm mit der- selben Gewalt umstrickt fiihlte, wie von Jean Pauls Poesie. Die Lieder nicht minder, wie die zwei- und vierhandigen Clavierstiicke Schuberts wurden mit grosser Sorgfalt studiert. Mit Taglichsbeck, welcher Violine, und Glock, welcher Cello spielte, wurde Schuberts B-dur Trio Op. 99 einstudiert, und an einem von Schumann ver- anstalteten Festabend vor einer Anzahl von Horern ausgeftihrt. Von jetzt ab vereinten sich die Freunde regelmassig an be- stimmten Tagen bei Schumann zu gemeinsamer Ausftihrung von Kammermusik der verschiedensten Meister. Fiir Schumann wur- den diese Uebungen von unschatzbarem Werthe. Der ganze innere Organismus des Kunstwerks, gegen dessen theoretische Aneignung sich seine Individualitat straubte, wuchs ihm in lebendiger Aus- ftihrung gewissermassen geistig an, so dass er ihn instinktmassig erfasste und ubte. Fine ahnliche Entwickelung finden wir bei jenem Meister, dem Schumann am nachsten verwandt ist, bei Franz Schubert. Auch fur ihn wurden die praktischen Uebun- gen, an denen er vor und wahrend seines Aufenthalts im Convict hier und im elterlichen Hause selbstthatigen Antheil nahm, von unstreitig. grosserer Bedeutung als die Unterweisung seiner Lehrer Ruziczka und Salieri. Doch wurde auch diese Art der Aneignung unstreitig bei Schumann mehr als bei Schubert zu einer bewuss- ten. Die Freunde musicierten nicht nur, sondern sie suchten zu- gleich durch gegenseitigen Austausch ihrer Ansichten uber Kunst und Kunstwerke ein tieferes Verstandniss derselben zu gewinnen. Fur Schumann hatte, wie wir bereits mehrfach erwahnen konnten, das blosse „Musicieren" nur geringen Reiz. Von eigenen Schopfungen Schumanns, welche in dieser Zeit entstanden, werden erwahnt: acht vierhandige Polonaisen, vier- handige Variationen, eine Reihe Lieder und cin Quartett fur Piano- forte und Streichinstrumente ; wahrscheinlich war alles durcli Schubert direct angeregt und beeinflusst. Die Lieder sandte er an den seiner Zeit bekannten Liedercomponisten Wiedebein nach ;Praunschweig. Interessanter als das Urtheil, welches dieser tiber I 15 Schumann und seine Lieder fallte*), ist das Factum selbst, well es uns einen Aufschluss giebt liber die besonderen Seiten der Musik, welche fiir Schumann in jener Zeit allein unwiderstehlich anziehend ^Yaren. Wenn man Wiedebeins Lieder jetzt unbefangen betrachtet, ist es nicht leicht, dasjenige zu erkennen, was einem, fur Franz Schubert und Jean Paul ergluhten Kunstjiinger je im- ponieren konnte. Die Lieder, die wir einsahen, erheben sich weder in ihrer Factur, noch ihrem speciellen Inhalt tiber die aller- gewohnlichste Routine. Das was sie vor tausend anderen Erzeug- nissen der Art voraushaben, ist eine gewisse Noblesse der sinn- lich reizvoUen melodischen Gestaltung. Diese tritt allerdings auch in der Richtung, welche in Schumann einen ihrer Hauptvertreter linden sollte, als wesentlicher Zug hervor. Wenn es also nicht etwa aussere Griinde sind, die den Kunstjiinger bewogen, seine Produkte dem Urtheile des alteren, erfahrenen Liedercomponisten mit bekanntem Namen zu unterbreiten, so haben wir einen sprechen- den Beweis, dass es in jener Zeit nur der Zauber der Klangwir- kung war, unter dem Schumann lebte; in welchem er schwelgte und der allerdings der bunten Farbenpracht der Jean-Paulschen Welt am meisten entspricht. Dass Schumann bei dieser ganzen Richtung seines Geistes nicht Tiber den eiskalten und trockenen Anfang der Jurisprudenz hinauskam, darf nicht verwundern. Die betreffenden Collegia wur- den zwar belegt aber nicht besucht, wahrend er ein ziemlich fleissiger Horer in den Vorlesuugen des Philosophen Krug war. Wunderbarer Weise erfahren wir auch, dass er die Schriften Fichte's und Kant*s studierte; bei einem Traumer wie er ge- wiss eine Seltenheit. Jedenfalls miissen seine Beziehungen zu Schelling schon inniger gewesen sein, wie zu jenen beiden. In den Gang der Entwickelung Schumanns brachte auch seine Ueber- siedelung nach Heidelberg keine wesentliche Aenderung hervor. Selbst der geistvoUe Thibaut vermochte ihm kein hoheres Interesse fur die Jurisprudenz einzuflossen, und \Yenn er dessen Vorlesungen zuweilen besuchte, so geschah es wol meist nur der personlichen *) Wasielewsky pag. 316. 16 Beziehungen halber, in die er zu dem gebildeten und sehr unter- richteten Musikenthusiasten trat. Mit um so grosserem Fleiss tibte er Musik. Selbst bei den Ausfliigen, die er im Verein mit seinen Freunden Rosen und Semmel unternahm, vergass er nicht im Wagen auf einer „stummen Claviatur" Fingeriibungen zu macben. Eine von den Freunden projectierte Reise nach Italien ver- anlasste ihn, die italienische Sprache zu studieren; er machte in Kurzem so bedeutende Fortschritte, dass er mehrere Sonette von Petrarca im Versmaasse des Originals und treu im Geiste des Dichters zu tibersetzen vermocbte. Die beiden Freunde wurden verhindert die Reise mitzumachen, und so trat sie Schumann An- fang September allein an. Ueber den Verlauf derselben geben uns drei von Wasielewsky (pag. 55) veroffentlichte, an seine Schwester Theresa und an Rosen gerichtete Briefe Kunde. Inmitten der herr- lichen Natur, die ihn mit Wonne erfullt und in welcher selbst der iibermiithige Student mehr als sonst heraustritt, iiberkommt ihn auch wieder die tiefste Melancholie, und in dem einen Briefe an Rosen (Mailand, den 4. October 1829) macht er eine ausserst charakteristische Aeusserung tiber sich selbst: „Tch komme mir seit einigen Wochen (vielmehr immer) so arm und so reich, so matt und so kraftig, so abgelebt und so lebensmuthig vor," eine Anschauung, aus der spater jene beiden mystischen Gestalten: Florestan und Eusebius hervortrieben. Nach seiner Ruckkehr, den ganzen Winter 1829/30 hindurch, trieb er mit einem noch gesteigerten Eifer Musik. Seine nicht unbedeutende Fertigkeit im Clavierspiel, wie die eigenthuraliche Weise seines Vortrags batten ihn auch hier zu einem gern ge- sehenen Gast in den musikalischen Cirkeln Heidelbergs gemacht. Doch selbst der Erfolg, mit dem ein in diese Zeit treffendes offentliches Auftreten verkntipft war, vermocbte nicht, ihm ein leb- hafteres Interesse fiir das Offentliche Musildoben Heidelbergs ab- zugewinncn. Auch Thibauts Haus, in welchem die altere kirch- liche Vokalmusik fleissig gepflegt wurde, fesselte ihn nicht. Die Anschauungen Thibauts, wie die Werke, aus denen sie geschdpft sind, standen Schumann ganz fremd gegenUber und er ist ihnen Uberhaupt nie nfther getreten. 17 Mehr wie je widmete er sich aber der Composition, und er schuf jetzt Einzelnes, was er spater bei grosserer Reife noch der Veroffentlichung werth hielt, wie die in Opus 3 gedruckten Nummern 1, 3, 4, 6 und 8, welche neben einigen Etiiden fiir Clavier im Jahre 1828 entstanden. Dabei begann er auch einige grossere Werke, die indess aus natiirlichen Granden unvollendet blieben. Es ist ohnstreitig zweckmassiger diese ersten Versuche, so weit sie tiberhaupt bekannt geworden sind, im Zusammenhange mit den iibrigen, der fruheren Entwickelung Schumanns angehorigen Werken zu betrachten; wir fiihren daher den Lebensabriss unsers Meisters bis zu dem Punkt fort, wo er das fremde Ziel aufgiebt und ausschliesslich die Kiinstlerlaufbahn verfolgt. Ostern 1830 war das fiir seine Studien in Heidelberg be- stimmte Jahr abgelaufen; er sollte nach Hause und noch war er zu keinem Entschluss gelangt. Den eigenen Widerwillen gegen die Jurisprudenz zu liberwinden war ihm unmoglich, und doch hielt ihn die Pietat fiir seine Mutter zurlick, dies energisch auszusprechen^ und sich ganz seiner geliebten Kunst zu widmen. In diesem Zwie- spalt erbat er sich noch eine Verlangerung seines Aufenthalts in Heidelberg, die ihm von der Mutter wie vom Vormunde gewahrt wurde, ohne dass dadurch etwas Erhebliches in seiner Lage ge- andert worden ware. Wie friiher lebte er fast ausschliesslich sei- ner Kunst. Die Liebe zu ihr erlangte durch das Auftreten Paga- nini's neue Nahrung. Schumann war mit seinem Freunde Topke nach Frankfurt geeilt, um Paganini zu horen, der Ostern 1830 dort alles durch sein wunderbares Geigenspiel entziickte. Wie machtig er auch davon ergriffen wurde, beweist die von ihm spater ausgefuhrte Bearbeitung der Etiiden dieses Meisters fiir Pianoforte (Op. 3 und 10). Unzweifelhaft wirkte die Erscheinung des von seiner Zeit enthusiastisch gefeierten Virtuosen auf die endlich er- folgte Entschliessung Schumanns die Kiinstlerlaufbahn ausschliess- lich zu verfolgen, machtig mit ein. Unterm 30. Juli 1830*) schreibt er an seine Mutter, dass „sein gauzes Leben nur ein zwanzigjah- *) Wasielewsky pag. 76. 18 riger Kampf zwischen Poesie und Prosa — oder Musik und Jus — gewesen, und dass dieser nun enden miisse." Mit der liebenswtir- digsten Beredtsamkeit weiss er seine eigenen WUnsche in Bezug auf die Entscheidung darzulegen, aber er legt diese dennoch ganz in die Hande der Mutter. „Blieb' ich beim Jus," schreibt er, „so mtisste ich unwiderruflich noch einen "Winter in Heidelberg blei- ben, um bei Thibaut Pandecten zu horen, die jeder Jurist bei ihm horen muss" und am Schluss: „Jedenfalls muss die Frage bis Michaelis entschieden werden und dann soil's frisch und kraftig und ohne Thranen an das vorgesteckte Lebensziel gehen. Dass dieser Brief der wichtigste ist, den ich je geschrieben habe und schreiben werde, siehst Du und eben deshalb erfiille meine Bitte nicht ungern und gieb bald Antwort." Wie die Mutter mit Angst und Zittern sich dem Willen des Sohnes ftigte und dem erfahrenen Lehrer Friedrich "Wieck die Entscheidung in die Hande legte, wissen wir bereits. Wieck, der Schumanns hohe Begabung hin- langlich erkannt hatte, entschied sich zu seinen Gunsten und so setzte auch die Mutter keinen weiteren Widerstand entgegen. Nachdem seine Geldverhaltnisse, die er in jener Zeit wenig zu regeln verstand, geordnet waren, kehrte er zuriick nach Leipzig, um sich dort ausschliesslich der Kunst zu widmen. Treu dem Zuge seiner Zeit war es die Virtuosenlaufbahn, die er zu verfolgen beabsichtigte. Dass es noch anderer Vorbe- reitungen ftir einen Kiinstler wie er ihn fasste, bedurfte, scheint ihm damals noch wenig klar gewesen zu sein. In der Zeit des bliihenden und vergotterten Virtuosenthums waren Virtuos und Ktinstler identisch; nur der Virtuos war ein Kunstler. Zweites Kapitel. Die Vorbereitung fur den Kunstlerberuf. Wie wenig auch Schumanns bisheriges Musiktreiben geeignet war, fiir die Ktinstlerlaufbahn vorzubereiten, so war es doch voll- kommen hinreichend, die eigenartige Entwickelung seiner Indivi- dualitat zu befordern. Unzweifelhaft wiirde diese bei einer gr5s- sern Planmassigkeit der Studien friiher zu formell vollendeter Er- scheinung gelangt sein; wol kaum aber auch in so beiiickender Unmittelbarkeit und Mannichfaltigkeit. Dass Sclmmann nur musi- cierte, wenn er innerlichjangeregt war, ist der wesentlichste Zug seiner Individualitat ; jene mehr handwerksmassige Beschaftigung mit Musik, ohne welche nun einmal ein planmassiges Studium nicht denkbar ist, war ihm zuwider, und weil seine Individualitat hinreichend stark genug war, den mehr instinktmassig angeeigueten Organismus des musikalischen Darstellungsmaterials wie sie es er- forderte, unizugestalten, so gewann er dennoch die entsprechenden Erscheinungsformen vorwiegend in grosser Yollendung. Diese ganze fruheste Thatigkeit Schumanns [wirkte*mehr sem Inneres befruch- tend, als aussere technische Fertigkeit erzielend. Daneben ringt seine Individualitat jetzt schon nach Ausdruck in jenen "Werken dieser Periode, die wir spater noch einer Betrachtung unterziehen. Diesem eigenthiimlichen Entwickelungsgange entsprechend, tritt die Individualitat Schumanns in den ersten Werken viel bestimmter heraus, als dies in den Erstlings werken meist der Fall ist. In den altesten Werken der grossen Meister von Bach bis Schumann be- gegnet uns so viel Fremdes, ihnen nicht eigentlich Ureignes, was jhnen die „Schule" erst zugefiihrt hat, dass es nicht immer leicht 20 ist, ihre Eigenthtimlichkeit zu erkennen. Erst in den spateren Werken und nur in demselben Maasse, in dem es ihnen gelingt das Fremde abzustreifen und die „Scliule" sich dienstbar zu machen, kommt ihre Individualitat in ihrer ganzen Grosse zur Erscheinung. Bei Schumann ist es fast umgekehrt. In ihrer ganzen Unmittelbarkeit erscheint seine Individualitat in ihren friihe- ren Werken und sie erlangt nur grossere Klarheit und Fassbar- keit, so weit er sich die Hulfsmittel der „Schule" aneignet. Bei jenen Meistern tritt die Technik mehr und mehr zuriick, wah- rend sie bei Schumann allmalig grossere Gewalt gewinnt, so dass unter ihrer Herrschaft am Ende die eigene Individualitat fast untergeht. Im Herbst 1830 traf Schumann wieder in Leipzig ein und mit dem grossten Eifer unterwarf er sich jetzt unter Wiecks Lei- tung, in dessen Hause er eine Wohnung bezogen hatte, zunachst jenen technischen Studien, welche die Grundlage der Virtuositat bilden. Es ist auch dies ein charakteristisches Zeichen seiner Individualitat und seiner eigenthiimlichen Kunstanschauung in jener Zeit Die technischen Vorstudien ftir die Composition ver- nachlassigt er, wahrend er die ungleich langweiligeren und geist- todtenderen technischen Studien fiir das Clavierspiel, die „Finger- iibungen" mit solcher Hast und Ausdauer unternimmt, dass er sich eine Lahmung des einen Fingers der rechten Hand zuzieht. Die Nothwendigkeit jener Generalbassstudien vermochte er noch nicht einzusehen; fiir den klingenden Ausdruck dessen, was ihn jetzt noch belebte, gaben ihm Schubert und Beethoven die nSthige Anleitung. Erst als jenes Ereigniss eintrat, das ihn an der wei- teren Verfolgung der Virtuosenlaufbahn hinderte, als im Herbst 1831 die rechte Hand vollstandig erlahmte, drangte sich ihm die Nothwendigkeit besonderer Studien zur Ergrundung der eigenthiim- lichen Natur des musikalischen Darstellungsmaterials auf. He in- rich Dorn (von 1849 — 1869 Kapellmeister an der KOnigl. Oper in Berlin), zu jener Zeit Musikdirector in Leipzig, ein im ein- fachen wie im kiinstUchen Tonsatze erfahrener Musiker tibemahm die Leitung dieser neuen Studien: nach der Weise jener Zeit vorwiegend Generalbassstudien. Es wurden gegebene Melodien 21 Anfangs einfach harmonisiert, iiber bezifferteu Bassen die Harmo- nien aufgebaut, und feststeheude Melodien — als Cantus firmus — mehr selbstandig contrapunktiert. Endlich blieben auch die For- men des kiinstlichen Contrapunkts nicht ausgescblossen, obwol diese in jener Zeit schon allmalig in Misskredit zu gerathen be- gannen. Fiir Schumann war dieser Gang der Unterweisung durch- aus vortheilhaft; er liess ihn die eigenste Natur des namentlich harmonischen Darstellungsmaterials erkennen, aus welcher er seine wunderbarsten Bilder wob, und beengte zugleich seine Individuali- tat nirgends. Auch jetzt noch fiihrte ihm die Schule nichts zu, was er spater wieder abzustreifen nothig hatte. Wie sehr er gerade der speciellen Unterweisung Dorns sich verpflichtet fiihlte, ersehen wir aus mehreren Briefen, welche er an diesen schreibt. „Ich denke fast taglich an Sie," heisst es in dem einen (vom 14. Sep- tember 1836), „oft traurig, weil ich doch gar zu unordentlich lernte, immer dankbar, weil ich trotzdem mehr gelernt habe, als Sie glauben." Bei der Betrachtung der in dieser Zeit entstandenen Compositionen Schumanns werden wir auf den speciellen Einfluss dieser Unterweisung zuriickkommen miissen. Tiefer und nachhaltiger wirkte indess auf Schumanns eigen- artige Entwickelung unstreitig das gesammte Musikleben Leipzigs, welches in jener Zeit schon ganz vortrefflich organisiert erscheint. Wiederholt mussten wir anerkennen, dass der rege musikalische Verkehr ihn mehr und sicherer forderte, als die trockene Unterwei- sung im Generalbass und Contrapunkt. Einen solchen Verkehr aber hot ihm Leipzig, wie kaum eine andere Stadt in jener Zeit. Die wachsende Bedeutung, welche Leipzig als Handelsplatz gewann, hatte auch nothwendig ein erhohtes offentliches Kunst- leben zur Folge gehabt. Zwar unterhielt Leipzig nie, wie die meisten Hofe des vorigen Jahrhunderts, eine luxurios ausgestat- tete italienische Oper, aber es war, seitdem die Sttirme des dreissigjahrigen Krieges sich ausgetobt, redlich bemiiht, Institutio- nen zu erhalten und zu schaffen, die nicht nur die Kunst dem Leben vermitteln, sondem diese selbst zu hoherer Bliite treiben halfen. Die Privilegien des mit der Thomasschule verbundenen Thomanerchors wurden eher erweitert als verringert, so dass 22 dieser bald zu den bedeutendsten und beriihmtesten Singchoren Deutschlands gehorte. Fast durch zwei Jahrhunderte war die Leitung desselben in den Handen der grOssten Meister deutscher Kunst — wir nennen Seth Calvisius, der von 1594 — 1615 das Amt des Cantor an der Thomasschule bekleidete; Job an n Hermann Schein, von 1617 — 1630; Job. Kubnau. von 1701 — 1722, der 1720 die Kircbenmusiken in der Art, wie sie beute nocb besteben, einricbtete; vor allem aber Job. Seb. Bacb, welcber von 1723—1750 als Tbomas-Cantor in Leipzig wirkte. Jeden Sonnabend Mittag fiibrt der Tbomanercbor bis auf den beu- tigen Tag in der Tbomaskircbe religiose Gesange obne, und Sonn- tags beim Friibgottesdienst mit Begleitung in Verbindung mit dem Stadtorcbester aus, und gewinnt dadurcb selbstverstandlicb eine tiefgreifende Bedeutung fiir das offentlicbe Musikleben Leipzigs. Jenes andere Institut, durcb welcbes Leipzigs Musikleben den weit- verbreitetsten Ruf gewann, das Gewandbaus- Concert, wurde erst Ausgang des vorigen Jabrbunderts gegriindet. Seit dem Frubjabr 1743 bestanden in Leipzig Abonnements- Concerte unter der Leitung von Job. Friedr. Doles, die aber unter den Drangsalen der scblesiscben, namentlicb des sieben- jabrigen Krieges mancberlei Unterbrecbungen erfubren. Durcb J. A. Hiller, welcber sie nacb Beendigung dieses Krieges (1763) wieder aufnabm, gewannen sie wieder einen neuen Aufscbwung, namentlicb seit er sie unter dem Namen „Liebbaber-Concerte" fur eigene Recbnung weiterfiibrte. In den Jabren 1779 und 1780 endlicb liess der Kriegsrath und Biirgermeister Mtiller im Zeugbause, dem sogenannten Ge- wandbause, einen Concert- und Ballsaal einricbten; zugleich constituierte sicb jene Concertgesellscbaft, welcbe die sogenannten Gewandbaus-Concerte, die bald einen Weltruf erlangen soUten, be- griindete. Das erste Concert fand unter Killers Leitung am 25. November 1781 statt. In Anfangs 24, spater auf 20 redu- cierten, alljabrlicb stattfindenden Concerten, zu denen nocb 2 Be- nefizconcerte und 8 Abendunterbaltungen fur Kammermusik kom- men, werden die bervorragendsten Instrumentalwerke vortrefflicb ausgefttbrt, daneben aber auch die vocalen und instrumentalen Sololeistungeu fleissig cultiviert. Beim Beginne der dreissiger Jahre bildeten neben den Symphonien und den iibrigen bedeuten- den Instrumentalwerken von Haydn und Mozart auch schon die von Beethoven den festen Bestand der Programme dieser Concerte; selbst die neunte Sjmphonie dieses Meisters, welche sich so schwer Bahn brach, war bereits mehrmals, wenn auch immer noch mit nur getheiltem Beifall ausgefiihrt worden. Die Verbindung mit der gleichfalls seit einer Reihe von Jahren bestehenden Sing- akademie und dem Thomanerchor machte auch die Auffiih- rung der Oratorien und Messen der genannten Meister moglich. Daneben fanden auch gerade in jener Zeit die Werke noch leben- der Kunstler eine weit grossere Beriicksichtigung als jetzt. Ausser Cherubini, Spohr, Schneider, Moscheles, Kalliwoda, Onslow, Marschner, Kuhlau u. A. begegnen wir einer ganzen Reihe von Namen, die jetzt langst verklungen sind. Yon Sololeistungeu wurden, wie auch jetzt noch, namentlich der Gesang bevorzugt. In der Regel engagierte man eine, wol auch zwei der hervorragendsten Sangerinnen fur die ganze Saison. Doch waren virtuose Leistungen auf den verschiedenen Orchester- instrumenten noch haufiger als jetzt. Yioline und Clavier haben jetzt entschieden das Uebergewicht gewonnen; in jener Zeit traten Virtuosen auf der Flote, dem Fagott, dem Contrabass, ja selbst auf der Pauke hervor, und diese Leistungen mussten natiirlich den wolthatigsten Einfluss namentlich auf die virtuose Entwicke- lung des Orchesters ausiiben. Gewiss ist es, dass das Leipziger Gewandhausorchester auf diese Weise zu bestimmten Zeiten eine Reihe Yirtuosen erzog, wie kaum je ein anderes. Neben diesen, in ihrer Art ganz vortrefflichen Instituten, waren im Laufe der Jahre noch neue entstanden, die, wenn auch nicht so hervorragend, doch immerhin noch erkennbar thatig in die Gestaltung des offentlichen Musiklebens eingriffen, wie der 1824 neu begriindele Orchesterverein „ Euterpe" oder der Musik- verein ftir weltliche und geistliche Musik; vor allem aber die Quartettakademie des Concertmeister Matthei. Endlich miissen wir, um das Bild des Leipziger Musiklebens beim Eintritt Schumanns in dasselbe zu vollenden, auch noch des u Theaters gedenken, das, wenn auch keine hervorragende, doch anch keine dasselbe triibende oder entstellende Bedeutimg in jener Zeit hatte. Das Leipziger Patriziat schenkte ihm von jeher weit weniger Beachtung, als jenen Instituten, die es als seine eigenen Schopfimgen betrachten durfte. Der nachmalige verdiente Inten- dant koniglicher Hofbuhnen Kiistner, der das stehende Theater in Leipzig von 1817 — 1828 leitete, konnte es nur mit grossen per- sonlichen Opfern auf einer, der Stadt wtirdigen Hohe erhalten, und auch als es dann als Filiale des Dresdener Hoftheaters mehrere Jahre von dessen Geschaftsfuhrer Remie verwaltet und 1832 unter Ringelhardt wieder stadtisches Theater wurde, vermochte es nicht die G-unst zu erringen, die es auf eine, den erwahnten Concertinstituten entsprechende kiinstlerische Stufe zu erheben im Stande gewesen ware. Wie meist tiberall musste es der Ge- schmacksrichtung der grossen Massen immer mehr Concessionen machen, als jene weniger abhangigen Institute. Dennoch behielt auch hier immer noch die edlere Richtung Oberhand. Neben Mo- zarts Opern und Beethovens „Fidelio" gewannen seit dem Jahre 1830 etwa auch Marschners „Templer und die Jiidin", Spohrs „Jessonda" und ahnliche festern Boden im Publikum. Zur Mess- zeit gastierte auch die eiuzige in Deutschland noch stehende ita- lienische Oper, die Dresdener Konigl. Sachsische, in Leipzig unter Morlacchi's Leitung. Ausser den Opern von Rossini und Bellini hatte sie auch Mozarts „Don Juan" und „Die Hochzeit des Figaro" auf ihrem Repertoir. So fanden im Leipziger 5ifentlichen Musikleben gerade in jener Zeit, als Schumann in dasselbe eintrat, alle Gattungen der Musik zum Theil vortreffliche Vertretung. Von der Virtuosen- leistung bis zu der des Orchesters oder der Chormassen waren ziemlich alle Formen und Style vertreten; breitete sich die offent- liche Kunsttibung tiber das gesammte Gebiet derselben aus. Einem so strebsamen und denkenden Kunstjtinger wie Robert Schumann wurde somit alljahrlich ein grosses und neues Stuck der allge- meinen Kunstentwickelung vermittelt, und viel besser als die Unter- weisung im Generalbass brachte ihn dieser rege, lebendig musi- kalische Verkehr heraus aus jener schwelgerischen Lust am Ton- 25 spiel zii voUer Erkenntniss der Ziele, die er nachher mit solcher Energie verfolgte. Immer lebendiger fiihlte er sich von jenen wundersamen Tonen umstrickt, die in Mozart und Beethoven nur erst wie leise erregt, bei Schubert schon im volleren Chor er- klangen, und aus denen er selbst seine wundervollsten Tongebilde weben sollte. Wahrend ihn die Unterweisung seine eigene Auf- gabe nur in den weitesten Umrissen erkennen liess, fiihrte ihn das musikalische Leben Leipzigs direct hinein. Dort lernte er den allgemeinsten Apparat verwenden; hier schon sich einen eigenen erfinden und ftir Darlegung seiner eigenen Individualitat zurecht legen. Moglich, dass bei einem andern Entwickelungsgange Schu- mann noch Grosseres und Vollendeteres geleistet hatte, aber schwer- lich mehr Eigenartiges und Beriickendes. Dass aber der ganze Entwickelungsgang vorwiegend sich in der angegebenen Richtung gestaltete, wird durch seine fruhzeitig kritische Thatigkeit schla- gend erwiesen. Mit der theoretischen Begriindung der neuen Rich- tung hatte er sich natiirlich bis jetzt nicht befasst; er war viel- mehr nur bemuht sie selbstschopferisch fordern zu helfen, aber bald wurde ihm die Nothwendigkeit einer theoretischen Begriindung so klar, dass er nach wenig Jahren sich veranlasst fiihlte, eine Musikzeitung zu griinden. Schon jene Kritik von Chopins: Op. 2, Variationen iiber La ci darem, welche in No. 49 vom 7. De- cember 1831 der Leipziger „Allgemeinen Musikzeitung" erschieu, verrath es, wie wenig er mehr liber die speciell von ihm zu ver- folgende Richtung im Unklaren war. So scheint es ihn auch nicht allzusehr bektimmert zu haben, dass die Unmoglichkeit, die Vir- tuosenlaufbahn zu verfolgen, bei ihm zur zweifellosen Gewissheit wurde. Mit um so grosserer Energie konnte und musste er jetzt jenes hohere und edlere Ziel verfolgen. Die allmalig wachsende Sicherheit und Bestimmtheit, mit welcher er dieses erfasste, gaben nicht nur seinen Studien und Arbeiten eine planmassigere Rich- tung, sondern sie verbreiteten zugleich iiber sein gauzes Wesen, seine Individualitat eine grossere in sich befriedigte Ruhe. Jene stille Schwermuth, die sich friiher oft in lauten Klagen ausserte, scheint zuriickgedrangt von der Lust am Schaffen und der Freude an kleinen Erfolgen. Eines langem Aufenthalts bei seiner Familie in Zwickau und Schneeberg im Winter 1832/33 gedenken wir, weil er ihm Ge- legenheit gab, einen neugeschaffenen Symphoniesatz von dem Or- chester seiner Yaterstadt ausfuhren zu horen. Solche fur die Ent- wickelung des Kunstjungers uneriassliche Auffuhrungen sind leider nur zu selten zu erreichen und waren auch Schumann in Leipzig nur mit grossen Opfern moglich geworden. Auch die in Rede stehende war fiir Schumann ausserst forderlich. Er gieng, wie wir aus einem Briefe an Wieck sehen*), mit erneuerter Lust an die Umarbeitung des Satzes und an die YoUendung der iibrigen. Das Leben in Leipzig, wohin er im Marz 1833 wieder zu- riickgekehrt war, begann ihm auch allmalig mehr zu behagen, als bei seinem ersten Aufenthalt in dieser Stadt. Den eigentlichen Gesellschaftsverkehr mied er zwar kaum weniger als friiher; da- gegen schloss er sich dem Hause Wiecks, wie den alteren und einigen neugewonnenen Freunden enger an als je. Da er bei der veranderten Richtung seines kiinstlerischen Berufs der Unterwei- sung Wiecks nicht mehr bedurfte, gab er die Wohnung bei ihm auf und zog in eine Wohnung in Reichels Garten. Die giinstige Lage derselben iibte einen wolthatigen Einfluss auf ihn und er- leichterte dem Kreise der jungen Freunde manchen Ausbruch jugendlicher Lust und Frohlichkeit. Leider trat schon im Herbst desselben Jahres ein ungliick- liches Ereigniss ein, das den kaum geklarten Himmel wieder um- florte, das wieder alle finstern Gedanken in Schumanns Geist aufscheuchte. Eine der drei Schwagerinnen Schumanns — Ro- salie — starb und die Nachricht von diesem Ereigniss erschiitterte ihn so tief, dass sich wieder seiner jene „furchterliche Melan(?holie" bemachtigte, liber welche er schon friiher klagt, und die ihn jetzt so beangstigt und bedriickt, dass er seinen ehemaligen Stuben- genossen Giinther bittet, „wiederum zu ihm zu Ziehen, um nicht ganz htilflos und verlassen zu sein." Dieser ungeheuern Aufregung folgte dann naturgemass eine eben so grosse Abspannung, aus welcher er indess bald, nament- *) Wasielewsky pag. 110. 27 lich durch ein neues Freundschaftsbiindiiiss, zu um so eutscheiden- derer Kunstthatigkeit aufgeruttelt werden sollte. LudwigSchunke aus Stuttgart, ein bedeutender Clavierspieler und, wie Schumann, fiir die neue Richtung entbrannt, kam im December 1833 nach Leipzig und beide umschloss bald ein enges Freundschaftsbiind- niss. Schumann war zu neuer Thatigkeit dem Leben gewonnen; schnell reifte jetzt auch der Plan, eine Zeitung fur Anerkennung und theoretische Begrundung der neuen Richtung zu griinden, und schon im nachsten Jahre wurde er ausgefiihrt. Schumann giebt iiber die Griindung der „Neuen Zeitschrift fur Musik" im Yor- wort seiner 1854 veroffentlichten, neuerdings in zweiter Auflage erschienenen Schriften selbst die beste Auskunft: „Am Ende des Jahres 33," heisst es dort, „fand sich in Leipzig allabendlich und wie zufallig eine Anzahl meist jiingerer Musiker zusammen, zunachst zu geselliger Versammlung, nicht minder aber auch zum Austausch der Gedanken iiber die Kunst, die ihnen Speise und Trank des Lebens war — die Musik. Man kann nicht sagen, dass die damaligen musikalischen Zustande Deutschlands sehr erfreulich waren. Auf der Buhne herrschte noch Rossini, auf den Clavieren fast ausschliesslich Herz und Hiinten. Und doch waren nur erst wenige Jahre verflossen, dass Beethoven, C. M. v. Weber und Franz Schubert unter uns lebten. Zwar Mendelssohns Stern war im Aufsteigen und verlauteten von einem Polen: Chopin wunderbare Dinge, aber eine nachhaltige Wirkung ausserte dieser erst spater. Da fuhr eines Tages der Gedanke durch die jungen Brausekopfe: lasset uns nicht miissig zusehen, greift an, dass es besser werde, dass die Poesie der Kunst wieder zu Ehren komme. So entstanden die ersten Blatter einer neuen Zeitschrift." Da wir fiir nothig halten, die ganze kritische Bedeutung Schumanns und seiner Zeitung einer besondern Betrachtung zu unterziehen, so sei bier nur noch erwahnt, dass die erste Nummer am 3. April 1834, im Verlage des Buchhandler C. F. H Hart- mann in Leipzig, der auch den ersten Band als verantwort- licher Redacteur zeichnete, erschien und in mehreren tausend Exemplaren verbreitet wurde. Der neue, eigenthuralich frische 28 Ton, der darin herrschte und sich in den ersten Jahren nament- lich auch erhielt, verfehlte nicht seine Wirkung. Die Zeitung ge- wann nicht nur in kurzester Zeit eine Reihe ausgezeichneter Mit- arbeiter, sondern auch einen ziemlich ansehnlichen Leserkreis. Schon im August, also vier Monate nach der Begriindung, schrieb Schumann an seinen Freund Topke in Bremen voUer Freude, dass „das Publikum das Institut (die Zeitung meint er) so leb- haft unterstiitzt, dass es eine Freude fiir uns sein muss. Prag allein zieht mit 50, Dresden mit 30, Hamburg mit 20 Exem- plaren." Die mehrfach von Schumann selbst ausgesprochene Ten- denz: „das alte Kunstwerk der neuen Zeit zu vermitteln und zu- gleich eine neue poetische Zeit vorzubereiten," fand bald die allgemeinste Anerkennung, und eine Reihe bedeutender Manner sammelte sich urn ihn zu gleichem Streben. Wie sehr ihn auch die neue Redactionsthatigkeit in Anspruch nahm, sie war doch von ausserordentlicher Bedeutung auch fiir seine neuschaffende Thatigkeit. Aeusserlich hatte allerdings damit die eigentliche Vor- bereitung fur den Klinstlerberuf ein Ende genommen; mit um so grosserer Energie wurde sie dagegen innerlich weiter fortgesetzt. Die ganze bisherige Entwickelung Schumanns konnte in ihrer Eigen- art gar nicht besser und sicherer weitergefuhrt werden, als in dem fortwahrenden kritischen directen Verkehr mit den besten Musikern nicht nur seiner, sondern auch vergangener Zeiten, der jetzt fiir ihn begann. Schon dort, bei jenen regelmassigen, der Ausfiihrung von Kammermusik gewidmeten Zusammenkiinften der musikalischen Freunde Schumanns, welche bei diesem wahrend seiner Studien- zeit stattfanden, wurden zugleich kritische Erorterungen von Kunst- fragen ileissig gepflogen und wir konnten bereits andeuten, von welch forderndem Einfluss sie ftir Schumann wurden. Jetzt, nach- dem Schumann die Redaction einer Zeitung mit bestimmt ausge- sprochenem Prinzip tibernommen hatte, musste seine Entwickelung auch nach dieser Seite eine planvollere und gesetzmassigere wer- den. Aesthetische Erorterungen liber das Wesen und die Bedeu- tung der alten und neuen Meister giengen mit der technischen Analyse ihrer Werke Hand in Hand. Durch jene wurde ihm grossere Klarheit iiber seine eigene Mission; durch diese aber eine alhnalig wachsende grossere Herrschaft liber das Material, ohne welche die Erfullung seiner Aufgabe nicht moglich geworden ware, vermittelt. Je tiefer er in den Geist Bacbs, Beethovens undMozarts eindrang, je mehr er sich von Schuberts vmnder- baren Weisen umstricken liess, desto lauter musste in seinem eige- nen Innern dasjenige erklingen, was jene nur angeregt, nicht auch selbst ausgesprocben batten; je lauter aber auch die Tagesstim- men in dieser neuen Thatigkeit an ihn herandrangen, je naher ihm Mendelssohn, Chopin und die Reihe kleinerer Meister der Gegenwart traten, mit um so grosserera Bewusstsein vermochte er auch die Ideale der Zeit zu erfassen, um sie mit seinen eige- nen zu verbinden und zu einigen. Jener unbewusste Zug, der schon in seiner friihesten Kindheit wach in ihm geworden ist, und der ihn bisher immerfort leitete, kommt jetzt allmalig zum voUen Bewusstsein in ihm. Die ganze romantische Unendlichkeit wird zum Darstellungsobject seiner kiinstlerischen Thatigkeit, und er wird der reinste Yertreter musikalischer Romantik und zwar so, dass sie in ihm eine wirklich neue Technik schafft. Wir haben an an- derem Orte*) nachzuweisen versucht, dass die Vertreter der musi- kalischen Romantik, Carl Maria von Weber, Franz Schu- bert, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Robert Schu- mann nicht Romantiker im Gegensatz zu den Classikem sind, sondem weil sie die Romantik selbst zum Vorwurf ihres kiinst- lerischen Schaffens machten, weil sie die Schatze, welche die ro- mantischen Dichterschulen bios legten, musikalisch zu verwerthen sucbten. Wir wiesen nach, wie Weber in die mittelalterliche Ro- mantik, welche durch jene Dichterschule lebendig gemacht wurde, untertauchte; wie er die lichtvoUe Geschaftigkeit der Elfen, den Zauber jener Zeit der Aventuire und glanzender Ritterlichkeit; die Schrecken und Schauer der von Damonen erfuUten Welt und den siissen Duft echt deutschen Empfindens, der sie durchzieht, zu seinem Darstellungsobject macht; wie ferner auch das Kunstwerk Mendelssohns, welches seine kunstgeschichtliche Bedeutung bedingt, ») Allgemeine Musiklehre pag. 289 ff. 30 aus jener romantisch construierten Traumwelt stammt, die er nur mit Elfen und Kobolden bevolkert; wie in beiden, in Weber und Mendelssohn, schon jenes andere charakteristische Merkmal der romantischen Dichterschule : die romantische Unendlich- keit zur Erscheinung kommt, bei Weber als schwarmerische Innig- keit, bei Mendelssohn als gliihende Sehnsucht; wie diese Franz Schubert zu voUstandig isolierter Darstellung subjectiven Empfin- dens fiihrt und ihn zum Yollender des gesungenen Liedes macht und wie dann endlich Schumann diese ganze romantische Unend- lichkeit erschopfend darstellt, das sogenannte romantische Gebiet nach alien Richtungen erforscht und musikalisch zu gestalten sucht. Der Beginn der kritischen Thatigkeit Schumanns bezeichnet nach alle dem einen der wesentlichsten Abschnitte in Schumanns ganzem Entwickelungsgange. Es scheint daher zweckmassig, die Darstellung seines aussern Lebens hier fur einen Moment abzu- brechen und seine innere Entwickelung an seinen eigenen Werken zu verfolgen bis zu dem Zeitpunkt, in welchem ein wiederum mehr ^usseres Ereigniss auch seinem Innern eine neue Richtung giebt. Drittes Kapitel. Die oppositionellen Compositionen. (Op. 1-23.) In diesen ersten Werkeii schliesst sich Schumann der Weise Franz Schuberts zwar eng an, allein es macht sich doch auch schon jener tiefgreifende Unterschied geltend, der spater immer gewaltiger und machtiger hervortritt und seine Sonderstellung innerhalb der Kunst nicht minder als den andeni Romantikern gegeniiber bedingt. Schubert war der erste, welcher fur die ly- rische Isolierung der Einzelempfindung die entsprechende Form gefunden hatte. Die grossen Meister der Yergangenheit, Bach, Haendel, Gluck, Haydn, Mozart und Beethoven arbeiteten unter dem zwingenden Einfluss der das Leben leitenden Ideen auf Gemtith und Phantasie, und verkorperten den poetischen Inhalt des Lebens in den gi'ossen und breiten Instrumentalformen. Schu- bert machte die Einzelempfindung des Einzelsubjects zum Object seiner Darstellung und fuhrte so das Lied zu hochster Form- vollendung; veranlasste aber auch zugleich jene kleinern Instru- mentalformen, in welchen die Meister der Neuzeit so Unvergang- liches leisteten und die namentlich durch Schumann zur Vollendung gefuhrt werden sollten. Bach, der eigentliche Begriinder dieser ganzen Richtung, denn durch ihn wurde das Recht der Innerlichkeit erst innerhalb der Entwickelung der Kunstmusik gewahrleistet, gab wie Haendel seine Innerlichkeit gefangen an die christliche Weltanschauung; Gluck, der Schopfer der heroischen Oper, verausserte sie an die Starrheit der antiken Welt. Haydn, Mozart und Beethoven liessen dann die Wunder der Natur und der Weltbegebenheiten auf ihre Individualitat einwirken, und diese wuchs an und mit ihnen, dass selbst jene beiden Meister mit der reichsten und tief- sten Innerlichkeit, Mozart und Beethoven, Ton und Form fttr den einzelnen isolierten Zug derselben nicht fanden. Sie batten sich gewohnt alles nach den grossten Dimensionen anzuschauen, in den weitesten Beziehungen zu betrachten, und so wird in ihrer Hand selbst das Lied zur Scene, die kleinere Instrumentalform zum Rahmen fUr mannichfaltige nur nicht weiter ausgefuhrte, aber fast dramatisch gruppierte Bilder. Ftir das Lied fand erst Franz Schubert wieder die ent- sprechende Form. Indem er den ganzen weitschweifigen Apparat jener Meister zusammenriickte, ohne von dem Reichthura ihrer Darstellungsmittel etwas einzubiissen, gewann er wieder jene knappe Liedform, in welcher die lyrische Stimmung vollstandig erschOpfend entsprechende Darstellung gewinnt. Er schliesst sich eng dem strophischen Versgefiige an, das er mit den reichen Mit- teln der Vorganger nachbildet und im Sinne des Textes musika- lisch neu gestaltet. Instrumental gewann er dieselben Erfolge nur in jenen Tonstucken, in welchen die formelle Gestaltung bereits als fertige Typen ausserlich bestimmt iiberliefert ist, im Marsch, im Walzer, in der Variation und der Polonaise. In alien iibrigen Instrumentalwerken liefert der Meister den schlagendsten Beweis, dass nur die Unmittelbarkeit und Naivetat der Erfindung eines Haydn noch im Stande war, gross und breit angelegte In- strumentalwerke, Symphonien und Sonaten ohne bestimmtes Dar- stellungsobject zu schreiben; dass mit dem Verschwinden dieser Naivetat die gesammte Innerlichkeit, um wirklich bedeutsame In- strumentalwerke zu erzeugen, an bestimmten Bildern, welche sie der Phantasie voriiberfuhrt, sich concentrieren muss. Dort in jenen Liedern und den knappen Instrumentalformen ist es die von vornherein festbestimmte Form, welche die Phantasie Schuberts zugelt und in feste Bahnen leitet. In den weitern und grossern Formen, die nur in ihren aussersten Umrissen vorgezeichnet sind, verliert sich seine Phantasie in ein, alle Form Uberwuchemdes Spiel mit prachtigen, aber innerlich meist zusammenhangslosen Bildern. Die Bedeutung des eigentlich Treibenden der grossen 33 Instrumentalformen, des Contrastes, ist Schubert nie recht zum Bewusstsein gekommen, und auch eine dialectische Entwickelung der Gedanken versucht er uur selten. Bei ilim reiht sicli meist Bild an Bild, einzig zusammengehalteu durch seine eigene, genial- starke Innerlichkeit. Nach dieser Seite nun gewinnt Scliumann von voruherein eiuen ganz entgegengesetzten, und wie wir bereits andeuteten, den einzig richtigen Standpuukt. Ihm war die Tonkunst nie anders erschienen, als die Kunst der Darstellung desseu, was ihn inner- lich bewegt. Wir sahen, wie friih sich der Schaffensdrang in ihm regt; wie er ihn aber auch gleich an der Darstellung be- stimmter Objecte bethatigt. Namen, Personen und eigene Er- lebnisse versucht er in Tone zu fassen, und dieser Zug be- herrscht ihn bald so voUstandig, dass allmalig Alles beinahe nur Bedeutung fur ihn gewinnt, so weit es sich musikalisch umge- stalten lasst; dass auch er der aussern Welt der Begriffe immer mehr entfremdet wurde. Dieser eigenthumliche Zug, der seine hohe kunst- wie cultur- geschichtliche Stellung bedingt, wies ihn ganz naturgemiiss zu- nachst vorwiegend auf das Gebiet des Instrumentalen. Dies bietet nicht nur fiir das geheime Weben und Walten des Geistes un- endlich erweiterte und verfeinerte Mittel, und liisst es zu ener- gischerem, uumittelbarerem Ausdruck gelangen, als das Vocale, sondern es ermoglicht allein solche, zum Theil handgreifliche Dar- stellungen, wie sie Schumann in einzelnen seiner friihesten Werke versucht. Am hervorstechendsten tritt der Zug, die gesammte Tha- tigkeit unter den directen Einfluss bestimmter Darstellungs- objecte zu stellen, in jenen Werken hervor, die er tiber in No- ten dargestellte Namen schrieb (Op. 1 und 9); und in jenen, in welchen er sich selbst in den verschiedenen Regungen sei- nes Innern, wie seine nachste seelenverwandte Umgebung auch verschieden objectiviert zur Darstellung zu bringen sucht. (Op. 6, 9, 11). Der Gedanke, einen in Noten darstellbaren Namen als Motiv fiir ein Tonstiick zu benutzen, ist nicht neu. Seit Bach seinen 3 u Namen als Fugenthema benutzte, ist ihm mancher in gleicher Weise gefolgt, wie z. B. der verstorbene Orgelmeister zzkw^^him m Hesse AUein fiir keinen dieser Meister hatte das so gewonnene Thema die Bedeutung wie fur Schumann. Fiir Bach und seine Nachfolger wurde es nur Grundlage fur die weitere, sonst wenig beeinflusste Fugenarbeit. Schumann dagegen macht die Tonstucke, •welche er aus solchen entlehnten Namen entwickelt, zu Huldi- gungen fur die geliebten und verehrten Trager derselben. Diese wurden deshalb mit hineingezogen, wie sie in der Phantasie des Dichters lebten, und sie iibten so einen entschiedenen Einfluss auf die ganze Gestaltung der Tonstucke aus. Dem entsprechend wahlte Schumann die Form der Variationen, die einen solchen directen Einfluss ermoglichte. Jenes Opus 1 iiber den Namen: ^ ieE ^ b e g g das in der ersten Halfte des Jahres 1830 entstand und im No- vember 1831 erschien, wurde durch eine junge hiibsche Dame, Meta Abegg, deren Bekanntschaft Schumann auf einem Balle in Mannheim gemacht hatte, hervorgerufen. Die Beziehungen zu der Dame waren wol nur rein ausserer Art; Schumann fand sich so- gar veranlasst, die Variationen nicht ihr, sondern einer fingierten „Comtesse Pauline von Abegg" zu dedicieren. Die Variationen interessieren uns nur mehr formell, als sie uns zeigen, wie weit Schumanns technische Fertigkeit in Beherrschung des Materials durch die Eigenthtimlichkeit des bisherigen Entwickelungsganges gef6rdert worden ist, und wir machen hier schon die interessante Bemerkung, dass er, gewiss nur instinktmassig, sich durchaus, wenn auch nicht gerade geschickt, innerhalb der musikalischen 35 Foraigestaltung bewegt und die Gesetze derselben beobachtet. Er verarbeitet sein Motiv, walirscheinlich auch nocli als Reminiscenz an den Ballsaal, in welchem es entstand, in Walzerform, und pragt diese ganz bestimmt rhythmisch wie harmonisch aus, ohne ein neues melodisches Motiv aufzunehmen; der zweite Theil bringt das ursprlingliche Motiv in der Umkehrung. Fuhlbarer wird der Mangel formellen Geschicks bei den nun folgenden drei Varia- tionen. Schumann behalt die urspilinglich knappe Form bei, be- schwert sie aber zugleicb, namentlich in den ersten beiden Variationen mit einem so reichen harmonischen Apparat, dass sie vollstandig ungeheuerlich dasteht. "Wenig Jahre spater wiirde er aus dieser FuUe von Harmonien ein ganz anderes Tonstuck ge- schaffen haben. Das Finale gestaltet sich freier und durchsich- tiger, und bier erkennen wir £chon die Hand, welche spater ein solch beriickendes Tonspiel mit Harmonien ausfiihren und dariiber so wundersame Melodien aufbauen sollte. Stellen wie: ^ ?^ * I p — hr g=l^ -fl^ — I — h- m #- A '■ ^^ pt - — tj^iitiip XX ■I i! J- I ^,^ III -0- -^ -0- ■^■^■#- ^^.JL ^ ^ ^ c^. j=:f:&di zzz:% irqtEzq:=zz |i=pz^ ^z= ^z =fr^Bpt-T^^^rf ^ r\\ \ 1 t=:^^ 1 n : M — ■ ' ! ' ! i i r ! I i i i - r { i i I i -i 3* 86 M f=rf t^-^^-0- *^-^h-p^-5— ff«-^-h-f-3-f ■^zmrv, m s^^i^Efe^d^ i •0- ■#• jW- ^=r\rrn~T\7H\t-^jm-^ m^ '^ 3? es -^f-^-i': fei ^.3^ TTtrtrtrin FTt^y^^r *-}--» H=CKt5 f ,^:_4-> -^¥-^J^4^-f^-^t^^ I ' ■ ' I ' ' — m m sind Schumann so ureigen, dass sie seine Individualitat schon voU- standig bezeichnen; nicht minder der Schluss: topg£ea;.^^% j gia?T-^ gg PP perdendosi 9 :f=^ ^V- ^ !>■» S S:r=:i=' W \ _ 5t»o - - a/ ^^ .=^^ ppp > I llll I I I 1 ^ p —I- 37 ^ ^^ s^m^ W -T-r §^^ !=;=t ^.ze^E^z:^^^: -7-^ 3 - 3^ Eine ungleich feinere und in ihrer An wen dung tiefere und genialere Bearbeitung fand das Thema, welches er in gleicher Weise dem Namen des kleinen, an der bohmisch - sachsischen Grenze gelegenen Stadtchen „Asch" entlehnte und aus dem er sein Opus 9: „Camaval. Scenes mignonnes'' wob. Im April des Jalires 1834 Nvar Ernestine v. Fricken, aus dem genannten Stadtchen gebiirtig, in das Haus Wiecks gekom- men, um bei dies em bereits beruhmten Lehrer des Pianoforte- spiels Unterricht zu nehmen. In Schumann loderte schnell eine gliihende Neigung fiir sie auf, und unter dem unmittelbaren Ein- fluss derselben entstanden die meisten der einzelnen Stiicke dieses Werkes. Schumann fand, wie er in einem Briefe *) an seine Freundin Henriette Voigt erwahnt, an dem „musikalischen" Namen jenes Geburtsstadtchens namentlich deshalb so viel Freude, weil die einzelnen Buchstaben zugleich die einzigen musikalischen in seinem eigenen Namen sind. Er legte sie auch in dieser dop- pelten Beziehung den einzelnen Bildern zu Grunde und fiihrte sie in dem angegebenen Werke zur nahern Bezeichnung als: Sphinxes No. 1. ^^^E^nE^E^ No. 2.^ No. 3. 1*^^ *) Wasielewsky pag. 140. 38 ein. Aus jenem erwahnten Briefe ersehen wir auch, dass ihm diese Fassung und Harmonisierung : ^^m^ als „sehr schmerzvoU" am meisten behagte. Einen weitern Aufschluss iiber die Bedeutung einzelner Num- mern erhalten wir von Schumann selbst in einem andern Briefe, den er an Ignaz Moscheles unterm 22. September 1837 richtet: „Der Carneval ist auf Gelegenheit entstanden, meistentheils und bis auf 3 oder 4 Satze immer iiber die Noten A S C H gebaut, die der Name eines bohmischen Stadtchens, wo ich eine musika- lische Freundin hatte, sonderbarer Weise aber auch die einzigen musikalischen Buchstaben aus meinem Namen sind. Die Ueber- schriften setzte ich spater dartiber. Ist denn die Musik nicht immer an sich genug und sprechend? Estrella ist ein Name, wie man ihn unter Portraits setzt, das Bild fester zu halten; Recon- naissance eine Erkennungsscene, Aveu Liebesgestandniss, Prome- nade ein Spazierengehen, wie man es auf deutschen Ballen Arm in Arm mit seiner Dame thut." Wir ersehen hieraus, wie Schu- mann in seiner Phantasie das voUstandige Bild eines Carneval aufgebaut hatte, und so fehlen denn auch nicht die typischen Mas- kenfiguren: Pierrot, Arlequin, Pantalon und Colombine. Die libri- gen darin auftauchenden Gestalten gehoren der sogenannten Da- vidsbiindlerschaft an, tiber welche sich Schumann gleichfalls selbst im Vorwort seiner gesammelten Schriften dahin ausspricht: „Und hier sei noch eines Bundes erwahnt, der ein mehr als ge- heimer war, namlich nur im Kopfe seines Stifters existierte, der Davidsbiindler. Es schien, verschiedene Ansichten der Kunstan-^ schauung zur Aussprache zu bringen, niclit unpassend, gegensatz- liche Kilnstlercharaktere zu erfinden, von denen Florestan und 39 Eusebius die bedeutendsten waren, zwischen denen vermittelnd Meister Raro stand. Diese Davidsbiindlerschaft zog sich wie ein rother Faden durch die Zeitschrift (und wie wir gleicb hinzusetzen wollen, durch die Werke dieser ei*sten Periode) „Wahrheit und Dichtung" in humoristischer Weise verbindend. Wir halten es keineswegs fur eine romantische Spielerei, sondern fiir eine, in der ganzen Eigenthiimlichkeit und der bis- her erfolgten Entwickelung bedingte Nothwendigkeit, dass Schu- mann zunachst jene beiden hervorstechendsten Ztige seiner Indi- vidualitat, die traumerische Innigkeit und Weichheit seines Ge- mtiths als Eusebius und die leidenschaftliche Energie seines Wesens als Florestan zu personificieren versuchte. Sein Inne- res darzulegen und auszutonen, das hatte er friih als seine eigeuste Mission erkanut, und wie konnte ihm das sicherer und ungezwungener gelingen, als wenn er dies zwiespaltige Innere auch zwiespaltig zu gestalten und in dieser Gestaltung auch an- zuschauen yersuchte? Nur so war auch eine Vereinigung im Meister Raro, wie sie Schumann anstrebte, zu ermoglichen; dass er sie nicht vollstandig erreichte, hat nur ein ungiinstiges Ge- schick verschuldet. Schon in jener bereits ei*wahnten Kritik der Chopin'schen Variationen spielen beide ihre bestimmt vorgezeich- nete Rolle, ebenso wie in einem Briefe an Henriette Yoigt*). Unter dem Meister Raro ist dort wol noch Friedrich Wieck zu verstehen. Zur Davidsbiindlerschaft gehort weiter noch Serpen- tinus und Jonathan (Carl Bank und wahrscheinlich Ludwig Schunke) und Eleonore, spater Aspasia, die Schumann selbst als die mehrfach erwahnte Frau Henriette Voigt enthullt, in dem oben angezogenen Briefe. Zunachst ist dies Verfahren, auch seine Umgebung in moglichst verklartem Lichte anzuschauen, allerdings in der ganzen jeanpaulisierenden Richtung, der sein jugend- licher Geist angehort, begriindet. Es ist eben jenes traume- rische Verhimmeln aller Wirklichkeit, jene ideale Schonmalerei, die er von Jean Paul gelemt hatte und hier ganz bewusst tibt. Fiir ihn aber hatte das Verfahren den grossen Vortheil, *) Wasielewsky pag. 341. 