^h 4 % ^ ^ ^ VON OPITZ BIS KLOPSTOCK EIN BEITRAG ZUR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN DICHTUNG VON Dr. carl LEMCKE PROFESSOR AN DER K. TF.CHNISCHEN HOCHSCHULE ZLI AACHEN NEUE AUSGABE DES ERSTRN BANDES VON LEMCKE'S GESCHICHTE DER DEUTSCHEN DICHTUNG LEIPZIG 1882 VERLAG VON E. A. SEEMANN ?1 2.1 Aus dem Vor^AAorte der ersten Ausgabe. Die hicr bchandcltc crftc Periode der ncueren deutfchen Dichtung war audi mir bei zerfplitterter Kcnntnifs und der Voreingenommenheit durcli das Urtheil Anderer fchr wider- wartig, als der Beruf mich nothigte, sic eingehender durch- zuarbeiten. Wie es immcr zu gefchehen pflegt, init der Arbeit wuchs die Luft, und fchliefslich empfand ich fiir Manner und Zeiten ein warmes Intereffe und Bedauern, auf die ich friiher mit der Verachtung gefehen hatte, welche feit den Urtheilen der Romantiker nur zu allgemein gang und gabe geworden und in diefcm und jenem der gebrauchteften Handbiicher der deut- fchen Poefie noch immer genahrt wird. Da ich gewahrte, dafs meine Auffaffung hinfichtlich wich- tiger Fragen mit derjenigen anderer Forfcher nicht zufammen- fallt, fo habe ich diefe Zeit nach meiner Art und Weife dar- zuflellen unternommen, um ihr die gefchichtHche Gerechtigkeit zu Theil werden zu laffen, die ihr nach meiner Anficht gebiihrt. Kenner diefer Periode werden mich nicht zu herbe be- urtheilen, wo cs mir nicht gegUickt ift, mich in der Jahre langen Arbeit des durchgangig fo trocknen und nebenbei gefagt fo fchwer zuganglichen Stoffes frifch und gefchmeidig zu erhalten, und man die Riickwirkung deffelben auf die DarfteUung merkt. Vermochte ich cs, die Einficht in die Entwicklungen der neueren deutschen Dichtung und dabei die AufkU\rung iiber den 280583 IV Vorwort. Gang grofser gefchichtlichcr Entwicklungen zu fordern, fo ift meine Abficht errcicht. Dafs icli bci meiner Bchandlung aufbauend und erklarend und nicht zerfetzend zu Werke gegangen bin, brauchc ich in einer gefchichtlichcn Arbeit wohl niclit zu entfchuldigcn. Ucber einen Punkt habc ich hicr Rechenfchaft zu gcbcn. Ich habeweder die fammtHchen Werke dervon mir befprochenen Dichter genannt, noch die bcziigHchen beihiilflichen Kiicher citirt. Mit gutem Bedacht, Denn ich woUte nicht Gegebenes wiederholen. Alles BibHographifchc findet man fo forgfam, wie es nur der Fleifs eines deutfchen Gelehrten vermag, gefammelt in dem auch in kritifcher Beziehung ausgezeichneten «Grundrifs der deutfchen Dichtung» von Karl Godeke, einem Werke, wel- ches in keinem Haufe fehlen follte, wo das Intereffe fiir deutfche Literatur fich iiber das gewohnliche Gymnafialmafs erhebt. Auf die verdienftvollen Werke von Gervinus, Koberftein, Kurz, Cholevius u. A., welche diefe felbc Zeitbehandeln, brauche ich nicht befonders zu verweifen, da fic allgemein bekannt find. Vorwort zu der neuen Ausgabe. JDald nach dem Erfcheinen diefes Bandes, welcher die in fich abgefchloffene Periode unferer deutfchen Dichtung von Opitz bis Klopflock behandelt, folgte ich einer Berufung nach Holland. Neue Arbeiten auf anderen Gebieten, die damit ver- bunden waren, und der Mangel an den nothwendigen literarifchen Hiilfsmitteln, wie fie nur unfere deutfchen Staats- und Univer- fitats-Bibliotheken bieten, hinderten feitdem die Fortfetzung des begonnenen Werkes. Vorvvort. V Es foil nun keine vdlligc Verzichtlciflung auf folchc Fort- fetzung bedeutcn, wenn dicfcr liand jct/.t untcr cincni neucn Titcl als fclbfliandigcs Wcrk hcrausgcgcbcn wird. Ich will ge- ftchen, dafs die Worte K. Gocdeke's, mit dcnen dicfcr Mciftcr- Kcnner unferer Litcratur die Lcfcr feines Grundriffes auf das vorliegende Buck fiir die in demfelben charaktcrifirtc Periode vcnveift, meinen geehrten Verleger, Herrn E. A. Seemann und mich 7M diefer Neu-Ausgabe trotz des innmerhin Bedenklichen eines solchen Titel-Taufches veranlafst kaben. Im Ubrigen werden die Jakrc des Wartens in eincr Be- ziehung der Fortfetzung diefer Gefckicktc zu Gute kommen; nicht wegen ncuen Materials, das feitdem kerbeigebrackt ift und hier nickt in erfter Linie von Wicktigkeit ift, wo es fick um das wirklicb Geleiftete kandelt, fondern wegen des neuen Geiftcs, welcker feit einem Decennium voUflandig durckgegriffen bat und jetzt erfl: die Goetke-Sckillerfcke Zeit rein biflorifck wiirdigen lafst. Die Epigonen-Periode ift voriiber. Aachen, im Marz 1882. C. L. INHALT. Seite EiNLElTUNG » 1. Die deutfclie Dichtung der Opitzifchen Zeit. Widerfpruch zwifchen Dichtung und Wirklichkeit. Das Wefen der Poefie. Ihre Ent- wicklungen 3 2. Die Entwicklungen in der deulfchen Dichtung bis zur neueren Zeit . i6 3. Das Zeitalter der Reformation 72 I. Von Opitz bis Gottsched n J / 1. Die poetischen Stromungen zu Anfang des 17. Jahr- liunderts iiS Fiirflenthum. Gelelirtenthum. Geiftlichkeit. Reges Leben zu Anfang des 17. Jalirhunderts. Frifclie poetifche Beflrebungen. Re- naiffance. Neue Lyrik: Theobald Hoeck. Deutfclithiimelei der Barockzeit. Gelehrte Renaiffance. Der Neu-Katholicismus. Eine Renaiffance im Proteftantismus: Joh. Arnd. Glaube, Pliilofophie und Naturwiffenfcliaft: J<'icob Bohme. Volksthiimliche Dichtung. Jacob Vogel. Satire. Sittengedicht. Anekdote. Volksthiimliche Dichtung von Gelehrten. Joh. Val. Andreae. Allegorifche Dichtung. Volksthiimliche religiofe Dichtung: Anna Hoyer. Schelmenroman. 2. Die Vormanner und Genossen von Opitz 148 Weckherlin. Der Zincgref'fche Kreis. Barth. Werder. Ilude- mann. Lund. Plavius. Heermann. 3. Die Fruchtbringende Gesellschaft und die Universitats- Poetik 172 Stellung des deutfchen Adels zur neuen Cultur. Reifen. Kriegsdienfle. Einflufs der Fremde. Griindung des Palmen-Ordens. Der Palmen-Orden. Tobias Hiibner. Ludwig von Anhalt-Cothen. Die Univerfitatspoetik: Buchner. 4. Martin Opitz 1S5 Inhall. VII Seite 5. Aufnahme der Neuerung in Siiddeutschland und bei den Katholiken 221 Uie aufrichtige Tannengefellfchaft: Kumpler von Lowenhalt und Schneuber. Friedrich von Spec. Jacob Balde. Der Niirnberger Pegnitzorden: Ilarsdorffer. Poetifcher Trichter. Klaj. Sigmund von Birken. 6. Die freieren Lyriker. (Sachsische Schule) 238 Paul Fleming. Olearius. Finckelthaus. Brehme. Homburg. WalTerhuhn. Grefiinger. Schwieger. Schirmer. Schoch. 7. Norddeutsche Schulen 254 Albert. Roberthin. Dach. Titz. Tfcherning. Schottel. Zefen. (Deutfchgefinnte Genoffenfchaft). Rift (Elb-Schvi^anen-Orden). 8. Fortwirkungen. Die religiosen Dichter. Dichterinnen . 275 Neumark. Albinus. Scultetus. Scherffer. Franke. Gerhardt. Scheffler (Angelus Silefius). Knorr von Rosenroth. Kuhlmann. Dichterinnen. C. R. v. Greiffenberg. 9. Die Satiriker 295 Die Satire. Die Profa. Mofcherofch. Schupp. Lauremberg. Rachel. F. v. Logau. J. H. v. Traunsdorff. 10. Das Drama (Gryphius) 310 11. Epos und Roman 319 Wieland. Freinsheim. Hohenberg. Buchholtz. A. U. v. Braunfchvveig. Ziegler. Grimmelshausen. Happel. Riickblick. 12. Hofmannswaldau und Lohenstein oder die sogenannte zweite schlesische Schule 332 Hofmannswaldau. Lohenftein. Anhanger der zweiten fchle- ilfchen Schule. Lohenfteinismus. 13. Anti-Lohensteiner: Die Gelehrten 343 Weife. Morhof. Omeis. Durcheinander der Schulen. (Stock- mann. Grob). 14. Anti-Lohensteiner: Die franzosische Schule. Giinther . 359 Canitz. Neukirch. Fiirer von Haimendorff. Ceremonien-Dich- tung: Beffer. Konig. Heraeus. Pietfch u. A. Giinther. (Schmolke). 15. Die Hamburger Poeten. Brockes 368 Die Oper. Poftel. Andere Poeten des Kreises. Wernicke. Weichmann's Sammlung. Richey. Brockes. II. Von Gottsched bis Klopstock 379 1. Gottsched 381 Die Poefie, Abfolutismus und Aufklarung. Aufraumende Geifter. Einflufs der englifchen Poefie und Kritik. Englifcher und Viil Inhalt. Soite franzofifcher Einflufs. Gottfched unci die Schweizer. Aefthetik. Krillfche Unterfuchungen. Gottfched, Lohenfteiner und Hof- dichter, Weifeaner und Lehrdichter. Gottfched, das Drama und die Oper. Gottfched's Erfolge. Gottfched und das Wunderhare in der Poefie. 2. Die Poetik der Schweizer 406 Bodmer und Breitinger. Breitinger's Dichtkunft. Der Streit mit Gottfched. 3. Die neuen Bewegungen in Gottsched's Kampf. Das sa- tirische Geschlecht 417 Gottfched und die Neuberin. Liscow. Roft. Pyra. Frau Gottfchedin. Schwabe u. A. 4. Hagedorn und Haller 431 5. Die Hallische Schule 454 Halle gegen Leipzig. Pyra. Lange und Frau. Die Anakreon- tiker: Gotz. Uz. Gleim. — Gefsner (Idylle). 6. Die sogenannte preussische Schule 483 Friedrich II. Ramler. Willamov. Karfchin. E. v. Kleift. 7. Die Leipziger Schule 497 Kaflner. Mylius. Joh. Elias vSchlegel. Rabener. Gellert. Zachariae. Andere Dichter der Bremer Beitrage. Lichtwer. Klop- ftock. Beginn einer neuen Zeit. -—<>-■ EINLEITUNG. L em eke, Gej'^iichte der deiitj'chen Diehtung. Die deutsche Dichtung der Opitzischen Zeit. Widerspruch zwischen Dichtung und Wirklichkeit. Das Wesen der Poesie. Ihre Entwicklungen. I n der Gefchichte der deutfchen Dichtung gilt die Periode von Opitz bis zu den Vorniannern Klopftocks flir die unerquicklichfle. Fiir den, der poetifchen Genufs fucht, mit Recht. Es ift durchgehends eine unerfreuliche, oft widerwartig langweilige Schul- und Vorberei- timgszeit, in welcher nach Mufler und geiillofer und unrichtiger Vor- fchrift Dichtungen verfertigt werden, die der verkehrten Behandlung gemafs ausfallen. Was mit solcher Schulmache nichts zu thun hat, ist meiflens eigenthiunHcher, lebensvvalirer und interelTanter, leidet aber gewohnlich so sehr an innerer oder iiufserer oder innerer und iiufserer Unfertigkeit oder Rohheit, dafs ein reiner Genufs felten ift. Auch das Befte, was diese Zeit poetifch bei uns hervorgebracht hat, niufs noch von besonderen — nationalen, culturhiftorischen oder reHgiofen Gefichtspunkten aus betrachtet werden ; voll fchon , von allgemeinem bedingungslofem afthetischen Werthe ist darin im Grofsen und Ganzen nichts. Und doch kann auch diefe Periode ein tiefes Intereffe erwecken, vergleichbar demjenigen, mit welchem man die Metamorphofen des fchonen Schmetterlings durch die Zuftiinde des Raupen- und Puppen- lebens verfolgt. Wer den Wandlungen nachfpiiren mag, wie aus Altem Neues wird, wer lernen will, was es heifst, eine neue Kunft heranzuleben und /u geftalten, wer Einblick gewinnen will in die Schadlichkeit falscher Lehrfatze, wie fie Jahrhunderte hindurch zu Ab- und Irrwegen und ftets an den richtigen Zielen vorbeifiihren, wer die Wahrheit auch aus Irrthtimern zu erkennen und fich einzupriigen liebt, der foil ge- troft die deutfche Dichtung diefer Zeit zu feinem Studium erwiihlen. Eins freilich ift nothwendig: der Lockung zum ftrengen doctri- naren Aburthcilen /u widerftehen und Gefchichte und riickwarts nicht A Einleitung. SO schwer aus/.uubeiide Kritik nicht zu verwechfeln. Wohl mufs man das Ziel untl die l:)e(len Wege dahin kennen, um die falfchen richtig zu beurtheilen ; zur gefchichtlichen Wiirdigung gehort aber, dafs man firli mit den Strebenden auf deren Ausgangspunkt flellt, nie vergifst. was gegeben und den Verhiiltniffen nacli moglich war, and die Leiflungen der Wegfucher uud Bahnbrecher nicht nach dem l)emifst, was den Spiiteren nach den Anilrengungen und Irrthiimern Jener er- moghcht ward. Andern Falls verwandelt man die Gefchichte aus einer Darstellung des Werdens in eine Kritik des Gewordenen, deren Strenge, an fich fo richtig und nothwendig, doch von der geschichl- lichen BiUigkeit und Gerechtigkeit wohl zu unterfcheiden ill und, ohne Riickficht auf diefe ausgeiibt, den Chara6ler eigentlicher Ge- fchichte zerfldrt. Auf den erflen Blick hin mufs eine Vergleichung des Lebens und der Dichtung in Deutfchland zu Anfang unferer Periode mit Verwun- derung erfullen und zum Nachdenken reizen. Es ifl die Zeit des dreifsigjahrigen Krieges: wildbewegtes aufseres T.eben, grofsartige und fchreckliche Thaten, wunderbare Ereigniffe. aufsergewohnliche Menfchen ! AUes, was nach Gliick und Ungliick. Schuld und Schickfal die Phantafie erregen kann, dringt auf die Geifler ein, anfangs noch nicht in dem erdriickenden oder unheimlich iiberreizenden Uebermafs, welches in den letzten Zeiten und ihren wiiflen Kriegswirrniffen die Menfchen abflumpfte oder durch Vernich- tungs-Phantafien im Gemiith fchadigte. Sollte man nicht meinen, die freiefle, ungebundenfle Kunfl miiffe mitgeriffen werden und in ihren Schopfungen den Ereigniffen und Chara6leren der Wirklichkeit min- deflens gleichzukommen, wenn niclit fie zu iiberfliigeln fuchen? Gleich der Beginn des Krieges, welch' ein Drama! Im Umfchwung eines Jahres fieht man ein junges, durch ganz Europa wegen feines Glanzes und Gluckes bekanntes Fiirllenpaar, wie vom Spiel zum Spiel aus feinen bliihenden Erbflaaten ausziehen und zum Churfiirflenhut der herrlichen Pfalz fich die Konigskrone von Bohmen auf s Haupt fetzen und es nach einer einzigen Schlacht fliichtig, verlaffen, der Noth preisgegeben im bitterflen Exil, wahrend die Konigsmacher in Prag ein noch tragifcheres Schickfal erwartet. Gegen den fiegreichen katholifchen Fiirftenbund der Liga ninimt ein (jliicksfoldat den Kampf auf, Mansfeld, der kiihne Baflard, der, als er den Tod nahe fiihlt, fich aufrecht halten lafst, um ihn fiehend zu Einleitung. t erwarten. Jacob, tier Konig von England Uifst fcine Tochter imd feinen Schwiegerfohn fchmahlich in Stich, aber der wilde frivole ('hriflian von Halberfladt, «Gottes Freund, der PfafFen Feind» heftet den Handfchuh der fchonen Winterkonigin an feine Fahne and zieht wie ein fahrender Ritter in's Feld, er, der, in der Schlacht von Fleury (kirch den Arm gefchoflen, diefen fich Angefichts des Heeres unter Fauken and Trompetenfchall vor feinem Zelte abfchneiden lafst. Der ascetifche Tilly, der nie ein Weib angefehen und bis Liitzen nie eine Schlacht verloren, ifl das Schwert der Katholiken, bis neben ihm Wallenflein, der diiflere Freifchaaren-General, fich erhebt. Der zahe, bigotte Ferdinand, der bedeutende Maximilian llnd die Sieger. Nun koromt Guflav Adolf und ein wunderbarer Umfchwung; Thaten, die fich den grofsten der Gefchichte anreihen, und ein fchnelles Ende. Eine Drachenfaat des Krieges ifl aufgegangen: Menfchen zum Kiihn- llen und zum Schrecklichflen fahig, jetzt in Soldatenehre in Reih und Criied zu fallen bereit, dann wieder entfetzlich und jeder Menfchlich- keit baar, kiihn und liflig, fitten-, glaubenlos, frech, uppig, viehifch im Taumel des Gliicks und der Wuth. Stiirmifche Eifenherzen wie Pappen- heim, Johann von Werth, Spork, Fuchs-Lowen, wie die Fremden Baner, Torflenfon und wie fie heifsen, fmd die F'uhrer. Wallenflein, Bern- hard von Weimar traumen, planen und wagen; Oxenflierna, Richelieu lenken. Schickfal und Rache oder Verbrechen greifen tragifch ein. Ciuflav Adolfs, Wallenfteins, Bemhard von Weimars Thaten, Plane und F>nde — welche Stoffe fiir die Phantafie! Mit welcher Kraft, Riick- fichtslofigkeit und Ausdauer greifen die Geifler um fich und uber fich, der frevelnden Gewiffenlofigkeit und all' des Damonifchen und Schiind- lichen, auch der flilleren Tugenden gar nicht zu gedenken, welche auf Schritt und Tritt uns in jenen Tagen begegnen. Das fchwingt fich auf vom Reiterbuben zum General, vom armen Edelmann oder nach- geborenen Fiirflenfohn zum Konigstraumer, vom verfpotteten Schnee- konig zum Anwart kaiferlicher, die Gefchicke Europa's veranderndcr Stellung: AUes durch eigene Kraft. Aber die deutfche Dichtung? Die poetifche Phantafie r Die herrfchende Dichtung ifl. fchwunglos, fl.obert in Lehrbiichern, weifs keinen Stofif zu finden. Sie fchulmeiftert, zahlt Silben und ahnit Fremdes nach. Was fie beriihrt, wird nicht, wie es foil, Gold, Ion dern HoLz. Zahin, unkiinfllerifch, geflaltungs- und farbenios fchleppt fic fich 6 Einleitung. dahin. Unci cloch ifl es die Zeit Shakefpeare's und der grofsen und wildeii englifchen Dramatiker. Es ifl die Zeit des Rubens, die Zeit Kepler's, uin nur auf Kraft in Kunfl und Wiflen in germanifchen Volkern hinzudeuten. Und die Deutfchen diefer Epoche waren nicht flumpf gegen den Werth der Poefie. Im Gegentheil. Sie zerqualen und zerniartern fich nach der Auffindung der Dichtung. Es id ein Gralfuchen nach ihr. ein Nachfpiiren auf den verfchiedenflen Wegen, ein Fragen, Suchen, Ringen mit gutem Willen, unfaglicher Miihe und erfchreckend klag- lichem Erfolge. Vier Jahrhunderte waren damals verfloffen, feit das deutfche Volk fich auf dem Hohepunkt einer grofsen Dichtung befunden hatte. Heut' wie anders ! Eine grofsartige poetifche Bliithezeit liegt dicht hinter uns. Wiv haben Gothe und Schiller gehabt. \\'enn das 17. Jahrhundert hungerte und durflete nach Poefie und nicht einmal wufste, dafs es fchon ein- mal eine herrliche deutfche Dichtung gegeben habe, fo fitzen wit ,gleichfam an einer iiberreichen, nachgebliebenen Tafel mit dem fluni- pfen Zahn und dem Ueberdrufs der Ueberfattigung. Aber ifl doch nicht wieder eine Aehnlichkeit vorhanden? Wie entfprechen fich heute Wirklichkeit und Dichtung? Grofses, immer Grofseres ifl. rund um uns, dann bei uns, Un- crhortes in der Gefchichte ifl. durch uns gefchehen. Bedeutende Manner haben fich Bahn gemacht zu den hochflen Stellungen, urn auf Menfchenalter , vielleicht auf Jahrhunderte die Gefchicke von Millionen zu beflimmen; es giebt kein hoheres Steigen, kein tieferes Fallen, als wir es erlebt haben, bald in romantifcher Feme, bald in unmittelbarfler Nahe; es giebt keine Zeit, die hoheren Opfermuth, mehr Kraft, mehr Kuhnheit gefehen hatte. Die kiihnflen Hoffnungen find von der Wirklichkeit iiberfliigelt worden. Thaten, Schickfale, Leiden- fchaften iibergenug. Und die Dichtung? die deutfche Dichtung, um nur von diefer zu reden? Sie taflet wieder heruni und vveifs keinen rech- ten Inhalt und damit auch nicht eine ganz zufagende Form zu finden! So mag denn die Gefchichte einer in diefer Beziehung nicht ganz unahnlichen Zeit ein befonderes Intereffe fiir den haben, der nicht bios das Was fondern auch das Wie der Geflaltungen zu er- kennen liebt. Eine richtige Einficht in jene kann dazu beitragen, fich heute in manchen anfcheinenden Widerfpriichen zurechtzufinden, vielleicht auch Irrwege zu vermeiden. Dem Troftenden, das fie bringt, Einleitung. - wird frcilich ihr Schmerzliches oft die Wage lialten, dafs Erkennen and Wollen allein noch nichts vermag uiid Konnen und Gluck (labeti der Clottheit find, die fie fparfam fpendet. Ivunfllerifch fchone, vvahre Darllellung des Menfchen in der A!l- lieit feiner lebendigen Kraft des Anfchauens, Emptindens und Wollen s ill Inhalt der Poefie. In dem Centrum des Menfchengeilles ahcr f[)iegelt fich die Welt. Mittel der Poefie, um von Geill lu (ieifl diefelben .Vnfchaiiimgen. Emptindungen und Entfchliiffe zu iibertragen, ifl die Sprache. Innerhall) der allgemeinen Begrenzung des fiir die Kiinfle Moglichen, Ausdriick- baren wird durch die Befchrankungen . welche die Sprache auferlegt. (.lie engere der Dichtung gegeben. Das Erfaffen und Geflalten des Lebendigen. llets im Elufs aus dem CJeifligen zuni Korperlichen und zuriick Quellenden ifl der Beginn der wahren Kunfl, Ziel fiir fie, je nach dem Dargeflellten deffen Ideal. In der Poefie fomit Menfchenideale, mitten im vollen Leben ge- zeigt und nicht im abflra6ten, nicht im rein - ethifchen Sinn genom- nien, fondern in KunllgeRaltung. Die Wahrheit oder Falfchheit und damit audi die Gute aller durch die Kunfl dem Wechfel entriffenen, gefefligten Ideal - Geflaltungen erweifl die Zeit. Die Pritfung langer und verfchiedener Zeiten gehort gewohnlich dazu, zu erkennen, ob Ideale natiirlich find und fomit ein Unvergangliches in fich tragen oder ob fie Hirngefpinnfle in Unnatur fich abqualender oder ergotzen- der Zeiten find. Im letzten Fall werden fie verworfen, wie fehr fich audi Volker und Zeiten in ilinen beraufcht haben mogen. Im erflen Fall find fie claffifch. Die Gebilde der Kunfl und fpeciell der Dichtung, in welchen die menfchliche Natur fchon - wahren und fomit guten Ausdruck ge- funden hat, verbleiben dem Menfchengefchlechte als hochfles Erbe: wahrer Menfchlichkeit Unterpfand nach Anfchauung und fomit nach fchoner Erfaffung der aufseren Welt, nach Empfindung und den Wei- ten der inneren Welt und nach Wollen und chara6tervollem Streben, gegen Barbarei, Verdumpfung, Klaglichkeit und Unnatur die Zuflucht. zu welcher die Geifler und Gefchlechter verwirrender, diiflerer, knech- tender Zeiten fich fliichten, in der fie durch Mit- und Wiederleben des Schdnen, Grofsen, Wahren, Guten fich flarken und Muth und innere Freiheit gegen das Hafsliche. Falfche, Schlechte und Niedere erringen konnen. 3 Einleituiig. Je lebendiger, reicher, umfalTender die Dichtung Menfchen und Menfchenleben fchon und wahr darzuflellen weifs, je grofser und ewiger ihr Werth. So lange ein Homer, Aefchylus, Sophokles, Dante, Shakefpeare, Gothe, Schiller verflanden werden, fo lange kann die Menfchheit zu diefen Oipfeln tiiichten, wenn die Sturmfluthen der Barbarei, die Schlammtluthen der Unnatur hereinbrechen. Dichtung der HellenenI Welche Fluthen haft du fchon beftanden! W'ie Vieles gerettet! So hiefs Liebe zu Homer immer Liebe zur Natur und forderte Riickkehr zur Natur und forderte Schonheit! Im engeren Gebiet nationalen Lebens oder einzelner Zeitepochcn gilt daffelbe. Die Ideale deutfchen Wefens, die in den Dichtungen der iilteften Zeiten und des Mittelalters iiberliefert worden, haben fchon in fchlimmen, verflachenden, den Nationalcharacter fchwer fchadigenden Zeiten dazu beigetragen, dafs das deutfche Volk fich felbft wiederfand. Goethe's Hermann und Dorothea und Iphigenie werden noch nach Jahrhunderten als leuchtende Sterne flir das deutfche Leben daftehen, Manchem Weg weifend, der den Pfad verloren hat. An andern Ort, nicht hier gehort die Folgerung hin, welche Rolle die Dichtung fur die allgemein fchon menfchliche, wie flir die natio- nale oder fonftig fpecielle Erziehung hat und wie fie in der hochft- moglichen Weife auf Anfchauung, Empfindung und Character wirkt. Sie bietet Beifpiele und Mufter flir das Leben; fie lehrt Einficht in die Menfchen und ihr Treiben; fie befreit, befliigelt und erhebt den Geift zu Idealen. Was Erfahrung und Wirklichkeit nur taufendfach zerfplittert, lang hinausgezogen und meiftens getriibt entgegentragen. das giebt fie voU, concentrirt und fchon. Je einfacher Gulturzuftande find, um fo leichter wird poetifch die menfchliche Geftaltung und Idealifirung fein. Was im Leben Werth hat fiir ein Jager- und Nomaden- oder in bauerlichen Verhaltniffen lebendes Volk, wie Manner und Frauen befchafien fein miiffen und empfinden und handeln und was den Inhalt ihres Lebens ausmacht, das ift dort im AVefentlichen fo gegeben, dafs fich eine ideale Geftaltung gleichfam von felbft bilden kann. Das ganze Volk wird in naivfter Weife daran fchaffen. Der ein- zelne Dichter kann den ganzen Kreis der Lebensanforderungen iiberfehen und Sitte giebt die beftimmteften (jrundlinien fur die poetifc:hen Bildungen. Einleitung. q Schone, wahre Geflaltungen folcher Stufen bleiben immer wahr iind fchon und immer anziehend durch ihre einfachen menfchlichen \'erlialtnifre und ihr einfaches Menfchenwefen. Voll befriedigend auch llets fiir die Stufen, vvelche mit ihnen auf gleicher Hohe flehen. Der deutfche Bauer des 15. Jahrhunderts verlangte von feinen Idealen wenig anderes, als was fiinf Jahrhunderte friiher gegolten hatte. Zu den Geflalten der Patriarchenzeit konnen Alle immer vvieder mit Liebe zuruckkehren, die fich an einfachen Zuflanden erlaben woUen. Je mannigfaltiger die Lebensverhaltniffe werden, deflo fchwieriger ihre voile Erfaffung und die befriedigende kiinfllerifche Verkorperung. Die Harmonie zu halten oder zu finden, fcheint dann fafl. un- moglich. Nur Gliick der Zeit und hochfle Begabung konnen dazu helfen. Eine wichtige Thiitigkeit drangt fich an die andere; Abfich- ten und Mittel gehen wegen der Verfchiedenheit der Beflrebungen in Individuen und Standen auseinander; uberall Collifionen, Wider- fprtiche, Vortreten, Zuriickbleiben. Das Ganze ifl kaum zu iiberfehen, gefchweige zu beherrfchen; die Fragen nach dem wahren fchonen Menfchenwefen fiihren zu taufend Zweifeln. Aber nur das Harmo- nifche kann Harmonifches erzeugen. Abfichtliches Befchranken, die Zuflucht der Schwachen, reicht nicht aus, und wenn etwa Menfchen, daran verzweifelnd , fich in der Wirrheit und Vielheit ihrer Zeiten zurechtzufinden, fich in befchranktere Ideale vergangener Zeiten fliuchten, um fich mit ihnen gegen die Wirk- lichkeit abzufchliefsen, fo fchadigt dies bald mehr als es niitzt und macht bei eigenfinnigem Beharren lebensuntauglich, ungliicklich, wirr und krank. Auf dem Gebiete engerer Poefie wie der kiinfllerifchen Phan- tafie uberhaupt gilt dies. Man nehme die religiofen Vorflellungen, in den Gottern oder der Gottheit idealifch concentrirt. Sobald hohere Einfichten vom Wefen des Gottlichen kommen, wandeln fich die Gotter oder fmken und vergehen oder behalten nur das poetifche Leben, welches ihnen das fchone Menfchliche verleiht, das in fie gelegt worden. Wohin fchwand Zeus und die Gotter des Olympus? Was ifl uns Odin und Thor? Wie weit geniigt der altjiidifclie und der Gott der mittelalter- lichen Auffaffungl Uebermenfchliche Ideale, in's Leben geflellt, fiihren uns in die Heroenwelt. Zeiten, in denen die Tugenden des perfonlichen Kam- J o Einleitung. pfers das Wichtiglle find, bilden Heldenideale wie die des Herakles und Siegfried. Diefe behalten Geltung, denn flark fein ziert iind ziemt dem Mann. Aber hohere Cultur kann fich fiir ihre Manner- ideale nicht mehr mit Armflarke geniigen laffen. Wer den grofsen Krieg kennt und zii wiirdigen weifs, dem geniigt nicht mehr Herakles und Siegfried, der kann bei Idealen des perfonHchen Ureinfchlagens der Reckenzeit nicht die voile Befriedigung empfinden und mufs, falls dichterifche Verherrlichung flattfinden foil, zu neuen Idealen oder Erganzung der alten fchreiten. Wie mehren fich aber dafiir poetifch die Schwierigkeiten! Wichtige Thatigkeiten des Feldherrn treten aus der fmnlichen Anfchauung, fomit aus der Poefie heraus; fie gehoren der Abflraction an; AUes, was ein Heer vom Chara6ler einer grofsen Mafchine haben mufs, desgleichen. Ganz bei Seite kann dies nicht gelaffen werden. So fleht die Dichtung hier in mehreren Beziehungen an ihren Grenzen; wer llch nicht richtig zu befchranken weifs und iiber die Grenzen hinausfchreitet, wird fliirzen; wer fiir das Neue nicht neuen Ausdruck findet, wird nicht geniigen. Unfere ritterliche Dichtung des Mittelalters nicht allein, der ganze mittelalterliche deutfche Kriegerfland hat fich bis in's 1 7. Jahrhundert hinein und langer von den fiir grofses politifches Leben antiquirten Ideal- Vorflellungen des in Fauflgewalt ruhmvollen Heldenthums nicht losreifsen und keine neuen linden konnen. Jedes Weiterfchreiten in Leben und Sitte,. ob gut oder fchlecht, drangt an fich zu einer Wandlung der menfchlichen Ideale und fomit .zu einer neuen Poefie. Aber es giebt keine abfolute Stetigkeit der ^ Entwicklung weder im Leben noch in der Kunfl. Im Allgemeinen geht es hier wie mit den meiflen Entwicklungen: nach dem Bliihen und Reifen folgt eine Zeit des Ueberreifens und fchliefslich des Ge- fchmackloswerdens — eine Epigonenzeit; dann im giinfligen Falle neues Keimen, neues Wachfen. Dafs jedes Volk nur eine poetifchc Bliithezeit habe, darin nach Ideen und Idealen den hochflen Aus- druck finde und danach in feinem chara6leriflifchen Wefen abwarts finke und der Auflofung entgegengehe, ifl ofters behauptet worden. Doch ifl diefer aus einzelnen Erfahrungen lind aus dem Bilde des Bliihens gezogene Satz nicht allgemein richtig. Es find nicht alle Volker in diefer Beziehung einlebig, wie z. B. die Literaturgefchichte Frankreichs und Deutfchlands lehrt. Auch darf nicht, wie wohl gefchehen, geiflige und poetifche Einleitung. j j K-raft eines \'olkes gleichgefetzt and der VVerth des Volkes nach Iciner Poefie gefchatzt werden. Jc nachdem das Schickfal ein Volk in eine Bahn drangt, in welcher es mit Aufbietung aller Krafte fich zu erhalten hat, wird es feine Anlagen einfeitiger verwenden. Nur 7^ aut" eine einfeitige Anfpannung der Krafte, die es zum Genufs freien, / idealifch erfchauten Menfchenthums nicht kommen lafst, wird man fchliefsen konnen, wenn ein Volk von grofser Kraft und ausgezeich- neten. Culturleiflungen nicht zu einer bedeutenden Dichtung gelangt. Sparta, Rom, beziehungsweife Preufsen und Nordamerica mogen die BHcke darauf lenken. Aber daflelbe itaUenifche Volk, welches im Alterthum in der Kunfl abhangig blieb, weil es alle Krafte nach der politifchen Seite und den damit zufammenhangenden Beflrebungen \erwandte, und nur in der Architectur , die dem AUgemeinen diente, fich kiinfllerifch auszeichnete, wird zu andern Zeiten das Volk der Kunil. Nicht die fpatere Volksmifchung, fondern die veranderten \'erhaltniffe, Zeit, Schickfal, Gluck geben die Erklarung. Aeufsere, politifche und materielle Umflande eines Volkes oder der Zeit haben fiir die Dichtung grofse mittelbare Geltung, find aber nicht unmittelbar weder Erwecker noch Objecte der dichte- rifchen Phantafie. Nur in fo weit fie auf die ideale Vorflellung eines fchonen Menfchenthums wirken, werden die aufseren Begebniffe wirk- fam. Materielle Gliickszeit eines Volkes ifl daher an fich durchaus ^ noch nicht eine poetifche, materielle Ungluckszeit noch keine un- poetifche Zeit. Ward das Gliick aus innerer Kraft errungen, triftt aufserer und innerer Auffchwung zufammen, einer immer wieder auf den anderen wirkend, dann find allerdings die grofsen Jubeljahre des Volkslebens gegeben, dann pflegen Menfchen zu erilehen, eine NVelt im Geifl und Drang im Bufen und Kraft, diefelbe auszu- flrahlen. Jedes kraftige eigenartige Volk geflaltet feine Poefie, d. h. feine Ideale der Anfchauungen, Empfindungen und Handlungen eigenartig. In den Zeiten, wo fich die Volker abgefchloffener und feindlicher gegeniiberflehen und vom Kosmopolitismus noch keine Rede ifl werden nach jeder Richtung die originalen Ziige vorfchlagen, und was auch durch freundlichen oder feindlichen Verkehr von einem Volke zum andern dringen mag, wird unwillktirlich um- und neu- geftaltet werden. So lange inneres Selbtlgeniigen herrfcht, wird diefer Zufland auch bei aufserlich nicht mehr fo abgefchloffenen Zuflanden ] 2 Einleitung. bleiben. Dringen zu einem mit fich zufriedenen, national und poetifch kraftigen Volke aus der Fremde neue Anfchauungen und Ideen, machtvoll und berechtigt durch das Bediirfnifs der Zeit, fo wird das Volk das ihm Zufagende freudig aufnehmen und naiv in fein eigen Fleifch und Blut verwandeln, alles Andere eben fo naiv weg- lalTen oder bald ausflofsen. In diefem Fall bleibt die Originalitat, wahrend durch die Aneignung der von anderen Volkern und Zeiten fertig ausgearbeiteten Vorflellungen und Formen ein fehr fchneller, ja ein wunderbar erfcheinender Auffchwung moglich ifl. Man denke an die italienifche und an die englifche poetifche Renaiffancezeit. Uebermacht der fremden Welt, die nicht zur geniigenden nationalen Verarbeitung kommt, fchadigt. Die eigenartige poetifche Entfaltung wird dann gehemmt, d. h. das Volk wird in der Ent- wicklung feiner idealen Anfchauungen und Empfindungen unter- brochen und lebt nicht, fondern lernt fich in die neuen hinein, ohne fich recht damit erfUllen zu konnen. Nun kommen unwahre, daniit hohle oder outrirte Zuflande. Lange dauert es gemeiniglich, das Gleichgewicht des eignen Wefens wieder zu finden. Die hofifche Dichtung des Mittelalters, noch mehr die franzofifche Poefie des 17. bis Mitte des 18. Jahrhunderts geben die Belege. Wenn nun aber gar durch Ungllick oder Schuld alle guten Vorbedingungen fehlen, wenn ein Volk die Freudigkeit feines ihm eigenthiimlichen Lebens und die Sicherheit feines Strebens verloren hat, in feinen alten Ordnungen und Anfchauungen fich nicht mehr wohl fiihlen kann, wenn es hinter anderen Nationen zuriickbleibt und dies felber empfindend feinen nationalen Stolz einbiifst und wenn dann eine fremde, ihm iiberlegene Idealwelt mit jener Unwiderfleh- lichkeit herandringt, die fich fo wenig wie Volkerziige und Epidemien durch Verbote und Declamationen an den Grenzen aufhalten lafst, dann kann eine gefahrliche Krife eintreten, welche dem Volkscharakter die fchwerflen Schadigungen zu bringen vermag, ja die Gefahr in fich birgt, dafs das Volk fein eigenes Wefen aufgiebt und fomit zum Aufzehren durch andere reif wird. Es handelt fich dann um Wohl und Wehe des Nationalgeifles, um die geiflige Selbflandigkeit wichtigfter Art, nicht, wie Kurzfichtige meinen, um einige mehr oder weniger gut iibertragene oder nach- geahmte Gedichte oder andere Kunflwerke. Zwei Mai hat uns z. B. die franzofifche Poefie durch und durch erfchiittert und tiefe Einleitiing. j ■j Spaltungen in clem Zufamnicnhang der Volksbildung nachgelalVen, die nur langfam fich fchloflen. Es hat die englifche Sentimentalitat, in der Dichtung heriiberdrangend, ganze Volksfchichten bei uns ver- wandelt und neue Character- Variationen erzeugt. Diese Sentimentalitat. die fich befonders im Blirgerflande feflfetzte und welche man jetzt wohl als einen grundwefentlichen Zug des deutfcheii Characters anfieht, war bis gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts den Deutfchen unbekannt. Die idealifchen Gebilde der Poefie wirken auf die Men- fchen, wie Jacobs Stabe in der biblifchen Erzahlung