STACK \NNEX DIE GEOGRAPHISCHEN GRUNDLAGEN DER INNENKOLONISATION IN DEN VEREINIOTEN STAATEN ERICH WUNDEBLICH Reprinted from the MEMORIAL VOLUME OF THE TRANSCONTINENTAL EXCURSION OF 1912 OF THE AMERICAN GEOGRAPHICAL SOCIETY OF NEW YORK 1915 DIE GEOGRAPHISCHEN GRUNDLAGEN DER INNENKOLONISATION IN DEN VEREINIGTEN STAATEN ERICH WUNDERLICH NEBEN so vielen anderen unvergesslichen und lehrreichen Ein- driicken verdanke ich der Transcontinental Excursion mit die nachhaltigsten Anregungen auf anthropogeographischem Gebiet. Denn in wahrhaft grossziigiger und iiberaus kjarer Weise zeigen die Vereinigten Staaten in ihrer fast noch nicht durch historische Einflusse verdunkelten jugendlichen Urspriinglichkeit die mannig- fachen grossen Beziehungen zwischen Boden und Mensch, die um so wichtiger und interessanter erscheinen, weil die Vereinigten Staaten im heutigen Wirtschaftsleben eine so bedeutungsvolle Rolle spielen. Die Exkursion gestattete, das Gebiet in seinen ausseror- dentlich verschiedenartigen wirtschaftsgeographischen Grundlagen zu iiberschauen, wenn auch nur im Fluge, so doch als ein abgerun- detes lebensvolles Ganze. Im folgenden mb'chte ich versuchen, die geographischen Grundlagen der Innenkolonisation der Vereinigten Staaten kurz zu skizzieren. 1 Wir sprechen ganz allgemein von innerer Kolonisation im Gegen- satz zur ausseren und verstehen dabei unter Kolonisation vorwie- gend die planmassige Begriindung von Ansiedlungen. Erfolgt sie in einer Kolonie, d. h. in einem auswartigen Verwaltungsgebiete eines Staates, so sprechen wir von ausserer Kolonisation, die manchmal, allerdings nicht in Nordamerika, gleichbedeutend mit der ersten Besiedlung iiberhaupt ist. Erfolgt die Begriindung neuer Ansiedlungen dagegen im Heimatbereich eines Volkes, so be- zeichnen wir sie als Innenkolonisation. i Die naehf olgenden Ausfiihrungen bildeten den Gedankengang zweier Vor- trage, die in den Volksbildungskursen des Vereins der Studierenden der Geogra- phie an der Universitat Berlin im Winter 1912/1913 vom Verfasser gehalten wurden. 115 1307456 116 TRANSCONTINENTAL EXCURSION OF 1912 Die aussere Kolonisation Nordamerikas vollzog sich teils durch die Europaer, teil durch die Amerikaner selbst und lasst sich danach historisch in zwei Epochen einteilen, eine Gliederung, die zugleich auch geographisch begriindet ist. Denn die europaische Kolonisation erstreckte sich vor allem auf den Osten, die amerika- nische Kolonisation auf den Westen der heutigen Union. Die europaische Kolonisation vollzog sich in vier Perioden, die wir als spanische, hollandisch-britische, franzosisch-britische und als die (ausschliesslich) britische bezeichnen. Mit der Beendigung der letztgenannten Periode schliesst die aussere Kolonisation durch die Europaer; an ihre Stelle tritt die amerikanische Kolonisation, die, begiinstigt durch die Entdeckung reicher Bodenschatze, in unglaublich kurzer Zeit zur Besiedlung des Gesamtgebietes gefiihrt hat. Die Mitte des 19. Jahrhunderts kann als der Abschluss dieser Entwicklung betrachtet werden, denn in diese Zeit fallt die Be- griindung der heutigen politisch-geographischen Verhaltnisse Nord- amerikas, und es ist interessant zu sehen, dass die Festsetzung der Grenzen im Norden und im Siiden zeitlich zusammenfallt. Somit beendet die Mitte des 19. Jahrhunderts die Epoche der ausseren Kolonisation Nordamerikas iiberhaupt. Von da bis zu den heutigen Verhaltnissen war es aber noch ein weiter Schritt. Man kann sagen, dass der Westen aus einer assimi- lierten Kolonie des Ostens allmahlich zu einem Teil des Staatsge- bietes des Mutterlandes selbst geworden ist, und man kann diese Entwicklung schrittweise an der Umgestaltung der Territorien zu selbstandigen Bundesstaaten genau verfolgen. Wenn nun von Innenkolonisation in den Vereinigten Staaten ge- sprochen werden soil, so ist klar, dass sich kein scharfer Schnitt zwischen der inneren und ausseren Kolonisation machen lasst. Die historische Entwicklung lehrt den allmahlichen Ubergang und zeigt uns wie die Fragen, die wir heute der Innenkolonisation zuweisen miissen, unmittelbar aus den Aufgaben der vorangehenden ausseren Kolonisation erwachsen sind. Was fur die einst auf den Osten be- schrankten Vereinigten Staaten Probleme der ausseren Kolonisation waren, das sind Aufgaben der Innenkolonisation fur die heutige Union. Und doch ist andererseits auch wieder ein tiefgreifender Unterschied vorhanden, der sich wieder nur aus der geschichtlichen Entwicklung heraus verstehen lasst. Die Veranlassung zur ausse- ren Kolonisation des einstigen "Wilden Westens" war eine ganz WUNDERLICH: INNENKOLONISATION AMERIKAS 117 andere, als der Beweggrund, der heute zur Innenkolonisation fiihrt, denn diese erweist sich bei naherer Betrachtung als erne notwendige Lebensaufgabe der heutigen Union. Und mit dem Wechsel in der Motivierung ist auch eine ungeheure Erweiterung der Aufgaben Hand in Hand gegangen, die in Erstaunen und Bewunderung ver- setzen. Ist nun auch die Verfolgung der praktisch-wirtschaftlichen Seite aller dieser Fragen Sache der Volkswirtsehaft, so interessieren den Geographen vor allem die natiirlichen Grundlagen, seien sie phy- sisch-geographischer oder anthropogeographischer Natur. Der gegebene Ausgangspunkt sind die heutigen Besiedlungs- und Bevol- kerungsverhaltnisse der Vereinigten Staaten, die drei Charakteris- tica aufweisen. Zunachst zeigt sich, dass die Besiedlung des Gesamtgebietes voll- zogen ist ; die den einstigen Einwanderern schier unermesslich diin- kenden Flachen sind heute aufgeteilt. Schwerwiegende wirtschaftliche Anderungen, die die unmittel- baren Folgen dieser Entwicklung sind, werden dadurch verstand- lich: einmal die sich allmahlich aber merklich vollziehende Ande- rung der Wirtschaftsform vom extensiven zum intensiven Betrieb. Die moglichste Bodenausnutzung wird erstrebt, doch soil der Boden nicht, wie es bisher oftmals geschah, ausgepliindert werden, son- dern ertragsfahig bleiben. Weiterhin wird uns der Umschwung in der Frage der Ein- und Auswanderung verstandlich. Neben der noch immer hohen Einwanderungsziffer gibt es bereits eine Zahl von Auswanderern, die vor allem durch die giinstigen Aussichten angelockt werden, die das aufbliihende benachbarte Kanada bietet. Aber auch in der Einwanderung selbst macht sich ein Umschwung bemerkbar, den man