40 dass alle die, welche seinem Herzen naher traten, auch in seiner Phantasie als Lichtpunkte erschienen und dort Ordnung und Maasshalteu verbreiten halfen. Seine, durch die musikalische For- menlehre wenig geschulte Phantasie bedurfte zunachst soldier Ex- perimente, um iiberhaupt Objecte fiir die kunstlerisch abgerun- dete Darstellung zu erzeugen. Sie musste sich, um sich nicht in weseulosen Nebelgebilden zu verlieren, an die reale Welt anleh- nen. Dabei widerstrebt es ilir, diese und ihre Darstellungsobjecte nach ihrer begrifflichen Seite in die Darstellung hineinragen zu lassen. Sie umrankt das urspriiugliclie poetische Bild mit einer so reichen Fiille von Arabesken, dass dies meist schliesslich ganz verloren geht, dass man immer weniger leiclit den eigentlichen Ausgangspunkt erkennen kann; ja dass die Bilder scbon die Be- ziehung zur realen Welt verlieren. Als er dann auf dem Hohe- punkt seines Schaffens steht, als er jene Herrschaft iiber seine Phantasie wie iiber das Darstellungsmaterial erreicht hat, die ihu unsterbliche Meisterwerke schaffen liess, bedurfte er jener aus- sern Hiilfsmittel nicht mehr und er beginnt sie selbst in seinen friihern Werken zu verwischen, wie in der noch von ihm revi- dierten neuen Ausgabe der Davidsbundlertanze (Op. 6), in wel- cher er nicht nur den, dem Titel der ersten Ausgabe hinzuge- fiigten „alten Spruch": In all' und jeder Zeit Verknupft sich Lust und Leid: Bleibt fromm in Lust und seid Beim Leid mit Muth bereit. sondern auch die, auf den angegebenen Ursprung bezuglichen, meist humoristischen Ueberschriften und Bezeichnungen der einzel- nen Nummern, als von Florestan und Eusebius herrtthrend, unter- druckte. In dieser Davidsbiindlerschaft concentrierten sich zugleich auch die Streitkrafte, Uber welche er in seinem, gegen die Phi- lister uuternommenen Kampf zu verfttgeu hatte. Letztere fiihrt er mehrraals in dem sogenannten Grossvatcrtanz: 41 P ggg^_fej =gJ=l-=j=r.,L^^ Und als der Gross - va - ter die Grossmut - ter nahm ganz direct selbstthatig eiii, iind well dieser Karapf bald mehr, bald weniger ausgepragt die gesammte Tbatigkeit Schumanns jetzt noch beeinflusst, so diirfte scbon aus diesem Gnmde die von uns gcwablte Bezeiclmung: oppositionelle Compositionen ge- rechtfertigt erscheinen, auch wenn Schumann nicht, wie doch thatsachlich erwiesen, mit ihnen eine so voUstandige oppositio- nelle Stellung gegeniiber der Musikpraxis jener Zeit einnahm. Wie fruh bewusst er diese gewinnt, ersehen wir aus dem bereits im Jahre 1831 beendeten Op. 2: den Papillons, von denen ein- zelne schon in Heidelberg entstanden waren. Schumann selbst giebt uns in einem Briefe an Henriette Voigt (im Sommer 1834) einigen Aufschluss: „Das gabe," schreibt er, „ja eine Briicke zu den Papillons: denn liber dem zerstaubten Leib denken wir gem die Psyche emporflattern. — Manches konnten Sie von mir dar- iiber erfahren, wenn es nicht Jean Paul besser thate. Haben Sie einmal eine frei Minute, so bitte ich Sie, das letzte Kapitel der Flegeljahre zu lesen, wo Alles schwarz auf weiss steht, bis auf den Riesenstiefel in Fis-moU (beim Schluss der Flegeljahre ist's mir, als wiirde das Sttick allerdings geschlossen, als fiele aber der Vorhang nicht herunter). Ich erwiihne noch, dass ich den Text der Musik untergelegt habe, nicht umgekehrt — sonst scheint es mir ein „thoricht Beginnen". Nur der letzte, den der spielende Zufall zur Antwort auf den ersten gestaltete, wurde durch Jean Paul geweckt." Und in einer Anmerkung zu einer Kritik der Papillons in der Wiener musikalischen Zeitung No. 26, 1832, welche in den „meist schiikernd flatterhaft und kokettie- rend" gehaltenen Papillons nur ein Spiegelbild der Schmetterlings- natur sah, macht Schumann die Anmerkung: „Die Papillons sol- len bei weitem etwas anderes sein." Und dennoch miissen auch wir bekennen, dass sie nicht zu der Bedeutung angewachsen sind, welche ihnen der Jiinding unterlegte. Der reife Schumann wiirde 42 uuter dem Eindrucke jeues grossartigeu Jean-Paul'schem Bildes, wie es im letzten Kapitel der Flegeljahre aufgeroUt wird, ganz andere Tonbilder geschaffen haben, als „diese Tanzmelodien, denen als Text Liebesworte unterzulegen sind." Die als Op. 3 veroffentlichten Studien fiir das Pianoforte nach Capriceii von Paganini wurden fiir Schumann insofern von grosser Bedeutung, als sie seine technische Fertigkeit in Behand- lung des Darstellungsmaterials wesentlich fordern halfen. Er deu- tet das selbst im Vorwort an: „Auf so viele Schwierigkeiten, tech- nische wie harmonische, der Herausgeber wahrend der Bearbeitung dieser Capricen auch stiess, so unterzog er sich ihr doch mit grosser Lust und Liebe." Dies Vorwort giebt uberhaupt einige so bedeutsame An- kniipfungspuukte fur die Charakteristik der eigenthtimlichen Rich- tung Schumanns in jener Zeit, dass wir gern bei ihm noch et- was verweilen. Zunachst zeigt es, mit welcher Sorgfalt er die Technik des Claviers studiert. Neben eingehenden Bemerkungen tiber das Studium und die Vortragsweise der einzelnen Capricen giebt er zugleich eine sehr verstandige Anleitung iiber die Vor- studien; tiber Fingerubungen, Fingersatz, Anschlag und dergl., und hierbei laufen Bemerkungen mit unter, wie sie feiner und geist- voUer kaum ein vollendeter Virtuose machen konnte. Wol durcli Chopin angeregt sucht er dann weiterhin durch eine eigenthum- liche Spielweise dem Clavier aussergewohnliche Klangeffecte abzuge- winnen, wie in folgenden Uebungen: 43 m »/■. < 3/Z), u. s. f. MS MS mS -&—&- Dabei unterlasst er nicht zu bemerken, dass die beigefiigten Bei- spiele nur auf ahnliche hindeuten sollen. Er rath sogar vorge- rilckten Spielern an, nur selten Uebungen aus Clavierschulen zu spielen, lieber eigene zu erfinden und etwa als Vorspiele im freien Phantasieren einzuflechten, da dann Alles viel lebendiger und vielseitiger verarbeitet wird. Dock gelten ihm diese Studien nur 44 als nothwendige Vorbedingimgen fiir die Ausfiihrung des Kunst- werks. „Dann, iiach Ausscheidimg aller aussern Schwierigkeiten, "wird die Phantasie sich sicher iind spielend bewegen konnen, ihrem Werke Leben, Licht und Schatten geben, und was an freierer Darstellung noch mangeln soUte, leicht vollenden." An- schliessend hieran rath er dann: „Zur Uebung im Capriccio - Styl sind den Clavierspielern, ausser den alteren von Miiller, die von Felix Mendelssohn, namentlich das (classische) in Fis min. und fttr das brillante Spiel die wenig bekannten und sehr geistreichen von J. Pohl zii empfehlen. Auch einige der Bach'schen Fugen im woltemperierten Clavier konnen zu diesem Zweck mit Nutzen studiert werden, im ersten Heft etwa die in C min., D. maj,, E min., F maj,, G maj. u. a. m." Dieser Hinweis namentlich auf Mendelssohns classisches Capriccio ist gleichfalls bemerkens- werth, weil es die Grundverschiedenheit des Entwickelungsganges der beiden, sonst so nahe verwandten Meister darlegt. Mendels- sohns ganze Erziehung war fruh darauf gerichtet, seiner reichen Innerlichkeit jene harmonische Durchbildung und Abklarung zu geben, auf welcher die vollste formelle Abrundung der ktinstle- rischen Aeusserungen derselben beruht. Seine fruhesten kunstle- rischen Kundgebungen zeigen daher schon eine aussere Form- voUendung, die wenig mit dem gebotenen Inhalt im Einklange steht. Die eigene Individualitat erscheiut noch durch die meister- liche Form so eingeengt, sie ist noch mit Fremdem, durch die Schule ihm Zugefiihrtem vermischt, dass sie uns wenig erkennbar erscheint. Aber gerade durch diese meisterliche Form imponierte er Schumann, dessen reiche Innerlichkeit, wie wir sahen, sich unter fremden Einfluss stellen musste, um nur iiberhaupt die schrankenlose Phantasie zu ziigeln und zu formen. Mendels- sohn musste in erneuter Arbeit die formellen Fesseln, in welche die Schule seine Phantasie, seine ganze InnerUchkeit gelegt hatte, lockern und losen, um diese zum Durchbruch zu bringen; wah- rend Schumann in gleich energischer Arbeit nach formeller Festi- gung rang, welche die Schule bei ihm versiiumt hatte. In diesem Sinne erschien ihm jenes Capriccio classisch, weil es formvollen- det war. 45 Der Gewinn, der ihm aus der Bearbeitung dieser Capricen fiir seine eigene Entwickelung erwuchs, ist nicht hoch genug an- zuschlagen. Die Schwierigkeiten, ^Yelche die Harmonisieruiig der- selben darbot, waren allerdings nicht gering. Sie forderten eine reiche Harmonieentfaltung, wie sie in Schumanns gesammter In- dividualitat begriindet ist. Hierbei aber lag die Gefahr nahe, den Charakter der eigenthiimlichen Musikstucke zu verletzen; die leicht beschwingten Etuden zu beschweren und sie in ihrera oft „laimenhaft-eigenthumlichen" Fliige zu hemmen. Schumanns Haupt- aufgabe war aber gerade: diesen Charakter noch bestimmter aus- zupragen; er wollte nicht nur eine blosse Bassbegleitung unter- legen, sondern die Etuden unter Wahrung ihres urspiUnglichsten Wesens fiir das Clavier iibertragen, und so wurde er hier schon auf jcnen polyphonen Clavierstyl gefiihrt, der ihn zum bedeu- tendsten der Romantiker machen soUte. Dieser polyphone Styl der Instrumentalmusilv erfordert nicht, wie der der Vocalmusik eine bestimmte Anzahl selbstandiger Stimmen, sondern nur eine mehr- oder minderstimmige, freie und durchsichtige Darstellung des harmonischen Materials. Das Orchester in seiner jetzigen Zusammensetzung hat mehrere Instrumente aufgenommen, welche an jener polyphonen Fuhrung des Vocalen sich nicht betheiligen konnen, wie die schwerfalligern Blech- und die tonarmen Schlag- instrumente; sie namentlich erfordern eine andere polyphone Fuhrung als die Singstimmen. Nicht minder wie die eigenthum- liche Behandlungsweise wird der verschiedene Klang der einzel- nen Instrumente massgebend fiir die instrumentale Polyphonic. Auch dem Clavier lasst sich jene vocale Polyphonie schlecht ver- mitteln; weil sein Ton nicM so weittragend und ausdauernd ist wie der Gesang- oder auch der Orgelton, so ist es nicht leicht, den Gang der einzelnen Stimmen in fortlaufendem Zusammen- hange zu verfolgen. Zudem biisst das Instrument bei dieser po- lyphonen Behandlung meist seinen hochsten Reiz: Spiel- und Klangfiille ein. Die macht- und glanzvollste Behandlung des Claviers ist immer die accordische. Aber um ihr das Materia- listische der Wirkung abzustreifen, ist es dann wieder nothig, diese Accorde entweder in moglichst durchsichtigen, weiten Lagen 46 einzufuhren oder sie in leichtes, luftiges Figurenwerk aufzu- losen. Wie diese eigenthumliche Behandliing des Claviers nament- lich durch J. S. Bachs entsprechende Claviercompositionen an- geregt, die herrschende wurde, wie sie in Haydn, Mozart und Beethoven neue Formen hervortrieb und bei den Meistern des virtuosen Clavierspiels : Clementi, Field, Hummel u. A. sich immer brillanter entwickelte, ist hier nicht weiter nachzuweisen. Dass Schumann sich diesen Bestrebungen energisch anschloss, um die- sen polyphonen Clavierstyl in eigener Weise umzugestalten, konn- ten wir bereits erwahnen. Jene oben angefiihrten Vorstudien, welche er im Vorwort zu seinem Op. 3 fordert, haben keinen andern Zweck, als die eigenthumliche Polyphonic des Clavier- styls zu erweitern; die Klangfiille des Claviers zu erhohen, seine Klangeffecte zu vermehren. Die Bearbeitung der Capricen von Paganini gaben ihm Gelegenheit, diesen Clavierstyl zu iiben. Mit der ihm eigenthiimlichen Energie erfasst er die oft wunderlichen Gebilde Paganini's in ihrer eigensten Wesenheit; er verfolgt sie in ihrer oft iiberaus launenhaften Gestaltung, um ihnen ihre eigeuste Harmonie abzulauschen, und wenn wir auch einen Contra- punkt wie folgenden: ^ ^^ ^m ff etc. 47 weder fur sonderlicli reizvoU noch fiir musterhaft und nach- ahmungswiirdig erklaren wollen, so ersehen wir doch daraus, wie entschieden Schumann bestrebt >Yar, selbst accordische Gebilde und Massen in mehr polyphoner Fiihrung zu venvenden, um jenen Clavier styl sich zu schaffen, der ftir die reizvoll farbenschim- mernde, prachtig pbantastiscbe romantiscbe Traumwelt die ent- sprechenden Darstellungsmittel gewJihrte. Schon das nachste, noch in deraselben Jahre (1832) voUendete Werk Op. 4, Intermezzi per il Pianof., giebt klares Zeugniss dafur, dass ihn die Bearbei- tung jener Studien Paganini's technisch ausserordentlich gefordert liatte. Die neue gesuchte Claviertechnik scheint ihm jetzt schon so voll bewusst zu sein, dass jene Intermezzi vielmelir von ihr, als von einem wirklich treibenden Inhalt beherrscht erscheinen. Mit Ausnahme des funften Intermezzo, das in seinem reizenden Anfange Allegro moderato feEi V ■r-p- 7 » ' §fES E» &I * «: :| m vortrefflich die Weichheit von Schumanns Innerlichkeit, die dann im „Altemativo>' in griiblerischer Geschaftigkeit auftritt, charak- terisiert, mochten wir dies Werk vielmehr fiir die fortgesetzten, selbstandigen Studien der Claviertechnik erklaren, die Schumann dort an Paganini's Etiiden begann. Indess auch hier wird er wie immer von bestimmten Ideen beeinflusst; er bringt einzelne Nummern in Zusammenhang, und No. 2 weist durch die beige- fugten Worte: ,,Meine Euh! ist hin" direct auf einen solch poe- tischen Vorwurf bin. Allein die Herrschaft der Technik ist bei alle dem starker als die der Idee, und so tritt letztere weniger erkennbar hervor. Daher erscheint auch der Name ausserordent- 48 lich gerechtfertigt. Es sind eben Zwischenspiele, welche mit der tragischen Entwickelung in nur mehr ausserm Zusammenhange stehen. Fast dasselbe gilt noch von den Impromptu'^ (Op. 5), welche Schumann im Jahre 1833 iiber ein von Clara Wieck er- fundenes Thema*) schrieb. Vorher hatte er noch ein zweites Heft von Paganini's Etuden bearbeitet (als Op. 10 gedruckt) und hier erscheint die neue Technik schon so vollstiindig entwickelt, dass sie nur etwas loser und lockerer zu gestalten war, urn Trager eines unzweideutig zu erkennenden Inhalts zu werden. Die gegebenen Melodien und die harmonische Grundlage durchdringen und erganzen sich so, dass beide zu untrennbarer Einheit ver- wachsen erscheinen; dass es nur eines neuen Versuches freier Gestaltung bedurfte, um das neue Material auch geistig zu durch- dringen. Als ein solcher gelten uns die Impromptu's, die Schu- mann wiederum charakteristisch genug vorwiegend iiber den Bass des gegebenen Themas schrieb. Dieser beginnt denn auch als Einleitung das Werk. In den ersten beiden Nunimern beherrscht er die ganzc Gestaltung; nur in der zweiten tritt die Melodic des Themas, aber eingehullt und umwoben von Schumanns Ge- bilden, ein. In der dritten erscheinen beide aufgelost in leichter accordischer Gestaltung; die vierte Nummer erhebt sich dann wie- der iiber dem urspriinglichen Bass. Auch in der folgenden Num- mer beherrscht dieser (im y^ Tact doppelt vergrossert) die Ge- staltung, und nur einzelne melodische Ziige aus dem Thema werden erkennbar. Die folgende Nummer (A- moll) steht in einem mehr nur innern Zusammenhange und fiihrt zu einer andern, welche die Melodic des Themas in entsprechender Umgestaltung im Bass zeigt. Die beiden nachstcn Nummern paraplirasieren und variieren dann diese Nummer YII und leiten zu Nummer X dem Finale iiber, das die beiden Anfangstacte, die Bassclausel: -t-: _"~:z_75t-: zum Motiv nimmt und das Ganze in glanzvoUer Verarbeitung bis zu dem in Octaven eintretenden Anfange, an welchen sich dann, *) Mit Yariationen als Op. 3 gedruckt 49 gegen den Schluss bin etwas variiert, die zweite Halfte der Me- lodie anreiht, fuhrt. Wer wollte in dieser ganzen Anordnung wie in der speciel- len Ausfuhrung verkennen, dass auch hier Schumann von einer ganz bestimmten Idee geleitet wurde? Es ist dies Werk eine Hul- digimg, die er der Klin s tier in darbringt, welche das Thema er- funden hatte, das er hier verarbeitet. Noch scheinen die Herzen sich niclit gefunden zu haben; aber ihrem Genius zoUt Schumann bereits die tiefste Yerehrung. Von Zwickau aus schreibt er schon (unterm 10. Januar 1833) an Wieck: „Sie haben es zu verant- worten, dass Zmckau zum erstenmal in seinem Leben begeistert war. Wenn von ihr (Clara) gesprochen wird, so ist jedes Auge viel sprechender und lebhafter." Diese Huldigung in den Impromptu^ ist dalier auch nur ihrem Genius dargebracht, und sie ist wesent- lich von jener verschieden, welche er der Braut und der Gattin in spateren Jahren darbrachte. An die Stelle eines tiefgemlith- lichen, seelischen Inhalts, der die spateren derartigen Werke Schu- manns entstehen liess, tritt hier der combinierende Verstand, und Warme und Innigkeit der Empfindung muss enthusiastische Be- geisterung zu ersetzen versuchen. Schumann zerlegt, wie wir sahen, sein Thema, und in jedem der beiden Theile verkorperte sich ihm unzweifelhaft eine bestimmte Anschauung — in der Me- lodie Yielleicht das liebliche Bild der Kunstlerin, denn iiberall, wo sie erscheint, wird sie mit einem, in blendendem Glanze stralilen- den Figurenwerk umgeben; in jenem Bassmotiv die enthusias- tische Begeisterung, die er ihrem Genius zollt, und der sich bald ruhig, bald machtig glanzvoU darlegt und am Schluss sich voll- standig an das gefeierte Bild veraussert. Aber diese ganze An- schauung war doch eine zu ausserliche und so interessiert uns denn auch dies Werk weit weniger in seiner ideellen, als in seiner formellen Gestaltung. Diese treibt so voUstandig aus der neuen Technik heraus, dass wir sie schon ganz klar zu erkennen ver- mogen. Schumann hat zunachst jetzt entschieden auch in Tonika, Dominant und Unterdominant jene Angelpunkte gewonnen, die fiir seine auch noch so reiche und mannichfaltige Harmonik immer das formelle Band werden soUten. Die Erkenntniss, welche ihm 4 60 die Schule wol nur andeutungsweise zugefiihrt hatte: dass die ganze formelle harmonische Gestaltung eines Kunstwerks nur auf jenem in der Natur des ganzen Darstellungsmaterials gegebenen Prozess der Dominantwirkung beruht, wurde ihm durch die Praxis vermittelt, und er hat sie durch sein ganzes weiteres Schaffen nie verleugnet. Er hat jenen natiirlicben Formationsprozess nie ver- lassen; er war nur unaufhorlich bemuht, die Gesetze desselben immer tiefer zu fassen, um ihn immer wieder neu zu gestalten. Daneben ist er schon ziemlich jener erwahnten Polyphonie Meister geworden, welche sich bei ihm zunachst in weiten Lagen der Ac- corde darstellt und wodurch er das massige, materielle ihres Klan- ges mildert. Durch Wechselnoten, Vorhalte und Durchgangstone sucht er dann ein lebendiges Gewebe von Stimmen zu erzielen, und hier schon wird er dadurch auf jene freie Einfuhrung von Dissonanzen gefiihrt, welche nicht nur ein so charakteristisches Merkmal seiner ganzen Schreibweise, sondern auch ein so beredtes Ausdrucksmittel der ganzen romantischen Innerlichkeit werden soUte. Stellen wie die folgende: U Ww ^ * — ^*. -#<^- -i- — r — Fed. ^ Fed. t^ iii2ij_i^_w'} 51 verstossen allerdings stark gegeu die Gesetze der alten Schule. Im Gefuhlscodex der neuern Zeit haben sie ihre Aufnahme gefun- den und mit vollem Reclit. Die Tlieorie hat nur tiber der kiinstlerischen Darstellung der Form zu wachen; bei der speciellen Gestaltung derselben muss sie das Recht der Individualitat ancrkennen und gelten lassen, dass es sich in rein individuellen Zugen offenbart. Die Recbt- fertigung des ganzen oben angedeuteten individuellen Zuges wol- len wir weiterbin versuchen. So batte Schumann mit diesem Werke einen bedeutenden Schritt auf der Bahn seiner Entwickelung vorwarts gethan. Das was in den bisher erwahnten fruhern Werken, wie in den gleich- falls friiher entstandenen, aber spater als Op. 7 und 8 veroffent- lichten beiden Werken: Toccata (Op. 7) und Allegro (Op. 8) nur unklar und unfertig zur Erscheinung gelangt, die neue Tech- nik und mit ihr die wesentlichen Grundzuge der Formen der neuen Richtung, hat er mit diesem Werke vollstandig gewonnen. Jetzt bedurfte es nur noch einer Durchdringung und Vergeistigung derselben durch einen tiefgemiithlichen, poetischen Inhalt. So ent- stehen: Der Camaval (Op. 9, 1834/35), die beiden Sonaten (Op. 11 und 22, 1833—35), die Etudes symplioniques (Op. 13, 1834), die Phantasie (Op. 17) und das Concert sans Orchestre (Op. 14, 1835), bei welchen der bedeutsame Inhalt die voile Form- gebung wiederum noch vielfach Beeintrachtigt und hemmt, bis auch sie vollstandig herausgebildet in Op. 6: „Die Davidshundler'\ namentlich aber in Op. 12: „Fantasiestucke" (beide im Jahre 1837 beendet), in den „ Kinder scenerC Op. 15, der y^Kreisleriana" Op. 16 und den folgenden Werken erscheint. Als Schumann dort in je- nem Op. 5 an einem bestimmten Wendepunkte seiner Entwickelung angelangt war, lag nichts naher, als dass er nun auch die ganze Summe seines innern Lebens, so weit es bis jetzt herausgebildet ist, in einem Werke zusammen zu fassen versucht. Wie dieses sich ihm in einzelnen phantastisch verklarten Gestalten concen- triert, die er in seinem ^CamavaV zu einem farbenschimmernden Bilde vereinigt, konnten wir bereits erwahnen. Auch des Motivs, welches den meisten der einzelnen Scenen zu Grunde liegt, ge- 4* 52 dachten wir bereits. Das ganze Bild gewinnt in des Meisters Phantasie eine solche Lebendigkeit, dass er, um es zu vervoll- standigen, audi noch andere Figiiren einfuhrt als die erwahnten, ausser Pierrot, Pantalon, Colombine und Arlequin, auch noch Chopin, Paganini und unter Chiarina auch Clara, die bisher einen bedeutenden Antheil an seiner Entwickelung genommen hat- ten, ja er vergisst nicht in den Papillons an Jean Paul zu er- innern, dem er mehr noch als alien diesen bisher verdankt. Um dem Bilde ferner einen moglichst grossen Schein wirklichen Lebens zu verleihen, fuhrt uns das Preamhule direct in das bunt und mannichfach belebte Treiben des Ballsaals ein, und fehlen niclit die Tanze, wie die weitern damit verbundenen Scenen: Aveu, Reconnaissance y Promenade, fehlt nicht Coquette und Replique, und der „Marsch der Davidsbiindler gegen die Philister''^ mit dem ,,Grossvatertanz''^ beschliesst dann das Ganze. Was uns an diesem Werk zimachst ganz besonders tiberrascht, ist die grosse Treue und Feinheit, mit welcher Schumann das er- wahnte Thema gestaltet, um die verschiedenen Situationen und Gestalten pracis zu charakterisieren. Es ist unschwer den plum- pen, schwerfalligen P ierrot Moderate. &: d: ydd^i^ Ped. I -f f ^ f von dem leichtfiissigen Arlequin mit den feinen Capriolen Vivo. ^t ■ — "■'*"' V 8fz Fed. m ^^■ sfz tSiii sfz : g \ -% -t=\ sfz 53 Oder von dem leichtfertig und leiclitfiissig einliertrippelnilen Par- chen Pantalon und Colomhine -I h^-<* Nc^H 1*^ ^^i^.;-;. auch ohne die Ueberschriften zu imterscheiden. Ueberhaupt hatte es deren kaum bedurft, aus den verschiedenen Gestalten und Gruppen den traumumwobenen Eusehius Adagio. '^^^^ ^w\ r *-c g^ ':^^&E^. Sotto voce. ifetf i^^-^^ Senza Pedale. Oder den stiirmischen Florestan, der mit den ^Papillons" gleich der Psyche auffliegen mochte Ped. 54 Oder die Coquette, die niclit eigentlich in das Bild gehort; deren Erscheinung nur durch mehrmaliges Auftreten des Hauptmotivs, das aber hier nicht eigentlich verarbeitet ist, motiviert wird. Vivo. at* fEiEr^=J^Ep|EfE^=fEiEa=p^ ^-J^=^^-l— t-^t=^:: — t-f -F5 rtr:; '^-- :^ ff Ped. g!=f=33^ :|:: ni^iig ff Fiir sie ist das Thema nur die Maske, unter der sie sich einge- schlichen; nachdem sie in der folgenden Replique beseitigt ist, beherrscht jenes iirspriingliche Motiv wieder die ganze weitere Ge- staltung, das ganze bunte Treiben bis zu jenem Marsch, der cha- rakteristisch genug im Dreivierteltact steht. Wir glauben nicht, dass Schumann sich nur von dem Grossvatertanz verleiten liess, fiir den beim Marsch jetzt allgemein iiblichen zweitheiligen, einen dreitheiligen Tact zu substituieren ; wir halten cs vielmehr fiir einen gliicklichen Zug des ihn hier leitenden Gefiilils. Die Signale ans dem sechszehnten Jahrhundert lassen vermuthen, dass auch die Marsche jener Zeit vorwiegend in dreitheiligem Rhythmus gehalten waren, und die Angabe, dass die Landsknechte zum Sturme unter fiinf sich regelmiissig wiederholenden Trommelschlagen gefiihrt wurden, lisst wol auch nur auf eine Dreitheiligkeit schliessen: /717 1 2 nrn 12 3 4 55 Die auf solche Trommelmarsche gedichteten Spriichlein bestatigen unsere Annahme*). Die Verarbeitung der so gewonnenen Motive erfolgt, dieser ganzen Anscliauimg gemass, natiirlich mehr thema- tisch als organisch entwickelnd. In ihnen sind gewisse Gestalten und Sitnationen verkorpert, welche in verschiedener Beleuchtung und in ihren verscbiedenen Beziehnngen zu einander dargestellt und dargelegt werden soUen, sie werden daher mehr an einander gereiht, als entwickelt. Der Componist cbarakterisiert sein Thema in rastloser Unermtidlicbkeit. Er ist unerschopflicb in harmoni- schen, melodiscben und rhytbmiscben Wendungen, um aus seinen Motiven jene charakteristischen Gestalten zu formen; aber er ist dann eben genothigt sie an einander zu reihen. Es werden nicht eigentlich aus der einen Partie neue entwickelt, um jener eine neue Beleuchtung zu geben, sondern sie werden neben einander gestellt, und jenes Motiv bildet nur den verbindenden Faden. Das Ganze erhalt somit einen bunten, mehr potpourriahnlichen Cha- rakter; ganz besonders bunt ist der Marsch, der noch um seine spocielle Stellung zum Ganzen naher zu kennzeichnen, die inner- lich wenig verraittelte Aufnahme mehrerer Partien aus friiheren Nummern, aus dem Preambule und der „Pause'^ erforderte. Die Fahigkeit einer grossern organischen Entwickelung ge- wann Schumann auch eigentlich erst mit den Phantasiestiicken: der „Kreislenana'^ und den „Kinderscenen^\ Der Mangel einer solchen tritt im Camaval weniger her- vor, weil er dnrch die eigenthiimliche Aufgabe begriindet er- scheint; empfindlich fuhlbar wird er in den beiden Sonaten (Op. 11 und 22). Es war jedenfalls nicht minder eine Verkennung des eigensten Wesens der Sonatenform, wie des eigenthtimlichen In- halts, welchen ihr Schumann entgegen brachte, dass er sich jetzt schon der Senate zuwandte. Diese fordert streng organische Entwickelung, deren er noch wenig Herr war. Jene Anschauung seiner Innerliehkeit als Florestan und Eusebius konnte ihm recht wol das Material fiir eine Reihe nicht nur von Sonaten, sondem von Instrumentalmusik aller Art geben; denn auf ahnlicher Gegen- *) Siehe des Verfassers: Lehrbuclx der Composition. Bd. 11. pag. 296. 56 sfttzliclikeit beruht iiberhaupt die Idee der Sonate wie der Sym- phonie. Aber dann musste er auch jedesmal die getrennte Aii- schauung beider zu einera bestimmten Lebenszuge zu vereinen suchen, wie er das in seinen reifen Instrumentalwerken der spa- tern Zeit thut. Er musste seine Tliemen nicht nur unter dem Einfluss jener zwiespaltigen Anschauung, sondern zugleicli rait dem Bewusstsein der Nothwendigkeit ihrer gegenseitigen Ergiinzung er- finden. Wie frei rbapsodisch, ja recitativisch auch immerhin die letzten Sonaten Beetliovens sind, dies gestaltende Prinzip, das in der Dorainantwirkung hauptsachlich musikalisch Ausdruck findet, ist uberall herauszufiihlen und demnach auch die urspriingliche Idee der Sonatenforra. Dies gestaltende Prinzip der Dominant- wirkung sollte Schumann erst vollstandig bei der Liedcomposition erkennen lernen. Daher erscheinen die Sonaten dieser ersten Pe- riode wiederum in einem iippigen Reichthum von Bildern, aber diese sind ausserlich an einander gereiht und nicht durch die von innen heraus erfolgende Entwickelung vereinigt. Wie bei den Sonaten Schuberts ersehen wir nirgend eine innere Nothwendigkeit der Gegeniiberstellung der contrastierenden Partien, und wenn diese auch bei Schumann viel scharfer gefasst sind als bei Schubert, so kommen wir doch eben so wenig hier wie dort zu einer Ge- sammtstimmung, weil die vermittelnde innere Nothwendigkeit der Gegeniiberstellung fehlt. Gleich die Einleitung zur Fis-moll-Sonate ist von beriickender SUsse mit ihrer liebeathmenden Schwarmerei und Sehnsucht; Eusehius ist nirgend von dem Meister so wahr aufgefasst worden, wie hier und in dem zweiten Motiv des Allegro vivace^ auch die stiirmische Lcidenschaft Florestans liat wol nie einen beredtern Ausdruck gcfunden, als in dem Hauptgedanken desselben Satzes; aber beide erganzen sich nicht, wie es in der Idee der Sonate begrundet ist, in naturgemasser organischer Ent- wickelung; es roUt sich das Bild cines heftigen Kampfes jener widerstrebenden Elemente auf, welcher zu keiner Versohnung, son- dern zum Untergange jenes Hauptgedankens fiilirt. Die folgende ^Aria''' erscheint wiederum als eine Variation des ethischen In- halts jener Einleitung, welche sie an Innigkeit und Zartheit fast noch tibertriift. Die beiden folgenden Siitze: das Scherzo und 57 Finale dagegen stralilen unci schillern wieder in dem buntesten Bilderreichthum der Phantasie unseres jungen Meisters. In Flo- restan's Phantasie spielt nun einmal der Tanzsaal eine nicht un- wesentliche RoUe; und so mogen auch die lebhaften Bilder, welclie er hier bald leicht skizziert, bald farbiger ausmalt, und die er durch das Intermezzo alia hurla ma pomposa schon etwas naher bezeichnet, dort ihre Heiniath haben. Das Icurze Recitativ wie die mit quasi Oboe bezeichnete Stelle deuten dann wol auf ganz be- stimmte Erlebnisse bin. Im letzten Satze endlich treten jene gegensatzlichen Seiten der Individualitat Schumanns ciuander noch entschiedener ausgepragt, aber auch noch unvermittelter gegen- liber. Hier ist Bill auf Bild gehauft, jedes Elinzelne ist von blendender Schonheit und Reife, aber sie sind ganz unvermittelt, wie friiher nur ausserlich an einander gereiht. Diese fiir die ganze Gestaltung der Sonate entscheidenden Mangel werden uns noch klarer heraustreten, wenn >Yir jene Werke derselben Gat- tung betrachten, in welcheu er alle Mittel der neuen Richtung in grosster Yollendung auch dieser Form einfiigt./ "Wie schopfe- risch seine Phantasie sich jetzt schon erwies und wie frei gestal- tend, Avenn sie nicht durch formelle Schranken sich gehemmt ftihlte, beweist die Phantasie (Op. 17). Ueber die Entstehung dieses Werkes wird erzahlt, dass Schumann den moglichen Er- trag desselben als Beitrag fiir das in Bonn zu errichtende Beetho- vendenkmal bestimmt hattc und dass er es deshalb „Obolus'' bezeichnen \Yollte; die einzelnen Musikstiicke soUten die Bezeich- nung: „Ruinen^\ .^Triumplibogeii''' und „ Stemenkraiiz'" tragen. Der Plan kam in dieser Weise nicht zur Ausfiihrung, und so liess Schumann auch jene Bezeichnungen fort und setzte an Hire Stelle ein Motto Fr. Schlegels: „Durch alle Tone tonet Im bunten Erdenraum Eia leiser Ton gezogen Fur den, der heimlich lauschet." Es ist ein gestiiltenreiches Bild, welches Schumann vor uns auf- roUt; aber mehr phantasie- als stimmungsvoll. Eine cinheitliche 58 organischc Entwickelung ist dalicr liicr leichter zu misseii, als in jenen Werken in Sonatenform, fur welche sie erste Yoraus- setzung ist/ Fast noch fuhlbarer als in den fruheren Werken tritt dieser Mangel an einheitlicher Gestaltung in dem ersten Satze der nacli- sten Sonate (Anfangs als: Concert sans OrcJiestre, in neuer Auf- lage als „«?^'"* Grande Sonate'' gedruckt) hervor, weil er noch grossartiger imd gewaltiger concipiert ist als jene Fis-moll-Sonate. Die einzelnen Partien sind weder so siiss noch so leidenschaft- lich erregt, aber sie sind von mannlichercm und energischerem Charakter als dort und wenn es Schumann gelungen ware, sie planvoUer harmonisch unter sich in Verbindung zu setzen, wenn er die Idee der Sonate fester harmonisch gefiigt erfasst hatte, wurde er hier schon den Sonatensatz der neuen Kichtung gefun- den haben. Allein die, bei allem Reichthum doch einheitlich har- monische Gestaltung der Form sollte ihm erst durch das Lied voUstandig zum Bewusstsein kommen; erst die Liedcomposition sollte ihm die voile Herrschaft iiber den Gestaltungsprozess ge- wahren, aus welchem allein die Orchesterformen hervortreiben. Jetzt vermag cr eben nur meist kurzathmige Motive in der er- wahnten Weise thematisch zu verarbeiten; wie meisterlich, wie feinsinnig und reizvoU dies geschieht, jene breite Form vermag er nicht damit zu gewinnen. Beim Scherzo wird ihm die rhyth- mische Anordnung und der feste periodische Bau zum formellen Bande, das seine sauber ausgefiihrten Bilder zu einheitlichern Grup- pen verbindet. Hier ist alles fester in einander gefugt und die rhythmischen Beziehungen, in welche die einzelnen Partien jetzt treten, lassen intimere harmonische leichter vermissen. Dabei weiss Schumann den Rhythmus mannichfach zu gestalten, ohne in die manirierte Weise der Syncopierung zu gerathen. Die nun folgenden: ,,quasi Variazioni" sind wieder iiber ein Thema (An- dantino) von Clara Wieck gearbeitet, und zwar wol nicht nur als eine, der Ktinstlerin dargebrachte Huldigung, wie die fru- heren, sondern als eine Gabe des Herzens, die dort in dem verwandten Herzen ihren Wiederhall finden sollte. Nicht kiihle Begeisterung, die wiirmste Innigkeit spricht aus ihnen, und sie 59 gehoren zum Vollendetsten, was Schumann geschaffen hat. Im Schlusssatz erkennen wir auch nicht mehr Florestan und Euse- bius, er ist vielmehr unverkennbar von dem Thema der Varia- tionen angeregt imd erscheint wie eine Paraphrase der ^^Schilf- lieder'^ von Lenau. „Gewiss," schreibt Schumann an Dorn (unterm 5. September 1839), „mag von den Kiimpfen, die mir Clara gekostet, Manches in meiner Musik enthalten und gewiss auch von ihnen verstanden worden sein, das Concert, die Sonate, die Davidsbiindlertanze, die Kreisleriana und die Novelletten hat sie beinahe allein ver- anlasst." Die dritte Sonate cndlich (Op. 22 G-moll) entspricht der ur- spriinglichen Idee dieser Form ungleich mehr als die vorher- gehenden. Gleich der erste Satz entwickelt sich weit mehr or- ganisch als in den friihern Sonaten. Die Hauptmomente der Ge- sammtstimmung sind in breitern Melodien concentriert, aus deren verschiedener Bearbeitung sicli die einzelnen Siitze organisch entwickeln. Dabei ist die Anordnung derselben ganz die der alten Sonate. Vermittelt durch einen mehr harmonisch begriindeten Zwischensatz tritt dem aus einer breiten mehrfach bearbeiteten Melodic entwickelt en Hauptsatz in der Tonika, ein Gegensatz in der Obermediant gegeniiber, der in der Syncopation das Haupt- merkmal der romantischen Unendlichkeit tragt und in seiner Yer- arbeitung am meisten die alte Form in neuer Gestaltung zeigt. Auch der weitere Yerlauf dieses Satzes entspricht ganz der ur- spriinglichen Form der Sonate. Von dem neuen Geist, der in dieser alten Form somit lebendig geworden war, spricht endlich auch jene Wunderlichkeit, dass Schumann fiir diesen Satz das Tempo: so rasch als moglich vorschreibt und dann gegen den Schluss hin, ein schnelleres und endlich gar ein noch schnel- leres Tempo verlangt. Wir vermogen nicht, hierin ein Versehen anzuerkennen ; uns erscheint diese Bezeichnung weniger als eine strikte Yorschrift fur den Ausfuhrenden, sondern vielmelir als eine Kundgebung dessen, wie Schumann die Ausfiihrung im Geiste an- schaute. Noch fuhlt sich sein Geist von der Form als solcher beengt; noch erscheint sie ihm wie eine Fessel, deren er sich so eo bald ^Yic moglich zii entledigcn gedenkt, und obgleich er ilirc Nothwendigkeit vollkommen erkennt, so drangt es ihn doch immer energischer vorwarts, iiber sie hinaus, und immer hastiger ent- wickeln sich die Gedanken. Als er spater die Form beherrscht und sich nicht mehr von ihr bcengt fiihlt, finden wir bei ihm ein schwelgerisches Spiel unter und mit derselben. So mag jene Bc- zeichnung entstanden sein, und wenn der Ausfiihrende den Inten- tionen Schumanns folgt, wird er auch die Grenzen der Moglich- keit der schnellen Ausfiihrung noch erweitern konncn, auch wenn er „so schnell als moglich" begonnen hatte. Der zvveite Satz Andantino zeigt wiederum ganz die alte Form. Ein im Geiste der neuen Richtung erfundener Liedsatz, in welchem schon jenes erschutternde „7c^ grolle niM'' embryo- nisch schlummert, wird ganz in alter Weise variiert; hier begegnen wir auch schon jener wundervoll wirkenden Mischung von zwei- und dreitheiligen Rhythmen: -t=^^M ^■ 1^ u ;£ rit. die aus dem Bestreben hervortreibt, die Fesseln des Rhythmus zu losen, ohne das rhythmische Ebenmaass zu storen und die ausser Chopin namentlich von Schumann mit Vorliebe gepflegt wurde. Auch das „ Scherzo" halt sich ganz innerhalb der Grenzen der alten Form und zum Schlusssatz hat Schumann sogar, so viel wir wissen, als ersten derartigen von ihm bekannten Versuch, eine der altesten Formen, die Rondoform gewahlt. Nach dem Skizzenbuch Schumanns ist dieser Satz allerdings auch erst spa- ter (drci Jahre) fUr den ursprtlnglichen Schlusssatz substituiert worden. 61 So tritt diese Senate als ein Yersuch, die alten Formen mit dem neuen Geiste zu durchdringen, ganz bedeutsam aus den iibri- gen Werken dieser Periode beraus. Obwol er nicht als missgluckt zu betracbten ist, gab Scbumaun doch zunachst die Weiterverfol- gung dieses Ziels auf. Noch feblte ibm Mancbes hierzu, was ibm erst die Liedcomposition vermitteln soUte; vor allem aber waren die neuen Formen der neuen Ricbtung nocb nicbt so beraus- gebildet, dass diese als fest begrtindet erscbeinen konnten, und das gait ibm immer als seine nacbste Mission. Diesem Ziele batten ibn die Etudes symphoniques (Op. 13, 1834) wie die „J?avidsbundlertdnze'^ (Op. 6, 1837) scbon einen bedeutsamen Scbritt naber gefiibrt. Jene Etudes symplioniques sind Variationen iiber" ein Tbema, dessen Melodie nach Scbumanns eigner, der ersten Ausgabe bei- gefiigten Angabe, von einem Freunde (wie Wasielewsky angiebt, der Vater seiner Jugendfreundin — Ernestine von Fricken) ber- rubrt. In der zweiten 1852 veranstalteten Ausgabe anderte Scbu- mann aucb den Titel weit entsprecbender in Etudes en forme de Variationes. Wie jene Impromptus interessieren sie uns mebr formell wie ideell; vor jenen haben sie nocb den Vorzug einer leicbtern Gestaltung. Er batte durcb eine Reibe nicbt veroffent- licbter Yariationen iiber den Sebnsucbtswalzer und das Allegretto aus Beetbovens A-dur-Sympbonie sein tecbniscbes Gescbick ganz wesentlicb erweitert. Gleicb die erste Yariation giebt uns einen Beleg, um wie viel tiefer er jetzt scbon in die organiscbe Gestal- tung der barmoniscben Grundlage eines Tonstiicks eingednmgen ist, als Mber. Diese Yariation ist tbematiscb entwickelt, aber nicbt wie friiber meist, nur in dem Bestreben eine interessante Harmonik zu erzielen, sondern vielmebr in dem Bewusstsein ihrer organiscben Entwickelung durcb die Dominantwirkung. Tonika, Dominant und Unterdominant und die fiii* die MoUtonart ent- sprecbende Ober- und Untermediant sind die Angelpunkte des Ganzen und die Tonarten, auf welcbe sicb die Darcbfubrung sttitzt. Aebnlicbes, wenn aucb nicbt so bervorstecbend, bezeugen die in canoniscber Weise gebaltene dritte, vierte und siebente Yariation, und in alien iibrigen beberrscht jener harmoniscbe Formatiouspro- zess die ganze weitere Gestaltung so, dass sie trotz des grossen Aufwandes von Mitteln uiid der detaillierten Ausfiihrung dennoch tibersiclitlich und fasslich geformt sind. Nur das Finale ist wieder mehr mosaikartig zusammengesetzt, als organisch entwickelt. Unstreitig erscheint in diesem Werk die bereits von uns cliarak- terisierte neue Claviertechnik bis jetzt am meisten entwickelt. Sie dient der Eutfaltung einer bedeutend erweiterten Harmonik, so dass die KlangfuUe des Instruments in ihrem ganzen Glanze zur Erscheinung gelangt; dabei ist auch die SpielfuUe so sorgfaltig be- riicksiclitigt, dass die Wirkung immer durchsichtig lebendig, nie roh materialistisch wird. Bei alle dem erscheint sie hier indess immer noch mehr ihrer selbst willen; erst in den „Davidsbund- lertanzen" wird sie wieder Trager einer bestimmten, leichter er- erfassbaren Idee. Ueber die Bedeutung der sogenannten „Davidsbundlerschaft"', welche auch dies Werk Schumanns veranlasste, haben wir uns bereits hinreichend ausgesprochen. Befremdend erscheint auf den ersten Blick, dass Schumann diese Clavierstucke unter dem Ge- sammtnamen „Davidsbundlertanze" zusammeufasst, da doch nicht ein einziges in Tanzform gehalten ist. AUein dieser Name soil nicht die Form, sondern die Idee, aus welcher die Tonstiicke her- auftreiben, naher bezeichnen. Wir erinnern mit dem Herausgeber der dritten Ausgabe „D. A. S — " (Dr. A. Schubrig) daran, dass man nur jones .^Marches des Davidshundler contre les Philistens" aus Op. 9 gedenken darf, um die Idee zu verstehen, welche den Davidsbundlertanzen zu Grunde liegt, dass die dort vereinigten Musikstiicke „Tanze sind, welche die Davidsbiindler mit den Phi- listern batten"; dass, setzen wir hinzu, die einzelnen Musikstiicke Kundgebungen von Stimmungen sind, die aus dem Conflicte der geheimsten Satzungen des Bundes mit der Welt der Wirklichkeit sich ergeben. Wie bereits erwahnt, tragt jede einzelne Nummer die Bezeichnung, ob von Florestan {F,) oder von Eusebius {E,) Oder von beiden ausgehend {F, und E.). Gleich das erste StUdfk ist von einem Davidsbiindler erzeugt, der dem Componisten allerdings in jener Zeit wol die heissesten Tanze veranlasste. Aus einem Motto von Clara Wieck (Op. 6 63 No. 5) formt Scliumann ein Musikstuck, das uns wie ein wunderbar iimiger, im tiefsten Herzen angestimmter Hymnus auf weibliche Anmuth erklingt; Florestan und Eusehius singen ihn gemeinsam, oline dass eiiier oder der andere besouders hervortritt und gegen das Ende erlangt er eine harmonische Breite, die auf so engem Rahmen wol nur Schumann zu erreichen verniogend war; harmo- nische Verbindungen wie nachstehende : 'P^ ^^^M tE.^E^^^. f^ 64 warden wol von ihm zuerst versucht. Wie arg sie auch gegen die alte Lehre vom reinen Satz verstossen, wir halten sie fur durchaus gerechtfertigt. Der neue Styl formiert sicli eben nacli andern Gesetzen als der alte Vocalstyl. Bei ihm gelten nur die Gesetze der objectiven Kunstgestaltung, welche dem Subject fiir seine eigene Entfaltung hinlanglich Raum lassen. Einzelne Par- tien, so rein subjectiver Fassung, sind vollauf berechtigt und noth- wendig, weil sie dem Gesammtorganismus meisterlich eingefugt sind; ihre Nachahmuiig freilich erscheint mehr als gefahrlich, weil sie nothwendig zur Carricatur werden muss. Die folgende Nummer ist der Ausdruck der Stimmung, welche jener Hymnus in Eusehius zuriickgclassen hat. Ihre susse Her- bigkeit wird durch den Nonenaccord, mit welchem das Stuck be- ginnt und auf den das Motiv gegrundet ist, wie durch die eigen- thiimliche Polyphonic, in welch er er auftritt, ganz vortrefflich charakterisiert: Innig. ■ ■ ^^ Diese Polyphonic ist wiederum ein besonderes Merkmal der neuen Technik, welche Schumann schuf. Sio erzeugt nicht cigentlich 65 eine bestimmte Anzahl von Stimmen, sondem sie lost den einzel- nen Accord auf in ein durchsiclitiges, mannichfach versclilungenes Tongewebe. Die nachste Nummer giebt im Gegensatz zu der vorhergehenden Kunde von der Stimmung, welclie bei Florestan zuriickgeblieben ist. Sie kniipft wieder an jenes Motiv des ersten Satzes an und die Bezeichnuug der ersten Ausgabe („etwas hahn- biichen") giebt bier wieder den Schliissel. Ein neues cbarakte- ristisches Merkmal fiir die neue Technik giebt diese Nummer in der eigentbtimlicbeu Bebandlung und Einfiihrung eines Orgelpunkts, der mehrmals auf andern Tonstufen und in andern Tonarten wieder- kehrt: etc. In der nachsten Nummer spricbt wiederum Florestan. Niemals hat wol die Syncopation erne entsprechendere Anwendung gefun- den als bier, zur Charakteristik der ungeduldigen Hast, mit wel- cher Florestan die hemmenden Fesseln sprengen mochte: etc. Finer weitem Eigentbiimlicbkeit Schumann'scher Schreibweise be- gegnen wir ferner auch schon am Schluss, der bier sich vorwie- gend auf die Quinte stiitzt, den Grundton nur leise anklingen lasst: 5 66 =4= sfz sfz Ti i rn mm sfz lis * * Lu tls Es ist dies das vortrefflichste Ausdrucksmittel fiir jene roman- tische Unendlichkeit, welche eine weite Perspective in die iinend- liche Feme eroifnet. „Es ist, als wtirde das Stiick wol geschlos- sen, aber als fiele der Yorhang nicht herunter." Wir begegnen ihm bei Schumann noch oft in der mannichfachsten Anwendung. Stisse Bilder scheinen dann in der Seele Eusehius aufzustei- gen; mit der ganzen Innigkeit seines "Wesens versenkt er sich in sie und diese grtiblerisch schwarmerische Stimmung erzeugt die nachste Nummer (No. 5), Florestan verliert sich in finsterm Grol- len (No. 6), aber in Eusebius tritt die Empfindung immer starker hervor (No. 7). Namentlich diese Nummer ist eine der charakte- ristischsten, die Schumann je geschrieben. Schon erfasst seine Harmonik ein eigenthiimlich melodischer Zug. Die einzelnen Ac- corde sind bestimmt ausgepragt, aber sie werden nach so be- st immt melodischem Gesetz an einander gefiigt, als ware jeder nur ein Ton; und wo eine bestimmte Einzelmelodie eingefuhrt wird, da folgen die untergelegten Accorde dem melodischen Zuge so eng anschliessend, dass, bei aller harraonischen Fiille, doch das Ganze weich und stiss erklingt. So spinnt der Meister den Roman seines Herzens in drama- tischer Lebendigkeit weiter. Wieder tritt Florestan auf; (No. 8), Eusebius scheint ihn begeistert zu haben, zu neuem, hoffnungs- reichem Thun; aber als er geschlossen: „zuckte es ihm schmerz- lich um die Lippen" (No. 9) und dann tobt eine dustere Ballade, wol die „von zweien, die nicht zusammen kommen konnten," ihm durch das Gehirn (No. 10), der dann Eusebius eine weit fireund- 67 lichere, mit seligerm Ende entgegensetzt (No. 11), diese erzeugt dann auch in Florestan einen Ausbruch von keckem Humor (No. 12), welchem sich aucb (No. 13) Eusebius anscbliesst. In die wilde Lust, welche beide erfasst, tont es wie femes Braut- gelaut: _J_ d: ggg^a^ t:-\: L^ etc. rn^rn^^^ sie lost sicb auf in bocbste Seligkeit, die in den folgenden Niim- mern einen weitern Ausdruck findet No. 14 ist so die noth- wendige Consequenz von No. 1 und 7 und sie erzeugt die fol- gende (No. 15), in welcber Florestan und Eusebius wieder vereint erscbeinen, ebenso wie in den verbundenen folgenden beiden Nummern (16 und 17). In die letztere klingt dann die zweite binein, und „zum Ueberfluss meinte Eusebius nocb folgendes: (No. 18); dabei sprach aber viel Seligkeit aus seinen Augen." In dieser letzten Nummer ist wieder die wunderbare Harmonie und vor allem jene bereits erwabnte eigenthiimliche Einfuhrung eines Orgelpunkts bemerkenswerth. So erscheint das Werk erst als das erste vollendete der neuen Ricbtung. "Was Beethoven durch seine letzten Werke anregte, hat Schumann mit durchgrei- fendem Erfolge gross und berrlich auszufuhren begonnen. Er kniipft dabei nicht an diesen, sondern ganz naturgemass an den Meister an, welcber der Tonkunst erst die Mittel und Formen fiir den Ausdruck der isolierten Einzelstimmung bestimmt bezeich- nete: Franz Schubert. Die Tiefe und Innigkeit des Gemiiths, die uppige Fulle der Empfindungen hatte auch diesen Meister zu der ausgedehntesten Verwendung des Instrumentalen, in welchem der schaffende Geist viel unmittelbarer noch sich zu offenbaren vermag, als im Yocalen, gedrangt. Dabei entwickelte sich manch 68 ein Zug in seinem Innern, manch ein Bild in seiner Phantasie, fiir welche das Wort des Dichters kein entsprechendes Ausdrucks- mittel mehr ist, und so wurde auch Schubert ganz naturgemass zur Instruraentalmusik hiniibergefuhrt. AUein hier vermochte er doch nicht jene objective Fassung zu erreichen, welche nothwen- dige Bedingung fiir den Instrumentalstjd ist. Im Vocalen wurde ihm das Wort zum formalen Bande, mit dem er seine Phanta- sie ziigelt; instrumental bewegte sich diese fessellos und frei in einem wahrhaft schwelgerischen Spiel reizender Harmonien, Melodien und Khythmen und beriickender Klangvvirkungen. Er vermochte deshalb nicht den neuen Instrumentalstyl zu finden, den Schumann fand, weil er seiner Phantasie nicht friih einen con- creten Hintergrund gab, um sie an ihm zu concentrieren und zu schulen. Schuberts Instrumentalmusik erscheint uberall noch vom Liede beeinflusst. Die instrumentalen Tonstucke Schumanns sind „Phantasiestucke" und stehen erst vollstandig auf dem Boden, auf dem das neue instrumentale Kunstwerk erwachst. An einer Er- scheinung oder einem bestimmten Yorgange des ausserh Lebens entziindet er seine Phantasie; bestimmte Ideen erzeugen in ihr Tonbilder, die nur instrumental aussere Gestalt gewinnen konnen. Dazu aber bedurfte er einer im gewissen Sinne neuen, aus der alten sich entwickelnden Technik und diese schuf er sich wie wir sahen, in unablassiger Arbeit, die ihm vielleicht dadurch erleichtert wurde, dass er nicht viel zu vergessen und zu verlernen brauchte, was ihm die Schule einst zugefuhrt hatte. Von den folgenden Werken der Jahre 1837 und 1838 sind namentlich die „Fhantasiestucke^^ (Op. 12, 1837) und die „Km- derscenerC (Op. 15) und noch die ^Kreisleriana^'' (Op. 16, 1838) mustergultige und monumentale Werke. Es sind allgemeine Stim- mungen, aus denen heraus sie entstanden, und wie viel auch von echt Schumann'schem Sehnen und Traumen hinein verwoben ist, wir bedtirfen keines speciellen Commentars und keiner gegebenen Vor- aussetzungen, um jeden einzelnen Zug nachzuempfinden. Jene erste Numraer des ersten Heftes der Phantasiestucke: ^Des Abends'''' ist wie aus Abenddammerung zusammengewoben nach dem Goethe'schen : 69 .... Nebelhullen, Senkt die Dammerung heran; Lispelt leise sussen Frieden, Wiegt das Herz in Kindesruh. und wie uns die erste des zweiten Heftes mitten in die sussen Schauer der Nacht hineinftihrt, so zutreffend und selbstredend sind die andern „Aufschwung'\ „ Grillen'^ und „ Traumeswirren^^ iiberschriebenen Tonstiicke und selbst die mit den Bezeiclinungen: „Warum?