auf die Heerden. Der gewohnliche Gang unter den angenommenen Verhaltniffen ill folgender: Die gebildeteren Schichten erkennen die Vorziige der fremden Vorflellungs- und Empfindungskreife und unterfchatzen ge- meiniglich nun die eigenen. Zuriickbleiben will und kann man nicht. Die eigene zeugende poetifche Kraft, die originalen idealen Ziele und das felbflfichere freudige Wefen fehlt. Man ahmt alfo die fremden Mufter nach. Um deren Geifl. zu erfaffen, dazu gehort eine geiflige Kraft und ein Verflandnifs, welches nur Wenige befitzen. Dem Ver- flandnifs entfpricht uberdies nur in feltenen Fallen die ndthige kiinft- lerifche Begabung. So drangt Alles zu einer aufseren Nachahmung und fclavifchen Unterordnung ; befonders bietet fich hier die leicht abzuiehende Form; durchgangig entfteht die Verblendung, dafs man mit der todten Form auch fchon das lebendige Wefen habe. Aber die freudige Ekftafe und der Stolz dariiber ifl nicht lange zu halten. Bald erwacht das Gefiihl, dafs in dem nachgeahmten Werke doch noch nicht Alles in Ordnung fei und es den Vorbildern nicht gleich- komme. Es mufs alfo noch anders gemacht werden. Und die Famuli des Faufl-Geifles fetzen fich wieder hin, fludiren, probiren, leimen und brauen zufammen und qualen fich, das lebensvolle Product zu Stande zu bringen. Im beflen Fall giebt es einen Homunculus, Leuchte, Wegweifer fiir den genialen Geifl, jedoch noch unvermdgend das voile Leben und deffen Druck und Karajif zu ertragen. Ein Hohepunkt der Verkehrtheit zeigt fich, wenn die Nach- ahmer, um gewifs zum Ziele zu gelangen und Schones zu liefern. nur Stiicke aus anerkannten Meiflerwerken nehmen und aus folchen ihr ganzes Werk zufammenfetzen. Nun miiffe es doch fchon und geiflreich werden, da fie Gedanken fiir Gedanken, Bild fiir Bild die Belege bringen konnen und bringen. Alles Gefiihl fiir die Noth- wendigkeit des organifchen Wachfens in der Kunfl ift dann verloren. I A Einleitung. Wenn dies unabfichtlich (lurch Reminiscenzen - Dichtung gefchieht, wie es in Epigonenzeiten der Fall zu fein pflegt, wird die Sache naturlich nicht anders und nicht beffer. Im gllicklichen Falle arbeitet fich ein Volk formal und fchul- meiflernd auf das Niveau der von ihm nachgeahmten Volker hinauf. Bis dahin hat es poetifch fchlimme Zeiten. Grofse ideale Dichtungen umfaffenden Inhalts kdnnen ihni nicht gelingen, denn es id gerade ein Zufland des Zerfallenfeins, des Krankens hinfichtlich der Ideale von fchonem, wahrem Menfchenthum. Wer die Gefetze der KunlT kennt, weifs, dafs auch der Ausdruck der Wirklichkeit dann nicht zur rechten Entfaltung kommen kann , denn mit einer blofsen Schilde- rung des wirklichen Lebens ifl zwar culturhiflorifch vieles, kiinfllerifch aber noch wenig gethan. Der Schlufs wird immer mangelhaft fein. Schones wird alfo durchfchnittlich auf Einzelnes und Subjectives befchrankt fein, am meiflen noch im Gebiete des naiv wirkfamen Empfindungslebens fich finden. Inniger Glaube, Liebe find z. B. an fich idealifirende, zur Poefie drangende Gefiihle. Liebe ifl immer neu, und wo fie fich lyrifch befchrankt, kann fie zu alien, auch den fond fchlimmflen Zeiten Herrliches dichtend bringen, deflo fchoner, je einfacher und unbefangener fich der Dichter diefem Gefiihl hin- zugeben wagt und von Allem, worin die Zeit nur im Suchen be- griffen ifl, abfieht. In der Lyrik, namentlich in der Volkslyrik, liberhaupt in der naiven Poefie werden daher am wenigflen die er- freulichen Stromungen verfchwinden. Einen folchen Vorgang zeigt die (iefchichte der Literatur der vorliegenden Zeit. Im 1 6. Jahrhundert verdorrte unfere alte Poefie. Sie fcheint todt; unter der Erde behalten gliicklicher Weife noch einige Wurzeln Triebkraft. Der Verfuch, die Renaiffance in Deutfchland frifch zu verarbeiten, fchlagt fehl. Eine diirre Nachahmungsepoche beginnt, in welcher das Formale tiberwiegt. Das Eigenartige hat in den mafs- gebenden Kreifen keine Geltung mehr, fondern gilt fiir altfninkifch, liicherlich, hafslich. Es ifl die Zeit, welche , einftimmig fchatzt den neugebomen Tand, Ward er auch aus vergangnem nur geformt, Und fchatzt den Staub, ein wenig iibergoldet, Weit mehr als Gold, ein wenig iiberftaubt. (Shakefpeare : Troilus und Creffida.) Einleitung. I r Doch die Faden fchiefseii hiniiber heriiber aiif dem grofsen Webfluhl der Zeit. In langer Lehrzeit vvird unfer Volk auf die all- gemeine geiflige Hohe hinaufdocirt und endlich fpringen jugendfrifche, begabte, dazu aber mit aller Bildung ausgeriiflete (^eifler von den holzernen Exercitien- und Docir-Biinken hinein ins Leben, wo das \'olk glaubt, lebt, leidet und liebt. Und wunderfam! Dort wo das '^ 1 6. Jahrhundert die Faden liegen gelalTen oder abgeriffen hatte, dort werden fie aufgenommen und wieder angekniipft. Was verdammt und verachtet war, wird wieder zu Ehren gebracht; was verehrt war. wird verdammt und verachtet. Man nehme den einzigen Gothe und feine Beziehung zur Poefie des i6. Jahrhunderts : Volkslieder, Gotz von Berlichingen, Hans Sachs, das Poffenfpiel, Schwank, Legende, Reinecke Vofs, die Volksbiicher jener Tage, darin zuhochfl Faufl! Verworfen fcheinen alle Beflrebungen und Errungenfchaften zweier , fo miihfam durchgearbeiteter Jahrhunderte. Nach der Antike und ihrer Renaiffance hatten diefe gerungen; ftatt der wahren freilich nur die barocken Afterbilder gewonnen. Riickfichtslos drangt der Geifl der neuen Dichtung in jugendlichem Sprudehnuth zum Mittelalterlich-Mafs- lofen, Derben zuriick. Gegeniiber der Verknocherung und feelenlofen Mache gilt AUes, wenn es nur lebt, nur Kraft und Volksmafsigkeit zeigt. Roh, launig wie einfl Ilfan im Rofengarten tummelt und walzt fich oft diefe neue Dichtung in den Blumen- und Gemtifegarten der Zopfpoefie. Dann aber legt fich der Uebermuth und Sturm und Drang. Denn gerade in diefer Uebergangszeit ifl der Riegel zur Antike, we- nigflens flir die bildende Kunfl weggeflofsen und wirklicher Eintritt zu ihr ermoglicht worden. Sich befmnend fchaut der neue Geifl urn fich. Er nimmt alle Bellrebungen auf, wird erfullt von Sehnfucht nach der Schonheit der Antike und echten Renaiffance; er macht fich auf, fie an ihren Quellen zu fuchen, findet fie, und nun erfolgt in Schmerzen und Jubel und Gluthen die lebensvolle Verbindung des deutfchen Geifles und der klaffifchen Schonheit: Faufl und Helena's Vermahlung^ das Ziel, nach dem die deutfche Dichtung die Jahrhunderte hindurch gerungen hatte. Die Gefchichte diefer Entwicklungen ifl unfere Aufgabe. ^ I \ A^M' 2. Die Entwicklungen in der deutschen Dichtung bis zur neueren Zeit. Das deutfche Volk gehort zu den poetifch begabten Nationen. welche die Kraft und das Bediirfnifs haben, fich und ihr Leben durch Dichtung in fchoner Weife wieder zu fpiegeln. Nacii Anfcliauungen, nacli Emptindungen und nach der Art zu handeln feiner Auffaffung des Lebens fclidnen Ausdruck zu verleihen, id ihm in verfchiedenen Zeiten und Culturzuflanden gelungen. Im Epos, in der Lyrik und im Drama kann es fich den Beflen anreihen. Zwei Bliitheperioden deutfclier Dichtung fmd bekannt: die des Mittelalters und die der Neuzeit. Von einer friiheren giebt es nur unfichere Kunde; doch fpricht fiir eine folche die Vermuthung. Zu den alteflen poetifchen Ueberlieferungen gehort, was wir von den Geflaltungen der germanifchen Gotterfage wiflen. Diefelbe beweill Gefiihl fiir fchones Maafs und klare Formung, Grundbedingung zur KunfL fiir ein Volk. Abflrufe Idealifirung griibehiden Verflandes, welche Unfinnliches unfinnig ausdriickt, fowieUngeheuerlichkeiten iiber- wuchernder Phantaflik find vermieden. Als ein gewaltiges Volk tritt das deutfche in die Geschichte; kraftig, freudig und ureigenartig; dazu angethan, die Welt zu ver- jiingen. Voll erfiillt und feines Wefens froh, einig mit fich und feinem Thun im Glauben und Wollen, durchaus felbftandig in alien Anfchauungen, die den Tragern der damaligen hochflen Cultur als die wichtigflen erfchienen, tritt es auf und tritt es ein in den Kreis der alten Welt. Es find Krieger-Stamme, wie die damalige Cultur fie noch nicht gefehen, die auftauchen aus den Waldern des Nordens, fo gewaltig an Eeib, fo furchtbar in der Schlacht und dabei fo einfach menfchlich und rein in ihren Sitten. Und ihr GeifLr Schauer des Gottlichen voll, das fie grofs und fchdn ahnen und fuchen. Eine Idealwelt in diefen Hauptern, die das Schrecklichfle fiir die gewohn- lichen Sterblichen, den Tod, freudig iiberwinden lehrt. Ihre hochfle Aeltefte Zeit. 17 Verklarung ifl Poefie; Poefie die einzige Form ihrer Ueberlieferung; poetifch ihr Glaube in Mythus, poetifch in Sage ihr Andenken des Gefchehenen und der Ruhmreichen unter den Gefchlechtern der Ver- gangenheit und der Thaten der Gegenwart. Dichtung ill im Leben hochfle Freude, nach dem Tode hochfte Ehre. Alle VerhaltniiTe erwogen, find wir berechtigt, um den Anfang der chrifllichen Zeitrechnung eine Bludiezeit der deutfchen Poefie an- zunehmen. Wie diefelbe befchatfen gevvefen, verniag allerdings Ahnung kaum zu flreifen. Niedrig kann fie nicht gewefen fein. Wir haben ein Volk vor uns, fo voll und freudig in einer fo eigenartigen, reinen Cultur, dafs deren Gefchloffenheit, innere Harmonie und Reinheit den tiefblickenden, ernflen, in den machtigflen Zeiten des rdmifchen Weltreiches fchreibenden Tacitus zur Bewunderung hin- reifst, ein Volk, welches den Kampf mit dem weltbeherrfchenden ro- mifchen Staate, da diefer auf der hochflen Stufe iiufserer Macht (leht, aufnimmt, in langem Ringen *) fchliefslich fiegt und dann eine neue Ordnung im Abendlande veranlafst. Schon der Cimbern- und Teutonenzug fetzt in den leitenden Schichten eine geiflige Hohe voraus, die man fich nur zu felten klar macht. Der Entwurf und die Ausfiihrung fo grofsartiger llrategifcher Unternehmungen, wie z. B. der combinirte Doppelangriff von Siid- frankreich und Tyrol her, erofthet einen weiten eigenthiimlichen Ein- blick in die Kenntniffe der Feldherrn diefer fogenannten Barbaren. Der zweite Zufammenflofs zwifchen Romern und Germanen zeigt dort Cafar, hier Ariovifl; Eroberer nach verfchiedenen aber bewahrten Syflemen treffen zufammen, um fich wegen der ficheren Herrfchaft in Gallien zu meffen. Grofs, ernfl-kraftig, echt koniglich fleht Ariovift. da; geordnet und den Verhaltniffen angemeffen hat er das mit dem *) Raubkriege kurzer Art, Grenziiberfalle, auch Kriegsflurme nomadifcher Volker find von grofsen Volkskriegen wohl zu unterfcheiden. Freilich finden auch hinfichtlich der Nomadenziige durchgehends falfche Anfichten ftatt , als ob ord- nungslofe Rotten jemals gewaltige Erfolge haben konnten. Man denke nur an die Ordnungen Attila's oder Dfchingis-Chans. (Siehe z. B. meinen Auffatz in Bluntfchli's und Brater's Staatsworterbuch: Temudfchin.) Die belle Wiirdigung alles deffen, was grofser Krieg vorausfetzt, in fpecieller Beziehung auf das deutfche Volk, ge- winnt man aus E. von Feucker: das deutfche Kriegswefen der Urzeit in feinen Verbindungen und Wechfelwirkungen mit dem gleichzeitigen Volks- und Staats- leben. Berlin i860 — 64. Leincke, Gefchichte der dczttfchen Dichtung. 2 1 8 Aeltefte Zeit. Schwert errungene Land eingerichtet. Dem machtigflen und genialften Romer mufs Verrath zur Befiegung des gemianifchen Konigs helfen. Wenn dann Cafar ohne Weiteres deutfche Schaaren als Sold- und Hiilfstruppen annimmt — und er fchatzte fie in einer Weife, dafs er die Kmpfindlichkeit feines eigenen Heeres zu verletzen fich nicht fcheute, und gefleht niit auffallender Offenheit, dafs die deutfchen Hiilfstruppen im letzten gallifchen Auffland fiir ihn den Ausfchlag gaben — fo finden wir dabei nichts in der rdmifchen Ueberlieferung, was auf untergeordnete geiflige Zuflande der Deutfchen fchliefsen laffen konnte. Nur wenn die Deutfchen fiegen iiber Romer, werden von den Befiegten den Siegern befondere barbarifche Graufamkeiten zu- gefchrieben. Nach Ariovifl haben die Hiftoriker der claffifchen Welt bald einen Marbod und einen Armin zu nennen, Arminius eine Natur, deren Grofse den Gefchichtsfchreiber der Feinde zu einem der erhabenflen Nachrufe in der Gefchichte begeiflerte, der durch den Seitenblick auf das literarifche und hiflorifche \"erflandnifs feiner Zeit um fo merkwiirdiger ifl. Waren Marbod und Armin auch hoch hervorragende Manner, fo konnen wir doch von ihnen auf ihr Volk fchliefsen. Wo folche Geifler mit nothwendiger Weife fo ausgebreiteten Ideenkreifen walteten, kann eine Poefie, welche hochfler Volksausdruck war, die, wie wir wiffen, Hoch und Niedrig entziickte und im Leben und zum Tod begeiflerte, nicht unbedeutend gewefen fein. Sie mufs grofs und in verhaltnifsmafsig kiinfllerifch fchoner Form angenommen werden. Wier fleht dahin. Keinenfalls niedriger und llarrer als die Nach- dichtung der Volkerwanderung. Ob vielleicht mehr nach der indi- fchen Heldendichtung hinliber, ob in Hauptziigen der fpateren deutfchen Reckendichtung gleich, doch freier, mannigfaltiger, bleibt unficherer Vermuthung uberlaffen. Aber die Gefange, welche zu Tacitus Zeiten die Deutfchen von Arminius fangen, dem Helden, an deffen Schlachten fich in der Dichtung die Liebe zu Thusnelda und Thusneldens und Thumelikons Schickfal und der Tod durch den morderifchen Grimm der nachflen Verwandten anreihen mufste, fie werden nach echt-poe- tifcher Faffung und fchon menfchlichem Inhalt nicht hinter denen des Nibelungenliedes zuruckgeblieben fein. Gotler und Menfchen der Deutfchen waren damals noch ungetrubt in alter eigenthumlicher Auf- faffung. — Dabei ifl wohl ein allmaliges Steigen und refp. Sinken der Poefie von den wefllichen zu den ofllichen deutfchen Stam- Einflufb tier Romer. 19 men anzunehmen, je nachdem i"ie zur EntfaUung ihrer Kriifte ge- langten. Den germanifchen Auflcliwung wird man von den Cimberziigcn an datiren konncn. Es ill deren Vordringen nach Siiden kein blofser Huntfcrzutr. L'm die Zeit des Ariovill find die Deutfchen entfchieden in flolzem, hohem Selbftgefiihl gegeniiber Gallien and der fchon ablebenden, verknochemden Cnltur der fiidlichen nnd mittleren gallifchen Stamme *). Armin und fein Bruder Flavins geben uns Himveife, wie die Beriihrungen mit romifchen Ideen wirkfam warden. Je mehr nun alx-r der zerfetzende Einflufs diefer letzteren, der feit den lleten feindlichen oder freundlichen Verhaltniflen der Kaiferzeii reifsend wuchs, Macht gewann bei den damit in Bertihrung kommen- tlen Germanen, mufste auch die ethifche und poetifche Rilckwirkung fich zeigen. Die Deutfchen lernten die Sitten Roms nicht blofs als Feinde an den Grenzen, fondern, was fchlimmer, als Soldner an den Haupt- llatten der Verderbnifs kennen. Die Grenzflamme mufsten iiberdies (.lurch den ewigen Krieg in jeder Weife verwildern und die fchlimmen Eigenfchaften des Krieges in den Jahrhunderte langen Kampfen aus- bilden, wahrend die Tugenden des Friedens zuriicktraten und ihre ausgleichende Kraft verloren. Leben, Sitte, Glaube mufste fich all- malig andern, nicht verbeffern, eher verfchlechtern. Im 3. Jahrhundert pafst das fchone Bild des Tacitus in der Germania von den Deutfchen nicht mehr auf die von ungefliimem Wirbel der Raub- und Eroberungs- luft. erfafsten wefllichen und fiidlichen Schaaren; nur die Kampfer- Eigenfchaften finden noch eine herbe, felbfl unnatiirlich auf die Spitze getriebene Ausbildung und Verehrung. Diefer Volkeraufruhr geht dann in die eigentliche Volkerwande- *) Eine Art Uebercultur ift es, was von der Trennung der Stjinde, dann be- I'onders von der Ausbildung der hierarchifchen Ordnungen in Gallien berichtet wird. Auf Vieles in dem religios-philofophifchen Syflem der Druiden hat ficher- lich griechifche, von Maffdia aus, Jahrhunderte hindurch, fich verbreitende Lehre Einflufs gehabt. Wie weit mag auch die deutfche Dichtung der wiffenfchaftlich lehrhaften Poefie der Gallier Einflufs geftattet haben? Bekanntlich hatten die Druiden CoUegien, in welchen die auswendig zu lernenden Ueberlieferungen der Schule zuweilen eine zwanzigjahrige Lehrzeit erforderten. Mancher Edda-Gefang cosmogonifchen Inhalts mochte uns in feiner Art eine Anfchauung der druidifchen Lehrpoefie geben. 20 Volkerwanderung. rung iiber, in diefe Kette von Kriegen, von Siegen und Niederlagen und DurcheinandervvUrfelungen i:ivilifirter und entnervter und ander- fcits wildkraftiger und fremdartig barbarifcher Volker. I.osgeririen von den alten heimathlichen Sitzen, mit denen fo nianche Symbolik ihres Polytheismus eng verwachfen war, im alten Glauben fich andernd, den neuen Glauben, der ihnen im Chriflen- thum entgegenkam, recht zu erfaffen noch unfahig und fomit dem grimmflen Aberglauben zur Beute, auf den Wogen der Volkerwande- rung treibend Jahrhunderte lang, in denen Krieg, Verwliflung und Vernichtung auf ewig Befitz von diefem Theil der Erde genommen zu haben fchienen, mit alien Verbrechen der Uebercultur und Barbarei vertraut und gezwungen fich gegen beide durch alle Mittel zu wehren, aller andern Zucht als der militarifchen fich mehr und mehr entfchlagend, konnten die deutfchen Volker ihre friihere fchone Charakterreinheit und fittliche Hohe nicht bewahren. Ein Zerfall mufste eintreten. Und das beredtefle Zeugnifs von ihm legt das viele Menfchlich-Schlechte, Verratherifche der germanifchen Gotterwelt und zuhochft die Vorflellung von ihrem Untergange ab, wonach nicht bios die Menfchen, nein die alten Gotter felbft wegen ihrer Ungerechtig- keit und Treulofigkeit mit diefer blutigen, verratherifchen Welt ver- nichtet werden niuffen, um einer andern, einer Friedenswelt ohne ewigen Kampf, Lug und Trug und forterbenden Fluch Platz zu machen. Selbfl die grimmen Kampfer, die nur in Kampf und Starkung zum Kampf ihre hohere Lebensaufgabe und Lebenslufl gewahrten, fiihlten die Unnatur und Haltlofigkeit eines folchen Zuftandes"). Zu Armins und der Velleda Zeiten herrfchten folche Vorflellungen fchwerlich. Die Menfchen, wie fie in der Poefie und im Leben der Volker- wanderung fich geflalteten, zeigen diefe Einfliiffe. Hohere allgemeine Ziele werden bei den poetifchen Helden vermifst; die religiofe Auf- faffung tritt in merkwurdiger Weife zuriick oder fehlt oder zeigt Spuren brutalen Trotzes und Verachtung alles Hoheren; ethifche Motive, *) Siehe befonders hiefiir wie fiir das Folgeiide: H. K'uckcri: Culturgefchichte des deutfchen Volkes. In den verfchiedenften Beziehungen geben die Vorflellungen der Edda Einficht in die Zuftande der Stid-Germanen wahrend der Uebergangs- zeiten der Volkerwanderung. Zu den Nord-Germanen kam diefe Wandlung und mannigfache Zerfetzung erft mehrere Jahrhunderte fpater, als die deutfche Vdlker- Bewegung fich gefetzt hatte und unter den Franken und dem Chriflenthum vielfaltig riicklaufig wurde. Volkerwanderung. 2 1 wie fie der Dichtung bei den Thaten eines Herakles, Thefeus u. f. w. vielfiiltig zu Grunde Hegen, kommen kaum zur Geltung. Es iiber- wiegt in der Dichtung der Character wildherziger Kampf- iind Tod- fchlaglaime, welche im Kampf des Kampfes wegen und in (Jewinnung von Schatzen das Ziel fieht, daher auch mehr zu eincr Hiiufung von Abenteuern gefiihrlicher Art fiihrt als eine fchone kiinfllerifclie Ab- runching und Verarbeitung des Stoffes begiinfligt. Treue gegen den Wafifengenoflen und fogenannte Mannentreue bildet einen Lichtpunkt, ill aber in diefer Weife eine zu alien Zeiten und bei den verfchieden- ilen Volkern wiederkehrende, im Krieg aus der Noth entfpringende Tugend. Dafs es friiher anders, beffer geftanden, dafiir konnte man die Poefie der Angelfachfen, befonders den Beowulf anfiihren, der nicht fo den Character eines kaum unter Leitung der Vernunft flehen- den Kiimpfers, fondern den eines verdienflvollen Helden hat, der das Schadliche principieller um des Guten willen bekampft. Die Angelfach- fen nahmen aber eine Ausnahmeflellung ein durch ihre Eroberung des abfeitsliegenden, in die Culturzerfetzung weniger hineingezogenen Bri- tanniens, in welchem fie felbfl die alten Sitten und Ueberlieferungen treuer bewahrten und fich volksmafsig erhielten, auch mit dem Pfluge das Land erfalTend und nicht blofs als foldatifche Herrfcher des er- oberten Landes bald von den Wurzeln des Volkslebens aus verdorrend. Wo die Vorflellungen der Phantafie einfeitig auf Todtung des Gegners, reiche Beute, gute Waffen u. f. w. befchrankt wurden, konnen fie der Verknocherung und Eintonigkeit nicht entgehen. Die Culturgefchichte lehrt das Nahere, den fchlimmen Zufland hinfichtlich der Sitten und Charadlere , wie er fich feit dem 4. Jahrhunderte entwickelte, bis langfam, fehr langfam das Chriflenthum fefleren Halt zu geben ver- mochte. Von der frankifchen Grauelzeit der Koniginnen Brunhild und Fredegunde ganz zu gefchweigen, fei fiir die Manner und die Auffaffung von der Ehre und Wlirde der Frauen nur auf die longobardifche Wahrheit-Dichtung von Alboin und Rofamunde ver- wiefen, in welcher Art diefe Konigin riickfichts- und fchamlos ihre weibliche Ehre der Rache wegen einfetzt: ein von den Auffaffungeu nach Tacitus fehr verfchiedenes Bild. Befonders das Chriflenthum mufste anfangs die tiefflen Er- fchiitterungen bei den Deutfchen hervorbringen, leider nicht gleich fo heilfame, wie man meiflens anzunehmen gewohnt ifi.. Zwei ent- gegengefetzte Welt- und Lebensanfchauungen trafen auf einander: 22 Chriftenthum und Ileidcnthum. dort cine Religion der Innerlichkeit, aus unterdriickteni, in die Hott- nungen derZukunft fich rettendeni Volke hervorgegangen, einer Geides- richtung huldigend, die fich von der Wirklichkeit abwandte: Ytv- achtung des Irdifchen, VerdienR durch Leiden und Demuth, Ver- gebung des Feindes, Befchaulichkeit jjredigend. Hier Anfchauungen, in Jahrhunderten der Kriegsfurie ausgebildet, in denen, wie bemerkt, viele urfprtinglich finnigere, innerlichere Ziige verloren gegangen waren, welche Kriegerleben und Schlachtentod, Todfchlag von Feinden, Rache fiir das Hochfle achten, die nicht in Ergebung fondern in Qualen trotzig lachend flerben lehrten, dem Trotz gegen Schickfal und (idtter ihre Achtung nieht verfegen konnten und den Himmel der (kiten, d. h. der Tapferen, zu einer ewigen Kampf-, Schmaus- und Gelagflatte machten; eine Religion, in der die Gotter felbfl fo fchlachtenfroh wie goldgierig und zum Theil unfittlich und triigerifch waren, zumal fiir die der tieferen Symbolik nicht niehr gedenkenden Geifler. Gegenfiitze wie Feuer und Waffer waren es, die in diefen Religionen auf einaiider trafen. Wahre religiofe Bekehrung fetzte eine \ollige Wandhing voraus, wie der taufende Bifchof Remigius von Rheims fie dem gelockten Sigamber Chlodwig befahl; aber Chlodwig felbfl kann lehren, ob und wie das Waffer der laufe die alien An- fchauungen weg und den neuen Chriflen von den bluiigen Flecken reinzuwafchen vermochte. Konnten auch einzelne Gemiither fich in die chriftliche Geifles- welt verfetzen, konnten in den fremden, eroberten Landern einzelne ]>oetifche Anregungen noch gewonnen werden, fo mufste im All- gemeinen doch ein chaotifcher Zufland in den Geiflern entflehen, in welchem frifche Weiterfiihrung der alten Poefie fchwer oder un- moglich ward. Die Dichtung der in chriflliche und romifch-civilifirte Lander ausgewanderten Germanen mufste flocken ; ihr inneres Gleich- gewicht, ihre Unbefangenheit war verloren. Dafs ihre alte Dichtung fo fchnell verfchwand, hatte weiteren Grund darin, dafs gerade fie die alten heidnifchen Traditionen iiberlieferte, ihre Pflege alfo vom chrifllichen Standpunkt aus Scrupel erweckte, fo lange das Hei- denthum noch eine gefiirchtete Macht befafsj, und dafs deshalb der allmalig allmachtige Bann der fiegreichen Religion diefe Dich- tung traf. Gefchieden von den Stammen der Heimath, mit wenigen Aus- nahmen durch Lander und Meere oder durch den Glauben oder Einflufs der frankifchcn Eroberung. 2 X Stanimeshader , oder full fcheidcnd aus Ki,'oisnnis als Bcfitzende, welchc von Nachfchul) und Vciflarkuiig mir Schmalcrung des Er- worbcncn fiirchteten. war ilas Schickfal faR aller ausgeflroniten dcutfchcn Stanimc in der Frenide den an Zalil und Cultur uber- machtigen Unterworfenen gegeniiber bald befiegelt. Sie erfiillten ihre Aufgabe, ilic ubermafsige politifche Einheit des Romcrreiches uietler in Mannigfaltigkeit aufzulofen, bewirkten die Bildung neuer Nationalitaten und Staaten, denen die cliriflliche Kirche zum Erfatz einheitlichen Zufammenhang auf geifligem Gebiete gab, und gingen in den neuen \'olkerbildungen auf. Am Ende der Volkerwanderung bot das deutfche Stammland einen gegen die Vorzeit fehr verfchiedenen Anblick. Statt an der W'eichfel begann es im Ollen an der Elbe. Grofse, zu den beflen gerechnete Stamme waren ganz verloren. Die inneren Ordnungen liatten fich vielfach durcheinander gefchoben. Halb barbarifche Staatenverfuche auf der einen, auf der andern Seite barbarifche fremde \'6lker. Von jenen, den einfligen Briidern, jetzt Fremdherrfchern, wie von diefen bedriingt, zufammengefchmolzen, durch Schwert und Glauben zugleich angegriffen, tritt bei den mittel- und fiiddeutfchen Stammen eine Stockung ein, ein Zwifchenzufland, welcher fiir die idealen Beflrebungen von lahmendem F/influffe werden mufste und jeden hoheren Auffchwung ausfchlofs. ^ Wie die Gefchicke fich danials geflalteten, hat fiir uns feine Nachwirkung gehabt bis auf den heutigen Tag. Von alien deutfchen Erobererfliimmen hatten nur die Franken ihre heimathliche Balis nicht aufgegeben. Sie wurzelten in den alten Stammfitzen und zogen immer frifchen Saft und urfpriingliche Kraft an fich, wie nachdriicklich fie fich auch keilfdrmig in Gallien vor- fchoben. Alle ihre deutfchen Rivalen ini Ausland hatten diefen Zufammenhang verloren; die Stiimnie waren an den Wurzeln ab- gehauen. So blieben die Franken, iiberdies durch die katholifche rdmifche Kirche gegen die Arianifchen Stammgenoffen unterfliitzt, uber ihre deutfchen Nebenbuhler Sieger und griindeten Dauerndes. Mehr als Bundesgenoffen des letzten gallifchen Romerthums gegen jene, denn als Feinde vorriickend, konnten fie die Cultur des bliihen- den romanifirten Galliens, des letzten Halts des Romerthums, als fchon Italien darniederlag, um fo gemachlicher und ungefchadigter ausnutzen, als die Provinzen, welche fie urfpriinglich gegen Sold zu 24 Einflufs der frankifchen Erobening. fchiitzen fich die Miene gegeben hatten, fchliefslich ihnen von felbft als Beute in den Schoofs fielen. Durch gedoppelte Kraft wurden fie den Einzelkraften iiberlegen. Die romifch-gallifche Cultur unterfliitzte ihre gernianifcbe wilde Kraft and Klihnheit. Je durch diefe oder jene wurden fie liber ihre bar- barifcheren Briider oder civilifirteren Nachbarn Sieger. Es ward damals, was fchon zu Ende des Romerreichs begonnen, Nordoflgallien ein Centralpunkt neuer Macht und neuer Verfchmel- zungen. Wahrend von dem intact erhaltenen jetzigen Hauptfitz der alten, aber verzopfenden Cultur, von Byzanz, weite Lander und machtige, wilde Volkerfchaften die Deutfchen fchieden, wahrend Italian, gegen welches iiberdies die Alpen Deutfchland mehr ab- fchliefsen, indefs die lange gallifche Grenze verhaltnifsmafsig offen id, an Einflufs eingebiifst hatte, begann die romifch-gallifche Cultur durch das Schwert der Franken unterflutzt auf die deutfchen Stamme hervorragenden Einflufs auszuiiben. Ein wichtiger Riickfchlag erfolgte nach all dem Vorwartsfluthen. Von Gallien hauptfachlich dringen damals Cultur und Religion mit der ihnen innewohnenden Expanfionskraft in das heidnifche Deutfchland. Der katholifch gewordene, fich romanifirende Franke folgt mit dem Schwerte dem Kreuz oder das Kreuz folgt feinem Schwert in die umfonfl widerflreitende deutfche Heimath. Die Franken bilden die verbindende eiferne Klammer fiir Frankreich und Deutfch- land, durch welche diefes von dem durch altere Cultur voranflehen- den Nachbarland abhangig gemacht wurde. Ein Gliick, dafs die Kirche lateinifch war und doch ihren Schwerpunkt nicht im franzofifchen Konigslager fuchte, fondern felbflandiger fiir fich bedacht war: andernfalls hatte es mit der Erhaltung des deutfchen Wefens gegen die angreifenden Machte fchlimmer geflanden. Was die fiegreichen Franken felbfl anbelangte, fo war in der Uebergangszeit, wahrend der Unruhe der Eroberung und unter dem Einflufs der gallo-romifchen Cultur und der chrifllichen Kirche eine- Bliithezeit der Poefie bei ihnen unmoglich. Wohl aber zeigte fich die poetifche Kraft ihres machtigen Thuns, nachdem der Uebergangs- procefs der Romanifirung, fo wie die Alles abforbirende politifch- practifche Expanfionsbewegung voriiber war; die wichtige nord- franzofifche Poefie, die einen ahnlichen Eroberungszug iiber Deutfchland Chriftianifiiung der Deutfchen. 2^" hielt, wie ihre Helden Karl der Grofse und feine (jetreuen gethan hatten, ifl ihr Ausdruck. Karl der Grofse felbfl war noch ein deutfcher Mann gewefen,. Pfleger der deutfchen Sprache und Freund der alten Volksdichtung, deren Sammlung er anordnete. Nach ihm nahm die Romanifirung- der Franken in dem jetzt franzofifchen , wefllichen Theil des alten Frankenreiches reifsend zu. Mit der Theilung deffelben, 843, unter •lie Sohne Ludwigs des Frommen, ward die Romanifirung auch aufserlich zum voUen Ausdruck gebracht. Das neue Volk der Fran- zofen war auch fprachlich conflituirt. Die Sachfen bis gegen das neunte Jahrhundert ausgenommen, hatten wahrend der fiegreichen Epoche der Franken und der mit ihnen zufammenwirkenden chriftlichen Bekehrungen die deutfchen Stamme keinen Anlafs zu poetifchem Auffchwung. Ihre Stammeskraft^ ihre Sitte, ihr Glauben war im Niedergang; fie felbfl zu untergeord- neten Stellen verurtheilt. Sie kamen nicht frifch und freudig in die neue chriflliche Zeit hiniiber, nicht mit frohem Stolze, fondern als Epigonen vergangener Zeiten. Den Sachfen ging es dann durch Karl des Grofsen Unterwerfungskriege, befonders aber durch das Wiithen gegen den alten Glauben nach dem fchrecklichen Siege noch fchlimmer, Folge war die Erfchiitterung und Schwache des Volkswefens, welche das neunte Jahrhundert hindurch die aufsere deutfche Gefchichte zeigt. Die Neuordnungen religiofer und politifcher Art erfchopften die Krafte; in Anfchauungen und Gefiihlen fchien Alles von unterft. zu oberfl ge- kehrt, anders das Leben, das Handeln, die Hoffnungen, anders Glau- ben, Recht, Sitte. Anfangs fand das deutfche Volk kaum die Kraft und den Muth zur Selbflerhaltung gegen die es bedrangenden , in Heidenthum noch ungebrochenen Volker, gegen die nordifchen^ jetzt zu ihrer Art Wanderung, zur See ausfchwarmenden Germanen und gegen die andringenden flavifchen und in Reiterziigen tiber- ftiirmenden ungrifchen Feinde. Die flolze Schwertnation , die Welt- fiegerin, der Schlacht und Kriegszug die hochfle Lebensaufgabe ge- fchienen hatte, war felber Ziel fiir die Beutezuge ihrer wilderen heid- nifchen Briider und Nachbarn geworden. Allmalig aber riickten fich die Deutfchen auch innerhalb ihrer neuen chrifllichen und llaatlichen Ordnungen zurecht und brachtei'j^ den alten Chara6ter damit ins Gleichgewicht. Das Chriflenthum drang durch und trat feitdem nicht mehr feindlich auf; die deutfche Geifl- 26 Kampf zwifchen den altcn unci neiien Vorflellungen. lichkeit, die fich heranbildete, wirkte inimer unbefangener aus dem deutfchen Geifle heraus, nachdem die heidnifche Ueljergangszeit beendet war; eine neue harmonifche (reiflesf])hare konnte fich bilden. Der Kampf z\vift:hen tlen alten und neuen Vorflellungen war freilich lang und fchwer. Dort die alte, diefem in der Natur leben- den Volke naturliche Religion, in den Grundziigen erwaclifen aus dem Volksgeifl, alle Anfchauungen der umgebenden Natur und des eignen Wefens tragend; Ueberlieferungen der Sage, mit dem Mythus fich durchfchlingend, wunderbar reich und genau, wie wir aus den Bruch- flucken und den Wandlungen fpaterer Zeit erfehen, ganz entfprechend dem Volke, fein eigenfles Werk in jeder Beziehung, nach Thaten und Formung, Alles Poefie, Wonne zu lioren, Freude zu lernen, Vorbild des Lebens, erprobt in einem Weltalter des Kampfes. Wie lebte, wie flarb es fich leicht mit dem Glauben an die G otter des Muthes und die Freuden \\'^alhallsl Gegen diefe ganze Welt eine abfolut neue, profaifche Ueberlieferung , hauptHichlich in Formeln und neuen Ceremonien fich darflellend fiir die Maffen, bald allerdings unterflutzt durch alle Kunfle der Fremde, wenn auch poetifch direct nur durch die Lyrik, die aber gegattet war mit neuem wunderbaren Gefang. Hinter diefer Religion aber fland eine iiberlegene Culturwelt. Wer der neuen, mit dem Chriflenthum vereinigten Bildung fich zuwandte, hatte vollauf und wer eine gelehrte ThJitigkeit erflrebte, tiberreichlich mit der neuen Cultur und ihrem Glauben und Wiffen zu thun, gegen welches die alten heidnifchen Ueberlieferungen nun nicht blofs gefahrlich fondern auch durchaus unbrauchbar erfchienen. Hinzu kam, dafs fo viele Fremde an der Spitze der neuen Cultur flanden, die fiir deutfches Wefen und die alte deutfche Poefie kein Herz hatten und haben konnten. Einmal wirklich geglaubt an die Geifleswelt des Chriflenthums — und die Welt der Afen lag im Nebel- land, unverflandlich und deshalb damonifch und fchauerlich gefiirchtet. Fdrderung oder nur liebevolle Erhaltung war unter diefen Umflanden in den mafsgebenden Kreifen wenig oder gar nicht zu erwarten, fo lange nicht ein wiffenfchaftliches Intereffe den religiofen Eifer milderte. Grofse Geifler wie Kaifer Karl, der die Heldenlieder fammeln liefs, waren Ausnahmen. Auch Ludwig der Fromme war in der Jugendzeit noch der alten Poefie zugethan; in fpateren Jahren hat er fich ihr aus religiofen Bedenken entfremdet. Zu welchem Schaden ficherlich fiir die Erhaltung der durch Karl gefammelten Lieder! Heidnifche Dichtung. Chriftliche Dichtung in alter Fonn. Neue Dichtung. 