^^ „Faber und ^Ende vom Liede^"* versehenen lassen wol kaum einen Zweifel iiber ihre Bedeutung. Jenes „Warum" ist eine stille Klage ilber die Unzulanglichkeit aller Erkenntniss, und um den Eindruck der „Faber' nachzuempfinden, bedtirfen wir kei- ner bestimmten zur Voraussetzung. In dem letzten Stiicke endlich erfahren wir, dass das „Ende vom Liede", welches mit so „gutem Humor" begonnen, in sich ruhend resigniert ist. Nicht minder verstandlich sind die „KinderscenerC\ Man hat dem Meister wiederbolt die beigegebenen Ueberschriften, na- mentlich bei diesem Werk, zum Vorwurf gemacht und mit gros- sem Unrecht. Wir haben nachzuweisen versucht, wie die Instru- mentalmusik, wenn sie sich nicht in objectlosem Spiel mit Klang- effecten verlieren soil, an bestimmte Objecte sich anlehnen muss, und wir fanden dies namentlich bei Schumann nothwendig, dessen Phantasie wenig formell geschult war. Nur der Unverstand kann es ihm zum Vorwurf machen, wenn er uns durch die Ueber- schriften Kunde giebt von diesem Gestaltungsprozess ; wenn er uns damit von vornherein einen Einblick gewahrt in die geheime Werkstatte seines Schaffens und uns das Yerstandniss des Musik- sttickes dadurch zu erleichtern sucht; eine weitere Bedeutung kon- nen natiirlich jene Ueberschriften nicht gewinnen. „Man irrt sich gewiss," sagt er selbst, „wenn man glaubt, die Componisten legten sich Feder und Papier in der elenden Absicht zurecht, dies oder jenes auszudrucken, zu schildern und zu malen. — — Die Hauptsache bleibt, ob die Musik ohne Text und Erlauterung an sich etwas ist, und vorztiglich ob ihr Geist innewohnt." Diese Bedingung erfiillen die erwahnten Musikstucke in seltenem Grade. Wir nannten sie schon friiher ein Dankopfer, 70 das er seiner, im elterlichen Hause verlebten friihsten Jugend darbringt. Er traumt sich zuriick in jene selige Zeit, in welcher seine Individualitat tief wurzelt und mit einer seltenen Unschuld und Treue vermag er sich die Reinheit und ungetrubte Klarheit der Kindesseele vorzustellen. Sie erscbeint bier wie ein reiner Spiegel, in welcbem sicb die verscbiedenen Eindriicke der Erzilb- lung „von fremden Ldndern und Menschen'\ der „curiosen Ge- schichte'\ das „Gluck^\ der ^^wichtigen Begebenheif^ oder ,^am CamirC u. s. w. wiederspiegeln. Ueber das Ganze ist eine selige Rube ausgebreitet, die bei Schumann, dem rube- und rastlosen, leidenschaftlich Erregten doppelt anziehend erscbeint. Hier ist alles so glatt, die Dissonanzen sind alle so weich vermittelt, als ob wirklich eine Kindesseele alles unmittelbar ausgestromt batte. Und wie anziehend ist wiederum der Scbluss, in welcbem „der Dichter spricht", oder viebnebr „selbst wieder fromm geworden": zum stillen Gebet seine Lippen bewegt. Wie anders erscbeint der Meister wieder in der. „Kreis- leriana'\ Es ist nicht anzunebmen, dass dies Werk directe Be- ziehung auf das gleicbnamige Werk E. T. A. Hoffmanns nimmt. Wie dort der Lebenslauf des phantastischen Kapellmeisters Kreis- ler mit seinen Leiden und Freuden erzahlt wird, so legte Schu- mann ein Stuck seines eigenen Lebens in seinem Werke nieder; es ist demnach rein subjectiver Natur, aber Schumann hat es hier doch noch verstanden, diese Kundgebungen seines Innern in leicht fasslicher Form darzustellen. Die Stimmungen sind nicht, wie wahrscheinlich wieder in den „Novelletten'\ auf bestimmte Vor- gange bezogen, sondern sie sind mehr allgemeiner Natur, wie sie im innersten Wesen des romantischen Empfindens begrundet sind. Wie individuell zugespitzt und ausscbliesslich herb-schuman- niscb im Ausdruck auch gleich der Anfang in seinem verspateten, syncopierten Bass erscbeint, und wie tief der weitere Verlauf nur in seiner eigenartigen Weise des Gefiihlsausdrucks begriindet ist, so gewinnt doch in der ganzen Fassung und Ausfiihrung auch dies Ton- stiick objective Wahrheit. Unter sich schon treten die einzelnen Stimmungen in ein gcgcnsatzliches Verhaitniss, so zwar, dass sie einander gegeuseitig erganzen und erlautern, und jede einzelne wird 71 wiederum ideell wie fonnell erweitert und erlautert durch Zwi- schenspiele und Intermezzi, durch Seiten- und Gegensatze. Die einzelnen Stucke zeigen zwar nicht die streng organische Ent- wickelung der Kondoform — dazu ist ihr ethischer Inhalt zu bunt und farbenreich — aber doch die energische Geschlossenheit der- selben. Das gleiche gilt noch von jenen beiden andern Werken des- selben Jahres, der „Arabeske" (Op. 18) und dem „Blumen- stuck'''' (Op. 19), wahrend wiederum die ^Humoreske''' (Op. 20) wie die „Novelletten^^ (Op. 21) augenscheinlich zu ihrem vollen Verstandniss die Bekanntschaft mit Ereignissen erfordem, die uns fehlt und doch nur schwer zu ermoglichen ist. Die Humoreske fiihrt uns gleich mitten hinein in die Stimmung, durch einen Ac- cord, der andere zur Voraussetzung hat: Einfach. m \^u A -^ W Fed. »E -1 Fi — r —I- i dim. und der weitere Verlauf zeigt uns, dass es eine, immerhin ernste Augelegenheit ist, wclche der Meister mit Humor auschaut, mit 72 dem Zauber von Witz und Laune ubergiesst, urn sie im poetischen Lichte erscheinen zu lassen, allein dies alles vermag uns die feli- lende Einheit der Form nicht zu ersetzen; niclit die einzelnen vortrefflich ausgefiihrten Bilder einheitlicli zu gruppieren. Zwar versucht Schumann dadurch, dass er auf einzelne Motive immer wieder zuruckkommt, einen Zusammenhang herzustellen ; aber gerade hierdurch wird der Eindruck des Ganzen noch mehr apho- ristisch. Die einzelnen Bilder sind zu reich und weit ausgefiihrt, als dass ihr innerer Zusammenhang durch ein so ausseres Mittel Oder durch die einzelnen Bezeichnungen klar wiirde. Nicht ganz dasselbe gilt fiir die Novelletten und fur den gleichfalls in jene Zeit fallenden: „Faschingsschwank aus Wien'^ (Op. 26). Bei dem Faschingsschwank sind die aussern Einflusse unschwer zu er- kenuen, einzelne Stimmungen stellen sich sogar in den festgefug- ten Formen der Romanze, des Scherzino und des in Rondo- form gehaltenen Finale dar. In den Novelletten spricht sich dann wiederum die Personlichkeit des Tondichters in ihrer ur- spriinglichen Naturlichkeit aus; sie ist uns schon hinianglich be- kannt und anziehend genug, und hilft denn auch die Einheit ver- mitteln. Doch kommt auch sie in jenen Werken, ii^ denen er sich die Form dienstbar machte, um ihr einen Inhalt aufzunothi- gen, viel treuer und leichter fassbar zur Erscheinung als hier, wo es gilt Stimmungen auszutonen, die zu ihrem voUen Verstandniss des Wortes nothwendig bedurfen. So steht dies Werk nicht nur seiner Opuszahl, sondem so recht seinem eigentlichen Inhalt nacli an einem wichtigen Scheidepunkt in Schumanns Entwickelung. Eins der nachsten Werke: Op. 24 bringt die ersten Lieder fiir eine Singstimme. Wir haben mehrfach Gelegenheit genommen an- zudeuten, welch durchgreifenden Einfluss die Pflege des Yocalen auf die Entwickelung Schumanns iiberliaupt gewann; wie nament- lich auch der Instrumentalstyl eine wichtige Umgestaltung erleidet. Ehe wir uns zur Betrachtung dieser neuen Phase wenden, machen wir noch auf eine Stelle der Humoreske aufmerksam, welche wie- derum ein neues charakteristisches Merkmal des neuen Clavier- styls bildet: 73 t=± -<5> =^- 1^1 i^«*- -^- -4^^- i^ ^ ^ J Ped PetZ. Fed. Fed. Ueber die Eigenart dieser Schreibweise giebt Schumann selbst in einem Briefe an Moscheles (vom "22. September 1837) interes- santen Aufschluss: „Manches meiner Notirungsweise," heisst es dort, „mussen Sie mir schon zu Gute halten. Die drei As iiber einander wusste ich wirklich kaum anders zu schreiben: denn ^ Oder macht eine andere Wirkung; das hohe As 3 soil nur leise nachklingen, und so wusste ich nicht anders, als -J- zu schreiben." Viertes Kapitel. Der Brautstand. Die Lieder. Wie schon erwahnt, hat an den letzten bisher besprochenen Werken Schumanns der Kampf um Clara, welcber mit dem Jabre 1836 beginnt, einen ganz bedeutenden Antbeil. Im Januar des gedachten Jabres war das allmalig sebr gelockerte Verbaltniss zu Ernestine vollstandig gelost worden, imd nacbdem Scbumann am 4. Februar aucb seine Mutter verloren batte, fuhlte er sicb immer mebr zu jener edlen Frauenseele bingezogen, die bereits einen so durchgreifenden und entscbeidenden Einfluss auf seine ganze innere Entwickelung gewonnen batte. Es ist binlanglicb bekannt, wie die beiden Herzen sicb bald fanden um sicb unzertrennlicb zu verbinden; nicbt minder welcb bartnackigen Widerstand der Vater der Braut einer Vereinigung entgegensetzte. Das Jabr verging unter Sorgen und Scbmerzen, und gegen das Ende dessel- beu batten sicb die Aussichten so verscblimmert, dass Schumann an seine Schwagerin Therese in einer Nacbscbrift zum Briefe vom 15. November die Aeusserung thut: „C. liebt mich noch so warm wie sonst; doch babe ich voUig resigniert." In freund- licberem Licht erschien ibm die Zukunft schon wieder im nScb- sten Jabre, und im September desselben Jabres hielt er bei dem Vater: Friedrich Wieck um die Hand der Verlobten an, die ibm dieser indess verweigerte, „weil", wie Scbumann seiner Schwa- gerin Therese (unterm 15. December 1837) schreibt: „der Alte Clara noch nicbt aus den Handen geben will, an der er zu sebr haugt. Und dann", setzt er hinzu, „bat er aucb wol einiges 75 Recht, wenn er meint, wir mtissten erst noch melir verdienen, urn anstandig zu leben." Dieser letztere Gesichtspunkt, von welchem aus alles Schaf- fen und Wirken doch auch betrachtet werden muss, scheint ihra iiberhaupt erst jetzt und namentlich durch die Weigerung Wiecks, in eine Yerbindung mit Clara zu willigen, eroffnet und naber ge- legt worden zu sein. Er hatte bisher nur im Dienste der hoben Kunst und jener Ideen, welche die leitenden seines Lebens ge- worden waren, gewirkt und gescbafft, nicbt nur unbekiimmert um materielle Erfolge, sondem sogar nicbt obne bedeiitende pecu- niare Opfer. Jetzt trat der ganze Ernst des Lebens an ihn beran. Es gait, durcb eine erhohte Wirksamkeit und durcb eine veran- derte Anschauung derselben, das nunmehr hochste Ziel, die Ver- einigung mit dem geliebten Weibe zu erreichen und §cbumann fand sich bierzu sofort bereit. Er begann mit Eifer jenen Plan zu verfolgen, welcber schon 1836 in ihm aufgestiegen war, nach Wien iiberzusiedeln, um dort in der grosseren Stadt einen erwei- terten Wirkungskreis zu finden, als ihm Leipzig bot. Was ihm Leipzig nach dieser Seite gewahren konnte, dariiber hatte er wol bisher wenig gedacht. Der rege kiinstlerische Verkehr, den er selbst durch Begriindung der „Neuen Zeitschrift fiir Musik" hatte fordern helfen, und der durch die im September 1835 erfolgto Uebersiedelung Felix Mendelssohn-Bartholdy's nach Leipzig einen ganz neuen ungeahnten Aufschwung gewann, war bisher wol die einzige Anforderung, die er fiir seine eigene Stellung an das offent- liche Leben in Leipzig gemacht hatte. Den personlichen Yerkehr mit Mendelssohn und mit jenen hervorragenden Kunstlern, die sich bald um diesen grossen Meister des neunzehnten Jahrhunderts sammelten, wie Ignaz Moscheles oder Ferdinand David, ebenso wie mit jenen, welche nur voriibergehend in Leipzig ver- kclirten, wie Friedrich Chopin, Ludwig Berger, Franz Liszt, Ferdinand Hiller und A. nutzte er nur fiir seine in- nere Entwickelung, und es ist charakteristisch genug, dass, als es gait mehr fiir die aussere Existenz bedacht zu sein, er sofort an eine voUstandige Yeranderung seiner aussern Yerhaltnisse dachte. Aus Wien schreibt er (unterm 10. October 1838): „Kann ich 76 nicht hier bleiben, so ist mein fester Entscliluss, ich gehe nach Paris Oder London. Nach Leipzig komme ich nicht zuruck." Doch schon wenige Wochen darauf hatte ihn das Wiener Leben etwas erniiclitert. „Glaubst Du, Therese," heisst es in einem andern Briefe (vom 18. December 1836), „hinge es von mir ab, morgen ginge ich nach Leipzig zuruck. Leipzig ist gar kein so kleiner Ort, als ich gedacht, Hier klatschen und kleinstadtern sie trotz Zwickau." Freilich leitete ihn bci der projectierten Ueber- siedelung nach Wien auch der Gedanke: dass „die Zeitschrift da- durch grossartiger, einflussreicher werden, eine Vermittelung zwi- schen dem Norden und Siiden herstellen konne." Auf den ersten Blick muss es allerdings befremden, dass Schumann, der, wie wir sahen, bis jetzt schon einige vortreffliche Werke geschrieben hatte, an den Yerlegern, die in Leipzig so zahlreich vertreten sind wie nirgend anderswo, nicht energischere Unterstiitzung fand. Allein sie urtheilen und bezahlen nur nach dem Erfolg, und dieser war bei Schumann jener Zeit allerdings noch ausserst gering. Die Kritik war, wie zu alien Zeiten auch damals, nur bemiiht, in neuen Phrasen die Vortrefflichkeit der alten Meister zu verkiinden und daneben das, ihr nahe liegende Mittelgut zu protegieren; dem Publikum aber war das, was Schu- mann zu bieten hatte, meist noch unverstandlich und ungeniessbar, und so finden wir es ganz natiirlich, dass er in einem Briefe an Moscheles (vom 8. Marz 1836) schreibt: „Die Verleger wollen nichts von mir wissen." Nachdem der Plan der Uebersiedelung nach Wien mit Johann Fischhof dem verdienten nunmehr auch (1857 am 28. Juni) dahingeschiedenen Professor am Wiener Conservatoir, an welchem Schumann einen der treusten Freunde gewonnen hatte, reiflich und ernstlich in einem lebhaften Briefwechsel erwogen worden war, reiste Schumann im September 1838 nach Wien ab, in der Hoffnung, vom 1. Januar 1839 an die Zeitschrift dort er- scheinen zu lassen. Doch stellten sich diesem Unternehmen zu grosse Hindernisse in den Weg; Schumann kehrte im April 1839 nach Leipzig zurtick ohne andere Erfolge, als ftir seine innere Entwickelung. Das ganze Leben und Treiben in Wien hatte 77 ihm, wie er selbst erzaMt, erst den ganzen Franz Schubert er- schlossen. Eine besondere Bedeutung erhielt dieser Aufenthalt Schu- manns in Wien noch dadurch, dass er bei dem damals noch le- benden Bruder Schuberts eine Reihe unbekannter Manuscripte fand, fur deren Yeroffentlichung er Sorge trug. Darunter befand sich die grosse Symphonie in C-dur, welche Schumann sofort an Men- delssohn sandte, unter dessen Leitung sie am 12. December 1839 im Gewandhause aufgefiihrt wurde. Nach seiner Riickkehr begann er emstlich und eifrig sich hauslich einzurichten; zugleich erwarb er die philosophische Doc- torwurde, und weil vom Yater seiner geliebten Clara die Einwil- ligung zur ehelichen Verbindung nicht zu erreichen war, so blieb ihm schliesslich nichts weiter iibrig, als einen gerichtlichen Con- sens zu erwirken, kraft dessen das Paar am 12. September 1840 in der Kirche zu Schonefeld, einem Dorfe in der Nahe Leipzigs, durch Priesterhand verbunden wurde. Ein neues reiches Liebeleben gieng nun fur Schumann an, das eine Reihe der yortrefflichsten Werke in ihm erzeugte, die in ganz folgerichtiger Entwickelung auf jene, des miihe- und drangsalvoUen Brautstandes fussen. Wir wiesen bereits mehrfach auf den Einfluss, den dieser auf seine Clavierwerke gewann, hin und zeigten, wie in den zu- letzt betrachteten die Gewalt der Empfindung nach jener unzwei- felhaften Deutlichkeit des Ausdrucks ringt, welchen das Instrumen- tale nicht zu gewahren vermag, die zu erreichen es gezwungen ist, das Wort mit hinzu zu nehmen. So entstanden denn im Jahre 1840 eine Reihe von Liedern, welche nicht nur den Meister po- pular macheu, sondern ihm eine ganz neue Stellung iunerhalb der Kunstentwickelung begriinden sollten. Es bedarf wol kaum der Ei-wahnung, dass Schumann die Liedcomposition anders und tiefer auffasste, wie die Mehrzahl der beliebten Liedercomponisten, die eben nur passende, zur Noth die Grundstimmung berucksichtigende Melodien zu Liedertexten ei-fin- den. Wie einst das Yolk in seinem Schaffensdrange, wollte auch er wiederum nur austonen, was ihn Herbes und Susses bewegte, und wie alle grossen Liedermeister versuchte auch er im Liede das 78 in Tonen nachzubilden, was der Dichter im Text in ihm an- geregt hatte. Er versuchte die Stimraung noch tiefer zu erfassen, urn sie auch in ihren feineren Ziigen, fiir welche die Sprache keine Ausdrucksmittel hat, kunstlerisch gestaltet zur Erscheinung zu bringen. Wir haben am anderu Orte*) nachzuweisen versucht, wie die typische Form im Yolksliede des fiiufzelmten und sechzehnten Jahrhunderts festgestellt wird und wie ihr dann die Ktinstler durch eine freiere und reicbere Ausgestaltung derselben eine ho- here personliche Wahrheit zu geben trachten. Wir wiesen nacb, wie durcb Goethe ein neuer Liederfriihling hervorgezaubert wurde, der seinen erwarmenden und befrucbtenden Einfluss auch sofort auf die Tonkunst ausubte. Zwei Meister namentlich versuchten die musikalische Wiedergeburt des Goethe'schen Liedes: Jo ban n Friedrich Reichardt (1751 — 1814) und Carl Friedrich Zelter (1758 — 1832) aber nur mehr ausserlich, indem sie dem Liede kaum weniger als seine eigene Sprachmelodie ablauschten. Eine etwas ausgefiihrtere, dem eigentlichen Erfassen der Liedstim- raung schon naher kommende Behaudlung derselben versuchten dann zwei andere Berliner Kunstler: Ludwig Berger (1777 — 1839) und Bernhard Klein (1794—1832), doch auch sie ver- mochten nicht die erschopfende musikalische Darstellung des Goethe'schen Liedes zu erlangen. Diese erreichten erst jene bei- den grossen Meister: Beethoven und Mozart, aber nur, indem sie die urspriingliche Liedform instrumental und vocal erweiterten, zur mehr dramatisch angelegten Scene. Sie verraochten die lyrische Stimmung wol in ihren einzehien Ziigen darzustellen, aber indem sie dieselbe in den weitesten Dimensionen aiischauen, verlieren sie die Pragnanz des lyrischen Ausdrucks. Das Lied erfordert viel- mehr, dass die lyrische Stimmung auf ihre Pointen zuruckgefuhrt, zu moglichst gedrangtem, schlagendem Ausdruck kommt. Nur in- dem sie diese Anforderungen erfullten, wurden Goethe und Heine die grossten lyrischen Dichter, und Schubert, Mendelssohn und Schumann die grossten Liedercomponisten. •) Das dentsohe Lied in seiner historischen Entwickelung. Cassel, Bertram 1861. 79 Schubert geht zunachst wieder zurtick auf jene urspriing- liche, knappe Liedform. Das Charakteristische dieser Form, die strophische Abtheilung und die durch den Reim bedingte Gliede- nmg beherrscht aucb die musikaliscbe Darstellung. Die Archi- tektonik des Liedes, welchc im Text durch den gleichmassigen Rhythmus und durch den Rehn nur angedeutet werden kann, wird durch die Musik erst vollendet. Indem Schubert dann diese so gewonnene knappe Form mit dem ganzen Reichthum des scenisch erweiterten Liedes ausstattet, gewinnt er den tiefsten und er- schopfendsten Ausdruck desselben, aber in praciser, in der echt lyrischen Liedform. Er wagt an diesem formellen Bande die wei- testen ]Mbdulationen immer nur in dem Streben, durch eine reichere Ausstattung der ursprtinglichen Form treuern und tiefem Ausdruck zu geben. Auch nach dieser Seite knupft Schumann direct an Schubert an. Wie dieser sich dem grossten Dichter der alten Lyrik — Goethe — zunachst anschloss, so Schumann dem gross- ten der neuen: Heinrich Heine, und in dieser Stellung zu ihren Dichtem ist zugleich ein tiefgreifender Unterschied beider so eng verwandten Kiinstlernaturen begriindet. Schon Schubert sollte eine Eigenthtimlichkeit der Heine'schen Lyrik darstellen in dem mehr recitierten Liede. Heine's erstes Auftreten erfolgte erst kurz vor dem Tode Franz Schuberts, und so war es diesem nur vergonnt, mit wenigen Liedern dem neue- sten Liederfruhling, der auch flir die musikaliscbe Darstellung mit diesem Dichter beginnt. Plan und Ziel bestimmt vorzuzeichnen. Es sind dies die, im „Schwanengesang'" verolfentlichten Lieder von Heinrich Heine. Heine's Lyrik ist noch pointenreicher, als die Goethe'sche. Sie fasst die Stimmung noch praciser, in noch kleinerem Rahmen zusammen, und das Wort wird daher bei ihm von noch grosserer Wichtigkeit als bei Goethe und nattirlich auch bedeutsamer fiir den Tondichter. Mit grosserer Treue noch als in alien fruheren Liedern geht ihm denn auch Schubert nach, und so bildet sich der mehr recitierende Liedstyl, wie ihn, zwar sehr weich melodisch abgerundet schon: ,^Am Meer'\ vollstandig ausgepragt aber ^^Die Stadr und namentlich y^Der Dojp'pelgdnger''' zeigen. Die Stim- 80 raung musikalisch einheitlich zusammen zu fassen, fallt dann der Clavierbegleitung anheim. Wie das Wort sich jeder weitern Aus- fuhrung enthalt und nur die Hauptmomente andeutungsweise her- aushebt, so bezeichnet auch der Gesang nur die einzelnen Farben- punkte, die dann die Clavierbegleitung einbeitlich zusammenfasst. Die ganze Tragik der Grundstimmung kommt darin zu ergreifen- dem Ausdruck. Allein diese Tragik ist doch nur die eine Seite der Heine'schen Lyrik, die andere bleibt von diesem Liedstyl un- beriihrt. Erst Schumann erfasste den gauzen Heine, indem er sich wie dieser iiber die Wogen seines Gefiihls stellt, sie beherrscht und sich von ihrer Macht befreit, und dadurch jenen Standpunkt gewinnt, den die Romantiker einseitig genug den ironischen nennen. Heinrich Heine bezeichnet nicht nur die Yollendung, sondern die Auflosung der Romantik. Diese hatte sich • langst ins Phan- tastische verloren. Mit subjectiver Willkiir erbaute sie sich eine eigene Welt, die in ihrem directen Widerspruch mit der realen Welt nur aus verschwommenen Nebelbildern zusammenge- setzt v/ar. Die Romantiker batten die gauze aussere Welt fiir eitel erklart und zu einem Spiel des souveranen „Ich" gemacht; Heine zog die letzte Consequenz, indem er das Ich selbst fiir eitel erklarte. Den ganzen erborgten Apparat der Romantik: Feen und Nixen, Gespenster und marmorblasse Leichen, Todten- hemd und Sarg besch\Yort er noch einmal herauf, urn sie dann unerbittlich liber Bord zu werfeu. Die Saiten seines Herzens er- klingen deshalb in Accorden und Melodien so voll und so reich, wie vor ihm nur bei Goethe; aber sie erklingen meist erschuttem- der nur deshalb, well sie selten so rein gestimmt sind, wie bei jenem. In» Schubert nun wird nur jene tiefsiunige, weihevolle Lic- besandacht der Heine'schen Lyrik lebendig, nicht auch ihre skep- tiche .^erwiistung. Schubert nimmt Heine gegeniiber noch ganz den keuschen Standpunkt ein, wie Goethe und Wilhelm Mtiller gegeniiber. Es vertieft sich in die Heine'sche Lyrik noch ganz mit deniselben Ernst, wie in die Goethe'sche und die grossere KUrze und Pragnanz jener veranlasst ihn nur, die Form noch mehr gefestigt zusammen zu halten und innerhalb derselben dera Wortausdruck mit grSssercr Sorgfalt nachzugehen. Schubert steht 81 zu sehr unter der Herrscliaft seines eigenen uberflutenden Innern, als dass er jenen sogenannten ironischen Standpunkt gewinnen konnte. Schumanns ganzer Bildungsgang fiihrte ilm direct darauf bin. Dieser ist ganz durch die Romantik bedingt. Wir finden ihn viele Jabre ausschliesslicb mit Clavierwerken bescbaftigt und ernstlicb bemiibt, bestimmte Toubilder zu entwerfen und auszu- fiibren. Er versucbt sicb selbst in objectiver Gestaltung anzu- schauen und reconstruiert in seiner Pbantasie mit Hiilfe des Ge- dankens Bilder und Gestalten, um sie dann erst seinem Empfinden zu vermitteln. Diese Weise der Production entspricbt aber der der Roman- tiker voUstandig, und so konnte es Schumann aucb nicbt scbwer werden Heine gegenuber den ricbtigen Standpunkt zu gewinnen. Von Scbubert eignet er sicb zunacbst jenen recitierenden Liedstyl an, und er bildet ibn so energisch uus, dass sicb diese Lieder von alien iibrigen wesentlicb unterscbeiden. Er fubrt ibn aber zugleicb aucb bedeutsam iiber Scbubert hinaus. Bei diesem ist die Clavierbegleitung notbwendig, um die stropbiscbe Liedfosqlt berauszubilden. Scbumann dagegen stuft die Accente melodiscb ab, dass die einzelne Stropbe nicbt sowol durcb bestimmten me- lodiscben Zug, als vielmebr durcb die melodiscb abgestuften Ac- cente nacb den Reimscbliissen bindrangt. Jener fest an's Wort sicb anscbliessende recitativiscbe Liedstyl gelangt dadurcb zu der ungleich kunstleriscben Darstellung der Liedform aucb durcb die Singstimme. Es gilt dies nocb weniger von dem ersten Cyclus Heine'scber Lieder, die Robert Scbumann als: ,,Liederhreis von ffeinrich Heine" (Op. 24) veroffentlicbte und ebenso von deneii, welcbe der folgende, der Braut gewidmete Cyclus: y,MyrtherC'' (Op. 25), ent- halt Die Lieder des ersten Cyclus: ^^Morgens steK ich ay^und frage'\ ,,Es treiht mich hin'\ ,,Ich wandelte unter m^Bdu- men'\ „Lieb^ Liehchen, leg's Hdndchen'\ ,,Sch6ne Wiege mei- ner Leiden", „ Warte, warte, wilder Schiffsmann'\ v>Berg und Burgen schau'n herunter'\ y,Anfangs woUf ich fast verzagen" und „Mit Myrthen und Rosen'' sprecben das allerdings meist scbon fieberbaft erregte Gefiibl nocb mit dem gauzen magiscben Zauber der Sprache seines tiefbewegten Herzens aus, ohne all und jeden Nebengedanken. Sie boten daher wenig Veranlassung zu einer, von jener Weise Schuberts wesentlich abweichenden Be- handlung, und Schumann hat auch einzelne, wie: ,,Schdne Wiege meiner Leiden^\ oder „Mit Myrthen und Hosen" viel inniger und weicher gehalten als selbst Schubert seine mehrfach erwahn- ten Lieder Heine's. Weniger noch bieten die, in der nachsten Sammlung (Op. 25) veroffentlichten Lieder des genannten Dich- ters formell oder ideell etwas AbweichendeS. Die Lieder: „Die Lotoshlume dngstigf\ ,^Was will die einsame Thrdne'^ und „Z^w bist wie eine Blume''' sind mit all der tiefen, weihevollen An- dacht gesungen, deren bisher nur Schubert fahig war, und sie gehoren in ihrer beriickenden Wahrheit und Weichheit der Stim- mung zu dem Vollendetsten, was im Liedfache je geleistet wor- den ist. In einigen andern Liedern aus diesem Werk macht sich entschieden schon ein Suchen nach dem neuen Standpunkt Itend, diese aber sind unfertig und schwanken zwischen dem n der Ballade und dem der lyrischen Stimmung, wie : ,,-E's treiht mich hin, es treiht mich her''' und das Lied: ..Lieli' Liebchen, leg^s Hdndchen aufs Herze meirC'' wird dadurch fast komisch blasiert. VoUstandig gewann Schumann den neuen, jenen ironischen Standpunkt, von welchem aus er auch die tragische Gewalt der Stimmung erfasst, erst mit dem Liedercyclus von Heine (Op. 48) ^Dichterliebe". Der Cyclus ist Frau Schroder-Devrient ge- widmet, ein sehr beachtenswerther Umstand far jeden, der weiss, wie untibertroffen diese beriihmte Sangerin im Vortrage des mehr recitierten Lie des war. Das melodische Gefiige der Lieder dieser Sammlung erst ent- spriafc^^anz der Weise, die wir bereits zu charakterisieren ver- suchti^ Jedes einzelne bietet eine so sorgfaltige Deklamation, wie sie wol noch nie, weder vor noch nach Schumann versucht worden ist, und sie ist nicht recitativisch ausgefuhrt, wie vor- herrschend noch bei Schubert, sondern in einem durchaus ge- festigten strophischen Versgebaude. Die einzelnen Accente sind 80 fein abgestuft, dass sie sich zwar nicht zu melodischem Schwunge 33 erheben, aber doch in ihrer Gegenwirkung zu festen Formen zu- sammenfiigen. Eine andere Behandlung lassen die Worte kaum zu. Sie deuten den ganzen Reichthum der Empfindung niir ganz oberflachlich an, ohne ihn auch weiter auszufiihren. Diese Aus- fUhrung nimmt naturgemass und erfolgreich die Clavierbeglei- tung. Man hat dem Meister vielfach diese Behandlung zum Vor- MTurf gemacht, und doch ist sie fur das Heine'sche Lied die einzig richtige. Die Lieder Heinrich Heine's beginnen meist so mitten aus der Stimmung heraus empfunden, dass ein ausgeftihrtes Vorspiel nothwendig wird, um die Voraussetzungen, welche der Dichter verschweigt, zum Mindesten anzudeuten, oder, um auch hier dem Poeten ganz zu folgen, wie in den Liedern: „/w wunderschonen Monat Mai^\ ,,Ich will meine Seele tauGherC\ ,,Das ist ein Floten und Geigen'^ und „Am leuchtendm Sommermorgen^'' mit Accorden zu beginnen, die, vveil sie in dem urspriinglichen Har- monisationsprocess keine Accordreihe beginnen, sondern zu ihrer Voraussetzung andere haben, uns ebenfalls mitten hinein in die Stimmung versetzen. Ferner eroffnet der Dichter in der Schlusspointe meist so weite Perspectiven, dass der Tondichter, der dem Poeten vollstan- dig nachzuemplinden trachtet, zu weit ausgefuhrten Nachspielen gedrangt wird. Solche Lieder sind in dem angegebenen Cyclus: ,,/cA will meine Seele taucherC\ ^Im Rhein, im heiligen Strom'\ „Und wussten's die Blumen, die hleinefn^\ „Das ist ein Floten und Geigen'\ „Hdr' ich ein Liedchen klingen", „Ein Jiingling liebt ein MadcherC\ „Am leuchtenden Sommer7norgen'\ y,Aus alten Mahrchen winkt ^s" und y,Die alien bosen IAeder'\ und in diesen Nachspielen ganz besonders, mehr noch als in den Vor- spielen entfaltet Schumann eine solche Meisterschaft d^j^us- drucks, er versenkt sich so liebevoU hingebend in die Intentionen des Dichters, dass diese uns dadurch erst lebendig gegenwartig werden. Das ist nun allerdings eine instrumentale Vertiefung des lyrischen Ausdrucks, aber sie ist doch anderer Art und von an- deren Voraussetzungen ausgehend als bei Beethoven in dessen Liederkreis: „^n die feme Geliebte'^ oder in Op. 75: „ Seeks 6* 84 Lieder von Goethe'\ Auch dieser Meister beobachtet hier das strophische Versgefiige, wenn er auch wenig thut, urn es musika- lisch bedeutsamer iind feiner herauszubilden. Er erfindet seine Melodien zu diesen Liedern weniger unter der Herrschaft jener Sprachmelodie oder der Empfindung, aus welcher sie entspringt, als Yielmehr des Gedankens, der dem Ganzen zu Grunde liegt, und dann erweitert er das Lied nur instrumental. Die Melodic der ersten Strophe wird fur alle ubrigen beibehalten, aber die Clavierbegleitung wird bei der Wiederholung, und zwar meist nur nach instrumentalem Bediirfniss, variiert. Der eigentliche Lied- satz wird hier ebenso instrumental verarbeitet, wie der Haupt- gedanke im Adagio der Sonate und Symphonic. In der ersten Strophe fasst Beethoven den ideellen Gehalt des ganzen Liedes in einen musikalischen Gedanken zusammen, und mit schwelge- rischer Lust an dem Reichthum seiner instrumentalen Mittel ver- tieft er sich in diesen und giebt ihm mit jeder neuen Strophe instrumental eine neue Deutung, wie in dem Liede: „Kennst du das Landf oder „TFas zielit mir das Herz so, was zieht mich hinausV' "Hier wird das Instrumentale das wirksamste Mittel fur die Darstellung der lyrischen Stimmung. AUein es steht nur in der ersten Strophe noch in einem richtigen Verhaltniss zum Yo- calen; in den andern gewinnt es eine Ausdehnung, dass der Gesang voUstandig iiberwuchert und nicht selten die Wirkung desselben abgeschwacht wird. Beethoven sucht hier fiir einen be- reits vocal gewonnenen und voUstandig ausgesprochenen Gefiihls- inhalt einen immer reicher ausgestatteten instrumentalen Ausdruck. Ganz anders verhalt es sich mit der instrumentalen Erweiterung bei Schumann. Das Heine'sche Lied ist vocal gar nicht voUstan- dig zu erschopfen, und so sucht Schumann das vocal nur ange- deutHl^instrumental selbstandig auszufiihren. Die Clavierbegleitung ertangt allerdings gegen die Singstimme ein Uebergewicht, welches sie bei Schubert nicht hat. Wahrend sich bei ihm eine selbstan- dig herausgebildete Melodic mit einer moglichst selbstandig ge- fUhrten Clavierbegleitung zu gemeinsamem Ausdruck verbinden, ist das Vocale in den genannten Liedern Schumanns gewissermassen nur das Gerippe, dem erst die Clavierbegleitung Leben einzu- 85, hauchen vermag. In der Kegel wird allerdings die hochste Lied- gestaltung in jener Weise Schuberts erreicht; allein diese Heine- schen Lie der machten in ihrer Ausnahmestellung die veranderte Weise Schumanns nothwendig. Dabei wird das Vocale hier noch nicht durch die reiche iustrumentale Ausfiihrung iiberwuchert, son- dern nur bedeutsamer bervorgehoben. Da es zu einem festen Versgefiige zusammengefasst ist, so tritt es der Begleitung gegen- iiber, die in durcbsichtigem Figurenwerk aufgelost wird, durcbaus plastisch heraus. Ist dies Versgefiige weniger gedrangt berausge- bildet, wie in dem erschiitternden Liede : ^Ich grolle nicM\ giebt aucb die Begleitung ibre Sonderstellung auf und iinterstiitzt die, zu ergreifender Gewalt berausgebildeten Accente durcb eine ge- waltige Harmonik. In alien iibrigen Liedem gelangt sie zu einer grossen Selbstandigkeit ; in einzelnen, wie in dem: „Z)as ist ein Floten und Geigen'^ derartig, dass sie aucb losgetrennt vom Ge- sange selbstredend ist, und wir meinen mit vollem Recbt. Aucb die weicbste und innigste Melodic, wenn uberbaupt eine solcbe zu den Worten zu finden war, wiirde nimmer das, was sicb bin- ter ibuen verbirgt, baben wiedergeben konuen. Daber singt Scbu- mann seine Melodic in der angegebenen Weise und die Clavier- begleitung ubernimmt die Darstellung des Bildcs vom Hocbzeits- reigen, das in der Pbantasie des Dicbters Icbendig wurde und das Gedicbt crzeugte. Wie bier die musikaliscbe Wicdergeburt der Hcinricb Heine- schen Lyrik, so vcrsucbte er die andcrer Dicbterindividualitaten, wie Justinus Kerner, Friedricb Ruckert, Joseph Frei- berr von Eicbendorff, Adalbert von Cbamisso, Ema- nuel Geibel, Robert Reinick, Lord Byron, Robert Burns und sogar Wolfgang von Goetbe. Obwol Justinus Kerner dem Genius Scbumanns vielleicbt das meistc Verwandte entgegenbringt — der tiefe Scbmerzenszug wie die unendlicbe Sebnsucbt nacb dem Ueberirdiscben in den Liedern Kerners sind Scbumami so nabe verwandt, dass er fiir beide den treffendsten musikaliscben Ausdruck fand — so ver- mocbte dieser docb in ibm keinen eigenen Liedstyl zu erzeugen, weU die Individualitat des Dicbters selbst nacb diesen Seiten 86 nicht entschieden genug ausgepragt ist. Naturfrische, lebenswahre Empfindung in echt volksthtimliche Formen gegossen, wechselt bei ihm mit nebelhafter, magischer Verschwommenheit, an jenen er- borgten, mit romantischem Raffinement ziigerichteten Apparat ver- aussert, und von beiden wird auch Schumann so festgehalten, dass er nirgends iiber sie hinaus zur Vermittelung kommen konnte. Auch bei ihm steht in den Liedern der ^Liederreihe''' (Op. 35) volksthiimlich Wahrempfundenes neben romantischem Raffinement, und wie er der gesammten Dichterpersonlichkeit keine bestimmte Physiognomie verleihen konnte, so brachte er es selbst in den einzelnen Liedern nur in No. 4 „Erstes Griin'''' und No. 9 ^Stille Liehe'' zu einem wirklich einheitlichen Stimmungsbildchen; jenes bekannte Wanderlied: „Wohlauf noch getrunkerC ist ungleich frischer erfunden als ausgefiihrt. Wenig gunstiger nur gestaltet sich sein Yerhaitniss zuFrie- drich Rlickert. In die bunte Farbenpracht, in welcher dieses Dichters Muse strahlt, in die Masse von Formen und Tonen, in welcher sie sich kund thut, vermochte er nur durch die Meister- schaft, mit welcher er Sprache und Verskunst beherrschte, einen gewissen einheitlichen Zug zu bringen, dieser aber genierte Schu- mann augenscheinlich. Nur wo ihm, wie bei Heine, in dem knappsten Rahmen ein bedeutender Inhalt dargeboten wird, vermag er auch das sprachliche Versgefuge sicher und fest auszupragen; hinter Ruckert's Verskunst aber verbirgt sich nicht selten der Mangel an Inhalt und warmem Gefiihl. So vermochte auch Schu- mann diesem Dichter gegeniiber keinen pracis ausgepragten Stand- punkt zu gewinnen. Er singt einzelne, wie 'das in Op. 25 ver- offentlichte: „Du, meine Seele, du, mein Ilerz" mit der ganzen Weiche und Siisse und dem grossen Reichthum seiner eigenen Innerlichkeit und auch mehrere Lieder jenes Cyclus aus dem y,IJebesfruhlmg^\ weiche er in Gemeinschaft mit seiner Gattin (als Op. 37) herausgab, sind tief empfunden und fein ausgefiihrt, wie gleich das erste: „Der Himmel hat eine Thrdne ge- weinf; allein der Wortreichthum und die Breite und Behaglich- keit, die den Dichter wenig iiber eine anmuthige und beschauliche Reflexion hinauskommen lassen, hindem meist den melodischen 87 Schwung und die rhythmische Festigung derartig, dass uns die Stimmung fast durchweg nur forciert und stossweise in einzelnen Zugen vennittelt wird. Jedenfalls entspricht die einfachere Weise, in welcher Clara ihre Aufgabe auffasste, den Texten mehr als jene interpretierende Schumanns. Von ihr sind die beiden an- muthigen Lieder: ^Liehst du um Schdnheif^ (No. 4) und ^Warum willst du and^re fragen''' (No. 11), in denen sie die Grundstimmung in einfach sinniger und entsprechender "Weise gestaltet. Da, wo sie den Text tiefer zu fassen versucht, wie in dem Liede: „^ ist gekommen'^ (No. 2) verliert sie sich gleichfalls in Ungeheuer- lichkeit. Erst zu Joseph Freiherr von Eichendorff tritt Schu- mann wieder in ein bestimmtes Verhaltniss. Die einseitige Rich- tung dieses Dichters, der aus der seligen VerschoUenheit der ro- mantischen Welt heraus seine Lieder improvisiert, musste auf unsern Meister eine ganz besondere Anziehungskraft ausiiben, weniger weil sie ihm nahe verwandt war, als weil sie seiner Phantasie einen reichen Stoff zu musikalischer Verarbeitung zu- fiihrte. In den Liedern Eichendorff's kommt nie ein bestimmtes Gefiihl unmittelbar zur Geltung, sondern er veraussert es an den ganzen Apparat der neuen Romantik. Waldesluft und Waldein- samkeit, rauschende Wipfel und die heimliche Pracht der Myr- thenbaume, die phantastische Nacht und die funkelnden Sterne wie der wundersame Marchenklang, der Wald und Flur erfiillt, werden ihm zu Tragem seiner Empfindung; fiir diese hat Schu- mann einen wahrhaft luxuriosen Reichthum von Farben und Tonen. Er lasst sich so gem durch diese poetische Zauberwelt anregen und in seinem Bestreben, das urspriingliche Bild mit den reichsten Arabesken zu umranken, es in der Phantasie vollstandig aufzu- losen, wird er der rechte musikalische Interpret der Lieder jener romantischen VerschoUenheit. Die Clavierbegleitung wird jetzt fast noch reicher bedacht, als in den Liedern Heine's. Sie lost die harmonische Grundlage, die an sich schon aus weichem, we- niger dissonierenden Accorden zusammengesetzt ist, in viel klang- voUer ausgeweitetes Figurenwerk auf, oder stellt sie in mehr rhyth- misch belebter Weise mit feinsinniger Verwendung der Syncope dar und leitet namentlich hierdurch die Einfiihrung sogenannter harmoniefreier Tone ein, welche die Stimmen zu einem be- strickenden Gewebe verfiechten. Gerade diirch diese eigenthiim- liche Fiihrung, die er haufig dadurch bewerkstelligt, dass er zwei Accorde ganz folgerichtig vermittelt, und zugleich eine, dieser Ver- mittelung fremde Stimme beigiebt, welche die Modulation nach anderer Seite wendet, erreicht er wunderbare entsprechende Wir- kung, wie im Nachspiele zu ^^Schone Wiege mdner Leiden''\ in dem die einfachste Harmoniefolge : a^= m^ r^ =t ^ in dieser Weise umgestaltet, zu einer der seltsamsten und genial- sten liarmonisclien Combinationen wird: ^^ Natiirlich erfahrt die Melodie uber diesem Streben, instrumental glanzend auszufiihren, manche Yernachlassigung. Sie nimmt zwar et'Nvas von dem weichen Klange der Clavierbegleitung an, und wird dadnrch inniger, als die der meisten Heine'schen Lieder, allein der Mangel eines bestimmten Gefiihlsobjects im Text er- schwert die energische Herausbildung des Versgebaudes und die Melodie verliert sich selbst in ein irres Umhertappen, dem kaum noch die Declamation als Leiter dient. Nur in vier Liedern des ^Liederkreis'' von Joseph Freiherr von Eichendorff (Op. 39): „Dein Bildniss wunderseUg^\ y,Es rath und weiss es docli keiner^\ ^^Ueher'm Garten durch die Lufte^\ ganz besonders aber ,,/cA kann wol manchmal singen'\ das den schonsten Liedern Schu- berts an die Seite zu setzen ist, wird die Liedform auch in der Melodie bestimmt ausgepragt. In einigen andern, wie: ^Es war als hdtte der HimmeV\ ,^Ich hor' die Bdchlein rauschen^\ ,^Es zog eine Hochzeit den Berg entlang'''' fasst der Meister wie Schu- bert ira ^Leiermawn!' die Stimmung in einer bestimmten Gesangs- phrase zusammen, so dass eine oder zwei Verszeilen gewisser- massen eine Strophe bilden, und diese Weise ist der Eichendorff'- schen Lyrik durchaus entsprechend; die Clavierbegleitung vermag ihrem eigensten Zuge vollstandig erschopfend ungehindert zu fol- gen und das Vocale kommt, wenn auch beschrankt, zu seinem Recht. In den andern, namentlich in dem Liede y^Schone Fremde^'' bildet der Gesang nur gewissermassen die nothdiirftig erklarende Unterschrift zu dem Bilde mit seinen einzelnen Ziigen, welches die Clavierbegleitung ausfuhrt. Erst in dem folgenden Cyclus: ^Frauenliehe und LeherC^ (Op. 42) hat unser Meister wieder rein menschliches Empfinden in Liedern auszutonen, und alle Factoren des musikalischen Aus- drucks Melodie, Harmonie und Rhythmus gewinnen jetzt wieder gleiche Bedeutung. Der Dicliter Adalbert von Chamisso versetzt sich zwar in eine, ihm urspriinglich fremde Welt, allein er thut dies mit all der liebenswiirdigen Innigkeit und Zartheit seines Naturells, und so dichtet er mitten heraus aus dem Bereiche ihres Gefttlilslebens. Dieser Standpunkt entspricht dem des Tondich- ters vollstandig. Vor Schumann fanden sich schon Meister, wie 90 Carl Lowe, angeregt, diesen Liedercyclus zu componieren; doch erst dem jtingsten Liedersanger war es vorbehalten, ihn vollstandig erschopfend musikalisch wieder zu dichten. Sein Empfinden war so keusch und inuig wie das eines reinen Frauenherzens, und die Tonsprache war ihm jetzt so gelaufig geworden, dass er auch die Plastik der Formgebung wieder gewinnt. Schumann hat nur die ersten acht Lieder componiert, und wir billigen es vollstandig, dass er das neunte ausschloss, well es wol in den Rahmen noch passt, aber in seinem mehr lehrhaften Ton wenig musikalische Momente darbietet. Er fasst den Liedercyclus wie Beethoven seinen ^lAederhrds an die feme Geliehte'' als ein Ganzes, ohne die einzelnen Lieder, wie dieser, auoh ausserlich in Zusammenhang zu bringen. Nur am Schluss lasst er als Nach- spiel floch einmal den ersten Gesang instrumental erklingen und wir meinen, mit grosserer Nothwendigkeit als Beethoven, der in das letzte Lied seines Gyclus die Melodie des ersten mit auf- nimmt. Nachdem dem Frauenherzen „der letzte Schmerz gethan" und es sich „in sein Inneres still zuriickzieht", das „sein verlornes Gliick und seine Welt" nun einschliesst, war es eine feinsinnige Idee, ganz unseres Meisters wiirdig, uns einen Blick in dies Herz zu eroffnen, indem er in der Clavierbegleitung noch einmal jene erste Weise des beginnenden Gliicks ausklingen lasst. Viel feiner noch ist aber die psychologische Entwickelung des Ganzen, durch welche die einzelnen Lieder unter sich verbunden sind. Haupt- trager der Stimmung wird wieder die Singstimme, als das be- fahigste Organ, des Herzens Lust und Sehnen unmittelbar auszu- tonen; Strophe und Versbau finden auch in der Melodie ihre musikalische Darstellung und zwar nicht nur durch die feine Ab- stufung der declamatorischen Accente, sondern in wirklich melo- discher Gliederung. Selbst in den beiden Nummern, in welchen der Gesang in treuem Anschluss an Situation und Stimmung mehr declamatorisch wird (No. 6 und 8), ist der melodische Zug noch so stark, dass er mit innerer Nothwendigkeit und grosser Energie nach den Reimschltissen drangt, und so das strophische Gebaude auch musikalisch darstellen hilft. Die Begleitung erlangt ferner hier nirgends -ein Uebergewicht, wie noch hftufig in den friihern 91 Liedern Schumanns, und auch der aiissern Situationsmalerei be- gegnen wir nur einmal in dem lieblichen Brautliede: ^Helft mir ilir Schwestem freundlich mich schmuchen^\ in welchem das Nachspiel den Anfang der Melodie zu einem Hochzeitsmarsch um- gestaltet wiederholt. Im Uebrigen folgt die Clavierbegleitung nur dem tief innerlichen Zuge der einzelnen Lieder, und zwar mit jener keuschen Ruckhaltung, die ihr innerstes Wesen nie ganz herauskehrt. Sie namentlich fiihrt jetzt Schumann auf jene har- moniefreien Tone, die wir bereits erwahnten und zu der Auflosung selbst der Grundharmonie in melodischem Fluss, der wir in glei- chem Maasse nur bei Schubert begegnen. Gar zu leicht erscheint ihm der Ausdruck noch zu brutal, oder doch wenigstens zu un- verholen; so muss hier und da ein dunkleres Licht aufgesetzt werden, und dies geschieht meist durch einen jener fremden Tone. Jene eigenthiimlich weite Lage fiir den Accord und der Schluss auf dem \ Accord kommen jetzt haufig zur Anwendung. Zu einer Auflosung der Accorde in durchsichtiges Figurenwerk gab eigent- lich nur das Wiegenlied No. 7 Veranlassung : Frohlich innig. Singstimme. Pianoforte. St An meiuem Her ^ rr^zffz j^g ^ ^& V IS m Ped. ^^fe ■#-.-^ Der intensive Gefuhlsreichthum aller librigen verlangt zu seiner Darstellung einen in sich gesattigten Farbenton, den nur die Fiille harmonischen Materials gewinnen lasst, und diese sucht Schumann nicht durch weite Modulationen, sondem durch jene harmonie- freien Tone zu erreicheu, Wie Schubert in den Liedern der Winterreise halt er sich vorwiegend nur innerhalb der einfachsten harmonischen Construction, aber diese selbst erleidet eine so be- deutsame Vertiefung, wie weder bei Schubert noch bei einem der Nachgebomen. Schubert wird durch den melodischen Zug der einzelnen Stimme auf eigenthiimliche Accordgebilde gefuhrt; Schumann durch den melodischen Zug, der die ganze Harmonie erfasst. Noch das erste Lied in ^Frauenliehe und ieJew" stellt den harmonischen Fluss durch Yorhalts- und Durchgangstone her. Aber vom zweiten Liede an stossen wir auf Accordgebilde, die auch der piiffigste Theore- tiker nimmer aus den, auch noch so demokratischen Satzungen der Tabulatur ableiten konnte. Harmonische Verbindungen wie folgende: mf Ped. ^ Ped. rj: ^i =|: ^^^^^3 Bah-nen nur be - trach - ten del - nen Schein, m^=^^^m^ bediirfen keiner Rechtfertigiing. Sie sind in dem Bestreben ent- standen, den einzelnen Accorden das Massige ihrer Wirkung zu nehmen, ohne sie durch Auflosung abzuschwachen. Sie soUen ge- drungen und energisch wirken, aber nicht in ihrer ursprtinglich materiell entscheidenden Weise. So wird Schumann Meister der Dissonanz, wie Mendelssohn Meister der Consonanz. ist, natiirlich nicht in dem landlaufigen Sinne. Nur selten ftihrt Schumann die Dissonanz ihrer selbst willen ein, um wie in dem Heine'schen Liede „/(?A grolle nicM\ in schreienden Disharmonien die ganze Tragik der Stimmung aus- zutonen: sondem sie wird ihm vielmehr zum sichersten Mittel, die Harmonie in Fhiss zu bringen, und durch Abschwachung ihrer mehr sinnlichen Wirkung dem Ausdruck jenes mystische Helldunkel ^u verleihen, das seiner keuschen Ruckhaltung so vollstandig entspricht. Das ist wol das Bedeutsamste und am meisten Charakte- ristische in seinem Kunststyl, und er hat es zu grosser technischer Meisterschaft ausgebildet, so dass er auch der derb realistischen Anschauungsweise eines Robert Burns und Robert Reinick eine grossere Innerlichkeit vermittelte, ohne sie von ihrem ur- spriinglichen Boden loszulosen. Namentlich zu dem grossten Dichter Schottlands, zu Robert Burns, fiihlt sich Schumann hin- gezogen, wenn er ihm auch nicht so eingehenden Fleiss widmet, wie seinen andern Lieblingsdichtern. Eine eigentliche Vertiefung, wie sie Schumann liebt, war auch hier nicht moglich. Die ganze Empfindung tritt bei dem schottischen Dichter so klar und rea- listisch wahr heraus, dass es nirgend nothwendig erscheint, sich in sie noch zu vertiefen. Wie bei alien Volksdichtem, gilt es auch hier nur, den eigenthiimlichen Ton zu treffen, und dies ge- lang unserm Meister weniger in den Bearbeitungen der Lieder des schottischen Yolksdichters fur eine Singstimme mit Clavier- begleitung, als in den „Liedem fiXr gemischten Chor'^ (Op. 55). In jenen versucht die Clavierbegleitung vielfach einzelne Ztige des Textes scharfer zu fassen und das Lied tritt dann in der Regel ans dem immer meisterlich angeschlagenen Volkston heraus. Wol nur zwei: „Schlafe siisser Donald" (aus Op. 25) und: ^Dem rothen Moslem gleicht mein lAeb^" (aus Op. 27), dessen Beglei- 94 tung ganz dem mehrstimmigen Chorsatz entspricht, halten den Volkston vollstandig fest. Doch auch sie werden noch durch: ,^Das Hochlandmadchen^\ ^Mich zieht es nach dem Dorfchen hin'^ und „IIochlandbursch" (aus Op. 55 „Funf Lieder filr ge- mischten Chor") ubertrofifen. Einfachere und reizendere Melodien hat Schumann wol nie geschrieben, und selten nur noch war es ihm vergdnnt, jene eigenthumliche Technik zu so schoner Wir- kung mit dem Chorklang zu verbinden wie hier. Aehnlich wie zu Robert Burns gestaltet sich Schumanns Ver- haltniss zu Robert Reinick. Da, wo er diesem Dichter nur die Grundstimmung ablauscht und diese, unbekummert um die De- tails derselben, aussingt, wie in dem viel gesungenen: „0 Sonnen- schM* und dem lieblichen „Stdndchen''^ (beide aus Op. 36), ver- korpert er seine eigenthumliche Individualitat in echt volksthiim- lichen Gebilden. Die andern Lieder dieses Cyclus werden skizzenhaft und maniriert, weil er viel in den Dichter hinein zu kliigeln versucht, was nicht in ihm liegt. Die wolthuende Unschuld des Dichters wird affectiert und iiber den frischen Liederborn wirft die Reflexion ihre Schatten. Ein natiirliches instinctives Gefuhl von der Unhaltbarkeit und Erfolglosigkeit dieser Stellung des Tondichters dem Dichter gegeniiber scheint Schumann abge- halten zu haben, zwei Dichtern naher zu treteu, deren lyrische Dichtungen eine immerhin bedeutende Menge musikalischer Mo- mente bieten: Emanuel Geibel und Eduard Morike. So unbefangen in der Weise Anakreons Wein und Liebe zu besingen, wie Geibel, vermochte Schumann nicht. Die Anschauung dieses Dichters ist ihm zu oberflachUch, seine Poesie zu wenig originell und zu gedankenarm, und von dem Versuche ehier Ver- tiefung in seinem Sinne mochte ihn die Formvollendung des Gei- bel'schen Gedichts zurlickhalten. Wo er sich ihm zuwandte, wie in Op. 29, thut er es wol mehr in dem siissen Drange nach ge- wohnter Thatigkeit, und weil ihm gerade diese Gedichte die beste Gelegenheit darboten, die Situationsmalerei auch an der Technik des mehrstimmigen Gesanges zu versuchen, ebenso wie ihm die drei Gedichte Geibels des folgenden Werkes (Op. 80) als Brttcke, die ihn zum Balladenstyl ftthrte, dienten. Wie sehr sich Schumann vom mehrstimmigen Gesange ange- zogen fuhlte, geht schon aus einem Briefe an Kef erst ein (vom 29. Februar 1840) hervor: „Kaum kann icb Ihnen sagen," schreibt er dort, „welcher Genuss es ist, fiir die Stimme zu schreiben im Yerhaltniss zur Instrumentalcomposition, und wie das in mir wogt und tobt, wenn icb an der Arbeit sitze. Da sind mir ganz neue Dinge aufgegangen. Und icb denke wol aucb an eine Oper, was frei- lich nur moglicb, wenn icb ganz einmal von der Redaction los bin." Dieser neuen Ricbtung seiner Thatigkeit verdanken Op. 29: „«? Gedichte von Geibel fur mehrstimmigen Gesang'''' ; Op. 33: ^Gescinge fiir vierstimmig en Manner gesang'''' ] Op. 34: „4 Duette fur Sopran und Tenor mit Begleitung des Pianoforte'' und Op. 43: „«? Duette fur zwei weibliche Stimmen'^ ibre Ent- stebung. Es war fiir Scbumann gewiss nicbt leicbt, sicb die neue Tecbnik fiir die mebrstimmige Yocalcomposition anzueignen. Wir sahen, wie er die neue instrumentale Polj'pbonie batte umgestalten belfen, die nicbt auf einer bestimmten Anzabl realer Stinunen, sondern vorwiegend auf den Accord und dessen durcbsicbtiger Bebandlung berubt. Jetzt sollte er jene bereits bis zur bocbsten Hohe von den grossten Meistern ausgebildete vocale Polypbonie sicb aneignen und dies ist ibm nur allmalig und eigentlicb nie vollkommen gelungen. Er ist vielmebr augenscbeinlicb bemiibt, jene instrumentale Pol}-pbonie aucb auf das Vocale anzuwenden. Er bescbrankt die Mehrstimmigkeit oft auf eine Minderstimmig- keit, nicbt aus innern, sondern mebr aussern Griinden, wie bei- spielsweise in folgender Stelle (r,Ldndliches Lied''' Op. 29): Da sucht das Ma - del die ro - then Schuh Scpran l- ^^gp i^^ V Da sucht das Ma - del die ro - then Schuh und schnurt Oder er fubrt die Dissonanz so frei ein wie im Instrumentalstyl. Namentlicb in den Mannercboren wird der Fluss der einzelnen Stimmen in dieser Weise sebr beeintracbtigt, um so mebr, als er bier iiberbaupt scbwerer berzustellen ist. Der Cborklang nimmt 96 zudem unsern Meister hier so gefangen, dass er riicksichtslos jene klangvoUe Harraonik des Instrumentalen zu erreichen strebt, und den einzelneu Stimmen grosse Schwierigkeiten bereitet. Grrossere und nachhaltigere Bedeutung soUte er auf dem Ge- biete der Ballade gewinnen, welches er mit Op. 31 betritt. Wir konnen hier wiederum an eine friiher von uns versuchte Darlegung dieser Bedeutung unseres Meisters ftir die Ballade an- Imiipfen*). Wir wiesen dort nach, dass Carl Lowe (geb. 1796, gest. 1868) als der Schopfer des eigentlichen Balladenstyls zu be- trachten ist; dass weder Zumsteeg, Reichardt noch Zelter und selbst nicht Franz Schubert den rechten Balladenton trafen; dass jene mehr den liedmassigen Romanzenstyl cultivierten und Franz Schubert wol das urspriingliche Gedicht vollstandig er- schopfend musikalisch wiederdichtet, aber ohne die Pragnanz des Balladenstyls. Es drangt sich bei ihm Bild auf Bild, aber keins derselben ist objectiv fester gefasst, und alle sind nur durch die Grundstimmung, aus der sie hervortreiben, verbunden. Er meis- selt diese einzelnen Bilder so meisterhaft heraus und hebt die lyrischen Momente mit so ergreifender Wahrheit hervor, dass er hierin wol nimmer zu iibertreffen sein dlirfte; aber fiir die eigent- lich epische Erzahlung findet er eben so wenig den rechten Ton wie Zumsteeg, Reichardt oder Zelter, so dass die Musik nicht sel- ten den einfachen und nattirlichen Gang der Erzahlung aufhalt und schliesslich langweilt. Erst Lowe vereinigte all die erschopfen- den Einzelheiten zu einem grossen einheitlicheu Bilde. Reichardt und Zelter beriicksichtigen nach dem Muster des epischen Volkslie- des die Handlung wenig oder gar nicht, und Zumsteeg und Schu- bert verlieren in dem Streben, auch diese musikalisch zu entwickeln, den einheitlicheu Ton der Erzahlung. Erst Lowe vereinigte bei- des und zwar in der einfachsten und nattirlichsten Weise. Er fasst jenen mehr volksmSssigen Romanzenton, der in der volks- thUmlichen Form zu einem ganzen Versgebaude ausgeweitet ist, in eine, hochstens zwei Zeilen zusammen, und gewinnt dadurch den wirklich entsprechenden Ton ftir die sich episch ausbreitende Er- *) Das dentsche Lied in seiner historiHClieii Entwickelnng, pag- 836. 