27 Von der reichen Poefie der alten Zeit haben wir jetzt nur ein Paar Bruchftlicke, wenige Scherben aus fo vielen Schatzen der Ver- gangenhfit, Zauberfpriiche, die uns in's Dunkel menfchlicher Trau- mereien fiihren, dann ein Bruclifliick aus der Heldenfage chrifllicher, aber unter heidnifchen Anfchauungcn aufgefafster Zeit, dem Kern nach freilich vielleicht bis in indogermanifche Urzeit reichend: das Lied von Hildebrands und Hadubrands Kampf. Leider ifl auch diefes Bruchiliick in fich nicht unbefchadigt und vollflandig, fo dafs es fchwer in, daraus auf das Gefiige folcher Dichtungen fichere Schliifle zii Ziehen. In den Geifl der Zeit freilich, welche Perfpe6live erofithet die eine Rede des alten Hildebrands, da er nun Kampf bewilligt dem Mann, den er fiir feinen lieben Sohn erkennt! Wohl gewahrte die Geifllichkeit die Macht und Wirkung der Poefie auf das Volk und man fuchte ihm neue Speife flatt der alten zu geben: Chriflliches ftir Heidnifches. Natiirlich entquoll auch Dich- tung den Herzen der Gliiubigen. Es heifst, dafs Ludwig der Fromme die bedeutendfle Dichtung diefer chrifllichen Poefie in alter Form, den Heliand, veranlafst habe. Auf fein Anfuchen habe ein fachfifcher Dichter, ein Bauer, das Leben des Heilands gedichtet. In dem Bruch- fliick Muspilli (bairifch) haben wir ein ahnliches Zeugnifs diefer. noch die alte Form der Alliteration gebrauchenden Uebergangszeit. Aber die Wirkungen der mit den jahrhundertlangen heidnifchen Anfchau- ungen verquickten und zufammengewachfenen Form zeigten fich, auch den Zeitgenoffen aufifallig, an diefen Dichtungen. Mit der Form war der Gedanke, Anfchauung mit der Redensart gegeben. Jeder Ver- gleich mit Gefangen der Edda lehrt, wie heidnifch alterthiimlich fich die neuen ^'orflellungen geflalteten. Sobald die Alliteration gebraucht ward, in welcher die friihere Ueberlieferung der gedachtnifsflarken Heidenzeit uberkommen war, wehte in den neuen Anfchauungen ein Hauch aus den heidnifchen, jetzt mit Fluch getroffenen Spharen. Welch ein Chriflus, ein Heerkdnig! Welch ein Elias! Welch ein jiingfles Gericht! Welch ein Einblick, wie es in diefen Kdpfen mit den Vorflellungen des Lebens ausfah! Neuer Geifl will neue Form. Um aus den heidnifchen Phan- tafien herauszukommen, mufste man auch ihre alten poetifchen For- men verlaffen, um die Anfchauungen los zu werden, die fich jene zum Kdrper gebildet hatten. Der Franke Otfried, Zogling der beriihmten Kloflerfchule zu 28 Otfrieds neue Dichtweife. Fulda, Monch zu Weifsenburg, unternahm mit Bewufstfein, wie wir aus feiner Dedication an Konig Ludwig den Deutfchen wiffen, die Neubildung. Er dichtete im 7. Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts feine Evangelienharmonie (Krifl), fie der Volksdichtung entgegenzufetzen, nicht mehr wie der Sachfe den Heliand in Alliteration, fondern in den Formen, die das Chriflenthum, wenn nicht gefchaffen, fo doch fich angeeignet hatte, in gereimten oder auch mit AfTonanz fich be- gniigenden Versreihen. Taufend Jahre find feit Otfrieds iinfere altefle Form verdrangender Neubildung vergangen und noch immer bewegen wir uns auf den von ihm zuerfl eingefchlagenen Wegen, ungeachtet mehrfacher Verfuche, auch fie wieder zu verlaffen. Bisher hat man nur Riickgriffe auf einft herrfchende andere Formen gemacht; fo der Verfuch, an deffen Spitze Klopflock fich flellte, die metrifchen Formen der griechifchen Dich- tung anflatt des mufikalifchen Reims im Deutfchen einzufuhren, und heutigen Tags gar der Anlauf, tiber die taufend Jahre feit Otfried zuriickzugreifen und wieder in alliterirenden Formen zu dichten. Aber erfl, ganz neue Anfchauungen werden wieder ganz neue Formen fchaffen; der Drang nach diefen verkiindet allerdings den Umfchwung. Welch ein neues Maafs der Geifl. wahlen wird? Sicher- lich nicht die alten, wie fie fchon durchlebt worden find. Wie fpater bei Opitz war es bei Otfried nicht die Grofse dich- terifchen Genies, welche den Sieg errang gegen die entgegenflehende Dichtung, fondern die Bedeutung des neuen Princips, fiir welches er, als Dichter kaum ein grofses Talent, aber ein durch und durch vom neuen Geifl erfullter Mann durchzugreifen wufste, nach Inhalt und Form zugleich. Poetifch ifl der alliterirende Heliand des fiichfifchen Landmanns der gereimten Evangelienharmonie des Weifsenburger Monchs unendlich iiberlegen. Dort Grofse, lebendige poetifche An- fchauung der Phantafie, Wucht in Vorflellungen und Worten, hier mehr der poetifirende Geiftliche, der fich uberdies in den neuen Formen und ihrem fremdartigen Geifle noch miihfam bewegt. Aber fruchtbare Keime, hoher Entwicklung fahig, deren das Zeitalter be- durfte, lagen in diefer Dichtung; hier Einheit, dort zwei Phantafie- welten durcheinander gefchoben, in der es einem kundigen Chriflen unheimlich werden mufste. Im gereimten Vers hatte die chriflliche Kirche fich ihren poeti- fchen Ausdruck gefchaffen. Die innere Gefiihlswelt, die inbriinflig Vertiefung der Empfindung. 20 gelleigerte Subjectivitat, innerliches Hoffen, Glauben war ihr Ausgangs- punkt gewefen. Die Empfindung hatte das mufikalifche Mafs wiihlen laffen. Nach diefer Seite bin hatte fie das menfchliche Wefen un- endlich vertieft und erweitert und im Triumph des neuen Gewinns die Fiille der claffifchen Geifleswelt unbekiimmert verworfen. Jetzt traf fie auch mit der germanifch - heidnifchen zufammen, hier ver- drangend, dort verwachfend, die nachflen Zeitabfchnitte beflimmend. In den Kloftern, den Zufluchtsortern und flillen Ruhefitzen in- mitten der fchreckHch wirren, materiell bewegten Zeit, den Geiflern nach ftiirmifchem und fchwer fchadigendem Leben hiiufig in Wirk- hchkeit das, was von dem friedlichen, auf die bofe Kampf- und Trugzeit folgenden Gotterreich die germanifche Phantafie getraumt hatte, fand diefer neue lyrifche Geifl feine hauptfachHchfle Pflege. Er verband fich in der Folge befonders mit dem Mariencultus, unwillkiiriich zum weicheren WeibHchen drangend. Von Otfried an wirkte diefe neufchafifende poetifche Thatigkeit erfolgreich weiter. Die alten Formen verlieren ihre Geltung gegen die neuen. Wohl halt das Volk an friiheren poetifchen UeberUefe- rungen, dem gewaltigen Schatz unabfehbarer Erinnerungen fefl. Aber der leitende Geift, ifl bei der Kirche. Die GeiftHchkeit hat das hohere Wiflen, ifl Tragerin der neuen fiegenden Ideen und fomit fiihrend. Die alte Ueberlieferung in alter Form ftockt; es wird fchandlich und gefahrlich ihr Sanger zu fein. Der Edle und Angefehene dart fich ihr nicht mehr widmen, nicht mehr felbfl beim Felle die Thaten der Vorzeit verkiinden. Zu der Jugend und zum Volk finken die alten Maeren und wandeln fich danach. Der Mythus, das Hochfle wird zum Niedrigflen. Er fchrumpft zufammen, bis er zum Mar- chen geworden ifl oder als Aberglaube weiter dammert. Beffer geht es den Sagen der Heldenzeit. Man lafst fie nicht; es ifl das Herz- blut des Volks, das in ihnen pulfirt. Auch das chriflliche Volk braucht Kampfer. So flofst man, fo weit und fo gut es geht, das heidnifche Element heraus und pflanzt die Erinnerung, wenn nun auch vielfach geandert und verflummelt, fort; mit welcher Zahigkeit in anderer Beziehung lehren Namen aus Gefchlechtsabflammungen und von Wafifen, lehren einzelne Ziige, oft gerade in unbedeutenderen Dichtun- gen, welche liber viele Jahrhunderte hinweg in Urzeiten hineinweifen. Sobald eine nationale deutfche Geifllichkeit befland und das Heidenthum feine dire6le Gefahrlichkeit verloren hatte, konnte iib- ^O l^*c allere Renaiffance-Stromung. rigens viules Alterthiimliche fich wieder freier regen und deflo mehr Ausficht auf Ueberli(."terung durch die Schrift iind auf eine gelchrte hiflorifrlie Freude ward gegeben. Diirrh die Betheiligung der Man- ner, welche die neue Bildimg vertraten, mufsten allerdings auch neue Aenderungen der alten Stoffe eintreten. Der gelehrte Monch, der fich dichtend an eine Sage machte, hatte andere Abfichten mit ihr, weil er andere zuhoclifl gefchatzte Vorbilder hatte, auch wenn ihn keine religiofen Bedenkcn beflimmten. Die katholifche Geifllichkeit vertrat in ihren bedeutendflen Gei- flern die Verfchmelzung des Chriftenthums mit der Tradition der claffifchen Volker, fo weit diefe hatte beflehen konnen. Die Sprache der Kirche war Latein, dies das verbindende Band mit dem Alter- thum, darin die Kirche noch vor dem Barbaren - Ueberdrang Herr- fcherin geworden war. Die Tradition von Rom und im Often von Byzanz war nicht abgerilTen; die Kirche war die Erbin des Alter- thums, foweit es wiffenfchaftlich noch exiftirte. Kenntnifs und Studium der antiken claffifchen Werke war da- durch immer mogHch geblieben. Fiir jeden Menfchen, der eine Ahnung vom Werth der Wiffensbildung in fich hatte, blieben jene als Schatz der weiteren Bildung. Gallien war zur Zeit feiner Unterwerfung ein romifches chrift- liches Land gewefen; Kaifer hatten dafelbft refidirt. Don war durch die Franken durchaus nicht der ganze antike Boden zerriittet und iiberfchiittet. Karl's des Grofsen Renaiffance der romifchen Kaifer- herrfchaft, feine Beftrebungen im antiken Sinn, hinfichtlich Yerbreitung von Kenntniffen und in Kunften zeigt diefen Zufammenhang, auf- genommen durch einen genialen, umfaffenden Herrfchergeift, der mit der Einfachheit des grofsen Mannes das Verfchiedenfte zu einen wufste, alles Niitzliche und Schone zu einen fuchte. Was um das Jahr 800 im Frankenreich Ausdruck gefunden, wirkte auf die Bildungsftatten im chriftianifirten Germanien. Die aus Alcuin's Schule hervorgegangenen Cxelehrten ftanden in vielen Beziehungen dem romifchen Alterthum nah^er, als es nach ihnen bis zum Humanismus der Fall war. Erft mit der mittelalterlichen Ro- mantik oder Minnezeit kam der Geift, der mit dem antiken in Nichts mehr (jemeinfchaft, fiir ihn gar kein richtiges Verftandnifs mehr hatte. Von jenem alten romanifchen Geift ift der neue romantifche, nach Analogie aus der Baukunft gothifch zu nennende, wohl zu unterfcheiden. Dichtung der Geiftlichen. Heldenfage in lateinifcher Form. 3 1 Sobald in ileni neiien tleutfchen Reiche feflt-re Ordnung und die I'rtude der Sicherheit gewonnen war, fehen wir in den leitenden Kreifen eine ahnliche Renaiffance-Bewegung wie die Karls des Grofsen im Frankenreich: Otto I. und die Kaiferkronc, die Stiidien feines liruders Bruno, KunRbellrebungen, Latein als Hoffprache, lateinifche Schriftileller, Dichter und Dichterinnen, die Familien-Verbindungen mit Italien und Bvzanz. zumeift dann die fonderbar erfcheinenden, in der Idee fo grofsartigen Beflrebungen des jungen Kaifers Otto des Dritten zeugen dafiir. Wie wenig ifl. leider diefe Periode nach die- fen eigenthiimlichen idealen Bellrebungen bekannt, die fo verfchieden find von AUem, was wir feit dem Beginn der Kreuzziige als hcififch- ritterliches Mittelalter kennen. Seit Heinrichs I. Siegen, feit Otto's I. Grofse gewann tier Deutfche wieder Freude und Zutrauen zu fich und feinem Reich. Am Hofe Otto's nicht allein, auch an andern Hohepunkten deutfcher Cultur hatte man das Gefiihl eigener Redeutung und damit auch Frifche und Freudigkeit und einen Wagemuth, der fpielend fich an Schwierig- keiten macht. Deutfche Kiinige trugen die Cafarenkrone Roms. Warum nicht deutfche Heldenfage in romifchen Formen gebenr In den damaligen hohen Schulen las man rcimifche Dichter, vor Allen gem Virgil, den die Sage des Mittelalters zu einem Vorfchauer der chrifllichen Herrlichkeit geflaltet hatte. Poetifche Geiftliche in der Bluthezeit St. Gallens unternahmen es deutfch-virgilifch zu dich- ten, deutfche Sage als Inhalt, lateinifch die Sprache und die poetifche Formung. Es ifl das 10. Jahrhundert, welches uns derartige — fiir unfere Literatur fo wichtige — deutfche Heldenfage und Bruchftiicke fon- fliger Ueberlieferungen, wie der alten Thierfage, hinterlaffen hat. Das Wichtigfle des Erhaltenen ifl das Waltharilied, gedichtet von Ecke- hard in St. Gallen, \on einem zweiten fpateren Eckehard ebenda gebeflert: das Lied von der Flucht des als Geifsel an Etzels Hof gegebenen weflgothifchen Konigsfohnes Walther von Aquitanien und der ebenfalls als Geifsel bewahrten Konigstochter Hildegund, und von Wal- ther s Kampf mit den ihm imWafichenwald denWeg verremienden Burgun- denrecken, von denen nur Gunther und Hagen den Kampf uberleben.*) *) Ruckubertragungen miifsten nicht in der Nibelungenflrophe, fondern in Alliteration gefchehen. 32 Dichtunc: der Geifllichen. t> Welche Freude, Klarheit, poetifche Lufl iR vorauszufetzen zu <^iner folchen ficheren, in fich fo fertigen Bearbeitung! Welche Per- fpe6live eroftnet diefe eine Dichtung! Auch ein Nibelungenlied ill damals lateinifch gedichtet, gewidmet dem (urkundlich 991 verftorben en) Bifchof Pilgrim von Paffau. Leider in Meifler Konrad's Werk nicht erhalten. Dagegen andere Bruchfliicke: intereffant das des Ruodlieb (etwa um dasjahr 1000 gedichtet), weil darin ein poetifcher Realismus anhebt, der das wirkliche Leben mit Gefchick zum Hintergrund benutzt : eine Stromung, die leider das ganze Mittelalter hindurch nicht zum rechten Durchbruch kommen konnte, fondern mit wenigen Ausnahmen bald in Gemeinheit, bald in Niichternheit, bald in Kritiklofigkeit oder Aber- glauben verfiegte. Walthari and Nibelungen zeigen uns einen LieblingsflofF diefer Zeiten. Die fchrecklichen Vervviiftungsziige der Ungarn, diefer vermeinten Nachkommen der Hunnen, hatten den Erinnerungen an Attila und Hunnen neue, gefleigerte Bedeutung gegeben. Ob wohl die Siege der Deutfchen bei Merfeburg und auf dem Lechfelde Einflufs auf die fpatere Schilderung der Hunnen und ihres in Wahrheit fo machtigen, geillesgewaltigen, in der Dichtung fo fchwach erfcheinenden Konigs gehabt habenr Die Sage ifl freilich in diefer Beziehung unberechenbar und fpottet aller gefchichtlichen Verlafslichkeit; moglich dafs das Bild Etzels fchon in der iilteren Sage fo feflfland. War einmal alte Heldenfage in diefer Weife auch von den leitenden Kreifen verwendet und fomit eine Verfohnung mit dem neuen Geifle eingeleitet worden, fo mufste das bedeutende Riick- wirkung auf die Liebe und Pflege der alten Ueberlieferungen haben. Was die geruhmten Meifler des Klofters St. Gallen gethan, was der Paffauer Bifchof gefordert, das konnte uberall Widerhall finden. Die Heldenfage ward gleichfam neu geadelt. Nun entfleht eine poetifche Bewegung und Neubildung des Alt- Volksthiimlichen, wachfend mit dem Ruhrn des deutfchen Volkes in diefen erften, romanifchen Zeiten feines Kaiferreichs , die zu den grofsen Schopfungen des Volksepos, vor AUem zum Nibelungenhed hinfuhrt. Daneben, nach den Anfchauungen der Zeit dariiber, geht die Poefie, die mit dem Chriflenthum, mit dem neuen gelehrten geifligen Neue Geftaltung der alten Epik. to Leben gekommen war. Vor AUem die religiofe Lyrik. Einfach, fchon, tief in der neuen (lefiihlserrungenfchaft ifl, was hier, anfangs lateinifch, dann auch deutfch geleiflet wurde. In den Zellen und Hallen, in den Kirchen der friedlichen, alle Kiinfle und die Wiffen- fchaften pflegenden Klofler ift damals die fchwarmerifch fchone Gefiihlsfeligkeit, jetzt noch fiir Gottesminne allein, ausgebildet, welche wir fiir ein ewiges Erbe deutfchen Gemiithes zu halten pflegen. Vor der irdifchen Minne fang diefe himmlifche, und neben der ir- difchen hat fie fich das ganze Mittelalter hindurch erhalten, nachzit- ternd noch heute in den religiofen Liedern der in fich und ihre Phan- tafien des Friedens und der himnilifchen Glorie fich verfenkenden Seele. Auch das kraftvoUe Zeitlied — wie das von Ludwig und der Normannenfchlacht — war angeflimmt zu Ehren Gottes und feiner Helden. Auch die Gefchichte ward fpater im AnnoHed, der Welt- chronik u. f. w., poetifch behandelt, die Wiffenfchaft desgleichen oder was man darunter verfland. Alles das vom hochflen Intereffe fiir die Nachzeit in fprachHcher und culturhiflorifcher Beziehung, doch ohne tieferen poetifchen Werth vom allgemeinen kiinfllerifchen Ge- fichtspunkte aus: unausgebacken, die verfchiedenen Intereffen der Poefie und der Wahrheit fich gegenfeitig fchiidigend, Trockenheit und Phantaflik, Niichternheit und kritiklofer Mifchmafch wechfelnd. In Frankreich gelangte man im ii. Jahrhundert zu einer neuen Phantafiegeflaltung, die durch die Art, wie die moderne, fiihrende Macht, die chriflliche Religion, darin zur Geltung gebracht wurde, einen grofsen Vorfprung vor der deutfchen volksthiimlichen Helden- fage gewann, wie uberlegen diefe auch an fich in vielen Beziehungen war: die Heldemvelt der Zeit Karls des Grofsen und feiner chrifl- lichen Ritter ward dort in der Phantafie geflaltet; in ihr klaffte nicht, wie in der deutfchen Volksfage, der Spalt zwifchen dem Reckenthum und dem Chriflenthum. Niemand hatte Veranlaffung gegen fie eingenommen zu fein, jeder fie zu fordern; fie fchmiegte fich den neuen Zeitforderungen an. Wie die deutfche volksthiimliche Heldenfage in diefer Beziehung fich geflaltete, das macht einerfeits ihre Grofse aus, wie es andrer- feits ihrer Entwickekingsfahigkeit fchadete. Das Heidenthum kam noch in den neuen Formen, in der merkwtirdigflen Weife die chrifl- hchen Einfliiffe abfchiittelnd, wieder zum Vorfchein. Das Nibelungen- lied, die Bernerfagen geben dem Kampfe zwifchen Kaifern und Piipflen Lemcke, Gejchklile tier detilfchen D'uhlun^. 3 ■^A Das Nibelungenlied. ein eigenthiimliches Relief. Was liegt Alles in dem Gefang des Nibelungenliedes, wo Hagen den Kaplan vom Heiligthum wegreifst und in die Donau vvirft, urn die Wahrheit der Schwanenjungfrau zu erprobeni Wenn im dreizehnlen Jahrhundert der alte Reckengeift noch fo wie in den Nibelungenhelden verflanden wurde in feiner erbarmungslofen, diamantenen Kampfharte, dann fah es mit dem Chriflenthum diefer Manner feltfam aus ! Welch ein Chriflenthum war es ? Das Nibelungenlied ift der Hohepunkt diefer epifchen volksthiimlichen Poefie. Ende des lo. Jahrhunderts hat, wie gefagt, die alte Sage eine lateinifche Faffung erhalten; im 12. Jahrhundert hat ein deutfcher Dichter die Dichtung in neudeutfchen Formen, in der fogenannten Nibelungenflrophe, nachgedichtet. Wie viel alsdann noch als Zufatz und Einfchaltung eines oder einiger Anderer in der hofifchen Uebergangs- zeit hinzugekommen ifl in der Form, darin es uns erhalten, fleht dahin. Das Nibelungenlied gleicht den Domen der romanifchen Baukunfl. Es ift nicht Gothik, nicht hofifches Ritterthum, nicht franzofifcher Geifteseinflufs, fondern Reckenthum, altgermanifche Lebens-Anfchauung und Empfindung, kein Minnewefen, fondern Ehewefen, nicht Ehr-. Ruhm- und Tumier-, fondern Hab und Gut- und Golddurft- und 'lodfchlagszeit, ktihn und feft neben den neuen Ideen fich bewegend, fo viel moglich fie vermeidend, mit imponirender Ruhe die nothigen Aenderungen oder Auslaffungen fich geftattend. Wir wiffen aus der Edda die Gefchichte des fluchbeladenen Suhnhortes, der Jugend Siegfrieds, der Valkyre Brunhild, ihrer Stellung zu Siegfried, des Zaubertrankes und des Todes Brunhildens mit dem geliebten, getodteten Mann. Es war ein kiihner ficherer Dichter, der hier zu fchweigen, dort einzufchalten wagte, urn das Heidenthum nicht leitend vortreten zu laffen. In welch' eine Ideenwelt fuhren die Nibelungen! In welche Charactere, welche Anfchauungen laffen fie blicken. Und wie ficher und in fich abgefchloffen ift diefe Welt, vor deren harten Riefen- feelen wir mit unferem virtuos verfeinerten Gewiffen formlich er- fchrocken ftehen muffen. Auch auf folche Menfchen fchien das Sonnenlicht, und es gait fur ein herrliches, grofses, es war ein ideales Gefchlecht! Es war es und ift es noch fur das deutfche Volk. Aufser der Iliade und Odyffee giebt es keine Dichtung, d. h. keine grofsartige Verewigung des Volksgeiftes, die fich an Idealen mit den Nibelungen mcffen kormte. Das Nibelungenlied. ^5 Nehmen wir die Sage von dem jungen Siegfried beini Schmied hinzu, fo haben wir in dem wilden Lehrling, dem Ambofszerfchmetterer und Lindwurmtodter, das Ideal des deutfchen Knaben der alten, auf Manneskraft geflellten Zeit, welches lachenden, ungefliimen, nie blinzelnden, kecken, auch ungefugen Muthes! Fur das Jiinglings- und jugendliche Mannesalter fleht der erwach- fende Siegfried des Nibelungenliedes, edel, fonnigklar, ein Volfungaugiger Halbgott von iibermenfchlicher Kraft und Leibesgeftalt. Dazu treten der junge, fittige, tapfere Geifelherr, der ungeflume Wolfhart. Der Mannesbildungen eine fchone Reihe: Dankwart, Gemot, der herrliche trotzig-heitere Volker, der im letzten Kampf koniglich gefleigerte Gunther. Ruhig, edel, harmonifch, Vorbild der Zucht und Treue Rudiger von Eechlaren. Ideal des koniglichen reifen Mannes nach Kraft und Wiirde, Dietrich von Bern, ernfl, ruhig, befonnen, aber gereizt fchrecklich, Lowenkraft und Lowenfinn. Ihm zur Seite das Mannenideal Hildebrand, der ergraute, vielkundige, getreue. Zuhochll in bewundernswerther Ausbildung der grimme Hagen von Tronje. Dazu die beiden Frauen Brunhild und Chriemhild, das herrifch- fchone und das mild-fchone Weib, jedes, zum Aeufserflen getrieben, Racherin bis zur Vernichtung des Nachflen und Liebflen auf der \Velt. Dies waren poetifche Geflaltungen des eigenen Volkscharakters, die feit Jahrhunderten Geltung gehabt batten, die fie dem Kern nach noch heute haben und haben werden, fo lange ein deutfclies Volk exiflirt. Unten im Volk lebt und webt noch immer von jenem Geift. Der Inhalt felbfl riefengewaltig, mit einer unerbittlich zu nennen- den Objectivitat hingeftellt, im zweiten Theil auch mit grofster Gedrungenheit componirt. Das Ganze trotz feiner einzelnen, man weifs nicht wem zuzufchreibenden Mangel, die fich befonders m der erften gleichfam als Vorhalle dienenden Halfte zeigen, ein poe- tifches Werk erfler Grofse. Und eine folche volksthumliche Idealwelt in hoher KunRfalTung nach Compofition des ganzen Stoffs wie nach Ausdrucksweife konnte von fremdlandifchen Vorllellungskreifen bei Seite gefchoben und herabgedruckt werden, von Dichtungen, die in verfchiedenen Be- ziehungen nicht werth waren, ihr die Schuhriemen aufzubinden? Solchen Trank der grofsartigften Poefie, Odins Fiug werth, von fich flofsen, um nach den gewurzten, fufslichen Mifchtranken aus Frank- reich und Bretagne zu greifen ? 3* 36 13as Nibelungenlied, Uafs es gefchah ill tief zu bedauern. Aber die Erklarung ill nicht fchwer. Im 12. Jahrhundert hatten fich die Geifler in Deutfchland, in den hoheren Stiinden wenigftens, in Anfchauungen iind Gefiihlen einer neuen Epoche entgegengearbeitet, die in feinen letzten Decennien zum Austrag, leider nicht mit gliicklichem Verlaufe kam. Die Menfchen und, aus ihren Charakteren erwachfend, ihr Schickfal, wie fie das Nibelungenlied zeigt, find an fich grofsartig, gewaltig, aber einfeitig. Es ifl Reckenthum, nicht fchones Menfchen- thum — in diefer Beziehung ifl. das Nibelungenlied den homerifchen Dichtungen weit nachftehend. — In herber Weife hatte fich der alte Volksgeift wieder zufammengefafst : Charaktere gleichfam aus der Steinzeit, unbiegfam, unerfchutterlich, fchrecklich, reuelos, wie Adler und Falken, wie Baren und Wolfe in mordlichen, blutigen Thaten. Mit den Erweiterungen des feelifchen Lebens, fo wie den Aende- rungen der focialen Auffaffungen mufste diefe Einfeitigkeit erkannt und von denen, die ihr nahe ilanden und an eine Befferung dachten, mit noch ganz anderen Augen angefchaut werden, als etwa von uns und Allen, die diefer Wirklichkeit fern fie von gefchichtlichen und iifl-hetifchen Gefichtspunkten aus betrachten. Diefe grimmen, von Rache und Ehrgeiz beherrfchten Seelen, Mord und wieder Mord, des Schwagers durch die Schwager und die von Eiferfucht verzehrte fruhere Geliebte, der Bruder durch die Schwefter, alle die alten llarren Auffaffungen von Pflichten und Sitten, in denen kaum von Recht in eigentlichem Sinne zu reden id, kamen in Leben und damit fchliefslich auch in deffen ideellem Ausdruck, in der Dichtung, mit den neueren Anfchauungen in Conflict. Man begann die Sitten und Charaktere, die noch dem alten Kampferleben entllammten, fur das zu halten, was fie auch wirklich waren, fiir barbarifch. ^ Mit der Aenderung der Anfchauungen und der Art und Weife der Empfindung mufste auch die Behandlungs weife des Stoffes in der Poefie fich andern. Das Neue ward betont und in den Vorder- grund geruckt. Was den alten Volksdichtern dagegen als das Wefent- liche gegolten und was fie deswegen mit Zuruckdrangung des von ihnen als Nebenfache Gefchatzten allein g.ebracht hatten, das gait jetzt nicht mehr und wurde feinerfeits zur Nebenfache. Bisher hatte reine Erzahlung geherrfcht, gleichfam eine blofse Umrifszeichnung. Die Thaten waren die Einien fur die Phantafie der Horer und Die neuen Anfoiderungen an das Epos. Gudrun. -tj wurden von diefen in eigenem Phantafieprocefs je nach dem mil alien Farben gefchmiickt. Dies ging urn fo eher, weil es fich uni Allen bekannte Sagen, um bekannte Perfonlichkeiten handelte, deren Ausfehen, Art, Charakter u. f. \v. zu fchildern uberfliiffig war. In alien Dingen, welche wie das Kampfleben und die Hauptperfonen den alteii Erziihlern und Sangern mit der Lebendigkeit des \\'irk- lichflen vor der Phantafie flanden, war trotz der einfachen Erzahlune: die plaftifch - lebensvolle Wirkfamkeit grofs, auch fiir diejenigen, die nicht fo mitten in der Phantafiewelt jener Zeit flehen. Lebendige Anfchauung hat Leben gegeben. Der wahre Fortfchritt, der nun weiter nothwendig war und eine neue vollfchone Poefie ergeben hatte, ware gewefen, wenn die deutfchen Dichter, Stoff und Charactere der alten Dichtung in den Grundztigen beibehaltend, das einfeitigere Thun des Reckenlebens in breitere voile Veranfchaulichung des Allgemein - Menfchlichen gefuhrt und flatt reliefahnlicher Zeichnung nach Tiefe des Raums und Colorit durch- gefuhrte Bilder gedichtet hatten. Ilias und Odyffee geben die Beifpiele. Der Dichter oder vielmehr der Bearbeiter des Nibelungenliedes hatte ein Gefiihl fiir die neuen Forderungen; die ganze volksthiim- liche Epik hatte es. In dem Wettkampf mit Brunhild, bei Siegfrieds Tod, in der Leichenfcene, beim Eintreffen der Burgunden in Bechlaren, dem Ausbruch des Kampfes u. f. w. hat der Nibelungendichter fich freier und breiter innerhalb der einfachen Erzahlung bewegt und die Situationen und die feelifchen Beziige der Handelnden darzulegen begonnen. Hier hiitte man weiterfchreiten miilTen. Der Dichter Gudruns verfuchte es in der That. Die Werbefcene und Horants Gefang, die Konigstochter wafchend am Meere u. f. w. verfprachen fo viel. Hiitte nur der Dichter Gudruns nicht mit Binnen- laudsphantafie die Maeren der Nordfeegeflade gefungen, in welcher er fich oft mit ganz vager Phantafie behelfen mufste. Wer von den Hegelingen und Normannen die Sage meldete, mufste die Diinen und Geflade der Nordfee und die Klippenkiiflen des Kanals, vor Allem das Meer des Nordens kennen. Ein Meerlied ohne Meerhauch ! Aber fovveit Gudrun den Nibelungen an poetifcher Grofse nachfleht: der Fortfchritt war richtig angeflrebt. Kraft und die Kuhnheit, die jede Neuerung erfordert, hatten freilich nicht ausgereicht. Sehr auffallig in diefer und anderer Beziehung ifl noch die og Der hdfifcli-ritterliche Geift. Dichtung eines Wernher: Meier Helmbrecht; inmitten der Heldenfage und hofifchen Poefie gegen die Mitte des 13. Jahrhunderts ein treff- liches Stuck wirkliches Leben in poetifch-realiflifcher Faffung, mit Scenen aus dem lateinifchen Ruodlieb und aus Reinecke Vofs eins der wenigen ZeugnilTe, dafs man aus dem Leben der Wirklichkeit poetifch etwas zu machen vermochte, und dadurch eine der interef- fanteflen Schopfungen der deufchen Poefie fiir die Culturgefchichte des 13. Jahrhunderts. Uer richtige Fortfchritt in der Behandkmg des Epos ward ver- faumt, oder wenn man will, gehemmt. Statt in lebensvoUe Breite zu gehen, nicht blofs die Thatfache zu erzjihlen, fondern die Menfchen vor unfern Augen handeln zu laffen, die Darflellung zu vertiefen, Alles plaflifcher hervortreten zu laffen, warf man fich in die Gefiihlsfeligkeit des Minnewefens. Gleichfam flatt der friiheren feflen, chara6leriflifchen Zeichnung grofsen Stils verfchwimmende, fchlechter gezeichnete Formen, ein oft bewundernswerthes Colorit; alle fonfligen Mangel diefelben. Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts iiberdrang das fogenannte hofifche Wefen audi Deutfchland und der romantifche Geifl verdrangte den alten romanifch-germanifchen. Nun verliert das klaffifche Alter- thum, foweit es im Wiffen der Gelehrten, befonders alfo der Geilllich- keit befland, die Fiihrung; die romanifchen Volker Frankreichs iiber- nehmen im geifligen Leben die Spitze. Jene Gefuhlserweiterung und Durchbildung, welche fich im Chriflenthum entwickelt hatte, war etwa feit Anfang des 11. Jahr- hunderts in den bluhenden Landern Siidfrankreichs, angeregt durch die fpanifch-maurifche Nachbarfchaft, zum Durchbruch von der reli- giofen Empfindung zur irdifchen gekommen, war vom Himmel und der geifligen Liebe auf die Erde und zur Liebe irdifcher Schonheit gefiihrt worden. Nicht blofs in der Religion und in der Verziickung der Phantafie, Glanz, Herrlichkeit, VVonne lag rund herum in Welt und Menfchen. Seele zu Seele, Mann zu Weib konnte die Entziickung gehen und das Gefiihl kofend, jauchzend, leidend, fchwarmend fich verlieren. Eine neue Welt der Empfindung ofifnete fich im Leben; Gottliches und Irdifches war nicht mehr getrennt, fondern rann in einander. Zwifchen Herrendienfl und Gottesdienfl trat jetzt fiir den Ritter, beide verbindend, Frauendienfl. Von diefer Entdeckmig in der inneren Welt an nahm die Cultur eine neue Wendung. Gefichtspunkte wurden mafsgebend, von denen Der hofifch-ritterliche Geift. 39 aus die alte Welt den Blicken entzogen war und man in neue Gegen- vom deutfchen Adel fchnell herunter.' Ein erfchreckendes Mifsverhiiltnifs zeigte fich zwifchen Wahrheit und Schein; vergebens nun die Verfuche, die fchone Vermittlung zu finden. Bis zu welchen Narrheiten das Auseinanderfallen der Phantafie und Wirklichkeit fuhrte, lehrt Ulrich von Lichtenftein und feine grofsartige Don Quijoterie, die poetifche und uberdies verfchrobene, vollflandig unwahr gewordene Fiction gegen das reale Leben dar- zuleben, ein Beflreben, lacherlich und erbarmungswurdig zugleich, das fo recht die Niichternheit, Oede und nach dem Ideal ver- kehrt fuchende Angft des Epigonengeifles und die Verfchrobenheit einer gequalten Phantaftik offenbart. Unfere Neu-Romantik zeigt ja Aehnliches. Verfchoben und zerruttet war nach den erflen Decennien des 13. Jahrhunderts die eigenartige deutfch-e Entwicklung, natiirlich nicht bios in poetifcher Beziehung. Als Mitte des Jahrhunderts bei uns der Idealismus im iiufseren politifchen Leben, wie in der Poefie vollflandigen Bankerott gemacht hatte, trat im Gegenfchlag der ntichternae Realismus grade bei den bisher zu hoch Gefpannten ein. Xach grofsem Auffchwung, glanzenden Stockung in Dichtung nnd Leben dcr hofifchen Kreife. r i Erfolgeii, kiihner Ueberfpeculation ciii fchwerer Fall und niiides Dahinfchleppen. Dafs die Ueberlieferungen des hofifchen Geifl.es nicht noch mebr \ergingen, dagegen fchiitzte, von ihrem inneren Werth abgefehen, IVankreiclis Einflufs. In diefem feinem Stammlande fetzte er fich kraftiger, wenn auch in veranderter Weife, fort, bald in den pro- faifchen Romanen weithin wirkend. Als das Mittelalter in feinem Ausgange den letzten grofsen Auffchwung im Kampf gegen die Neuzeit zu nehmen fuchte, wurde der alte, nur verwandelte, hofifche Geifl noch einmal durch die Amadis- und ahnHche Romane machtig, Schones, Edles, wie das Barocklle wirkend: die fpanifche Ritterfchaft, die franzofifchen Helden der alten Gensd'armes, Bayard, Franz I. bei Pavia, der fich bis ziir Gefangenfchaft herumfchlagt, weil er feiner Dame gelobt hat, nicht zu weichen, auch in abgefchmackterer, fpielerifcher Weife unfere mantenirenden Fiirflen und AdHgen, die ihre Phantafien in Carouffels verpufften, und einen Schritt weiter der edle Ritter der Mancha find Niiancirungen deffelben Geifl.es, feiner veredelnden und erhebenden Einfluffe, feines unnatiirHchen IdeaUsmus und des daraus hervorgehenden Unfinns. Die weiteren Wandhmgen bis zum heutigen Tage werden wir kennen lernen. Seit Mitte des 13. Jahrhunderts wurde es in Deutfchland an Hofen und auf Schloffern fliller und fliller von Poefie. Ihre Phantafie wurde abgedankt. Das Streben und Bediirfnifs eines kiinftlerifcli- fchonen Lebensausdrucks horte auf. Die Freude an den dichterifchen Werken der grofsen Vergangenheit fchwand nie ganz, aber der fruhere gute Ton hofifchen Wefens, die Poefie zu Heben und zu pflegen, ward immer mehr Ausnahme, die den jetzigen Epigonen- Dichtern gegeniiber obendrein nicht fo fehr zu verargen war. Langfam wich die alte Hofifchkeit (iber den Ofl.en und Norden Deutfchlands zuriick, wo fie und ihre Poefie hie und da einen fparlichen Nach- glanz brachte. Im wiiften Durcheinander des Interregnums, der durch die an- gefiihrten Wandhmgen in Geifl.em und Ordnungen, durch Uneinigkeit und Haltlofigkeit felbflverfchuldeten anarchifchen Zeit hatte man nicht Zeit noch Lufl., den Genoffen der Tafelrunde, den Ritteru des Grals und den Paladinen Charlemagnes nachzuleben. Egoismus und Materialismus fchlugen vor. Der fruhere Idealismus ward hochflens das Abenteuern ausgenommen, lacherlich. Statt der 4» C2 Das deutfche Biirgerthum. Thaten fiir VA\rc, Liel)c mid Religion kamen die lohnenderen Helden- thaten des Fehde- und Stegreiflebens. Statt des grofsen politifchen Schwungs, wie er luiter den Staufen in Guteni und UeLlem geherrfcht, mufste nach fchrecklicher Verwirrung die niichterne Sorgfamkeit eines Rudolf von Habsburg als Wohlthat empfunden werden. Und wie fah es in Wirkliclikeit mit dem Minneleben ausi Auf welche Lafler leuchtet LiclitenReins Klage iiber die jetzigen Manner und Frauen! Dcr Geifl der Minnezeit und des hofifchen Ritterthums war vcrflogen und es trat jetzt auch der Adel die Fiihrung im Geifles- leben und in der Poefie ab, in welchen er der Geifllichkeit gefolgt war- Eine neue Macht hatte die Erbfchaft fogleich antreten mtiffen. Sie war lei der noch nicht vorhanden, fondern erfl im Werden. Es war das fladtifche Biirgerthum. Weder in der volksthiimlichen, noch in der hofifchen Sphare konnte diefes fein voiles Geniigen finden. Aus jeder mufste Einzelnes gefallen, Anderes abftofsen. Der nachfle Bundesgenoffe war dem auf friedliche Entwicklung und befifere fociale Ordnung angewiefenen Biirgerthum die Kirchc; ncben diefer war es vielfach erwachfen; die Geifllichkeit hatte, anfangs wenigflens, AUes befeffen, was es an Wiffenfcbaft und niitzlicher. l^eberlieferung in vielen technifchen und kiinfllerifchen Kenntniffen gab; zu ihr zog der democratifche Geifl, der nirgends anders in diefer Weife herrfchte und dem armfl und niedrigfl Geborenen bei Talent und Gliick die hochflen Wiirden ermoglichte; trug doch auch jeder Gemeine des geiftlichen Heeres Bifchof- und Erzbifchofflab und, wenn er fich es noch hoher traumen wollte^ den Fifcherring im Mefsgewande. Selbfl wenn Hader, wie oftmals, zwifchen Kirche und Burgern in einer Stadt ausbrach, fo (land der Clerus als folcher und abgefehen von autocratifchen herrifchen Kirchenfiirflen dem Biirger niiher als der ihm gleichfam von Natur feindliche neidifche Feudal-Adel. Die Kirche war denn auch in diefer Zeit des deutfchen Stadters iifthetifcher Mittelpunkt ; auf fie wandte -fich der Ausdruck feiner idealen Kraft, zuhochfl in jener Kunft, welche mit ihrer Ordnung und Kegel rechtheit dem btirgerlichen Ordnungsfinn zumeifl entfprach: in der Baukunil. Dann aber auch je nach Vermogen in alien andern Kiinflen, in Plaflik, Malerei, Kleinkunfl, nach mufikalifchem und poe- tifchem Bedtirfnifs. Die Religion und die durch fie gefchaffene Phantafie- Das (leutfchc Biirgerthum. 52 Welt mit ihren friedlichen Idealen und Vorflcllungen befriedigte das ideale Bediirfnifs des von feiner Arbeit des Handwerks oder Handels ruhenden, Erhebung fuchenden Burgers vollkommen. Wenn er in die Kirchen trat, die er fich mit unvergleichlicher Kimft. gebaut und aufs prachtigfte gefchmiickt hatte, und fur feinen Verfland, fein Gemtith und feine Phantafie hochfle Anregung fand, welche ideale .Erhebung um fich herum hatte er dann zu beneiden? Ware die deutfche Geifllichkeit des 12. und 13. Jahrhunderts nicht durch die Kampfe des Kaifer- und Papflthums tief gefchadigt worden in ihrer innem und aufsern Wirkfamkeit und ware fie noch \'on dem frifchen wiffenfchaftlichen Drang befeelt gewefen, der fie im 9. und 10. Jahrhunderte auszeichnete, fo hatte das Hand in Hand gehen mit dem Biirgerthum in fo vielen wichtigen Lebensfragen immer fich fleigernde Erfolge erzielen miiffen. Die deutfche Geifllichkeit war auch um 1250 noch vorzugs- weife der gelehrte Stand, aber Einzelne ausgenommen jetzt im Wiffen weit zuriick. Eine Wiffenfchaft hatte eigentlich nur die Theologie und in ihr herrfchte die des lebendigen Geifles ermangelnde theologifch-philofophifche Schulgelehrfamkeit der Scholaflik; durch fic waren die Blicke, die einfl klarer fich auf das Alterthum und deffen Geifteswelt gerichtet hatten, getriibt und das Urtheil befangen. Der Gegenflofs dagegen, das Verfenken in die eigene Brufl, flatt in den fcholaflifchen Wufl, ging, wie es zu gefchehen pflegt, feinerfeits zu weit und fiihrte nicht zur Klarheit, fondern wieder dariiber hin- aus in Myflik. Von diefen beiden Extremen konnte das Biirgerthum zwar Anregung, aber keine directe Forderung bekommen. Am fchlimmflen wirkte der Bildungszufland der Maffe der Geifllichkeit, die in jeder Beziehung jetzt ungelehrt und ohne geiflige Triebkraft war und mit dem Biirgerthum felbfl auf einem Niveau fland, wenn fie nicht gar darunter fank. Eine Vergleichung der deutfchen Stadte mit den Stadten Italiens zeigt am beflen, wo es den Deutfchen fehlte und warum- in Italien der Fortfchritt zur neuen Literatur jetzt krjiftig vor fich ging, wiihrend bei uns ein langfames Entwickeln flattfand, welches zu keiner poetifchen BlUthe fuhrte. In Italien reichten einzelne Stadte und reichten die ftadtifchen Erinnerungen tiber das Feudalwefen in die klaffifche Zeit, deren Cultur in Denkmiilern und Ueberlieferungen mahnend vor Augen 54 Das Biirgerthum in Italien. Hand. Ueberdies hatten verfchiedene Stadte den Hafs gewaltfani Untenvorfener gegen die Eroberer bewahrt. Wider das ihnen feind- liche Fcudalwefen hatten fie fich, fobald fie wieder erflarkt waren. kraftig geflraubt and fich dagegen wie gegen die fremden feindHchen Gewalten erhoben und mit GUick und Kraft behauptet. Der Kampf des lombardifclien Stadtebundes gegen die feudalen Gewalthaber und den deutfchen Kaifer war ein glorreicher patriotifcher Kampf gewefen. Hier hatte man vollen fladtifchen Stolz wieder bekommen, der vor den hochflen Feudalgewalten nicht mit dem Gefiihl der Unterwurfig- keit, fondern des Trotzes Rand. Die deutfchen, kaum dem Namen nach aus der friiheren Zeit horiibergekommenen Stadte, wenn fie nicht ganz junge Schopfungen waren, flanden im Anfang ihrer Entwicklung. Zum fchnellen Emporwachfen gehort immer das Zufammentreffen niehrerer giinfliger Umflande. Das italienifche Stadtethum hatte in fich, dann aber befonders durch die Stellung zwifchen Papfl und Kaifer Kraft und Nachdruck bekommen in feinen freien Beflrebungen. Es hatte in wichtigen nationalen Kampfen voll grofsartiger ruhm- reicher Thaten die Unterfliitzung des Papflthums und ging einig mit diefer damals gewaltigflen Macht vor. Gefchickter als die deutfchen Kaifer gegen das Fiirflenthum auf die deutfchen Stadte, wufsten die Papfle fich gegen die Kaifer auf die itaUenifchen Stadte zu fllitzen, fobald es fich um den Einflufs und die Macht in Itahen handelte. In den wichtigflen, den lladtereichen Theilen ItaHens hatte die Sitte der antiken Zeit, wo die Macht des Staates in der Civitas, im lladtifchen Wefen gewurzelt hatte, friihzeitig gefiegt gegen die ger- manifche, dem Stadtvvefen abholde, zu kriegerifchem Landadel fiihrende Gewohnung, fich auf dem Lande zu vereinzehi und das Stadtwefen und feine Allgemeinheit und damit verbundene Befchrankung zu fliehen. Die kleinen adhgen Herrfcher hatten fich in den fladte- reichen Bezirken bald dem fladifchen Leben mehr eingeordnet und der gewohnliche Adel der Lombardei und Mittelitaliens kannte in der Folge nicht die Abneigung des deutfchen Edlen gegen Wohnen in der Stadt und jede, wenn auch nur leitende Thatigkeit in Handel und biirgerlicher Fabrikbetriebfamkeit. ") So trat dort kein fcharfer *) Dartiber z. B. Cefaix Cantii : J Milanefi. In Deutfchland fieht eifl unfere Zeil Aehnliches. Das Biirgerthum in Italien. 55 Bruch zwifchen Adel und Burger ein; dcr (icill dcr hohereii Stiindc ilromte kriiftig ins (ladtifche Wefen und trug fciue grofsere Freiheit und niit Erziehung und Mufse zufammenhangende Kiihnheit und Gefchmeidigkeit der Lebensanfchauungen und Formen ins Biirgerthum. In Deutfchland gefchah die fladtifche Entwicklung durchgehends einfeitig aus kleinbiirgerlichem Getriebe heraus; die Erganzung kam zu ausfchliefslich von unten; das deutfche, lladtifche Patriciat ward nur in wenigen Gegenden eine ergiebige Leitung frifch zuftromender Krafte. Es klebte dem fchwer fich emporringenden, durch keine grofse Erinnerung geflarkten deutfchen Biirgerthum das Spiefsbiirgerliche, Befchrankte einer folchen Entwickkmg an, allerdings auch mit man- cherlei Vorziigen des Zahen, Unvervvliftlichen derfelben. Nach jeder Richtung konnte fich das itaUenifche Stiidtethum (.laher eher auf eigne Fiifse flellen. AehnHch in alten franzofifchen. wieder zu flarker Bevolkerung gelangten Stadten. Friihzeitiger erflarkte dort denn auch die Wiffenfchaft, foweit fie den verwickelteren Verhalt- niflen grofseren ftadtifchen Lebens zu dienen hat, die Jurisprudenz, fodann nach dem Vorgang muhamedanifcher Staaten und durch die Gefundheitsverhaltnifie der Kreuzztige befonders veranlafst, die Me- dicin. Jurisprudenz und Medicin loflen fich als befondere Wiffen- fchaften fiir Laien ab. Die Folge war die Griindung von hohen, iiber den Rahmen der Kloflerfchulen hinausgehenden, von ihnen un- abhangigen Lehranflahen, von Univerfitaten. In Salerno war eine hohe Schule der Medicin feit 1075; Bologna's Univerfitat, der beriihmte Sitz der Jurisprudenz, wurde gegriindet 1158, Paris 1209, Neapel 1219, Padua 1222, Touloufe 1228. Andere folgten, faft Alle aus eigent- lichllem Bedurfnifs erwachfend, wahrend die erflen deutfchen Univer- fitaten erfl von der Mitte des 14. Jahrhunderts an (Prag 1348, Wien 1365, Heidelberg 1386) und zwar in Nacheiferung durch Filr- flen gegriindet wurden. Eine wiffenfchaftliche Sphiire bildete fich fomit in Italien, in welcher der Zufammenhang mit der antiken Zeit gepflegt wurde. Als Untergrund fur AUes diente der Reichthum der italienifchen Stadte durch den feit den KreuzzUgen gewaltigen Auffchwung nehmenden damaligen Welthandel des mittellandifchen Meeres, als ein Sporn die Einwirkung des Verkehrs mit den erften Culturflaaten damaliger Zeit, mit dem griechifchen Reich und mit den bluhenden Staaten des Islam. Pifa, Venedig, Genua, Mailand, Florenz, was war diefen '5 Die Poefie dcs deutfchen Biirgcrthums. verhiiltnifsniafsig nah beifanimcn licgenden Stadten andrer Orten urn die Mittc des 13. Jahrhunderts zu vergleichen. Uni diefelbc Zeit rangen fich die deutfchen Stiidte empor, nir- gends in folcher Weife begiinfligt, durchgehends noch auf eine Politik de/ Erhaltiing und Sicherung hefchrankt. Nur in den Niederlanden herrfchten giinllige Handels-, im Nordoflen befondere Handels- und /ur Colonifation einladende Verhaltniffe; von Liibeck und der Elb- linie aus fand eine gevvaltige Ausdehnung des deutfchen fliidtifchen Wefens nach Norden und Oflen (latt, die aber auf eine niedere Cultur fliefs, deren Bczwingung nur ein ausdauerndes, niichternes, praktifches Wefen durchfetzen, aber keinen idealen Schwung geben konnte. Wohl fetzten die deutfchen Stadte, fowie fie erflarkten, in alien Kiinflen eigenthiimliche Bildungen an und rangen fich im Lauf der nachflen Jahrhunderte den italienifchen entfprechenden Zuflanden ent- gegen. In den Niederlanden fiegt ihre Cultur. Zu Anfang der Re- formation war in Deutfchland Ausficht dazu. Doch der Abfchlufs rechter Art blieb aus. Die Bewegungen des 1 6. Jahrhunderts, obwohl grofsten Theils aus dem deutfchen fladtifchen Geifl hervorgehend, verfchoben die eigenthiimliche Cultur-Entwicklung und den Sieg des Biirgerthums , diefelbe allgemeineren Ideenkreifen ein - und unter- ordnend. Wcnn alfo auch in der zweiten Halfte des 13. Jahrhunderts das deutfche Burgerthum vortrat und Geifllichkeit und Ritterthum in der Literatur ablofle, wenn es auch wirklich einen neuen Geifl reprafentirte, fo war es dOch zu fchwach, um eine neue fchone Poefie fogleich an die Stelle der fich auslebenden hofifchen Phantafie zu fetzen. Fiir grofse Poefie trat damit ein langes Interregnum ein. Was um 1250 nicht gelang, gelang nach verfchiedenen Verfuchen erfl 1750! Woran konnte der Pfahlblirger Mitte des 13. Jahrhunderts in der ihm iiberkommenen Poefie fich voll ergotzenr t)\e volksthiimliche Epik war ihm die der Bauem, und mit fi.adtifchem Diinkel fah er auf fie herab. Die Todfchlagspoefie des Reckenthums , die Reckenphantafie iiberhaupt konnte in ihrer erflar- renden Form nicht die Poefie fein, die den fur Stadt und Hab und Gut zwar tapferen, fond aber in friedlichen Entwicklungen den Fort- fchritt fehenden Burger voll befriedigte. Hatte das Epos fich in bfeiterer Lebenswahrheit entfaltet, ware es freilich anders gewefen ! Die Turnier- und Todfchlagspoefie der hofifchen Epik mit ihrem Die Poefie ties deutfchen Biirgerthums. cy Kaflendiinkel und der Zugabe fo vieler Sitten iind Anfcliauungen, die (lem nlirhternen Manne des Handels und Handwerks fehr unniitz oder iinvernunftig oder (Irafbar erfcheinen mufsten, waren dem Inhalt nach nicht beffer, eher fchUmmer. Sich ganz aus der Kampfphantafie 7,11 reifsen, konnte freilich \iemand in Deutfchland einfallen, wo das Recht der Starke immer ungefiiger zu herrschen begann. Sobald es fich um Ideale handelte, mufsten die perfonliche Kraft, Muth, Lift u. f. w. und die Tugenden, welche befonders der Krieg auszubilden pflegt, in's Gewicht fallen. Das Streben nach Wirklichkeit und Verniinftigkeit rief nun im Anfang feltfame Erfcheinungen hervor, bis der realiftifche Weg ge- funden und ungenirt betreten ward. Das Burger thum fetzte gerne jene Epik der Geiftlichen fort, in wel- cher man keine blofse Sage fondern einen gefchichtlichen oder fonft wiffenfchaftlichen Grund und Boden unter den Fiifsen zu haben glaubte. Beliebt werden jene Maren von fremden Landern, befonders feit den Kreuzziigen vom Orient und dem griechifchen Reich*), Reifen, Welt- befchreibungen , weltliche und biblifche Gefchichte, Alles noch in Dichtung und Alles natiirlich im Stil der Zeit in der feltfamften Phantaftik und Kritiklofigkeit, fo dafs bei der Vermifchung weder die Dichtung noch die Wahrheit zu ihrem Recht kommen konnte. In Stoffen, wie die Bearbeilungen der Aeneide, der Thaten Alexanders des Grofsen, von Herzog Ernft und feinen Abenteuern im Wunderland des Oftens, beriihrte fich der Gefchmack der ver- fchiedenften Stande, wodurch der Werth der Dichtung freilich kein gefteigerter wurde. Geiftliche und Ritter waren darin vorangegangen. Wenn der biirgerliche Dichter der volksthiimlichen Sage treu blieb, fo war doch faft unvermeidlich, dafs nicht Lehrhaftigkeit oder derbe Scherzhaftigkeit einflofs, als Zeichen, dafs der Stadter iiber dem *) Die mit Byzanz zufammenhangenden Sagen aus der Oftgothen- und Longo- bardenzeit erhielten fich frifch in den fiiddeutfchen Gebirgs-Grenzlandern ; fie konnten im 10. Jahrhunderte durch die Verbindungen des Kaiferhofes mit Kon- ftantinopel neue Auffrifchung und allgemeines Intereffe bekommen. .Spater wirkten die Kreuzziige ein. Wie feltfam doch die Sage dichtet! Peredeus, der ftarke Morder des Alboin, von dem Paulus Diaconus berichtet, dafs man „erzahlt, dafs er bei den Volksfpielen vor dem Kaifer einen Lowen von ausgezeichneter Grofsc crlegt habe" wird zu dem einen Lowen an die Wand werfenden Riefen am byzan- tinifchen Hofe. Afpiian und Genofien fmd aus Peredeus erwachfen. e^ Die Poefie ties dcutfchen Biirgerthums. GegenRaade ftehe: eine \on dcm Humor tier gliiubig echten Sage fehr verfchiedene Manier. Anders als zum Inhalt Rand dcr Biirger zu der Gefiihlsausbildung und der fchonen Form der hofifchen Poefie. Jene, in den gewohn- lichen Lebensbeziehungen der Gefchlechter, allerdings mit durch- gehender Dampfung, entfprach feinem zur hoheren Cultur und vvolil- geforrnten Sitte drangenden Geiil, diefe feinem, jetzt im Kunflhand- werk fich auszeichnenden Formenfmn. Nach diefer Seite hin fuchte denn auch das Biirgerthum den poetifchen Fortfchritt, wo es die bisherigen ideal -poetifchen Beflre- bungen aufnahm und weiterfiihrte. Leider in einfei tiger Weife. Wenn es in der bildenden Kunfl aus diefem Geifl heraus Herr- liches fchuf, namentlich in der Architectur, fo kam ihm dabei die Gebundenheit derfelben durch den Zweck und das Material zu flatten, obwohl es auch dann noch in das Extrem zu gehen wufste, wie die Entwicklung der Gothik zeigt. In der Poefie hielt den Dichter nichts in der Art von den Abwegen, fei es einerfeits in Phantaflik, andrer- feits in das Verflandesmafsige, ab, und man konnte fo ungellort wie in keiner andern Kunfl in's Trocken-Unpoetifche und in's Ueber- fpannte und Abgefchmackte, Dunkle, Gefucht-Verworrene und Ver- flandig-Ausgetiiftelte gerathen. Die Liebes-Lyrik der hofifchen Dichtung einfach heriiberzuneh- men, dazu war der deutfche Burger durchgehends noch zu grob, Avaren auch die vorausgefetzten Verhaltniffe derfelben vielfach zu widerflrebend. Nur die Formen konnten ihm voll gefallen. Sobald aber der rechte Inhalt fehlt, mufs die Formfreude zur Unnatur fiihren. Was man nach den alteren Formen, des friiheren Geifles ermangelnd, behandelte, litt an innerem Widerfpruch und ward kalt oder barock iibertrieben, oder jene holzerne Kunflfchnitzel- arbeit der Form flellte fich ein, ftir welche fich von dem noch grofsen Epigonen Konrad von Wiirzburg an, den ganzen Meiftergefang hin- durch, fo ubermafsig viele Beifpiele finden. Das tiefe, zarte, lyrifche, phantafievolle Gefiihl, welches der Adel ktihn in die Welt getragen hatte, fcheute fich der deutfche Burger im Grunde des Herzens noch anders als im religiofen Leben zu zeigen. (Und von den Ausnahmen abgefehen, hat fich in den fechs Jahr- hunderten fur die Maffe noch nicht fo fehr viel geandert.) Selbfl dort, wo man aiif dem beflen Wege zu neuen Entwicklungen Die Poefie des deutfchcn Biirgerthums. eg war, wie bei der Pflege des Dramas, gelangen die entfcheidenden Schritte nicht. Aus innerllcm Wefen heraus neigte fich die Poefie des Biirger- {landes zum Befonnenen, Lehrhaften. Andrerfeits hatte fie, dem neuen Geifl, der fich regte, entfprechend, den Zug zum Realen. Didactifcla fetzt fich die Spruch- und Weisheitslehre, ein lletes und zum Theil fo fchones Schaffen der Laien-Katechismen der Lebenslehre fort. Dort aber, wo man die altere phantafievolle Geflaltung gegen den Realismus nicht aufgeben wollte, kamen jetzt die eigenthiimUchen Verquickungen aller Art folcher Zeiten: fobald man fiir die iiber- finnhchen Fictionen zu niichtern und griibehid wird und den poeti- fchen Glauben daran verliert, fchiebt fich die Verniinftigkeit in der Weife ein, dafs man der lebendigen Phantafiegeflaltung eine Ver- Randeserklarung unterlegt — eine oft fehr ntichterne, oft auch falfche Riickiiberfetzung der aus dunkel wogenden, ahnungsvollen Ideen geborenen Ideale — und fie fomit zur kiihlen Allegorie wan- delt. Phantafie und Verftand follen dadurch verfohnt werden, und kommt doch nichts als unlebendige Halbheit heraus. Dies gefchah feit Mitte des 13. Jahrhunderts in ausgiebigfter. bald beffer gelungener, bald trauriger Weife. Der Gebrauch der Allegorie — Liebe und Tugenden und Lafler, Gluckliches und Ungluck- liches als Gottinnen und Perfonificationen — erhielt fich fiir ideale Poefie die ganze folgende Periode hindurch im Schwung, ja folge- richtig bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, bis der neue Geifl, der jetzt zu arbeiten begann, aber nicht voll-kiinfllerifch in diefer Periode fich durchringen konnte, fiegte. Die nachfle Zeit zeigt uns das Auseinanderfallen des Idealismus und des neuen realiflifchen Geifles. Keine rechte Verbindung kam trotz verfchiedener Verfuche zu Stande. Bald zog fich der Idealis- mus deshalb auf andere, umgrenztere Gebiete zuriick, zurlickkehrend wieder in das religiofe Gemiithsleben, aus welchem er hervorgetreten war, dem ewigen Gefetz des Wechfels gemafs in neuen Erfcheinungen zu neuen Erfcheinungen. Wahrend der deutfche Geiil fich in diefer Weife abringt, tritt Italien ein und bringt die neue Literatur and Kunfl. In Florenz und zwar aus dem Geifllichkeit und Adel ablofenden Biirgerflande heraus thut ein edler Florentiner Dante Alighieri (1265 — 132 1) um das Jahr 1300 den entfcheidenden Schritt in die neue 6o Dante und die neue Poefie. Literatur und Ideenwelt, cin Burger, ein Mann der Wiffenfchaft. Virgil, die claffifche Literatur nnd Poefie wird fein Fiihrer. Die italienifche Poefie war durch die proven<;alifche hofifche Minnedichtung fo gut wie die nordifche angteregt und befeuert. Feine, frohe Gefiihlsbildung und Formkunfl. war wieder verbreitet und ge- fordert worden. Aus ihren ritterlichen Spharen ertonte Schones, Nacheiferung erweckend. Der Minnefang der Staufen in Italien feit Heinrich VI, unter Friedrich 11 und feinen Sohnen ift bekannt. Mufik und Sang als Kunft hatte auch in den Stadten Einlafs ge- fiinden. Dante erwachfl in der reichen, flolzen, Geift und Charaeter auf- regenden, Rittem, Flirften, Papfteii und Konigen trotzenden, demo- cratifchen Stadt Florenz. Fiir die Florentiner diefer Tage gab es noch Anderes als hofifches Ritterthum und Minne- Fiction, damit das Leben Werth habe. Sie batten ihre eigene fladtifche Welt; nach Wiffenfchaft und Kunfl ging grofsartiges Streben. Wo W^iflen und Poefie fich beriihrten, traten auch hier Verquickungen der Allegoric ein, neben welcher jedoch der reinere Realismus machtv'oll in der democratifchen Stromung zum Durchbruch arbeitete. Gehobene, idealifirte Wirklichkeit und die Erhohung des Geifles aus dem Glauben und Empfinden zum Wiffen: darin lag der Fortfchritt. Mit der Einfa-chheit des Genies eroffnet Dante die neue Poefie in feiner Vita nuova (um 1300); es ifl eine einfache biirgerliche Ge- fchichte, fein Jugenderlebnifs, feine Liebe, gefchehen zu Florenz, be- kannt den Bekannten, eine durch alle Kraft und die Formen des neu^n gefleigerten fubjectiven Empfindens gefleigerte Art dichterifcher Selbflbiographie. Flos und Blancflos war darin in die moderne biir- gerliche Wirklichkeit iibertragen. Auch eine Lofung in der Art des Ei's des Columbus. In der gottlichen Komodie ftofst dann Dante die Pforten der neuen Zeit weit auf und fiihrt Italien hinein. Das Gedicht ifl eins der ewigen im Ganzen. Im Einzelnen gehort es nach der Behandlung des Stoffs noch dem Mittelalter an in der Formung der Fabel, in der allegorifchen Weife. Neu ifl der waltende Geifl, der nicht mehr mit der Subjectivitat des Empfindens fich begniigt, fondern die Subjectivitat des Denkens einfetzt gegen die ihm entgegenflehenden Gewalten. Das geiflige Recht des Individuums, zu welchem die ganze fub- Dante und die neiie Poefie. 5 1 jective Gefiihlsentwicklung hinfiihrte, bringt Dante mit einer Unbefangen- heit, Riickfichtslofigkeit und Schroflfheit zur Geltung, dafs hier gleich zu Anfang ein Hohepunkt erreicht wird. Er geht, wie oft bei folchen Zeitfiihrern gefchieht, bis hart an die Grenzen des Krankhaft-Ueber- fpannten, wo Selbflgefuhl und wahrcr Stolz in Schlimmeres uuifchlagen. Seine Ueberzeugung kennt keine Moglichkeit des Irrthums, feine Leidenfchaft keine Grenze, beide, man mochte fagen, keine Barm- herzigkeit. Welch' eine That, wie diefer Sohn des 13. Jahrhunderts aus feinem Geifl. heraus, gleich dem fchroffflen, durch die Traditionen der Kirche verharteten Papfl, gleich einem Minos, Vergangenheit und Gegenwart vor feinen Richterfluhl zieht, ohne alle Autoritatsbefangen- heit, wie er nicht Krone, nicht Tiara achtet, wie ihm Harnifch und Wamms einerlei ill, und er die nackten geiftigen Menfchen mit feinen ehernen Worten zu Hdlle und Fegefeuer verdammt oder fie mit inbriinftiger Anerkennung in's Paradies fetzt. Damals hat Deutfchland nur einen Heinrich von Meifsen (Frauen- lob) und einen Regenbogen! Und ein Frauenlob konnte fich riihmen, dafs Reinmar, Wolfram und Walther nur den Schaum der Dichtung gefchopft hatten, feine Kunfl aber aus des Keffels Grunde gehe, und wenn er des Konrad von Wurzburg «geviolierte Bluthekunfl und fei- nes Brunnen Dunfl und die gerofet flammenreiche Brunfl, die wurzel- haftes Obfl hatte» feierte mit folcher, den Liebhabereien des gothifchen Stils entfprechenden, gefuchten Geiflesverfchnorklung, dann bildete er fich ein, das Hdchfte in der Poefie geleillet zu haben. Aber kein Dante ohne das raachtig emporflrebende, heifsblUtige, gahrende Florenz, welches fich neue Menfchen zeugte, indem es zur demoeratifchen Gleichheit rang und damit auch aufserlich ein Mittel- punkt aller aus dem Mittelalter herausflrebenden Krafte ward. Hier beginnt deswegen auch die Vorrenaiffance, die neue Kunfl, die neue Poefie und ihre Vertreter: grofse Menfchen. Auf Dante folgten fiir Italien Petrarca (1304 — -74) und Bocaccio (1313 — 75). Bocaccio weitet die Anecdote zur Novelle, das ifl zur Schilderung des — feiner Zeit — modernen, jungfl. Gefchehenen, und zwar eines heiter freien, in aflhetifcher Behaglichkeit dargeflellten, im Genufs der Wirklichkeit fich unterhaltenden Menfchenthums. Dies und der entfprechend fchone Ausdruck in gefchmeidig dahinfliefsender Profa, nicht die Schnurren oder die witzige und kitzelnde Leichtfertig- keit in vielen Anfchauungen geben dem Decamerone die hohe Bedeutung, 62 Dante und die neue Poefie in Italien. Was Dante in der Vita nuova in der Verklarung feiner Liebe zu Beatrice begonnen, zwifchen Profa und Lyrik wechfelnd, nimmt Petrarca rein lyrifch auf. Die Liebe zu Laura wird fiir ihn der Aus- gangspunkt, um alle Weiten und Tiefen des Gefiihls, der lyrifchen Seelenflimmungen niit virtuofer Kraft zu durchmeffen, nicht als ritter- licher Sanger, fondern als hochgebildeter, dem Geifligen zugewandter Mann. Eintonigkeit kommt in die Lyrik Petrarca's durch diefe iiber- iiiafsige Einheit, aber die Mannigfaltigkeit der von einem lyrifchen (jefichtspunkt behandelten Ideen war fiir feine Zeit erflaunlich. Die Zartheit, Gluth, Fiille der Empfindungen, die Nobleffe und Harmonie lies Geifles und Gefiihls iiberwog und iiberwiegt die Schwachen, die der virtuofenhaften Wiederholung und immer neuen Durcharbeitung deffelben Themas ankleben. Die Italiener mufsten flolz fein auf einen folchen, der innern Gefiihlskraft fo koniglich gebietenden, fie fo fchon austonenden Dichter. Er ward den Gefiihlsdurfligen ein unverfiegbarer Brunnen, der in fchonfler Marmorfaffung feinen lauteren Trank fpendet. Hoher idealer, durch die neuaufflrebende Wiffenfchaft geflarkter (ieifl, Zartheit der Empfindung, Schonheit der Form, Erfaffung der Wirklichkeit und ihre Idealifirung: all das kam fiir die neue italienifche Poefie zur vereinten Geltung. Wie dies auf die Stoffe und Formen der ritterlichen Dichtung einwirkte, wie fich die Geflaltungen der hofifchen Epik danach ver- anderten, ifl nicht hier auseinanderzufetzen. Der Hinweis auf Bojardo und Arioflo geniigt. In diefer Weife gewann Italien feit Dante die Wege neuer ge- wal tiger Entwicklung, die fiir feine biirgerlichen und geiflig flreben- den Schichten mafsgebend geblieben find. Es gab vor Dante keine grofse andersartige italienifche Poefie. Die neue konnte fich fomit freier geflalten. In Deutfchland kam dagegen der neue Geifl mit den herrfchenden Ueberlieferungen in langen Kampf, in welchem er nur miihfelig endlich Fufs zu faffen vermochte. Realismus heifst diefer neue Geifl; Drang zur lebensvollen Wirklichkeit im Gegenfatz zu den in Ueberfpanung gerathenen Fic- lionen der hofifchen Poefie. Wie in den volksthtimlichen Epen die Faden zur Ankniipfung bereit lagen, wie in den lebensvollen Schilderungen etwa eines Triflan, in den Erzahlungen eincs Hartmanns von Aue, wie in Walthers von Das Epigonenthum in Deutfchland. 63 Unterfliitzung und Concentrirung bediirftigen! Das Kaiferamt blieb in der Folge wieder bei Oellerreich und grade der Oeflerreichifche Hof wurde feit Karl \'. und den damit zufammenliangenden Eintiliffen fo verfpanifcht und verwelfcht, dafs er nicht mehr in, fondern neben der deutfchen Cultur (land und diefe, man kann fagen, nicht eine einzige Forderung durch ihn erhalten hat. Der Verlauf der grofsen Bewegung, von welcher die Reformation nur eine, freiHch die hauptfachHchfle, dann die ausfchhefsliche Stro- mung war, kommt natiirlich vor Allem in Betracht. Sie tritt machtvoU auf, den Freiheitsgeifl und Muth des deutfchen Volkes wieder in welterfchiitternder Weife bewahrend. Dies Mai trifft fie mit Wucht zuerfl das geiflig knechtende Rom, welches in Deutfch- land die grofsen geiflbefreienden Niederlagen erleidet. Die Legionen der Hierarchie mit all' ihren fchrecklichflen Einfchiichterungsmitteln — den fchrecklichflen, wie es die Befurchtungen der Phantafie und des Traumes find — mit Fegfeuer und Holle, zu welchem der kirchlich gefchleuderte Blitz und Fluch verdammte und womit die Menfchheit fich fo lange fchon unter dem Fufs des Papflthums hatte halten laffen in ihrem feltfamen, aller Vernunft fpottenden Wahn, fie werden durch den Monch, der aus ihnen hervorging und auch in Rom die Romer kennen gelernt hatte, und durch die fich um ihn fammelnden freien Streiter gefchlagen: eine geiflige Varusfchlacht. Die Deutfchen, Luther und Zwingli voran, brechen die erdrlickende Macht des katholifchen Abfolutismus. Leider (lockt der Sieg auch dies Mai bald durch innere Zwietracht '). Zuerfl, wie oben gefagt, an den Folgen des politifchen Jammers, d. h. der Schuld. Die Hemmniffe, die iiberall aus dem Widerflreben der gefchadigten Kreife fich ergeben, treten natiirlich auch hier ein. *) Aber die Wirkung konnte und kann noch in der Zukunft vielleicht mit derjenigen, die auf politifchem Gebiete durch den Sieg Armins eingeleitet ward, verglichen werden. Jahrhunderte dauerte auch damals Roms Herrfchaft noch in einem grofsen Theile des deutfchen Landes. Dann dringen die Deutfchen iiber die Grenzen und andem doch die Welt, anfangs in nicht erfreuhcher Weife in mancher Beziehung. Daffelbe wiederholt fich mit dem deutfchen Geift und der Reformation in Bezug auf den Glauben der romanifchen Volker. Das heutige Eemiihen des Papflthums wird jenen nicht aufhalten. Mit alten iMitteln bezwingt man einen neuen Geift nicht. ^O Zuflande, Kampfe und Folgen der Reformation. Zu Schukl kommt Ungluck hinzu. Wiihrend der wichtigflen Krifis erleidet die Stellung und der Wohlfland Deutfchlands durch den ver- anderten Weltverkehr eine grofse, fclilimme Veranderung, die in erfler J^inie den Biirgerfland trifft, in welchem der Schwerpunkt der neuen Bewegung lag und die zu fehlfchlagenden Verfuchen der Befferung fiihrte, in denen viel Kraft fich umfonfl verzehrte. Mit dem Riickgang im Wohlfland und dem Verlufl. der Theil- nahme an dem grofsen Handel verlor das deutfche Biirgerthum aber allmalig an Frifche, Stolz und Unternehmungslufl; es ward matt und lahm gelegt; es fank nach kiihnem Auffchwung mehr und mehr in engherzige Philiflerei. — ,Die Ausnahme und gute Wendung der I^inge zeigen die niederlandifchen, durch die veranderten Zeitverhiilt- niffe noch begiinfligten Stiidte). In Folge der poUtifchen Conflellation hatte fich die Reformation mit dem FUrflenthum verbiindet — bona fide allerdings in mehreren Fallen feitens der Fiirflen wie der Reformatoren, aber eine Htilfe, eine Bundesgenoffenfchaft, die wegen eines tiefen inneren Gegenfatzes verderblich hemmend ward. Eine Verbindung war da: dort wie hier Ringen nach mannigfaltigerer Selbflandigkeit, dort gegen Rom, hier gegen Karls V. Weltmacht. Aber die Triebe der Reformation kehrten lich der Freiheit zu und waren echt demokratifch; die der Furllen gingen im egoiflifchen Drange der Zeit nach dem Abfolutismus. Das deutfche Volk in der Maffe war von vornherein durchaus nicht gewillt gewefen, fich auf eine Befferung im Glauben und Kirchen- wefen und audi diefe nur innerhalb der von den Hauptfuhrern an- gegebenen Grenzen zu befchranken. Es gab auf alien Gebieten genug des Strebens und der zum Himmel fchreienden, Abhiilfe verlangen- den Uebel. Der deutfche Adel (Hutten, Sickingen) nahm einen An- lauf, fich wieder aufzufchwingen; fein erfler Verfuch ward niederge- worfen und er war bald zufrieden, im Fahrwaffer des Fiirftenthums fich von diefem nachfchleppen zu laffen. Das Burgerthum, befonders aber der Bauern-Stand, fuchte Abhulfe der Schaden und Befferung. Letzterer forderte feine Menfchenrechte; man woUte die Knechtfchaft des ungermanifchen Feudalwefens nicht langer tragen. Anderfeits gab es Geifler genug, die nicht wie Luther beim Buch- Raben der Bibel Halt machen wollten. Zu Viel auf einmal wollen, fchadigt meiflens AUes und hat fiir jede Revolution fchlimmfle Rea6lion im Gefolge. Das ifl der Lauf Reformation und Revolution. gj der Dinge, well dann Rets zu viel Intereffen verletzt werden, zu viel Angfl und Egoismu-; hemmend und feindlich wachgerufen wird! Was fchliefslich freilich fchadlicher fei, die Schiidigung, welche aus Ueber- drang oder die, welche fich durch die Furcht des Zuviel herauszu- flellen pflegt, wer kann es abwagen? Sobald das uberall glimmende Feuer in der Reformation in helle Flammen ausfchlagend an die Luft gekommen war, ergriff es auch die focialen VerhaltnilTe und entloderte in den Bauernkriegen. Wie inimer fliirzten auch die unfauberen Elemente hinzu: Roh- heit und Rachdurfl, Ueberfpanntheit, die in folchen Zeiten bis zur \'erriicktheit fich geltend machen darf, ohne dafs die Maffen wagen, fich gegen fie zu erklaren, Uebermafs aller Art, um wo moglich die Spitze zu nehmen und den feindhchen egoiftifchen Gewalten Gelegen- heit zu geben, mit ihnen das Gute, Verniinftige um fo riickfichtslofer bekampfen zu konnen. Ein verhangnifsvoller Zeitpunkt war gekommen, als fo neben der Reformation und liber fie hinaus die Revolution erwuchs. Jetzt niufste jene Stellung nehmen zu diefer. Ihr Geifl, ihr Streben war im Grunde, war nach dem Guten, Eins. Was die Revolution dritt- halb Jahrhunderte fpater in Frankreich erflrebte, das Alles wollte man in Deutfchland jetzt fchon zum Austrag bringen. Grifif die Bewegung durch, wer kann fagen, was fie erzeugt hatte! Aber es fehlte an innerer Kraft und an Gliick, und nun war ein Riickfchlag ficher, der bis auf die nachfle Revolution ging und gegen den'erR 1848 wie- der eine grofsere Vorwartsbewegung zu verzeichnen ifl. Die Lutherifche Reformation hatte fich, wie bekannt, auf das deutfche Fiirflenthum geftiitzt, durch die Hiilfe diefer, mehrfach ego- iftifch bewegten weltlichen Macht, Schutz und Forderung erhalten, aber fich auch damit in mancher Beziehung abhangig gemacht. Die Raferei und Rohheit in den Schwarmer- und Bauernaufflanden trieb fie dem Fiirflenthum ganz in die Arme. Die groise Schaar der Geiflig-Aengfllichen und die wichtigen Schichten der im Befitz der Macht und Vorrechte Befindlichen wur- den feit dem Ausbruch der Revolution gegen die Reformation kopf- fcheu. Die vorwartsfiuthende Bewegung, die fie auf religiofem Gebiete freudig, voll Ueberzeugung oder als Nutzen bringend begriifst hatten und die ihnen bisher viel Freiheit und Vortheile gebracht, aber nichts gekoflet hatte, fie fchien zum Alles verfchlingenden Strudel zu wer- Lcmckc^ Gefchichte der detitfchcu Dichtung. 