97 zahlung. Diese mehr rhetorische, aber vollsUndig in sich abge- schlossene Gesangsphrase bildet den Grundton, der nach dem Yer- lauf der Handlung sowol melodisch wie harmonisch und rhythmisch modificiert, die Bedeutsamkeit wie die Ausfiihrung der einzeln heraustretenden Partien bestimmt, und wie der Refrain im Yolks- liede, oder bezeichnender noch, wie der Grundton der Sprach- melodie die Erzahlung, so hier die ganze Ballade durchzieht. Da- bei eroffnet diese Behandlungsweise der Clavierbegleitung den weiten Spielraum, den sie fiir diese Form beansprucht. Diese beginnt an der Darstellung der factischen Grundlage der Ballade sich zu betheiligen. Das sind die Principien der neuen Form, wie sie nament- lich durch Lowe festgestellt wurden und Schumann machte sie auch zu den seinigen, als er der Balladenform sich zuwandte. Schon in einigen Liedern des Eichendorffschen Liederkreises, wie y,Es war als hatf der HimmeV^ ist es nur eine einzige Gesangs- phrase, aus welcher er das Stiick arbeitet, und diese Weise der Construction half ihm dann die Ballade im Sinne Lowe's weiter bauen. Seine eigene Individualitat wie der Gang seiner Entwicke- lung wiesen ihn direct auf dieses Gebiet und liessen ihn bedeut- same Erfolge erreichen. Wir erkannten es als den leitenden Grund- zug seiner Individualitat, dass er sich gem durch aussere be- stimmte Vorgange anregen lasst, dass er sie ziim Darstellungsobject seiner Schopfungen macht. Seine Listrumentalcompositionen ba- sieren auf solchen Vorgdngen, und in seinen Liedern zieht er, so weit dies nur die lyrische Stimraung zulasst, Situation und aussere Umgebung in die Darstellung mit hinein. Damit hat er aber zu- gleich den einzig moglichen Standpunkt fiir die Schopfung der Ballade gewonnen. Audi ihr gilt die Darstellung des, ihr zu Grunde liegenden Factums als Hauptziel. Die besondere Weise, in der sich Schumann zu jenem Vorganger verhalt, bedingt einzig und allein die von der Lowe'schen abweichende Gestaltung dieser Form bei Schumann. Als er auf die Ballade gefiihrt wird, haben fiir ihn jene aussern Vorgange nur noch die Bedeutung der An- regung, und er arbeitet sie in seiner Phantasie so vollstandig um, dass sie ihre Beziehungen zur Aussenwelt fast vollstandig ver- 7 98 Ueren. Daher treten sie auch in seinen Balladen nirgends mit der Absichtlichkeit auf, wie bei Lowe; noch weniger so bestimmt fassbar herausgebildet, und es wird ihm leichter, die einzelnen Ztige unter sich zu verbinden. Darin aber beruht der Hauptvorzug der Ballade von Schumann, vor der von Lowe, dass sie nirgends scbwache Stellen wahrnehmen lasst; dass sie in einem Zuge sich entwickelt und immer aus demselben edlen Material geformt ist. Daher ist es auch erklarlich, dass er mehr der Romanzenform sich zuneigt, und der aus ihr heraustreibenden Balladenform. Der Ro- manze gilt die Idee hoher, als ihr Trager und das Factum, und fiir Schumann hat gleichfalls der Vorgang nur Bedeutung, so weit sich in ihm eine Idee, der er musikalisch umbildend nachzugehen im Stande ist, ausspricht. Freilich kann dieser Vorgang bei ihm nie so in den Hintergrund treten, wie bisher, und so gewinnt die Romanze eine weit reicher ausgefiihrte Gestaltung als friiher. Auch in der engsten Fassung versucht die Clavierbegleitung jene fac- tische Grundlage in ihrer Weise darzustellen. Bei alledem schliesst sich Schumann eng an Lowe an, indem er auch fur die eigentliche Romanze selbst die rhetorische Gesangsphrase verwendet, und er fasst diese auch in seinen eigentlichen Balladen zu enger geschlos- senem Yersgefuge zusammen. So gewinnt er keinen eigentlich neuen Balladenstyl, aber er bildet Romanze und Ballade so eng in ein- ander, dass in dem neuen, dadurch entstehenden Kunstwerk der poetische Inhalt und die factische Grundlage zu ganz gleich be- deutsamer Erscheinung kommen. Dass ihm zu dieser neuen Schreib- weise Geibel's ,^Der Knahe mit dem Wunderhom'\ „Der Page" und „Der Hidalgo''' als Brucke dienen, wurde bereits erwahnt. Keins der Gedichte ist auch nur Romanze zu nennen. Aber jedes fiihrt auf so bestimmt angedeutete thatsachliche Voraussetzungen zuriick, dass eine romanzenhafte Bearbeitung nicht nur zulassig, sondern geradezu geboten war. Die drei GesSnge sind auch von Schumann in ihrer aussern Anordnung dem entsprechend mehr balladenmassig gehalten, nur die Melodie hat noch mehr einen liedmassigen Gang. Das nachste Heft (Op. 31) schon bringt drei Balladen: ^Die Lowenbraut", „Die Kartmlegerin" und „Die rothe IIanne'\ von denen namentlich die erste breit angelegt ist und doch in rascher Entwickelung und in die einfachsten Details tief eingehend den ganzen Verlauf der Begebenheit vorfiihrt. Mehr als in den andern, und besonders in „Die KartenlegerirC beherrscht die rhetorische Gesangsphrase die ganze weitere Gestaltung. Die bedeutendsten aber veroffentlichte er in Op. 45 ^Romanzen und Balladen" (Heft I) und Op. 49 (Heft H). Namentlich in ,,Die hddm Grena- diere'^ und „Die feindlichen Bruder''' bewahrt der Meister, bei einer raschen und energischen Entwickelung, eine Ruhe in der Dar- stellung, die er spater, wie in „JBelsatzar''^ (Op. 57) iiber dem Eifer in der Detailzeichnung nicht immer zu bewahren vermag. Mit dieser neuen Phase, in welche Schumann somit getreten ist, ^vird, wie wir bereits anzudeuten Gelegenheit batten, seine Ent- wickelung zur VoUendung gefiihrt. In dem neuen Gebiet, welches er betreten, war ihm erst vollstandig der ganze Organismus der formellen Gestaltung aufgegangen. Jetzt erst hatte er die unge- heure Bedeutung der Form, welche diese schon fiir die Erfindung gewinnt, vollstandig erkannt. Jetzt erst war ihm das Bewusst- sein dessen geworden: dass es entsprechender ist den ewigen ge- setzmassigen Formen durch Erweitemng oder Umbildung einen In- halt aufzunothigen, als umgekehrt fiir einen Inhalt eine neue Form zu suchen. Nachdem aber Schumann so seine Phantasie dem Ein- fluss dieser Formen erschloss, bedurfte er jener aussern Mittel nicht mehr, durch welche er sie in den frtiheren Jahren zu cour centrieren versuchen musste. Diese regen ihn jetzt nur noch an, aber sie wirken nicht mehr gestaltend und formend wie friiher. Damit aber hatte er auch die letzte Hauptbedingung fiir das in- strumentale und namentlich das orchestrale Kunstwerk gewonnen, das er denn auch jetzt mit grossem Eifer pflegt. Ehe wir uns der Betrachtung dieser neuen Periode seines Schaffens zuwenden, diirfte es zweckmassig sein die kritische Tha- tigkeit Schumanns im Zusammenhange zu betrachten, well diese vielfaltig und jetzt mehr als bisher auf die neue productive Thatig- keit Einfluss gewinnt. Funftes Kapitel. Die kritische Tl^atigkeit. Wie bereits erwahnt, ist der eigentliche Beginn der offent- lichen kritischen Thatigkeit Schumanns in das Jahr 1831 zu setzen, in welchem er den Bericht iiber Chopins Op. 2 in der ^Allgemeinen Musikzeitung" veroffentlichte. Es ist dies nicht eigentlich eine Kritik des genannten Werks, sondern im wahren Sinne nur ein Bericht iiber die Wirkung, welche dasselbe auf Florestan und Eusebius geaussert hatte, und iiber ihre hohe Meinung von dem Werth des Werkes, der sich auch Meister Karo anschloss. Demnach muss es allerdings Verwunderung erregen, dass Schumann wenige Jahre nachher mit seinen Freunden sich veranlasst sah, eine eigene Zeitung zu grtlnden, um eine neue kritische Richtung vorzubereiten; denn das Charakteristische jener Kritik, gegen welche sich die „jungen Brausekopfe" richteten, ist, dass auch sie vorwiegend „berichtend" verfuhr. Der Griinder der „Leipziger Allgemeinen Zeitung", Fr. Rochlitz, war einer der ersten Yertreter jener Kritik, die das Kunstwerk nur nach seiner Wirkung auf Herz, Gemuth und Ohr beurtheilte; die jede tech- nische Erorterung gar bald fiir eine Versiindigung an der Kunst erklarte und nur den vermeintlichen poetischen Inhalt in einige tOnende Phrasen zu bringen versuchte. Die von ihm gegriindete Zeitung hatte auch unter seinem Nachfolger G. Fink noch die- selbe Tendenz beibebalten; allein allmalig hatte sich doch auch wieder etwas vom eigentlichen Handwerk eingeschlichen. Man iibte neben der psychologischen auch wieder etwas rein technische Ana- lyse; aber gar bald nach einem viel beschranktern Maassstabe, als 101 die Theoretiker des vorigen Jahrhunderts. Neben eiiiem eug be- grenzten Geftihlscodex hatte man aus einigen Werken Haydn's Mozart's und Beethoven's mit Hiilfe einiger Theoretiker audi ein ziemlich abgeschlossenes, ausserst beschranktes und im eigentlichen Kunstorganismus durchaus nicht begriindetes Gesetzbuch fiir die Kunstgestaltung abstrahiert und darnach beurtheilte und ver- urtheilte man alles, so gut es eben gieng. Es macht einen oft hochst possierlichen Eindruck, wenn in ein und derselben Recension gezeigt wird, wie in einem Musik- stiick „echt romantisch die Schilderung des Schreckens und des Druckes und die Spannung der Gemiither" ausgedriickt ist, und darauf eine Darlegung der harmonischen Grundlage nach Art des Fux'schen Gradus ad pamassum oder der Generalbasslehren eines Tiirk oder Albrechtsberger folgt. Wir begegnen fast uberall neben jener Phraseologie, wie sie heute noch der kriti- sierende Dilettantismus in den Tages-, wol auch in Musikzeitungen iibt, auch jener handwerksmassigen Analyse des Kunstwerks, welche eben nur „Noten sieht", Accorde und ihre besondere Erscheinung beschreibt. Gegen diese letztere Anschauung und einseitige Kritik wandte sich nun Schumann vor allem deshalb, weil sie zu jener, der Entwickelung der Kunst so ausserst nachtheiligen Einseitigkeit fiihrt, die jedes neue ktinstlerische, aus dem gewohnten Gleise her- austretende Streben als kunstgefahrdende Neuerung verdammt. Schumann stellte als erste Bediugung auf, dass das Kunst- werk einen Inhalt haben, und dass dieser je nach der Individua- litat des Kiinstlers sich verschieden gestalten miisse; dass daher jedes Kunstwerk zunachst aus der Individualitat seines Schopfers heraus beurtheilt werden miisste. „Es ist unstatthaft," schreibt er bei Besprechung einzelner Compositionen von J. C. Kessler (1835)^), „ein ganzes Leben nach einer einzelnen That messen zu woUen, da der Augenblick, der ein System umzustossen droht, oft im Ganzen erklart und ent- schuldigt liegen kann. Mit einiger Scheu spreche ich mich daher tiber Werke aus, deren Vorlaufer mir unbekannt sind. Ich 1) Gesammelte Schriften vou R. Schumann, Bd. I. pag. 87. 102 m5chte gem etwas wissen von der Schule des Componisten, seinen Jugendansichten, Vorbildern, ja selbst von seinem Treiben, seinen Lebensverhaltnissen — mit einem Wort vom ganzen Menschen und Kiinstler, wie er sich bis dahin gegeben hat." Zwar bekennt er im nachsten Jahre schon: „Namen machen unfrei, und Perso- nalienkenntniss vollends"^), allein die specielle Richtung seiner Kritik schopfte doch ganz wesentliche Momente aus ihnen. Er wollte nicht nur Noten sehen; sie sollten ihm vielmehr ein Stuck der Individualitat oder der Lebens- und LeidensgescMchte des Kunstlers, der sie schrieb, offenbaren, und dies wurde natlirlich durch einige nahere Bekanntschaft mit diesem erleichtert. Wie friih diese, in ihrer Art neue Anschauung vom Wesen der Tonkunst in Schumann regc wurde, davon geben die Aus- zilge aus Meister Raro's, Florestan's und Eusebius' Denk- und Dichtbiichlein 2) Kunde. Sie bilden gewissermassen die Vorge- schichte der eigentlichen „Davidsbundlerschaft" und der „Neuen Zeitschrift fur Musik". Sie geben uns zunachst einen treuen Bericht von dem Ein- druck, welchen das gesammte Kunsttreiben jener Zeit bei Schu- mann hinterliess ; aus dem dann die Idee einer neuen Zeitung immer entschiedener heraustritt. Ueber die Recensenten (seiner Zeit natiirlich) sagt er dort: „Die Musik reizt Nachtigallen zum Liebesruf, Mopse zum Klaffen." — „Sie zersagen das Werkholz; die stolze Eiche zu Sage- spanen." „Das bewaffnete Auge sieht Sterne, wo das unbewaffnete nur Nebelschatten." „ Recensenten. Schweizerbacker, die fiir den hon gout ar- beiten, ohne das Geringste selbst zu kosten, — die nichts mehr vom hon gout profitieren, weil sie sich zum Ekel daran abge- arbeitet" — Nicht gunstiger urtheilt der junge, fiir die Kunst, „die nur eine Meine Kunst ware, wenn sie nur Klange, und nicht Sprache 1) Gesammelte Schriften ron B. Scbamann 6d. II. pa{^. 3. 8) Ebend. Bd. I. pag. 37. 103 noch Zeichen fur Seelenzustande hatte," ergliihte Jiingling liber die „Classischen", die Contrapunktler: „Verweigert dem Geist nicht, was ihr dem Yerstand nach- seht; qualt ihn auch nicht in den jammerlichsten Spielereien, in yerwirrenden Harmonien ab. Wagt es aber einer, der eurer Schule nichts verdankt, etwas hinzuschreiben, das nicht eurer Art ist, so schmaht ihn der Zorn. Es konnte eine Zeit kommen, wo man den von euch schon als damagogisch verschrieenen Grund- satz: „was schon klingt, ist nicht falsch" positiv in den verwan- deln wurde: „alles, was nicht schon klingt, ist falsch" und wehe dann euren Canons :Cm^ ^^d namentlich den krebsformigen." „Greift nicht in die Zeit ein; gebt den Jiinglingen die Alten als Studium, aber verlangt nicht von ihnen, dass sie Einfachheit und Schmucklosigkeit bis zur Affectation treiben. Lautert ihn, dass er eine besonnene Anwendung der neuerweiterten Kunstmit- tel macht." „Die Antichromatiker sollten bedenken, dass es eine Zeit gab, wo die Septime eben so auffiel, wie jetzt etwa eine vermin- derte Octave, und dass durch Ausbildung des Harmonischen die Leidenschaft feinere Schattierungen erhielt, wodurch die Musik in die Reihe der hochsten Kunstorgane gestellt wurde, die fiir alle Seelenzustande Schrift und Zeichen haben." „Es ist ihnen nicht genug, dass der Jiingling die alte clas- sische Form als Muster in seinem Geist verarbeitet; er soli es sogar in ihrem." — Aus solcher Stimmung lost sich der Gedanke an die Noth- wendigkeit einer neuen, im andern Sinne redigierten musikalischen Zeitschrift, ganz natiirlich und ungezwungen ab: „Es konnte, die Philister zu ziichtigen, einmal ein Hamann mit einem Lessing unter dem Arm kommen und die Zeit nicht mehr fern sein." „Eine Zeitschrift soil nicht bios die Gegenwart abspiegeln; der sinkenden muss die Kritik vorauseilen und sie gleichsam aus der Zukunft zuriickbekampfen." „Eine Zeitschrift fiir ^zuktinftige Musik" fehlt noch. Als Redacteure waren freilich nur Manner, wie der ehemalige blind- 104 gewordene Cantor an der Thomasschule und der taube in Wien ruhende Kapellmeister passend." — „Wie es eine Schule der Hoflichkeit (von Rumohr) giebt, so wundert es mich, dass noch Niemand auf eine Schule der Pole- mik gefallen, die bei weitem phantasiereicher. Kiinste sollen nur Yon Talenten gepflegt werden, ich meine, die Sprache des Wol- wollens verstande sich in der musikalischen Kritik von selbst, wenn man sie an Talente richten konnte. So aber wird oft Krieg von Nothen. Die musikalische Polemik bietet ein noch ungeheures Feld; es kommt daher, weil die wenigsten Musiker gut schreiben und die meisten Schriftsteller keine wirklichen Musiker sind, kei- ner von beiden die Sache recht anzupacken weiss; daher auch musikalische Kampfe meistens mit gemeinschaftlichem Ruckzug Oder einer Umarmung endigen. Mochten nur die Rechten baldigst kommen, die sich tiichtig zu schlagen verstehen." Wie diese „Neue Zeitschrift fiir Musik" bald darauf von ihm ins Leben gerufen wurde, und wie namentlich er mit gesteigertem Fleiss und erneuerter Sorgfalt bemiiht war, sie immer entschieden in der angedeuteten Richtung zu erweitern, wurde bereits erwahnt. Zwar sammelten sich gar bald die besten Musiker und Musik- kenner jener Zeit urn seine Fahne, ausser den- bereits erwahnten Freunden: Ludwig Schunke, Julius Knorr und Friedrich Wieck, die feinen musikverstandigen Kritiker: Carl Banck, C. Kossmaly, C. F. Becker, Julius Becker, J. Fischhoff, Oswald Lorenz, oder die vortrefflichen Aesthetiker: August Kahlert, Dr. E. Kriiger und eine ganze Reihe anderer bedeutender Manner; aber so bestimmt wie Schumann vermochte doch kaum einer auch kritisch die neue Richtung zu erfassen. „Man hat den Herausgebern dieser Blatter," schreibt er in einer Kritik iiber Hillers Op. 15 '), „dcn Vorwurf gemacht, dass sie die poetische Seite der Musik zum Schaden der wissenschaft- lichen bearbeiten und ausbauen, dass sie junge Phantasten wSren, die nicht einmal wussten, dass man von griechischer und anderer Musik im Grunde nicht viel wisse und dergleichen. Dieser Tadcl 1) OesamtneUe Scluiften Bd. I. pag. 72. ^ 105 enthalt aber das, wodurch wir unser Blatt vor andern unterschie- den wissen mochten. Wir woUen weiter nicht untersuchen, in wie fern durch die eiiie oder die andere Art die Kunst schneller ge- fordert werde, aber allerdings gestehen, dass wir die fur die hochste Kritik halten, die durch sich selbst einen Eindruck hinterlasst, dem gleich, den das anregende Orginal hervorbringt. „In diesem Sinne", heisst es in einer Anmerkung hierzu wei- ter, „konnte Jean Paul zum Verstandniss einer Beethoven'schen Symphonie oder Phantasie durch ein poetisches Gegenstiick mog- lich mehr beitragen (selbst ohne nur von der Phantasie oder Symphonie zu reden), als die Dutzend Kunstrichter, die Leitern an den Koloss legen, und ihn gut nach Ellen messen." Diese eigenthtimliche Anschauung Schumanns lasst nun audi jene Idee von der Davidsbiindlerschaft in seiner kritischen Thatig- keit eine besondere Bedeutung gewinnen. Alles was ihn ganz be- sonders interessiert und erregt, beurtheilt er, wie jenes Opus 11. von Chopin, nach den verschiedenen Richtungen, in welchen er sein eigenes Innere anschaute, als „Florestan" und „Eusebius" und auch wol als „Raro". Auch in Bezug hierauf linden wir eine feine Charakteristik jener beiden, ihn vorwiegend beschaftigenden Gestalten von Florestan und Eusebius in der Kritik einer Sonate von Taubert: „Wie Florestan ehie merkwiirdige Feinheit besitzt, die Mangel eines Werks im Nu auszuspiiren, so findet dagegen Eusebius mit seiner weichen Hand schnell die Schonheiten auf, rait denen er gar oft auch die Irrthiimer zu iiberdecken weiss. Beide haltet ihr euch jedoch, wie Jiinglinge pflegen, am liebsten und langsten bei Dichtungen auf, in denen das phantastische Ele- ment vorwaltet." So treten beide in der Kritik der Studien von Hummel (Op. -125)') auf und Meister Raro spricht dann das, beide ver- sohnende Schlusswort; im weitern Verlauf der kritischen Thatig- keit dieser Periode lasst sich schon aus dem Namen, mit wel- chem Schumann unterzeichnet die nahere oder weitere Beziehung, welche er zu dem kritisierten Werke selbst gewinnt, erkennen. 1) Gesammelte Schriften Bd. I. pag. 12. 196 Da, wo der ganze Schumann ergriffen wird, wie bei dem Denk- stein, welchen er seinem dahingeschiedenen Herzensfreunde Lud- wig Schunke, ankniipfend an dessen Senate ') setzt, zeichnet er auch mit seinem Namen: R. S.; da aber, wo er mehr als Kritiker auftritt, entweder ablehnend oder kiihl zustimmend, wie in der kri- tischen Umschau, die er ab und zu iiber die neuen Erscheinungen auf gewissen, speciellen Gebieten, als dem der Salonsmusik, der Kammermusik oder auf dem des Gesanges u. s. w. halt, da zeich- net er in der Kegel 2 oder auch 12. Auch die Nothwendigkeit solcher „kritischen Umschau" und die grosse Bedeutung, welche sie fiir die Entwickelung der Kunst gewinnen musste, hatte Schumann mit dem richtigen Verstandniss zuerst erkannt. „So im Grund zuwider mir alles ist," schreibt er in einer Kritik des ,^Duo fiir zwei Pianoforte'^ von J. Moscheles (Op. 92)2), „was irgend nach Journalpoleraik, offener wie versteckter aussieht, so kann ich mir die Naivetat nicht erklaren, mit der manche Re- dactionen zuversichtlich gestehen, sie recensierten nur das, was ihnen durch den guten Willen der HH. Componisten und Verleger anvertraut wtirde. Wahrhaftig, es konnte die Zeit kommen, wo es weder dem Einen noch dem Andern einfiele, und am wenigsten den besten Componisten, die sich um keinen Recensenten scheeren, und was dann? — Andere, anstatt also das Interessanteste, sei's im Hasslichen oder Schonen, auszusuchen aus dem Erscheinenden, Ziehen wieder mit bitterster Verachtung iiber alles Franzosisch- Italienische her, iiber Bellini, Herz u. s. w., und fiillen doch ihre Blatter mit Floskeln iiber Floskeln; ja im schonsten Fall bitten sie deutsche Componisten, sie soUen ihnen um Himmelswillen nichts von ihren Werken einschicken, sondern nur dem Verleger, der sie dann heraussuche. — Ist das Kunstsinn, Kiinstlerachtung ? Gleich wie in immerwahrender Umgebung vorziiglicher Menschen, oder steten Angesichts hoher Kunstschopfungen, deren Sinnesart, deren Lebenswarme sich den Empfanglichen beinahe und unbewusst mit- theilt, dass ihnen die Schonheit gleichsam practisch wird, so soUte 1) Gesammelte Schriften Bd. I. pag. 103. 9} Ebend. pag. 305. 107 man, die Phantasie des Volkes zu veredeln, es bei weitem mehr in die Gallerien der Meister und der zu diesen aufstrebenden Jiinglinge herumfiihren, als es von einer Bilderbude in die andere scbleppen. Vor Hasslichem und Obsconem lasst sich warn en; nichts aber, was mittelmassiger machte, als mittelmassiges Sprechen dariiber. Kein Kiinstler aber braucht eines bliihenden Spiegels seiner Kunst mehr, als der Musiker, dessen Leben oft in so dunkle Umrisse auslauft, und keine Kunst sollte man auf zarterer Folie angreifen, als die zarteste, anstatt sie mit ungeschlachter Fleischer- hand zum Yerspeisen zu verarbeiten. Astrologische Liebhabereien, Langweiligkeiten, Muthmassungen etc. gehoren in Bticher: in einer Zeitschrift mogen wir aber wie auf dem Riicken eines Stromes, reiche Wanderer am Bord, rasch durch die fruchtbarsten gegen- wartigen Ufer vorbeifliegen, und will es der Himmel, in das hohe Meer, zu einem schonen Ziel. Wie konnte es uns denn aufhalten, wenn einmal eine wimmemde Krahe in unsere Hasten einhackt; im Gegentheil tragen wir sie leicht von dannen und seht, seht — nun muss sie mit fort nach unserm Morgenland." In diesem Sinne fasste Schumann auch, wenn es gait, die ganze Bedeutung eines werthvollem Werkes festzustellen, stets die historische Entwickelung der bestiramten Gattung ins Auge, wie in der erwahnten Kritik der Hummel'schen Studien fiir Piano- forte (W. 125). Hier giebt Florestan eine iibersichtliche und ausserst treffende Charakteristik aller bedeutenden Meister, welche Studienwerke veroffentlichten, von dem „hochpreislichen Bach, der Millionenmal mehr gewusst, als wir vermuthen, und zuerst an- fing fiir Lemende zu schreiben," bis zum feinen Moscheles, der nur auf „interessante Charakterstiicke sann, durch die auch die Phantasie beschaftigt wiirde," und er kommt dann zu dem Ur- theil, dass „Hummels Etiiden", fiir die Eusebius' als das Werk eines verdienten Meisters Schonung und Achtung beansprucht, „etliche Jahre zu spat kommen." Von welch unberechenbarem Einfluss eine solche, auf die historische Entwickelung zuriickgehende Kritik fiir diese selbst werden musste, bedarf keines weitern Beweises. In keiner andern Weise ist der Werth oder Unwerth der einzelnen Werke sicherer 108 festzustellen, als in ihrer Vergleichung unter einander und der versuchten Feststellung ihrer Stellung innerhalb der Gesammtent- wickelung, wie sie Schumann in der kritischen Umschau uber So- nanten ^), Rondo's 2), Etiiden, Variationen und die Tanzliteratur ^) ; iiber Quartette *) ; Trio's, Duo's, Ouvertttren, Concerte u. s. w. ^) versuchte. Richtung und Ziel der Gesammtentwickelung unserer ganzen Kunst liess sich aus solchen Erorterungen leichter erkennen, als aus den tiefsinnigsten theoretischen Abhandlungen, und wie viel ihnen Schumann selbst verdankt, wie er selbst mit immer grosserer Sicherheit seine eigene Mission erfasste, konnten wir schon mehrfach nachweisen. Nicht minder haufig nimmt er bei seiner kritischen Thatig- keit Gelegenheit, um dieser einen sicheren Boden zu geben, iiber allgemeine Kunstfragen sich auszusprechen, und es geschieht dies meist in eben so hochpoetischer als iiberzeugender Weise. Schon jenes erwahnte: „Denk- und Dichtbiichlein" enthalt wundervolle Ausspriiche fiber Kunst und Kiinstler: „Man denke nur, welche Umstande sich vereinigen miissen, wenn das Schone in seiner ganzen Wiirde und Herrlichkeit auf- treten soil. Wir fordem dazu einmal: grosse, tiefe Intention, Idealitat eines Kunstwerks, dann: Enthusiasmus der Darstellung, 3) Virtuositat der Leistung, harmonisches Zusammenwirken, wie aus einer Seele, 4) inneres Verlangen und Bedurfniss des Geben- den und Empfangenden, momentan giinstigste Stimmung (von bei- den Seiten, des Zuhorers und des Kunstlers), 5) glucklichste Con- stellation der Zeitverhaltnisse, so wie des speciellern Moments der raumlichen und andem Nebenumstande, 6) Leitung und Mitthei- lung des Eindrucks, der Gefiihle, der Ansichten — Wiederspiege- lung der Kunstfreude im Auge des Andern. 1st ein solches Zu- sammentreffen nicht ein Wurf mit sechs Wiirfeln von sechs mal sechs?" — Eusebius. 1) Gesammelte Schrifteu Bd. I. pag. 92. 2) Ebend. Bd. II. pag. 77. 3) Ebend. Bd. II. pag. 3. 90. 273. 4) Ebend. Bd. II. pag. 24.'). 5) Ebend. Bd. I. p.ig. 240. 109 Ueber die Vorstellung des Moments wahrend seiner Dauer sagt Florestan sehr schon: „Ein rasender Roland wiirde keinen dichten konnen; ein lie- bendes Herz sagt es am wenigsten. Die Phantasterei der Franz Liszt'schen Compositionen wiirde sich gestalten, wenn er das ein- zusehen anfinge. Die merkwtirdigsten Geheimnisse des Schaffens gabe es iiber diesen Gegenstand zii untersuchen. Etwas fortzu- bewegen, darf man nicht darauf stehen. Dem entgegen steht der crasse Materialismus der mittelalterlichen Figuren, aus deren Mau- lern grosse Zettel mit erklarenden Reden hingen." Die Besprechung der „Symphonie von Hector Berlioz ^Epi- sode de la vie d'un artiste Oe. 4" ') giebt ihm Gelegenheit, seine Ansicht iiber die Ausdrucks- und Darstellungsfahigkeit der Instru- mentalmusik darzulegen, die wir hier um so lieber mittheilen, weil sie Kunde giebt iiber sein eigenes Schaffen und zugleich bezeugt, wie er den schaffenden Genius an sich selber in seiner geheimsten Werkstatte belauschte: „"Was iiberhaupt," heisst es dort, „die schwierige Frage, wie weit Instrumentalmusik in Darstellung von Gedanken und Begeben- heiten gehen diirfe, anlangt, so sehen hier Viele zu angstlich. Man irrt sich gewiss, wenn man glaubt, die Componisten legten sich Feder und Papier in der elenden Absicht zurecht, dies oder jenes auszudrucken, zu schildern, zu malen. Doch schlage man zufallige Einflusse und Eindrucke von Aussen nicht zu gering an. Unbewusst neben der musikalischen Phantasie wirkt oft eine Idee fort, neben dem Ohre das Auge und dieses, das immer thatige Organ, halt dann mitten unter den Klangen und Tonen gewisse Umrisse fest, die sich mit der vorriickenden Musik zu deutlichen Gestalten verdichten und ausbilden konnen. Je mehr nun der Musik verwandte Elemente die von den Tonen erzeugten Gedanken Oder Gebilde in sich tragen, von je poetischerem oder plastische- rem Ausdrucke wird die Composition sein, und je phantastischer Oder scharfer der Musiker iiberhaupt auffasst, um so mehr sein Werk erheben oder ergreifen wird. Warum konnte nicht einen 1; Gesiimmelte Schriften B^. I. pag. 118 ff. 110 Beethoven inmitten seiner Phantasien der Gedanke an Unsterb- lichkeit tiberfallen? Warum nicht das Andenken eines grossen, gefallenen Helden ihn zu einem Werke begeistern? Warum nicht einen andern die Erinnerung an eine selig verlebte Zeit? Oder wollen wir undankbar sein gegen Shakespeare, dass er aus der Brust eines jungen Tondichters ein seiner wiirdiges Werk, hervor- rief, — undankbar gegen die Natur und laugnen, dass wir von ihrer Schonheit und Erhabenheit zu unsern Werken borgten? Italien, die Alpen, das Bild des Meeres, eine Fruhlingsdamme- rung, — hatte uns die Musik noch nichts von alle diesem er- zahlt? Ja selbst kleinere speciellere Bilder konnen der Musik einen so reizend festen Charakter verleihen, dass man uberrascht wird, wie sie solche Ziige auszudriicken vermag. So erzahlte mir ein Componist, dass sich ihm wahrend des Niederschreibens un- aufhorlich das Bild eines Schmetterlings, der auf einem Blatte im Bache mit fortschwimmt, aufgedrungen. Dies hatte dem kleinen Stiicke die Zartheit und die Naivetat gegeben, wie es nur irgend das Bild in der Wirklichkeit besitzen mag. In dieser feinen Genre- malerei war namentlich Franz Schubert ein Meister und ich kann nicht unterlassen, aus meiner Erfahrung anzufuhren, wie mir eines- mals wahrend eines Schubert'schen Marsches der Freund, mit dem ich spielte, auf meine Frage, ob er nicht ganz eigene Ge- stalten vor sich sahe, zur Antwort gab: „wahrhaftig, ich befand mich in Sevilla, aber vor mehr als hundert Jahren, mitten unter auf- und abspazierenden Dons und Donnen, mit Schleppkleid, Schnabelschuh, Spitzendegen u. s. w." Merkwiirdiger Weise waren wir in unsern Visionen bis auf die Stadt einig. WoUe mir keiner der Leser das geringe Beispiel wegstreichen!" „Die Hauptsache bleibt," setzt er weiter hinzu, „ob die Musik ohne Text und Erlauterung an sich etwas ist und vorziiglich, ob ihr Geist innewohnt," und wie sehr diese letztere Ansicht bei ihm allmalig zur herrschenden wird, erkennen wir daraus, dass er in spatem Jahren bei neuen Ausgaben seiner aitern Werke die Erinnerung an die bestimmten Bilder und Vorgange, durch welche sie veranlasst und beeinflusst wurden, nicht selten beseitigte. Jetzt treibt seine Kritik selbst Ill noch vorwiegend aus jener Anschauung von der bundgestaltenden Macht der Instrumentalmusik hervor. Die Musik der grossen, von ihm geliebten Meister, erzeugt sofort in seiner Phantasie die reizendsten, lieblichsten Bilder. Schubert und Chopin, als die ihm am niichsten Verwand- ten, stehen nach dieser Seite voran. In jenem Opus 11. Chopins erscheinen ihm „Don Juan, Zerline, Leporello und Masetto" als redende Charaktere; die Polonaisen und Walzer dieses Meistei's erzeugen in Yerbindung mit andern Tanzen von Nowakowsky, Brzowsky, Zollner, Ries u. A. die Vision eines verhangnissvollen Balles ') wie frliher schon ^) die Polonaisen und Walzer von J. C. Kessler, Thalberg, Clara Wieck, L. von Meyer und Franz Schu- bert. In Chopins Werken sieht Eusebius „unter Blumen einge- senkte Kanonen"^), und bis zu jenem beriihmten Bericht liber Schuberts C-dur-Symphonie *), mit welcher Schumann seine kritische Thatigkeit in Bezug auf diesen Meister abschliesst, erscheint ihm alles, was dieser wunderbarste der Lyriker sang, als Kundgebung des unverfalschtesten, romantischen Lebens. Nachstdem ist es Mendelssohns ganze Ktinstlergrosse, die ihm aus jedem Werke dieses Meisters vollstandig erkennbar ent- gegentritt. Seine Besprechungen der Ouvertiiren zur „Sch6nen Melusine'^ ^), der Musik zum „Sommemachtstraum'"^) oder der „Drei CapricerC (Op. 33)^) enthalten goldene Worte iiber diesen Meister. Tiefer und zugleich selbstbewusster hat ihm wol Nie- mand nachempfunden als hier der ebenbiirtige, nach denselben Zielen, wenn auch in anderer Weise strebende Meister. Dar- nach scheint aber auch der heilige Zorn, der unsern Schumann beim Anschauen der „Hugenotten'' gegen deren Meister, gegen Meyerbeer ergriff, vollstandig gerechtfertigt. Man hat deshalb dem edlen Eiferer den Yorwurf einer engherzigen Anschauung ge- 1) Gesammelte Schriften £d. II. pag. 106. 2) Ebend. pag. 9. 3) Ebend. Bd. I. pag. 279. 4) Ebend. Bd. III. pag. 195. 5) Ebend. Bd. I. pag. 236. 6) Ebend. Bd. IV. pag. 279. 7) Ebend. Bd. I. pag. 324. 112 macht, und wiederum mit grossem Unrecht. Noch hat Niemand gewagt, die Bezuchtigung zu widerlegen: dass Meyerbeer seine grosse und reiche Begabung an die urtheilslose und genusssiichtige Masse verkauft hat; dass er seine wunderbaren Talente nicht dem Dienste der Kunst, sondern aussern nichtigen Zwecken widmete, die Schumann verachtete. Und er, der achte Priester der Kunst, der unablassig bemiiht war, die heiligen Gesetzestafehi aufzu- richten, er soUte nicht in heiligem Zorn entbrennen, als er sah, wie ein anderer genialer Priester der Kunst ein goldenes Kalb gemacht hatte, um das die Menge in gotzendienerischer Lust ihre wiisten Reihen tanzte? Nicht einen Moment verkennt er die grossen Vorziige Meyerbeers; nur gegen den Missbrauch, den er mit seiner Begabung treibt, eifert er, und das war sein Recht und seine Pflicht. In gleicher Weise abwehrend verhalt er sich auch gegen jene, nur fur die Mode des Tages arbeitenden Virtuosen und Salonsschreiber, die Herren Herz, Hiinten, Thalberg, DQh- ler und Aehnliche, wahrend er iiberall, wo er nur irgend etwas anzuerkennen findet, dies riickhaltslos und augenscheinlich erfreut ausspricht. Obwol die Werke von J. Moscheles, Ferdinand Hiller, L. Berger, Cherubini, Moritz Hauptmann, Carl Lowe Oder Wilhelm Taubert nicht die Bedeutung fur ihn gewaunen, wie die jener grossern Meister, so wird er doch nicht miide, fort und fort die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken; ihre Vorziige ins gtinstigste Licht zu stellen und sie als riistige Vorkampfer einer neuen bessem Zeit darzustellen. Jener jungere Nachwuchs aber: W. Sterndale-Bennett, Norbert Burgmiiller, Stephan Heller, Niels W. Gade, Robert Franz, Eduard Franck Oder J. J. H. Verhulst ware wol nicht leicht zu so rascher An- erkennung unter den Kunstgenossen gelangt, wenn Schumann nicht so energisch und warm fur die Einzelnen eingetreten ware. Mit dem feinsten Sinn und Tact erkannte er nicht nur ihre specielle Begabung und die Gebiete, auf denen sie sich am frtthesten ent- wickeln wurde, sondern auch die Schranken, die ihrer Individuali- tat gesetzt sind, und die Gefahren, die dieser drohen. 113 So ist Schumann auch in seiner kritischen Thatigkeit unab- lassig bemiiht, eine geistvollere, poetischere Anschauung der Kunst, als sic jene Zeit hatte, zu verbreiten, damit sie selbst wie- der herrlicher und pracbtiger sich entfalte. Dieser Anschauung giebt er Ausdruck, wo sich ihm eine Gelegenbeit darbietet. Ueber- iill vertritt er den Grundsatz: dass die Musik nicht nur Ton imd Klang ist, sondern dass sich ein bestimmter poetischer Ge- halt darin offenbare; dass dieser aber auch die rechte Form ge- winnen miisse, um iiberhaupt erkennbar zu sein. Unablassig ist er bemiiht, nachzuweisen, wie aus dieser Anschauung heraus die Kunst sich seit Bach, dem er Bewunderung zoUt, wie keinem andem, entwickelt babe, und er versucht die Faden der Weiter- entwickelung, wie sie sich ihm in der Gegenwart darstellen, auf- zusuchen und zusammen zu fassen, um sie so weiter zu hoherer Vollendung zu fuhren. Sein kritischer Standpunkt ist so hoch wie der seiner selbst- schOpferischen Thatigkeit: hier wie dort ist naturgemasse Weiter- entwickelung erstes und einziges Ziel. Naturlich war dies in seiner kritischen Thatigkeit leichter zu erreichen, als in seiner selbstschopferischen. Nachdem er daher die Anerkennung der neuen Richtung bis zu einem bestimmten Punkte gefuhrt hatte, wurde ihm seine kritische Thatigkeit, na- mentlich die als Redacteur zur Last, weil sie ihn am Selbst- schaffen hinderte. Seit seiner Ruckkehr von Wien treffen wir in einzelnen Briefen mehrfach Aeusserungen des Unmuths iiber die Storungen, welche ihm die Redaction der Zeitung in seinem Schaffensdrang bereitet. Ende Juni 1844 trat er denn auch ganz zuruck Yon der Zeitung, deren Redaction an den Mitarbeiter Oswald Lorenz tibergieng. Aeusserlich wurde dieser Schritt wol auch durch korperliche Leiden, wie durch die in jener Zeit schon in Aussicht genommene Uebersiedelung nach Dresden, die denn auch noch Ende 1844 erfolgte, beschleunigt. Schumanns kritische Thatigkeit nimmt damit der Hauptsache nach ein Ende; wenn er auch noch einigemal seine Stimme er- hob zu Gunsten jiingerer Talente, wie der Dichterin Elise Kul- mann oder des Tonkiinstlers Johannes Brahms. 8 114 Am Schlusse der gesammelten Schriften findet sich noch ein Theaterbiichlein (1847 — 1850), das uns einzelne kritische Bemer- kimgen iiber Opern, welche er in Dresden horte, bringt, und es ist ruhrend und erhebend zugleich zu sehen, wie er sich an Boieldieu's „Die weisse Dame*', an ^Der Templer und die JiXdivi^ von Marschner, anGluck's ,,Iphigenie in Aulis'\ am „Tannhduser'" von Wagner, an „Euryanthe'^ uiid ^^Oherovi!' von Weber, an Kossini's ^^Barhier''' und Spontini's ^Cor- tez'"' u. s. w. erfreut und sich einzelne Schonheiten, die ihm be- sonders imponierten, anmerkt, oder wie er den Tag der ersten Auffiihrung des ^Propheten'' mit einem schwarzen Kreuz bezeich- net. Die ,^musikalischen Haus- und Lehensregeln'' endlichj welche er dem ^Jug end -Album' beigiebt, enthalten seine ganze Kunstphilosophie in einigen wenigen markigen Spriichen zusammen- gedrangt. Sechstes Kapitel. -Die Zeit der hochsten Reife. Diese beginnt fiir unsern Meister schon mit jenen fruher be- sprochenen, die erste Periode seines kiinstlerischen Schaffens ab- schliessenden Werken, in welchen die, von romantischen Idealen erfiillte Phantasie, seine von den verschiedensten Einflussen er- regte und bewegte Innerlichkeit aussere Gestalt gewinnt in nur ihm eigenthtimlichen klingenden Tonformen. Durch sie war die neue Richtung practisch voUstandig begriiudet worden. Fiir jenes wunderbare Leben der Phantasie, das durch die Romantik ange- regt ist, fiir das geheime Weben und Schaffen einer machtig iiber- fluthenden Innerlichkeit hatte er bereits in den kleinern Clavier- formen die entsprechenden Darstellungsformen gewonnen. Die weitere Entwickelung drangte immer entschiedener darauf hin, den neuen Inhalt auch den altern, objectiven Formen zu vermitteln, um diese zu verjiingen und zu erneuen. Wie Schumann diesen Versuch schon fruher in seinen Claviersonaten unternahm, konnten wir bereits nachweisen, zugleich aber auch, wie wenig er dort noch gegliickt ist; weil ihm die Idee der Form noch nicht voU- standig aufgegangen ist, fiihlt er sich durch letztere noch viel- fach gehindert und beengt. Er wird dort noch so sehr von dem farbenschimmernden Glanz seiner Bilder beriickt und geblendet, dass er sie einem bestimmten Eahmen noch nicht einzureihen, noch nicht voUkommen organisch entwickelt eiuheitlich zu grup- pieren vermag. Diese Sonaten sind daher vorwiegend aus jenen individuellen Clavierformen zusammengesetzt, an denen er die 116 Kraft seines Ausdrucks bisher stahlte und erprobte; die iirsprting- liche, allgemeine Idee der andern Fonnen war ihm voUstandig erst durch das Lied erschlossen worden, aus welcher alle Instru- mentalformen hervortreiben. Hier hatte er erst gelernt, unter dem Einfluss nicht nur eines bestimmenden Inhalts, sondern aucb einer bestimmenden Form zu arbeiten. Das Lied brachte ihm eine, im Yersgefuge entschieden ausgepragte Form entgegen, die er musi- kalisch nachzubilden gezwungen war, und wie er dies that, haben wir weitlaufig nachzuweisen versucht. An den sogenannten typischen, den Nachahmungsformen, hatte er diesen Process schon fruher versucht. Jene Gigue, vvelche er in Wien 1838 und die Fughette, die er 1839 componierte und spater mit einem Scherzo und einer Romanze als Op. 32 ver- offentlichte, verdanken dem gleichen Bcstreben ihre Entstehung. Die Gigue ist ganz in dem Sinne Seb. Bach's, den Schumann als den grossten Meister bewundernd verehrte und den er fleissig studierte, gehalten. Aber jener Meister des Contrapunkts ist mehr von der melodischen Gewalt seines Materials geleitet, der jiingere dagegen von der harmonischen. Jener fugt die einzel- nen, durchaus selbstandig gehaltenen Stimmen zu einem wunder- baren Harmoniegewebe in einander; dieser ist bemuht einen reichen harmonischen Apparat in seiner eigenen, mehr innerhalb des Accordes sich entfaltenden Polyphonic zu verarbeiten. Noch entschiedener tritt diese Eigenthiimlichkeit der Anschauungsweise Schumanns in der Fughette hervor. Auch hier sind es nicht eigentlich Stimmen, sondern vielmchr harmonische Massen, die gegen einander gefiihrt werden. Das Fugenthema tritt voUstan- dig harmonisiert ein: Leise. 117 und die ganze weitere Verarbeitung erfolgt vorwiegend harmonisch. Schumann ist weit weniger bestrebt, dem melodischen Zuge fol- gend, es durch immer neue Combinationen anders zu beleuchten, als vielmehr es immer neu und eigenthiimlich zu harmonisieren, um es dadurch in neuem Licht erscheinen zu lassen. Auch hier, bei dieser versuchten Erneuerung der alteren, aus der Melodic hervortreibenden contrapunktischen Formen wird er, treu der Richtung, welche er vertritt, mehr von der Gewalt und dem Far- benreiclithum der Harmonie beherrscht. Eine eigentliche Erneue- rung dieser Formen war nattirlich auf diesem Wege wol schwer zu erreichen, weil er wenig in der Idee derselben begriindet ist. Schumann verliess ihn auch wieder, und als er spater den For- men des kiinstlichen Contrapunkts sich zuwandte, fasste er auch die Idee der Polyphonic mehr im urspriinglichen Sinne. Er er- findet nur die Themen im Geiste der neuen Richtung; ihre Ver- arbeitung versucht er dann nach Anordnung und den Gesetzen des alten Contrapunkts. Gunstiger erweist sich nattirlich diese ganze Anschauung fur die Entwickelung der Instrumentalformen. Sic treiben, wie vvir andcrwarts nachzuweisen versuchten, so recht eigentlich aus dem harmonischen Gestaltungsprocess heraus. Auch das eigentlich ge- staltende Princip der lustrumcntalmusik, die Wirkung durch den Contrast hatte Schumann in seinen friihesten Werken principiell geubt. Wir fanden, dass or selbst in den Sonaten sich ganz besonders geltend macht; dass hier die wunderbarsten Bilder lebendig werden, dass sic aber nicht auf einander bezogen sind, und somit die Gegenwirkung der einzelnen Theile fehlt, aus wel- cher erst die einheitliche Form hervortrcibt. Den Grund fan- den wir darin, dass ihm die organische Entwickelung des har- monischen Materials noch nicht vollstandig erschlossen war; der von ihm verwendete harmonischc Apparat wird vielmehr durch die Motive, welche er verarbcitet, bestimmt. Das Lied hatte ihn, wie mehrmals erwahnt, erst vollstandig in die organische Gestaltung des Harmonischen eingefuhrt, und zugleich hatte er, wie wir gleich noch hinzusetzen, auch die ordiiende Gewalt des Rhythmus nach ihrer voUcn Bedeutung erfasst, so dass 118 er jetzt erst mit alien Mitteln ausgestattet ist, urn auch das hochste instrumentale Kunstwerk der neuen Richtung hinstellen zu konnen. TJeber diesen friihern Standpunkt Scliumanns giebt iins auch die erwahnte Kritik der Symphonie von Berlioz einige Aufklarung. Er rechnet ihm den harmoniscben Grundriss nach nnd findet „dass er an Maunicbfaltigkeit und Uebereinstimmung vor dera altern nicbts vorausbabe." Dass es der Idee der Sympbonie noch wenig entspricbt, das eine Tbema in der Tonika und das andere in der Dominant zu erfinden, und das ganze Beiwerk dann in den nacbstverwandten Tonarten zu balten, scbeint ibm in jener Zeit nocb nicbt klar gewesen zu sein. Erst spater, und nament- licb am Liede, soUte er die Ueberzeugung gewinnen, dass die Themen ftir die grosseren Instrumentalformen mitten aus jener barmoniscben Bewegung heraus erfunden sein miissen, sollen sie sicb organiscb entwickeln und einbeitlicb verbinden. Erst am Liede soUte er vollstandig lernen, dass der Nacbsatz dem Vor- dersatz entsprecben muss, wie die Antwort der Frage, wenn das Kunstwerk einbeitlicbe Gestalt gewinnen soil. Das erste "Werk, in welcbem diese neue Anscbauung sicb ge- staltend erweist, die Sympbonie in B-dur (Op. 38), bracbte das Jabr 1841. Am 6. December kam sie, neben einem andern "Werke: Ouverture, Scherzo und Finale, das er in demselben Jabre componierte, aber 1845 umarbeitete (als Op, 52 gedruckt), im Gewandhause zu Leipzig, in einem von seiner Gattin veran- stalteten Concert, zur Auffubrung. Was Scbumann so scbon und wabr von Scbuberts Sympbonie sagt: ') „Die grotesken Formen, die kiibnen Yerbaltnisse nacbzu- abmen, wie wir sie in Beetbovens spatern Werken antreffen, ver- meidet er im Bewusstsein seiner bescbeideneren Krafte; er giebt uns ein Werk in anmutbvollster Form, und trotzdem in neu ver- schlungener Weise, nirgends zu weit vom Mittelpunkt wegftibrend, immer wieder zu ihm znrtickkebrend. So muss es Jedem erschei- nen, der die Sympbonie sich 5fters betracbtet," gilt auch von 1) Gesaminelte Rchriften Hd. TIT. pag. 20'J. 119 dieser ersten eigenen Symphonie. Dennoch steht sie cler Beetho- ven'schen Symphonie naher als die Schuberts. Bei weitem weni- ger phantastisch wie diese, lehnt sie sich unstreitig, wie das ebenso in Sclmmanns Individualitat als in seiner ganzen Entwicke- lung bedingt ist, an mehr concrete Yorgange an als jene; sie ge- laiigt nicht zu einem so grossen Bilderreichthum als die von Schubert, aber zu einer grosseren Plastik der einzelnen Bilder, und diese gewinnen, weil sie, wie ervvahnt, aus dem eigensten natiirlichen Gestaltungsprocess des Darstellungsmaterials erfunden sind, eine grossere, innerlich vermittelte Einheit der Gruppierung. „Die einzelnen Satze zu zergliedern," sagt Schumann dort in jener Kritik der Schubert'schen Symphonie, „bringt weder uns noch Andern Freude; man musste die ganze Symphonie abschreiben, um vom novellistischen Charakter, der sie durchweht, eiuen Begriff zu geben," und wir vertreten die gleiche Ansicht auch in Bezug auf seine eigene. Nur andeuten woUen wir, wie er ein Stiick hellen, bltihenden romantischen Lebens, das er bisher zu einzel- nen Bildern von beriickender Schouheit in neuen Formen gestaltet, nun in einem einheitlichen Lebenszuge musikalisch Gestalt gewin- nen lasst, indem er es in die alte, iiberkommene Form der Sym- phonie giesst. Die Symphonie zerfallt in die iiblichen vier Satze. Dem ersten mit einer kurzen Einleitung versehenen Allegrosatz in B-dur folgt ein Larghetto in Es-dur, dem sich als dritter Satz das Scherzo in D-moU mit zwei Trio's in D-dur und B-dur anschliesst; ihr folgt dann als Finale ein: Allegro animato e grazioso. Es mussen reizende Bilder gewesen sein, die in der Phantasie des Tondichters entstanden und dort ein so frohliches, von Lust und Uebermuth bewegtes Leben hervorriefen. Namentlich der letzte Satz tritt nach dieser Seite so entschieden aus der gewohn- lichen Weise Schumann'schen Schaffens heraus, die froh bewegte und belebte Stimmung spriclit sich so unverhiillt aus, dass wir den Meister nicht auch wie frliher inimer in der eigenthtimlichen Verarbeitung, selbst nicht immer in der Erfindung der Motive, immer aber in der feinsinnigen Anordnung, wie in der eigentliilm- lichen Harmonisierung sofort wiedererkennen. 120 Der Einfluss, welchen die Idee der Form schon auf die Er- finduQg der Motive ausilbt, erscheint im ersten Satz fast noch grosser, als in den andern; diese gelioren unstreitig zu den fass- lichsten und popularsten, die Schumann je erfiinden hat, aber an ihre Verarbeitung verwendet er dann ganz den griiblerischen Fieiss, jene sorgsame harmonische Ausgestaltung, die er an seinen friihesten Arbeiten schon unabljlssig versucht. Schon in der Ein- leitung weckt das erste Motiv des eigeutliehen AUegrosatzes, doch nicht von der Octave, sondern von der Terz aus durch Trompe- ten und Horner eingefiihrt und dann vom ganzen Orschester aufge- nommen, ein reiches harmonisches Leben. Es tritt hier gewisser- maassen als Signal auf fiir den Beginn des bunten Reigeas, der sich vor unserm Auge und unserm Ohr dann entfaltet. Als erstes Thema des AUegrosatzes wird das Motiv dann durch immer ge- waltigere und gewichtigere Harmonisierung zum Vordersatze ver- arbeitet. Das Motiv des Nachsatzes ist nicht minder einfach und treu im Sinne der Form erfunden; aber durch die eigenthumliche Weise, in welcher Schumann die Dominanttonart darstellt, erhalt auch dies wiederum das echte Geprage seines Geistes und der neuen Richtung. Er bereitet ganz bestimmt den Eintritt des zweiten Motivs in der Dominant vor: ^eMi r^ 1=t=1=fc±zz^ Corni. ^^±i h I N - jjuri iL-=zi^ dann aber fuhrt er diese nicht direct ein, sondern auf einem Um- wege ilber deren Paralleltonart und Unterdominant. Sie ercheint demnach so umschrieben, dass das Gegensatzliche ihrer Wirkung in eigenthiimlichem, anderm Lichte erscheint, als bei der sonst iib- lichen Anordnung: 121 dolce Clar. . Viola. ^m 1 p_^ti=f Viol. ta^ f K r^'^ ,Sj N 7 7 fepT^T- P^ #*j— f- ;P^ ^~-*^-t;^-^^r pi 7 q' il PT > » # 1- ' , 7 1,7 . -I — , j-— -I— M- n.. - -ri ip-l 1— FI. Ob. 1^ I ? il* k V :|= .J. Str. pizx. F lhS:^iB jJiS^S __^^,Ji|i m=^^^^^^ ^=^^^ ff= Cello pizz. BbiS-.^ j I ^gi 4^jggi jj^^^ J771^ In gleicher Weise wird dann die Weiterentwickelung des gauzen Satzes ebenso von der alten Form, wie von der neuen Richtung beeinflusst, so dass dieser Satz schon als eine wirkliclie Ver- schmelzung beider erscheint. Noch mehr fast gilt dies von dem Schlusssatz, der nur in seiner sinnigern aussern Einrichtung wieder mehr den verstandig combinierenden Meister zeigt. Wiederum ist es das zweite Motiv, das er vorwiegend in seiner besondern Weise bearbeitet und dem ersten immer neu gestaltet und beleuchtet gegentiber setzt. Es gilt ihm zunachst als Ueber- leitung von dem Scherzo zum eigentlichen Hauptsatze, und nament- lich im zweiten Theil entwickelt er an ihm die ganze Ftille und Siisse der romantisch bewegten Seele, und diese behalt dann auch die Herrschaft bis zum brillanten, ebenso macht- wie glanzvoUen Schlusse. lumitten dieser beiden Satze erscheinen die andern, das Larghetto wie das Scherzo von etwas kleinem Zuschnitt. Das Larghetto namentlich ist kaum mehr als ein „Phantasiestuck" der friihern Periode. Die hymnische Breite des eigentlichen Adagio, wie es Beethoven schuf, liegt allerdings in dieser ganzen Richtung weniger begrundet, weil sie mehr auf Pragnanz und Fulle des Ausdrucks, als auf Breite und Tiefe gerichtet ist. Doch Schumann erreichte auch jene, wie wir spater nachweisen. Im Scherzo scheint dem Meister mehr die Idee des iiltern Menuett vorge- schwebt zu haben, der er namentlich dnrch die beiden Trio's, von denen das erste im | Tact gelialten ist, den Geist der neuen Richtung aufzunothigen sucht Nacli alle dem erscheint dieser erste Versuch, den neuen 123 roraantischen Inhalt den altem Formen zu vermitteln, als ein voU- standig gelungener. Es ist dies um so bewunderader anzuerken- nen, als die Instrumentation eine ganz andere Technik erfordert, als das Clavier. Jene eigentlich Schumann'sche Technik dem Or- chester zu vermitteln, ist vollends schwer, wenn nicht geradezu unmoglich. Dies hat wiederum eine eigenthiimliche, von der des Gesanges wie des Claviers abweichende Polyphonic, die auch Schu- mann eigentlich nie vollstandig sich aneignete, well er die ein- zelnen Instrumente vorwiegend als melodiefuhrend fasste; auch die- jenigen, welche es nicht eigentlich sind, und daher nicht selten die Wirkung des einen, durch die des andern abschwacht Als er spater den ganzen neuen Clavierstyl mit seinem Harmonie- und Accordreichthum dem Orchester zu vermitteln bemiiht ist, verliert dies fur das Ohr nicht selten die Uebersichtlichkeit und Fassbarkeit, die es noch fiir das Auge hat. In diesem ersten orchestralen Werk ist die Idee der Syra- phonie noch zu vorwiegend und lierrschend, und so fligt sicli ihr auch das Instrumentale, aus welchem heraus die einzelnen Motive erfunden scheinen. Noch sind aus demselben Jahre jenes bereits angefuhrte, als Op. 52 gedruckte Orchesterwerk und die D-moll-Symphonie zu erwahnen, welche wir indess mit den Werken jeuer Jahre be- sprechen, in denen sie umgearbeitet und vervoUstandigt wurden (1845 und 1851). Eine eigenthiimliche Darstellung des neuen Styls versuchte Schumann im nachsten Jahre (1842) im Streichquartett, all ein (Op. 41) und in Verbindung mit dem Pianoforte, als Quartett (Op. 47) und als Quintett (Op. 44). Aus nalielie- genden Grunden gelang ihm die letztere Uebertragung besser als jene. Wir sahen, wie eng die eigenthiimliche accordische Behand- lung des Claviers mit der Individualitat Schumann's verkniipft ist; wie jene so recht eigentlich durch diese hervorgetrieben wird. Diese aber widerstreitet der Technik des Streichquartetts mehr noch als der des ganzen Orchesters. Dem Grundcharakter der vier dort verbundenen Streichinstrumente, zwei Viohnen, Bratsche und 124 Violoncell, entsprechen am Besten die breite, gesangreiche Cantilene und weitausschallendes Figurenwerk, die im Schumann'schen Cla- vier- und Compositionsstyl weniger begriindet erscheinen. Wider- williger als das voile Orchester fugt sich daher das Streichquar- tett diesem Styl, und weil ihm zagleich die farbenreiche FuUe des Klanges der Blaseinstrumente fehlt, so kommt auch der ideelle lu- halt, den Schumann in diesen Quartetten zu gestalten suchte, nicht so zur Erscheinung wie im Orchester, selbst nicht so wie auf dera Clavier. Das Finale des A-dur-Quartetts (No. 3) oder das Scherzo aus dem F-dur-Quartett (No. 2) wiirden viel erschopfender und grossartiger orchestral sich gestaltet haben, wie das Adagio aus No. 2 oder auch No. 3 weit entsprechender fur Pianoforte. Die vielen Octavenunterstellungen, zu denen der Meister sich gedrangt fuhlt, liegen nicht im Sinne und Geist des Quartetts, wol aber in dem des Orchesters wie des Claviers. Trotz alle dem geben auch diese Quartetten den voUgiiltigen Beweis, wie voUstandig Schumann die Idee der Senate und der Symphonic form begriffen hatte, und wie bewusst er ihre Verschmelzung mit den Intentionen der neuen Richtung verfolgte. Nur in den Organen hatte er nicht die richtige Wahl ge- troffen. Erst als er in dem nachsten Werke zu diesem Verein von Instrumeuten noch das Pianoforte horbeizieht, gewinnt er den entsprechenden Tr^ger fiir seine Ideen. Das Pianoforte hot ihm natiirlich die voUste Gelegenheit, seine eigenste Technik, die als unmittelbarstes Product seiner Individualitat erscheint, zu ent- falten und auch das Streichquartett tiefer nach seiner innersten Wesenheit zu erfassen. Ungleich erfolg- und einflussreicher wirkt daher auch die eigenthumliche Gestaltung dieser Form hier als dort bei der Symphonic und den Quartetten. Ihre Anordnung wird im Grossen und Ganzen auch hier von ihrer eigensten Idee beherrscht, aber an ihrer speciellen Ausstattung gewinnt jene frtiher charakterisierte thematische Verarbeitung, die aus der Har- njonik ihre Hauptgesetze herleitet, einen viel bedeutenderen An- theil, als bei den frtiheren derartigen Werken. Der ganze erste (Allegro) Satz ist eigentlich nur aus zwei harmonischen Motiven gewoben; aus dem ersten: 125 Allegro brillante. |i g|3B ± fe fySEp N :4=1: ■^- §i^as m I :f=:t das dann in seinen verschiedenen harmonischen Umgestaltungen und als daraus hervortreibende Cantilene: fp ^^ i -g^t^TtLirtczrr^^ E ^ s y> — fe and: M f^p ^-— 4- H=j= ^l^^^=F^ gii^ :l2^ 1 ^ B^ :::E-ti^ ^ t=±t J bi ^bi :^ li ^^^-. den Yordersatz constniieren hilft und aus dem zweiten; ^MBi^^^g^ dolce. 126 und selbst das Figurenwerk, welches noch zur Vollendung dieser Form aufgeboten wird, entwickelt sicli meist leicht aus diesem einfachsten Material. Jetzt erlangen auch die beiden raittleren Satze, der lang- same Satz wie das Scherzo, eine grossere Bedeutimg und Aus- dehnung. Jener ist in der Weise eines Marsches gebalten, natttr- lich eines Trauermarsches; kein anderer diirfte wol in der Senate Raum finden, am wenigsten an Stelle des Adagio; und dass es etwas Kostliches ist, was der Meister damit zu Grabe geleitet, das beweist der erste Zwischensatz (in C-dur), der in der choral- massigen Haltung des Streichquartetts und der eigenthiimlichen Aufiosung der Accorde in flimmerndes Figurenwerk, einen wun- derbar frommen Eindruck macht. Aber der Meister ist von dem Verlust auch furchtbar erschiittert, und so tritt jenem urspriing- lichen Marsch ein zweiter Satz entgegen, in welchem die ganze Gewalt der Leidenschaft sich fast fessellos ergeht. Doch allmalig beruhigt sich der wilde Schmerz; jene fromm ergebene Stimmung gewinnt allmalig die Oberhand und so folgt jener erste Zwischen- satz (in F-dur), der dann wiederum in das Marschtheraa tiberleitet. Jene wilde Leidenschaft, die im Agitato laut geworden, erscheint hier noch gebandigt durch die unmittelbare Nahe des geliebten Todten; mit um so grosserer Gewalt bricht sie dann im Scherzo los, in dem wiederum zwei Trio's (das zweite im | Tact) die Stim- mung mehr gegensatzlich erfassen und darstellen, das erste von siisser Schwarmerei durchgluht, das zweite dann in irren „Trau- meswirren". Nur am Schlusse des Ganzen klingt, wie eine leise Kunde der Versohnung, jene andachtig fromme Stimmung des zwei- ten Satzes hinein. Gleich bedeutend und das Ganze wiirdig und entsprechend abschliessend, ist dann das Finale. Dasselbe er- reicht schon dadurch von vom herein eine eigenthiimliche Stei- gerung, dass der erste Satz desselben die C-moll-Tonart bestimmt auspragt und sein Gegensatz erst die Es-dur-Tonart. Dadurch aber wird weiterhin die naturliche Einfuhrung der G-dur-Tonart mit ihren nachsten Tonarten in ausgesprochenster Selbstandig- keit ermoglicht, und an dieser fortwahrend gesteigerten harmo- pjschen Entfaltung entwickelt sich das Ganze dann auch immer 127 mehr und mehr melodisch imd rhythmisch reicher bedacht, bis es sich nach dem Schluss bin in jener Combination des ersten Mo- tivs des ersten Satzes, mit dem gleicben des letzten gipfelt und dadurch den entsprechendsten Abschluss gewinnt. So bezeicbnet das Werk entschieden den Standpunkt der hochsten Vollendung der neuen Richtung auf instrument alem Gebiet. Der subjectiv zugespitzte Ausdruck hat ganz in der eigenartigen Weise, wie ihn unser Meister bisher gewonnen hatte, voUkommen entsprechenden objectiven Ausdruck gefunden, in den alteren Formen der Sonate. Jener erscheint nicht abgeblasst oder verwischt, sondern in seiner vollen beruckenden Wahrheit und uberquellenden Innigkeit, und diese ist so pracis herausgebildet und so organiscb entwickelt, dass sie iiberall verstandlich und iibersichtlich bleibt. Der Meister hat jetzt die Gewalt des Ausdrucks und die Formgebung ge- wonnen, so dass er nun auch keiner nahern Bezeichnung mehr bedarf, um nicht missverstanden zu werden. Schumann selbst vermochte auch das Werk nicht zu iiber- bieten; und nicht alle Werke dieser Periode stehen noch auf der Hohe gleicher Vollendung. Schon das in demselben Jahre entstandene verwandte Piano- forte-Quartett (Op. 47) ist nicht so hoch zu stellen. Die drei Streichinstrumente: Violine, Viola und Violoncello, vermochte er nicht so zu einem, das Clavier erganzenden, hebenden oder tra- genden Chor zu vereinigen, wie die vier des Quintetts. Wir ver- mogen jenen Zug innerer Nothwendigkeit, ihre Verkniipfung unter sich und mit dem Clavier nicht so unzweifelhaft zu erkennen, wie dort. Sie sind nicht so consequent aus der Idee der Form und ihrem speciellen Inhalt entwickelt wie dort, und die hierin be- dingte Unruhe der Gestaltung geht auch auf die Bildung der Form im Grossen tiber. Der Meister verliert sich wie der mehr in De- tailmalerei, unter der dann die consequente Formentfaltung leidet. Wie bewusst er diese aber jetzt erfasst hatte, beweisen die Phan- tasiestiicke ftir Pianoforte, Violine und Violoncello, die in dem- selben Jahre entstanden (als Op. 88 gedruckt). Er wollte sie Anfangs als Trio zusammenfassen; da sie aber seiner Anschauung von dieser Form weniger entsprachen, wahlte er dann die be- 128 zeichnendere, erwahnte. Die einzelnen Nummern: Romanze, Humoreske, Duett und Finale im Marschtempo tragen ganz die Form der friiher besproclienen PhantasiestUcke, nach dcm Bediirfniss der neu hinzutretenden Instrumente erweitert; inner- lich sind sie kaum mehr verbunden, als die einzelnen Nummern der alten, zu Haydn's Zeit gepflegten Cassatio oder Serenade. Mit diesen Werken batte Schumann voUstandig Besitz er- griffen von dem gesammten instrumentalen Gebiet. Die erweiterte Thatigkeit, die er mit aller Energie verfolgte, um die unum- scbrankte Herrschaft liber alle Mittel und Form en des musika- liscben Ausdrucks zu erreichen, musste natiirlich auch riickwirkend von Einfluss auf die friiher von ihm ausschliesslich gepflegten klei- nern Clavierformen werden. Dies bezeugen zunachst jene ^Varia- tionen fur zwei Claviere'\ welche im nachsten Jahre (1843) entstanden (als Op. 46 gedruckt). Das Thema schon ist so reich ausgestattet, dass es wie eine Variation des Grundgedankens er- scheint. Nur einer genialen Kraft, wie der Schumanns, wurde es moglicli eine Reihe neuer, immer prachtiger ausgeftihrter Varia- tionen zu entwickeln. Diese vertiefen auch nicht eigentlich den urspriinglichen Inhalt, der an sich schon in seiner ganzen Tiefe erfasst ist, sondern sie geben ihm nur eine fort und fort in immer reicher entwickeltem und complicierter verflochtenem Figurenwerk dargestellte Erweiterung. Jede Variation interpretiert das Thema, das dann wiederum in neuer, dadurch bedingter Gestalt eingefiihrt wird und in dieser Fassung eine neue Interpretation erfordert. So erscheint das Werk wiederum als die letzte und hochste, durch die vorhergehenden Arbeiten bedingte Consequenz der ahnlichen Arbeiten der friiheren Periode. Von den ^^Etudes symphoniques''' unterscheidet es sich schon der aussern Form nach. Dort ist jede Variation wie das Thema ein selbstandiger Satz, nur die dritte leitet unmittelbar nach der vierten tiber. In dem neuen Werk sind die Variationen unter sich wie mit dem Thema so voUstandig innerlich und ausserlich verbunden, dass sie nicht, wie in den ahnlichen Werken von Beethoven oder Schubert, als solche einzeln bezeichnet sind. Das Werk gewinnt damit mehr die Be- deutung eines Andante in Variationenform der Sonate oder 129 Symphonie; um ganz als solches gelten zu konnen, mtissten nur die Seiten- und Zwischenpartien weiter ausgefiihrt werden. Mit jenen ^,Etudes symphoniques''' hatte sich Schumann nur den for- mellen Apparat der Variationenform angeeignet; in diesem neuen Werk (Op. 46) macht er diesen dann zum Trager seiner erregten Innerlichkeit. Als Schlussstein dieser ganzen, bis in seine kleinsten Einzel- heiten folgerichtigen Entwickelung erscheint endlich jenes Werk, in welchem er all die Mittel und Formen der neuen Richtung auch den weitesten Dimensionen des musikalischen Drama's zu ver- mitteln suchte: „Das Paradies und die Peri'\ das im Jahr 1843 entstand. Mit gleicher Meisterschaft beberrschte er den vocalen Ausdruck wie den instrumentalen, und es bedurfte nur der Yer- einigung beider, um auch hier das neue Kunstwerk von monu- mentaler Bedeutung zu schaffen. Wie bekannt, ist der Text dem Gedicht von Thomas Moore „Lalla RooW entlehnt. Schon im Jahre 1841 war Schumann durch seinen Jugendfreund, Emil Flechsig, welcher auch die Ueber- setzung besorgt hatte, darauf aufmerksam gemacht worden, und obwol er sofort die hohe Bedeutung, welche dieser Stoff gerade fur ihn gewinnen musste, einsah und die Idee seiner Behandlung mit der ganzen Hast seiner Individualitat ergriff, kam er doch erst nach Yerlauf zweier Jahre zu ihrer voUen Verwirklichung. Sic bewies glanzend, dass Schumann wol nie einen entsprechenderen Stoff, dass dies Gedicht keinen berufeneren Meister zu seiner mu- sikalischen Behandlung finden konnte. Das Gedicht stammt aus jener romantisch verklarten Welt, in der Schumanns Phantasie am liebsten lebt; fiir deren Dar- stellung er einen so grossen Reichthum von Mitteln und Formen besass. Es ist dies nicht jene phantastische, mit leichten, luftigen Elfen, neckischen Kobolden und Poltergeistern bevolkerte Welt, aus welcher Mendelssohn seine Stoffe zu einigen vorziiglichen Ton- werken holte, sondern es ist die Welt der Wirklichkeit, in welche wir eingefuhrt werden, aber sie ersclieint in romantischer Ver- klarung, strahlend in der ganzen Farbenpracht und durchweht mit dem sussesten Duft des Orients. Die Personen, die uns vorge- 9 130 ftthrt werden, sind nicht nur phantastische Gebilde, nicht nur Schemen und Schatten einer andern Welt, sondern sie sind mensch- licli denkende und empfindende Wesen; denn auch die „Peri" er- scheint hier weniger als „das anmuthige Wesen der Luft", als welches sie die orientalische Sage fasst, sondern vielraehr verkor- pert zu menschlichem Denken und Fiihlen. Auf ihrem Fluge durch die Welt, suchend nach des Himmels kostlichster, liebster Gabe, welche ihr nach der Verheissung die Pforten des Paradieses, aus dem ihr Geschlecht eines Fehltritts halber verwiesen wurde, wie- der offnen soil, offenbart sich ihr und uns ein gut Theil nicht nur der Geschichte der Menschheit, sondern namentlich der Geschichte des menschlichen Herzens. Nur in diesem konnte sie des Him- mels kostlichste Gabe linden. Das Gedicht machte noch eine durchgreifende Veranderung nothwendig, welche Schumann selbst vornahm. Dass er die ursprunglichste Form des Oratoriiims, nament- lich der Passion beibehielt, halten wir fur voUkommen entsprechend. Einen eigentlich dramatischen Verlauf hat das ganze Gedicht nicht; es lag nicht der mindeste aussere oder innere Grund vor, es ganz ZLi dramatisieren. Selbst durch eine Behandlung, wie etwa die .^Walpurgisnacht''' wiirde es viel von seiner bilderreichen Ent- faltung haben einbtissen mtissen. Einzig entsprechend war es dem- nach, die urspriingliche epische Form beizubehalten und nach Art des alten Oratoriums den Erzahler einzufiihren, der in einfachen schlichten Worten die Thatsachen berichtet bis dorthin, wo eine mehr dramatische Darstellung derselben nothwendig wird. Wir leben an seiner Hand alles mit durch, und die einzelnen Per- sonen und die einzelnen Momente der Handlung werden uns leib- haftig vorgefuhrt. Wenn Schumann hierbei ein Vorwurf trifft, so diirfte es nur der sein, dass er bei der musikalischen Behandlung des Erzahlers sich nicht treu blieb. Dessen Partie musste ganz in der Weise behandelt werden, wie die eigentliche Erzahlung in der Ballade, den lyrischen oder dramatischen Momenten gegen- tiber. Wir sahen, wie in der Ballade ftir die eigentliche Erzah- lung eine mehr rhetorische Melodic festgehalten und nur dem speciellen Gange der Erzahlung gemass modificiert wird, und wie 131 nur die Darstellung einzelner lyrischer oder dramatischer Momente die voile Betheiligung der musikalischen Darstellung beansprucht. In dieser Weise musste auch Schumann, wie die alte Passions- musik, den Erzahler all den ausgefiihrten lyrischen oder drama- tischen Partien gegentiber halten. Er durfte nie aus der einfach ,rhetorischen Weise der Erzahlung heraustreten. Schumann weicht von dieser Behandlungsweise wesentlich ab. Er vertheilt sogar die Erzahlung an verschiedene Stimmen — Sopran, Alt, Tenor und Bass — meist wol nur um die Monotonie zu vermeiden; vielleicht auch verleitet durch den Stimmklang. Monoton musste die Erzahlung werden, weil Schumann auch hier nach formeller Abrundung in melodischer, weniger rhetorischer Gesangsweise strebt. Weil auch die wirklich ausgefiihrten Formen tiberall eng an das Wort anschliessen, so sind beide, Erzahlung und die aus- gefiihrten Formen, ihrem Charakter nach zu eng verwandt, da- durch wird nothwendig Monotonie erzeugt. Wenn Schumann wie Bach in der Passionsmusik den Erzahler in der einfachsten, schlich- ten Weise nur mit umsichtiger Notierung der Accente eingefiihrt hatte, wiirden sich die ausgefiihrten Nummern ganz anders her- ausheben, und in diesem Wechsel von Erzahlung und lyrischer oder dramatischer Entfaltung war Monotonie eben so vermieden wie bei Bach. AUerdings wiirden wir dann einige vortreffliche Nummern eingebiisst haben, wie: j,Jetzt sank des Abend golde- ner Scliein^\ allein die andern bedeutendern Musikstiicke batten entschieden gewonnen, und in diesem speciellen Falle konnte die Stimmung, welche Schumann so meisterhaft festhalt, instrumental weitergefuhrt und so das prachtige Bild vollendet werden. Von Schumann selbst dem Text hinzugefiigt sind die bei- den decorativen Chore der „Genien des Nils'", im zweiten y,der Houris''' im dritten Theil und der Schlusschor, wie die Scene der Peri: „Verstossen'\ das Quartett: „Peri, isfs walirT und das Tenorsolo mit Chor: „Gesunken war der goWne BalV; sie be- zeugen, wie bedeutsam dramatisch er seinen Stoff anschaute, und welch grosse Aufmerksamkeit er dem decorativen Element schenkte. Es ist dies in der Idee der Form begriindet. Das Orato- rium, und als solches ist ,,-Das Paradies und die Peri'''' zu be- 132 zeichnen, entbehrt der aussern Schaustellung. Die ortlichen, wie die zeitlichen Bedingungen, unter denen der dramatische Verlauf nur moglich ist, die im recitierenden Drama imd in der Oper durch Kostiim und Decoration gegeben sind, miissen im Epos durch Schilderung ersetzt werden; im Oratorium betheiligt sich an dieser die Musik mit ihrem ganzen und vollen Ausdrucksver-, mogen. Das hier vor unsern Augen sich abwickelnde Drama fuhrt uns abwechselnd durch die bluhenden Fluren Indiens, Afrika's und an die Pforten Edens. Unser Meister hat rait dem feinsinnigsten Verstandniss jeden Versuch, der Phantasie die letztern naher zu legen, vermieden. Es ist uberall nur eine, wie aus Licht gewobene, der Einleitung zum ganzen Werke ahnliche Beglei- tung, die uns mit dem Erzahler nach den Pforten Edens fiihrt. Mit verschwenderischem Luxus malt er dagegen das bliihende, lachende Leben des Orients. Jene Arie der Peri: „ic/i henne die Urnen, mit Schdtzen gefulW\ ist schon voll des gesattigten, iippigsten WoUauts, wie ihn nur der Gedanke an Indiens Himmel erzeugt. Die Violen-Figur erklingt wie das wunderbar-mystische Murmeln des heiligen Flusses, die Klange der Floten, Oboen, Hor- ner und Fagotto schweben und weben dariiber wie die Liifte In- diens, und die Trompeten erinnern an alte verklungene Sagen. Noch iippiger wird dann das Leben im folgenden Chor: „0 susses Land! Gotterpracht T und selbst die anschliessende Schilde- rung der Kriegsgrauel, welche das Land durchziehen, vermogen nicht ganz jenen prachtigen Glanz, der uber ihm liegt, zu truben. Diese, wie jene andere Schilderung der das Land verheerenden Pest, ist unserm Meister gelungen, wie Aehnliches wol keincm andern ausser ihm. Die Schilderung derartiger Zustandc hat grosse Gefahren. Ueber dem Bestreben nach moglichster Treue und Wahrheit derselben geht nicht selten die Schonheit ver- loren. Die Anwendung ausserer unkUnstlerischer Mittel zur Er- reichung des Effects, wie des Tamtam, der iibermftssige Gebrauch der Rassel-Instrumente ist zu verlockend, und nur wenige, nur die grossen Meister verschmahten sie als unwiirdige Mittel der musikalischen Darstellung. Auch Schumann hat sich ihrer voll- 133 standig enthalten. Er wirkt zunachst durch seine, vielfach von uns charakterisierte Harmonik, und durch deren in schallendster Figuration eingefuhrte Darstellung im Orchester. In dem wilden Marsch, mit welcliem er den Tyrannen „Gazna" einfuhrt, fehlt nicht die Piccolflote und die Banda (grosse Trommel und Becken), aber sie bringen ihre eigenste Klangfarbe mit hinzu, nur urn das Bild zu vollenden. Die der andern, weit wesentlichern Instrumente werden nicht wie sonst in der Kegel dadurch verdeckt, sondern nur gehoben; noch weniger aber erhalten sie selbstredend Bedeu- tung; auch ohne ihren Hinzutritt wiirde das Bild vollstandig er- kennbar bleiben. Nicht minder gelungen erscheint die Hindeutung auf die ode Stille, mit der sich driickend und schwer die Pest auf das Land legt, durch die grausenerregenden Accorde, die an Blaser und Streicherchor abwechselnd vertheilt sind. Ein wahres Cabinetsstiick reizender Decorationsmalerei, wie sie namentlich von der musikalischen Romantik gepflegt wurde, ist der Chor der Genien des Nils: y^Hervor aus dem Wasser ge- schwind'\ Der dreistimmige Chorgesang charakterisiert das leichte Volkchen ganz reizend und die Instrumentalbegleitung, mit der, von den Celli's eingeftihrten lebendigen Figur, die dann auch von Violen und Geigen aufgenommen wird und die, meist nur mit wenig leichten Accorden auftretenden Blaseinstrumente miissen das Bild auch ausserlich vollenden. Das wurdigste Seitenstuck hierzu bietet dann der Eingangschor des dritten Theils, der Chor der Houri's: „Schmucket die Stufen zu Allah's Thron'\ Er ist eben so realistisch wahr aufgefasst wie jener; es fehlen ihm denn auch nicht die Triangel, grosse Trommel und Becken, aber sie helfen nur den Rhythmus an einzelnen Stellen scharfer hervorheben. Ganz entsprechend ist auch das Quartett der vier Peri's: r>Peri^ isfs wahrT^ eine ahnlich gliickliche Zeichnung, wie die der leichtfertigen Schicksalsschwestern der Peri, ist nicht gar haufig in entsprechen- den andern Fallen gegliickt. Ueberhaupt hat Schumann weder spater noch fruher ahnliche Aufgaben so glucklich gelost, wie gerade in diesem Werke an den erwabnten Nummern. Neben ihnen treten nun, fast noch meisterhafter ausgefuhrt, jene heraus, 134 die den Verlauf des ganzen Ereignisses nach seiner innern Ent- wickelung darstellen, die den Schwerpunkt desselben nach innen verlegen. Die „Peri" ist eine der anziehendsten Gestalten, welche nur je mit den Mitteln des musikalischen Ausdrucks geschaffen wurde. Sie ihrem eigensten Wesen nach gewissermassen nur aus Duft und Luft zusammenweben und ihr doch eine sa sehnsiichtig ver- langende und heiss empfindende Seele einzuhauchen, vermag nur die Musik und zwar nur mit jenen Mitteln, welche ihr die Ro- mantik zugefuhrt hatte und die, wie wir weitlaufig nachwiesen, namentlich von Robert Schumann bis zu einem seltenen Reich- thum erweitert und zu einer bisher ungekannten Feinheit des Ausdrucks gesteigert wurden. Gleich im ersten Gesange der Peri: „ Wie gluchlich sie wandelrC erlangt der von Schumann so fein- sinnig umgestaltete Romanzenstyl entsprechende Verwendung, um die gluhende Sehnsucht der Peri nach dem verlorenen Paradiese mit den einfachsten aber erschopfenden Mitteln austonen zu lassen. Schon der Anfang der Strophe, der die Haupttonart (Fis-moU) erst durch eine Modulation uber die Unterdominant (H-moU) erreicht, ist so recht unserm Meister eigenthiimlich und charakterisiert die Stimmung zugleich ganz vortrefflich. Die Ver- heissung des Engels: dass die Schuld der Peri getilgt sei, wenn sie des Himmels schonste Gabe darbringe, erftillt ihr ganzes Wesen mit gluhender Hast, die sich namentlich in der Begleitung zu dem darauf folgenden, in gewichtigen Accenten dargestellten Recitativ ausspricht. In der bereits erwahnten, von indischer Glut erfiillten Arie lasst sie all die Schatze Indiens an ihrem Geiste voriiberziehn, und mit der wehmuthigen Gewissheit, dass unter ihnen die geforderte Gabe nicht sein konne, entschwebt sie vor unsern Augen. Auf dem Schlachtfelde sehen wir sie wieder, iiber dem Leichnam jenes edlen Junglings, der den Tyrannen und Unter- drttcker seines Vaterlandes mit dem Pfeil durchbohren woUte, und da er ihn felilte, unter seiner Hand fiel. Sie nimmt das letzte Tropflein Blut, das aus dem Heldenherzen drang, eh sich der freie Geist aufschwang, und unter dem jubelnden Gesang: „ASe{ 135 dies mein GesclienH^ steigt sie empor zu den Pforten Edens. Audi der Chor stimmt mit ein mid aus der Sentenz: ^Denn heilig ist das Slut, das fiir die Freiheit verspritzt vom Helderunuth. Sei dies dein Geschenk, willkommen dorterC\ entwickelt sich ein breiter, fugierter Schlusschor. Wie einst Haendel trachtet auch Schumann weniger nach einer sorgsam gesetzmassigen, als vielmehr machtig schallenden Verarbeitung des Thema's. Dadarch, dass er hier schon den ersten Theil abschliesst, erhalt der zweite Theil einen almlichen Verlauf wie der erste. Im zweiten Theil erscheint wieder die Peri vor Edens Thor, wird abgewiesen und auf ihrem wiederholten Fluge durch die Welt ergreift sie die zweite ver- meintliche Gabe fiir den Himmel. Im Jubel hieriiber schliesst auch der zweite Theil wie der erste, so dass dann auch der dritte wiederum wie der erste und zweite beginnt. Vielleicht ware es fiir die Anordnung des Ganzen zweckmassiger gewesen, den ersten Theil bis zur ersten Abweisung der Peri zu fuhren, wodurch der Schluss zwar weniger machtig aber jedenfalls spannender gewor- den ware. Dann wiirde der zweite Theil kiirzer, mehr als Epi- sode aufzufassen gewesen sein, und wenn er auch wiederum bis zur Abweisung geftihrt worden ware, wiirde die Gleichmassigkeit des Schlusses doch wol kaum so ermiidend geworden sein, als dort die Gleichmassigkeit der ganzen Construction. Jedenfalls ist die von Schumann angenommene Ordnung auch nicht vollauf begriindet; der erste und zweite Theil schliessen noch ehe sie zu Ende sind. Der Peri verkiindet der Chor der Engel: ^Viel heiVger muss die Gabe sein^ die dich zum Thor des Lichts Idsst einy Sie steigt trauernd wieder nieder zur Erde, und dort im Lande der Pest findet sie die zweite Gabe. Die Braut ist herbei geeilt nicht die schreckliche Krankheit, nicht den Tod scheuend, will sie mit dem Geliebten ihres Herzens, der bereits von dem Gift erfasst ist, vereint leben und sterben; ein rascher Tod fiihrt beide zu ewiger Vereinigung. Die Peri singt ihnen noch ein Grablied, weich und siiss, und indem der Chor einstimmt, schwingt sie sich wiederum auf nach den Pforten Edens, mit dem letzten Seufzer reinster Liebe. Hiermit schliesst der zweite Theil. Im Anfange 136 des dritten giebt uns der Chor der Houri's einen Einblick in den Himmel, nach der Anschauung der Indier. Die Gabe der Peri ist noch nicht die rechte und fast verzweifelnd wendet sie sich zuriick zur Erde. AUein mit erneuter Macht kehrt die Sehnsucht nach dem Paradiese zuriick und mannlich muthig gelobt sie sich ohne Rast und Ruh nach dem Kleinod zu suchen. Dieser ganze Satz (No. 20) ist ein Muster fiir die Charakteristik der Peri. Hier erscheint alles ausserordentlich leicht zusammen gewoben, und doch vol! mannlichen Muthes. Die Peri ertragt ruhig, aber schmerzlich bewegt, den Spott der leichtfertigen Schwestern. Den dann folgenden Eintritt der gliicklichen Losung der Aufgabe hat Schumann durch einen der wunderlichsten Satze bezeichnet, die er iiberhaupt schrieb (No. 23). Die Peri naht dem Ort, an dem ihr die Erfiillung ihres heissesten Wunsches werden soil; aus mancherlei Zeichen dammert ihr die ahnungsvolle Gewiss- heit auf, dass sie „hier gewahrt, was Eden offnet den siindigen Wesen" und Schumann fasst den Moment in seiner ganzen Grosse und Bedeutung auf, fiihrt ihn aber, wie uns scheint, mehr gro- tesque als wirklich gross aus. Die haufig wiederkehrenden gros- sen und kleinen Septimen in der Singstimme i ^i^ :6: M ein A - mu - let ein Zei-chen glanzt i s ?^ S^EJ S etc. dort ge - wahr' ich's auch ein Blatt, auf wel - chem und der vorwiegende, seltsame Rhythmus J, , . ^N machen die De- clamation mehr unstat und zerfahren, als wirklich bedeutsam und auch die in gedrangten, wechselnden Accorden einlierschreitende Begleitung vermag diesen Eindruck nicht zu verwischen, obwol der Meister versuchte, durch die vereinzelt auftretende Figur in den Celli's eine einheitliche periodische Glicderimg herzustellen. 137 Mit um so grosserer Meisterschaft ist die Peri im weitern Verlauf bis zu Ende geftihrt. Namentlich ihr Schliissgesnng: j,Freud\ ewge Freude^ mein Werk ist gethan"^ ist wie ein Sie- geshymnus gehalten, breit und glanzend. Wir wissen ihm nur ein, nach Stimmung und Ausdruck gleichbedeutendes ahnliches Musik- stuck gegeniiber zu stellen: das Duett im Fidelio: „0 namenlose Freuder Als vorziiglich in Auffassung und Ausfiihrung erwahnen wir noch jener ganzen Episode, welche uns die liebende Hingabe der Braut schildert. Fur solche innere Seelenzustande, wie sie uns hier vorgefiihrt werden, hatte sich namentlich Schumann einen unerschopflichen Vorrath von Ausdrucksmitteln angeeignet und selbst geschaffen. Mit jener Alt- (o der Mezzo-) Sopran-Arie: „Verlassener Jiingling^^ beginnt er eine Reihe der ergreifendsten Seelenzustande zu entwickeln, die ihren Gipfelpunkt in der Arie der Jungfrau: „ lass mich von der Luft durchdringerC linden, und dann in jenem erwahnten Grabgesange der Peri abschliessen. Ein wiirdiges Seitenstiick bietet dann hierzu wieder die Schlussscene von der Tenor- Arie: ^Sie schwebt empor'\ bis zum Siegesliymnus der Peri, in den auch der Chor einstimmt. Wie einfach und tief ergreifend ist der Gesang des bekehrten Morders und wie glanzvoll der Ton- satz, den Schumann mit Solo und Chorstimmen aus ihm entwickelt. So erscheint das Werk als der Gipfelpunkt, wenn auch nicht der ganzen Richtung, doch der Entwickelung Schumanns. Die ganze Fulle des von ihm zum Theil geschaffeuen, zum Theil um- gestalteten musikalischen Ausdrucks, hat er an einem bedeutsamen Ereigniss zusammen gefasst, iim ihn musikalisch Gestalt werden zu lassen. Die Mangel, die dieser Gestaltung anzuhaften scheinen, treiben aus derselben Richtung nothwendig hervor, die ihn immer drangt, mehr reich und mannichfaltig, als einheitlich zu entwickeln und zu bilden. Auch in der aussern Thatigkeit bezeichnet dies Werk: „Da8 Paradies und die Peri''' einen Ruhepunkt. Als Schopfungen des Jahres 1844 sind nur die Composition des Epilogs zu Goethe's ^Fausf und Arie und Chor zur Oper: „Der Corsar^' nach Byron zu verzeichnen. 138 Mancherlei aussere Umstande wirkten hier mit ein. Zunachst die Reise nach Petersburg, die Schumann mit seiner Frau Ende Januar 1844 antral. Der ausserordentliche Erfolg, den beide dort, wie in den auf der Hinreise schon beriihrten Stadten errangen, — Schumann durch seine Compositionen, und Clara durch ihr unver- gleichliches Klavierspiel — mag auf die weitern Unternehmungen und die Aenderungen in den aussem Lebensverhaltnissen des seltenen Kiinstlerpaares nicht ohne Einfluss geblieben sein. Ueber die speciellen Erlebnisse dieser Reise berichtet Schumann selbst in einem Briefe an Wieck'). Bald nach der, Anfang Juni erfolgten Riickkehr nach Leipzig, gab Schumann (Ende Juni) die Redaction der Zeitung auf, und im Herbst erfolgte seine Uebersiedelung nach Dresden. Am 8. De- cember veranstaltete das Kiinstlerpaar eine Matinee, nicht nur zum Abschied „auf ein halbes Jabr", wie man in Leipzig annahm, sondern auf immer, denn beide kehrten zu dauerndem Aufenthalt nicht wieder zuruck. Neben dem Umstande, dass Dresden der Gattin Schumanns fur ihre Wirksamkeit ein grosses Feld er- offnete, mag vor AUem die gesundere Lage der genannten Stadt bestimmend eingewirkt haben. Durch die anstrengenden Arbeiten und die aufregenden Ereignisse und Kampfe der letzten Jahre, war seine Gesundheit bedenklich erschuttert worden, und jene be- reits in seiner Studienzeit sich kund gebenden Symptome orga- nischer Leiden traten wieder in Besorgniss erregender Weise her- vor. Aus dem Bericht des Dr. med. Helbig^) ersehen wir, dass neben den, nach grossen geistigen und korperlichen Anstrengungen gewohnlichen Zufallen: Mattigkeit, Frost, Zittern und Schlaflosig- kcit sich auch wieder jene Furcht vor hohen Bergen und den hoch gelegenen Wohnungen, wie vor einem gewaltsamen Tode sich einstellte. Wie weit die specielle Beschaftigung mit der Musik zu „Fausf etwa noch besondern Antheil an diesen Erscheinungen haben konnte, woUen wir spater, bei Betrachtung dieser Musik, noch etwas naher untersuchen. Durch die liebevoUste Pflege wurde Schumann wieder so weit gekraftigt, dass er schon im nachsten 1) Wflsielewsky pag. 222 ff. 2) Ebend. pag. 230 ff. 139 Jahre sich wieder den ernstlichsten Arbeiten und Studien zuwen- den konnte. Die Briefe aus dieser Zeit enthalten zwar noch haufig Klagen iiber Storungen seiner Gesundheit, aber diese liemm- ten nicht sein Schaffen. Er widmete sich wieder dem Verkehr mit den Freunden: Ferdinand Hiller, Robert Reinick, Berthold Auerbach, Julius Hiibner und Eduard Bende- mann, den er wahrend jener Krankheit mied, und nahm audi an dem offentlichen Musikleben Dresdens regen Antheil. Als Directorialmitglied der durch Ferdinand Hiller begriindeten Abonnements - Concerte suchte er diese nach besten Kraften zu fordern. Wahrscheinlich wurden auch die contrapunktischen Studien des Jahres 1845 zum Theil durch diese Krankheitserscheinungen veranlasst. Sie gaben der, sonst gern fessellos, in unergriindbaren Gebieten sich verlierenden Phantasie, dem in selbstpeinigenden Griibeleien sich ergehenden Geiste eine bestimmte, weniger nach- theilige Richtung. Es darf daher recht wol angenommen werden, dass jene liebende Sorgfalt, die liber ihm mit so treuem Eifer wachte, auch hier auf ihn einzuwirken suchte, damit er der nervos aufregenden Thatigkeit entzogen und in die mehr beruhigende des blossen Formens gedrangt wurde. Bisher war er fort und fort be- mtiht, den Ausdruck auf das feinste zuzuspitzen und auszufuhren ; bei den contrapunktischen Formen gilt mehr die formelle Gestaltung, und er konnte sich weit friiher des Geschaffencn erfreuen, als dort. So entstanden: ,,Vier Fug en fur das Pianoforte" (Op. 72), „ Studien fur den Pedal -Flag eV (in canonischer Form) (Op. 56) und „o Fugen iiber den Namen ^^BacJi'^ fiir OrgeV^ (Op. 60); daneben noch die: „Skizzen fiir den Pedal- FlilgeV (Op. 58) und: ^Intermezzo, Rondo und Finale'\ als Schluss der ^^Phantasie fiir Pianoforte^^ — (als Concert — Op. 58 erschienen). Endlich wurde auch die ^^Symplionie in C-dur^' skizziert. Fiir den Pedal- fliigel zu componieren wurde er wahrscheinlich dadurch veranlasst, dass im Leipziger Conservatorium ein derartiges Instrument fiir die Studien eingefiihrt worden war, und dass es tiberhaupt damals schien, als soUte es eine weitere Verbreitung finden. Hierbei woUen wir nicht unberiihrt lassen, dass auch Schumann bei dem, 140 unter Mendelssohn's Oberleitung in Leipzig, Ostern 1843, eroffne- ten Conservatorium fiir Musik mit dem Unterricht in der Com- position, dem Pianoforte- und Partiturspiel betraut worden war; er lehrte mit geringer Unterbrecliung bis zu seinem erfolgten Ab- gange von Leipzig; weshalb wol mit nur geringem Erfolg, das wird uns spater klar werden. Die Studien fiir den Pedalflugel sind nach Art der Bach- schen zweistimmigen Inventionen gehalten, nur ist der Pedal- bass Oder auch eine voUstandige Begleitung hinzugefiigt. Wir wis- sen langst, dass Schumann nie nur die Absicht hat, alte For- men nachzubilden, sondern dass er sie durch einen neuen Inhalt zu beleben und umzugestalten sucht, und so entspricht auch in den vorliegenden Studien nur die erste noch ganz den Inven- tionen; alle ubrigen sind Duette von zwei selbstandigen Stimmen, in No. 2, 3 und 4 zwei Oberstimmen; in No. 5 der Ober- und eine Unterstimme und in No. 6 dann von Sopran und Tenor aus- gefiihrt, denen wieder eine gleichfalls moglichst selbstandige Be- gleitung hinzugefiigt ist; namcntlich No. 4 und 6 sind von echt Schumann'schem Geiste durchdrungen. Das aber ist die rechte Verjiingung der alten Formen, wenn die Thema- tik vom neuen Geiste erfullt ist, wenn sie unmittelbar aus ihm hervortreibt und wenn dann ihre Yerarbeitung streng nach den ewigen Gesetzen der Form erfolgt wie hier. Hatte unser Meister die Natur des Instruments, fiir welche er diese canonischen Studien schrieb, mehr beriicksichtigt, wie einst sein Vorbild, der Altmeister Job. Seb. Bach, so wiirden wir sie unbedenklich dem VoUendetsten beizahlen miissen, was er iiber- haupt geschaffen hat. Allein die einzelnen Stimmen werden oft so hart an einander gedrangt, sie durchkreuzen sich haufig so, dass ihre Selbstandigkeit nur durch verschiedene ausfiihrende Organe gewahrt werden konnte, dass diese bei der Ausfuhrung vom Cla- vier kaum dem geiibtesten Ohr erkennbar ist Die vier Fugen (Op. 72) zeigen dagegen wieder oft eine StimmfUhrung, die wol in seiner eigenthumlich polyphonen frUheren Weise zu rechtfertigen ist, nimmer aber in der, vom Gesange be- dingten. Fine Stimmfiihrung, wie beispiels weise folgende: 141 (Op. 72, Fvge 3). m =t=fp-rtTT'=i=f=T^- £=^-f= ^-f— »- I — r ^ir=t=ft ^ »^ ? i fc* ISeS ^iE^ ist zum mindesten wenig geschickt, wenn man sie nicht geradezu als verderbt bezeichnen muss. Schumann folgt hier noch immer wie in jener Fughette aus Op. 32 mehr dem Zuge, das Thema charakteristisch harmonisch zu gestalten, als es frei und seinem innersten Gehalt nach zu entwickeln. In den 6 Fugen iiber den Namen Bach gelang es ihm weit mehr den ideellen Gehalt seiner Themen immer machtiger darzulegen; diese sind ihm hier nur ein formelles Band. Wir konnten schon mehrfach darauf hinweisen, dass Schu- mann diesem grossten und einzigen Meister des Contrapunkts hSchste Verehrung zollte, dass er ihn immer und immer wie- der fleissig studiert. „Da rette ich mich immer in Bach," schreibt er an Frau Henriette Voigt, „und das giebt wieder Lust und Kraft zum Wirken und Leben," und an Keferstein (un- term 31. Januar 1840): „ Mozart und Haydn kannten Bach nur seiten- und stellenNveise, und es ist gar nicht abzusehen, wie Bach, wenn sie ihn in seiner Grosse gekannt, auf ihre Production ein- gewirkt haben wurde. Das Tiefcombinatorische, Poetische und Humoristische der neuen Musik liat ihren Ursprung aber zunachst meist in Bach. Mendelssohn, Bennet, Chopin, Hiller, die gesamm- 142 ten Romantiker (die Deutschen mein ich immer) stehen in ihrer Musik Bachen wait naher, als Mozart, wie diese denn sammtlich auch Bach aufs Griindlichste kennen, wie ich selbst im Grunde tagtaglich vor diesem Hohen beichte, mich durch ihn zu reinigen und zu starken trachte." Diese 6 Fugen nun geben ein vollgiiltiges Zeugniss, wie tief Schumann nicht nur in den Geist Bach's, sondern auch in seine Technik eingedrungen war, und wie er mit dieser seine eigene wiederum neu zu gestalten versuchte. Gleich die erste Fuge zeigt die alte Form in eigenthtimlicher Fassung. Das Thema selbst ist durchaus von Bach'schem Geiste durchgluht; aber schon in der ersten Durchfuhrung, die sonst treu nach der alten Anschauungsweise erfolgt, stossen wir auf eine wesentliche, in einer andern Auffassungsweise begriindete Ab- weichung. Es ist dem jiingern Meister nicht nur darum zu thun, durch die regel- und schulgerechte Verarbeitung des Themas die Form zu gewinnen, sondern vor allem darum, den ideellen Ge- halt desselben moglichst auszubreiten und plastisch zu gestalten. Daher gilt ihm auch hier das Thema nur als Gefass fiir diesen Inhalt, und er verandert es, wo dieser es verlangt. Eine solche Veranderung erleidet das Thema der ersten Fuge schon bei sei- nem Wiedereintritt als Fuhrer. Der Gefiihrte hat ihn nach der Dominant gefiihrt, die den Eintritt des Filhrers natiirlich nicht gestattet; ein Uebergang von auch nur einem halben Tact er- schien allerdings wenig in der Idee geboten, und so zogert Schu- mann nicht, das Thema zum zweiten Mai schon rhythmisch verandert einzufuhren: 1^ in derselben Gestalt nimmt es dann gegen das Ende der ersten Durchfuhrung der Bass noch einmal auf; hiermit hat es dann 143 f- solche Bedeutung gewonnen, dass es in der zweiten Durcbfiihrung, welche nach einem kurzen, aus dem ersten Thema entlehnten Motiven gewobenen Zwischensatz eintritt, abwechselnd mit dem urspriinglichen erscheint. Die sich daran schliessende Stretta (y,Nach und nach immer schneller und starker''') ist wiederura eine der Fuge bisher fremde Neuerung, die in der Eigenart des Themas ihre voile Berechtigung findet. In ihr wird nur die erste Halfte des Thema's verarbeitet; die zweite bildet in der Eng- fuhning auftretend die Gegenbarmonie, und so geht das Ganze in der breitesten und voUsten harmonischen Darlegung zu Ende. Auch das Thema der zweiten Fuge ist itn Bach'schen Geiste erfunden und ausgeftihrt. Hier sind es vor allem die, aus der veranderten Darstellung des ersten Theils des Thema's gewonnenen Mittelsatze, welche uns speciell interessieren, weil sie aus der Idee der Nothwendigkeit des Contrastes, wie er sich in der modernen Instrumentalmusik, nicht aber in der alten Fugeuform geltend macht, hervortreiben. Diese Idee des Contrastes ist hier so stark in unserm Meister geworden, dass er sich zur Darstellung des I Tacts innerhalb des \ Tacts gedrangt fiihlt; eine Neuerung, die wiederum aus dem Bestreben hervorgeht, die alte Technik mit dem neuen Geiste zu vereinigen. Kaum einen hohern Wertb, als den einer Studie hat die dritte Fuge. Schon dass das Thema bei seinem ersten Eintritt zweistimmig erscheint, ohne dass dadurch die weitere Durchfuhrung irgend^Yie beeinflusst wiirde, ist schwer zu rechtfertigen, vor allem aber hindert die grosse Monotonie des vorherrschenden Rhythmus : } n } n die Entfaltung des Ganzen zu grosserer Bedeutung. Das Thema tritt meist nur accordisch harmonisiert auf und dem entsprechend sind auch die Zwischensatze gehalten. Um so bedeutender ge- r stalten sich die letzten drei Fugen. Nach zweien, eng in einander gefligten Durchfiihrungen bringt die vierte Fuge neue Durchfah- rungen, in welchen auch das Thema in der Gegenbewegung er- scheint, aber so wie es dieser Fuge zu Grunde liegt, nur einige mal; Yorwiegend in der Gestalt wie es aus dem Namen Bach 144 hervorgeht und namentlich wieder nach dem Schluss bin sind alle Mittel der modernen Richtung verwendet. Das Thema der fiinften Fuge ist wieder ganz im Geiste der neuen Richtung er- funden und dann nacli den alten Gesetzen der Form verarbeitet. Auch bier weiss er wieder die Form im Sinne der neuern In- strumentalmusik zu gestalten, indem er das Tbema in der Ver- grosserung ganz nach den Regeln der alten Schule fasst und es dann wirklich contrastierend dem ersten Thema gegentibersetzt. In der letzten endlich, in welcher das Thema wieder einfacher construiert ist und dann mit alien Mitteln der Fugenarbeit durch- gefuhrt wird, ist eS namentlich die ganz im neuen Geist der ro- mantischen Richtung erfundene Gegenharmonie, welche die Form im Lichte dieser neuen Richtung erscheinen lasst. Schon das nachste, noch in demselben Jahre skizzierte, und im folgenden Jahre (1846) vollendete grossere Instrumentalwerk, die zweite ') Symphonie (in C-dur als Op. 6 1 gedruckt), zeigte den ausserordentlichen Werth dieser contrapunktischen Studien fiir die kiinstlerisch vollendete Ausfiihrung der grossern Orchester- werke. Direct einflussreich zeigen sie sich namentlich im Finale dieser Symphonie, in den dem Hauptsatz gegeniiber gestellten Gegensatzen, welche aus der kunstlich contrapunktischen Yerar- beitung eines Motivs in der geraden wie in der Gegenbewegung erwachsen: Floten. Oboenn.CIarinetten Fagotte. 1) Eigentlich dritte Symphonie, da ihr die, schon 1841 mit der B-dur-Symphonie zn- gleich componierte, aber 1851 erst Gberarbeitete nnd dann nla Op. 120 veroffentlichte D-moll-Symphonie Toransgeht. 145 wie in dem, mehr an die alte Schule erinnernden einfachen Con- trapunkt, auf dem der Hauptsatz des Scherzo beruht, der sich im zweiten Trio dcsselben und im Adagio wie im Schlusssatz mehrfach geltcnd macht und den einzelnen Satzen nicht nur gros- sere formelle Festigung verleiht, sondern auch einen grossern ein- heitlichen Zusammenhang der einzelnen unter einander verniitteln hilft. Diese Einheit des Ganzen ist ihm diesmal ganz besonders Bedurfniss gewesen. Die einzelnen Satze sind nicht nur einander ideell nahe verwandt, sondern sie nehmen auch \lGlfach formell auf einander Bezug. Bemerkenswerth nach dieser Seite erscheint zunachst das stetige, fast monotone Festhalten des urspriinglichen Haupttons — C — . Der Einleitung, dem ersten, zweiten und dem Schlusssatz liegt die C-dur-Tonart zu Grunde; dem Adagio Anfangs die getrubte C-dur-, die C-moU-Tonart, am Schluss wie- derum die C-dur-Tonart. Das ist eine der bezeichnendsten Er- weiterungen der neuen Richtung, dass sie nicht mehr nur die, durch die alten Meister und die alte Schule sanctionierte Dar- stellung der Tonart beibehalt und iibt, sondern dass sie hier wirk- lich neu schaffend und neu gestaltend eingegriffen hat. Schubert namentlich fasste den Begriff Tonart ungleich weiter und tiefer als seine Vorganger und fand eine grosse Menge neuer Mittel, um die Tonart reicher und zu grosserer subjectiver Wahrheit herauszubilden. Wie Schumann sich diesen Apparat aneignet und ihn wiederum in eigener Weise erweitert und umgestaltet, haben wir weitlaufig nachzuweisen versucht. In dieser Symphonic findet nun die neue Construction der Tonart die weiteste Anwendung auf instrumentalem Gebiet. Die Einleitung gewinnt die C-dur- Tonart erst von der Unterdominant (F-dur) aus; zeigt also eine Erhebung von dieser nach der Tonika, und auch der erste Satz, der mit der Tonika beginnt, stiitzt sich noch viel mehr auf die Unterdominant, als auf die Dominant. Diese wird erst am Schluss des ersten Theils durch eine wirkliche Modulation erreicht. Der Vordersatz schliesst mit einem Halbschluss auf der Dominant; der Nachsatz wendet sich bald nach der Obermediante : — Es- dur — wodurch diese ganze Bewegung mehr einen MoU-Charakter 10 146 erhalt; denn die natiirlichste Erhebung in Moll ist die Wendimg nach der Obermediante. Aehnlich verhalt es sich mit dem Scherzo \ nur dass hier die Wendung nach der Obermediante noch bestimmter von vorn- heiein ausgepragt ist, als dort. Die Tonika erscheint hier viel- mehr anfangs als Dominant von F-moll. Die harte Dominant- tonart wird geflissentlich vermieden; dafur aber wird die G-moU- Tonait eingefuhrt. Im ersten Trio erst gelangt die Dominante der Haupttonart zur Herrschaft, aber niclit so, dass die Erinne- rung an die Obermediant ganz verwischt wurde. Im zweiten Trio, welches nach der Wiederholung des eigentlichen Scherzo eintritt, wird dann die A-moll-Tonart mit stark ausgepragter Wendung nach der grossen Obermediant der Haupttonart — E-moll — vor- wiegend festgehalten. Diesem zweiten Trio schliesst sich die zweite Wiederholung des eigentlichen Hauptsatzes an und in der ange- hangten Coda wird alsdann die C-dur-Tonart fester ausgepragt, aber vorwiegend mit Htilfe des mehr den Moll-Charakter tragen- den kleinen Nonenaccordes und des aus ihm hergeleiteten vermin- derten Septimenaccordes. Das Adagio verfolgt die alte Modula- tionsordnung von C-moU, wiederholt dann aber seinen zweiten Theil in C-dur und schliesst auch in dieser Tonart, doch wiederum vorwiegend als Unterdominant von F-moll gefasst, also in plaga- lischer Wendung. Der Schlusssatz erst beginnt dann gleich mit einer energischen Wendung nach der Dominant, in welcher denn auch das erste Thema einsetzt; als es dann aber in der Tonika — C-dur — erscheint, hat der Meister von ihr so fest Besitz ge- nommen, dass er sie nicht eigentlich wieder veriasst; dass alle die fremden Modulationen, welche er noch aufnimmt, nur die Be- deutung der Tonart als tonische feststellen helfen mtissen; dadurch aber erhalt dieser Satz den siegesfreudigen, mannlichstolzen Cha- rakter, wie ihn kaum ein anderer Orchestersatz Schumanns, noch weniger aber der eines andern nachgeborenen Meisters zeigt. Weun wir ferner die Weise, wie die Satze in einander gefUgt und auf einander bezogen werden, etwas genauer betrachten, wird uns der ideelle Gehalt dieses Meisterwerks auch ohne specielles Pro- gramm klar werden. U7 Die wesentlichsten Motive, namentlich des ersten Satzes, bringt gleich die Einleitung: ,^ ^ P^t?: U^^fSddd E V aus der zweiten Halfte wird der Vordersatz des ersten Allegro entwickelt: Allegro ma non trqppo. ^. Viola. §L4 i ^ ^ i i ^^m w ^ m i :^rL=7t li * I ft- — ^ #ii — '- _»- » trr— i^< t;;=^ 10* 148 die zweite Haifte erscheint dann, mit der ursprunglichern gleich- falls in der Einleitung schon enthaltenen Fassung: I ::#=^i- A=A A=t ^ ^L^^^^ fe t IJ: in Verbindung: ± Bl. ^^ U I 4 h -1 «r « J^S^^-^ T €- ^£^?^^ sf 'i=^=.