6 82 Reformation und Revolution. den, der fortrifs, Niemand wufste wohinr alle fiirchteten, Abgriinden entgegen. Die Reformatoren fahen ihre eigenen Beflrebungen iiberflurzt, in ei- nem ihnen fremden Sinne mifsbraucht und auf andere Gebiete abgeleitet. Sie fuchten die neuen Eewegungen zu meiflern. Dann aber, als dies nicht mit dem Wort gelang, fcheute ein fo von feinen Ueber- zeugungen erfiillter Feuergeifl wie Luther fich nicht, gegen die neuen Bewegungen mit aller Wucht fich zu wenden. Der Verkiindiger der Freiheit in der Religion fah fich genothigt, diefe bewafifnete Revolution, die in ihren Ausfchweifungen Alle mit Schrecken erfiillte, zu ver- dammen, und die confervativen und in ihrem Egoismus als Sieger nicht weniger fchrecklichen Machte zu unterflutzen. Fiir die Re- volution ein Schlag, der fie betaubte und zu Boden warf. Fiirchter- lich traf das vae victis nun die Aufflandifchen, in ihnen den ganzen dritten Stand. Hatten die deutfchen Bauern damals den Ruf nach Menfchenrechten erhoben, denen erfl die franzofifche Revolution wieder antworten foUte, hatten fie fiir das deutfche Reich Vorfchlage^ wie eine Miinz-, Maafs- und Gewichtseinheit in ihre Forderungen auf- genommen, fo follte ihnen nun auf Jahrhunderte hin Geifl und Muth zu Dergleichen ausgetrieben werden. Die Uebertreibung fectirerifchen Wefens, gipfelnd in der Ver- riicktheit eines Johann Bockold und dem Unfinn und Frevel der Wiedertaufer in Miinfler, rachte fich gleichfalls verhangnifsvoll wie alle derartigen Ausfchweifungen. Sie wurden der wahren Geiftes- freiheit gefahrlich, fiihrten innerhalb der eignen grofsen Parthei, mit welcher fie zufammenhingen, zur angfllichen Befchrankung, gaben den Gegnern Waften in die Hand und fchreckten die Schwachen von jeder Aenderung zuriick. Die Folge war, dafs was zu lippig und wild hatte fpriefsen wollen, nicht befchnitten, fondern zum Theil an der Wurzel abgehackt und mit Feuer vernichtet ward. So lange war die Reformation im freieren, klihnen Sinn vor- gegangen. Jetzt verlor fie die Unbefangenheit. Gegen die Aus- fchreitungen der Sectirerei mufste die Beforgnifs wachfen. Das flarre Feflhalten am Buchflaben, dem Luther an fich zugewandt war, wurde Grundfatz. Mit der Flirflenmacht hatte man fich jetzt in der Furcht noch enger verkettet; aber das Btindnifs war oder blieb nicht fiir beide Theile gleich; die Religion ward dadurch vielfach Dienerin der Reformation unci Humanismus. 83 Macht, welche fie flarkte, und der Abfolutismus ward Herr auch in den deutfchen proteflantifchen Landern. Eine riicklaufige Bewegung war damit eingeleitet. Die Vorwarts- bewegung und der Sieg war abgebrochen worden, (h"e Hitze ge- dampft. Die Einen wollten weiter, Andre woUten flehn bleiben, Viele fahen hinter Ikh und gingen zuriick. Jetzt kam Unficherheit, Stocken und iiberall das Warten auf die oberflen Fulirer. Nicht genugl der Proteflantismus fpaltet fich in zwei Lager, die fich immer fchrofter gegeniibertreten und bald mit der gewohnlichen Partheileidenfchaft fich fchlimmer haffen als den gemeinfamen Feind: Lutheraner und die in den Confequenzen, welche fie ziehen, der Neu- zeit gemafs weiter fchreitenden Reforniirten heben ihre Kraft gegen- einander auf und verlieren ihre Wucht gegen den romifchen Katho- licismus. Und verlieren den grofsen geifligen SchwungI Es beginnt der Zank, der Buchflabenflreit, der Dogmenkampf, womit geiflige Befchranktheit und Verbiffenheit unfehlbar verbunden ifl, ein Geifl, in dem jedes fchone Leben von vornherein fiir unwefentlich geachtet und niemals gedeihen wird. Von weiterer, von der tiefflen Einwirkung war das Verhaltnifs (.ler humaniflifchen zu den anderen Bewegungen. Um das Jahr 1500 war der Humanismus, die freigewordene Wiffenfchaft , die Renaiflahce der Antike auf gelehrtem Clebiete, in Deutfchland der Geifl gewefen, der fich als den Fiihrer der neuen Zeit betrachtete und betrachten konnte. Die bedeutendflen Krafte waren ihm ergeben; kiihn ging er vor, den feindlichen Gewalten der Kirche trotzend, als Trager des Fortfchritts von verbal tnifsmafsig grofsartiger Majoritat aller Gebildeten anerkannt. Sebaflian Brant, Conrad Celtes, Reuchlin, Erasmus von Rotter- dam, diefe Namen geniigen ftir verfchiedenartige Beflrebungen. Ein eminenter poetifcher Geifl hatte den Geifl diefes Humanis- mus mit dem des deutfchen Realismus verfchmelzen miiffen. Danach ging das Streben der Zeit. Was Dante fiir die italienifche Literatur geleiflet, vvie er die neue in's Leben gerufen und fie beflimmt hatte, das hatte fich dann in ahnlicher Weife wiederholt. Machtvoll regten fich in Deutfchland dahin zielende Bewegungen. Die ganze nachfle Zeit zeigt das Streben nach der deutfchen Renaiffance. In Wiffen- fchaft und Kiinflen wie im Staatsleben zielen die bedeutendflen Be- flrebungen darauf ab. 6* 84 Reformation uiid Humanismus. Aber kein Geift wie Dante erfland in der Literatur. Ulrich's von Hutten Feuergeifl verzehrte fich zu fchnell. Die Geifler diefer Art wurden abfeits in die Strudel der Zeit geriffen und gingen darin kiimpfend unter, ohne in den ruhigeren Strom zu gelangen. Hafliges Dahintofen treibt Miihlrader, aber der landerverbindende Strom fliefst fLetig und tief. Die religiofe Bewegung fchlug feit 15 17 vor; der Humanismus, die Renaiffance wurde zuriickgedrangt aus ihrer hohen Stellung. Die Fiihrer des Humanismus, erfiillt von der Grofse ihres Berufes, von der Nothwendigkeit ihrer die derbe Gegenvvart zu adeln berufenen Beflrebungen, Feinde des religiofen, anfangs fiir monchifch erachteten Streites und Gezankes, Feinde der mittelalterlich-religiofen Anfchau- ungen und Beflrebungen uberhaupt, fahen bald argerlich auf die fich flets weiter verbreitenden Bewegungen der Reformation und zogen fich dann felbfl zuriick oder wurden zuriickgedrangt. Aus frifchen Fuhrern wurden, als die Menge den reUgiofen Leitern folgte, mifs- vergniigte oder refignirte, fich in ihren Schulen abfchUefsende Ge- lehrte, die mit dem fpecififchen chrifllichen Glauben und feinen Streitigkeiten oft fchlimm genug flanden. Der Humanismus zieht fich in feine antike Welt, Anfchauung und Sprache und giebt den directen, frifchen Einflufs auf die Neu- geftaltung des Lebens auf. Die Folge ifl, dafs er felbfl allmaUg, fchulmeifterlich dem wirklichen Leben entriickt, zufammenfchrumpft, dafs aber der neuen Cultur die edelflen geifligen Krafte entzogen werden. Der Gelehrtenftand Deutfchlands fpricht, denkt jetzt wieder lateinifch. Diefe nothwendige, adelnde Kraft der Antike wird dem deutfchen Geiflesleben entzogen. Da es darauf ankam, die neue hoch- deutfche Sprache in ihrer Bildung fiir alle Geiftesarbeiten zu fordern. Ziehen fich die tiichtigflen Geifler in die fchon fertige, in alien For- inen bereitliegende lateinifche Sprache zuriick, Barbaren in ilirer eigenen Mutterfprache werdend. Ulrich von Hutten, fpater Frifchlin, die fich auch in deutfcher Sprache verfuchen, find Ausnahmen. Eoban Heffe (1488 — 1540); Petrus Lotichius (1528 — 1560) und wie die allgemein beriihmten Lateindichter diefer Zeit heifsen, welche poetifchen Krafte gingen da fur die deutfche Dichtung und dire6le Culturforderung verlorenl Mit all diefen Stockungen und Hemmniffen war die Moglichkeit eines fchnellen eigenthiimlichen , neuen Volksauffchwungs mit grofs- Renaiffance. Fliith unci Ebbe der neuern Ideen. §C artigen Folgen fiir das ganze aflhetifche Leben abgefchnittcn. Wo follte, in welcher Schichte, in welchem Stand, die grofse poetifche, befreiende und aufbauende, fichtende und fchopferifche Kraft er- ftehen, welche die Zeit voll in fich einfaugcn, kiihn, verwegen liber die neuen Schranken hinwegfchreiten und fiir freiere, aber mit Acht und Schwert getrofifene Beflrebungen und Wiinfche den fchonen, lebensumfaffenden Ausdruck oder freudigen Hinweis hatte finden konnen? Wie inmitten des politifchen, materiellen und geifligen \Virrwarrs zu einer hohen, der grofsen Dichtung unentbehrlichen har- monifchen Lebensanfchauung gelangen, von welcher aus fich Alles ordnete, ohne doch den Stempel religiofer Partheibefchrankung zu tragen oder in der alten, mittelalterlichen VVeife der iiufserlichen Autoritat blind zu folgen? Die Ideen, die batten zufammenwirken, zeugend den neuen Geifl gebaren follen, traten feindlich auseinander. Wenn zum Beginn der grofsen, in der Reformation gipfelnden Bewegung ein feltfamer poetifcher Drang die Gemiither in alien Standen erfafst hatte, fo dafs Kaifer, Fiirflen, Ritter, Gelehrte, Geift- liche, Handwerker, Soldaten und Bauern dichteten und Jeder das Schlagwort fiir Freud' und Leid, Luft. und Streit poetifch zu finden fuchte, fo nimmt nun aus den erwahnten Urfachen diefe dichterifche Freude von Jahr zu Jahr ab; das Feuer brennt in fich zufammen; nur in feinem eigentlichen Heerde gliiht und brennt es weiter. Alle die zum Theil hochfl. bedeutenden Beflrebungen haben einen Verlauf gleich jenen Stromen, welche, von Gletfchern und Quellen holier Gebirge gefpeifl, zu Anfang machtig niederwiirts stiirzen, dann aber in weite diirre Ebenen ohne Zuflrome tretend, mehr und mehr abnehmen, um fchliefslich in Rinnfalen langfam dahin zu fliefsen und Salzfeen und Salzfiimpfe zu bilden, in denen fie verdunflen. Die einzige Aus- nahme bildet. Dank Luther, das religiofe Lied. Es geht in die neue Zeit direct iiber und erlebt eine Bliithezeit; eine fo hohe und fo wichtige allerdings nicht, wie Viele preifen. In der bildenden Kunfi. ja Gleiches oder Aehnliches. Man denke an Albrecht Diirer (-j- 1528}, Peter Vifcher (f 1529), - Hans Holbein (7 1543) und Lucas Cranach (7 1553). Mit genialer Kraft, an Phantafie, Fiille der Production und kiinfllerifchem Umfang ein Wunder, dringt Diirer in felbfliindiger Weife vor, erkennt dann den Werth der Renaiffance-Schonheit, fafst fie nach Wefentlichem und 86 RenailTance. Fluth und Ebbe der neuen Ideen. gewinnt in den letzten Werken einc Hohc, die zu dem Grofsen und Characteriflifchen das Voll-Schone verfprach. Peter Vifcher zeigt nach Klarheit, die fich mit der Innigkeit des deutfchen Wefens gattet, in eigenthiimlichfler Weife eine deutfche Renaiffance. Holbein tritt auf eine Stufe, von der man ein Zuriickgehen fUr unmoglich halten follte, da feine Zeit hier fich felbR und den Fortfchritt fand. Es niitzt nichts. Jene (lerben, ohne Nachfolger zu finden. Diefer geht Deutfchland verloren; er fucht in England Raum und Lohn fiir feine KunR. Die andern Meider und ihre Schulen flerben ebenfalls ab, ohne weiterbauende Nachfolger zu finden. Mitte des Jahrhunderts in. unfere volksdiiimliche Kraft der Phantafie ausgelebt oder matt und miide und finkt in langen Schlaf. Die Nachahmung der fremden Renaiffance wird dominirend. Nur in den unteren Schichten und in den geringe Anfpriiche machenden Erzeugniffen fetzt fich der alte Stil fort: in der bildenden Kunfl, befonders im billigen Holzfchnitt flir das Volk, im Handwerklichen u. f vv.; auch hier wie in der Poefie mehr und mehr finkend, weil die hohere Theilnahme fehlt. Diirer's Geifl mufs bis Gothe-Cornelius ruhen, ehe an feine Wieder- erweckung gedacht wird. Der deutfche Geifl, wie er fich zur Reformationszeit kiinfllerifch zeigte, war viel umfaffend, realiflifch, kraftvoll, derb, aber auch wieder tieffinnig, durchgangig auf das Charakteriftifche, nicht auf das Schone gerichtet. Den Mangel an Idealitat und Schonheit follte Phantaflik und Verflandesmafsigkeit (Allegoric u. f w. , wie wir gefehen) erfetzen. Schlimmer noch als in andern Kiinllen fah es in der Poefie aus, wo man tiber falfche Theorien, denen gerade fie fo leicht aus- gefetzt ifl, alle Erkenntnifs ihres fchonen Wefens verloren hatte. Je einfacher man fich gehen liefs, deflo beffer. Kunfl war Kunflelei und Verkehrtheit geworden. Sobald man nach folcher Kunfl. fl.rebte, ward es um fo fchlimmer. In der Maffe jedoch dachte man kaum an eine innere kiinftlerifche Durchdringung, wenn man auch die poetifchen Formen Zwecks der verfchiedenartigflen Tendenzen zu gebrauchen liebte. Hinweifimgen auf einzelne Manner werden gentigen, die Ent- wicklungen wenigflens anzudeuten. Als erfl,er Reprafentant feines Volkes feiner Zeit fl.ehe auch hier Luther. 87 voran Luther. ") Der Mann ifl eine gewaltige, voile Perfonlichkeit nach Geifl, Empfindung unci Charakter, ein Centralfeuer fchopferifcher Kraft. Solche Perfonen find an fich poetifch, well der voile Menfch, nie der abilracte Gedanke oder eine einzelne Geiflesthatigkeit hinter AUeni fleht, was fie fagen und thun. Zu feinem Wiffeu, (rlauben und Wollen kam, dafs er fprachlich ein Genie war. Ein Kiinfller wollte er nicht fein, fondern hatte nur die Sache im Auge, wenn er in Beredfamkeit und Poefie iiberflromte. Ueberniafsige Derbheit und die unferer Zeit antediluvianifch erfcheinende Grobheit jener groben Tage verunzieren fiir uns Dies und Jenes bei ihm und zeigen ihn zu fehr als Sohn feiner Zeit, aber auch darin mag der Schwung und die Sicherheit diefes Fernhintrefifers, Papfl, Konige und Bauern mit gleicher Riickfichtslofigkeit behandelnden Mannes imponiren. Jeder Reformator giebt und nimmt. Indem Luther mit der katholifchen Tradition brach, brach er auch mit ihrer Phantafiewelt, die fo reich, fo vielgeflaltig war und das Leben \"on Anfang bis zum Ende begleitete. Jedes Thun auf Erden hatte feinen Vertreter in Glauben und Vorflellung. Ueber und unter diefer Welt noch andere Welten, teuflifche und himmlifche. Die Vemunft hatte, im humaniflifchen Gewande, ihre Zuflucht zu den antiken Vorflellungen genommen und in deren Phantafiewelten Erfatz gefucht fiir die nicht mehr geglaubten religiofen. Der Reformator verwarf diefe ihm frivol erfcheinende Welt nicht minder. Ihm blieb nichts als Bibel und Leben, Es hatte gegolten, fich voU und freudig auf das wirkliche Leben zu fliitzen, dies zu idealifiren — ahnlich wie es die den Bruch zwifchen Gott und Welt nicht kennende Antike gethan hatte und auch die Renaiffance that. Der jugendkraftige Luther hatte hiezu in eigenthiimlicher Weife die Kraft, Frifche und geiflig klare Sicherheit gehabt, der alternde, kranke, in den Wirren und Kampfen miid gearbeitete Mann, der fo viel im Innern zu ringen hatte, hatte fie nicht mehr. Lii Gegentheil: die Welt blieb fiir ihn im Gegenfatz *) Martin Luther, geb. 1483 zu Eisleben, ftudirt feit 1501 in Erfurt, wird 1505 Monch, 1508 Profeffor in Wittenberg, reifl 1510 nach Rom, fchlagt 31. Oct. 1517 die 95 Satze gegen den Ablafs Tetzels an, wird 1521 nach Wonns citirt und zur voUen Reformation gezwungen. Er ftirbt 1546. — Die Bibel iiberfetzte er von 1521 — 1534. Zuerfl erfchien 1522 das neue Teflament. 38 Luther. Kirchenlied. zu Gott. Der Teufel blieb und die Welt blieb als in teuflifcher Neigung. Keine aflhetifche, nur eine theologifche Briicke flihrte nach diefen Anfchauiingen von der Welt und ihrem Wefen zum Gottlichen. Eigenthiimliche Entwicklungen, Riicklaufe, Nebenvvege, feltfame Verbindungen des afthetifchen Dranges und der herrfchenden Machte waren die Folge. Nur in zwei Punkten trat Luther liber diefen Kreis kraftig hinaus: in der Mufik und der Lyrik. Sein grofser Geift liefs ihn freilich nie in die Irrthiimer und Abgefchmacktheiten feiner meiflen Nachtreter fallen hinfichtlich der Kiinfle, aber zur Ueberwindung des Gegenfatzes kam er nicht. Luther, durch und durch volksthiimlich von Geburt, Anlage und Gefmnung, erfafste als gewaltiges Hiilfsmittel in einem Drang, den er mit feiner Zeit theilte, das gefungene Lied. Die innige, freudige, feurige Kraft feines religiofen Gefiihls flromte gluthenvoll,, flark, treu, tief darin iiber. Er erfand nicht das deutfche religiofe Lied. Seit Jahrhunderten hatte der ahnliche Drang gewirkt und manches fchone Lied gefchafifen^ welches als Trofl in Schlacht und Gefahr, auf Pilger- und Seefahrt war gefungen worden. Aber er ifl, der das Begonnene vollfiihrt und das Kirchenlied dem Volke als ein Gemeingut giebt. Es war ihm dabei auch nicht im Geringflen darum zu thun, als Erfinder zu erfcheinen. Pfalmen und die fchonflen alten lateinifchen Kirchenlieder find es grofstentheils , welche er deutfch, volksmafsig bearbeitete. Aber fein Geifl fluthete voll und feurig hinein und machte dies evangelifche Kirchenlied fahig, die nachflen Zeiten der Unnatur zu iiberdauern. Es ifl das Einzige aus der Poefie diefer Tage, welches ohne Unterbrechung in lebendiger Ueberleitung aus dem alten und alteflen Geifl bis zu unferen Tagen heriiberkam. In derfelben Zeit, wo Luther Anlafs ward, dafs die religiofe Einheit Deutfchlands fich lofle, brachte er den Deutfchen die fprach- liche Einigung, die man feit den HohenRaufenzeiten nur noch in den Canzleien kannte. Es gab keine allgemeine, nur provinzielle Schriftfprache. In der Bibeliiberfetzung, beendet 1534, leiflete Luther das Gewaltige: die neue allgemeine deutfche Sprache, aus dem alten zum neuen Geifl. gefiihrt in voller originaler Kraft, frei von alien Luther. Bibeliiberfetzung. Schriftfprache. 3q Nachahmungen anderer Sprachen, ein Wunderwerk der Kraft des Meifters. Luther verband dabei die hochfle Genialitat mit der jiufser- ften kiindlerifchen und wiffenfchaftlicheii Sorgfamkeit und Schiirfe. Gemacht, wie Manche noch meinen, hat Luther die neuhoch- deutfche Sprache nicht, nicht erfunden, was an fich unmogHch gewefen ware, aber das \'orhandene durchdrang, verfchmolz, er- weiterte er, machte er lebendig und fiihrte es aus der einfeitigen Uebung zum allfeitigen Gebrauch, mit allgewaltigem Genie diefe Sprache zu Allem gefchickt machend. *) Wo Licht in, ill Schatten. Auch hier kann der Einheit diefer Schriftfprache gegentiber als Schaden angefiihrt werden, dafs diefe neue Schriftfprache verfchiedenen deutfchen A'olksflammen unbequem, ja erfl von ihnen zu erlernen war und ifl, dafs z. B. bei mangehider Doppelbildung des Dialects und des Hochdeutfchen erfl ein formHches Ueberfetzen aus jenem in diefes flattfinden mufs, dafs Frifche und Beweghchkeit darunter leidet, ja dafs ganze und die zahlreichflen, nicht im Hochdeutfchen erzogene Volksfchichten dadurch an der unmittelbaren Theilnahme gehindert find, ihre fprachHche, oft fo bedeutende, im Dialect lebendige Kraft brach gelegt ifl, keine hohere eigenthiimliche Forderung findet und nicht fich feiner entwickeln kann. Der Nachtheil, den diefer Zufland befonders der in der neuen Schriftfprache gedichteten Poefie der Niederdeutfchen gebracht, ifl meiflens viel zu wenig hervorgehoben worden. Diefer Nachtheil felbfl ifl nicht zu leugnen, aber er ifl nirgends bei grofseren Volkern *) Luthers Tifchreden. Cap. 70: „Ich habe keine gewiffe, fonderliche, eigene Sprache im Deutfchen, fondern brauche der gemeinen Deutfchen Sprache, dafs mich beide Ober- und Xiederdeutfche verflehen mdgen. Ich rede nach der Sachfifchen Carreeley, welcher nachfolgen alle Fiirften und Konige in Deutfchland. Alle Reichs- ftadte, Fiirftenhofe fchreiben nach der fachfifchen und unfers Fiirften Canzelei. Darum ift's auch die gemeinfte Deutfche Sprache. Kaifer Maximihan und Chur- fiirft Friderich, Herzog von Sachfen u. 1". w. haben im Romilchen Reich die Deutfchen Sprachen alfo in eine gewiffe Sprache gezogen." Mit welcher Sorgfamkeit Luther zu Werk gegangen, wie er auf Markt und Strafsen, bei Biirgern und Bauern herumgehorcht und oft wochenlang fich mit feinen kundigen Freunden abgemiiht, das richtige deutfche Wort und die echte deutfche Wendung zu finden, erzahlt er uns gleichfalls felbft. Dafs er aus einem Lande der Sprachgrenze zwifchen Ober- und Nieder- deutfchen ftammte und danach eingriff, ward von Einflufs bei der neuen Schrift- fprache, in welche jetzt verfchiedene niederdeutfche Einfliiffe drangen. C)0 liumaniftifche und Renaiffance-Dichtung. Hutten. Hans Sachs. zu vermeiden. Eine Hauptfladt oder eine Gegend wird dominiren; nur in ganz kleinen Bezirken (z. B. in Athen) kann ein voiles Durch- dringen der gebikleten und der Volksfprache gefchehen. In Deutfch- land, feiner politifchcn Zerfplitterung gemafs, dominirte furderhin fprachlich keine einzelne Stadt, auch keine Gegend, fondern eine Klaffe, die der Schriftkundigen. Ulrich von Hutten (1488 — 1523), Thomas Murner J475 bis lun 1536) zeigen neben Luther ihre eigenthtimlichen Begabungen, jener eine verlofchende Hoffnung nach der humaniflifchen Kraft, diefer ein in Streit und Neid ins Gemeine finkendes Talent. Hervorragend in der Dichtung feiner Zeit fleht ein deutfcher Handwerker, der Nurnberger Schufler Hans Sachs (1495 — 'iST^j, ein echter Sohn diefer deutfchen Renaiffance und der Reformation. An dem einen Manne vvaren alle Kriifte und Bewegungen feiner Tage klar zu machen und vvie keine zum vollen kiihnen Austrag kam. Hans Sachs, hochbegabt mit kiinfllerifchem Geifle, drang in feinen beflen Dichtungen bis dicht an die Grenze, wo die wahre Renaiffance der deutfchen Literatur begonnen hatte. Er ifl dem grofsen Albrecht Diirer in feiner Weife zu vergleichen. Einmal, mochte man bei ihm ausrufen, einmal die bisherige Weife auf den Kopf geflellt, einmal vom andern Ende angegriffen, einmal der Leidenfchaft geflattet, das Herkommliche zu durchbrechen, die Schonheit vorangeflellt, im Drama die Individualitat und vom fubjectiven Menfchen aus die Dinge conflruirt, die Thaten gefolgert und die Pforte zur neuen Zeit war aufgeflofsen. Aber wo follte nach 1530, gefchweige nach 1550 der Niirnberger Schufler die Kraft und den Schwung dazu findenr Alles hat Hans Sachs im Einzelnen, nur den neuen Menfchen fah er nicht vor feiner Phantafie und fo mag er fchaffen und fchaffen, Hiibfches, Gutes, Wahres, Frifches, auch Schones. Er kann die weiterringende Zeit doch nicht befriedigen und fallt endlich ab wie eine iiberreife welke Frucht; der Same darin follte lange ruhen, bis er in fruchtbaren Boden gelangte. Neben dem bekannten hochverdienten Nurnberger Meifler fei hier ein Anderer genannt: Jorg Wickram aus Colmar (fchriftflellerifch etwa thatig 1535 — 60), der, wenn er in dem vielgelefenen Rollwagen, dem Schwank- und Gefchichtenbiichlein «auf den Rollwagen oder in Schitifen die langweilige Zeit und Unmuth damit zu vertreiben», Erzahlunc:. Roman. '& 91 das Stoffbediirfnifs feiner Zeit in der beliebten gewohnlichen Weife zu befriedigen fuchte, in feiner Erzahlung Goldtfaden, um nur diefe liier anzuziehen, fich hoher fchwang und in bemerkenswerther Weife einem, der neucn Zeit entfprechenden Roman entgegenarbeitet und (laran ifl, demgemafs Ideale aufzuflellen. Ein Bauernfohn Leufried ifl Held des Stiicks. Er befucht die Schule zu Salamanca, handelt hier im Spiel ahnlich wie der junge C'yrus, mufs die Schule verlaffen, wird KUchenjunge bei einem machtigen Grafen, entziickt Alle durch fein fchones Singen, ifl voll idyllifcher Sehnfucht nach dem Hirtenleben, wird Page bei des (Irafen Tochter Angliana, gegen welche er von tieffter, inniglichfler Liebe entbrennt, thut durch Thaten fich hervor, befleht die Ver- folgungen feiner Neider und des ergrimmten Grafen, zeichnet fich im Krieg aus, wird geadelt und zum Ritter gefchlagen und fchliefslich Gemahl der Angliana und Erbe des Grafen und lebt friedfam und freundlich mit Angliana, mildthatig gegen alle Untergebenen — ein Bauernfohn als Held, idealifirt, aber ohne die Uebertreibungen der Amadisromane, fleifsig, fittfam fich in die Hohe ringend — war denn hier nicht der richtige Weg befchritten? Der Lowe ifl. in der ganzen Gefchichte das Einzig-Romanhafte im Stil der alten, phan- taflifchen Zeit. (Der Bracke, die Erzahlung vom Jager, der Leufried ermorden und die Nachricht bringen foil: ein hauend Schwein habe ihn gefchlagen, klingen an Nibelungen und an Schionatulander.; Der ganze geiflige Standpunkt hat etwas Ruhiges, Gediegenes, freilich nichts Hervorragendes. Aber in jeder Hinficht ein trefflicher Anfang, nach welchem man einen Fortfchritt hatte fur unfehlbar halten miiffen.*) *) Es mag intereffant fein, die Ideale der Jungfrau und des Jiinglings kennen zu lernen, wie der Colmarer Schriftfteller und Meifterfanger fie fiir diefe Zeit auf- flellt. Angliana „war von einer ziemlichen Lange, mit einer wohl gefchickten Proportion, ihr Haupt aufrichtig, ihr Haar gelb und etwas gekraufelt, ihr Stirnlein rund und breit, mit lichtbraunen, wenig gebogenen Augbraulein gezieret, ihrc Aeuglein nach Falkenart, klar und gcfcln\ind, das Naslein ein wenig gebogen in ziemlicher Scharfe, die Wanglein mit fchonen Griiblein und mit Rofenfarb ge- zieret, das Miindlein einem Rubin gleich an der Farb, allzeit fich ein wenig lachend erzeiget; dem Elfenliein trleich weifs waren ihre Zahnlein , fchmal und klein nach rechter Ordnung gefetzt, das Kinn doppelt obeinand an den oberen Kinn ein wohl- gefchicktes Griiblein, ihr Halslein rund und langlicht, weifs als der Schnee, ihie Brufl; war flark und breit, ihre Arme und Handlein ganz wohl formirt, die Weich G2 Volksbiicher. Die „Schandbucher"-Literatur. Es kam auch hier Niemand, der beffernd fortgebaut hatte. Die alten Volksbiicher, wie fie aus den friiheren Zeiten iiber- kamen oder danach zufammengearbeitet wurden, dann aber eine Fluth von Gefchichten neueren Stils oder ini neuen derben Gefchmack behandelt, fiillten die Leere. Je weniger in der Reformationszeit das Schonheitselement bei den Deutfchen zur Geltung gekommen war und in den Gemiithern ^^^u^zel gefafst hatte, deflo ungebundener warf man fich nach dem Erlahmen vom anfangUchen grofsen geifligen Schwunge in den craffen Realismus, zu dem Aberglaube und innere Unruhe freilich, wie immer, die Kehrfeite bildeten. Die ganze vorhergehende Periode hatte, wie gefagt, nach dem Reahsmus hingedrangt; diefer hatte Anfang des 1 6. Jahrhundert feine IdeaHfirung finden und fomit eine Bluthezeit gewinnen mtiffen. Da dies mifslang, fchlug er zuriick und ward roher, niedriger. Das Derbe, Grafs -Materielle, Zotige fchien das Einzig-Ergotzliche werden zu wollen. Es florirten der Eulenfpiegel, die RoUwagen-Literatur, derbe, launige, nur zu oft aber fchmutzige, unflathige Gefchichten, deren Geifl auch in der Streit-Literatur der Zeit fich fo breit macht und der bei Hoch und Niedrig, bei Mannern und Frauen Gunfl und Gelachter findet. Sieht man das Bild auf dem Katziporus (1558) von Michael Lindner an, fo weifs man, was ein Anecdotenfammler diefer Zeit zu bieten wagen durfte: dem Holzfchnitt entfpricht der Inhalt. Die gegenflandlos aufgeregte Phantafie, die nirgends ideell fich anklammern konnte, verfiel mit Vorliebe jetzt auch auf die — gem fatirifche — Liigengefchichte. Im Katziporus ift eine an des Rabelais Gargantua (i. Band 1533; erinnernde Erzahlung vom unerhort grofsen Mann. Der Finken- ritter macht den Anfang zu den Miinchhaufiaden. Andrerfeits kamen auch Geflaltungen, die dem tiefunruhigen, umfonft nach vollem Durchbruch des Verftandes und der Vernunft ichwanger und rhan, in Summa ihr ganzer Leib hatte von Apelles nicht zierlicher gemalt werden mogen; fie war auch mit Herzen und Gemiith ganz gleichformig ihrer Schone, ziichtig und berdfittig, freundlich mit Jedermann, getreu und gerecht. Nicht minder Schone hat an fich Leufried der Jiingling, dabei eines Lowen Muth, aber gegen Jedermann freundlich; die Gerechtigkeit fordert er allezeit; fo haffet er auch die Schalkheit, hatt grofsen Luft zu Pferden, zu aller Zeit war er geneigt, Frauen und Jungfrauen zu dienen. Zum Vorderfi;en aber forcht er Gott und half den Armen nach feinem beften Vermogen, denn er vergafs nie feines Her- kommens. " Neue Sagenbildimg. Faufl. 02 ringcnden Streben der Zeit entfprachen. Auch die Reformation lolle die Geifler noch nicht vollflandig. Eine religiofe Grenze blieb gefleckt. Der Teufel und der mit dem Dualismus zufammenhangende Angflglaube florirte im ProteRantismus iirger als bei den Katholiken, die fich hinter ihre Heiligen fliichteten. Die Lehre der Kirche, welche Ciott und die Natur gegeniiberflellte, hinderte und fchreckte, wo die Geifler nach Erkenntnifs rangen. Die Forfchungen, welche man nicht often zu treiben wagte — wie fafl aUe Naturforfchungen — bekamen durch die Geheimnifskramerei von vorn herein den I'luch des Aberglaubens. Mit geheimem Grauen wandte man fich den Kraften der Natur zu; Aberglaube wucherte, wie immer bei dem dunklen Treiben; die Verwirrung, welche jeder Dilettantismus im Gefolge zu haben pflegt, machte die Sache noch fchlimmer. Mit dem Glauben an perfonlich bdfe Krafte ill Verfuch der Abwehr derfelben, Befchwdrung und Magie, fo eng verbunden, wie mit dem Glauben an perfonlich gute Machte religidfer Cultus. In Teufels- und Hexenfurcht, Zauberei, Sterndeuterei u. f. w. fprach fich dies inmitten des plumpllen, grdbflen Realismus und feiner Freude iiber Niedrig-Komifches aus. Hier lag ein Abgrund von Zweifel und Duflernifs. Die Volksphantafie fand, an Perfdnliches ankniipfend, fiir all dies Ringen der Menfchenfeele nach Wahrheit und fiir ihre Verzweiflung die Gefchichte vom Dr. Faufl. Wahrheitsflreben, ab- flractes Ergreifenwollen derfelben und Genufs flehen fich darin gegeniiber. Was der Zeit fehlte, die Helena, die Schonheit, erblickt Faufl im Zauberfpiegel 1 Tieffinnig hat fich die Zeit in Fauft nach ihrem Wollen und ihrer Ohnmacht, wie fie vom idealen Streben ins Mate- rielle taumelt und zu Grunde geht, charakterifirt. Spater fchlofs fich an die Fauflfage die vom Ewigen Juden, fafl. noch triiberer Faffung. Diefer Geiil des Mittelalters, dem das Heil fo nahe gewefen war und der jetzt fo handwerklich fich dahinfchleppte, konnte auch nicht recht leben und nicht recht flerben. Es waren Probleme in diefen Volksphantafien aufgefl.ellt, die erfl fpatere Jahrhunderte zu lofen vermochten. Auch diefe neuen Ideen bildeten fich in innerlich zwar ver- bundenen, aufserlich aber nur anreihenden Formen aus gleich der Eulenfpiegel-, Lalenburger-Hiflorie u. dergl. Eine frifche Strdmung ifl auch hier zu verzeichnen. In edlerer didactifcher Weife die Freude am Kurzen, Schlagenden, Humoriflifchen, Q1 Fabel. Satire. Grobianus. an der kleinen (lefchichte fefllialtend, trat Fabel and entfprechende moralifche Erzahlung aiif, ward beliebt und tiichtig ausgebildet. Erasmus Alberus, Burkhard Waldis u. A. zeigen, vvie die ahnlichen Verhaltniffe jetzt wieder, wie ziir Zeit des Strikers und (kmn Boners, wie fpiiter zur Zeit Gellerts, ahnliche Erfcheinungen hervorrufen- Erfatz des Hoch-Idealen durch das Moralifche und Befriedigung der Phantafie wenigflens durch kleine, rund heraus gebildete, lebhafte, allgemein verflandliche, anfchauliche Dichtung. Die eigentliche Aufgabe ware gewefen, die Lufl und Kraft in (liefen humoriflifchen , lebensverflandigen Gefchichten der Wirklichkeit zufammenzufaffen zum realiflifchen, humoriflifchen Roman: kiinfllerifcli alfo einheitlich, nicht bios aneinanderreihend, ein grofseres Lebens- bild zu geflalten. Aber die Deutfchen waren vvie von all' und jedem Kunflgeifl jetzt verlaffen. Auch diefen Roman mufsten fie erfl lange hernach von den Fremden abfehen. Die Spanier fchufen ihn. Von da her ward er zu uns gebracht, im erflen Viertel des nachflen Jahrhunderts. Die Plumpheit und Grobheit der Zeitfitten findet ihren Gegen- fchlag in der Satire. Diefe blieb aber felbfl in der Sphare, mit welcher fie zu thun hatte ; auch hier unkiinfllerifch didactifch, ohne felbftandigen Inhalt, in der Weife Brant's verharrend. Ihren Haupt- ausdruck fand fie im lateinifchen Grobianus von Dedekind (1549), den Caspar Scheid, Fifcharts Verwandter und Lehrer, dann aus dem Lateinifchen deutfch frei bearbeitete. Diefe Grobianus-I-iteratur giebt zufammen mit den Schwankgefchichten einen vvichtigen, aber nicht erquicklichen Einblick in das Treiben ihrer Tage und den Zufland der Gemiither. Gegen dies im Allgemeinen wiiRe Gebahren in Sitte und Wort, wie es des Erfreulich - Ideellen , Erhebenden fo wenig bot, konnte eine Gegenflromung nicht ausbleiben. Sicherlicli mufste man fich aus Streit- und Lehrgedicht, aus wohlgemeinter aber kalter Allegorie ohne rechtes Fleifch und Blut, aus Schwank ohn' Ende und Fabel und dergleichen fehnen nach einer confiflenteren und die Phantafie mehr erfuUenden und feineren Unterhaltung, wo moglich nach Ge- flaltungen, bei denen man in der Phantafie verweilen, mit denen man idealifch empfinden, zu denen man fich hintraumen konnte. Weill mit der Religion nicht Alles gegeben war, wo follte der dergleichen finden? Reaction gegen den Realismus: Amadis. gc Das Alte nicht mehr geniigend, gates Neues nicht \'orlianden. Ja, die Zeit war flir grofse fchone Poefie in feinerer poetifcher Form jetzt nicht durchgebildet genug und in ihrem poetifchen Forni- gefuhl zu (lumpf. \N^enn jetzt z. B. auch Arioflo's rafender Roland, wenn bald TalTo, Camoens iiberfetzt worden waren, wenn von ihnen gute Ueberfetzungen moglich gewefen waren, nichts der Art hatte Befriedigung gewahrt. Als nun aber von Frankreich in den letzten Decennien des Jahrhunderts die Amadis-Romane kamen, Mittelmafsigkeiten, nach der Form Profa, nach dem Inhalt outrirt ideal, (in Ueberfetzung feit 1569) ^ da hatten Viele trotz und felbfl wegen der Mangel, was das Herz begehrte. Die Vorgilnge des 12. Jahrhunderts erneuerten fich jetzt, wenn auch in fchwacherer Weife mit diefen Gebilden der mittelalterlichen Reactions-Phantafie, in welcher der ariflocratifche idealifirende Ritter- geifl gegen den democratifchen plump -realiftifchen erneutes Leben und neue Kraft zu gewinnen fchien und jetzt wenigflens modifche Gewalt erlangte. AUer Mangel ungeachtet — erfl Corneille fand von ihm aus den Fortfchritt zum Ideal des modernen Cavaliers — hatte man hier doch fiir die Phantafie Perfonen in Handlungen mit einem Geifle edlen, feurigen Beflrebens, von feinerer Sitte, aller Rohheit feind, gegen gemeinen Ton und niedere Empfindung in das Extrem gehend. Die Frauenverehrung wird erneut; eine Empfindfamkeit wird beliebt, welche in der Liebe die Helden gleich ohnmachtig werden lafst. Unnatiirlichl aber im Gegenfatz zu dem Grobianuswefen und beflia- lifch-finnlicher Behandlung der Gefchlechtlichkeit beliebt. Die Aben- teuer diefer Romane find meiflens unkiinfllerifch zufammengeflapelt, die Helden find fafl immer Taufendmannertodter, Alles ifl manierirt; aber Extrem liefs eben Extrem erwiinfcht fein. Das alte Uebel aller anerzogenen Bildungen war iibrigens auch hier gleich wieder zu fpiiren: man fchob in diefe Werke Didactik ein. Doch der Fehler zog zu Anfang mehr an, als er abfliefs; in der florenden Ausfiihr- lichkeit der feinen Reden und Sitten der Herrn und Damen hatte man ein erwiinfchtes lehrhaft bildendes Element. Die laxere Moral florte nicht Viele. Leufried in Wickram's Goldfaden ifl keufch. Fur Amadis ifl abfolute Keufchheit nicht fiir nothig erachtet, was fiir Manchen naturlich eine bequemere Idealitat war. Diefe Reaction gegen den plumpen Realismus war felber mangelhaft, gefahrlich und ein Nothbehelf. Q^ Gelehrte didactifch-fatirifche Dichtung. Zwifchen diefen volksmafsigen und modeni-fremdlandifchen Stro- mungen, fchob fich die liumaniflifche, Renaiflancefuchende der gelehr- ten Stande weiter, hier mehr nach diefer, dort mehr nach jener Seite fich wendend, im Grundzug ein didactifches Element feflhaltend. Rollenhagen (1542 — 1609^ ifl in mehrfachen Beziehungen ein guter Reprafentant. Er hat 1566 auf der Univerfitat in der Nachahmung des von ihm und Freunden gelefenen Homerifchen Frofchmaufekrieges feinen Frofchmaufeler gedichtet, diefe Dichtung aber erfl, ficherhch nicht immer zu ihrem Vortheil didactifch erweitert, 1595 herausgegeben, auf Anlafs von Freunden, dafs er damit gegen die Biicher wie « Eulen- fpiegel Oder auch andere Schandbiicher, Pfaff" von Kalenberg, Katzi- porus u. f. w. » wirken foUe. Die BUcke zeigen fich \ollig befangen, dafs man Wiirde der Dichtung und Didactik nicht tnehr auseinander zu halten vermochte, wie man denn audi die Satire durch die darin enthaltene Lehre flutzte. ErgotzUches und NiitzHches neben einander zu bringen, nicht in lebensvoller Durchdringung des Wahren und Schonen, wird fiir die Poefie ganz von felbfl Grundfatz, ohne dafs fchon der Spruch des Horaz als unumflofshcher Grundfatz Theorien nach fich modelte. Es ift. nicht zufaUig, dafs man fich jetzt und in den nachllen Decennien fo viel mit Thiererzahlungen zu fchaffen machte. Man war mit dem Menfchen in fatirifchen, humoriflifchen, lehrhaften Er- zahlungen gleichfam fertig, und je naher bei der Thiergefchichte Scherz und Satire lag, je mehr Reinecke Vofs und Thierfabel anfprachen, je eher kam man darauf, fich formlich in das Thierreich zu fluchten, um es als ein neues Gebiet auszubeuten. Man war darin der nackten Wirklichkeit entriickt und doch mitten im beobachteten Leben, konnte fich freier bewegen, andeuten, verlleckt lehren und flrafen, ohne doch fo allegorifch kalt zu verfificiren oder gar in den Streit der Wirk- lichkeit hineinzutappen. Rollenhagen giebt nach dem claffifchen \'orbild feine frei bear- beitete, mit Didactik und Satire untermifchte Erzahlung, die Lufl der Zeit und die eigne am Fabuliren verwerthend. Schalt man die eigent- liche Handlung aus der unendlich breiten, aber oft iiberrafchend ver- flandigen und kraftigen, weitblickenden, ernflen, vielfach von einem Zug der Trauer umflorten Didactik heraus, fo ergiebt fich ein echt poetifches Werkchen voll Naturfrifche und Naturliebe, trefiflicher Gelehrte didactifch-fatirifche Dichtung. q9 Characteriflik, Lebendigkeit, tiefer Enipfindung und nicht fclten prach- tig humoriflifcher Erzahlungsweife. Die Freude, fich in die Natur zu verfenken, wirkt hier fchon entfprechend der fich jetzt ausbreitenden Landfchaftsmalerei ; Wald und See und Thier- und Pflanzenleben id warm gefchildert. Der Frofchmaufeler zeigt weiter das Bedlirfnifs, die neue Poefie aus einer eingehenden pfychologifchen Behandlung zu entwickeln. Nur findet Rollenhagen die richtige Lofung nicht, weil er Anfchauung und Lehre zu fehr nebeneinander hergehen lafst, die Anfichten der han- delnden Helden in zu breiten Reden und Gegenreden ausfpricht. wozu er nun noch eine im Einzelnen zwar oft fehr hiibfche, das Ganze aber iiberladende Fluth von moralifchen, die Tendenz unter- fliitzenden Nebengefchichtchen hinzufiigt, wodurch die Einheit und der poetifche Eindruck zerriffen und der eigentHche InhaU erdriickt wird. Wie viel des Unbefangen-Klaren, Guten, Verflandigen , Ein- fichtigen aber in diefer zvveiten Halfte des 1 6. Jahrhunderts in Deutfch- land vorhanden war, mag man wohl nirgends beffer als aus dem Frofchmaufeler erfehen. Ein geniales Durchgreifen flatt der Didactik*) und gUickhcher Anflofs hatte fo Manches andern konnen! Der launigen und fatirifchen Thiergefchichten entflanden noch eine Menge. Hier fei nur noch hingewiefen auf Spangenberg's Gans- konig (1607), der die Auflofung der Thiergefchichte zum freien *) Die Theorie der nachflfolgenden Gelehrtenzeit ifl bei Rollenhagen fchon voUflandig vorgebildet, wie er die lehrhafte Wahrheit als fein Ziel anfieht und hinftellt. Man fjihe Mann, Weib oder Pferd, Salomo, Judith oder Bucephal lieber in ihrer beflen Herrlichkeit denn nackt im Bade oder Stall, fo auch die blofse Wahrheit nicht fo gem , fondern mit fonderlichem Schmuck und Pracht. Gleich den alten Hiftorien folic auch feine fein, um Weisheit und Tugend daraus zu lernen. So auch „haben die alten Deutfchen des Dieterichs v. Bern, des alten liildebrandes mannliche Thaten gereimet. Item des Herzogen zu Braunfchweig Hiftorien und andere mehr. Deffen man in welfcher und franzdfifcher Sprach noch mehr findet." Sein Buch fei auch wie der Reinecke Vofs gemeint. — Die An- fchauungen iiber Religionsveranderungen, Revolution , die beflen Staatsformen, ob Monarchic, Ariftocratie, Democratic, Einfchrankung der Monarchic, die Berechtigung der geiftlichen Lehrer in die Staatsangelegenheiten einzugreifen, die Uebergriffe der fich einfchleichenden Geiftlichkeit (Krdten) und Luthers (des muthigen Frofches Elbmarx) Auftreten, die allgemeine Freiheit, wie fie in den Hanfeftadten und bei den Schweizern herrfchte u. f. w. find bei aller Lehrhaftigkeit , abgelofl vom Poetifchen, fehr intereffant, die Belege in Thiergefchichten oft fehr droliig und characteriftifch. L em eke, Gefchichte der deutfchen Dichtung. 7 q3 Gelehrte didactifch-fatirifche Dichtung. Phantafiefpiel unter der didactifch-fatirifchen Einwirkung zeigt, ein Werkchen, das namentlich durch feine Vorrede eine Ueberleitung von den Anfchauungen und Principien RoUenhagens zu denen der nachflen Periode der Gelehrtenpoetik giebt*). Wie die Poefie fich unter den Handen weniger vom Hauch der Renaiffance und des Humanismus beriihrter gelehrter Manner geflaltete, wie fie hier den alten holzernen Reimflil der Pritfchmeifler fortfetzte, im gunfligen Falle an Sebaflian Brants Weife gemahnte, das lehrt niemand beffer als der biedere Bartholomeus Ringwaldt, der auch gegen den Teufel und das Aergernifs der Welt kampfende Dorf- *) Spangenberg liefert in der Vorrede des Ganskonig eine fiir feine Zeit intereffante Abhandlung iiber die Krafte der menfchlichen Seele und den Nutzen der Poefie, die er gegen ihre Verachter vertheidigt. Er theilt mit feinem alten deutfchen Gewahrsmann jene ein nach Geift, Vernunft und Phantafie, worin der Geift nach dem Heil, die Vernunft nach dem zum ehrbaren und gefunden fried- lichen Leben Nothdiirftigen flrebe. In der Phantafie aber trachte die Seele dem nach, was fie chrifllich beluflige und Schwermiithigkeit vertreibe (diefe in ihren Idealen fo zerfallene, ungliicklich fuchende Zeit, die unter dem Bann falfcher Prin- cipien fich abkampfte, mufste die Gemiither vielfach zur Schwermiithigkeit oder zum Anklammern in Einfeitigkeit, an Dogma oder Gefiihl, zur fchroffflen Harte oder zur Myflik treiben, wenn man fich nicht aller Gedanken entfchlagen und wild in den Tag hineinleben woUte); es werde darunter die finnreiche Seele ver- flanden. Aus dem Geifl entfpringe die Theologia, aus der Vernunft die Philo- fophia, aus der Phantafie die Mythologia. Ueberfchreitungen ergeben Ketzerei, Sophifterei und Phantaflerei. Die Phantafie wird von der gefundheitsmafsigen Seite aus vertheidigt. „Denn durch rechtmafsige Phantafie wird viel Unwillen, fo grofse Schwermuth und gefahrliche Krankheiten verurfacht, aus dem Sinn getrieben". Gegen die Schandbiicher richtet fich auch Spangenbergs Zorn ,,die unter dem Schein der Phantafie fchandliche unziichtige Lieder, grobe Zoten, Pasquillen und des Gefchmiers, fo nicht werth, dafs man es nennen foil, mehr leider als wohl gut ifl" bringen. Ehrliche Phantafie und ihre Uebung werde zwar von Vielen, yielleicht wegen Mifsverflands und unnothiger Verachtung des Namens verfpottet, ■ivelche nicht zu unterfcheiden wiifsten und alfo Poeten oder Dichter und Phantaflen fiir eins hielten. Man konne aber durch Poefie die Melancholic vertreiben und viel Wucher, Wunderbiicher, Goldmachen, Freffen, Saufen, Buhlen, Zoten, Sau- glockenlauten u. f. w. Deswegen habe er nach Verrichtung der erflen Haupt- punkte auch die dritte Uebung nicht unterlaffen woUeii Bei Spangenberg erfcheint Frau Phantafie dann zur Einleitung dem Dichter, und Phantafie herrfcht wirklich betreffs der eigentlichen Erzahlung. — Zu Opitz kommt Frau Phantafie nicht mehr; er wagt nur auf fie hinzudeuten, deren Name fchon im iiblen Geruch ftand. In vielem Andern find Opitzens Theorien von Poetik von denen RoUen- hagens und Spangenbergs nicht fo fehr verfchieden. Gelehrte didactifch-fatirifche Dichtung. qq pfarrer zu Langfeld in Brandenburg, wenn er, den allegorifchen Stil bei Seite fetzend oder doch nur im allgemeinften Umrifs fefl- haltend, feinen Auserwahlten den Spiegel ihres Thun und Treibens hinhalt und ihnen die Moral in Knittelverfen predigt. Ringwaldt reprafentirt grofse Schichten des deutfchen Volkes in der zweiten Hiilfte des i6. Jahrhunderts. Gottesfiirchtig in feinem Proteflantismus , befchrankt, von der Cultur nicht beleckt, aber auch gefchmacklos ifl er holzern, biderb, es durch und durch ehrlich meinend, niichtern, aber im Stil der Meiflerfanger nach Hoherem flrebend und in folchem Gemifch von wunderlicher (leifer Phantaflik; er hat zwar eine im Drefchflegelflil treffende Ausdrucksweife, aber ifl ohne air und jede Ahnung poetifcher Sprache, wenn ihn die Lehrhaftigkeit packt, und ifl dann ohne es zu wollen, fo ergotzlich, wie fiir die Cultur- gefchichte der Zeit lehrreich. Beliebt, dida6lifch wirkfam war er feiner Zeit ungemein *). Intereffant ifl. bei ihm der allegorifche Anlauf, den er hinfichtlich *) Wie feinem Dichten das Verbreitern fchadete, fehe man iibrigens an fei- nem getreuen Eckart, der aus der i. Auflage (Neue Zeitung, fo Hans Fromman u. f. w.) um mehr als das fechsfache ausgedehnt wurde, fo dafs haufig der Inhalt eines einzigen Verfes der alteren Faffung feitenlang auseinander gezerrt ifl. Was er in unkiinfllerifchem Dahinreimen leiflen kann, dazu mufs man fein Epithalamium (1595) lefen. Die lautere Wahrheit hat er gedichtet, weil der jiingfte Tag nahe fei (prophezeit war von Johann Regiomontanus fiir das Jahr 1588 ein fchreckliches Notfijahr und diefe Prophezeihung hat viele Gemiither ge- anfligt); er wolle zur Bufse mahnen und lehren, wie ein Chrift fich verhalten folle: Welches ich denn fein nach meiner Macht Hab in ein hiftig Bild gebracht, Dafs einem Jeden ift bekannt Und oft gebrauchet wird zu Land, Als namlich einen Chriflian Vergleichen einem Kriegesmann, Der feine Sach' wohl nimmt in Acht, Dafs er nicht werd urn's Leben bracht. Am characfleriflifchften und bekannteflen find feine Mahnungen wider die Trunkenheit der Deutfchen: Ach wenn die deutfchen Knecht und Herrn Nicht leider fo verfoffen wiir'n, So war kein fchdner Nation Unter des weiten Himmels Thron. Die Befchreibung des Vollfaufens und deffen Folgen gehort zum Draflifchften, was wir in diefem Hiegenden Blatterflil befitzen. 7* jQQ Gelehrte didaclifch-fatirifche Dichtung. der Fabel fcincr grofscren Dichtungen nimmt und der gegen Schlufs des Jahrhunderts wieder auf Kaifer Maximilian und Johann von Schwar- zenberg (f 1528), zurlickweift. Die Zeit in ihren Kampfen, in ihrer Zerriffcnhcit und Leidenfchaft hatte manche Aehnlichkcit mit der Uante's, deflen Nachklange in feltfamer GeRaltung und Abfchwachung man hier wiederfindet. Aber wie eng, beim bellen Willen, ift die Geifleswelt diefer deutfchen Himmel- und Hollen-Dichter zu Ende des 16. Jahrhunderts, wie einfeitig ihr Muth, wie fchwach ihr Schwung, wie gering ihre Phantafie, die das holzerne Geriifl der Fabel kaum mit griinen poetifchen Reifern bedecken und verbergen kann! Derfelbe Ringwaldt aber, der fo felten fich in feinen gereimten Werken liber das Niveau, meiflens nicht tiber das Triviale, Bankel- fangerifche erheben kann, hat bezeichnender Weife als Liederdichter cinen nicht unverdienten Ruf. Der ehrbare, gottesfurchtige Mann fand, wenn er kindlich innig mit feinem Herrgott und nicht im Kanzel- ton zu feinen poetifchen Horern fprach, manches treue, wahre, vom Herzen kommende, zum Herzen gehende Wort. Auch den fmnigen ^^olkston trifft Ringwaldt in manchem Lied. Wenn auch er «in eines Galliardes Thon» dichtet, fo wird es doch ein deutfchthumliches Lied. Wie aber die Gelehrten-Weisheit und Lehrhaftigkeit fchon iiberall hineindringt, andererfeits das Bemuhen, die mangelnde Phatafiewelt durch die wirkliche Naturanfchauung zu erfetzen — in den alteflen chrifllichen Hymnen war fchon ein ahnlicher Zug gegenliber dem Heidenhimmel und deffen Geflaltenreichthuni — das zeigt z. B. fein «fein Sommerlied: 'Gottlob es ifl vorhanden die frohlich Sommer- zeit,» wo eine Reihe landlicher Bilder vom FrUhling, vergehenden Schnee, Spriefsen, von Lerche, Storch, Hafe u. f. w. dann aber auch der Medicus kommt, der Krauter braut, Ader lafst u. drgl. Die weitaus hervorragendfle Erfcheinung aber unter all' den deutfchen Schriftflellern und Dichtern der zweiten Halfte des 16. Jahr- hunderts ifl Johann Fifchart (geboren gegen 1550, geftorben 1589).') Er ifl in fprachlicher Beziehung vor AUem und als Satiriker eine eminente Kraft; er hat eine unverfiegbare Ftille der Anfchauungen, wobei ein wunderbares Gedachtnifs ihn unterfliitzt; bei umfaffender humaniflifcher Gelehrfamkeit ifl. er kerndeutfch nach Gefiihl und *) Nach Wackemagel; J. Fifchart von Strafsburg und Bafels Antheil an ihm — geboren zu Strafsburg, nicht zu Mainz. Gelehrte didactifch-fatirifdie Diclfking.- lOI Sprache; er ifl vol! Ernfl wie voll Witz iind Humor, worin er vom Einfach - Lacherlichen und Derben bis zum tollflen Ausbruch un- gebundener Phantafie die ganze Lufl und Kraft des deutfchen Volkes feiner Zeit wie in einen Brennpunkt in fich zufammenfafst. Er ifl. Freund des Lichts, Hasser der Verdumpfung, befeelt vom gliihendfl.en Patriotismus, voll Leidenfchaft und Herzenswarme , weit gereifl, viel- seitig gebildet, auch der wichtigften modernen Sprachen machtig und ihrer Literaturen kundig, von aufserordentlicher Arbeitskraft und raftlofer Wirkfamkeit — er hat alia Kriifte, welche feine Genoffen vereinzelt befafsen und doch weiss auch er die deutfche Dichtung nicht aus den alten Geleifen heraus und vorwiirts zu bringen. Bei alien grofsen Talenten fehlt ihm gleichfalls die ktinfllerifche und die neue Idee und fo fucht auch er im Ungewifsen herum oder vielmehr kommt nicht einmal zum rechten Bewufstfein, wo und wie er feine gewaltige Begabung hatte verwenden miiffen. Und des- halb war feine Wirkung in der Folge fo gering. Seine Werke werden, obwohl anfangs vielfaltig nachgeahmt, nacli ein Paar Decen- nien fo gut wie vergeffen''), wahrend Manner, die weder an poeti- fcher noch an fprachlicher Kraft irgendwie an ihn reichen, fiegen, weil fie ein neues Princip aufzuflellen und durchzuflihren wiffen. Fifchart blieb den alten Stoffen und deren Weifen getreu und zeigt darin feine Kraft, feinen Witz, feine Perfonlichkeit nach all' feinem Wiffen und Konnen, aber, fortgeriffen durch feine natiirliche Begabung und die ihm zuftromende, fich von felbfl ergebende Fiille, nie Kunft und echtes kiinftlerifches Streben. Streitgedicht, Thier- gedicht, Lehrgedicht, erklarende Reimerei, Erzahlung u. f w., was die Zeit hat und liebt, hat er, Alles durch feine Individualitat gefteigert, durch fein Talent beffer, Einzelnes grofsartig; aber fich einmal zu fammeln, die Einficht und die Kraft, fich «aus dem wogenden Ge- drange zu retten, das zum Strudel zieht», fehlte ihm. Er hatte den Einklang nicht, der aus dem Bufen dringt und in fein Herz die Welt zuriickefchlingt; er wufste nicht aller Wefen unharmonifche Menge aus dem verdriefslichen Durcheinanderklang zu ordnen und das Ein- •■••) Wenn Theobald Hock 1601 noch einige feiner Werke als vielgelefen, aber nicht in befter Gefellfchaft anfuhrt, fo flellt ihn Zincgref 1624 in jener GedichtfammUing, welche unfere neue Poefie einleitete, zu den Alten eines iiber- wundenen Standpunktes, ihn freilich in der patriotifchen Weife der damals Mode werdenden Deutfchverherrlichung preifend. 102 Getekvte didactifch-fatirifche Dichtung. zdne zur allgemeinen Weihe zu rufcn. So lafst er fich vom Stofif beherrfchen; Maafs halten ift ihm unbekannt. Er fo vvenig wie die Andern weifs, dafs diefes Maafshalten als Gefchmack mitzufpre- chen habe, um die Fiille zu befchranken und zu fichten, dafs es auch beim Kecken und Derben gewilTe Grenzen gebe und wahre Dich- tung noch etvvas anderes als Ergotzung und Belehrung oder ein fliegender, fcharf treffender Bolzen zum fpottifchen und hohnenden Verwunden oder das beliebtefle Mittel des Preifens fei; dafs das Schone der Mittelpunkt fiir den Dichter bleibe, aus dem er, wie centrifugal auch fein Beflreben fein mdge, wirken miiffe, davon hat er kauni eine Ahnung oder mag fich doch danach nicht richten. Weder be- wufst noch unbewufst iibt er echte kiinfllerifche Kritik. Und deshalb zeigt er fich zuweilen fo langweilig, fo breit, fo ungebildet-grob, ja unflathig, wie feine gewohnlichflen Genoffen oder Feinde. Des- halb fehlt feinen Schriften alles architektonifche Element. Deshalb lehnt er fich fiir feine grosseren Werke fo gern an Andere, wie denn gerade das Bedeutendfle freie Bearbeitung ifl. Wenn Fifchart es hoch und wiirdig geben will, dann weifs auch er nichts Besseres als Didaktik. Ware er noch eine machtige Perfonlichkeit gewe- fen, dafs innere Leidenfchaft und Kraft ihn, wie Luther, uber die Schranken hinausgetragen hatte! Aber war er auch hoch begabt, in fprachlicher Beziehung ein Phanomen, ein machtiger Charakter war er nicht und deffen Eigenthiimlichkeiten konnten fich alfo auch nicht zeigen. Mochte er darum auch ein Wunder fein in taufendkiinlllermafsiger Gewandtheit, die Sprache zu handhaben nach Ernfl und Scherz, mochte er tiefes Gefiihl und mancherlei richtige Einficht haben, wie feine lyrifchen Gedichte zeigen, felbfl Schonheitsfmn, dafs man an Holbein zuweilen durch ihn erinnert wird, unendliche Frifche und Lebendig- keit — wie z. B. viele Stellen der Flohhatz in fo droUiger und pi- kanter Weife darthun, — mochte er den ehrbaren, treuen Sinn mit hoher Anfchaulichkeit und wahrer Poefie fo riihrend vereinigen kon- nen, wie dies im Gluckhaften Schiff von Zurich gefchieht von der Stella an, wo der Rhein zu den Eidgenoffen fpricht bis zu der An- kunft in Strafsburg und der damit beginnenden Pedanterei, mochte er als freier Satiriker, wie im Gargantua oder als flreitender Satiriker, wie gegen die Jefuiten und ihren Anhang, fich nach Talent und Muth und Laune zu den beften Humoriflen aller Zeiten flellen, MeifterfanfT. Kirchenlied. 103 mochte er in feinen didaktifchen Schriften nocli fo verflandig und zumal verflandig-patriotifch fich zeigen, er konnte bei alle dem seiner Zeit nicht mehr werden, als er ward, konnte der nachstfolgenden nicht mehr niitzen, vvenngleich er fur uns nach den verfchiedenflen Seiten hin eine Fundgrube bleiben wird. Fifchart's Arbeiten find ein Verfpriihen — das letzte grosse kecke Ausfpriihen der Geifler alteren Stils! Zum vollen kiinfllerifchen Bewufstfein ihrer Aufgabe, zur Sammlung und damit zur Selbfl- befchrankung mit Riickficht auf das, was die Hauptfache war, kamen fie nicht. Die nachfle Zeit fchon flellte Fifchart's Werke im Grofsen und Ganzen in die Rubrik nicht bios des alten Stils, fondern auch des groben und poffenhaften alten Stils, und nur bedeutendere Geifler wufsten das Hohere in ihm als Poeten zu fchatzen. Die Neuerer gewohnlichen Schlages wandten fich natiirlich ganz von ihm ab. Zu gleicher Zeit mit Fifchart lebten und dichteten Camoens (7 1578) und Tasso (-i" 1595). Welche Abflande in Leben, Geiflesart und Dichtung! Der Meiflergefang war als Schablonendichtung in dies Jahr- hundert hineingekommen; der Geifl der Reformation drang auch in fein Handwerk hinein und regte Einzelne an, aber die Poefie ward nicht aus dem Ziinftigen, Handwerklichen gelofl, und Ehrbarkeit und gute Abficht und Genauigkeit machen fie nicht. Der Meiflerfang ging nach der Mitte des Jahrhunderts nur immer mehr zuriick; ab^ warts vertrocknend vegetirte er fort. Das deutfche religiofe Lied war, wie gefagt, gleich zu Anfang diefer Periode durch den neuen Geift und Luthers Kraft fo gut wie gefchaffen worden. Mit volksthlimlicher Kraft, aus tiefer Empfindung quellend, wirkte es fort. Die Religion war fchliefslich fiir Viele der einzige Halt des Lebens, der Ruhepunkt, die Erfrifchung der Seele. Es ifl manches Schone denn auch aus diefem religiofen Gefiihl ge- fchaffen worden. Die Schattenfeiten find freilich nicht zu vergeffen. Im Allgemeinen drang in das Kirchenlied zu viel vom lehrhaften Ton und bei dem Uebermaafs des Dichtens, zu dem Jeder fich be- rufen glaubte, zu viel Trivialitat; dagegen fiel die Dichtung hymni- fcher Begeiflerung fchwach aus. Verhaltnifsmafsig find es wenige Dichter, welche liber die Masse hervorragen, wie, von Luther ab- gefehen, Paul Speratus, Nic. Decius, Jufl. Jonas, Nic. Hermann, Helmbold, Paul Eber, Mathefms, Nicolai u. A. Ungeheuer ill. die 1G4 Kirchenlied. Volkslied. Menge der trivial zu ihrem nicht minder trivial aufgefafsten Gott fich vvendenden befchrankten Naturen, deren Frommigkeit recht lo- benswerth fein mochte, aber niemals Poefie ergeben konnte. Die Reformirten wehrten fich, nach Vorgang ihrer franzofifchen Glaubens- briider, gegen diefe feichte, verfandende Ueberfchweminung dadurch, dafs fie fpater nur den Pfalmeniiberfetzungen eigentliche Berechtigung fiir den GottesdienfL geflatteten. Gewifs foil der Werth des evangelifchen Kirchenliedes nicht unterfchatzt werden, aber meint man, dafs der deutfche Volks- charakter, fpeciell der des proteflantifchen Theils, ohne diefe be- fchrankte, fpiefsbiirgerliche, demlithig-knechtifche Kirchenlyrik, die mit dem hochflen Anfehn ausgeflattet war und die von Kindheit an einwirkte, fo zahm, unterwurfig, trivial, phantafielos gevvorden ware,, wie es gefchahr Wenn die Maffen immer und immer wieder mit folchen Ver- fificirungen eines im Durchfchnitt wahrlich nicht edlen Stils geiflig gefiittert wurden in Kirche, Schule und Haus, fo konnte eine schlimme Wirkung fo hoch gefchatzter trivialer poetifcher Erbauung nicht aus- bleiben. Ja, wenn der Geifl der Dichtung fich neu und neu erzeugt hatte, wie er nach Kraft und im geifligen hinreifsenden Siegs- und Schlachtenmuth und nach altem Gefiihl der Gottesminne durch Luther einfetzte! Wenn befeligende, erhebende Hymnen ertont waren, wie in den alteren chrifllichen Zeitenl Aber wie felten folche Klange ! Myfliker und religiofe Genoffenfchaften , in denen es weiter gahrte, waren noch die Haupttrager diefes Geifles, von den boh- mifchen Briidern an bis hinein in die fpateren Herrnhuter und ahn- liche Sekten und Gemeinden. Das Volkslied, welches gegen die Zeit der Reformation eine fo fprudelnde Kraft gezeigt hatte, nahm Theil an dem nachfolgenden allgemeinen Stocken und allmaligen Verfall. Wohl erzeugte es noch immer manches Schone; da es aber nicht vorwarts kam, fank es; fo ganz entfchieden feit Mitte des Jahrhunderts. Die Production war ungeheuer, ging aber nicht aufwarts, fondern abwarts in's Ban- kelfangerifche gewohnlicher Art. Das reine Gefiihlslied wie die Ballade verwilderte. Es gait auch in der Lyrik ein neues Element zu entwickeln. Man konnte beim Naiven und Allgemeinen nicht flehen bleiben. RenailTance-Bcfliebungeti in der Lyrik. IOC Das Bediirfnifs der fubjectiven, gefleigerten Individualitat, eines ho- heren Geifles von weiter Lebensauffaffung und fein durchgebildetem Gefiihl, eines hinfichtlich des ganzen Lebens concentrirten lyrifchen Ergreifens der Natur und des Geifles und eines demgemiifs gebil- deten Ausdrucks machte fich geltend. Ganz abgefehen von dem Gemeinen und Rohen, welches audi im Volkslied anfchwoll, mufste man endlich gleichfam der Feldblumen genug bekommen. Mag nichts entztickender fein als ihr freies Spriefsen und Bluhen und Duften: es find auch die hoherer Pflege bediirftigen Gartenblumen fchon, farbig, duftend. Ohne kiinflliche Zucht und allmalige Accli- matifirung, wie viel wiirde bei uns — und iiberall gilt das Gleiche — nicht bluhen und erfreuen, was wir jetzt guten Glaubens fiir echt- heimathliche Pflanzen anfehen! Es ifl. im Geiflesleben nicht anders. Der Mangel im angegebenen Sinn drangte fchon in der zweiten Halfte des Jahrhunderts , da man in felbflandiger Weife nicht zum Fortfchritt in der Lyrik, weder zur Veredlung im Rein -Lyrifchen, noch im Lyrifch-Epifchen gelangte, zur x^nlehnung an die Fremde, wo man nach Inhalt und Form entfprechendere Weifen fand, als Meiflerfang und Volkslied dem Verlangen der Gebildeten und Neuerungsbediirftigen gaben. Die Versbildung zog eine grofse Schranke gegen die metrifche lateinifche Lyrik. Dessenungeachtet fehlte es gegen Ende des i6. Jahrhunderts nicht an dahinflreifenden Gedanken, auch dies Vers- maass vielleicht fur deutfche Lyrik zuganglich zu machen. Naher lagen freilich die Ergebniffe der Renaiffance in anderen Landern. Einzelne gelehrte, poetifch begabte Manner liefsen fich direct durch die Poefie der Fremden anregen, um nach Inhalt und Form eine Weiterung zu verfuchen. Die franzofifche Poefie lag den Wefl- deutfchen zunachfl. Fifchart durch Geburt, Meliffus durch Wohnort, Manner, als Reformirte zu den franzofifchen Reformirten in naherer Verbindung flehend, begannen nach den neuen Weifen (in Sonett- form u. f. w.) zu dichten. Einen befonderen Einflufs gewann jetzt die Mufik auf die Lyrik. Jene hatte feit der Reformation, theils der neuen Gefiihlsausbildung entfprechend, theils im Bediirfnifs des Gegen- fatzes zu dem Materialismus des aufseren Lebens, auch in Deutfch- land hohen Auffchwung genommen. Der mehrflimmige Gefang ward allgemein beliebt. Die Inflrumentalmufik ward ausgebildet. Die fran- zofifchen Reformirten hatten die Pfalmen (nach Marot's Ueberfetzung) jo6 Renaiffance-Beftrebungen in der Lyrik. zum Kirchenlied gewahlt; diefe Art der Bearbeitung und ihre Com- pofition ward hoch gefchatzt. Paul Meliffus und Ambrofius Lob- waffer (15 15 — '1585) uberfetzten daiiach wieder in's Deutfche, der Compofition wegen fich genau an das franzofifche Versmaafs (fiinf- fufsige Jamben) haltend. Lobwaffer's Ueberfetzung wurde bei den deutfchen Reformirten die maafsgebende.j Paul Meliffus (Schede, 1539 — 1602), hochberiihmt als Gelehrter, lateinifcher Dichter und Staatsmann, von Elifabeth von England fiir ihren Dienft umworben und der ebenfalls von Elifabeth gefchatzte, als Humanifl und Poet hochgeachtete Petrus Denaifius (1560 — 16 10), beide langere Zeit in Heidelberg wirkend, wurden fpater von der neuen Heidelberger Schule, welcher Zincgref vorRand, fiir die Be- ginner der neueren deutfchen Poefie erklart. Meliffus wie Denaifius zeigen in den Liedern, welche Zincgref in feiner Gedichtfammlung mittheilt, das richtige Renaiffance-Beflreben, von der Volkspoefie aus eine lyrifche Entwicklung, eine Verfchmelzung mit dem neuen Ton zu verfuchen. Des Denaifius Hochzeitlied ifl frei und frifch; Meliffus hat Rein-Volksthiimliches, Inniges, Frifches; auch den italienifchen- pompoferen Ton fchlagt er an. Zincgref, fpater in dem mit Denaifius befreundeten Lingelsheim'- fchen Haufe verkehrend, claffifch gebildet und derfelben Richtung hul- digend, knlipfte gern an diefe beiden als Gelehrte fo hoch geachteten und zum Nachflreben auffordernden Manner an, wenngleich diefelben in ihrem Beflreben durchaus nicht einzig daflanden und aufser Fifch- art die Liederbiicher der letzten Decennien des 16. Jahrhunderts eine ziemliche Anzahl nicht unbedeutender poetifcher Leiftungen ahnlicher Art zeigen. Zur directen Nachbildung der italienifchen und franzo- fifchen Formen und ihrer lyrifchen Art ftihrte die Mufik wie bei dem reformirten Kirchenlied, fo auch im weltlich-lyrifchen Gefang. Man nahm fremde Melodien heriiber und bildete freiere oder flrengere Ueberfetzungen ihrer Texte. Dies in den gebildeteren, muficalifchen Kreifen. In den letzten Decennien des 16. Jahrhunderts mehren fich die derartigen Liederfammlungen. Der aufgeb'aufchte mythologifche Stil der fremden Spatrenaiffance, ihr fubjectives Element, ihre Formen (Gaillarden, Villanellen u. f. w.) drangen imnier haufiger in das deutfche Lied ein. Es bleibt in mancher Beziehung fogar merkwiirdig, wie man zu Opitz Zeit die Verfe des fogenannten neuen Stils fo anflaunen konnte, Drama. I07 als ob nicht feit Decennien fchon Gedichte in ftinffiifsigcn Jamben, nach fremder Cafur getheilt, Terzinen u. f. w. gedichtet vvorden waren, fo manche darunter in anfprechender Renaiffance-Empfindung*). Die Aufflellung des Prinzips fehlte freilich und die Prinzipmanner riffen fpater Namen und Einflufs, wie es gewohnlich geht, an fich. Die \'ormanner wurden dariiber vergeffen. Schon 1250 hatte das deutfche Drama, Epos und Lyrik ablofend, vorantreten foUen; jetzt zur Reformationszeit hatte es den Bann der alten Anfchauungen im neuen freien und im realiflifchen Geifle durch- brechen miifien. Es nahm auch einen Auffchwung, als ob hier der Durchbruch zu der neuen Poefie eintreten folle, wie es zum Ein- greifen in die neuen Bewegungen benutzt wurde, aber grade hier zeigt fich das Steckenbleiben fo draflifch. Trotz Nicolaus Manuel, Hans Sachs, Paul Rebhuhn, Nicod. Frifchlin u. A. kein durchgreifen- der Fortfchritt, kein Durchdringen zur dramatifchen Kunfl, kein Er- falTen, flatt vom Stofif allein, von dem Charakter der handelnden Perfonen aus und damit gegenfeitiges Erzeugen und Beflimmen von Charakter und Handlung, von Wollen und Gefchehen. So lange dies aber vom dramatifchen Dichter nicht erkannt oder unbewufst geiibt wird, hat man dramatifche AuffUhrungen, dramatifirte Gefchichte oder dramatifche Lyrik, kein rechtes Drama. Jener gab es denn auch genug und der verfchiedenflen Art. la mannigfacher Weife dabei das Beflreben der Erweiterung, der Entvvicklung. Hemmnifs auf den alten Wegen und damit Anflofs, neue Wege zu fuchen, gab der Umfchwung durch die Reformation, durch welche die dramatifchen Myflerien-Spiele alten Stils bei Seite gefchoben wurden, um nur in einzelnen katholifchen Gegenden weiter zu dauern. Aber das