^^- --r- Str.' iiE^E fe %^. + -^ 4- -^ 4 Hi I ^mm BI. «/* -^ d_J^- } ^ ^"^ i: t_ als Ueberleitungssatz zum zweiten Hauptsatze; in welchem wle- derum der Contrapunkt der B^sse zu dem Solo der Horner, Trompeten und der Altposaune aus der Einleitung: 149 Trompeten, H5rner, Alt-Posaune. ^-^-l lUUiTTi iUUhl I ==i TZIr f-f-rt-r-^ eine eigenthumliche Einfuhrung gewinnt: — ^""^"^ — I sfp ■ ^ f If etc. ^^^^m^^^^^^^ V ^ Jeiies Solo der Blechblaseinstrumente aber kehrt mehrmals wieder, namentlich am Schlusse des Finale, in welchem auch das andere Motiv der Einleitung Aufnahme fiudet: 150 s ' 1 ^ :;5r^ r f f , 2^^¥=^=t -rri Die Einleitung erlangt also hier eine wesentlich andere Bedeutung als in der alten Symphonie, selbst als in der ersten unseres Mei- sters. Dort bei den altera Meistera dient sie nur als Vorbereitung. Sie soil uns in die Stimmung versetzen, welche das Verstandniss und der kiinstlerische Genuss des dann folgenden "Werkes vor- aussetzt. Hier, bei dem jiingern Meister erscheint sie gewisser- massen als das Motto, das den ideellen Inhalt der Geschichte seines Herzens, die er uns erzahlt, zusammengefasst entbalt, und das er deshalb zum sofortigen Verstandniss und Erfassen vorsetzt. Die Ricbtung, welcber unser Meister angehort, ist nicbt von gros- sen, welterscbiitternden Ereignissen oder von den Wundern der Natur erfiillt; sie bolt ihre Objecte nicbt aus der Gescbicbte der Menscbbeit, sondern aus der Phantasie und dem Herzen des Ein- zelsubjects. Wie nun ein einzelner Zug desselben symphoniscb sicb darlegen lasst, das bat Scbumann in dieser Sympbonie scbla- gend gezeigt. In der Einleitung wird er scbou, geweckt vom Mabnruf der Horner, Trompeten und Posaunen lebendig, und in den folgenden Satzen verfolgt ibn der Meister mit der ibm eigenen Sorgfalt in alle seine Einzelbeiten eindringend. Immer neue Ge- stalten und Bilder erscheinen vor seinem Auge und Ohr, die er immer reicber entwickelt an der Einleitung als dem formellen und ideellen Bande festbaltend. Daber ist er veranlasst, die Normal- tonart vorwiegend festzubalten in immer neuer und eigentbtim- licber Construction. Wir woUen kein Programm scbreiben, vor dem der Meister selbst eine so tiefe Abneigung batte; nach dem Vorangegangenen wird es nicht schwer sein zu erkennen, wie er seiner Stimmung immer mebr Herr wird, wie sie in der Ein- 151 leitung wenigor als im ersten Satze noch schwankt zwischen leiden- schaftlicher Erregung und stiss wehmtithiger Schwarmerei; wie sie sich dann im Scherzo zum gliickselig hinaussturmenden Hu- mor, dem auch die ernstselige Seite — im zweiten Trio — nicht fehlt, steigert, um dann, aber nur auf kurze Zeit, im Adagio selig schwarmender Selbstvergessenlieit zu verfallen, aus welcher sie sicli wieder im Finale zu jubelnder, weltstiirmender Gliickseligkeit erbebt. Nicht auf derselben Stufe der YoUendung stehend erscheint uns das noch im Jahre 1845 beendete Concert fur Pianoforte mit Orchesterbegleitung (als Op. 54 gedruckt). Die Darstellung des Wettstreits zwischen virtuos-indivi dueller Ausbildung und der Gesammtheit des Orchesters, auf welcher die Idee des Concerts beruht, entspricht zu wenig der von Schumann eingeschlagenen Richtung, als dass er sich ihr ganz hinzugeben vermochte. Den Verein der Instrumente im Orchester als eine Gesammtheit zu fassen, der er seine eigene Individualitat gegeniiber stellen sollte, wurde ihm schwer; er zieht die Instrumente viel lieber in Mitlei- denschaft und giebt ihnen den gleichen Antheil an der Darlegung seiner ludividualitat wie dem Flilgel, so dass das Concert eigent- lich eine Sonate mit Orchesterbegleitung wurde. Die Behandlung des Concertinstruments entspricht gleichfalls nur theilweise den Anforderungen eines Concerts. Schumann vermochte wol interes- santes und charakteristisches Figurenwerk zu erfinden, nicht aber brillantes im Sinne des Concerts. Dennoch ist er augenschein- lich bemuht, auch dieser Anforderung zu geniigen, ohne viel mehr zu erreichen, als dass er das, bei ihm sonst so tippig empor- wuchernde Figurenwerk abschwacht zu wenig bedeutungsvollen Begleitungsfiguren. Diese offenbare Schwache des Werkes wird um so empfindlicher, als es sonst nicht weniger bedeutend ist, wie die besten Werke dieser Periode. Ja in Bezug auf Erfin- dung und Verarbeitung der Themen erscheint es als eins der reifsten Producte dieser Richtung. Namentlich der erste Satz treibt ganz aus dem Boden der ^^Phantasiestucke'^ der ersten Pe- riode hervor'), Er wird vorwiegend aus dem ersten Thema: 1) Er ist 'bereits 1841 entstanden nnd wurde auch von Schumann Anfangs als Phan- tasie bezeichnet. 152 Si^^^^Ei^l^S: Clar. Fag. S^: =88 I :t=t: ^^^mm r das, nach einer dreitactigen ausserst charakteristischen, vom Piano- forte allein ausgefiihrten Einleitung, zuerst von den Holzblaseinstru- menten und dann vom Pianoforte tibernommen wird, gebildet. Kaum dtirfte Schumann noch ein Thema erfunden baben, das ebenso breit angelegt und gleich markig, doch so von roman- tischem Dufte durcbwebt ist, als dieses. Fulle der Harmonik, eine bertickende Siisse der Melodik und die reizvollste Bebandlung der Synkope — diese Hauptkennzeicben der neuen Ricbtung, vereinigen sich bier in ganzer Yollendung. Schon das zweite Motiv ist weit weniger bedeutend; mebr romantisches Spiel mit Klangeffecten: ^i^^^^lfe^E^^p 9fc ;2^: if* f-- 153 und auch in der weitern Verarbeitimg und Umgestaltung vermag unser Meister nicht es bedeutsamer zu machen. Er ftihlte das wol selbst. Fiir den Mittelsatz erfindet er noch ein neues Motiv: bezieht aber die Verarbeitung beider so entschieden und energisch immer wieder auf das erste Motiv, dass dies immer als Hauptsatz den ganzen Satz beherrscht. Um es im zweiten Theil in C-dur einfuhren zu konnen, lasst Schumann das zweite Motiv, zunachst "wie oben angegeben, in der Dominant dieser Tonart eintreten und stutzt die weitere Entwickelung desselben auf die Unterdominant. Nachdem dann das Haupttbema in Verbindung mit dem ersten und zweiten Seitensatz in C-dur verarbeitet ist, wird sein harmonisch wie rhythmisch erweiterter Eintritt in As-dur (^ Tact; Andante espressivo) nicht nur moglich, sondern nothwendig. Die erweiterte und reicher ausgefuhrte Einleitung zum ganzen Satze leitet dann wieder zu einem weit ausgesponnenen, meist aus dem Anfangstact des Hauptthemas entwickelten Zwischensatz, der den neuen Ein- tritt des ersten Hauptsatzes in der Haupttonart vorbereitet. Das zweite Thema bereitet dann wieder in seiner Verarbeitung den Einsatz des Hauptthemas in der gleichnamigen (A) Dur- Tonart vor, in welcher auch die weitere Entwickelung erfolgt bis zur Cadenz, die unser Meister, abweichend von der altern Weise, vollstandig ausfiihrt, und zwar in der ursprunglichen Tonart. Ein y, Allegro molto'^ aus dem Anfangstact des Hauptmotivs entwickelt: Clar. >^ 4- e -t mmm^ 154 schliesst diesen Satz. An Stelle des Adagio schreibt Schumann ein y^Intermezzd'\ das allerdings in seiner graziosen Fassung einen bessern Gegensatz zum ersten Satz bildet, als ein Adagio, dem schon durch das Andante des ersten Satzes alle Wirkung genom- men war. Das Motiv des y,Allegro moltd'\ mit welchem der erste Satz schliesst, leitet dann zum Finale hinuber, das ganz im Sinne der alt em Rondoform gehalten ist. Das am moisten cha- rakteristische Motiv dieses Satzes erwahnen wir hier, weil es na- mentlich die veranderte Stellung gegen Schubert bezeichnet: I l+t^^-^ — I — «; i^^»=^^ VV il — ■^- ^ I I I I I I W^ ^i^^^^^m i i^ESE£3^^*=5=f= --^ r^- tf? i UlUi U SS^^^^^I^SS Der Mangel eines bestimmten Darstellungsobjects, und die Lust am schwelgerischen Spiel mit ungewohnlich wirkenden Harmonien und Melodien erzeugen bei Schubert oft eine gleichmassige rhyth- mische Construction, die nicht selten monoton wird. Schumann dagegen legt seine Themen schon oft so mannichfach rhythmi- siert an, dass die weitere rhythmische Anordnung zu grossern Partien dadurch erschwert wird. Die haufige Einftihrung der Syn- kope, das allerdings wirksamste Mittel rhythmische Monotonie zu 155 venneiden, wird spater bei ibm zur Manier. Um die rhythmische Anordnung im Grossen mannichfaltiger zu machen, fuhrt er dann das Thema auch in vcrschiedenen Tactarten ein, wie im ersten Satz des A-moll-Concerts, in welchem das Thema im |, im 2 ^md im I Tact erscheint; oder er setzt in demselben Satz verschiedene Tactarten einander gegenuber, wie beispielsweise im Scherzo des Es - dur - Quartetts, in welchem das erste Trio ganz bestimmt den I Tact gegen den ^ Tact des Scherzo und des ersten Trio's aus- pragt. Ein bei weitem kunstlerisches !Mittel zur mannichfaltigeren Gestaltung des Rhythmus ist naturlich die oben angefiihrte Dar- stellung des | Tacts innerhalb des I Tacts. Aus dem Jahre 1846 sind nur noch die als Op. 55 und 59 gedruckten Chorlieder zu erwahnen, die wiederum auch auf diesem Gebiete seine voile Mei- sterschaft bekunden. Die Lieder von Burns (Op. 55) bestatigen, was wir frtiher iiber das Verhaltniss Schumanns zu diesem Dichter bereits andeuteten. Namentlich „Das Hoc1ilandmddcherC\ „Mich zieht es nach dem Dorfchen TiirC und r,Der HochlandburscV sind echt volksthiimlich gehalten, und doch auch ganz kunstlerisch im Geiste Schumanns empfiinden. Dass er auch ^ZahnweK' compo- nierte kann man verwerflich finden; allein die Schlussstrophe, in welcher der Dichter der an und fiir sich allerdings etwas prosai- schen Anschauung eine mehr poetische Wendung giebt, vor allem aber die meisterliche Art, ^Yie Schumann das Gedicht erfasste und musikalisch ausfuhrte, rechtfertigt auch diese Composition hinlang- lich. Weniger dagegen erscheinen uns die Texte der vier Lieder in Op. 59 ') fur gemischten Chor geeignet. „Nord oder Sud'^ von Lappe eignet sich in seiner mehr didactisch lehrhaftcn Weise wol iiberhaupt wenig zur Composition, und Schumann kommt auch bei seiner etwas trocknen Declamation zu keiner rechten Stim- mung. Die andem drei Lieder aber: „Am Bodensee'^ von A. v. Platen in zwei Theilen, „Jdgerlied''' von Morike und „ Gute Nacht" bringen eine, dem Chorklange nur verwandte Stimmung ent- gegen; diese kommt daher auch nicht recht in der, Schumann 1) Enthalt eigentlich funf Lieder: Platens Lied bestcht ans zwei, von Schumann zn- sammengefassten Liedern. 156 eignen Vertiefung zur Darlegung, und auch der Chorklang gelangt zu keiner rechten Wirkung. Gegen das Ende des Jahres unternahm Schumann mit seiner Gattin eine Kunstreise nach Wien und hier, wie in Prag, wo das Kiinstlerpaar auf der Riickreise zwei grosse, stark besuchte Concerte veranstaltete, wurden beide mit der grossten Auszeich- nuug aufgenommen. Die vier Concerte in Wien, wie die beiden in Prag, erwarben dem seltenen Paar wieder eine grosse Zahl neuer Freunde und erhohten die Verehrung der altern. Einen weniger gunstigen Boden fur seine Bestrebungen fand Schumann im Norden. Die Berliner Singakademie hatte um dieselbe Zeit fiir das eine ihrer alljahrlich stattfindenden Abonnements-Concerte Schumann's: „Das Paradies und die PerC gewahlt. Die Auf- fuhrung erfolgte im Marz 1847 unter personlicher Leitung des Componisten. Eine Reihe zusammenwirkender, misslicher Um- stande schmalerten und beeintrachtigten den Erfolg. "Wie sorg- faltig auch das Werk durch die Singakademie einstudiert war, sie vermochte es doch nicht eigentlich im Geiste des Componisten auszufiihren, weil ihr dieser noch zu fern und fremd gegeniiber- stand. Seit ihrer Griindung im vorigen Jahrhundert hatte sie sich fast ausschliesslich der Pflege des altkirchlichen a capella-Gesanges, wie der Oratorien Haendel's, der Cantaten Bach's und anderer Werke dieser Richtung unterzogen; wie wenig diese aber allein geeignet waren, in den Geist der Werke der neuen Richtung einzufiihren, bedarf keines weiteni Beweises. Nur unmittelbar aus diesem Geiste heraus sind selbst die technischen Schwierigkeiten, welche das in Rede stehende Werk Schumann's bietet, voUstandig zu uber- waitigen. Dazu kam noch, dass der Singakademie in jener Zeit auch nur ein, meist aus Dilettanten bestehendes Orchester zu Ge- bote stand, so dass der, gerade bei diesem Werke so hoch wich- tige instrumentale Theil selbst technisch nur ungenttgend ausgeftthrt werden konnte. Doch war es immerhin moglich, beide, Chor und Orchester, unter einer gewandten, umsichtigen Leitung zu einer cntsprcchenden AusfUhrung zu vereiuigen. Wie wenig aber Schu- mann dazu geeignet war, ist hinlanglich bekannt. Das Directions- talent war bei ihm voUstandig unentwickelt, und Sangern und In- 157 strumentalisten durch kurze Andeutungen tiber seine Intentionen das Studium seiner Werke zu erleichtern, vermochte er ebenfalls nicht. So ist es erklarlich, dass das vortreffliche Werk nur ge- ringen Erfolg hatte, bei einem Publikiim, das wol noch weniger far das voile Verstandniss desselben vorbereitet war, als die Aus- fiihrenden. Obwol sich einzelne Stimmen fur die Bedeutung des Werkes erhoben, die Ausftihrung blieb ziemlich crfolglos, und erst in spatem Jahren, namentlich durch die Bestrebungen eines Julius Stern nnd Robert Radecke vermochte der Meister mit seinen Werken in Berlin festen Fuss zu fassen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die in Berlin gemachten Erfahrungcn namentlich ihn bestiramten, nach seiner erfolgten Riicklvehr nach Dresden, einen mehr practischen Wirkungskreis zu suchen. Er iibernahm gegen das Ende desselben Jahres die Direction der Manner-Liedertafel, die bisher von Ferdinand Hil- ler ') geleitet worden war, und griindete einen Verein fiir gemischten Chor, der unter seiner Leitung am 5. Januar 1848 eroffnet wurde und bis zu seinem Abgange nach Dusseldorf (im Sommer 1850) zu seiner Freude immer mehr gedieh. Obwol er in diesen neuen Yerhaitnissen sich nicht gerade zu einem tiichtigen Dirigenten herauszubilden vermochte, so gaben sie ihm doch, wie er selbst in einem Briefe an Hiller schreibt, „das Bewusstsein seiner Directionskrafte wieder, die er in nervoser Hypochondrie ganz ge- brochen glaubte," und dass er sie noch bis zu einem gewissen Grade zu entwickeln verstand, beweist das Wachsen des Chor- vereins. (Die Direction der Liedertafel gab er friih auf, „weil er dort zu wenig musikahsches Streben fand.") Von grossem Einfluss wurde diese practische Wirksamkeit auch auf seine productive Thatigkeit. Er schrieb (schon 1847) Solfeggien fiir den Mannerchor wie fiir den gemischten Chor, und bewies dadurch, wie ernst er diese neue Thatigkeit als Dirigent der Chorvereine auffasste. Auch die Ritornelle fiir Mannerstimmen (Op. 65) entstanden wahrscheinlich unter derselben Yoraussetzung. Li ihrer canonischen Bearbeitung 1) Zu jener Zeit als stadtischer Musik-Director nach Dusseldorf berufeu. 158 sind sie eben so fordernd als vortreffliche Studien fiir Manner- chore, wie bedeutsam als Musikstucke. Stoffe zu besonderer Be- trachtung bieten sie eben so wenig, wie das in demselben Jahre entstandene Lied zum Abschied: ,^Es ist hestimmt in Gottes RatK\ flir Chor und Blase -Instrumente (Op. 84) oder die beiden Trio (Op. 63 und 80). Da beide so mitten aus dem neu gewonnenen, von uns hinreichend charakterisierten Boden des Instrumentalen heraustreiben, dass wir uns nur wiederholen miissten, woUen wir nicht naher auf sie eingehen. Jenes in D-moU ist mehr leiden- schaftlich gehalten und schliesst sich naher den fruhern Werken an; echt romantisch erregt, zeigt es sich der formellen Gestaltung etwas spr5de; dies (in F-dur) zeigt mehr den Einfluss der contra- punktischen Studien, und ist formvoUendeter als jenes. Zwei Werke aus dieser Zeit sind es, die uns noch ganz besonders interessieren, und zwar die 1847 begonnene und im August 1848 vollendete Oper: ^Genoveva'' und die Musik zu By- ron's ..Manfred''' (Op. 115), welche er gleichfalls in diesem Jahre vollendete. Der Musik zu Gothe's Faust, an der er seit dem Jahre 1844, nattirlich mit Unterbrechungen arbeitete, gedenken wir spater. Schumann hatte eine Reihe von Opernstoffen zu einer engern Wahl gestellt, die Wasielewsky ') aufzahlt, darunter: „Die Nihe- lungen'\ ,,Faust^\ r>Der Warthurghrieg'\ „Abailard und Heloise^\ „Maria Stuarf\ ..Sakontala'\ ..Kolhaas'^ u. A. Endlich ent- schied er sich fiir den, jedenfalls unglucklichsten und unbrauchbar- sten. Schon durch diese Wahl bekundete Schumann, dass auch er wie die Romantiker iiberhaupt, tiber das Wesen der dramatischen Stoffe wenig zur Klarheit gekommen war. Einzelne ergreifende und selbst dramatische Scenen, welche irgend ein Vorgang dar- bietet, vermogen noch nicht diesem ein so erhohtes Interesse zu geben, dass er sich fur eine wirksame dramatische Darstellung eignete. Das aber, dass ein dramatischer Stoff unser ganzes In- teresse erregt, ist erste Hauptbedingung. Bei der novellistischen oder epischen Darstellung vermag die Ausfuhrung durch den Dichter einem an sich unbedcutenden Stoff ein erhohtes Interesse X) Pag. 240. ]59 zu geben. Feinheiten in der Ausfiihrung der Einzelheiten sind recht wol im Stande, selbst unbedeutenden Vorgangen und Er- eignissen uuser voiles Interesse zuzuwenden. Im Drama dagegen, das eiiie solche Feinheit in AusfUhrung der Details nicht ge- stattet, muss schou der Stoff an sich iuteressieren. Das, was als wirklich gescheheud vor unsern Augen dargestellt werden soil, muss als Ereigniss auch cine Bedeutung haben, welche seine Darstellung rechtfertigt. Eine solche aber hat die Sage von der Genoveva wol nicht, am Wenigsten in der Fassung wie sie bei Schumann erscheint. Nicht, dass ihr das gewohnlichste, viel ver- brauchte Motiv: ^^die Niederlage der verfolgten Unschuld und ihr endlicher Sieg^^ zu Grunde liegt, macht sie zu einem dramatischen Stoff von sehr zweifelhaftem Werth, sondern namentlich der mehr als wunderbare Ausgang. Schon in der, im Motiv verwandten Oper Weber's: der „Euryanthe'^ ist die Rettung mehr innerlich im Sinne des Drama's motiviert. Der Bearbeitung des Stoffes hatte sich zunachst der, Robert Schumann eng befreundete Maler und Dichter Robert Reinick unterzogen. Von zwei Entwurfen, die Reinick gemacht hatte, sagte Schumann keiner recht zu, und er arbeitete unter theilweiser Benutzung der Tieck'schen und der Hebbel'schen dramatischen Bearbeitung derselben Sage den Rei- nick'schen Text so um, dass der Dichter diesen nicht weiter als sein Werk betrachten mochte. Wasielewsky hat schon die Man- gelhaftigkeit dieser Bearbeitung dargethan, und wenn wir auch nicht seine Meinung theilen, dass „Hirschhih und der Heine SchmerzenreicK'' nothwendig in das Drama gehoren; seine Ansicbt, dass die Intrigue ausserst plump eingefuhrt ist und die Losung dem entspricht, ist auch die unsere. Wie Schumann das innerste Wesen der dramatischen Stoffe schon verkannte, so nicht minder auch das der dramatischen Musik. Wie die Lyrik kehrt auch sie das innerste Leben her- aus, aber nicht in einzelnen lyrischen Ergussen, welche die Em- pfiudung isolieren und lostrennen vom gesammten Menschen, son- dern zur Totalitat zusammengefasst, so dass sie uns in ihrem Verhalten zur Aussenwelt als Factoren von Thaten und Ereig- nissen erscheinen. Wie die Lyrik nur einen Theil vom Menschen 160 giebt, giebt uns das Drama diesen ganz. Weil Schumann dies verkannte, errang er auf dem Gebiete der Oper nur geringen Erfolg. Seit Beethoven hatte sich wol kein ihm ebenbtirtiger Meister diesem Gebiete zugewandt; kaum einer musste aber auch schmerzlicher empfinden als er, dass mit lyrischer Beschaulich- keit die Bedingungen der dramatischen Musik nicht zu erfullen sind. Wol kaum ein anderer Meister ware vermogend gewesen, die verzehrende, siindhafte Gluth „Golo's'" mit gluhenderen Far- ben zu malen; keinem standen so viel Mittel zur voUendeten Dar- stellung der frommen reinen Liebe der Genoveva und des Pfalz- grafen zu Gebote wie ihm, und selbst in jener Decorationsmalerei, die uns mitten hinein versetzt in die Zeit ritterlicher Minne und glaubensstarken Heldenmuths, wird er kaum von Carl Maria von Weber libertroffen. Auch die realistisch derben Kriegerchore, wie der teuflische, verftihrerische Spuk, mit dem Margarethe Golo und den Grafen bethort, sie sind schwerlich treuer und wahrer hinzu- stellen. Allein alle diese vortrefflichen Zuge stehen meist unver- bunden neben einander. Dem Meister entgeht kein, irgendwie be- deutsamer, psychologischer Moment; er erfasst jeden einzelnen mit der ihm eignen Sorgfalt und Treue, aber er vergisst, sie, wie es das Drama erfordert, unter einander in Beziehung zu bringen. Er legt uns die psychologische Grundlage zu vollstandigem Er- fassen nahe, aber nur gewissermassen stossweise, nicht in zur Ein- heit gefestigten Charakteren, wie sie das Drama verlangt. Gleich die erste Arie Golo's: ,,Frieden zieK in meine Brusf^ zeigt den Mangel einer eigentlicb dramatischen Entfaltung ganz deutlich. An- statt die einzelnen melodischen Phrasen, welche die Stimmung Golo's so meisterlich charakterisieren, in derselben Weise einheit- lich zu verbinden, wie der Meister es im Liede thut und sie zu- gleich scenisch zu erweitern, stellt er sie unvermittelt neben einander, so dass die Situation in einzelnen Gefuhlsausbrtichen auseinander gelegt, nicht aber zur Stimmung gefestigt erscheint. Hier nament- lich macht es sich stSrend geltend, wie gem Schumann die orga- nische Entwickelung der Melodie seinem Streben nach moglichst feiner Detaillierung opfert. Damit aber verliert sein Werk den eigentlichen Reiz, und da er die brutalcn Mittel der grossen Qper, 161 mit denen z. B. Wagner jenen zu ersetzen sucht, versclimaht, schmalert er den Erfolg. Noch weniger sind natiirlich die einzel- nen Nummern sceuisch unter einander in Beziehung gebracht, so dass der dramatische Zusammenhang durch die Musik eigentlich uirgend gefordert wird. Wir meinen nattirlicli nicht jene ausserst bequeme, von Wagner im ^^LohengrirC^ bis zur Durftigkeit ange- wandte Wiederholung desselben Motivs in verschiedenen Scenen, sondern die innere Verkniipfung einzelner Partien zu grosseren, fest gegliederten Abschnitten, wie sie das Drama verlangt und wie wir sie selbst im j^Faradies und die Peri^'' fanden. Schumann's Genoveva ist sonach wol ein Meisterstiick der psychologiscben Ent- wickelung in alien Einzelheiten, nicht aber ein dramatisches Kunst- werk, in welchem Personen und Handlung uns in ihrer leibhaftigen Wesenheit lebendig entgegen treten. Das unstreitig bedeutendste Tonstiick der Oper ist die Ouverture, die mit der Pragnanz der uberlieferten Form uns ein gut Stuck mittelalterlicher Romantik vermittelt. Sie verrath noch nichts von der eigentlichen Hand- lung, wie die meisten potpourriartig gehaltenen Ouvertiiren der Romantiker, sondern sie versetzt uns auf den Schauplatz der Be- gebenheiten. Nur dass es finstere Maehte sind, die dort im Kampf mit der reinsten und treuesten Liebe erscheinen, sagt uns die Ein- leitung mit ihren kleinen Nonenaccorden und der zarten, ge- schmeidigen Geigenfigur; und wenn wir auch im Allegro ahnen, dass es damonische Gewalten sind, die in den Kampf mit hinein- gezogen werden ; so wird direct doch nirgend Bezug auf die Hand- lung genommen, als etwa am Schluss, der uns die freudige Ge- wissheit von dem endlichen Siege der Unschuld giebt. Wie tief Schumann instrumental seine Aufgaben erfasste, er- weist namentlich die Vergleichung dieser Ouverture mit der, welche er, wie die ganze Musik zu Byron's „Manfred'\ gleichfalls in diesem Jahre schrieb. Es ist zunachst ausserst charakteristisch fiir die ganze Rich- tung Schumanns in jener Zeit, dass er, wie zu Goethe's Faust auch zu dieser Dichtung Byron's die Musik schrieb. Die nahe Verwandtschaft beider Dichtungen liess den Altmeister deutscher Poesie, der aufmerksam und bewundernd jedem Schritt des jungen 11 162 brittischen Dichters gefolgt war, in „ Manfred'"' nur einea zweiten Faust erkennen. Bald nach Erscheinen desselben (London 1817) spricht er sich dariiber ganz entschieden dahiu aus: „Eine wunderbare, mich nah beruhrende Erscheinung war mir das Trauerspiel „J^a7i/Vec2" von Byron. Dieser seltsame geist- reiche Dichter hat meinen Faust in sich aufgenommen und, hypo- chondrisch, die seltsamste Nahrung daraus gesogen. Er hat die seinen Zwecken zusagenden Motive benutzt, so dass keins mehr dasselbige ist, und gerade deshalb kann ich seinen Geist nicht genugsam bewundern. Diese Umbildung ist so aus dem Ganzen, dass man dariiber und iiber die Aehnlichkeit mit dem Vorbild hochst interessante Yorlesung halten konnte, wobei ich freilich nicht laugne, dass uns die dustere Gluth einer grenzenlosen reichen Verzweiflung am Ende lastig wird. Doch ist der Ver- druss, den man empfindet, immer mit Bewunderung und Hoch- achtung verkniipft." Obwol nun auch die innere Verwandtschaft der Grundideen beider Dichtungen iiberall hervortritt, so scheint doch, als ob der directe Antheil Goethe's am Manfred nicht so gross ist, als ihn sich dieser dachte. Byrou selbst stellt ihn ziemlich bestimmt in Abrede. Er schreibt (nach der Pariser Ausgabe des Drama's vom Jahre 1835) im Juni 1820 an seinen Verleger: „Goethe's Faust habe ich nie gelesen, denn ich verstehe nicht deutsch; aber Monklewis decla- mirte mir im Jahre 1816 in Coligny iibersetzend das Meiste da- von vor, und ich war natiirlicher Weise sehr davon ergriffen, aber es war der ^Steinbach'''' und die „Jungfrau''' und noch manches Andere, was mich „ Manfred'' schreiben liess. Doch hat die erste Scene mit der des Faust grosse Aehnlichkeit." In der That er- weist schon die einfache Inhaltsangabe, dass andere poetische Machte mitwirken mussten, urn derselben Grundidce eine so ab- weichende Darstellung zu geben: Manfred, ein reicher und unabhaiigiger Graf im Schweizer- lande, lebt einsam auf der Burg seiner Yater. Der Magie er- geben, hat er mit dem ausdauerndsten Fleiss die geheimen Zauber- sprttche und Ktlnste der alten Weisen sich angeeignet. Geister ge- 163 horchen ihm, aber inmitten dieser Herrschaft ist er nicht gliick- licher als Faust. Ihn peinigt nicht nur wie diesen der quaivollste, unersattlichste Drang nach immer wachsender Ausbreitung seiner Herrschaft iiber die unterworfeuen dunklen Machte der Natur, sondern auch das lastendere Weh der Schuld. Er liebte seine Schwester Astarte, die an seinen Arbeiten und Studien theilgc- nommen hatte, mit unkeuscher Gluth, und muss sich eines dop- pelten Mordes, eines moralischen und physisclien zugleich an- klagen. Diese Scliuld aber bringt tieferes Elend iiber ihn, als jener unersattliche Wissensdurst. Der grosse Meister der ver- borgensten Naturkrafte, er vermag nicht die grassliche Erinnerung aus seinem Geiste zu tilgen. „Vergessen" mochte er den Wissens- drang, der bisher unersattlich war. Er nift die unterworfeuen Geister, aber sie vermogen ihm nicht zu geben, was er sucht, eben so wenig die hohen Alpen, die tiefen Wasserstiirze, noch die schone Fee der glanzenden Wellen, und auch im bewusstlos versuchten Selbstmorde findet er nicht was er sucht: „Vergessen- heit, nur Selbstvergessenheit." Da steigt er endlich hinab in die Unterwelt und hier gewinnt er, in dem Wort der Verzeihung, das er der geliebten Gemordeten durch sein inbriinstiges Flehen ent- rcisst, den alten Frieden wieder. Nun ist er auch die alten finstern Gewalten, die er zu beherrschen wahnte, und die doch ihn beberrschten, ledig. Er weist sie zuruck und unterwirft sich selbst wieder dem allgemein menschlichen Gesetz des Todes, dem er in seinem Bunde mit den Geistern zu entrinnen gemeint hatte. Dass das Werk nicht fiir die Biihne bestimmt war, erfahren wir aus mehreren Briefen des Dichters. „Sie mogen," schreibt er an Marray (Yenedig den 15. Februar 1817) „entnehmen, dass ich gerade keine grosse Meinung von diesem Phantasiestuck habe, aber ich habe es wenigstens vollig unmoglich gemacht, es auf die Biihne zu bringen, fur welche ich seit meiner Yerhandlung mit Drurylane die grosste Verachtung habe." In einem andern Briefe (vom 6. Marz) heisst es: „Ich verfasste es wirklich mit einem Ab- scheu Yor der Buhne und mit der Absicht, selbst den Gedanken daran unpracticabel zu machen." Schumann hat auch wieder mit dem Text einige nicht un- u* 164 wesentliche Aenderungen vorgenommen. So hat er gleich im ersten Act, nicht wie im Original sieben, sondern nur vier Geister eingefiihrt, und auch den Gesang der Einzelnen so verkiirzt, dass diese ganze Exposition an Tiefe und Bedeutung entschieden ver- loren hat. Namentlich diirfte es kaum zu rechtfertigen sein, dass Schumann den siebenten Geist, den ohnstreitig wichtigsten weg- Kess. Es ist der, welcher sagen darf: Der Stern, der dein Verhangniss rollt, K-oUt ewig, wie ich es gewollt: Es war ein Stern so frisch und sch5n Wie irgend je im Aether gehn; Frei und geregelt war sein Lauf, Der Raum wies schonern Stem nicht auf. u. s. w. und seine tiefe Beziehung zu Manfred soil auch ^usserlich, nach des Dichters Angabe durch den „ Stern, welcher gleichsam auf einem Felsen angeheftet sichtbar wird und unbeweglich bleibt," angedeutet werden. Dass Schumann auf diese Symbolik nicht naher eingieng, macht diese ganze Exposition mehr zu einer. ein- fachen Spukgeschichte, die zum Folgenden nur ausserlich in nahere Beziehung tritt. Auch den spater nachfolgenden Zauberspruch hat Schumann um die Halfte gekurzt, was hochstens zu recht- fertigen ware, wenn er an eine Buhnen-Auffiihrung dachte. Sonst gab dieser Zauberspruch Gelegenheit zur Ausfuhrung eines be- deutenden Musikstiicks, um so mehr als Schumann, wiederum ab- weichend von der urspriinglichen Intention des Dichters, der den ganzen Zauberspruch nur von einer Stimme gesungen wissen woUte, denselben Anfangs von vier, dann von einer und am Schluss von drei Stimmen ausftthren lasst. Weitere Ktirzungen im Dialog sind gleichfalls im Sinne einer Inscenierung unter- nommen, haben also ftir uns weniger Interesse. Zu bedauern ist dagegen, dass Schumann die, in der dritten Scene vom Dichter gebotene Gelegenheit in dem Gcsange der drei Parzen, ein ausserst charakteristisches Musikstiick zu schreiben, nicht berticksichtigte. Wahrend Schumann hier den Antheil der Musik gegen den Willen des Dichters schmalert, erweitert er ihn in einzelnen Stellen, wo der Dichter ihn gar nicht fordert: er bearbeitet Einzelnes melo- 165 dramatisch und fiihrt am Schlusse den ^Chor aus dem femen Kloster" Requiem, aeternam Dona eis! Et lux perpetua Luceat eis! ein. Die melodramatische Bearbeitung erscheint fiir eine Biihnen- Auffuhrung wenig gerechtfertigt, well wir dort alles, was die Musik hier andeuten soil, leibhaftig vorgehen sehen; doch sind gerade diese Nummern neben der Ouvertiire und der Zwischenacts-Musik das Beste an der ganzen Musik, und sie bezeugen wiederum, wie viel reicher der Vorrath von instrumentalen Mitteln bei Schumann angewachsen war, als der von vocalen. Auf den tiefgreifenden Unterschied zwischen der Manfred- und der Genoveva- Ouvertiire wiesen wir bereits bin. In beiden ist es ein Kampf finsterer Geister, aber in der Manfred-Ouvertiire ist er nur nach innen ver- legt, weder an die Zeit noch an den Ort gebunden; wahrend er in der Ouvertiire zur Genoveva ausserlich, mit seinen localen und zeitlicben Voraussetzungen erscheint. Hier ist alles erfiillt mit jenem romantischen Duft, der das ganze Mittelalter durchzieht; Horner, Trompeten und Posaunen namentlich werden vereinigt, um dies Colorit zu gewinnen. Die Manfred-Ouvertiire treibt nur aus dem Bestreben hervor, psychologisch zu entwickeln, ohne alles decorative Beiwerk. Gleich die drei synkopierten Anfangsaccorde erinnern uns an die Schuld, die mit lastender Schwere auf Man- fred ruht und wie dann in dem langsamen Satze schon der Kampf beginnt: wie alle Elemente desselben: Manfreds ungesttimes, wildes Kingen nach Befreiung, in dem synkopierten Geigenmotiv; der starre Widerstand der finstern Geister und Manfreds Schuld in machtigen Accorden und wie in dem lieblichern Motiv schon Astartes Bild trostlich beruhigend eintritt; wie dann im Allegro der Kampf leidenschaftlich entbrennt, als dessen Mittelpunkt im zweiten Motiv Astarte immer deutlicher erkennbar wird; wie unter dem Einfluss der finstern Geister der Kampf fast tumultuarisch sich steigert und nur durch Astartes Bild, welches aber zugleich 166 in dem beriihinten Einsatz der drei Trompeten den lastenden Ge- danken an die grausige Schuld wieder - lebendiger macht, geban- digt wird; wie dieser dann, nachdem der Kampf auf's Neue und heftiger als bisher entbrannt ist, allmalig milder und weniger driickend wird, indem jener starre Accord in den drei Trompeten harmonisch und melodisch aufgelost erscheint und wie dann am Schluss Manfreds Auflosung im Tode als seine Befreiung und Er- losung erscheint, das weiter mit Worten nachweisen zu woUen, ware wieder „nur thoricht Beginnen". Die einzelnen Motive sind so bestimmt charakteristisch erfunden und ihre Yerarbeitung er- folgt eben so energisch unter dem Einfluss der angegebenen Idee, wie nach den allgemein gultigen Gesetzen formeller Gestaltung, dass wir fiir das Yerstandniss keines weitern Commentars be- durfen. Nicht so vollendet wie diese Ouvertiire erscheinen uns durchweg die Gesange der Geister. Schumann liess sich hier augenscheinlich mehr diirch den romantischen Spuk, als durch die Idee, der dieser dient, leiten. Er versucht die einzelnen Geister nach Anleitung des Gedichts zu charakterisieren, was allerdings geboten erscheint. AUein es war jedenfalls zweckmassiger, diese Charakteristik vorwiegend in das Orchester zu legen und den Ge- sang mehr geisterhaft monoton zu halten. Mindestens liess sich auf diesem Wege grossere Einheit, und doch auch mannichfaltigere Darstellung der Stimmung erreichen. Namentlich der „Geister- hannflucK^ (No. 3) war in dieser Weise ungleich machtiger und wirksamer ausziifuhren. Bel Schumann ist er mehr ungeheuerlich als grauenerfiillend geworden. Dagegen sind wieder der Hymnus und die kurzen Schlagreden der Geister Arimans vortrefflich aus- gefiihrt, wie die Orchestersatze. Die ^Erscheinung eines Zauher- bildes'\ die ^Rufung der Alpenfee'\ die ,,Beschwdrung derAstarte" und „ Manfreds Ansprache an sie'\ orchestral zu illustrieren, das vermochte Niemend besser als — Schumann. Man hat sicli haufig gegen die melodramatische Bearbeitung der einzelnen Ztige des dramatischen Gedichts erkiart und wir haben bereits angedeutet, dass sie fiir eine Blihnen-Auiftthrung auch wenig geboten erscheint. AUein ftir die Concert-AufFiihrung, und auf sie wird wol das Werk immer beschrankt bleiben mUssen, ist sie nothwendig und ausserst 167 erfolgreich. Unseres Wissens hat Liszt (im Jahre 1852, in Wei- mar) den Versuch einer Auffuhrung dieses Werkes aiif der Biihne gemacht. Ausser den grossen technischen Schwierigkeiten, welche schon die Inscenierimg bietet, diirfte vor allem der ideelle Gehalt des Stiicks, fur den wir kaum ein Theaterpublikum liaben, weitere derartige Versuche verhindern. Dagegen erweist sich das Werk fiir Concert -Auffuhrungen ausserordentlich geeignet; nur wiinschen wir, dass recht bald ein wirklicher Dichter ein en, die einzelnen Musikstticke verbindenden Text schreiben moge, der nicht in trivial poesieloser Fassung einen so schreienden Contrast zu Byron - Schumann's Dichtung bildet, als der verbindende Text von R. Pohl. Wol stehen diese Werke entschieden noch auf dem Hohepunkte der kunstlerischen Thatigkeit Robert Schumann's, aber sie zeigen schon eine Vernachlassigung jener kritischen Thatigkeit, die bis- her ein wesentliches und nothwendiges Moment in seiner ganzen Entwickelung bildete. Wie E. T. A. Hoffmann jenen unheimlichen Gewalten, die er selbst erschaffen hatte, so vollstiindig verfallen war, dass sie eine beangstigende Macht tiber ihn gewannen, so verfiel auch Schumann allmalig dem romantischen Spuk, dessen triibe Nebelschleier die wunderbare Pracht seiner romantischen Welt immer dichter umzogen, so dass Formen und Gestalten immer mehr verschwanden. Ziel- und planlos treibt dann die Phantasie hinaus in die romantische Unendlichkeit und sucht dort vergeblich nach einem fassbaren Gebilde, „Tmd ware es auch nur eine silsse, wunderbare Melodic." Diese neue Phase der Entwicke- lung des Meisters zeigt sich schon in der Wahl und der Bearbei- tung der Historic von der .^Getioveva" als Opernstoff, wie in der speciellen Behandlung des Textes zu y,Manfred^\ Eine objective ruhige Kritik musste hier uberall zu andern Resultaten kommen. Auch ausserlich macht sich dieser Mangel einer bewussten sichern Kritik bemerkbar, in der unsteten Hast, mit welcher der Meister jetzt von dem einen Gebiet nach dem andern, von der einen Form zur andern getrieben wird. Nur mtihsam vermogen wir noch jenen innern Zusammenhang zu entdecken, der in den friihe- ren Werken so klar zu Tage tritt; noch weniger aber jene Con- 168 sequenz der Entwickelung, welche jedes einzelne der friiheren Werke als Glied einer Kette erscheinen lasst. Wenige nur noch treiben aus innerer Nothwendigkeit hervor; die Mehrzahl ist von aussen angeregt, nicht wenige selbst nur von einer, im gewissen Sinne handwerksmassigen Geschaftigkeit, die sich der gewonnenen Technik erfreut. So erfolgt selbst der Ruckgang nicht allmalig, sondern stossweis und ungleich. Nur einzelne Werke dieser Pe- riode ragen als bedeutende Zeugen der schwindenden Gestaltungs- kraft hervor, und diese stehen nicht selten dicht neben monstrosen Gebilden, wie sie das intentionenreiche Ungeschick des empor- strebenden Jiinglings nimmer geschaffen hat. Siebentes Kapitel. Die Kraft zersplittert. Das tragische Ende. In der ganzen bisher betrachteten Entwickelung Schumanns bildete die Reflexion den wesentlichsten und bedeutsamsten Factor. Man hat ihm dies, mit grossem Unrecht, haufig zum Vorwurf ge- macht. In unserer Zeit namentlich hat sich die Ansicht allraalig festgesetzt, als ertodte und unterwtihle die Reflexion jede wahre und frische Kraft der dichterischen Production; und namentlich daraus, dass sie in der Gegenwart bei dem kiinstlerischen Schaf- fen die Herrschaft gewonnen hat, erklaren manche die Unfrucht- barkeit unserer Tage; als ob die dichterische Kraft, welche eine ganz ursprungliche, substanzielle Geistesgabe ist, durch irgend eine, zu dem eigentlichen Schaffen sich nur negativ verhaltende Gewalt des Bewusstseins zerstort oder auch nur beeintrachtigt werden konnte. Aus einem diirren, unfruchtbaren Boden wird allerdings die Reflexion nur diirftige Gewachse einer ktinstlichen Betriebsamkeit zu erzeugen vermogen. Aber wo sie nur das Licht ist, welches in die innersten, reichen Schatze hineinleuch- tet; wo sie nur die formierende Vermittelung ist zwischen dem sich ewig gleichbleibenden Inhalte der Poesie und den besonde- ren Gestalten, welche jede Zeit und jedes lebendige Geschlecht versteht und begehrt; wo sie die eigenste Thatigkeit des Be- wusstseins selbst, als der Geist, der iiber den Leben entfalten- den Wassern schwebt, der die dunkle Welt formloser Gestalten aus ihrer lichtlosen Tiefe auf die Hohe eines gesonderten, sich 170 selbsterkennenden Daseins zu stellen weiss: da ist sie nicht allein etwas, dem formellen Prozess der Hervorbringung Nothwendiges, sondern sie giebt audi erst der Kimst ihre wahre Bedeutung: namlich dass sie uns in einer unmittelbaren, sinnlichen Gewissheit die Hohe kundgiebt, welcho der menschliche Geist in seiner jedes- maligen Entwickelung erstiegen hat. Ueberall, wo die Reflexion sich nur auf das Technische bezieht, ist sie unfruchtbar, eine echte Kunstgestaltung wenig fordernd. Nur wo die Umgestaltung einer Form oder eines grossern Kunstwerks von Innen heraus er- folgt, ist sie nothwendig und erlangt historische monumentale Be- deutung. Hierbei gewinnt wieder die Reflexion einen ganz andern und nicht weniger wesentlichen und nothwendigen Einfluss. Dem schaffenden Ktinstler muss das, was er kilnstlerisch gestalten will, in vollstandiger Klarheit ausgebildet gegenuberstehen, er muss es mit unbefangenem, klarem Auge vollstandig uberschauen, wenn er es ausserlich nachbilden will. Diese klare Anschauung aber wird er nUr auf dem Wege der Reflexion gewinnen konnen. Der Dich- ter, welcher seiner Empfindung nicht Herr geworden, so dass er iiber ihr steht, wird sie auch nicht zu gestalten vermogen; der Kiinstler, in dessen Phantasie nicht voile Klarheit herrscht, wird auch aus ihr heraus nimmer ein, sich selbst vollstandig aus- sprechendes Kunstwerk schaffen. Wenn Schumann sein eigenes Innere in einer Doppelgestalt als Florestan und Eusebius anzu- schauen bemiiht ist; wenn er seine Phantasie an Erscheinungen der aussern, der Begriffswelt, Form und Gestalt zu geben ver- sucht, so that er dies, um das, was in ihm lebt, moglichst klar zu uberschauen und es plastisch nachbilden zu konnen. Dieser re- flectierenden Thatigkeit verdanken wir jene Reihe seiner wunder- barsten, tiefempfundenen und phantasievollen genialen Schopfungen, welche wir bishor betrachteten. So erscheint schon beim Erfinden des Kunstwerks die Reflexion in vollstandig kiinstlerischer Thatig- keit. Diese steigert sich nati'irlich bei der eigentlichen AusfUhrung. Dass der Inhalt seine specielle Form, in der er dargestellt wird, selbst erzeugt, ist eine der am meisten falsch verstandenen Wahr- heiten. Nattirlich erfordert jeder specielle Inhalt auch seine ent- sprechende Form, aber diese wird nur bei dem naiv gestaltenden 171 Volksgeist auch ohne Weiteres mit jenem geboren. Der Kiinstler, der seinen Inhalt tiefer und mehr individuell fasst, wird meist langere Zeit zu sichten und abzuwagen haben, welche Mittel der Darstellung und welche specielle Anordnung derselben die ent- sprechendsten fiir den besondern Inhalt sind. Dieser Prozess wird sich in dem Maasse verkiirzen, als der Inhalt an Klarheit gewinnt und die Herrschaft liber das Material beim Kiinstler wachst, aber ganz ohne diese Reflexion ist ein voUendetes Kunst- werk kaum denkbar. Bedtirfte es hierfiir noch der Beweise, sie waren zu Tausenden aus unsern besten Meistern beizubringen. Selbst jener Meister, bei welchem die Naivetat des SchaiFens die Reflexion anscheinend uberwiegt, liefert einen treffenden Beweis fijr unsere Anschauungen. Man kann gem zugeben, dass Haydns bedeutendste Werke wenig unter dem Einflusse der Reflexion ent- standen sinze Pilgerfahrt der Rose'"' ist ein solcher, 188 abgesehen von seinem geringen Werth. Die ^Ballade'^ aber ist eine rein lyrische Form, dem Liede naher verwandt als dem Epos. Wol nimmt auch sie die lebendige Rede, nicht selten die Wechsel- rede auf; doch nicht unmittelbar, sondern immer in Form der Erzahlung. Diese tritt zwar bei der Ballade mehr in den Vordergrund, als bei der Romanze, aber trotzdem ist doch auch bei der Ballade Hauptaufgabe, eine gewisse Gemiithsstimmung dar- zulegen, die sich zu ihrem Ausdruck nur der Erzahlung bedient. Deshalb erscheint sie immer in den Formen des lyrischen Liedes und die volksthiimlichen Balladen nehmen in den friihesten Zelten, namentlich bei den Englandern und Deutschen, den sogenannten Kehrreim (Refrain) auf, welcher eine Gefiihlsreflexion tiber die Erzahlung enthalt und dessen regelmassige Wiederkehr jene Ge- miithsstimmung fortwahrend anklingend erhalten soil. Auch die Kunstdichtung behielt fur die Ballade die lyrische Form des Liedes bei; nur die Tondichter fanden die abweichende entsprechende musikalische Behandlung, die wir bereits erwahnten. Fiir die gleichmassig sich ausbreitende Erzahlung wahlten sie eine einfache rhetorische Melodic ; sie bildet den Grundton, der, nach dem Yer- lauf der Handlung sowol melodisch wie harmouisch und rhythmisch modificiert, die Bedeutsamkeit wie die Ausfiihrung der einzelnen Partien bestimmt und wie der Refrain oder wie der Grundton der Sprachmelodie die Erzahlung, so hier die ganze Ballade durchzieht. Das ist die in der eigensten Idee der Form begrtindete Be- handlung der Ballade. Jede andere lost sie von ihrem eigent- lichen Boden los, ohne eine andere, kiinstlerische Form zu ge- winnen. Schon die Pietat gegen den Dichter musste Schumann von solch willktirlicher Erweiterung abhalten, urn so mehr als sie Veranderungen nothwendig machte, die wenig im Geiste des Dich- ters erfolgen konnten. Die oratorische Bearbeitung und die da- durch nothwendig gemachten Nachdichtungen der Herren R. Pohl und Hasenclever miissen immer als VersUndigung am Dichter er- scheinen, auch wenn sie weniger ungeschickt und uiipoetisch ansge- fWirt waren. R. Pohl bearbeitete in dieserWeise: „Des Sanger a 189 Fluch!