dramatifche Bediirfnifs und die Freude am Schauen, an leben- diger Wechfelrede u. f. w. war grofs. Der aufgeregten, flreitfiichtigen Zeit entfprach an llch fchon der auch in den Streitfchriften gern gehandhabte, der Antike nachgebildete Dialog. Sowohl vom ernflen, wie vom fchwankhaften Spiel ging man vor, vielfach mit fatirifchen, auf die Zeitfragen beziiglichen Nebenabfichten. Selbfl in der Wahl der gewahlten Stoffe fieht man ein richtiges Streben, fich kiinftlerifch *) In: Godeke und Tittmann: Lieder des 16. Jahrhunderts — wird man deren viele finden. ]08 Schuldrama. Volksdrama. freier zu flellen. Das alte Teflament liefert jetzt die meiflen : von Adam und Eva an bis auf die vielbeliebten von Sufanna, Haman und Eflher, Tobias u. f. w.; in folchen Gefchichten konnten die Dichter fich freier ausbreiten und religios unbefangener ihrer pfycho- logifchen Erkenntnifs Rechnung tragen. Ware nur die geiflige Kiihn- heit fo grofs gewefen, wie die Unbefangenheit, mit welcher man Alles nach der eignen Zeit behandelte und Patriarchenthum oder erftes Chriftenthum oder Heidenthum in Ton und Zucht des jewei- ligen Heute behandelte ! Zeigte dies einerfeits ein frifches Verarbeiten an, fo doch anderfeits auch das riickfichtslofe Sichgehenlaffen; nicht aus kiinfllerifchen, fondern aus Motiven abfichtslofer Unwiffenheit ge- iibt, ifl eine derartige Behandlung nicht des Preifens werth, welches oft daran verfchwendet wird. Aufserdem aber wahlte man auch fiir das Schaufpiel Stoffe aus Novellen und felbfl alteren Volksiiberlieferungen: es war der Weg, der in England zum felbflandigen volksthiimlichen Drama fiihrte. Bei uns fehlte jedoch die wahre kiinfllerifche Nothigung. Das Ein- greifen gelehrter Dichter nach Aeufserem (Eintheilung, Benennung, Versformen u. f. w.) wie nach fonfligen Verfuchen konnte daran nicht viel andern. Rebhuhn kam in der Hauptfache nicht viel weiter als Hans Sachs, und Frifchlin, der ein chrifllicher Terenz zu werden im Sinn hatte, lofle ebenfo wenig das dramatifche Problem. Im Grofsen und Ganzen fpaltet fich das Drama nach Schul- drama im eigentlichen Sinn des Worts als Drama fiir die Schule und dramatifch-draflifchem Spiel fiir das Volk. Janes befchriinkt fich mehr und mehr im Ueberdrang der Gelehrfamkeit auf die lateinifche Faffung. Schulmanner dichten, vor Allen an die lateinifchen Komiker kniipfend, lateinifch ; Lateinfchiiler fiihren die Stiicke auf; Schulfeier- lichkeiten geben die Veranlaffung; als Zweck gilt Gelegenheit zu fchaf- fen fiir fliefsenden lateinifchen Converfationsflil und Gedachtnifsiibung. Mufste hier in der Gelehrfamkeit und fremden Sprache das echte dramatifche Leben fchwinden, — verlaufene Gelehrte, welche als Schaufpieler und Schaufpieldichter ihre Studieh verwertheten, wurden fiir Deutfchland erfl fpater wirkfam — ward das Holz hier diirr, fo blieb der andere Zweig, der des Volksdramas, grtin untauglich. Auch aus diefem geflaltet fich nichts heraus; es wird Vaganten-, Poffen- reifser-Arbeit oder bleibt Handwerker-Unterhaltung im alien Fafl- nachtsflil. Die englifchen Komodiaiiten. lOQ Elide des Jahrhunderts dringt das englifche Drama heriiber; durch Sprache und Gefchmack der deutfchen Horcr von vornherein befchrankt. Trotz der Anregungen, welche es giebt, die fich fur die volks- thiimliche Dramenverfertigung Jacob Ayrer's und die im Renaiffance- Oefchmack gedichteten Dramen des Herzogs Heinrich Julius von Braunfchweig befonders wirkfam zeigen und die das Drama bis an die Schwelle der neuen Zeit fiihren, keine weitere Entwicklung, kein Durchbruch. Das deutfche Publikum war ftir das grofse englifche Drama, wie es Shakefpeare und feine bedeutenden Genoffen geflalteten, nicht reif. In Deutfchland war kein London; in Braunfchweig und Kaffel, wo englifche Schaufpieler in Hofdienfl flanden, fehlte dem Hof das Volk; anderwarts fehlte dem Volk der Hof, um wie in England das Kraftige, Volksthlimliche mit dem Feineren, Schwungvollen, Idealeren zu vereinen. Die englifchen Komddianten waren in fremden Landen, wenn fie auch Ueberfetzungen gebrauchten, befonders auf das Schauen der Zufchauer hingewiefen. Auch bei ihnen hing das Schaufpiel als Handwerk vielfach mit dem alten Jongleurwefen zufammen: fechten, tanzen, fpringen, Clownflucke kamen aus diefem vielfach heriiber (und fetzten fich in Deutfchland bis auf Schroders Zeiten fort). Fiir die Maffe war dies neben der Action ein wichtiges Anziehungsmittel. Die Folge war, dafs man alles auf das Schauen Berechnete aus- dehnte und eine wiifle Stoftanhaufung feltfamer, burlesker und fchreck- licher Thaten einrifs, die durch entfprechende himmelfchreiende oder niedere dialogifche Rednerei zufammengehalten ward*). Pedanterie und Rohheit, um es fcharf nach den Extremen zu bezeichnen, waren auch im Drama gegen Ende des Jahrhunderts herrfchend. Die Gegenflromungen, refp. Erganzungsbemiihungen fehlten nicht. *) Marx Mangoldt in feinem Marktfchiffs Nachen zur Meffe von Frankfurt, von „Teutfch-Athen" (1596) berichtet z. B. von der Comodie von Sufanna, Kaifer Octavian, dem Ritter Galmy vvohlgethan, iiber das englifche Spiel mit Jan dem Narren, der mit Poffen fo excellent ifl. Mit fehr derbem fpeziell auf die Frauen gefiihrten Hieb fagt er: Viele gehen nicht wegen der luftigen Comodie oder der Mufik und des Seitenfpiels (!) hinein, fondem wegen der Poffen des Narren und des Springers glatten Hofen. I lO Dramatifche Aufziige. Bei den Katholiken nahm neben den, gleichfalls von der Schule aus- gehenden Reflaurationsverfuchen des Jefuitenfchaufpiels die offentliche, dramatifirende Proceffionslufl wieder zu. Unter Wilhelm V. von Baiem wurde z. B. das Fronleichnamsfefl mit ungeheurem xA.ufwand ge- feiert"*) und Adam, Eva, Heilige des alten und neuen Bundes, Gott Vater und Sohn, i6 Gottesmlitter, dazu Gotter, Riefen, Pharaonen, Pharifaer u. f. \v. hatten mitzuwirken. In Siiddeutfchland fchoben fich an die katholifchen Hofe italienifche Schaufpieler vor, z. B. unter Albrecht V. von Baiern. Die Hofe und hoheren Kreife fuchten durch Mummereien, La- ternen- und Schwerttanze u. dgl. zu erganzen, was ihnen neben den etwaigen Schul- und englifchen Dramen abging — von Jagden, Hetzen, Saufgelagen u. dgl. abgefehen. Auch die Mufik mit ihrer idealeren Macht ward vvirkfam und nach italienifchem Vorbild von den Hofen gepflegt. Befonders aber fprach fich die idealiflifche Re- action in diefen Kreifen aus in jenen feltfamen, gleichfalls nachge- afFten, mit ungeheurer Pracht gefeierten Ringelrennen und dabei ge- haltenen Aufzugen und Dramatifirungen, in vvelchen eine neue Ulrich von Liechtenflein-Don Quijotiade fich entwickelte — eine Vergeu- dung von pecuniarem Aufwand und Phantafie, in dem Ernfl, womit dies Spiel getrieben wurde, fo lacherlich, in der unblutigen Amadis- vornehmheit fo unfmnig, dafs fich nichts Unniitzeres denken lafst. Die voile kiinfllerifche Reaction tritt aber im Drama erfl zur Zeit des Martin Opitz ein und zwar aus der Fremde heriibergenom- men, im extremflen Gegenfatz fowohl gegen die langweilige Lehr- haftigkeit des Schuldramas wie gegen den Realismus und halbkiinfl- lerifchen Mifchmafch des Volksdramas: in der Oper. Sieht man auf all diefen Gebieten die ungelenken Bemiihungen der Deutfchen der 2. Halfte des 1 6. Jahrhunderts, dann fallen Einem die Verfe des Marx Mangold ein, die er bei Gelegenheit des Riihmens deutfcher Kunflfertigkeit in Uhren, Goldfchmiedsfachen, Inflrumenten, Biichern u. f w. zum Beflen giebt: Wie wohl d' Italiener fagen, Dafs die Teutfchen ihr Him tragen Auf den Fingern, ihr Witz, Verfland Allein erweifen mit der Hand, Seien uneelehrt und unerfahren. *J Sugenheim Baierns Kirchen- und Volkszuflande im 16. Jahrhundert, Die deutfche Poefie Ende des i6. Jahrhunderts. Ill Der Vorwurf foUte noch auf lange hin, nur noch uneingefchrankter, von den Fremden wiederholt werden. Das war die Lage der Dinge in Deutfchland hinfichtlich der Poefie. Man war (lecken geblieben in dem, worauf die Stromung gegangen war und ging den andem Nationen gegenliber zuriick, flatt vorwarts, Eine Zeit lang, gegen das Ende des i6. Jahrhunderts trat fogar auch aufserlich eine Paufe ein, dafs in grofseren poetifchen Werken etwas zu leiften auch nicht einmal ein Verfuch gemacht wurde. I. Yon Opitz bis Gottsched, Lemckc, Gcfehlchtc der deiitfchen Dichtung. 1. Die poetischen Stromungen zu Anfang des 17. Jahr- hunderts. Aus dem grofsen Ringen des i6. Jahrhunderts und der dann eintretenden Erfchlafifung war auch in Deutfchland, wie fafl iiberall, das Fiirflenthum gegen alle anderen Gewalten hoch gefleigert hervor- gegangen. Die errungene Macht follte erfl der Anfang zu einer immer wachfenden Ueberhohung fein, die fiir ein in Wahrheit frei- heitsliebendes, bis dahin nicht bios gegen jedes Joch, fondern nur zu fehr auch gegen verniinftige politifche Befchrankung des Selbfl- willens widerfpenfliges Volk befchamend ward. Die Gegenfatze mufsten fich gegenfeitig flrafen und vernichten. Die Kirche hatte fich bei Katholiken und Proteflanten in den Schutz des Fiirflenthums gefltichtet, (larkte dadurch deffen Macht und ward vielfach die Seelenpolizei fiir den Abfolutismus ; fo lange fie mit dem helfenden Bundesgenoffen zufammenging, beugte fie die Geniiither mit aller Kraft in das Joch der Gewalt, durch welche fie Nutzen erhoffte, wie die Staatsgewalt ihrerfeits ihre Angehorigen dem Geifleszwang der Kirche mit aller Gewalt unterwarf. Die Jeluiten dominirten nur zu fehr an den katholifchen Hofen. Aus den pro- teflantifchen Befferern der erflen Zeit wurden Hoftheologen. Die Reformirten unterhielten, ihrem Urfprung gemafs, noch zumeift. einen andern Geifl, der in Genf und den Niederlanden wirkfam war und in Schottland und England feine machtigen Wirkungen iiben, auch in Deutfchland in anderer Weife in den Beflrebungen der grofsen Furflen des Haufes Brandenburg erkennbar werden follte. Der deutfche Adel in feiner politifchen Ziellofigkeit und in feinem Privilegien-Eigennutz, der ihn von der Maffe des Volkes trennte und zu den Privilegirteflen drangte, fchleppte mehr und mehr im Fahr- waffer der Fiirfllichkeit nach. 8* I l5 Fiirflenthum. Gelehrtenthum. Geiftlichkeit. Das Volk, von Staat unci Kirche zufammen bedriickt — auch bei den Proteftanten die Leitung feiner religiofen Angelegenheiten aus der Hand gebend und dem Staat und dem kaflenmafsig fich gerirenden Predigerflande (iberlaffend — ■ verlor der obrigkeitlichen Gewalt gegeniiber fein altes Freiheitsgefiihl, den btirgerlichen Stolz und den bauerlichen Trotz. Nur ein Stand hatte neben dem Fiirflenthum und bald mit ihm fein Anfehn nicht bios gewahrt, fondern feine Macht gefleigert. War jenes mit dem Scliiefspulver, fo war das Gelehrtenthum mit der Buchdruckerkunfl zu feiner Macht gelangt. Die Veranderungen der neuen Zeit, welche in fo vielen Beziehungen auf die Ordnungen der antiken Welt zuriickgingen, machten nicht blofs im Wiffen, fondern auch fiir das politifche Leben das claffifche Wiffen zu einer Macht und die Gelehrten zu unumganglichen Lehrern, Rathgebern und je nachdem brauchbaren Beamten. Der Nachtheil, der aus folcher, doch flets halbtodten, heranfludirten Biicherweisheit flofs, konnte nicht ausbleiben, wo ihr ein derartiger unmittelbarer Einflufs geflattet wurde. Dort, wo ein grofses Volks- oder Staatsleben herrfchte, war derfelbe nicht zu furchten; das Heilfame ward aufgefogen und fruchtbar ge- macht. Aber er mufste eintreten, wo von unten herauf nicht felb- flandige Krafte entgegenwirkten und flatt Forderung eine Beherrfchung durch die todte Weisheit eintrat. Weil in Deutfchland die Gegen- wirkung fehlte, gelangte ein bureaukratifches Gelehrtenthum zu einer iibermafsigen Herrfchaft, wie fie nicht in England, nicht in Frank- reich, nicht in Holland flattfand, obwohl gerade in Holland der Hu- manismus feine Bliithe auf dem ihm eigenthiimlichen Gebiete des Wiffens fand. Unter dem Einflufs diefer Machte, der Geilllichkeit, des Fiirflen- thums und des dem Volksleben entfremdeten Gelehrten foUte denn auch die nachfle poetifche Entwicklung Deutfchlands flehen. Da die geiflliche Bewegung lahm geworden war, da Fiirllen und Ge- lehrte fich im Fremdwefen befangen zeigten, war auch das Schickfal diefer Entwicklung befiegelt. Nicht ein junger Privatgelehrter Martin Opitz oder ein Profeffor der Literatur Buchner oder eine CUque wie die der Heidelberger Freunde von Opitz hat die neue Literatur ge- macht. Sie i(l geworden und unter den leidigen Verhaltniffen, aus denen fie fich entwickelte, kann, mufs man die einreifsende gefchmack- lofe Fremdherrfchaft befeufzen, aber darf nicht Einzelne, gefchweige Reges Leben zu Anfang ties 1 7. Jahrh. I j 7 einen Einzelnen anklagen, als ob er nun Schuld daran triige. Das ganze Volk trug die Schuld. Was 1624 fiegte, konnte nur fiegen, weil die Deutfchen fich nicht auf der nothwendigen geifligen und Character-Hohe gehalten hatten. Um das Jahr 1600 beginnt man allerdings fich nach einer kraf- tigeren Entvvicklung zu fehnen und zu regen. Und eine Zeit lang fcheint es, als ob man auf eine fchonere Renaiflance in Cultur und fpeciell in der Poefie rechnen konnte, als die id, welche den Sieg gewinnen follte. Vor dem dreifsigjahrigen Kriege hatte Deutfchland eine verhalt- nifsmafsig gliickliche Zeit. Das politifche Leben war bewegt, un- ruhig wiihlerifch, zum Theil leichtfmnig, aber ohne fchwere Schadi- gungen; es gab keine grofsen inneren Kriege. Man war liber die chaotifchen Zuflande auf der Grenze von Mittelalter und Neuzeit in den wichtigflen Beziehungen hiniiber gekommen und die Verhaltniffe begannen fich zu ordnen und zu klaren ; die fiegreichen Elemente drangten vorwarts; die andern fligten fich oder fuchten Erfatz. Im Fiirflenfland, bei den Gelehrten, auch im Volk fetzt man zu weiteren Bildungen an; dort wie hier fcheinen die durch die religidfe Bewegung fo lange aufgehobenen Machte, jetzt allerdings modificirt, wieder kraftiger eingreifen zu wollen. Es ifl, die alte Renaiffance- bewegung, in manchen Beziehungen unter modifcheren Einfliiffen der jetzigen Barockzeit, in andern wieder ziemlich felbftandig, hier ein- feitiger, dort umfaffender, hier ernfler und inhaltsvoller, dort lockerer, zufalliger oder leichtfertiger, hier freier, dort durch religiofe Anfichten und Abfichten befchrankter. Am durchgreifendflen mag fie unter den Flirflen bei dem Land- grafen Moritz I. von Heffen gefunden werden*); vor ihm aber hat fie fchon feit Mitte des Jahrhunderts an den Hofen von Heidelberg, Miinchen, Dresden, Prag, Stuttgart u. f. w. fich bethatigt. In deutfcher Sprache poetifch wirkfam fahen wir fie fchon bei dem Herzog Heinrich Julius von Braunfchweig, dem Dramendichter. Aber auch die Gefammtmaffe des deutfchen Volkes trat an- *) Rommel's Gefchichte von Heffen IV. 2. (Landgraf Moritz L) gewahrt die treff lichfte Einficht in diefe Renaiffancebewegung. Das Studium diefes Werkes wird fehr forderlich fein fiir diejenigen, welche eine Leere in ihren Anfchauungen hin- fichtlich der deutfchen Zuftande um das Jahr 1600 gewahren. 1 1 8 Frifche poetifche Beftrebungen. geregter in das 17. Jahrhundert hinein. Es hatte Zeit und Mufse gehabt bei dem langeren FriedenszuRande fich zu fammeln und fremde Ereigniffe, die Stromungen der Zeit auf fich wirken zu laiTen. Verfchiedentlich pulfirte ein regeres, froheres Leben, das fich aRhe- tifch zu geflalten fuchte. Durch Vermittlung der Religionen kamen Anregungen von Aufsen. Ganz allgemein hatte der Proteflantismus durch die Freiheitskampfe der Niederlande, durch Heinrich IV. in Frankreich, durch die Seefiege Englands (iber PhiUpp von Spanien einen kraftigen Impuls in Bezug auf die Sicherheit feines poUtifchen und religiofen Lebens bekommen; vor Allem die Reformirten. Zu ihnen drangen, zumal von den Niederlanden her, mannigfache an- regende Einfliiffe. Kraftvoller, lebendiger fah man den Zeitkampfen entgegen; beherzter nahm man fie auf, dem Gliick vertrauend. Bei den deutfchen KathoHken wirkte dagegen der neukatholifche Auf- fchwung; die ganze geiflige und zumal kiinfllerifche Regfamkeit von Itahen und Spanien Rand hinter den fuddeutfchen Katholiken und machte im AUgemeinen das friiher dem voUigen Abfall zugeneigte oder mit Gewalt beim alten Glauben erhaltene Volk feines mit alien Mitteln und nach alien Richtungen des GeiRes und der Phantahe wirkenden Glaubens wieder froh. Die Jefuiten befonders waren es, welche die Richtungen der Zeit fiir ihre Zwecke zu nutzen und des- halb die Leitung an fich zu reifsen wufsten. Sie hemmten nicht; fie gingen anfcheinend voran, fie machten die Bahn, um die Stromung fo zu faffen, fo zu leiten, wie fie fie haben wollten. In diefer Weife machten fie diefelbe fich dienRbar; die heutige Zeit fah und fieht Aehnliches auf politifchen Gebieten. Sonderbar genug und fchwierig, fie nach dem Neben- und Ineinander- und Gegeneinanderlaufen in ihren alteren und neuen Flufsbetten zu zeichnen, find die BeRrebungen, welche von 1600 bis zu den traurigen Einwirkungen des 3ojahrigen Krieges poetifch Ausdruck fuchen und finden. Sieht man von Meliffus und DenaiRus ab, durch welche der Ruhm der neuen Literatur an das fchone Heidelberg (auch in der Architektur eine HauptRatte der Renaiffance) gekniipft wurde, fo be- gegnet uns zu Anfang des Jahrhunderts ein Dichter, der feiner Zeit weit vorauf in vielen Beziehungen die Lofung der Lyrik gefunden hat, nach der man fpater fo emfig Rudirend fucht. Sonderbarer Weife iR er feinen Nachfolgern nicht bekannt oder ward doch von Renaiffance. Neue Lyrik. Theobald Ilock. I £q Keinem genannt und anerkannt. Er dichtete in dem jetzt noch fo reichen, bewegten, von einer glanzenden Ariflocratie und kuhnen Neuerern beherrfchten Bohmen. Es ifl dies der Pfalzer Theobald Hock (1573 bis nach 1618), eine der intereflanteflen Erfcheinungen der deutfchen Poefie diefer und der nachflen Zeit, ein Geifl, der, wie wenn es fich von felbfl verflande, nun plotzlich mit feinem sub- jectiven Denken und Empfinden die Welt und die Dinge ergreift, mit einer geifligen Freiheit und nach einer innerlichen Giihrung, dafs ihn darin kein deutfcher Lyriker feines Jahrhunderts , auch Paul Fleming nicht iibertrifft.*) Unwillkiirlich wird man, wenn man in den Geifl eines Hock zu dringen fucht, an die merkwurdigen Vorlaufer der neuen mit dem 17. Jahrhundert fich entwickelnden Philofophie erinnert, an die kiih- nen felbdandigen Denker und fomit Ketzer, die wie ein Giordano Bruno auch die deutfchen Geifler erregten. Hock kennt die italienifche und franzofifche Poefie, fchliefst fich ihren Formen an, ift. aber durchweg frifch naiv. Wie er angefangen, mit Befferung feiner Schwachen und Vermeidung feiner Fehler, hatte man fortfahren follen, verfuchte man freilich auch hie und da. Er ift. ein Mann der neuen Zeit und des neuen, aus dem groben Realismus der Sitten und Auffaffungen hinausftrebenden Geift.es, fein Gefchmack renaiffancemafsig-vornehm, mehr hofifch als fchulgelehrt. Er dichtet mit vollem Verftandnifs der Lage und der Gefchmacks- richtungen. **) Es bedurfte feines raehrfachen Spottes gegen die Bauem nicht, um zu wifl'en, dafs er fiir die neue feinere Cultur, *) Er dichtete in Bohmen, wo er als Sekretar angeftellt war, fein „Schones Blumenfeld", unter dem verftellten Namen Otheblad Oeckh. Sicherlich fchadete die Unkenntnifs feines wirklichen Namens feinem Rufe; ging es doch auch Fifchart •wegen feiner Namenverkleidungen ahnlich. Zincgref kennt Hoeck nicht. Die Kreife, in welchen Opitz erwuchs, konnten des in Schlefien mit Mannem der Wiffenfchaft und Literatur befreundeten Hock's Gedichte und fomit auch feine Bemerkungen hinfichtlich des Metrums u. f w. kennen. Opitz erwahnt feiner nirgends. **) Als beliebtefte damalige Lectiire nennt er: Rollwagen, Gartengefellfchaft und ihr Wefen, Nachtbiichlein voll Poffen, Wendunmuth, Fortunat, Fauft, Pfaffen von Kalenberg, Hiirnen Siegfried, Marcolph, Eulenfpiegel, Centonovellen, Narren- fchiff, den Spitzn Pantagruel und aller Prackkumeter, dann Plautus, Martial, Nafo, Terenz, Juvenal. Die deutfchen wie die lateinifchen Biicher zeigen die Vorliebe der Zeit. J20 Neue Lyrik. Theobald Hock. gegen das Grobianunwefen und deflen Geleit einfleht. *) Manchmal erinnert er an die gute mittelalterliche Lyrik, manchmal durch feinen Rhythmus an die Italiener. Wie er das Gedankenhafte verarbeitet, ohne alien Schwulfl, ohne alle Tirade, fern von der herkommlich breiten didactifch- moralifchen Weife, id oft geradezu merkwiirdig. Von den letzten gefchichtlichen Gedichten abgefehen, findet fich bei ihm keine Spur lehrhafter, fpiefsbiirgerlich-moralifcher Pedanterie; es ifl ein freies, modernes Wefen, ein heiterer, lebenskriiftiger Epi- curaismus, abwechfelnd mit ernflen, iiber Leben und Tod, die Miih- feligkeit des Menfchenlebens, die Nothwendigkeit der Arbeit, Unter- fchied von Menfch und Thier u. f. w. philofophirenden, wehmiithigen Gedanken, iiber welche dann doch wieder frifcher Sinn und Humor fich erhebt. Nichts darin von nachgeahmten oder abgefchriebenen Sentenzen, von philofophifcher Wichtigthuerei , fondem echte Ge- dankenhaftigkeit, und doch wieder fo verfchieden von den fpiiteren Klagelitaneien , wenn er iiber Leben und Tod in Scherz und Ernfl fpricht, das Leben beweint, wie er gleich im Bad hatte ertrankt werden mogen oder wiinfcht, todt geboren zu fein, wenn er die Dauer der Manner aus Cadmos Drachenzahne-Saat preifl,, oder fich wundert, dafs die Thiere der Circe, (ein beliebter Vorwurf, auch bei Rollenhagen eine hiibfche Stelle) wieder Menfchen werden und in das Elend des Lebens, welches fie doch kannten, zurtickkehren mochten, wenn er den Menfchen und das Thier nur als im Reden und im Kleiden unterfchieden nennt und den Menfchen dafiir auf die Beflrafung feiner Siinden, trotz all' feinem Gefchlecht, feinen Aemtern und feiner Weisheit verweifl, wenn er dem Hofleben das: langer Hofmann, alter Bettler — entgegenhalt, oder die Vergang- *) Ein Ton Neidhard's geht hie und da durch feine hofifchen und philo- fophifch-lyrifchen Weifen. Nr. 49 fingt an Riden Wendlen, fond an Lienl Baurn : So denn ein grober Baur von Art Ein' folche edle Rofe zart Abbrechen fchier, das war kein Zier, Die einen Ritter zieren thut, Was foil der Kuh die Muscat gut — Ei, in ein Kummt gehort ein Stroh — und: Ei'm Efel thun's Dieftel wohl lautet der Schlufs der nachflen Verfe, in denen er dem Bauern rath, eine tiichtige Viehmagd als fiir ihn allein paffend zu heirathen. Neue Lyiik. Theobald I lock. 12 1 lichkeit aller Dinge hervorhebt und, was er gern thut, an den Tod mahnt, der liber alle kame, wir mogen weinen oder lachen. Im Jammer und Jubel der Liebe id er reich/) Wie er gedacht, er konne von Amor's Siicht frei werden: *) Gleich das eifle Gedicht: Ungliick ihiit die Augen aiif — mag eine gute Anfchauung feines Stils geben. Es find fiinffiifsige und dreifiifsige Jamben, wie man trotz der Elifionen und der Freiheit der Betonung fogleich erkennt, in italienifch Aveicher Form, oft wie Ueberfetzung. Alle, die ihr habt ghort hie oder gefehen, Was mir vor Zeiten gfchehen, Was ich in Lieb fiir Freud und Leid ausgeftanden, Und mir oft kam zuhanden, Da ich noch war ein anderer Menfch befunder, Als der ich bin jetzunder. Ja ihr, die ihr mein elends Leben und Wefen Mein Klaggedicht habt glefen, Mein Seufzen, Weinen, Singen, Angft und Schmerzen Auch ihr die ihr ohn Scherzen Verliebt feid und das Spiel auch habt erfahren In euren jungen Jahren — Wundern foil euch, wie Gott fo feltfam handelt, Dafs ich fo gar verwandelt, Auch bin verkehrt, als war ich der nie gwefen, Der g'lebt in Liebes Wefen, So gar hab ich von Lieb durch Gottes Giite Abgewandt mein Sinn und Gemiithe — — — Dann folgen aber viele Lieder — , aus denen, die er „vor gedichtet, von Lieb und Liebes Art, von Frauenlieb fo zart"? — wie: Selig und aber felig ifl der Leibe — — In Summ, wo die Brufl, Mund, Augen zufamm' fich fchmucken, Auf d' Fiifslein treten und die Handlein drucken, Da frag, was ghort zur Sachen, Die Freud ganz zu machen, Das man mocht lachen. Keckes lauft darunter; fiir die Zeit aber ifl er merkwiirdig decent. Ernfl; fingt er: O Recht, o Recht, o Gerechtigkeit! Wo foil man dich jetzt finden! — • Oder: 122 Neue Lyrik. Theobald Hock. Zwei Augen, zwci Hand, ein Rofenfarbener Munde Mich tJiglich machten wunde. Acht Jahre habe er irreiid umgefchweift am wilden Meer der Liebe, gleich wie Ulyffes, bis er den Faden aus dem fchweren Orden ge- funden habe. Jetzt aber fieht er: all' Lieb und Freud der Weldte, fei gleich dem Gras am Felde. Vergeffen kann er aber den alten Orden doch nicht und Keckes und Ueberkeckes weifs er noch ■daraus zu melden. Die Freiheiten, welche er fich in Vers- und VVortbehandlung nimmt, find fiir uns anfangs fehr unbequem und Eindruck florend. Doch wird man bald finden, dafs man es bei ihm durchaus nicht mit der damals graffirenden Knittelvers-Willkiir und -Ungefchicklich- keit zu thun hat und dafs er rhythmifche Gefiigigkeit, Ohr fiir Melodic befitzt und Metrum, Cafur u. i. w. beobachtet, wo man es auf den erflen Blick nicht vermuthet. Id auch durch Provinzialis- mus das Verfchlucken der flummen «e» iibermafsig, fo befolgt er Lafs jeden bleiben, wer er id, So bleibft auch du wohl, wer du bid, Es heifst, fchweig du, l"o fchweig ich auch, Was dich nicht brennt, das bias nicht b'hend, Nachreden id ein bofer Brauch. — Trotz Freidank kennt er Leben und Welt: O Welt, o Zeit, o Gliick, o Lieb, o Todte, Wie bringt dein Pfeil uns oft in Angft und Nothe Eragen nach keinem Spotte, Was foll'n vvir denn draus machen, Wir mtiffen flerben, wir weinen oder lachen. Eiir die Gleichheit (Jeder ifl aus der Arche Noa geboren und jeder mufs flerben), gegen die Bevorzugung des Adels u. f. w. tritt er mit echten politifchen euden er- geben, den feineren Freuden und Kiinften abgeneigt fei, war eine alte Klage. Vom Ausland lerne er hauptfachlich die Lafter, Duelle, Unfittlichkeiten, Verachtung der Heimath u. f. w. , auf die Univerfitaten komme er unvorbereitet und konne daher auch dort nichts Rechtes profitiren. In Frankreich war, zumal feit Montaigne (1533 — 92) ein neuer Geift in die padagogifchen Anfchauungen gekommen, der, getragen im Allgemeinen durch die grofse italienifche Renaiffance nach Deutfchland iiberfchlug und hier zugleich mit Baco's Eintliiffen mannigfach anregte, auch in Ratichius und Comenius wichtige Schulen zu bilden fuchte. Moritz von Heffen hatte fchon 1599— 1605 den Anfang gemacht, ein Hoffchule-Collegium, eine Art Pagenanftalt in Marburg zu errichten. 1618 richtete er diefelbe wieder in Caffel als Ritterfchule auf. Darin ward ge- lehrt: lateinifch, griechifch, franzofifch, italienifch, Logik, Dialedtik, Rhetorik, Naturwiffenfchaft , Mathematik, Aflronomie, Kriegswiffenfchaft , Gefchichte, Sitten- lehre, Staats-, Haushaltungskunfl, Gottesgelahrtheit, Reiten, Fechten, Tanzen, Vol- tigiren und Mufik. Moritz felbfl, der nebenbei bemerkt 1601 zu Heidelberg einen Mafsigkeits- Orden fiir hohe Herrn ftiftete, der fiir jede der zwei Mahlzeiten nur (!) 7 Becher des Tages erlaubte, Diinnbier, Sauerbrunn, Waffer, Juleb nach Bediirfnifs, doch nie zum Vollfaufen, von Branntwein, ftarkem Wein und llarkem Bier nur ein Glas — Moritz trieb Lateinifch, Franzofifch, (konnte auch Griechifch), Englifch, Italienifch und Spanifch. Er las Petrarca, Ariofi;, Taffo. Er verfafste eine lateinifche Metrik, eine deutfche Sprachlehre, war Purifl im Deutfchen, trieb Mathematik, Landvermeffung, Optik, Botanik und Alchymie. Petrus Ramus war bei ihm beliebt. Er hielt glan- zenden Hof, hielt Fufsturniere, Ringelrennen , allegorifche Aufziige, Feuerwerke, aber liebte nicht die damals modifchen Trinktreffen und Schaueffen (Auffatze von Teig oder Wachs u. drgl., mit Wohlgeriichen oder lebendigen Thieren, oder dem Hofzwerg u. f. w. ausgeftopft). Er baute ein Theater, fiir welches er felbfl Tra- godien, meift in lateinifcher Sprache, fchrieb, worin die Zoglinge der Hof- und Ritterfchule und Englandifche Schaufpieler Stiicke aufluhrten. Er liebte die Ton- kunft, hatte franzofifche und italienifche Meifler, bildete einen Sangerchor, hatte die befle Kapelle — aber auch 12 Trompeter und 2 Pauker, welche beliebtefle Art Mufik der deutfchen Fiirflen den fremden Reifenden fo oft ein barl:)arifcher Werder. (Ueberfetzung des TafTo und Ariofl.) jQ-i beamter, Stallmeifler, Soldat, Hofmarfchall, Diplomat und Botfchafter am Hofe zu Caffel, dann von 1631 — 35 Oberfl eines im fchwedifchen Dienfle kampfenden Regimentes, fpater Anhaltinifcher Staatsbeamter. Er flarb auf feinem Gute als brandenburgifcher Rath, nachdem er das Gliick gehabt den fchrecklichen Krieg noch neun Jahre zu iiber- leben, hochangefehen als Mann des Schwertes und der Feder. Der poetifch angelegte Adlige ging von der Liebe zu Taffo und Arioflo liber zur That der Ueberfetzung. 1626 erfchien fein Gottfried von BuUjon oder das erlofete Jerufalem. So fallt das Gedicht an- fcheinend zwei Jahre nach Opitzens Poetik. Doch fagt uns der Dichter in der Vorrede, dafs es fchon feit 1624 fertig beim Buchhandler wegen der Kupferfliche gelegen und er des Krieges wegen es nicht habe wieder zur Ueberficht kommen laffen konnen. Wiewohl er Opitz den Fiirflen aller deutfchen Poeten nennt, erklart er fich doch in der Vorrede, Hiibner den Ruhm des erflen von ihm gekannten Alexandriner-Dichters vindicirend, gegen mehrfache Lehrfatze der Opitzifchen Poetik, fo in der Elifion des «e», worin er der alten Freiheit den Vorzug giebt, fovvie fiir die Freiheit der adjectivifchen Wortflellung, die bei uns und bei Andern gebrauchlich fei und hin- fichtlich derer er « nicht abfehen konne, warum man es in unferer Sprache, die ohne das nicht fo fubtil auch weniger noch zur Zeit als andere zarte Sprache ausgearbeitet» fei, fo gar genau nehmen wolle. In der Taffo-Ueberfetzung hielt er bei fechsftifsigen, alexandrinifchen Jamben die Stanzenform ein. Seit 1632 — 36 erfchienen dann 30 Gefange des Rafenden Rolands in den gewohnlichen gekuppelten Alexandrinem. Diefe Ueberfetzungen find nach der Zeit beurtheilt gut, fogar vielfach durch Warme, Weichheit, Schwung und Freiheit der Be- vvegung ausgezeichnet. *) Es ift. wirklich ein die italienifche fchone Renaiffance nachempfindender, auch in der Form ausdrucksvoller Geifl, der darin waltet. Bis gegen unfere grofse Ueberfetzungs- Grauel war — und componirte felbft. Fiir Baukiinfl und Bildhauerei und Malerei war er thatig. — Rommel a. a. O. Dazu Raumer: Padagogik. Nach Krabbe: „Aus dem kirchlichen und vviffenfchaftlichen Leben Roflocks", llammte Dieterich v. d. Werder miitterlicher Seits aus dem Gefchlechte der Hahn. *) Werder's Gefchmack verbefferte fich nicht mil den Jahren. Die Ueber- fetzung der I. Ausgabe von Taffo ift unbefangener und beffer in der Diction als die 2. Ausgabe von 1651. II* jQa Werder. (Ueberfetzung des Taffo und Ariofl.) pcriode hin konnen fie fich in der Hauptfache mit alien derartigen Uebertragungen meffen. Wohl ward Werder's Taffo gleich zu Anfang in manchen Kreifen mit Freuden begriifst, wohl erklarte den Dichter fchon 1622 der einflufsreiche Buchner — wcnn er ihm auch gegen Opitz vorwarf, dafs er Solocismen begehe, ofters obfolete und ungewohnliche, ja niedrige, zu populare Ausdriicke gebrauche und mehr im Vers den Franzofen als Opitz folge — ftir einen edlen und ausgezeichneten Geifl, den er fehr liebe und fchatze, und der den grofsten deutfchen Dichter verfprechen konnte, wenn er mehr in der Einficht der Griechen und Romer ware erzogen worden, aber im Allgemeinen war die Wirkung diefer Ueberfetzungen, die man fiir eine bedeutende hatte halten follen hinfichtlich der von ihnen gegebenen Phantafierichtung und Bereicherung, eine aufserft, geringe. Wohl las man Werders Gottfried,') aber Taffo und Ariofl ziindeten und wirkten nicht mehr, wie fie es ficherlich noch vor 16 18 auch in Deutfchland gethan hatten. Buchner's Nachfatz mit feiner Gottfchedianifchen Weisheit giebt dazu einen guten Coinmentar. Werder kam mit feinen Ueberfetzungen zu fpat. Abgefehen davon, dafs die Italiener felbfl fchon dem verdorbeneren Barock- gefchmack huldigten, war 1626 der verniinftig-gelehrte franzofifche Gefchmack gegen die romantifche Renaiffance mit Opitz durch- gedrungen und hatte der dreifsigjahrige Krieg zumal feit demjahr 1630 die Gemiither fchon fo gedriickt oder auseinandergeworfen, dafs Ariofl's und Taffo's harmonifche, frei-heitere oder fchwarmerifch in- briinflige Ritter-Phantafien keinen Eindruck mehr machten. ]\Ian war der Amadisphantafien, auf welche man befonders Arioflo anfah, in der Wirklichkeit der Noth- und Blutjahre iiberdruffig geworden. Die Engelserfcheinungen und Zaubereien Taffo's woUten in folcher Form der niichternen Zeit gleichfalls nicht mehr recht ein. Werder glaubt fchon 1626 fie entfchuldigen zu miiffen. •■■) Den Gefchmack der Zeit kennzeichnet das Verzeichnifs der Bibliothek der Kurfiirflin von Sachfen. Sie enthielt an Gedichten und Romanen: Narrenzunft, Opitz, Werder's Gottfried von Bouillon, Finkenritter, Schildbiirger , Englifche Comodien, Ueberfetzung des Homer, Ovid und Livius und Fabri Thefaurus. (Vehfe, Gefch. des fachf. Hofs.) Man fieht, wie die derben Schwankbiicher noch bei den allerhochften Damen florirten. Werder. 