\ Hasenclever: r,Das Gluck von EdenhalV\ Die andern beiden scheint Schumann selbst sich zurecht gemacht zu haben. Uhland's Ballade: „Der K6nigssohn''\ welche Schumann zuerst componierte (1851), giebt in ihrer aussern Anordnung allerdings Veranlassung zu einer mehr oratorischen Bearbeitung. Sie be- steht aus acht Romanzen, von denen zwei sich sogar bis zur Wechselrede zwischen dem Jiingling und dem Fischer erheben. Aber dennoch ist das Ganze nur ein „Romanz€ncyklus'\ der durch- aus keine andere musikalische Bearbeitung erforderte, als die, von uns friiher erorterte. Selbst jene beiden dialogisierten Romanzen erlangen keine irgendwie hohere dramatische Bedeutung; der Dichter deutet damit nur an, dass die Handlung, auf einera Gipfelpunkt angekommen, ihn hier machtiger bewegte als bisher, dass sie sich lebendig gegenwartig in seiner Phantasie aufbaute. Die Veranderungen des Textes, welche Schumann nothig fand, sind, bis auf den Schluss, unwesentlich ; sie beschranken sich auf einige Worte. Der Schluss dagegen ist, und wie wir meinen, un- poetisch genug, vollstandig verandert. Die letzte Strophe der Ballade wird zu einem echten Coulisseneffect ausgeweitet. Das was Uhland nur andeutet, dass der greise Sanger: .... in Licht und Seligkeit ^ ^^ Sein Schwanenlied gesungen wird hier ausgefuhrt, doch nur im Styl der Hofpoeten des vorigen Jahrhunderts. Die bunte, den urspriinglichen Balladenton vollstandig zuriick- drangende Mannichfaltigkeit, welche schon durch diese ganze An- ordnung herbeigefiihrt ist, wird noch dadurch vermehrt, dass Schu- mann endlich die eigentliche Erzahlung wiederum nicht einer ein- zigen Stimme iibergiebt, sondern abwechselnd dem Mannerchor Oder gemischten Chor, oder einer und auch zwei Chorstimmen, je nach den verschiedenen Momenten der Erzahlung. Wie fein er auch diese dadurch zu charakterisieren vermag und wie vor- trefflich es ihm gelingt, die einzelnen, anscheinend dramatischen Momente hervor zu heben, der eigentliche Balladenton, den er in den friihern Bearbeitungen so meisterhaft traf, ohne dass die feinste 190 Charakteristik der einzelnen Momente der Handlung dadurch Schaden litt, ist doch vollstandig aufgehoben. In der nachsten Ballade: „Z?gs Sangers Fluch'^ (1852 com- poniert), ist durch Einfiihrung der „Erzahlerin" dieser durchgrei- fende Mangel einigermassen beseitigt. Die Bearbeitung des Textes ist, wie bereits erwahnt, von Richard Pohl. Wie in der vorigen Ballade der Schluss, so werden hier einzelne, in Uhlands Ballade nur angedeutete Momente dramatisch ausgefiilirt. Die ersten beiden Strophen werden von der Erzahlerin treu nach dem ursprtinglichen Text gesungen; die dritte schon stark verandert. Die vierte Strophe wird zu einem ausfuhrlichen Dia- loge zwischen dem Harfner und dem Junglinge erweitert, der ein Motiv in die Ballade bringt, was ursprunglich nicht darin liegt und die Grundidee wesentlich vergrobert, den grossartigen Verlauf am Schlusse vollstandig abschwacht. Die Erzahlerin nimmt dann die fiinfte Strophe aus Uhlands Ballade wieder wortlich auf. Nach der jetzt folgenden scenischen Darstellung, in welcher der Konig und die Konigin mit Pohls Worten ihre Stellung den Sangern gegentiber offenbaren und der Harfner wie der Jtingling einige Verse aus Uhlands: ^Rudely und: nlAed eines deutschen Sanger s" durch Pohl erganzt singen, wird die prachtige sechste Strophe der Uhland'schen Ballade zu einem blossen Theatercoup erniedrigt. Der Konig verlangt ein anderes Lied, und der Harfner singt ihm Uhlands Ballade: ^Bie d/rei Lieder!'' Dartib^r schon ergrimmt der Konig und der Chor macht weise Bemerkimgen dazu. Aber die Konigin will noch mehr horen und so singen ihr der Jiingling und der Harfner wieder einige Verse aus Uhlands : „ Gesang und Krieg^\ das in den Frei- heitskriegen gedichtet ist, wieder erganzt mit Pohl'scher Poesie. Der Chor ist da von machtig ergriffen; machtiger noch die Konigin, die ihre Erregung, wieder in einigen, nattirlich veranderten Versen aus Uhlands: ^Bas Thai" kund thut. Ob nun gleich der K5nig darliber in hellem Zoni ausbricht, erbittet sie doch noch von dem Sanger Uhlands Lied: „Ent8agung'\ -was sie wunderbarer Weise auch schon kennt. Sie thut das nicht ohne noch einige weitere 191 Verse aus: ^,Das ThaV^ zu singen. Der Jtingling singt das Lied, naturlich wieder mit einigen Abkurzungen und die Konigin fuhrt es begeistert zu Ende, worauf der Jiingling, „sich selbst ver- gessend", Uhlands Lied: ^Hohe Liehe" anstimmt. Die Katastrophe wird dann mit wenigen Worten durch den Konig und den Chor angedeutet und der weitere Verlauf erfolgt treu nach Uhland. Wer konnte auch nur einen Moment verkennen, wie die geniale, hochpoetische Vorbereitung der tragischen Katastrophe durch Uhlands wundervolle Strophen: Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger, goldner Zeit, Von Freiheit, Mannerwurde, von Treu* und Heiligkeit: Sie singen von allem Sussen, was Menschenbrust durchbebt, Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt. Die Hoflingsschaar im Kreise, verlernot jeden Spott; Des KSnigs trotz'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott; Die Konigin, zerflossen in Wehmuth und in Lust, Sie wirft den Sangern nieder die Rose von ihrer Brust. durch Pohls Flickarbeit im Styl der Puppenkomodie hochkomisch geworden ist. Dass Schumann diesen Text in dieser Fassung componierte, giebt hinlanglich Beweis dafur, wie wenig er noch Bediirfniss nach einer tiefern Idee hatte; wie kritiklos er seine Stoffe wahlte, wenn sie ihm nur einzelne, charakteristische Mo- menta darboten. An solchen fehlt es denn auch der in Rede stehenden Ballade nicht, die Schumann meisterlich heraushebt. Der Anfang ist vortrefflich, ganz im altesten Balladenstyl gehalten. Die kurze Instrumentaleinleitung schon schiagt den Balladenton meisterlich an und die Erzahlerin weiss ihn dann, ausserst fein und treffend niianciert, fest zu halten, ganz in der Weise, die wir als die einzig entsprechende erkannten. Mit dem nun folgenden Wechselgesang zwischen dem Harfner und dem Jiing- ling ist er aber schon verdrangt, und selbst die Erzahlerin ge- winnt ihn in dieser Treue nur gegen den Schluss wieder. Der ganze weitere Yerlauf interessiert eigentlich nur noch durch einige bedeutende Musikstiicke, wie das ..Provencalische Lied^\ das in seiner Gluth und Siisse der Empfindung bei Formvollendung von bertickender Wirkung ist Auch die Ballade des Harfners: „Die 192 drei Lieder'^ ist niclit minder trefflich, wenn aiich die etwas bunte Manniclifaltigkeit der Declamation den Balladenton beeintrachtigt. Innig ist dann noch der Gesang des Jiinglings: ^Lausche Jung- frau'\ der zum Terzett wird, indem die Konigin und der Harfner mit einstimmen. Gharakteristisch schon ist die Musik wieder von da ab, wo sie sich streng an Uhlands Text halt bis zum Schluss. Die Er- zahlerin hat (No. 12) auch wieder den Balladenton gewonnen, auf dessen Grunde dann der Harfner mit seiner markerschiitternden Verfluchung sich erhebt, und in welchem der Chor die Ballade zu Ende fiihrt AUes tibrige, selbst die Chore, sind vorwaltend in dem, Schumann eigenen, mehr recitativischen Styl gehalten, der aus declamatorischen Accenten und melodischen Phrasen gemischt, nicht selten abspannend oder zerstreuend wirkt. Es wird nicht nothig sein, die andern, bereits erwahnten Balladen ausfiihrlicher zu besprechen, da sie, unter denselben Ge- sichtspunkten betrachtet, dieselben durchgreifenden Mangel zeigen. Fiihlbarer werden diese allerdings fast noch in den vier Balladen Geibels : „ Vom Pagen und der Kdnigstochter'\ namentlich in den ersten beiden. Hier bietet nicht ein einziges, ausgefuhrteres Tonsttick einen nothigen Ruhepunkt, und well alles in der oben angegebenen recitativisch melodischen Weise declamiert ist, so verbreitet sich iiber beide eine Unruhe, welche den Eindruck ausserordentlich schwacht. Einheitlicher ist schon die dritte ge- halten; hier bildet die Darstellung des Spiels der Wellen und der Nixen einen einigenden Mittelpunkt. Trefflich ist die letzte Bal- lade gehalten. Fiir das festliche Treiben im Ballsaal und den er- schtitternden Contrast am Schlusse hatte Schumann auch jetzt noch alle musikalischen Darstellungsmittel, und er besass auch noch die voile alte Kraft sie zu gestalten. Mit grosser Feinheit und Treue lasst er uns die ganze entsetzliche Begebenheit durchleben, vom Jubel des Hochzeitsreigen bis zu dem tragischen Ende. Ausser ^6 lAedem der Konigin Maria Stuart''^ (Op. 135), die uns nicht weiter interessieren, beendete er in diesem Jahr (1852), auch noch eine ^Messe^^ und ein ^Requieni" (als Op. 147 und 148 gedruckt), mit deneu er der religiSsen Musik schon etwas naher 193 trat, als mit dem Adventliede. Der echte Kirchenstyl, wie ihn unsere grossten Meister pflegten und ausbildeten, zeigt die Yocal- miisik namentlich in hochster polyphoner Gestaltung. Nur so ver- liert diese das materiell Massenhafte des Klanges und wird fahig, TrSger der hochsten, der Gottesideen der Menschheit zu sein. Diese werden nicht in dem Material, sondern nur in der Weise seiner Verarbeitung erkennbar. Die christliche Weltanschauung, aus wel- cher der polyphone Styl empor treibt, ist maassvoll begrenzt; auf der Basis unwandelbarer Grundwahrheiten erhebt sie sich zu einem prachtigen, wunderbar verschlungenen Bau, in welchem sie das profane Leben vollstandig gefangen nimmt. Dem entspricht auch der polyphone Vocalstyl, den sie in den friihesten Zeiten erzeugt und in einer Reihe gottbegeisterter und begabter Manner zur hochsten Bliite treibt. Alles nur harmonisch oder rhythmisch, d. h. sinnlich reizvolle, ist ihm abgestreift; kunstvolle, in einander gewobene Stimmen vereinen sich zu einem eben so wunderbaren Bau, wie die christliche Weltanschauung. Weil Schumann versaumt hatte, sich diesen Styl bis zu hochster Meisterschaft anzueignen, vermochte er auf dem Gebiete der Kirchenmusik kein, seiner Bedeutung ganz wurdiges Werk zu schaffen. Auch wenn es ihm leichter geworden ware, sich in die christliche Anschauungsweise hineinzuleben, und die endlichen Be- ziehungen seines reichen Innern zuriicktreten zu lassen, er wiirde kaum Bedeutenderes zu leisten im Stande gewesen sein, weil ihm die hochste Polyphonic des Vocalen nicht vollstandig gelaufig ge- worden ist. Fiir die Todtenmesse ist dieser Styl weniger nocli Erforder- niss, wie fiir die meisten iibrigen Cultusgesange, weil bei ihr das all- gemein menschliche Empfiuden das Dogma der Kirche iiberwiegt. Daher steht auch als Cultusgesang Schumanns „RequierrC' hoher als die „Messe''\ die an kiinstlerischem Werth jenes iiberragt. In beiden ist des Meisters eigenthiimlicher Styl nur in den Dienst frommer Empfindung getreten. Der erste Satz des Requiem, das ^Requiem aetemarrC ist durchaus homophon gehalten. Aeusserst weich vermittelnde Harmoniefolgen, eine schmucklos einfache Me- lodik und eine, fiir kirchliche Musik etwas bunte Rhythmik, in 13 19* welcher die verschiedensten Notcngattiiiigen neben einander treteii, unterstiitzt durcb eine nicht gerade gewahlte Instrumentierung, machen diesen ersten Chor zu einem individuell, wenn aiich nicht tief empfundenen Trauer- und Bittgesang. Das ^Te decef' ist dagegen etwas trocken. Weil Schumann tiberhaupt versaumt, den Text tiefer zu erfassen und zu interpretieren, so fiihlt er sich haufig von dem Wortreichthum geniert. Ein individuell tiefer ge- fasster Satz ist das anschliessende „Kyrie^\ namentlich in der Ver- bindung mit dem „Te deceC' und am Schlusse. Der schwachste Satz ist unstreitig das: y^Dies ira^^ mit dem: „Quantus tremor'^ und dem „Tuba mirum"^ das in der fast durchweg und auch in der Instrumentation accordisch erfolgenden Ausfiihrung auch nicht entfemt an die erschiitternde Darstellung anderer Meister heran reicht. Auch der folgende Satz: „ Liber scriptus'^ erhebt sich nicht iiber die gewohnlichste Fassung ; erst das : „ Quid sum miser, tunc dicturus" ist nicht nur religioser Weihe voU, sondern auch in seiner angstlich stammelnden Fuhrung individuell belebt und zu- gleich kunstlerisch fein gefiigt. Im ^Recordare", das er dem Sopran-Solo zuweist, wird die Erfindung wieder von dem Wortreichthum gehemmt; anstatt einer Arie, die hier am Platz war, schreibt er einen ziemlich diirftigen Cantus jirmus, mit einem nicht weniger unbedeutenden Contra- punkt im Streichquartett. Die Arienform findet tiberhaupt hier keine Pflege mehr; das „Qm Mariam absolmstV ist ganz liedmassig gehalten, und be- einflusst augenscheinlich auch die specifische Auffassung des „CW- futatis maledictis''' \ man merkt, dass der Meister keine rechte Vorstellung von den Hollenqualen gewinnt. Das ganze ^Offerto- riurrC ist mehr polyphon gehalten, doch nach keiner Seite hervor- ragend. Das „Pleni sunt coeli" im „Sanctus'^ dagegen erscheint als der interessanteste Satz des ganzen Requiems namentlich auch da- durch, dass die Instrumentation sich hier etwas tiber die bisher ziem- lich ausschliesslich skizzenhafte Ausftihrung erhebt. Auch das „ Agnus Dei'''' ist fein und interessant in der Conception, wenn auch wiederum skizzenhaft in der Ausfiihrung; und so scheint es fast, als ob uns hier ein noch unfertiges Werk vorlftge. Namentlich 195 in der Instrumentation ist manches nur angedeutet, was der Meister spater gewiss noch vervollstandigt hatte, wie dann auch manches unter seiner bessernden Hand wol iiberhaupt eine etwas andere Fassung erhalten hatte. Immerhin aber gewahrt es hohes In- teresse zu beobachten, wie der Meister seinen, unter den glan- zendsten und charaktervoUsten Eindriicken, unter dem machtigen Wogen und Ueberfluthen seines Innern, an den prachtigsten Bildem seiner Phantasie erzeugten Kunststyl abschwacht und vereinfacht, urn ihn dem Dienst religioser Empfindung zu weihen. Fiir die Messe reicht diese keusche Riickhaltung noch nicht aus. Schumann fiihlte dies augenscheinlich selbst; er hat hier viel entschiedener den polyphonen Vocalstyl festgehalten, als in irgend einem andern seiner Werke; freilich nicht mit der Con- sequenz, welche seine Musik vollstandig fiber die, nur decorative Bedeutung, zu hoherer ethischer erhoben hatte. Daran hindert ihn vor allem seine Thematik. Bei den alten grossen Meistern treibt diese vorwaltend aus Idee und Stimmung hervor, fftr welche das Wort nur ein diirftiger, umschreibender Ausdruck ist, und in- dem sie dann diese Themen unter dem speciellen Einfluss jener Ideen und Stimmungen verarbeiten, fiigen sich die Motive zu dem grossen, einheitlichen Bau zusammen, in welchem die Ideen fass- bar Gestaltung gewinnen. Treu dem Geiste seiner Richtung kniipft Schumann auch hier seine Thematik eng an's Wort; seine Themen erscheinen auch hier vielmehr declamiert als gesungen, und die Moglichkeit einer Verarbeitung im Sinne und Geiste jener grossartigen Anschauung, wie bei den altem Meistern bis Beetho- ven, wird dadurch mindestens erschwert, wenn nicht geradezu un- moglich. Themen wie: Oder E^y^ -V- Ky - - Chri — - ste e lei m leison ! ^^^^^1^ - son 13* 196 sind nicht nur zu sprode, soiidern auch trotz ihrer wenig rtih- menswerthen bunten Rhythmik, zu diirftig fiir eine weitere Bear- beitung. Der ganze erste Satz gewinnt unser Interesse nur durch seine weiche harmonische Fuhrung. Auch im ^Gloria^' wird die bunte Rhythmik meist durch die Declamation bedingt: I r^i=i=i J 7Sf Glo - ri - a in ex ]- - celsis De - o. Die harmonisch ausserst wirksame Verarbeitung ist nicht vermO- gend, dem Satz den Glanz zu geben, den der Meister hier er- strebte. Tief empfunden erscheinen dagegen die Mittelsatze: „et in terra paa'* und ^Laudamus te'\ wie das „ Gratias'\ Ueberall, wo mehr allgemein menschliches Empfinden darzustellen und zu ge- stalten ist, bewegt sich Schumann auf seinem eigensten Gebiet, und es ist nur zu bedauem, dass er diese Momente nicht noch tiefer fasste und weiter ausfuhrte, ebenso wie die nachfolgenden einzelnen Versetten, vom Domine Deus^ Rex coelestis bis zum Quoniam, von denen namentlich das „miserere nobis'^ den echt frommen und doch individuell belebten Ausdruck findet. Dabei sind einzelne ganz kirchlich volksthiimlich gehalten, so dass hier der Meister unstrei- tig sich mitten hinein dachte in die betende Gemeinde, wie er iiberhaupt diesen Satz namentlich mehr decorativ erfasste. Das „Quoniam'^ dagegen ist ganz gewohnlich gehalten bis zum „cwm sancto Spiritu'\ das dadurch wenigstens ausserlich belebt wird, dass es einen Cantus firmus erhalt, der bei seiner Wiederkehr, die inmier nach einem chorisch gehaltenen „Amen''' erfolgt, von einer, dann von zwei und endlich von drei Stimmen contrapunk- tiert und am Schluss mehrstimmig verarbeitet wird. Mit gros- serer Sorgfalt ist das ^Credo''^ behandelt. Schon die Thema- tik ist fast durchweg ganz im Sinne des alten Dogma und des alten Styls gehalten. Selbst die mildere Anschauung Bachs ist hier dem jtingem Meister fremd; nur in der eben so gewaltigen Harmonik eifert er jenem nach; und wenn auch Schumann die Motive nicht mit der Gonsequenz der ^Item Meister festhalt, so 197 versucht er doch hier ihre Verarbeitung iiberall im Sinne und Geist derselben. Aeusserst anziehend ist das ,,Et in camatus esf und das y^Orudfiscus'' gehalten; der Meister begntigt sich in wundervoUen Accorden iiber die ganze Stelle ein mystisches Dun- kel zu breiten, aus welchem dann das ^Et resurrexif mit um so grosserer Frische und Klarheit beraustritt. Ein Satz von grosser Lieblichkeit ist dann das Offertorium flir Orgel und obli- gates Violoncello. Das ,,Sanctus''' ist ganz Klang. Singstimmen, Bias- und ein Theil der Streichinstrumente balten langgezogene Accorde, und die ersten Geigen und Celli's fubren dazu einen Cantus Jirmus aus, so dass man meint, in Schumanns Phantasie ware ein altes Bild lebendig geworden, auf welchem die himm- lischen Heerscbaaren, in Wolken eingehiillt, das ^Sanctus''' an- stimmen. Aus dieser Stimmung tritt das „Pleni sunt coeli" in seiner derben, rein declamatorischen Fassung etwas gewaltsam her- aus, nnd weder das ,^Osanna in excelsis^'' nocb selbst das y^Bene- dictus qui venif vermogen uns wieder in sie zuriick zu ver- setzen. Erst das „ salutaris hostias'\ im Tone der priesterlicben Verktindigung gehalten, leitet uns wieder zuriick zum „Sanctus'\ dem dann ein reich belebtes und fein gefiigtes „-4w^' folgt. Auch der letzte Satz, das „ Agnus DeV\ zeigt, dass der Meister recht wol im Stande gewesen ware, auch den Kirchen- styl im Licht der neuen Richtung zu zeigen, wenn ihm ein giinsti- geres Geschick vergonnt hatte, mit seiner voUen, ungeschwachten Schaifens- und Gestaltungskraft ihm sich zuzuwenden. Wol ist der Contrapunkt, namentlich in seiner Fassung als Begleitungs- figur im Alt: I fc ^ ^=\ qui tol — - lis pec - ca — - - ta mun - - di. mehr instrumental als vocal gedacht, aber aus dem Ganzen spricht ein so reiches und doch religios verklartes Empfinden zu uns, dass wir hier den Weg zur Verschmelzung der beiden erwahnten 198 Style gefunden erkennen. Es ist edit romantisches Empfinden, das in religioser Zerknirschung um Erbarmen, um Frieden fleht. So sehen wir audi hier wieder bestatigt, was wir als das Charakteristische dieser Periode erkannten, dass des Meisters Phantasie nicht mehr stark genug war, zu formen und zu bilden ; er wurde uns sonst in dieser Messe jene stille Gemeinde der From- men, jene unsichtbare Kirche aufgerichtet haben, nach welcher auch die Romantiker des vorigen Jahrhunderts suchten — und dass auch sein Empfinden nicht mehr gliihend und gewaltig genug war, die Formen des altern Kirchenstyls zu beseelen und zu er- neuern, zu Tragern der modernen christlichen Weltanschauung. Von den Schopfungen der letzten Lebensjahre des Meisters interessiert uns besonders die 1853 componierte Ouverture zu Faust, mit der ein Werk dann beendet war, welches wir noch speciell betrachten miissen. Die „Fest- Ouverture" (Op. 123), „Sieben Fughetten fur Piano'"' (Op. 120), die „Sonatinen' (Op. 118), wie die y^Phantasie fur Violine" (Op. 131), oder das ..Concert Allegro'' (Op. 134), und y.KinderhalV (Op. 130), die ..Mahrchenerzahlungen: Vier Stucke fur Clarinette, Viola und Pianoforte" (Op. 132), die „ Gesdnge Op. 114 und 133'\ wie die y^Romanze fiir VioloncelV\ welche neben den Harmonisierungen der 6 Violinsonaten von Bach, 1853 und 1854 entstanden, wiirden uns nur zu Wiederholungen veranlassen, da sie genau dem entsprechen, was wir iiber die glei- chen Arbeiten dieser Periode bereits darlegen konnten. Die Musik zu Scenen aus Goethe's ..Faust" dagegen ist noch ein Ereigniss, das unsere vollste Beachtung verdient. In jener Zeit der Reife (1844) begonnen, hat Schumann sie in ver- schiedenen Jahren (1847, 1848, 1850 und 1854) beendet, und obwol theilweis in Leipzig, Dresden und Weimar, am hundert- jahrigen Geburtstage Goethe's (1849 am 29. August) aufgeftihrt, ist sie doch erst nach des Meisters Heimgange veroifentlicht worden. Zur ganzen Tragodie steht die Musik Schumanns nicht so eng in Beziehung, wie die des Ftirsten Radziwill oder die von Lindpaintner. Goethe fordert die Mitwirkung der Schwesterkunst 199 von vorn herein. Wenn auch die Lieder Gretchens nicht notli- wendig gesungen werden miissen, so ist doch an vielen Stellen die breiteste Anwendung, namentlich von Vocalchoren gefordert. Schumann nimmt hierauf keine Riicksicht; er componiert nur, was ihn speciell anregt, und darunter manches, was von Goethe durch- aus nicht fiir eine musikalische Behandlung bestimmt ist, wie No. 1. ^ Scene im Garten^\ den Monolog Faust's: „Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendig'' und nFausfs Tod". Wenn jene „ Scene im Garten" tiberhaupt componiert wer- den sollte, was durch nichts eigentlich begrundet und geboten er- scheint, so war das kaum anders moglich als in der von Schumann angewandten Weise. Er halt die dialogische Redeweise ganz ent- schieden fest, und unterstiitzt die Declamation nur durch die schar- fern musikalischen Accente und zwar mit der Siisse und Mannich- faltigkeit, wie in seinen reifsten Werken, so dass dadurch schon der Ausdruck der Stimmung, das Schweben zwischen naiver Un- schuld und hervorbrechender Sinnlichkeit wesentlich erhoht wird. Die Orchesterbegleitung verbindet alle diese Momente durch eine stetige Entwickelung ; ausserordentlich weich gehalten, steigert sie namentlich den Ausdruck des uberquellenden Gefuhls. Schumann declamiert hier wieder ausserst fein abgestuft; zwar erscheinen die Accente etwas bunt an einander gereiht, aber in der fester gefiigten Begleitung finden sie den einigenden Moment, und aus der Wechselwirkung beider entsteht jenes Schweben zwischen hervor- brechender und zuriickgedrangter sinnlicher Glut. Weit weniger angemessen ist diese Weise der musikalischen Behandlung bei dem Gesange Gretchens vor dem Bilde der Mater dolorosa. Hier hat der Dichter fur die verzweifelnde Angst Gretchens eine so entsprechend kiinstlerische, dichterische Form gefunden, dass der Componist sich nicht nur darauf beschranken durfte, dem Text die einzelnen Gefiihlsaccente abzulauschen und sie musikalisch zu erhohen und festzusetzen, sondern er musste auch jenes Versgefiige musikalisch darstellen, wie das Schubert in seiner leider nur Fragment gebliebenen Composition die- ses Gesanges thut. {Nachgelassene musikalische Dichtungen, lAef, 29.) Schumann halt sich auch hier vorwiegend an den 200 Wortausdruck, so dass dieser in ergreifendster Weise musikalisch erhoht wird, aber nicht eigentlich in kiinstlerischer VoUenduiig. Die nScene im Dom''' (bei Schumann No. 3) hat Schubert gleichfalls componiert {Nachgelassene musikalische Dichtungen, Lief. 20) und entschieden wiederum mehr im Charakter der Dich- tung als Schumann. So fasst Schubert den „Bosen Geist" nicht eigentlich persSnlich, sondern mehr als „Stimme des Gewissens", als „die Gedanken, die in Gretchen heriiber und hintiber gehen und die sie nicht loswerden kann". Schumann personificiert den bosen Geist und stellt ihn in lebendiger Wechselrede mit Gret- chen wirklich dar. Dadurch gewinnt er ein gestaltenreiches cha- rakteristisches Tongemalde, das noch durch die weitere instrumen- tale Ausfuhrung und durch die reichere Ausstattung des, vom vierstimmigen, nicht nur wie bei Schubert einstimmigen Chor aus- gefiihrten: „Dies irae^' machtvoller wird. Allein dem Charakter der Dichtung, namentlich so weit Gretchen den Mittelpunkt bildet, diirfte doch jene Bearbeitung von Schubert mehr entsprechen. Auch dass Schubert das von Schumann componierte: „Nachbarin^ euer Fldschchen'^ wegliess, ist nur zu loben. Meisterhaft ausgefiihrt ist No. 4: ^^Sonnenaufgang^^ bis zu dem Monolog Faust's: „Des Lehens Pulse schlagen frisch lebendig^\ Die musikalische Umdichtung des Gesanges Artels und die Dar- stellung des schwebenden Kreises der Geister ist Schumann eben- falls ganz vortrefflich gelungen. Hier ist alles iippig hervorquel- lend und doch auch so nebelschleierumhiillt, wie es eben nur Schu- mann zu gestalten vermochte. Jenem Monologe aber einen musi- kalisch zu formenden ethischen Inhalt abzugewinnen, gelang auch ihm nicht; er declamiert ihn in jener phrasenhaft melodischen Weise, die leicht und friih ermudet. Auch die nachste Nummer (No. 5: ^MxttemackC) verliert durch die Behandlung des wenig musikalischen Dialogs an Interesse. Der Gesang der vier grauen Weiber ist wieder, wenn auch nicht gerade tief durchdacht, doch ausserst charakteristisch gehalten; seine Wirkung aber wird durch die folgende Rede und Gegenrede Faust's und der yySorge'' wesentlich abgeschwacht. Durchaus charakteristisch ist die folgende Nummer (6: ^Fausfs 201 Tod''). Hier verbindet die Begleitung wieder, wie in den besten derartigen Werken, die einzelnen, mehr declamierten Partien zu einheitlichem Zuge. Der Gesang der Lemuren und ihre Arbeit bot wieder das giinstigste Terrain fiir Schumann's schopferische Kraft; den Tod Faust's begleitete er mit einer erschuttemden Musik. Die bedeutendsten Nummem enthalt die dritte Abtheilung. Hier ist alles mehr decorativ gehalten und die luftige korperlose Welt des Geisterreichs, in welchem dieser Theil spielt, findet in der Musik die treuste Darstellung. Sie wird uns gleich im ersten Chor der heiligen Anachoreten durch Schumanns Musik leben- dig gegenwartig gemacht; ihre Anschauung beherrscht die ganze weitere Entwickelung. So wird der folgende Gesang des y^Pater ecstaticus" (Tenor-Solo) zumeist durch die Vorstellung des Auf- und Abschwebens bedingt. Sie erzeugt in der Phantasie des Ton- dichters eine dem entsprechende Begleitungsfigur , die dann in- strumental sich zu einem Tonsatz ausbreitet, zu welcher der Ge- sang nur als charakteristische Recitation hinzutritt. Ihre rhyth- mische Gleichmassigkeit wird weniger durch das Metrum der Textesworte, als durch diese Begleitungsfigur bedingt. Jene rhyth- mische Monotonie war leicht zu beseitigen, wenn Schumann das Yersgefiige so treu nachbildete, wie im Gesange des „ Pater pro- fundus'' (No. 3: Bass -Solo), des „ Pater Seraphicus" (Bariton) und selbst im Chor der seligen Knaben, der in den Gesang jener einstimmt. Namentlich der letztere ist ausserst naiv und herzge- winnend gehalten. Auch die folgende Nummer ist organisch fest- gefiigt; doch wird sie in einzelnen Partien, wie gleich im ersten Chor aus ihrer idealen Sphare etwas herabgedriickt. Jedenfalls musste hier die Begleitung mehr in Figurenwerk aufgelost werden und nicht vorwiegend accordisch gehalten sein. Auch die Triolen- bewegung, welche der Chor dann anschlagt, vermag uns nicht voll- standig wieder auf den luftigen Schauplatz zuriick zu versetzen. Erst der Gesang des r^Doctor Marianus" (Bariton No. 5) fiihrt uns zuriick; die Chore der Engel in der folgenden Nummer (6) stam- men wieder ganz aus jenen lichten HShen, und sie gewinnen zu- gleich die naive Innigkeit alter Marienlieder, der gegeniiber das: 202 y^Ndge^ neige'^ der Biisserin (Gretchen) etwas sehr gesucht und unnattirlich erscheint Den Schliisschor {Chorus mysticus) hat Schumann in zwei Bearbeitungen hinterlassen, von denen wir der ersten den Vorziig geben mochten, well sie in ihrer gedrangteren Fassung uns mehr dem Charakter des Ganzen entspricht und namentlich zu dem grossartigen Anfang in naherer Beziehung zu stehen scheint, als die zweite Bearbeitung. Sie entspricht nach unserm Geftihl mehr den Anforderungen eines Hymnus, in welchen die ganze Welt ein- stimnien soUte. Sdiumann schrieb nach alle dem seine Musik zu den einzel- nen Scenen aus Faust nicht eigentlich in der Absicht, diese tief- sinnig zu interpretieren, was nur im beschrankten Sinne moglich ist, sonderu sie zu illustrieren mit dem ganzen Apparat, den er sich hierzu selbst geschaffen hatte, und der allerdings dazu ausserordentlich geeignet ist. Ueberall wo er dem Gedanken als solchem naher tritt, wird er trocken recitierend. Daher ist auch die Ouverture keiner seiner ilbrigen gleichzustellen, am wenigsten der .^Manfred' Ouverture"^ mit welcher sie ideell grosse Verwandt- schaft hat Dort fanden wir alle streitenden Elemente der Tra- godie vereinigt; so dass ihr Zusammenhang mit dieser fest und sicher erkennbar ist. Die y^Faust-Ouvertiire^'' ist nur wie ein Phan- tasiestiick, in welchem das Ringen und Irren eines machtigen Geistes ausserlich dargestellt ist; der endliche Sieg iiber die unheim- lichen Gestalten, die nur wie Schemen und Schatten auftreten, ist ziemlich banal ausgedriickt. 1853 vermochte Schumann schon nidit mehr diesen Kampf in seinen einzelnen Momenten, die strei- tenden Gewalten in ihrer ganzen Grosse aufzufassen. Des Meisters kiinstlerische Mission war erfiillt; seine irdische sollte es auch nur zu bald werden. Die Dttsseldorfer Stellung, welche Schumann factisch am 24. October 1850, an welchem Tage er das erste Abonneraents- Concert dirigierte, antrat, befriedigte ihn, wie aus einem Briefe vom 9. August 1851 hervorgeht, sehr, doch hatte er sie nur bis zum Herbst des Jalires 1853 inne. Wir vermogen nicht anza- geben, welche speciellen Griinde den „Verwaltungsausschuss des 203 Dtisseldorfer Musikyereins" bewogen, unsern verdienten Meister plotzlich seiner Functionen als stadtischer Musikdirector zu ent- heben. Sein Directionstalent war allerdiugs, wie das in seiner ganzen Individualitat begrundet ist, wenig entwickelt, und sein grosser Hang zur Schweigsamkeit liess diesen Mangel nur noch fuhlbarer werden. Dazu kam, dass sich bereits 1851 wieder kor- perliche Leiden einstellten, die im nachsten Jahre einen immer beunruhigendern Charakter annahmen, so dass er schon seine Mit- wirkung bei dem Dtisseldorfer Musikfest, das im August stattfand, ausserst beschranken musste. Zwar erholte er sich unter der sorg- samsten Pflege wieder so weit, dass er auch seine amtlichen Functionen wieder verrichten konnte, allein verschiedene Symptome, wie Gehorstauschungen, die schwindende Urtheilskraft, vor allem eine grosse nervose Ueberreiztheit machten bei seinen Angehorigen und Freunden emste Besorgnisse rege. Auf einer Reise, die er in Gemeinschaft mit seiner Gattin im November nach den Nieder- landen unternahm, hatte er noch die grosse Freude zu sehen, wie seine Musik dort „beinahe heimischer geworden war, wie im Vater- lande". „In alien Stadten," (schreibt er in einem Briefe vom 17. Januar 1854) „wurden wir mit Freuden, ja mit alien Ehren bewillkommt. Ueberall waren grosse Auffuhrungen der Sympho- nien, gerade der schwierigsten, der 2. und 3., im Haag auch mir die Rose vorbereitet." Es soUten dies die letzten aussergewohnlichen Freuden sein, die er genoss. Nach seiner Ruckkehr ordnete er seine „Gesam- melte Schriften" zum Druck und arbeitete an einer Sammlung aller auf Musik bezuglichen Ausspruche grosser Dichter und Deu- ker. Doch soUte er diese nicht mehr vollenden. Wie bei Hoff- mann gewannen auch in seiner Phantasie jene Gestalten, mit denen er einst gespielt hatte, eine unheimliche Gewalt uber ihn auszu- uben. Er hatte das Zauberwort, sie zu bannen, verloren, und so musste er ihrem wilden Reigen rettungslos verfallen. Bald fiihlte er, seine endlichen Schranken vergessend, sich im Verkehr mit den Geistern der Abgeschiedenen. Schubert und Mendelssohn hat- ten, so meint er, ihm ein Thema gesaudt, uber das er auch nach Wasielewsky's Angabe, 5 Variationen schrieb. Seltener warden 204 bald die lichten Momente, in denen er seinen traurigen Zustand erkannte, und die sorgsamste Pflege war nicht mehr im Stande, das schrecklichste Geschick von ihm abzuhalten. Am 27. Februar 1854 entfernte er sich aus dem engen Kreise der Familie und der anwesenden Freunde und suchte in den Wellen des Rheins seinem Dasein ein Ende zu macben. Er wurde zwar gerettet, aber nicht seiner Kunst oder seiner Familie wiedergegeben. Sein Zustand war ein so trostloser, dass er der Krankenheilanstalt des Dr. Richarz in Endenicb bei Bonn iibergeben werden musste, und dass nur selten einzelnen Freunden der Zutritt zu ihm er- laubt war. Am 29. Juli 1856 verschied er im Arm der treuen Gattin. Seine sterblichen Ueberreste wurden am 31. Juli in Bonn unter der Theilnahme zahlreicher Freunde beerdigt. Ausser der Gattin beweinten seinen Tod sieben, meist unerwachsene Kinder: 3 Tochter und 4 Sohne. Hatte auch Schumann wahrend seines Lebens im Herzen des deutschen Volkes nicht so tief Wurzel gefasst, wie jener andere, wenige Jahre friiher dahingeschiedene Meister, so war doch die Theilnahme an dem tragischen Geschick des wunderbaren Mannes eine allgemeine und tiefe. Die Zahl derer, welche wussten, was Schumann der Nation fiir kostliche Gaben dargebracht, welche wunderbare Schatze er ihr geschenkt hatte, war noch klein, aber uberall erweckte die Trauerkunde die Klage um einen grossen Todten. Am 21. Februar 1871 haben seine zahlreichen Verehrer in Leipzig an dem Hause, in welchem Schumann in den Jahren 1840—44 wohnte — Inselstrasse 5 — eine Marmortafel an- bringen lassen mit der Inschrift in goldenen Buchstaben: ^Hier wohnten Robert und Clara Schumann 1840 — 1844.'''' Achtes Kapitel. Schumanns kunst- imd kulturgeschichtliche Bedeutiing. Wir haben uns bisher vorwiegend mit des Meisters eigener Entwickelung beschaftigt. Wenn wir auch dabei wiederholt auf die naheren oder entfernteren Beziehungen derselben zur allgemeinen Kunstentwickelung hinweisen mussten, so geschah dies doch immer nur mit Rucksicht auf die individuelle Entwickelung Schumanns. Die Bedeutung, welche das einzelne Kunstwerk innerhalb dieser gewinnt, festzusetzen, gait uns immer als Hauptziel. Jetzt bleibt noch tibrig die Stellung, welche Schumann durch seine gesammte Wirksamkeit innerhalb der allgemeinen Kunstentwickelung gewann, etwas naher zu betrachten. Die Bedeutung des schaffenden Kiinstlers ist eine doppelte : er bereichert die Kunstschatze der Nation durch eine Reihe eigener vollendeter Kunstwerke und wirkt zugleich fordernd auf die Kultur- und Kunstentwickelung der Volker. Beide Seiten der kiinstlerischen Wirksamkeit stehen nicht in so engem Zusammenhange, als es auf den ersten Moment erscheint. Nur fur dieKulturentwickelung werden die monumentalen Kunstwerke ausschliesslich fordernd. Die Kunstentwickelung hat viel haufiger an die weniger be- deutenden Kunstwerke vergangener Perioden angekniipft, um sie im Sinne und Geiste einer bestimmten Richtung weiter zu fiihren. So bezeichnen die hochsten Kunstwerke Bachs die VoUendung des kunstlichen alten Contrapunkts und der durch ihn beherrschten Richtung; in seinen weniger bedeutenden Instrumentalwerken, in den Phantasien, Suiten und Sonaten wird jener neue Kunststyl angeregt, der in Haydn, Mozart und Beethoven erst seine VoUendung findet. Diesen drei jungern Meistern wurde nicht das monumentale 206 Kunstwerk des Altmeisters deutscher Kunst Ausgangspunkt fur ihre eigene Thatigkeit, sondern jeues, in welchem er die iieue Richtung nur audeutete und anregte. Die letzten Werke Beetliovens veran- lassen dann jene Isolienmg der subjectiven Stimmung, welche in Schubert, Mendelssohn und Schumann zu hochster Bliite emportreibt. An die engeren Formen des Liedes und der Bagatelle anschliessend, fanden sie Inhalt und Form der Tonkunst unserer Tage. Es erscheint daher geboten, beide, das Product des kiinstle- rischen Schaffens und seine specielle Bedeutung fur die Kunstent- wickelung, gesondert zu betrachten. Der Tonkiinstler gewinnt end- lich auch noch als austibender Kunstler, als Virtuos, Dirigent oder Lehrer, oder indem er mit Wort und Schrift Ziele und Plane und die ewigen Gestaltungsgesetze seiner Kunst festzustellen versucht, Bedeutung. Auch in Bezug hierauf miissen wir Schumanns Wir- ken noch einer Betrachtung unterziehen. Die Zahl der wirklich monumentalen, fiir alle Zeiten gttltigen Kunstwerke, die Schumanns Namen auch den kommenden Geschlech- tern iiberliefern werden, ist nicht gross; sie konnte, bei seiner eigenthiimlichen Entwickelung, kaum eine grossere sein. Nicht der Inhalt, sondern die kunstlerische Form ist die wesentlichste Bedin- gung fiir ein Kunstwerk, das seine Zeit liberdauern soil. Jener ist wandelbar, von Geschlecht zu Geschlecht wechselnd ; nur diese bleibt ewig dieselbe und ist daher auch kiinftigen Zeiten in ihrer Neu- und Umgestaltung verstandlich. Wir vermogen noch den, alle Form iiberwuchernden Inhalt vieler Tonstucke von Schubert und Schumann voUstandig zu erkennen, weil er in uns noch lebendig wiederklingt; kommenden Zeiten mit veranderter Geflihlsstromung wird er verschlossen bleiben, weil er nicht allgemein verstandliche Form gewonnen hat. Aus dem ganz gleichen Grunde fehlt uns z. B. auch das Verstandniss fiir die erhaltenen Proben der Prosen- und Sequenzen-Melodien — oder der Melodien des Minnegesanges, wahrend uns die Volkslieder der vergangenen Jahrhunderte trotz ihrer andem Geftihlsweise ausserordentlich fassbar und verstand- lich werden. Die Kirchenmusik des Reformationszeitalters ergreift uns viel unmittelbarer und gewaltiger, als auch die bedeutendsten Werke der romischen Schule; und doch lebt in beiden dieselbe 20? Glut weltlicher oder religioser Empfindung: aber diese gewinnt nach der einen Bichtung pracisern Aiisdruck als nach der andem. Wirklich monumentale Bedeutung werden daher auch nur die Werke Schumanns gewinnen, iu denen er eine bedeutsame poetische Idee anschaulicli zu formeii verstand. Die Werke der ersten Periode, in der er nach dieser formellen Gestaltung noch suchte, uud die zu ihrem Verstandniss die Bekanntschaft mit alien den Voraussetzungen, unter denen sie entstanden sind, erfordern, und diejenigen der letzten Periode, in welcher er sie verfehlte oder audi geflissentlich vermied, haben nur fiir seine eigene Entwicke- luug Bedeutung, kaum noch fiir seine Zeit, die sie nur versteht, weil ihr die Anschauungen, unter denen sie entstanden, noch bekannt und begreiflich sind. Die ersten Werke Schumanns erschienen uns mehr als Studien, durch die er den, zur Darlegung seiner eigenen Individualitat nothwendigen Styl schuf. Wir sahen, wie dieser nicht leicht aus den Stylarten vergangener Jahrhunderte zu ent- wickeln war, und wie Schubert und zum Theil Chopin und Paga- nini nur die hierzu nothige Anregung und Anleitung gaben. Den Hauptfactor bildete immer jener neue Inhalt selbst, unter dessen zwingenden Einfluss Schumann sich daher Mh stellt. Um diesen voUstandig zu erfassen, versucht er ihn schon an bcstimmten aussern oder innern Vorgangen zu verdichten; er concentriert seine Phan- tasie an ganz bestimmten Gestalten und Bildem, um sie so klarer anzuschauen und unter ihrer Herrschaft schafft er dann Tonstiicke, in welchen sich die Bilder seiner Phantasie wiederspiegeln; in denen Ziige seines Seelenlebeus musikalisch dargestellt erscheinen. Hier- durch tritt er in eine oppositionelle Stellung zu der Praxis seiner Zeit, die gleichfalls seinen Werken sich aufpragt, und so entstehen eine Beihe Compositionen, die wir oppositionelle nannten, und von denen naturlich nur eine ganz kleine Zahl bleibende Bedeutung ge- winnen konnte. Die andern werden uothwendiger Weise an Bedeu- tung verlieren, nicht weil sie unreife Jugendwerke sind, sondern weil sie sich nicht selbst aussprechen in hochster Deutlichkeit, nicht ohne alle, ausser ihnen liegende Voraussetzungen verstandlich sind. Um die Papillons, die Intermezzi und Impromptus, die Da- vidsbundlertdnze und den Cameval vollstandig zu verstehen, um 206 sie in ihrer Eigenart zu erfassen, mussten wir uns der aussern Oder innern Vorgange, durch welche sie erzeugt sind, vorher voll- st^ndig bewusst werden, und es ist nothwendig, dass uns der Com- ponist, durch ausserhalb des eigentlichen Tonsatzes liegende An- deutungen dabei untersttitzt. Selbst aber auch dann wird es nur uns noch moglich, vollstandig den Ideen des Componisten zu folgen, well diese den leitenden und wesentlichen unseres Lebens angehoren. Einer Zeit, in welcher diese verandert erscheinen, wird auch dies schon schwerer, wenn nicht geradezu unmoglich werden. Anders schon verhalt es sich mit den Sonaten dieser Periode und mit den „Phantasiestucken'\ die durch denselben Prozess nur angeregt, nicht aber ausschliesslich beeinflusst sind; die objectiv gefundene musikalische Form hat hier schon das Bild in der Phantasie so musikalisch verdichtet, dass von jener Reflexion, durch welche es entstand, nur wenig in die musikalische Darstellung ubergieng: so dass es sich vollstandig musikalisch ausspricht in selbstverstandlicher Deutlichkeit In den Sonaten ist dies noch weniger der Fall. Hier iiberwiegt jener, durch die Reflexion geordnete und verdichtete poe- tische Inhalt noch die Form, so dass wir wenigstens der Erinne- rung an jenen Gestaltungsprozess noch bediirfen, um ein voiles Verstandniss zu gewinnen. Erst in den „Phantasiestucken'\ den „ Kinder scenen", der „Kreisleriana^' und den verwaudten Werken dieser Periode fanden wir die Toustiicke von bleibendem Werthe aus der ersten Entwickelungsphase unsers Meisters. Sie sind nicht weniger voU des bluhendsten, buntesten, romantischen Lebens, aber dies stellt sich uns in vollstandig geschlossener, innerlich und ausser- lich abgerundeter Form dar. Diese ist nicht, wie noch in den meis- ten friiheren und manchen spateren Werken erst durch den spe- ciellen Inhalt verstandlich und gerechtfertigt, sondern sie vermittelt uns diesen vielmehr ausschliesslich, well sie nur als Verkorperung desselben erscheint. Sie erwachst nicht nur unter der Herrschaft eines bestimmten Inhalts, sondern zugleich auch unter der zwingen- den Gewalt der Idee der Form. Dort in den ersten Werken wird die specielle Form oder Unform nur angeregt durch einen Inhalt, so dass dieser selbst nicht eigentlich in ihr verk6rpert ist. Jetzt macht er sich die Form dienstbar, so dass sie zu seinem Tr&ger mid Vcrkiinder wird. Doit miisste iiothwendig eiu gut Tiieil vom Itihalt zuruckbleiben, das der ausserhalb des Kunstwerks liegenden Interpretation zii erganzen anheimfallt ; in diesen letztern Werken dcigegeii gewinnt er voUkommeu erschopfende Gestaltung, so dass er sich selbst vollkonimen verstaiidlich ausspricht. Nur so ge- winnt das Kunstwerk eine hohere, als nur zeitliche Bedeutung; nur so erhalt es bleibenden Werth fiir alle Zeiten. Bedeutsamer mussteu weiterhin die Werke Schumanns wer- den, in denen er sich den fremdeii, iiberlieferten Formen zu- wandte, urn sie mit neuem Gehalt zu erfiillen und dadurch zii er- neuern. Wir warden nicht nothig haben, noch einmal die kostlichen Gaben aufzuzahlen, mit denen Schumann den Liederschatz des deut- schen Volkes bereicherte. Wir haben ausfiihrlich nachzuweisen ver- sucht, wie er den deutschen Liederfriihling, der aufs Neue in Hein- rich Heine, Friedrich Riickert, Joseph v. Eichendorff, Justinus Kerner, Nicolaus Lenau, Adalbert v. Chamisso, Robert Reinick, Emanuel Geibel u. A. emporbliihte, auch musikalisch zur Blute und zur Reife brachte. Wir wiesen nach, wie er erst den ganzen Heine erfasste, um ihn musikalisch wieder zu dichten; wie er das reiche, innere Leben dieses Dichters mit den erschiitterndsten Gefiihlsaccenten darstellte; wie er der farben- reichen, mahrchenhaften Welt, aus welcher Eichendorflfs Lied stammt, erst Form und Klang gab; wie er fiir RUckerts Lieder- friihling Oder fiir Chamisso's Frauenliebe und Leben nicht minder beriickende Weisen fand, als fiir die mehr realistischen Anschauun- gen Reinicks oder Burns. Alle diese Lieder werden nie ver- klingen, so lange iiberhaupt deutsches Lied und deutscher Sang noch nicht erstorben ist. Es sind das eben Schatze, die kein zweites Volk aufzuweisen hat, und sie sind so unvergauglich, dass noch nach Jahrhunderten die Volker sich an ilirer unverwelkten Frische ergotzen und erheben werden. Diese Lieder alleiu waren hinreichend, Schumanns Namen fiir alle Zeiten an die kommenden Geschlechter zu iiberliefern. Wie er ferner auch dem Chorgesange neue Elemente zufiihrte und in einzehien Chorliedern echt kiinstlerisch vei^werthete; wie er auch einzelne Balladen fiir alle Zeiten mustergiiltig hinst elite, wnrde 14 210 gleichfalls von uns nachgewiesen. Nicht der tiefe, uns wundersam ergreifende Gefiihls- uiid Gemiitlisiuhalt giebt diesen Werken ihrc hohe, unvergangliche Bedeutimg, sondcrn die VoUendimg der Form, welche der Meister in diesen Werken erreicht hat, und sie wird die ganze Susse dieses Liederfruhlings auch kommenden Geschlech- tern iiberliefern, deuen der Inhalt nicht mehr so unmittelbar gegen- wartig sein durfte als uns. Das aber ist die hochste Mis- sion der Kunst. Sie soil die Ideale ihrer Zeit nicht nur durch ihr kiinstlerisches Darstellungsmaterial aus- sprechen; denn so werden diese nur ihrer Zeit verstandlich sein; sondern die Kunst soli sie in plastischen, ewig verstandlichen Formen darstellen, so dass sie fiir alle Zei- ten begreiflich fassbar werden. Diese Mission hat Schu- mann mit den besten seiner Lieder und Balladen voUstandig erfullt. Sie hatten zugleich dem Meister den Weg geoffnet, zur gleich unverganglichen formellen Gestaltung des Instrumentalen, so dass er auch hier jetzt Werke schuf von monumentaler Bedeutung. Jetzt erst hatte er gelernt, unter dem ordnenden und einigen- den Einfluss einer bestimmten Form zu arbeiten. Indem er seine Phantasie nicht nur dem belebenden Einfluss seiner romantischen Ideale, sondern zugleich der ziigelnden und bildenden Gewalt der Form der Sonate und Symphonie unterwirft, gewinnt er auch hier die ewig giltige Darstellung eines bestimmten Zuges romantischen Lebens. Wir fanden seine Syraphonien, namentlich die C-dur- und B-dur-Symphonie so reich erfullt mit diesem, wie nur die bluh(»nd- sten und blendendsten Erzeugnisse seiner friiheren Periode, aber zugleich auch so formell gefestigt, dass wir nur diese formelle Ge- staltung zu betrachten und zu zerlegen hatten, um den Inhalt voU- standig zu erfassen. In der Es-dur-Symphonie fanden wir dann in- sofern noch einen Fortschritt, als der Meister sich hier wieder mehr der realen Welt zuwendet; diese unter dem blendenden Schimmer romantischer Verklarung betrachtet, und dass hiermit ein neuer Weg fur die Weiterentwickelung der Symphonie gefunden ist. Unter ganz gleichen Gesichtspunkten konnten wir dann seine Kammermusik betrachten. Das Es-dur-Quintett, wie das Es-dur- Quartett, die Trio's fiir Pianoforte, Violine und Violoncell, die ^11 Sonaten fiir Pianoforte uiid Violin e enthalten einc ganze Reihe von bedeutsamen Ztigen seinor roniantisch verklarten Innerlichkeit, in durchaus objectiver, allgemein verstandlicher Form, so dass auch sie durch alle weiter noch erfolgenden Umgestaltungen und Erwei- ternngen der Kunstentwickelung bleibenden Werth behalten werden. Nur weil der Meister nicht in demselben Maasse verstand, sich den Anforderungen der dramatiscben Formen zu unterwerfen, vermochte er nicht auch auf diesem Gebiet gleich Volleudetes zu leisten. Selbst sein bedeutendstes Werk dieser Gattung: ^Das Pa- radies und die Peri'''' konnten wir nicht als durch weg vortrefflich anerkennen, weil hier vielfach die Idee dramatischer Form subjec- tivem Gefallen geopfert wird. In der Musik zu Byron's „ Manfred^'' tritt dieser Mangel zum Theil noch klarer hervor, und in der Oper „Genoveva" hindert erdie dramatische Entwickelung vollstandig. Der Meister entwickelt hier nur noch psychologisch — kaum andeutungsweise dramatisch. — Damit aber sind wir jener andern Seite der Bedeutung Schu- manns naher getreten, Mit diesen Werken erhoht er sie nicht mehr; er wird nur noch anregend fiir die Weiterentwickelung der ganzen Richtung. Ehe wir uns zum Nachweise dieser neuen Anschauung wen- den, mussen wir noch daran erinnern, dass wir auch die Ouverturen zu jenen dramatiscben Werken, wie das Clavierconcert und eine Reihe anderer Clavierwerke dieser Periode gleichfalls als formvol- lendet anerkannten, dass auch sie mithin fern en Geschlechteru noch kunstlerischen Genuss bereiten und Kunde geben werden, von dem Empfinden und den kunstlerischen Idealen unserer Tage. Die Zahl der monumentalen Werke Schumanns ist nach alle dem verhaltnissmassig klein; aber diese stehen auch dicht ueben allem, was je Yortreftliches geschaffen worden ist. Man braucht mit den in ihnen verkorperten Idealen nicht iibereinzustimmen; man kann die durch Bach, Haendcl, Beethoven odcr die anderer bedeu- tender Meister gestalteten hoher stellen, aber die kiinstlerische Ge- staltimg selbst wird man anerkennen mussen, und diese ist immer die letzte und hochste Bedingung fur den kunstlerischen Werth des Kunstwerks. u* 212 Die grosse Bedeutung Schumanns fiir die allgemeine Kiinst- entwickelung ergiebt sich nach alle dern von selbst. Mit jenen Werken seiner fruhesten ktiustlerischen Thatigkeit fiihrte er der Tonkunst nicht nur neue Objecte, sondern auch die entsprechenden Formen fiir ihre Darstellung zu. In unablassigem Kingen befruchtete er seine Phantasie zur Erzeugung immer neuer, glanzender Bilder; holte er aus dem verborgensten Schacht der Seele immer neue Schatze des Gemiithes und Herzens, und in unablassiger Arbeit suchte er den innersten Organismus des Dar- stellungsmaterials zu erfassen, um jenen dann klingende Form zu geben. Nachdem er diese in einzelnen Werken gefunden, versucht er dann mit dem neuen Geiste auch die alten Formen zu durch- dringen und zu erneuen. So schuf er seine reifsten Werke, mit denen er nicht nur den Kunstschatz der Nation bereicherte, sondern auch zeigte, wie die, in Beethovens letzten Werken angeregte Rich- tung zur wahren Forderung der Kunst weiter zu fiihren ist. Er bewies damit, dass es nicht Aufgabe der Kunst sein kann, den lyrischen Ausdruck bis ins Unbestimmte zu erweitern und immer mehr verfeinert zuzuspitzen; sondern vielmehr den auf diesem Wege gewonnenen gros- sern Reichthum lyrischer Darstellungsmittel den gros- seren Formen zu vermitteln. Wir sahen, dass er selbst die streng contrapunktischen For- men fleissig iibt, um auch ihnen den neuen Inhalt aufzunothigen. Dies gelang ihm voUstandig in den instrumentalen Werken dieser Gattung. Die vocalen wurzeln noch zu tief in der neuen Richtung, welche auf die Declamation des Worts sich zu einseitig stiitzt. Wir fanden, dass nur gesungene, und nicht nackt recitierte The- ^en die entsprechenden fiir den polyphonen Vocalstyl sind. Die Themen mtissen auch ohne das Wort sich aussprechen in hochster Deutlichkeit, nur so gestatten sie eine Verarbeitung im Sinne der vocalen Polyphonic. Schumann ist von dieser Anschauung zu wenigi durchdrungen. Er declamiert seine Themen ganz in der Weise wie seine Lieder; sie lassen sich daher nur schwer verarbeiten und nicht zu so gewaltigen Tonstticken, wie sie namentlich die Messe und das Requiem erfordern. In beiden Werken erscheint uns da- 213 her der Weg, wie die Mittel der neiien Richtung auch der religiosen i^fusik vermittelt werden konnen, nui- angedeutet. Dem nachge- bomen Kiinstler ist es iiberlassen, ihn nach der angegebenen Weise weiter zu yerfolgen. Er wird zunachst seine Thematik nicht an das Wort kniipfen miissen, sondern nur an die, in demselben Be- giiff gewordene Idee und je weiter und klangvoller er sie zu er- fassen vermogen wird, desto leichter wird ihm die Weitergestaltung mit Htilfe der Mittel der neuen Richtung werden. Treten diese so in den Dienst der heihgsten imd hochsten Ideen, so wird und muss auch eine erneute Darstellung religiosen Gefiihls in echt re- ligioser Kirchenmusik gefunden werden. Nach dieser Seite scheinen iiberhaupt die unmittelbaren Nachfolger Schumanns ihre Aufgabe noch wenig erfiasst zu haben. Sie haben bisher viel weniger ihre Phantasie an seinem Geiste entziindet, als vielmehr seine Technik sich angeeignet und zu er- weitern gesucht; diese aber fanden wir selbst bei Schumann schon oft weit mehr nur subjectiv gerechtfertigt, als durch den speciellen Inhalt. Die Vielstimmigkeit der Accorde und ihre weiten Lagen, die freie Einfuhrung von Dissonanzen, nameutlich der Nebensepti- men-Accorde, Nonen- und sogenannten Undecimen-Accorde, arabes- kenartig gewundenes Figiirenwerk, die Syncope und eine reiche Harmonik, diese charakteristischen Merkmale des Schumann'schen Styls treten in den Werken seiner Jiinger, wie nie bei dem Meister, mehr um ihrer selbst willen auf. Bei ihm sollen sie nur den, sonst ganz natilrlich erwachsenen Styl, wie wir wiederholt nach- wiesen, individueller gestalten. Schumann wandte, in seinen reif- sten Werken, seine reiche Harmonik nur dazu an, um den nattir- lichen, harmonischen Gestaltungsprocess, der aUen Formen zu Grunde liegt, und dadurch diese selbst reicher auszustatten, und sie so zu Verktindem seines romantisch bewegten Innern zu machen. Er fiihrt die Dissonanzen meist so frei ein, um iiber den Ausdruck den romantischen Schleier keuscher Riickhaltung zu breiten, wah- rend wieder die Syncope und das wunderbar verschlungene Fi- gurenwerk dem gliiliend erregten, machtig belebten Ausdruck dienen. Aber alles dies sind doch nur Einzelheiten, die den Ausdruck 214 illustrieren und cbarakteristischer gestalten solleii. Dieser selbst legt sich vor allem in der ergreifenden Weise der altera Meist^r dar, und indem diese die Jiinger Schumanns vernachlassigen, erscheint sein Styl bei ihnen reizlos, nicht selten dtirr. Er ist nicht durch einen so lebendigen Inhalt erzeugt und bediugt, wie bei dem Meister, sondera durch kalte Abstraction gefunden. Hier erweist sich jene unfruchtbare Reflexion geschaftig, die sich nur auf aussere Technik bezieht und ihr Product ist ein kunstliches Erzeugniss, ohne inneres Leben. Nur durch seine reifen Werlce wird Schumann anregend fur die Weiterentwickelung der Kunst werden; nicht durch jene, in denen er die neue Technik noch sucht, und auch nicht durch die, in denen er mit ihr schon spielt. Wie er in jenen reifen Werken fortwahrend bemiiht ist, die gewonnenen neuen Mittel den grossera Formen zu vermitteln, so wird auch eine in seinem Sinne weiter- strebende Schule verfahren miissen. Sie wird nicht mehr nach neuen Formen suchen, sondern die alten, nach ewigen Gesetzen gewordenen zu erneuen und zu verjiingen versuchen miissen. Sym- phonic und Senate, Oper und Oratorium werden so zu einer grossern und reichern Ausgestaltung gelangen und zugleich zu grosserer personlicher Wahrheit. Dabei wird sie aber auch bedacht sein miissen, das Kunstwerk wieder mehr aus jener romantisch con- struierten Welt zuriickzufuhren auf realen Boden; wie das der Meister schon in der Es-dur- Symphonic selbst gethan hat. Sie wird diese reale Welt im Lichte dichterischer Verklarung anschauen kounen und dadurch auch die Oper zu neuer Bliite bringen, wenn sie namentlich versteht, den reichen lyrischen Ausdruck, der durch Schumann gewonnen ist, zu personificieren, und so den dramatischen Formen zu vermitteln. Die Formen des verfeinerten, subjectiven Ausdrucks, das „ZrW' und das ^Phantasiestuck'^\ sind von Schumann selbst bis zu solcher VoUendung gefiihrt worden, dass der an ihn anschliessen- den Schule wenig zu thun tibric^ bleiben wird. Sie wird auch diese Formen noch weiter anbauen, wol schwerlich aber noch erweitern Oder gar umgestaltcn konnen. Inncrhalb der durch den Moistcr be- stimmten Grenzen bieten auch diese Formen noch voUauf Raum zur 215 EntwickeluDg individuellen Lebens; aber dies wird sich kaum noch wirklich neu schaffend oder umgestaltend erweisen konnen, ohne die nach ewigen, iinwandelbaren Gesetzen fest bestimmte Form zu verletzen. Wir mussten das an Schumann selbst erfahren. Wo er in seinen letzten derartigen Werken eine Neugestaltung dieser Formen versucht, verliert er sie so vollstandig, dass wir sie noch weniger zu erkennen vermogen, ais in jenen friihesten, in denen er sie zu gewinnen strebte. Diese Formen sind viel zu eug begrenzt, um fiir wcitere Experimente noch Raum zu lassen; die individuelle Beseelnng wird sie nur reicher ausgestattct erscheinen lassen, wie in Schumanns und der vervvandten Meister besten Werken. In dem Ausbau und der Erweiterung der objectiven Formen der Sonate und der Kammermusik^ wie der Formen des Orchester- und des dramatischen Styls findet die Schule dagegen noch ein weites Feld fiir ihre Thatigkeit. Hier hat Schumann die weitere Entwickelung so bestimmt vorgezeichnet, dass seine Jiinger in seinem Geiste fortarbeitend noch Grosses leisten konnen, wenn sie, wie der Meister in seinen reifen Werken, ihre Aufgabe sicher erfassen und an ihre Losung energisch herantreten. Wie der Meister miissen die Junger den Organismus der Sonate und die verwandten Formen festhalten; ihn nur tiefer erfassen, so dass er Trager der neiien Ideen wird; sie mussen, wie er, das Wesen des Contrastes, die Beziehungen der einzelnen Theile unter ein- ander, die harmonische, rhythmische und melodische Construction nicht willkiirlich, sondern im Geiste der Form erfassen und im Sinne der Idee verwenden, und wenn es ihnen dann gelingt, das Adagio aus der Sphare des Liedes oder des Phautasiestucks, in welcher es bei Schumann sich vorwiegend bewegt, in die hohere des Hymnus zu erheben; wenn sie es verstehen lernen, ein Adagio mit Schumanns reichern Mitteln, aber mit der Grosse der An- schauung eines Beethoven zu gestalten; wenn sie dem Scherzo eine reellere Fassung zu geben verstehen und dem entsprechend die Allegrosatze praciser und noch eindringlicher gestalten als Schu- mann, so werden diese Formen zu neuer, herrlicher Entfaltung ge- fuhrt werden und die Schule wird neue Bedeutung fiir die Kunst- und Kulturgeschichte gewinnen, wie ihr Meister. 216 Noch bedeutsamer miissen diese Erfolge natiirlich auf dem Gebiet der dramatischen Musik werden. Wonn der Antheil, den die Tonkunst an der Darstellung des Drama's nimmt, dahin festzusetzen ist: das gesammte seelische Le- ben, welches im Drama ausserlich dargestellt wird, zu offenbaren, so muss naturlich die Richtung in der Musik, welche diese Offen- barung der Innerliclikeit zu ihrem Hauptziel erhob, auch die dra- matische Musik wesentlich zu fordern im Stande sein. Die Ton- kunst erst ermogliclit die vollste, psychologische Wahrheit der Cha- rakterzeichnung, anf welcher die Wirkung des Drama's hanptsachlich berulit. Indem sie uns eine thatsachliche Einsicht eroffnet in die geheime Werkstatte des Geistes, bis dahin, wo alle die unsichtba- ren Faden des gesamraten Handelns zusammenlaufen, wird uns dies erst nach seinem ganzen Umfaiige verstandlich, gewinnen wir erst unmittelbar die Ueberzeugung der Nothwendigkeit derselben. An der Bewegung der Gedanken und Ideen, oder an der thatsachlichen Motivierung und Losung des Conflicts vermag sie keinen Antheil zu nehraen; aber beides unterstiitzt sie und lasst uns ihre Bedingungen empfinden, dass wir ihre Nothwendigkeit nicht nur begreifen, son- dern an uns selbst lebendig wahrnehmen, als waren wir selbst da- von betroifen, selbst dabei betheiligt. Hierin beruht die wesentliche Bedeutung der dramatischen Musik. Wie die Lyrik, kehrt auch sie das innerste Leben hervor, aber, und das ist der von Schumnnn verkannte Punkt — nicht in einem Tableau lyrischer Ergiisse, welche die Empfindung isolieren, lostrennen vom gesammten Men- schen; sondern vielmehr zur Totalitat zusammengefasst. Nur in- dem sie sich personificiert, wird die Lyrik dramatisch. Indem sie hinausgeht uber ihre einseitige Selbstgeniigsamkeit und alle verein- zelten Empfindungen, die sie einzeln festzuhalten sucht, unter sich in Beziehung setzt zu einheitlichem organisch sich entwickelndem Lebenszuge, wird sie zum Charakter, welcher mit der aussern Welt in Bertihrung tritt und zu handeln gezwungen wird. Die Charak- terzeichnung, auf welcher der Glaube an die Wahrheit der Ereig- nisse beruht, wird durch die Musik wesentlich unterstutzt; aber nur iiulcm die einzelnen GefUhlsaccente sich wie dort zum Charak- ter, hier zu gefesteten musikalischen Formen, zum Recitativ, zur 217 Arie, Scene oder zum Ensemble zusammenfugen. Namentlich in den Ensemblesatzen besitzt die Oper ein Hulfsmittel, den Conflict zu unterstiitzen, welches das recitierte Drama nicht besitzt. Dies aber iibersah Schumann meist, als er der dramatischen Musik sich zu- wandte, namentlich bei seiner Oper „ GenovevcC\ Hier zog ihn vor allem das decorative Element an. Dies ist fur die Oper zwar von wesentlicher aber doch untergeordneter Bedeutung. Das Drama muss uns zunachst liber den Boden orientieren, auf welchem es erwachst. Decoration und Kostiim versetzen in die Zeit der Handlung und vergegenwartigen uns ebenso den Ort, an welchem sie vorgeht. Auch an dieser Darstellung von Ort und Zeit vermag die Tonkunst sich zu betheiligen, natiirlich in ihrer Weise; nicht ge- genstandHch, sondern nach ihrer poetischen Wirkung auf das Ge- miith. Sobald die Zeit, welche das Dramatische zu seiner Yoraus- setzung nimmt, eine bestimmt abgeschlossene Physiognomie zeigt, findet sie durch die Tonkunst einen viel pragnanteren Ausdnick als in Kostiim und Decoration. Welch vortreffliche Mittel gerade fur diese Aufgabe dramatischer Musik die neue Richtung herbei- goflihrt hatte, mid wie meisterlich sie Schumann in seiner „Geno- veva'^ verwandte, wurde von uns geniigend erortert. Allein es ist dies doch nur eine ganz aussere Seite dramati- scher Musik. Die Hauptaufgabe bleibt inuner, die psychologische Entwickelung des Drama's zu unterstiitzen. Hierzu hot der Stoff der Oper „Genoveva" freilich nur sehr oedingt Gelegenheit. Daher erwachst fiir die Junger Schumanns und iiberhaupt fiir alle, welche an der Weiterentwickelung des Mu- sikdrama's thatkraftig arbeiten woUen, die dringende Aufforderang, in der Wahl der Stoffe vor^ichtiger zu verfahren, als ihr Meister. Die Welt des Wunderbaren giebt fur die Oper giinstigeren Stoff, als fiir das recitierte Drama; weil die Musik, gegenstandlos wie jene wunderbare Welt, das phantastische Getriebe derselben mit so unwiderstehlicher Gewalt zur Erscheinung zu biingen vermag, dass wir den kiinstlichen Mechanismus iibersehen und in einer realen Welt zu leben traumen. Aber auch fiir die Musik ist es eine hohere Aufgabe, einen wirklich ethischen Gehalt darlegen zu hel- 218 fen, die dramatische Handlung durch Darstellung der physiolo- gischen Prozesse zu unterstiitzeii. So nur werden auch die reichen Mittel, welche die neue Richtung der dramatischen Musik zufiihrte, erst zu entsprechender Verwendung kommen konnen. Die Neuzeit wird sich abwenden mussen von jeuen, nur mit romantischem Spuk orfuUten Stoffen; sie wird zu der romantisch verklarten Welt zu- riickkehren mussen, in welcher die Leidenschaften und Emplin- dungen, fiir die Schumann so treffende Ausdrucksmittel herbeige- schafft hat, den bewegenden Hebel bilden, aus ^Yelcher die Oper Mozarts und Beethovens stammt. Damit ist aber audi die Riick- kehr zu diesen Meistern geboten. Die neue Oper wird den gan- zen Formalismus, wie er durcli diese beiden grossen Meister des miisikalischen Drama's festgestellt ist, mit ubernehmen mtissen, freilich um ibn dann so im Geist und mit den neuen Mitteln der neuen Richtung umzugestalten, wie das friiher mit dem Liede und mit den Instrumentalformen geschah. Eine Arie, welche sich eben so auf das Lied der neuen Richtung stiitzt, wie friiher auf das alte, wird eine entsprechende erhohte dramatische Macht gewinnen, und wenn sie sich dann in der Weise, wie bei Beethoven, zur „Scene" erweitert, wenn sie, wie bei Mozart, zu Ensembles, in de- nen die Handlung concentriert ist, geflihrt wird, und wenn Chor und Orchester sich diesem ganzen Zuge anschliessen, dann wird auch das dramatische Kunstwerk der Zukunft erstehen, gegen welclie die Producte der sogenannten neudeutschen Schule, als rohe unfertige und unkiinstlerische Experimente erscheinen miissen. Auf dem Gebiete des musikalischen Epos hat Schumann in sei- nem vortrefflichen Werk: ^Das Paradies und die Peri'''' diesen Weg der Erneuerung dramatischer Musik bereits mit Erfolg ein- geschlagen; allein eine, noch bewusster im Grossen gestaltcnde Hand wird auch hier noch Vollendeteres zu schaffen vermogen, wenn es ihr gelingt, die vereinzelten Momente der Handlung in grOssoren, einheitlichen Tableans darzustellen. Das Oratorium erfordert eine noch grossere Geschlossenheit und Energie der musikalischen Ent- wickelung, weil durch sie die fehlende leibhaftige Gegenwart der Handlung ersetzt werden muss; liier wird das Gebiet der Sage noch reiche Stoffe liefern, weil diese sich f(lr die BUhnendarstellung 219 weniger giinstig erweisen. Aber immer wird es lebendig pulsie- rendes, menschliches Empfinden sein mlissen, das die Stoffe beseelt und in einer sagenhaft construierten Welt nur zur Erscheinung kommt, ohne dass diese wesentlichen Einfluss gewinnt. Das halten wir fur die Aufgabe der Schule, die im Geiste und Sinne unseres Meisters weiter arbeiten und seine Kunstprincipien zu herrlicher Verwirklicliung, sein rastloses Streben fur Erneuerung der Kunst zum Abschluss bringen will. Seine Werke der letzten Periode, gegen die wir uns vorwiegend ablehnend verhalten mussten, bezeugen, dass der Meister selbst seine Mission nach dieser Seite auffasste. Die Erweiterung der Balladenform naraentlich weist darauf bin, wenn auch sein, unter den gewaltigsten Kampfen und Arbeiten miide gewordener Geist nicht mehr die rechte Ricbtung zu erkennen vermochte. Er lebte nur in dem Streben nach Neue- ruug, nicht mehr nach kunstlerischer Gestaltung, und so verier er die kritische Sorgfalt, die ihn friiher zu so bedeutenden Erfol- gen gefiihrt hatte. Dafiir gicbt ferner auch die enthusiastische Verehrung fiir die Dichterin Elisabeth Kulmann und fiir den jun- gen Tonkunstler Johannes Brahms Kunde. Dort imponierte ihm eine ausserst phrasenreiche, iiberschwengliche Sentimentalitat, hier sah er, in dem intentionenreichen Ungeschick eines reich begabten jungen Talents „neue Bahnen" eroffnen, die doch nur seine eignen waren. Auch der schwindenden Kraft war das ernsteste, heisseste Streben nicht verloren gegangen; mogen es seine Junger ihm hierin nachthun und nicht an seiner, mitunter schniUenhaften Eigenart einseitig festhalten. Wir haben endlich noch seiner anderweitigen Beziehungen zur Kunst zu gedenken, die, weniger intim, und darum audi nicht eben so erfolgreich, doch zur Vervollstandigung des Bildes von ihm noth- wendig gehoren. Seine kritische Bedeutuni,^ haben wir hinlanglich beleuchtet. Er bat hier weder neue Systeme gefunden, noch iiberhaupt dem kiinstlerischen Schaffen eine so neue Basis gegeben, wie durch sein productives Wirken. Allein dieses selbst hat er ausserordentlich dadurch gefordert, und edleu Feuereifers voll hat er fiir alles Sclione und Gute Partei ergriffen mit den reichen Waffen seines Geistes. 220 Wir haben eine Reihe von Meistern namhaft machen l^ounon, zu deren Anerkennimg er wesentlich hat beitragen helfen. Dass an sein Wirken auf diesem Gebiet sich eine Reihe Schwatzer an- schlossen, die angeblich in seinem Namen und seinem Geiste durch ihre Unwissenheit eine grosse Verwirmng der Begriffe herbeifiihr- ten, verschuldet er nur indirect. AUerdings hatte auch er fur seine Kritik den Inhalt des Kunst- werks zum wesentlichen Zielpunkt seiner Darlegung genommen ; aber nur, weil er die Form als selbstverstandlich voraussetzte. Wir sahen, wie energisch er nach formeller Vollendung ringt, und wie er sie immer und immer wieder unnachsichtlich fordert. Die un- wissenden Nachfolger auf diesem Gebiete seiner Thatigkeit, die eben weder von einem treibenden Inhalt noch von seiner formellen Ge- staltung auch nur die diirftigste Kenntniss batten, mussten naturlich gar bald dazu kommen, die Form fur eitel Blendwerk oder als Hemmschuh fiir die Entfaltung des Inhalts zu halten, und gar bald feierte die albernste Phraseologie ihren tollsten Hexeiisabbath. Das Geschick, der Zukunftsmusik zugezahlt und woraoglich gar als Vater der Theorien ihrer Apostel gelten zu mtissen, ist fiir den K-iinstler Schumann gewiss kaum weniger tragisch, als sein Ende. Schumann hat mit den Helden der Zukunftsmusik und ihrem Tross nur das gemein, dass er, wie sie, aus den alt gewohnten Gleisen heraustrat; doch mit dem kleinen Unterschiede, dass dies bei ihm aus innerem Drang und im Bewusstsein einer hohern Mission geschah, wahrend dort meist Ungeschick oder Unwissenheit die Veranlassung wurde. Einer eigentlich practischen Thatigkeit wurde er, wie wir bereits erwahnten, friih entfremdet. Die Virtuoseulaufbahn, der er sich zuzu- wenden beabsichtigte, musste er aufgeben und seine anderweitigen Arbeiten entzogen ihn jeder andern gleichartigen Thatigkeit. Seine Personlichkeit erwies sich auch immer einer solchen wenig giinstig. Die ausschliesslich nach innen gerichtete Thatigkeit seines Geistes hatte ihn allmalig so schweigsam gemacht, dass er stun- denlang inmitten einer frohlichen Gesellschaft sitzen konnte, ohne ein Wort zu reden; nur eine musikalische Kiindgebuug verrieth, dass der Kreis seiner Umgebung nicht unbeachtet von ihm ge- 221 blieben war. Haufiger noch verhielt er sich theilnahmlos gegen den- selben; einzelne abgerisseiie Fragen und Bemerkungen liessen er- kennen, dass er mit seiner Kunst beschaftigt war, dass er com- ponierte, dass er musikalische Stoffe in seiner Phantasie verarbeitete. Selten verrieth sein ausseres Verhalten auch nur im Mindesten, was in ihm vorgieng. Selbst sein Gesicht behielt den nihigen regel- massigen Ausdruck, auch ^Yenn er innerlich noch so erregt war. Die dadurch allmalig sich festsetzende Art seines Verkehrs mit Andem, iiber die einige bekannt gewordene reizende, mitunter hochst komische Ziige nahern Aufschluss geben, war natiirlich fur seine practische Thatigkeit wenig forderlich. Als Lehrer nennenswerthe Resultate zu erreichen, wurde ihm von vornherein ziemlich unmoglich. Zwar schreibt er selbst iiber einen seiner Schiiler an Hiller (unterm 10. April 1845): „Den jungen Ritter ') habe ich, glaub' ich, ein Sttick vorwarts gebracht. Eine entschieden musikalisch organisierte Natur, aber freilich noch sehr unklar; ich weiss nicht, ob er einmal sehr Bedeutendes leisten wird, Oder spurlos verschwinden." Aber hierin mochte er sich auch wol selbst tauschen. Abgesehen von jener Charaktereigenthiimlich- keit war ihm die Kunst als Schuldisciplin wol kaum je erschlossen worden. Er hatte sie selbst meist auf andem Wegen, als durch die Schule erworben, und so mag ihm wol auch die Methode der Unterweisung ziemlich fremd geblieben sein. Wir konnen vielmehr weit sicherer annehmen, dass er bei seinen Schtilern denselben Weg verfolgte, den er selbst gegangen war; um aber auf ihm zu Resnl- taten zu gelangen, bedurfte es auch der ganz gleichen Individualitat wie die seine, und sie diirfte wol kaum wieder zu finden sein. Dagegen erwies sich seine Kritik kunstlerischen Versuchen ausser- ordentlich forderlich. Dies bezeugen alle diejenigen der jiingern Ktinstler, welche je mit ihm in Verkehr zu kommen das Gltick hatten. Wenig Worte des Meisters gentigten, um den Jiinger iiber die besondern Schwachen der vorgelegten Arbeit aufzuklaren. Daher wirkte er immerhin auch anregend und fordernd auf seine Umgebung, die ihm denn auch meist mit grosser Anhanglichkeit 1) Gegenwartig in New- York. zugethan war. Selbst inmitten seiner Familie verliess ihn seine Schweigsamkeit uicht, wie zartlich und innig er audi seine Kinder wie seine Gattin liebte; auch sie vermochten nicht, ihn jener Charaktereigenthiimlichkeit untreu zu machen. Hierin endlich ist wol auch der Grund zu suchen, weshalb er keine grossere Bedeu- tung als Dirigent zu erringen vermochte. Allerdings muss das Directionstalent wie jedes andere entwickelt werden, und hierzu hot sich unserm Meister wol wenig Gelegen- heit. Doch scheint ihn diese Thatigkeit uberhaupt geniert zu haben. Man merkte, dass ihn nicht die mangelnde Gewohnung, sondern ein gewisser, vielleicht nur instinctiver Widervville den Tactstock unsicher fuhren liess. Es war, als missfiele ihm eine so hervortretende, her- ausfordernde Thatigkeit. Dazu kam der erwahnte Mangel an Gabe der Unterweisung fiir die Ausfiihrenden. Weit wichtiger noch als die Direction eines Musikstiicks, ist das Einstudieren desselben und hierfiir war Schumann fast noch weniger geeignet. Mit grosser Fein- heit und Treue vermochte er sich in die Kunstwerke der verschie- densten Meister und Jahrhunderte hinein zu leben, aber andere durch die lebendige Rede auch einzufuhren, war ihm versagt, und so brachte er nicht selten die Ausfiihrenden durch die Versicherung : dass er sich alles anders gedacht habe, nur in gelinde Verzweif- lung, ohne sie dariiber, wie er es sich gedacht, auch nur entfemt aufzuklaren. Fiir den Chorgesang, den er am Fliigel leitete, gilt dies weniger als fiir die Leitung des Orchesters. Dort deutete er durch die lebendige Ausfiihrung am Fliigel manches an, was er nicht in Worte zu fassen vermogend war. Welch grosse und wesentliche Umgestaltung endlich auch die bisherige Theorie des musikalischen Kunstwerks durch die Werke Schumanns erfahren muss, ist gleichfalls nicht schwer zu erweiseu. Diese hat sich bisher vorwiegend bemiiht, gewisse Regeln auf- zustellen, die sie aus den Kunstwerken eines oder einzelner Meister abstrahierte, nach welchen sie das Kunstwerk tiberhaupt construiert wissen woUte und nach denen sie das neu entstandene be- oder verurtheilte. Dass eine solche Theorie nicht nur mit dem Genius, sondern selbst mit jeder nur eiuigcrmassen scharf ausgcpragten Indivi- dualitat nothwendig in Conflicte tiefgreifendster Art gerathen musste, ist leicht erklarlich und Datiirlich. Auch Schumann hat dieser Theorie harte Wunden geschlagen, von denen sie sich kaum wieder erholen diirfte. Er hat gezeigt, dass man vollstandig ausserhalb derselben stehen und dennoch ein ganz naturgerechtes und gesetz- massiges Kunstwerk schaffen konne. Er namentlich hat dargethan, dass man gegen den gesammten Fonnalismus, den jene predigte, verstossen konne, ohne den Organismus des Kunstwerks irgendwie zu verletzen. Diesen hat er in seinem innersten Wesen und so tief erfasst, dass er, in seinen reifen Werken nattirlich, ihn so klar darlegte, wie nur in irgend einem der besten Werke der grossten Meister, und indem er ihn dann so subjectiv reich und glanzend ausstattete wie nur irgend moglich, tritt dieser in seinen Grundziigen immer klarer hervor. Namentlich von bier aus wird die neue Theorie der Zukunft, welche aucb das Kunstwerk der Neuzeit auf- nimmt, sich neu gestalten. Sie wird nicht durch ein einzelnes Kunstwerk, oder durch einen einzelnen Kiinstler oder eine einzelne Schule bestimmt werden; sondern sie wird aus alien Kunstwerk en aller Jahrhunderte, die in ihnen waltenden, ewigen Gesetze abstra- hieren und dann zeigen, wie eine Zeit, oder eine Schule und end- lich die einzelne Individualitat sich zu ihnen verhalten; wie der verschiedene Inhalt die verschiedenen, nach denselben Gesetzen construierten Formen uragestaltet, und so in die Erscheinung tritt. Namentlich an den Romantikern Schubert, Mendelssohn und Schu- mann wird sie nachweisen konnen, was in der gesammten kiinst- lerischen Construction des Kunstwerks, in seiner harmonischen, melodischen oder rhythmischen Ausstattung ewig gesetzmassig, ob- jectiv anschaulich oder was nur subjectiv wahr und bedingt er- laubt und verstandlich ist. Alle drei Meister haben in ihren mo- numentalen, unverganglichen Kunstwerken so treu an jenem ewigen Organismus der Kunstgestaltung festgehalten, wie nur die grossten Meister; aber sie haben ihn zugleich so subjectiv fein zugespitzt dargestellt, dass beides das allgemein Wahre und das nur individuell Wahre klar hervortritt. Dies zu erortem, wird nachste Aiifgabe der Theorie sein. Sie wird dem kommenden Kunstjiinger nur den Organismus des Kunstwerks erschliessen und klar darlegen, und 224 ihm dann zeigen miissen, wie er individuell aufs Neue zu beseelen und umzuformeii ist, um Trager eines neuen bedeuteuden Inhalts zu werden. Die reifen Werke Schumanns aber werden hierzu iiber- zeugende und nachahmenswerthe Muster bieten. Fassen wir endlich noch die culturgeschichtliche Bedeutung Schumanns etwas naher ins Auge, so werden wir raanche wider- sprechende Meinung zu beMmpfen, manche falsche Anschauung zu berichtigen haben. Die culturgeschichtliche Bedeutung der Kunste und des Kunst- werks ist wiederum eine doppelte: indem sie nach ihrer formellen Seite den Formensinn und das Schonheitsgefiihl ira Menschen pflegen und lantern und diesem zugleich einen mehr oder weniger bedeut- samen Inhalt zufiihren. Nach beiden Seiten ist Schumanns Bedeutung vielfach ange- zweifelt worden. Zunachst von jenen, welche seine Formen nicht zu begreifen, die innere Geschlossenheit selbst seiner reifsten Werke nicht zu erkennen vermochten. Die voile Erkenntniss der Musikformen ist weit schwieriger zu vermitteln, als die aller iibrigen Kunstformen. Diese beruht auf einer Vergleichung der einzelnen Theile und ihrer Verhaltnisse zu einander. Um die Form liberhaupt zu erkennen, muss man unter- suchen, me sie sich gliedert und wie die einzelnen Glieder unter einander in Beziehung gebracht sind. Dies ist bei den Musik- formen ausserst schwierig, weil wir sie nicht in ihrer Ganzheit sinnlich wahmehmen konnen. Ihre sinnliche Vermittelung erfolgt nach einander und zwar in kleinste Glieder zerlegt, von denen das eine vom andern verdrangt wird, so dass ihre Vergleichung unter einander im Moment des Geniessens und Anschauens nur mit Hiilfe des Geftihls und des Gedachtnisses erfolgen kann; beide sind aber immer nicht ganz untriigliche Richter. Die Kunstwerke der Architectur, Sculptur und Malerei stellen sich uns als in sich ruhend und unveranderlich in ihrer Totalitat dar, so dass wir sie jederzeit allseitig zu betrachten im Stande sind. Dabei sind die Gesetze ihrer formalen Gestaltung viel bestimmter erkennbar als bei der Musik, und selbst geringe Abweichungen von der gesetz- mftssigen Construction werden hier empfindlich ftthlbar. Eine, 225 manchem angestaunten musikalischen, vermeinlichen Kunstwerke der Neuzeit ahnliche Leistuiig der Sculptur, Architectur oder Malerei wiirde sofort als monstros, als durchaus verfehlt selbst vom gros- sen Haufen erkannt werden. Auch die kiinstlichen Formen der Poesie sind leichter fass- lich, trotzdem auch sie in derselben Weise sinnlich vermittelt wer- den, wie die Miisikformen. Sie werden vorwiegend nur durch den Rhythmus bedingt und erwachsen weder in der Ausdehnung noch in der Mannichfaltigkeit wie die Musikformen. Hier treten noch Harmonie und Melodic als ganz gleichberechtigte Factoren der Formgebung hinzu, und erschweren naturlich die voile Erkenntniss derselben. Es hat sich deshalb im Laufe der Zeiten die Ansicht allmalig festgesetzt. als konne die Musik der ewig gesetzmassigen Form entbehren, ja als hinderte diese die ausdrucksvolle geniale Entfaltung der Tonkunst. Wir werden kaum nothig haben, das Irrthiimliche dieser Anschauung darzulegen. Unsere ganze Dar- stellung hat gezeigt, wie ein Inhalt tiberhaupt nur zum Ausdruck gelangt, wenn er formell sich gestaltet; wenn er sich den ewigen Gesetzen, die im Material schon begriindet erscheinen, fugt, und dass jeder andere Weg nur hochstens zu einzelnen Gefuhlsinter- jectionen fuhrt, die mindestens nicht als Kunstwerk gelten konnen. Namentlich bei Schumann wiesen wir nach, wie er seine eigene Individualitat erst in jenen Werken zu freiester und hochster Kunst- gestaltung brachte, als er sich den festgefiigten Formen des Liedes und der Sonate unterwirft, als er unter dem Einfluss der Idee dieser Formen schon erfindet und diese dann im festen Anschluss an sie ausfuhrt. Am Liede namentlich wiesen wir nach, wie Schumann nur dadurch den Inhalt desselben vollstandig erschopfend musikalisch zu gestalten vermag, dass er die dichterische Form, das strophische Versgefuge nachzubilden bemttht ist, und in der besondern Weise, in der er das thut, voUbringt er die musikalische Umdichtung ver- schiedener Dichterindividualitaten. Er schliesst sich so eng an diese an, dass seine Lieder als unmittelbarer Ausdruck derselben gelten, und diese sind zugleich so vollendet in der Form, wie nur die be- deutendsten der grossten Meister. 16 In ahnlicher Weise halt er bei den Instrumentalformen an der urspriinglichen Idee derselben fest; gewahrt er ihr bei dem Schopfungsprozess in seiner eignen Phantasie eine solche beein- flussende Macht, dass sie in dem Product derselben neben der be- sondern Idee zugleich verkorpert erscheint. Dadurch aber wird die letztere selbst nur verstandlich. Sie wird nur in der Beson- derheit der Darstellung, in dem Abweichenden von der durch die allgemeine Idee bedingten Construction erkennbar. Aus alle dem geht hervor, dass das Gefuhl fiir die Erkennt- niss der Form kein untruglicher, zu empfehlender Wegweiser ist. Das auch noch so gebildete und vorsichtig geschulte Gefuhl, wird sich immer gegen alles Neue und Ungewohnte abwehrend verhalten, und oft die eigne Unfahigkeit eine erweiterte oder ganz organisch umgestaltete Form als solche zu fassen, dem Kunstwerk als Makel aufbiirden. Ein nur an Haydn oder Mozart gebildetes Ohr und Gefuhl wird nur schwer die vollstandige Gesetzmassigkeit der For- men Beethovens erfassen, und wer sich gewohnt hat, in dem Liede von Reichardt die vollendete Kunstform dieser Gattung zu erken- nen, den werden die reichern Formen Schuberts und Mendels- sohns nicht minder genieren, wie die von Schumann. Um die formelle Gestaltung der verschiedensten Kunstwerke auch unter den hundertfachen Modificationen, deren sie fahig ist, voUstandig zu uberschauen und mit dem Gefuhl schon aufzunehmen, muss der Verstand die Grundgesetze der formellen Darstellung vor- her erfasst haben zu dem Zweck, sie dem Gefuhl zu vermitteln. Wenn der Verstand sich in den ganzen Formationsprozess des Kunstwerks eingelebt hat, dann wird es ihm ein leichtes sein, auch das Gefuhl so zu schulen, dass es uberall sofort die Erweiterungen der Form oder die Verletzung und vollstandige Zertriimmerung derselben empfindet. Auf diesem Wege gelangten wir zu der Anschauung, dass Schumann allmalig die vollste Beherrschung der Form gewinnt; dass er in seinen reifsten Werken sie vollstandig bewusst und er- kennbar auspragt, aber zugleich seinem neuen Inhalt, den er in ihnen verkorpert, gemass umgestaltet und ausweitet. Nirgend Btiessen wir auf eine Verletzung oder ein Aufgeben der Form, so 227 dass diese Werke unbedingt auch nach dieser Seite den besten beizugesellen sind, die uberhaupt von gottbegnadeten Mannem ge- schaffen wurden, und an ihuen wird sich der Formen- und Schon- heitssiiin der Nation nicht minder heranbilden konnen als an jenen. In den Werken *der letzten Periode schwindet die Kraft der kiinstlerischen Gestaltung, und mit der Yermlderung der Form ver- liert diese auch ganz consequent die Pragnanz des Ausdrucks eines bestimmten Inhalts. Nicht weniger ungerechtfertigt ist die Opposition, welche Schu- manns Werke ihres ethischen Inhalts wegen fanden. Nach dieser Seite namentlich hat das subjective Gefallen oder Nichtgefallen einen Einfluss auf die aussere Entwickelung der Kunst gewonnen, der nicht genug zu beklagen und zu bekampfen ist. Seit die Tonkunst diese ungeheure Ausdehnung gewonnen hat, dass sie sich liber die ganze Geistigkeit der Menschheit und des einzelnen Menschen verbreitet, ist es natiirlich, dass sich gewisse Ge- schmacksrichtungen bildeten, die sich gegenseitig fast ausschliessen. Es ist recht wol denkbar, dass man fiir sein eignes kunstlerisches Bedurfniss nur den einen Meister oder die eine Schule wahlt und die andem vom Programm seiner Haus- und Herzensmusik aus- schliesst ; wir verdenken es keinem, der iiber Bach den ebenbiirti- gen Handel, iiber Haydn — Mozart; iiber Beethoven — Haydn, oder auch umgekehrt vergisst; der sich an den Werken des einen ergotzt und erbaut, weil sie seiner eignen Individualitat so recht zusagen und der kein Bedurfniss findet, diese durch die andem Meister zu erweitern. Aber die Neuzeit ist daruber hinausgegan- gen; sie hat auf diese personlichen Beziehungen zum Ktinstler und zum Kunstwerk eine Kritik gebaut und darnach alles Uebrige be- und verurtheilt. Weil dem einen die Schule der alten Italiener am nachsten verwandt erscheint, so baut er seine Theorie auf deren Werke und muss natiirlich die ganze Weiterentwickelung als nicht in seme Theorie passend ohne Weiteres verurtheilen. Das Aehnliche ist mit den einzehien Meistern geschehen und hiermit eigentlich der objective Standpunkt, von welchem aus Ktinstler und Kunst werke uberhaupt nur zu beurtheilen sind unter jener rein subjectiven Kritik fast ganz verloren gegangen. Es haben sich 15* tiber die einfachsten Kunstprinzipien Meinungsverschiedenheiten ge- bildet, die kaum noch irgendwie in den aussersten Punkten zu-' sammentreffend sind. Dem einen gilt schon flir formell verknochert, was dem andern noch frei und ktinstlerisch bewundernswerth er- scheint; den einen lasst ein Kunstwerk kalt, was den andern in die grosste Aufregung versetzt; der eine erkiart flir das hochste Kunstwerk, was dem andern kaum auf einer untern Stufe zu stehen scheint. Man verwechselt hier den Eindruck, den das Kunstwerk hervorbringt, mit diesem selbst, so zwar, dass das letztere nicht mehr Selbstzweck, sondern nur als Mittel zum Zweck gilt. Die Geniessenden haben ihre Stellung zum Kunstwerk in der neusten Zeit meist so vollstandig verloren, dass sie dasselbe als nur fur sie geschaffen betrachten, und das, was ihnen nicht zuganglich wird, als nicht vorhanden ansehen mochten. Wir woUen hier nicht den Versuch machen, diese grundfalsche Ansicht zu widerlegen, sondern nur erwahnen, dass das Kunstwerk immer und tiberall nur um seiner selbst willen da ist. Wenn auch der Kunstler, indem er die, in ihm nach Offenbarung drangende Idee verkorpert, zugleich den Anforderungen und Bediirfnissen des Lebens entspricht, so schafft er doch das Kunstwerk nicht zu die- sem Zweck, sondern nur getrieben und getragen von seiner Idee, und aus dieser heraus ist es nur zu beurtheilen, nicht nach sub- jectivem Gefallen. Auch Schumann fand sich unter jener verkehrten Ansicht viel- fach gehemmt und gehindert, und noch heute ist die Zahl derer gross, die seine Werke missachten, weil ihr ideeUer Gehalt ihnen zu unbedeutend oder auch zu krankhaft erscheint. Innerhalb der Kunstentwickelung hat jeder Meister seine eigen- thtimliche Mission und nur dadurch, dass er sie erfullt in ihrer ganzen Ausdehnung, gewinnt er Bedeutung flir die Entwickelung seiner Kunst und fur deren Geschichte. Die frtiheste Entwicke- lung christlicher Kunst ist sogar nach einander verschiedenen Vol- kern zuertheilt. Die Niederlander zumeist erhoben sie durch treue Pflege der ktinstlichen Formen des Contrapunkts auf die erste Stufe. Die Weiterbildung tibemahmen dann die Italiener. Sie be- beseelten jene Formen durch den Reiz einer inhaltsreichen Melodik und schufen im weitern Verlauf die ersten Anfdnge des Drama- tischen, die von den Franzosen weiter gebildet, bei den Deut- schen, die sich der gesammten Fortentwickelung der Kunst jetzt fast ausschliesslich unterziehen, zum voUendeten Abschluss gelangen. Von hier aus aber wird diese von einzelncn hervorragenden Gei- stern der Nation weiter geftihrt. Die Musikgeschiehte wird vor- wiegend Kiinstlergeschichte. Die Individualitat gewinnt einen be- deutenden Antheil an der gesammten Entwickelung der Kunst. In Bach, Handel und Gluck treibt dieser neue Geist die ersten gross- artigen Kunstwerke empor. Ihre Individualitat ist noch gross gezogen an den hochsten und heiligsten Ideen, durch welche ihre kiinstlerische Anschauung bedingt und beherrscht wird. Bach und Handel vertieften sich in die Wunder der christlichen, Gluck in die, der antiken Weltan- schauung und schufen so ihre ewig unverganglichen Meisterwerke. Bei Haydn, Mozart und Beethoven tritt dann die Individualitat in ein bestimmtes Verhaltniss zur Aussenwelt. Das gemiithliche Verhalten zur Natur, der Liebe Lust und Leid gewinnen Form und Klang, und die Wunder der Schopfung, wie die Macht der Weltbegebenheiten wirken anregend auf die kiinstlerische Phantasie. Das Kunstwerk, das aus ihr stammt, erscheint dann nicht minder gross und gewaltig als jenes, der specifisch christlichen oder der antiken Weltanschauung entsprungene, aber es erscheint zugleich freier, menschlich noch ansprechender. Und so ist die natiirliche Folge, dass sich der Geist dann in sich selbst zuriickzieht; sich ganz auf sich selbst stutzt; sich selbst mit seinen Tiefen- und Ho- henziigen zum Darstellungsobject seines ktinstlerischen Schaffens er- hebt. Zwar entbehrt er auch hier jener aussem Anregungen nicht, allein sie verschwinden allmalig so, dass im Kunstwerk nur noch wenig davon zu erkennen ist. Die echte Kunst der Innerlichkeit, die Musik, musste ganz nothwendig diesen Gang nehmen und die Mission der drei Meister, welche dies vollzogen: Schubert, Mendelssohn und Schumann ist daher wahrhaftig nicht geringer, als die jener grossen Meister. Wol mogen uns ihre Werke mehr imponieren; wol mogen wir vor Bachs Passionen oder Handels Oratorien; vor Beethovens Sjnnphonien 230 Oder Mozarts Opern mit staunender Bewunderung ihre ganze Grosse empfinden, aber sie deshalb hoher stellen als die Werke jener jiingern Meister, die sich mit den kleinlichern Verhaltnissen des Herzens und der Phantasie befassen uud ihnen eine eben so kiinst- lerische Darstellung geben, wie jene altern Meister den grossen Verhaltnissen der Welt, ist ungerechtfertigt und unkunstlerisch. Die Kunst ist demokratisch in der hochsten Bedeutung des Worts. Was seinen Platz ausfiillt, ist bedeutend und nothwendig, ohne jede Rangordnung. Zu alle dem erscheint es doch auch als eine seltsame Ver- kennung kiinstlerischer Objecte, die, durch die eigene Spontaneitat des Geistes zu Tage geforderten Schatze des Herzens so zu unter- schatzen, wie dies im vorliegenden Falle geschieht. Wol hat das Einzelsubject nur hohern Werth, so weit es ftir die Gesammtheit forderlich und bedeutsam wird, und wir fanden bei Schumann Zuge von nur subjectiver Bedeutung, die nothwendig der Zeit verfallen und dem gemass verschwinden; aber daneben auch einen so bedeu- tenden Fonds seehschen Lebens, aus dem heraus das alte herrliche Kunstwerk sich verjtingen muss. Wir fanden, wie er selbst unab- lassig bemuht war, diesen Verjungungsprozess zu vollziehen; wie eine Reihe seiner Werke den Anfang desselben unverkennbar be- zeichnen, und wie er seinen Jiingern den Weg ziir Vollendung des- selben sicher und unzweideutig vorgezeichnet hat. Ein Inhalt, an dem sich, wie wir nachwiesen, Oper und Oratorium, die grossen Instrumentalformen, ja selbst die Formen der Cultusgesange erneuen werden, erscheint wol doch nicht so unbedeutend, selbst den gross- ten Werken aller Jahrhunderte gegeniiber. Freilich muss man, um ihn ganz zu erkennen, sich ihm auch ganz hingeben und zugleich von allem absehen, was nur subjectiv wahr und daher verganglich, was nur zufallig, was nicht noth- wendiges Moment der Individualitat Schumanns ist. Weil er nach dieser Seite selbst nicht immer die richtige Erkenntniss zu ge- winnen vermochte, muss' sie der Jtinger suchen, der sich an seinem Geiste entztinden will. Krankhaft hat man sein Kunstwerk, wie den in ihm offen- barten Gehalt und die ganze, durch ihn begrtindete neue Richtung 231 der Kunstentwickelung genannt; wol namentlich deshalb, well diese vorwiegend die Nachtseite des menschlichen Empfindens zum Object ihre kiinstlerischen Darstellung macht, namentlich aber weil sie das in der fein zugespitztesten Ausdrucksweise thut. Wem nur das Derbe gesund ist, dem muss die Richtung Schu- manns allerdings krank erscheiuen. Allein wir meinen, auch das zarte Empfinden kann kerngesund sein, und wenn es auch noch so fein zugespitzt erscheint, wahrend wiederum die ancheinend ge- sunde Oberflachlichkeit des Gefuhlsausdrucks oft nicht mehr ist, als angekrankelte Sentimentalitat. Die ganze, als ausserst gesund gepriesene Ueberschwenglichkeit unserer noblen und gemeinen Bankelsanger ist fast ausnahmslos nichts anderes als die widerwartigste Sentimentalitat; ist nichts an- deres als der, noch dazu unkiinstlerische Ausdruck einer entnervten Gefiihlsduselei; eine Geftihlsschwarmerei und Schwelgerei, gegen welche die, der wir schon bei Schubert begegnen und der sich auch Schumann gern hingiebt, wahrhaft herzstarkend und erquickend ist. Jene wirkt abspannend und entnervend, weil sie von der inhalts- losen Phrase zehrt, diese dagegen wird nicht selten anregend und befruchtend, weil sie Saiten des menschlichen Herzens erklingen lasst, die, unter dem Treiben und dem Larm des Tages verstummt, oft einen poetischen Hauch iiber die ganze Individualitat des Em- pfangenden verbreiten, der seinem Wesen eine ungleich hohere Be- deutung, seinem Wirken eine nachhaltigere Gewalt zu geben, der seine Personlichkeit veredelnd nach alien Richtungen zu durch- dringen vermag. Wie verfeinert auch die Empfindung ist, die sich in den „ Kin- der scenen"^ den ^^Phantasiestucken" oder y,Variationen' und den verwandten Werken ausspricht, krankhaft ist sie uns noch nie er- schienen und in den grossern Werken seiner reifsten Periode er- kannten wir Ziige eines zwar reichen romantischen aber doch ganz gesund pulsierenden Lebens. Dass der Meister dann weiterhin das „kranke Herz" gern zum Object seiner Darstellung nimmt, das hat er mit den bedeutendsten und grossten Meistern der Dicht- und Tonkunst gemein. Die er- schtitterndsten Episoden aus der Geschichte der kranken Herzen 283 haben unsern Dichtern und Musikern Stofife ftir ihre bedeutendsten Kunstwerke geliefert, wenn sie es eben verstanden, dieselben in ihrer ganzen tragischen Gewalt, zugleich aber auch menschlich ver- sohnend darzustellen. Dies Letztere mag Schumann allerdings nicht immer gelungen sein, weil das fiir den Musiker iiberhaupt schwie- riger ist, wenn er jene tragische Gewalt so tief, so schwer lastend erfasst, wie jener. Sie wurde daher auch fiir ihn selbst zum tra- gischen Geschick. Im Liede fand er sie meist so, dass er selbst dem schon oft krankhaft iiberreizten Empfinden Heine's, allmalig beruhigende Darstellung zu geben vermochte; meisterlich ist ihm diese ver- sohnende Darstellung des tragischen Conflicts instrumental in der ^Manfred- Ouverture^'' gelungen; wahrend die „Kreisleriana" schon jene finstere Zeit anzudeuten scheint, in welcher er ihm voUstandig unterlag; in welcher das kranke Herz und die kranke Phantasie unversohnt dem tragischen Geschick verfielen. — So erscheint Schumann kunst- wie culturgeschichtlich als ein nothwendiges Glied in der gesammten Entwickelung. Er hat das Kunstwerk in bestimmter, durch die Kunstentwickelung unerlasslich bedingter Richtung weiter gefiihrt; er hat den kiinstlerischen Schatz der Nation mit einer Reihe vollendeter Kunstwerke bereichert, die bleibenden Werth behalten werden fiir alle Zeiten, und er hat in ihnen einen Inhalt niedergelegt, an welchem sich nicht nur die Kunst verjiingen wird, sondern welcher auch dem gesammten Le- ben der Nation neue und befruchtende Elemente zugefiihrt hat und noch weiterhin vermitteln wird. Das aber ist die hochste und einzige Mission des Kttnstlers: einen Inhalt giiltig fiir alle Zeiten zu gestal- ten, an welchem das Leben der Nation immer herr- lichern Aufschwung gewinnt, und dessen formelle Ge- staltung dazu beitragt, dass ihr, wie der Meister selbst sagt: die Schonheit practisch wird. Anhang. Robert Schumanns gedrnckte Compositionen, nach seinem eigenen, von Wasilewsky benutzten Verzeichniss und ander- weitigen Notizen chronologisch geordnet. 1829. No. 1, 3, 4, 6 und 8 der „Papillons" (Op. 2). 1830. Variationen tiber den Namen: Abegg (1831 als Op. 1 gedruckt). 1831. Die ubrigen Nammern: „Papillons". Allegro fur Pianoforte (Op. 8). 1832. Intermezzi fur Pianoforte (Op. 4). Studien fiir das Pianoforte nach Capricen von Paganini (Op. 3). Heft 1. Impromptu, Scherzino, Buria, Larghetto und Walzer (in den Al- bumblattem Op. 124. No. I, IH, XH, Xm, XIV gedruckt). 1833. Etudes de Concert cHaprhs des Caprices de Paganini (Op. 10), Heft 2. Impromptu's iiber ein Thema von Clara Wieck (Op. 5). Toccata fiir Pianoforte (Op. 7), (entstand schon 1830, wurde aber 1833 ganz umgearbeitet). 1834. Etudes symphoniques (en forme de Variations: Op. 13). CamavaL Schnes mignonnes sur 4 Notes (Op. 9) begonnen. 234 1835. Camaval beendet. Grande Sonate pour le Pianoforte No. 1. (Op. 11). Senate far das Pianoforte No. 2. (Op. 22), beide schon 1833 be- gonnen. (Der letzte Satz der zweiten Sonate entstand erst Ende 1838). No. IT. Leides-Ahnimg, IV. Walzer, XL Romanze, XVII. Elfe der: Albumblatter (Op. 124). 1836. Phantasie fttr das Pianoforte (Op. 17). Concert sans Orchestre (Grande Sonate 5, Op. 14). No. V. Phantasietanz, VII. Landler aus: Albumblatter (Op. 124) und No. 6 aus: Bunte Blatter (Op. 99). 1837. Phantasiestticke fiir das Pianoforte (Op. 12). Die Davidsbtindler. 18 Charakterstucke fiir das Pianoforte (Op. 6). No. VIII. Leid ohne Ende (aus Op. 124). 1838. Kinderscenen. Leichte Stttcke fiir das Pianoforte (Op. 15). Kreisleriana. Phantasien fiir das Pianoforte (Op. 16). Novelletten fiir das Pianforte (Op. 21). Scherzo, Gigue und Romanze (aus Op. 32). Finale der Sonate Op. 22. No. IX. Impromptu, X. Walzer, XIV. Vision und XVHI. Botschaft aus: Op. 124. No. 2, 5, 7, 8 und 9 aus Op. 99. 1839. Arabeske fiir das Pianoforte (Op. 18). BlumenstUck fiir das Pianoforte (Op. 19) Humor eske fiir das Pianoforte (Op. 20). Nachstticke fUr das Pianoforte (Op. 23). Faschingsschwauk (Op. 26). 235 No. XIX. Phantasiestiick aus Op. 124 und No. 1: „Drei Stuck- lein" und 10: ^Praeludium" aus Op. 99. Fughette in G-moU (in Op. 32). Drei Romanzen fiir das Pianoforte (Op. 28). 1840. Liederkreis von H. Heine (Op. 24). „Myrthen". Liederkreis fiir Gesang und Pianoforte (Op. 25). Drei Gedichte von Geibel fiir mehrstimmigen Gesang mit Piano- forte (Op. 29). Drei Gedichte von Geibel fiir einie Singstimme mit Begleitung des Pianoforte (Op. 30). Drei Balladen: Die Lowenbraut. Die rothe Hanne. Die Karten- legerin. (Op. 31). Sechs Lieder fiir vierstimmigen Mannergesang (Op. 33). Vier Duette fur Sopran und Tenor mit Begleitung des Pianoforte (Op. 34). Zwolf Gedichte von Justinus Kerner. Eine Liederreihe fiir eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte (Op. 35). Sechs Gedichte von R. Reinick fur eine Singstimme mit Piano- forte (Op. 36). Zwolf Gedichte aus Riickerts: Liebesfriihling fiir Gesang und Piano- forte (Op. 37). (No. 2, 4 und 11 von Clara Schumann componiert). „ Liederkreis". Zwolf Gesange von J. von Eichendorff fiir eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte (Op. 39). Fiinf Lieder fiir eine Singstimme mit Pianoforte (Op. 40). Frauenliebe und Leben. Lieder - Cyclus von A. v. Chamisso fiir eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte (Op. 42). Romanzen und Balladen fiir eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte (Heft L Op. 45, Heft H. Op. 49, Heft TIL Op. 53). Drei zweistimmige Lieder mit Begleitung des Pianoforte (Op. 43). „Belsatzar". Ballade von H. Heine fur eine Singstimme mit Be- gleitung des Pianoforte (Op. 57). 286 1841. Erste Symphonic (Op. 38, B-dur). Ouvertiire, Scherzo und Finale fiir grosses Orchester (Op. 52, E-dur; das Finale 1845 umgearbeitet). Symphonie in D-moU (Op. 120; im Jahre 1851 umgearbeitet). Allegro fur Pianoforte und Orchester (als ersten Satz zum Clavier- concert Op. 54 verwendet). Tragodie von H. Heine (in Op. 64 veroffentlicht). No. 4. 12. Abendmusik, 13. Scherzo aus Op. 99 und No. XVI. Schlummerlied aus Op. 124. 1842. Drei Quartette fiir 2 Violinen, Viola und Violoncell (Op. 41). Quintett fttr Pianoforte, 2 Violinen, Viola und Violoncell (Op. 44). Quartett fiir Pianoforte, Violine, Viola und Violoncell (Op. 47). Phantasiestiicke fiir Pianoforte, Violine und Violoncell (Op. 88). 1843. Andante und Variationen fiir 2 Pianoforte (Op. 46). „Das Paradies und die Peri" fiir Solostimmen, Chor und Orchester (Op. 50). No. 11. Marsch aus Op. 99 und VI. Wiegenliedchen aus Op. 124. 1844. Epilog zu Goethe's Faust fiir Solostimmen, Chor und Orchester. 1845. Vier Fugen fiir das Pianoforte (Op. 72). Studien fiir den Pedalfliigel (Op. 56). Sechs Fugen tiber den Namen: Bach fUr Orgel (Op. 60). Skizzen fiir den Pedalfliigel (Op. 58). Intermezzo, Rondo und Finale zur „Phantasie" (als Concert Op. 54 verSflfentlicht). No. XX. Canon aus Op. 124. 1846. Symphonie in C-dur (Op. 61). Fiinf Lieder von R. Burns fiir gemischten Chor (Op. 55). Vier Gesange fur gemischten Chor (Op. 59). 1847. Zwei Lieder von Morike fur eine Singstimme mit Pianoforte -Be- gleitung (Op. 64). Ouverttire zur „Genoveva" (Op. 81). Schlusschor: „Das Ewig-Weibliche zieht uns an" aus Faust. Trio fiir Pianoforte, Violine und Violoncell (Op. 63 in D-moll). Lied zum Abschied fiir Chor und Blasinstrumente (Op. 84). Trio fiir Pianoforte, Yioline und Violoncell (Op. 80 in F-dur). Ritornelle von Fr. Riickert in canonischen Weisen fiir vierstim- migen Mannergesang (Op. 65). Drei GesSnge fiir Mannerchor (Op. 62). Erster Act der Genoveva, fertig skizziert. 1848. Die Open Genoveva voUendet (Op. 81). Chor aus Faust: „Gerettet ist das edle Glied." Weihnachts-Album (Album fur die Jugend, Op. 68). * Musik zu: Manfred von Byron (Op. 115). Adventlied von Riickert fiir Solo, Chor und Orchester (Op. 71). Bilder aus Osten. 6 Impromptu's fiir Pianof. zu 4 Handen (Op. 66). Funf Clavierstiicke (in Op. 82 „Waldscenen" veroffentlicht). 1849. Vier zweihandige Clavierstiicke (Op. 82, Waldscenen). Phantasiestiicke fiir Clarinette und Pianoforte (Op. 73). Adagio und Allegro fiir Horn und Pianoforte (Op. 70). Concertstiick fiir vier Horner und Orchester (Op. 86). Balladen und Romanzen fiir Chor (Heft I. Op. 67, Heft H. Op. 75, Heft m. Op. 145, Heft IV. Op. 146). Romanzen fiir Frauenchor (Heft I. Op. 69, Heft IL Op. 91). Spanisches Liederspiel fiir Sopran, Alt, Tenor und Bass mit Piano- forte-Begleitung (Op. 74). Fiinf leichte Stiicke im Volkston fiir Violoncell mit Pianoforte- Begleitung (Op. 102). 238 Lieder-Album fur die Jugend (Op. 79). Fiinf Jagdgesange fiir Mannerstimmen mit Begleitung von vier Hornern (Op. 137). Motette. „Yerzweifle nicht" fur doppelten Mannerchor (Op. 93). Minnespiel aus Ruckerts Liebesfriibling (Op. 101). Vier Marsche fur das Pianoforte (Op. 76). Geschwindmarsch (No. 14 in Op. 99). Lieder, Gesange und Requiem fur Mignon (Op. 98). Scene im Dom und im Garten; Scene des Ariel und Faust's Er- wachen aus „Faust". Vier Duette fiir Sopran und Tenor mit Pianoforte (Op. 78). Zwolf vierhandige Clavierstiicke (Op. 85). Introduction und Allegro fiir Pianoforte und Orchester (Op. 92). Vier doppelchorige Gesange fiir grossere Gesangvereine (Op. 141). Nachtlied von Hebbel fiir Chor und Orchester (Op. 108). Spanische Liebeslieder (Op. 138). Drei Gesange aus Byrons hebraischen Gesangen fiir eine Sing- stimme mit Harfen- oder Pianoforte-Begleitung (Op. 95). Drei Romanzen fur Oboe und Pianoforte (Op. 94). „Sch8n Hedwig". Ballade von Hebbel fiir Declamation mit Piano- forte-Begleitung (Op. 106). 1850. „Neujahrslied" von Rtickert fur Chor und Orchester (Op. 144). Drei Gesange fiir eine Singstimme mit Pianoforte (Op. 83). Lieder in Op. 77, 96 und 127 veroffentlicht. Sechs Gesange von Wilfried v. d. Neun (Op. 89). Sechs Gedichte von Lenau und Requiem (Op. 90). Scenen aus Faust: „Die vier grauen Weiber" und „ Faust's Tod". Concertstiick fiir Violoncell mit Orchester (Op. 129). Symphonie in Es-dur (Op. 97). Ouvertiire zu Schillers: Braut von Messina (Op. 100). 1851. Vier Lieder fiir Sopran mit Pianoforte (Op. 107, No. 1. 2. 3. 6.) Ouvertttre z\i Shakespeare's: Julius Casar (Op. 128). 239 „Mahrchenbilder". Vier Stiicke fiir Pianoforte und Viola (Op. 113). Vier Husarenlieder von Lenaii (Op. 117). „Der Rose Pilgerfalirt". Mahrchen nach einer Dichtung von Moritz Horn fiir Solo, Chor und Orchester (Op. 112). „Der Konigssohn". Ballade von Uhland fiir Solostimmeu, Chor und Orchester (Op. 116). Madchenlieder von Elisabeth Kulmaun fiir zwei Sopran-Stimmen mit Pianoforte (Op. 103). Sieben Lieder von E. Kulmann fur eine "Singstimme mit Piano- forte (Op. 104). Ballscenen. Vierhandige Clavierstucke (Op. 109). Fiinf heitere Gesange (Op. 125). Drei Phantasiestiicke fiir das Pianoforte (Op. 111). Senate fiir Pianoforte und Violiue (A-moll, Op. 105). Lieder von Pfarrius fiir eine Singstimme mit Pianoforte (Op. 1 1 9). Trio fiir Pianoforte, Violine und Violoncell (G-moU, Op. 110). Senate fiir Pianoforte und Violine (D-moll, Op. 121). Ouvertiirc zn Goethe's: Hermann und Dorothea (Op. 136). 1852. „Des Sangers Fluch". Ballade von Uhland fiir Solo, Chor und Orchester (Op. 139). Messe fiir vierstimmigen Chor mit Begleitung des Orchesters (Op. 147). Requiem fur Chor und Orchester (Op. 148). Vier Balladen vom Pagen und der Konigstochter fiir Solostimmen, Chor und Orchester (Op. 140). Fiinf Gedichte der Konigin Maria Stuart fiir Mezzosopran und Pianoforte (Op. 135). Zwei Lieder (No. 4, 5. Op. 107). 1853. „Das Gliick von Edenhall". Ballade nach Ludwig Uhland, bear- beitet von Hasenclever fiir Mannerstimmen, Solo und Chor mit Begleitung des Orchesters (Op. 143). Fest-Ouvertiire mit Gesang iiber das Rheinweinlied fiir Orchester und Chor (Op. 123). 240 7 Clavierstiicke in Fughettenform (Op. 126). Drei Clavier-Sonaten flir die Jugend (Op. 118). Ouverture zu: „ Faust". Concert- Allegro mit Introduction ftir Piano und Orchester (Op. 134). Phantasie fiir Violine mit Begleitung des Orchesters (Op. 131). Ballade vom Haideknabe fiir Declamation mit Begleitung des Pianoforte (Op. 122). Kinderball. Sechs leichte Tanzstucke zu vier Handen (Op. 130). Ganz unerwahnt sind in diesem Verzeichniss Op. 27,. Op. 51, Op. 87 und Op. 114. Jenes Op. 27 ist wol unzweifelhaft in das Liederjahr Schumanns — 1840 — zu setzen. Es enthalt unter anderm ein, in dem von R. Hirsch — 1841 — herausgegebenen Album abgedrucktes Lied: „Dem rothen Roslein gleicht mein Lieb". Ein anderes desselben Hefts: „Nur ein lachelnder Blick" wurde als Beilage fiir die Musikzeitung veroflfentlicht und dann der von R. Friese veranstalteten „Sammlung von Gesangen mit Begleitung" (Zweites Heft) eingereiht. Op. 51 ist gleichfalls ein Liederheft und enthalt wiederum zwei, in dem Album von Hirsch fiir 1843 veroffentlichte Lieder: „Ich blick in die "Welt" und „Warum soil ich denn wandern?" Hierbei sei zugleich erwahnt, dass Schumann auch bei der Rhein- lied-Concurrenz im Jahre 1840 sich betheiligte. Seine Composition des Liedes: „Sie soUen ihn nicht haben" wurde viel gesungen. Op. 87 ist die Ballade von Schiller: „Der Handschuh" und diirfte wol mit den iibrigen Balladen entstanden sein, zwischen 1849—51. Op. 114 sind: Drei Lieder fiir dreistimmigen Frauenchor. Die letzte Zeit der schopferischen Thatigkeit Schumanns brachte noch die gleichfalls in obigem Verzeichniss fehlenden: Mahrchenerzahlung. 4 Stticke fur Clarinette, Viola u. Pianof. (Op. 132). Gesange m der Frtih. 5 Stucke fiir das Pianoforte (Op. 133) und einiges Ungedruckte. -•©PO<<8e- Wllhclm Oronau'i Uaohdruokerai in Berlin. ^^^^' 14 DAY USE III RETURN TO DESK FROM WHICH BORROWED MUSIC LIBRARY 1 This book is due on the last date stamped below, or 1 on the date to which renewed. Renewed books are subject to iminediate recall. DEC 30 1974 OCT SfjEC'D : LD2lA-5m-ll,'72 General Library (Q5761S10)476 — A-32 University of California Berkeley ML410.S4.R39 1871 C037332699 DATE DUE Music Library University of California at Berkeley /