165 Man verlangte fogenannte Verflandigkeit, keine idealifche Phan- taflik, oder diefe in muficalifch-lyrifcher Form, wie fie die italienifchen Lyriker der Barockzeit jetzt boten. Ariofl und Taffo erfchienen audi den gebildeteren Deutfchen als Poeten eines iiberwundenen Stand- punktes, wiihrend die Maffen in ihrem Realismus und in ihrer Niich- ternheit gar niclits aus ihnen zu machen wufsten. Werder^) entfpricht in feinen eigenen Gedichten nicht den Er- wartungen, welche man nach feiner Taffo-Ueberfetzung haben konnte. Wohl bekundet er ofter den Poeten des Erflen-Viertels in der Art, wie die italienifche Renaiffance bei ihm zum Vorfchein kommt. Seine Poefie id Ausflufs eines gebildeten Geifles, der, wirklich einmal in das Gefiihl des Schonen getaucht, daffelbe nicht ganz wieder verlieren kann ; er hat poetifche Anwandlungen, Lufl an fchoner Form und Flufs der Sprache, aber er bleibt in der Mittehnafsigkeit und Gefchmacklofig- keit, die ihn umgiebt, flecken. Die Pedanterie der Anhaltiner, die geiilliche Lehrdichtung der Zeit, die Opitzifche Verflandespoefie wirr- ten ihn hinfichthch der einzufchlagenden Wege. Er felber hat uns in der Vorrede zum Gottfried erzahlt, wie er fich zerqualt einen eigenen Stoff zu finden: Ernfles, Lufliges, vom Hof, vom Krieg, Gutes oder Schlechtes driiber, von Ehr, von Nutzen, Helden, liebe, Fecht- kunfl. Jammer iiber das Vaterland, Alias Mogliche fei ihm durch den Kopf gegangen, bis er fich zu Chrifli Lob beflimmt hatte. Zu Rech- tem ifl er nicht gekommen. Erfatz mufste auch ihm religiofe Di- dactik, verbunden mit vornehm-kiinflelndem Tandeln der Form fein, anflatt dafs er nach Inhalt und Form fich hatte concentriren konnen. Er war eben ein begabter, aber kein felbflandig vorwarts dringender Geifl, ein Empfanger, kein Zeuger. Dies mag man erfehen aus feinem: « Krieg und Sieg Chrifli. Gefungen in 100 Sonetten. Da in jedem und jeglichen Verfe die beiden Worter Krieg und Sieg auf's wenigfle einmal befindlich fein**).» *) Nach einem Bilde, welches eine Genoffenfchaft von neun Mitgliedern des Palmenordens darftellt, darunter auch Tobias Hiibner, Bemhard von Sachfen- Weimar und Chrifloph von Krofigk hat Werder's schones Gesicht grofse Aehnlich- keit mit einem der poetifchen Fiihrer unferer jetzigen Renaiffance-Stromung. **) 2. Aufl. 1633." Die Vorrede ift vom 12. des Herbftmonats 1631. Die Anregung gab ihm eine vornehme, flerbende Verwandte, die mit den Worten Victoria, Victoria feliglich verfchieden fei am 4. Aug. 1631. Die Sonette fmd im Alexandrinervers. Er befleifsigt fich reiner Sprache. Das 1 55 Werder. Hudemann. In jeder Zeile die Worte Krieg und Sieg! Dies fagt Alles. Die Sonette find im Concetti-Stil , ohne befonderen Inhalt oder fonfligen Worth, als dafs doch immer darin der hochgebildete, feinere Geifl. zu erkennen ifl, vvie er im getragenen Ton, aber mit der bis zum Ekel, eben (lets wiederkehrenden Wiederholung der genannten Worte die Manner des alten Teflaments Adam, Abel, Enoch, Abraham, Jo- feph u. f. w., in den erllen, in den andern 50 Sonetten Chriflus durchfonettirt. Intereffant ifl, dafs Werder feinen flinfzehnjahrigen fchonen Sohn Paris zur Herbeifiihrung des FriedenS im Jahre 1640 an verfchiedenen Hofen eine Friedens-Rede declamiren liefs, alien Ernfles in der Hoff- nung, dadurch Eindruck zu machen. Es zeigt auch das feine wirk- liche, vvenn auch nicht richtig geleitete Phantafie und fetzte noch Gemiither der alteren Schule voraus, welcher er felbfl angehorte. Gewohnlich befchrankt man diefe vor und neben Opitz gehende Renaiffance-Stromung auf Mittel- und Wefldeutfchland, zu jenem noch die anhaltinifchen Gegenden, Sachfen und Schlefien hinzugerechnet. Und doch zeigt auch das eigentliche Norddeutfchland eine folche und, immer die Verhaltniffe erwogen, durchaus keine fo unbedeutende, wie man nach dem allgemeinen Stillfchweigen darliber meinen follte. Nicht, dafs erfl Schiiler von Opitz die neue Dichtung an die Ofl- und Nordfee getragen hatten. Vor der Opitzifchen Aera finden fich dort mehrere Dichter einer gelehrten, aber nicht lehrhaften, durchaus nicht trockenen Renaiffance, dort fo gut, wie in Heidelberg aus der Zeitflromung erwachfend. Ganz allgemein kann man auch fiir fie auf die Poefien Ron- fard's und der Niederlander verweifen, deren Bemtihungen auf alien Univerfitaten, auf welchen liber lateinifche Poetik gelefen wurde, nicht ganz unbekannt waren. Heinrich Hudemann (Teutfche Mufa. Hamburg 1625) geht in der Vorrede auf ein Wort des witzigen, gelehrten Friedrich Taub- mann (1565 — 1613), des Wittenberger Profeffors, der im Humanismus auch wieder ein Renaiffance-Gelehrter war, zurUck, dafs die deutfche ,,e" eliminirt er vor Vocalen und was er nicht unrecht halt, wenn das nachfolgende Wort mit demfelben Confonanten oder mit einem dem ahnlichen (t und z, g und k, f und V, b und p, d und t) anfangt, womit das vorhergehende endet. Die erften acht Zeilen gehen immer auf die genannte Perfon, der Sechs-Vers-Abgefang des Sonetts gewohnlich auf die eigenen Gefiihle und Reflexionen. Hudemann. 167 Sprache fo treftlich ware, wie die der Italiener, Franzofen und Spanier. In der Folge zeigt er fich — wie Opitz — durch Heinfius befeuert und durch Casp. Bardi. Er gebraucht den Alexandriner, dichtet Sonette, hat aber nicht die Genauigkeit der Opitzifchen Betonung. Uer fchle- fifche Poet hat augenfcheinUch noch keinen Einflufs auf ihn gehabt. Kill feinerer, eleganterer Ton, ungezvvungene, wenigflens nicht fchuhneifterHch gedachte Handhabung der Mythologie luid poetifche Anfchauung heben Hudemann trotz der Schwachen und Abfonder- lichkeiten iiber die gewohnUche Poetenfchaar der Opitzifchen Zeit und flellen ihn nach Gutem und Fehlerhaftem zu den freien Renaiffance- dichtern. Sein bewunderter und hochgelobter, hochflrebender Freund ill Martin Ruarus, von dem er auch einen Hymnus mit wechfehiden Vers- maafsen, auch anapaflifch-jambifcher Art, wie es damals hiefs, brachte*). *} Hudemann ladet in einem Sonett ein : Begebet each danach zu den bepechten Wagen, Die euch zu uns mein Freund hertiber konnen tragen, Von Hamburg auf die Stor in Holflein gar gefchwind Durch blau Neptuni Feld mit gutem Oftenwind. Im Hochzeitsgedicht fchwingt er fich zu der Hohe der Bilder des Renaiffance- ftils in folgender. Weife: Dieweil des Zephyri Gemahl in alien Landen Bemalet Berg und Thai mit farbereichen Handen Und die Frau Nachtigal im griinbekleid'ten Wald Herfchallen lafst gar fiifs ihr' Stimmen mannigfalt. Ruarus id in feinem Hymnus im Vers frei; bei aller Steifheit und Gefchmack- lofigkeit hat doch auch er einen poetifchen Zug, wenngleich der Ekel an der folgenden gelehrten Poefie diefe Beftrebungen , die wenigflens nichts von der fpa- teren Langweile haben, oft zu giinflig anfchauen laffen mag. Der Hymnus beginnt: Herr Chrift, mein Gnadenfchein, Darin das G'wiffen hat Herzog des Lebens, Mit blutig'm Pinfel malet, Schau an das Herze mein Das Bild der Miffethat In Sorgen fchweben, Dazu der HoUen Qualen. Ach dafs du dein Sonnenflrahl liefsefl geg'n mir, Nach fletem Platzregen eins fchiefsen, Damit ich dein Hulde nach hdchflem Begier Empfindlich mag dermals geniefsen. Satan in Engelklar Die fchon Frau Welt hat mir Geftalt verkleidet, Ein Becher eingefchenket, WoUt mich in Abweg gar Voll Siind, damit fie fchier Von Gott verleiten. Mein arme Seel ertranket u. f. w. J 58 Lund, riavius. Hudemanns Landsmann, der Schleswig - Holfleiner Zacharias Lund (1608 — 67) kann mit feinen Gedichten und angehangten Pro- ben Apophthegmata (1636) gleichfalls zu diefen Mannern geziihlt warden. Er hat nicht nach, fondern gleich Opitz «Manches aus andern Sprachen entlehnt, audi ganze Gedichte, namentlich aus dem Franzofifchen iiberfetzt, habe immer Luft zu Sprachen, namentlich zum Franzofifchen gehabt.» Lund ifl. im kiirzeren Gedicht zu loben. Frifcher Liedton ge- lingt ihm. Am beflen der Scherz. Seine Sinngedichte find theihveife fehr gefchickt, fehr gut. In den grofseren Gedichten ifl, fehr viel Breites, Ungefuges, Inhaltlofes. Der ReaUsmus gliickte ihm, z. B. in dem fcherzhaften Hochzeitsgedicht Dafnis «Ph6bus war unlangfl. ge- gangen. » Bezeichnend fiir ihn ifl, dafs er bei Gelegenheit feiner frifch erzahlten und pointirten Apophthegmata, die er urfprtinghch fiir Zincgref gefammelt habe, anfiihrt, er habe mehr aus heutigen tagUchen Gefprachen, denn aus Biichern gefucht. Auch im Nordoflen (Danzig?) fehlte es nicht an felbflandigen poetifchen Renaiffancebeflrebungen, von Opitz unabhangiger Art. Da ifl; der fehr wenig bekannte Johann Plavius^). Plavius hat in feinen Gedichten (1630) nicht bios die modernen Formen der Alexandriner, Sonette u. f w. , fondern auch frei metrifche Formen, anapeflico- jambicum, Sapphifche Verfe! Er hat fich fomit nicht in der Form, aber ebenfowenig hinfichtlich des Inhalts von Opitz beeinfluffen laffen. Ifl: er nicht genial, nicht weit liber das Niveau fich hebend, fo ifl er doch frifch und frei, hat nirgends die fchrecklichen Trivialitaten und Plattitiiden der folgenden Nachahmungsreimer, hat Formfmn, Form- freude, poetifchen Zug, Empiindung, Flufs der Diction, keine Pedan- *) In dem Berliner Exemplar feiner Gedichte fehlen Titelblatt und Vorwort. Spater fteht Plavius Gedichte. Danzig bei Georg Reten. 1630. Eingefchrieben ifl, ilafs Tfcherning und Harsdorffer feiner gedenken. Plavius wird aber auch noch angeflihrt von Wenc. Scherffer vor dem 10. Buch der Geiftlichen und Weltlichen Gedichte in dem Dichter-Verzeichnifs, fodann hervorgehoben von Philipp v. Zefen wegen feiner Sapphifchen Verfe in einer Ode von 18 Strophen: Luflige Sappho, lafs die Saiten klingen, Edele Mufen fanget an zu fmgen u. f. w. Fur die metrifchen Beflrebungen ware es intereffant zu wiffen, ob Plavius durch Buchner angeregt worden, ob Tfcherning bei feinen antik-metrifchen Be- flrebungen auch Plavius zum Vorbild hatte. (Nach Harsdorffer: Plauen.) liavius. 169 terie in der Verwerthung feiner Gelehrfanikeit unci einen wirklichen Fond von Scherz und Jovialitat, die durch keine plump-zotige Rohheit, vvie fie doch im Nordoflen befonders fiir Hochzeitsgedichte Mode war, getriibt ifl. Der Tod fchwebte diefer Zeit fo viel vor den Augen, dafs jetzt die Trauergedichte liberall graffirten und auch Plavius mit- machte. Doch halt er auch hier im Durchfchnitt noch einen poeti- fchen Ton fed. Er Hebt in Oden, Gegenllrophen und Epoden zu dichten. Seine Sonette, hundert an der Zahl, find verbal tnifsmafsig nicht fchlecht; es find Lehr-Sonette. Mit Ausnahme einiger vierfiifsiger find es Alexandriner. Auf franzdfifche Liedermelodien (z. B. wieder si c'efl pour mon pucelage) dichtet auch er Wohlgemuth, desgleichen « Couranten oder drahe-tantz».') Manches erinnert an Paul Flemings Weife. *) Der Drehtanz: Gedenket, wie kiaiiket und lenket ein'm doch Die Lieb' und ihr triibe-betriibtes Joch, Vor dacht ich: wer macht mich, wer aclit't mich mit Fug Wie Plato, wie Cato, wie Crates fo klug. Nun reifst meinen Sinn, Als ich nun werd inn' In Liebe die liebe beliebete hin. Anapeftico-jambicum: Mein Augentroft, mein Herzensgrund, Main Engelbild, mein Rofamund, Mein Trofl, mein fiifses Lieb alleine, Die ich mehr als mich felber meine. Ob ich fchlaf oder wach, ob ich fahr oder geh, O ich efs oder trink, ob ich fitz oder fteh u. f. \v. Im Scherz des Liedes auf ,, Jacques Doublee und Jungfrau Aelcken Graffin Hochzeit" hat auch er manch keckes Wort: Man wird der Jungfraufchaft zwar fatt, doch nie recht froh — wie er fiir und gegen den ehlofen Stand im heiterften Humor redet, doch geht er nie liber das Frifch-Kecke. Drolliges gelingt ihm: So thut der ftille Stern, nach dem die Reiter reiten. Die das blau-naffe Feld ohn alle Spur durchfchneiden Mit einem Pferdefchwanz, aus Eichenholz erdacht. Eh' fie der Aeolus aufs trockne Land gebracht. Die Liebe ift bei ihm : Halb voU Grillen, halb voll Grollen, Halb voll Wahnwitz, halb voll Rollen, Ganz voll Liebes Siifsigkeit, Ganz voll Liebes Bitterkeit, Halb voll Hoffen, halb voll Harren, Halb voll Balken, halb voll Sparren, Ganz voll Liebe fort und fort u. f. w. J 70 Heermann. Zu diefen Mannern noch ein religiofer, proteflantifcher Dichter vor-opitzifcher Renaiffance. Bis vor Andreae noch zuriick reicht Johann Heermann, in Schlefien zu Rauden geboren (1585 his 1647), der feit 1609 auf- tretende, fchon auf den Schulen zu Breslau und Brieg als Poet fich auszeichnende fpatere Pfarrer zu Koben an der Oder. Heermann war als jugendUcher Praceptor in Leipzig, Jena und Strafsburg. Re- naiffance hatte er alfo nicht bios in Schlefien gefehen. Nimmt er als geifllicher Dichter auch in mancher Beziehung eine Ausnahmeflellung ein, indem er als folcher viel mehr mit dem Volksthiimlichen im Zufammenhang bleibt, fo hat feine Dichtung doch das Getragene der neueren Zeit, wenigflens feine fpatere Poefie, in welcher er auch die neue Form der Alexandriner vervvandte. Auch Heermann hat genug des Gewdhnlichen. Aber gemacht ifl nichts, empfunden AUes in feiner Dichtung. Seine naive Stim- mung ifl haufig wohlthuend, geht aber auch manchmal iiber das Mafs des Gut-Kindlichen hinaus. Seine religidfe Phantafie ifl. dadurch vor vielen ausgezeichnet, dafs Jefus ihm augenfcheinlich in lebensvoller Weife vor der Phantafie fland, wie er fich denn auch in den Gedichten, Liedern, Gebeten und Spriichen gern an Gott als Jefus den Sohn wendet. Der bruflkranke, fchwerduldende , vielfach um Eridfung von feinen Qualen und um den Tod bittende Mann hatte einen befonderen Zug zu dem Kreuzdulder. Heermann hebt fich durch Einfachheit, Innig- keit, Freiheit von aller Affedlation und durch Biindigkeit weit liber die gewohnliche Maffe, in den Liedern und Spriichen, Seufzern und Gebeten. Es ifl. fo viel Allgemein-Menfchliches darin, dafs diefe Ge- dichte aus ilirer Zeit heraustreten und 100 Jahr friiher, xoo Jahr fpater hatten von einer einfachen poetifch-religiofen Seele gedichtet werden konnen. Am auffalligfl.en find feine « Fefl-Evangelia (1636?), gefangsweis auf bekannte Melodeyen aufgefetzt. » Hier find biblifche Gefchichten und Parabeln u. f. w. balladenmafsig behandelt. Ver- wunderung iiberkommt Einen, wie diefe vortrefflichen Erzahlungen im epifchen Volkston nicht mehr erfreuliche Nachahmer gefunden haben. Man glaubt fich oft Jahrhunderte zuriickverfetzt*) bei diefer Schlicht- ^) Z. B. Bergpiedigt : Jefus als er fah ein grofs Volk kommen, Das von feinen Wundern viel vemommen, Heermann. 171 heit und Warme. Gilt es den, etwa durch Spec reprafentirten Katho- liken einen proteflantifchen geifllichen Dichter feiner Zeit entgegen- zufetzen, fo kann dies am fiiglichRen und characteriftifchften durch den fchlichten, aber gleichfalls innigen Joh. Heermann gefchehen, der in anderer Beziehung uns die fchlefifche Dichtung vor Opitz repra- fentiren mag. Es gab im Odergebiet noch andere bemerkenswerthe poetifche Beflrebungen. Ernfl Schwabe von der Heyde war in Frank- furt a. O. thatig. Doch fei feiner bei dem jungen Poeten gedacht, durch deffen Erwahnung er allein bekannt worden ifl. Setzte fich auf eineii Berg — Darzuthun fein Werk. Selig find fiir Gott die geifllich Armen, Sie allein auf ihn und fein Erbarmen Haben glaubensvoU gericht't Alle Zuverficht. Die Gefchichte von der fchdnen Perle (Chrifli Wort) : Ein Kaufmann forfchte hin und her, Er zog zu Land und iiber Meer, Liefs keine Miih fich reuen. Habt ihr, fprach er, denn nicht allhier Recht gute Perlen? zeigt fie mir. Die finds, die mich erfreuen u. f. w. 3. Die Fruchtbringende Gesellschaft*) und die Universitats- Poetik. In air den genannten Mannern waren Elemente, die in den nacliflen Zeiten niclit zum recliten Austrag kamen. Anders die nun zu nennenden Beflrebungen. Auch fie verloren durch Opitz ihre Wich- tigkeit, aber in der Weife, dafs der fchlefifclie Dichter, vollig auf fie eingehend, fie mit feinem weiteren, regen Geifle zerfprengte und mit grofster Leichtigkeit leiflete, was jene mit miihfeliger Schwerfalligkeit und Umflandlichkeit erflrebten. Auch in den mitderen Elblandern rlihrte fich in diefem flreben- den Erflen-Viertel die poetifche Renaiffance und zwar fo friih, wie am Neckar, und nicht etwa Hofdichter, fondern eifrige fiirflliche Per- fonen traten gleich felbfl an die Spitze und zeigten Beflrebungen, die in ihren Abfichten ehrend bleiben, aber unmittelbar keinen ge- wlinfchten Erfolg hatten, vveil die befle Abficht und Wiirden und hochfle Refpectabilitat niemals in der Kunft Genialitat erfetzen konnen. Es ifl die hohe Genoffenfchaft des Palmenordens, welche kurz vor dem dreifsigjahrigen Kriege ein thatiges Eingreifen und Aufhelfen der deutfchen Literatur verfuchte und wenigflens in Etwas an die Reg- famkeit des englifchen Adels zu Anfang der Zeit Elifabeth's, anderfeits mit ihrem Beflreben an die Zeiten erinnerte, wo Deutfchlands Furflen und Adel mit Leidenfchaft die fremde Poefie der hofifchen Dichtung er- grififen. Der welfifche Hof Heinrichs des Lowen, fpater der thiiringifche Hof hatten damals im Norden kraftige Stiitzpunkte fiir die fremde Dich- tung abgegeben. Anhalt und Weimar und fpater Dresden geben ge- wiffe Analogien, auch in der Art des Gefchmackes, wie die nieder- *) Befonders dariiber Barthold : Gefchichte der fiuchtbringenden Gefellfchaft. Stellung des deiitfchen Adds zur ncuen Cultur. 17-? landifch-franzofifche Renaiffance mit der fiidlichen um die Herr- fchaft rang. Die Stiftung des Palmenordens und feine Ziele geben iins vor- treff liche Einblicke in eine grofse Schichte der hoheren proteflantifchen, norddeutfchen Stande, fo wait fie fich jetzt fiir einen Fortfchritt der Cultur intereffirten. Ein kurzer Riickblick erleichtere das Verflandnifs fiir die hier zu Tage tretenden geifligen Beflrebungen und Zuflande und das felt- fame Gemifch von deutfcher Biederkeit, altfrankifcher Steifheit, Be- fchranktheit und wohlmeinenden Fortfchrittsideen. Kein Stand kam in Deutfchland frifch und frei im 16. Jahr- hundert in den neuen Geifl der Zeit hiniiber, wie oben gefagt worden. Die Zeit fchob fich vor und dies und jenes mit fich; von einer Fiihrung derfelben war nirgends die Rede, nicht einmal hinfichtlich der fiegreichen Gewalten des Ftirflenthums. Im AUgemeinen — ■ von den Hofen zu Heidelberg, Caffel, Miinchen, Wien u. f w. abgefehen — war der Uebergangszufland vom Alten zum Neuen bei dem deut- fchen hoheren Adel, von dem niederen zu gefchweigen, ein fehr un- erquicklicher. Man denke nur an den Ruf, in welchem er bei den Fremden (land, nicht etwa bios bei den Italienern, fondern bei den Englandern. Shakefpeare's Characterifliken, wo er den deutfchen Adel zum Ver- gleich nimmt, fmd bekannt genug. Der deutfche Adel, felbfl der liohere, war durchfchnittlich ungebildet; etwas Latein als diplomatifche Sprache und etwas Glaubenslehre geniigten anftatt wiffenfchaftlicher Erziehung. Wo foUte dann Lufl und Erfrifchung anders gefucht wer- den, als im fmnlich-groben Genufs und in ideenlofer Thatigkeit? Becher und Schiiffel, Hatzen und Jagden, Pferde und Hunde, Poffen- reifser und Narren, Spectakel und Mummereien — das waren die beliebteflen Freuden der hochsten deutfchen Stande. In der Maffe fehlte fiir feinere Bildung und ihre Geniiffe jedes Verflandnifs. Friiher hatte man mit derbem Stolz auf Kriegertiichtigkeit ge- trotzt, bis zu Carl's V. Zeit auch fich wenig um Andere gekiimmert und in den meiflen Gegenden Nord- und Mitteldeutfchlands wenig genug von der Cultur anderer Lander gefehen. Selbfl mit der Kriegstiichtigkeit war der deutfche Adel aber im I.auf des 16. Jahrhunderts anderen Nationen gegeniiber zuriick- gegangen, feitdem und infoweit der Krieg mehr eine Kunfl und lyA Stellung des deutfchen Adds zur neuen Cultur. Wiffenfchaft gevvorden war und gelernt werden mufste. Audi in der perfonlichen Tiichtigkeit hatte man keinen Vorrang. Die Cavaliere Spaniens und Italiens, Frankreichs und Englands waren vol! moderner Politeffe, aber der Deutfche, der nur auf der Eberjagd und beim Bankett die Mannhaftigkeit im Frieden zeigen zu konnen vermeinte und auf den gefchmeidigen, vor den Damen hofifch charmirenden, vielleicht gar fonettirenden fremden Cavalier mit plumper Verachtung blickte, hatte wenig wahren Grund dazu, oder die Verachtung war auch nur angenommen und eine Maske baurifcher Befchranktheit, denn der fremde Cavalier ritt und focht und ringelrannte durch- gehends nicht fchlechter, fondern fchulgerechter und beffer und ging in die Schlacht fo munter, wie in den Ballfaal, trotzte dem Degen des Gegners fo Wohlgemuth wie nur ein deutfcher Nimrod den Hauem eines Ebers. Gegen den Anfang des 17. Jahrhunderts hatte, wie wir fchon oben bei Dieterich von dera Werder gefehen, das Gefiihl der fcham- vollen Erkenntnifs diefer Verhaltniffe einen eigenthiimlichen, hochfl bedeutenden Gegenfchlag an einem deutfchen Hofe hervorgerufen, ein griindliches Beflreben, von unten auf, durch die Jugenderziehung dem deutfchen Adel zu helfen. In den deutfchen katholifchen Landern war feit der Mitte des 16. Jahrhunderts der italienifche Einflufs fehr bedeutend geworden. Dem erwachenden Bildungsbediirfnifs kam hier gegen Ende des Jahr- hunderts der Jefuiten-Orden entgegen, der fich mit feiner einfeitigen, aber glanzenden, der Neuzeit fich bewufst innerhalb feiner Tendenzen anfchmiegenden Bildung der Erziehung der hoheren Stande bemachtigte. Am meiflen auf fich felbfl angewiefen, fanden fich die Lutheraner; bei den vornehmeren Reformirten wurde es Sitte, eine Zeit lang in Strafsburg oder Genf zu fludiren, fo weit man bezweckte, fich auf der Hochfchule auch eine den neuen Anforderungen gemafse mo- difchere Politur zu holen, fiir welche das franzofifche Wefen von Tag zu Tag mafsgebender ward. Aber es gab noch ein bequemes Mitteh, fich auf das Niveau der neuen Cultur zu verfetzen oder wenigflens zu wiffen, wie es anderwJirts damit ausfah: Reifen, fchauend und fich vergniigend von den Fremden zu lernen, fo weit es keine Miihe machte oder fich mit Lufl und Bequemlichkeit vertrug. Die Lockung zum Genufs, fiir welchen damals Venedig war, was jetzt Paris ifl, trug ihr Theil Reifen. Kriegsdienfl. jyc zu diefer modifchen Lernbegierde bei. Nun wurde eine Tour durch Italien nnd Frankreich fiir den Reicheren modifch nothwendig. Man mufste in Paris tanzen, reiten und fechten lernen und in Venedig in der Gondel gefahren fein, urn das deutfche Barenthum abzufchiitteln. Mit der Reifewuth ift fiir Menfchen, die auf nichts befonderes zu trotzen haben und lernen wollen, die Nothwendigkeit verbunden, die Sprache der Fremden zu lernen,"*) von denen man profitiren will. Dies war die Schule des Schauens, des Vergniigens, des I.uxus, der Kiinfle und leider auch der Liifle. Eine Schule anderer Art boten feit den letzten Decemaien des i6. Jahrhunderts die Niederlande. Diefe batten fich zum Wunder der Welt aufgefchwungen , feit dort der Germanismus und Proteflantismus den vollen Bruch mit dem Romanismus und deffen Religionsentwicklung gewagt und den Kampf heroifch und bewunderungswerth beflanden batten. Sie waren Anfangs im Fiir und Wider der Tummelplatz und die hohe Schule fUr den Krieg, zu dem der Adel fich allgemeiner wieder drangte, um Be- fchaftigung, Erwerb und Ehre zu finden, feitdem das democratifche, von den Schweizern und Landsknechten flammende Heerwefen dem neu-ariflocratifchen der Romanen wieder wich und das Offiziercorps mehr einen feflen, hofifcheren Adelscharadler annahm. Bald aber batten AUe: Soldaten, Staatsmanner, Gelehrte, Kaufleute und In- duflrielle, Freund und Feind auf die Niederlande und deren Staats- kunfl, Wiffenfchaft, Kunfl, Handel und Gewerbfleifs zu fchauen. Hier war eine Bliithe niederdeutfchen Wefens, die vor Allem natiirlich auf die germanifchen Nationen, unter den Deutfchen befonders auf die Reformirten wirkte. Der niederlandifche, biirgerliche Realismus und Utilitarismus V *) Neben craffer Unwiffenheit linden wir nun in diefer Zeit, zumal an den Hofen, fehr viele Sprachkenntniffe. Ein richtiger Hofmann mufste die lateinifche als diplomatifche Sprache verflehen, fodann italienifch und franzofifch. Sehr haufig kommt fpanifch, refpedl. hollandifch hinzu. — Maximilian I. von Baiern las in der Jugend mit grofsem Eifer Tacitus und Xenophon, namentlich die Cyropadie und trieb franzofifch und italienifch. Ferdinand II. fprach italienifch fertig, lateinifch ziemlich gut, verftand , aber bediente fich nicht des Franzofifchen und Spanifchen. Guftav Adolf fprach im zwdlften Jahr lateinifch, deutfch, hollandifch, franzofifch und italienifch. Die meiflen deutfchen Poeten diefes Jahrhunderts, von Weckherlin an bis iiberl \ v^ die zweite fchlefifche Schule hinaus find Vielfprachler, die aufser Latein auch Franzo- fifch, Italienifch und Hollandifch zu verflehen pflegen. 1 1/6 Einflufs der Fremde. bildete in manchen Beziehungen zu Italien und deffen manierirt ge- wordenem hofifchen Idealismus einen Gegenpol. Ein feltfames Hin und Wider, ein hier Dies, dort Das war fiir viele unentfchiedenere Geifler nachahmender Art die Folge. Den eigentlichen Geifl konnten die Nachahmer natiirlich auch bei den Niederlandern und ihrer Art nicht faff en: den Muth, die Kiihnheit, den Freiheitsfinn und wie die weiteren Tugenden hiefsen, durch welche jene grofs geworden waren. Bei der Nachahmung trat das Aeufsere und damit auch oft die vSchattenfeite des biirgerlich- realen Sinns hervor, dem erfl Frankreich unter Ludwig XIV. den Schliff und Glanz geben und den es derartig zufpitzen und kronen follte, wie es die, dem fogenannten Verftandigen gegen die mittelalterliche, exaltirte Phantaflik den Vorzug gebende Zeit verlangte und fiir Idealifirung anfah. Waren nun die Niederlander politifch und religios echte Ver- treter des germanifchen Wefens, fo zeigten fie dabei auf den erflen Blick fehr auffallige Beflrebungen. Sie waren die entfchiedenflen Verehrer des claffifchen Humanismus , der jetzt auf ihren Univerfitaten bliihte, und fie waren in der Literatur dem Einfluffe Frankreichs offen in einer Weife, wie fie mit ihrer fonfligen Selbflandigkeit fchwer vereinbar fchien. Jenes wie diefes erklart fich aber einfach genug. Wie wir es fchon in den itaUenifchen Stadten gefehen, zog die biirgerhchen Niederlander das Biirgerthum des claffifchen Alterthums an und intereffirte fie vor Allem das mehr Niichtem-Verflandige der rdmifchen Literatur und Poefie und deren Realismus. Diefelbe Stromung herrfchte neben einer ritterlich- hofifchen in Frankreich, ja, fie hatte dort den Sieg errungen und eine neue Poefie zu zeitweifer Herrfchaft gebracht. Ronfard und Genoffen hatten auf das claffifche Alterthum mit fcharferer Ausfcheidung mittelalterlicher Elemente ihre Poefie gebaut. Die grofsen, einflufsreichen nieder- landifchen Gelehrten folgten in ahnlicher Weife — wie ja auch Zincgref und Genoffen. Vernunft, Wiffen, claffifch aufgeputzt, das ideale Element wie bei den Romern vertreten durch Eleganz und Reinheit und Wiirde des Ausdrucks : das ward auch hier befler Ton, wie man ihn fiir den der neuen Zeit entfprechendflen hielt. Wer auf die Niederlander fah, dem mufste diefe ihre Stellung zur Literatur natiirlich tiefen Eindruck machen. Einflufs der Fremde. 177 Am Heidelberger Hofe herrfchte unter dem frohen Friedrich von der Pfalz hofifchfranzofifcher Ton, aber Alles weniger als biirger- licher Niitzlichkeitsfinn. Man hatte und liebte Phantafie, und fomit hatte Weckherlin's Mufe fich dort entfalten konnen. Im Uebrigen hatte man fich bisher an alien Hofen nicht fonderlich um die deutfche Poefie Scrupel gemacht, fondern fich begniigt dem Zeitgefchmack in den bildenden Kunfi.en und mehr und mehr auch in der Mufik Rechnung zu tragen, was leicht genug ging, falls man reich genug war, indem man dem Wefen diefer Kiinfle gemafs nur fremde Archi- tecten, Bildhauer, Maler und Mufiker kommen zu laffen brauchte, oder Werke der Sculptur und Malerei in der Fremde kaufen konnte. Nun aber begann man nachahmend fiir eine Renaiffance der deutfchen Poefie fich zu intereffiren. Und hier war es nicht fo leicht. Der fremde Poet konnte nicht deutfch dichten und iiberfetzen ifl noch etwas Anderes als copiren. Der fremde Kiinfller konnte alfo nicht direct helfen. Zum voilen Verflandnifs der fremden Poefie geniigte nicht, den Sinn dafiir auszubilden; man mufste iiberdies als erfle Bedingnifs noch die fremde Sprache griindlich lernen, gleich- falls unbequemer als das reine Schauen und Horen. Ein wohlgemeinter, aber in feinem Verfolg geifllofer, in manchen Beziehungen hochfl ehrenwerther, in andern fo recht das Kleinliche des damaligen deutfchen Wefens zeigender Verfuch ward gemacht, die Befl'erung felbfliindig von Oben herab in die Hand zu nehmen. Freilich, bei dem Gegendrang, der jetzt im dreifsigjahrigen Krieg herein- brach, waren auch noch andere Anftrengungen gefcheitert. Familientrauer um die — auch fiir das Schulwefen, fpeciell fiir des Ratichius Theorien fich intereffirende — ertrunkene Herzogin Dorothea Maria von Sachfen- Weimar hatte im Sommer 161 7 ihren Bruder Ludwig von Anhalt-Cothen nach Weimar gefiihrt. Am 24. Augufl fafsen Ludwig und die Weimarfchen hohen Leidtragenden und einige Hofherrn zufammen auf Schlofs Hornflein und kam die Rede unter diefen gebildeten und weitgereiflen Mannern auch auf die deutfche Literatur und Sprache, verglichen mit der Stellung der Literatur in der Fremde, zumal in Italien. Dort war man, als die Helena, die echte Renaiffance, verfchwebte, bemtiht gewefen, das Kleid feflzuhalten ; eine Menge Academien zur Pflege der Literatur, Poefie, Sprache u. f. w. batten fich aufgethan; am beriihmteflen darunter die florentinifche Accademia della Crusca Lemckc, Gej'chichte d<:r deutfchen Dichtung. 12 J 73 Griindung des Palmenordens. (d. h. der Kleie, in welcher man das reine Mehl der italienifchen Sprache von der groben Zuthat der Kleie faubern woUte) feit 1582, die jetzt vor wenigen Jahren, 1612, durch ihr grofses Vocabolario die Augen Aller in erhohter Weife auf fich gezogen hatte — das Ganze eine Bewegung, die dann auch in Frankreich durch Malherbe (1555 — 1628) ihre eigenthiimliche, gegen Ronfards oft gracifirenden und latinifirenden Stil, fo wie iiberhaupt gegen jede Sprachcorruption — formlich fanatifche Nachahmung und Vertretung fand. Jetzt fchlug diefelbe, wie man fieht, auch nach Deutfchland iiber, wo iiber die a-la-modifchen Reifen ein a-la-modifcher Fremdwdrter- barbarismus Mode und Zeichen des Vornehmen, des Gereiflen ge- worden war, eine tiefgreifende Mode fo jammervoll wie lacherhch und gefahrhch. Immerhin aber dtirfen wir bei den Klagen und Tiraden nachfolgender Sprachfreunde und Poeten nicht vergeffen, dafs auch bei dem Anti-Fremdwortereifer Nachahmung der ItaHener und Franzofen, mit einem Worte wiederum Mode im Spiel war, wodurch fo manches Verfchrobene zum Austrag kam, dafs grade die volksthiimlichen Geifler, wie z. B. Schupp, diefe Art Purismus als die hdchfle Entflellung verlachen konnten. Weder die volksthiim- liche, noch die hcififche Poefie des Erflen Viertels gab Anlafs zu fol- chen Jeremiaden, wie fie jetzt in den Vorreden der Dichter Stil wurden. Wie jene Manner zu Schlofs Hornflein iiber die traurige Lage und Schutzlofigkeit der deutfchen Sprache gegeniiber der eiferfiichtigen, der Zeit ganz entfprechenden Ueberwachung der italienifchen prunken- den Academien hin und her redeten, fiel von dem weitgereiflen Rath Kaspar von Teutleben das Wort, warum man nicht ein Gleiches thue und eine Gefellfchaft nach Art der italienifchen Academien griinde. Es ward aufgegriffen und fogleich (24. Augufl 161 7) traten acht Manner zufammen und grtindeten einen Verein «zur Erhaltung guten Vertrauens und Erbauung wohlanflandiger Sitten und der / niitzlichen Ausiibung der Landesfprache.» Kaspar von Teutleben wurde zum Haupt erwahlt. Ludwig von Anhalt-Cothen und fein Sohn, drei Herzoge von Weimar, zwei Herren von Crofigk und Teutleben waren die Stifter. In Nachahmung der in Italien beliebten, meiflens wunderlichen Namen nannte man die Gefellfchaft auf Teutlebens Vorfchlag die Fruchtbringende und wahlte zum Symbol den in alien Stiicken niitz- lichen Palmbaum mit dem Motto: Alles zu Nutzen. Der Palmenorden. 179 Giitig, frcihlich, luflig wolle man zufammenkommen iind der Gefellfchaft niitzlich fein. Hauptgefetz war: «dafs man die deutfche Sprache in ihrem rechten Wefen und « Stand, ohne Einmifchung fremder aiislandifcher Worte auf's mog- ttlichfle und thunlichfle erhalte und fich fowohl der beflen Aus- ttfprache im Reden als der reinflen und deudichflen Art im aSchreiben und Reimedichten beileifsigen folle». Der gute, eifrige, und finnige, fiir Kunil und Bildung begeiflerte, friihzeitig feit 1596 auf Reifen in den Niederlanden, England, Frank- reich, Italien und Deutfchland feiner Ausbildung befliffene Ludwig von Anhalt-Cothen (1579 — 1650) war die Seele der Gefellfchaft, wie er denn nach Teutlebens baldigem Tode auch ihr Oberhaupt wurde und bis zu feinem Tode ihr vorfland. Man woUte dem Verdienft den Eintritt in diefe fiirflliche und hochadelige Genoffenfchaft offnen, innerhalb der allgemeinen Zwecke aber hielt man fchon der gefell- fchaftlichen Zufammenktinfte wegen ein hoheres Coterie-Wefen fefl und machte die Fruchtbringende dadurch leider zu einem wenig fruchtbringenden Inflitut, und in mancher Beziehung nur zu einem Steckenpferde feines folche Befchaftigung liebenden aufserlich-ordnungs- mafsigen Vorflandes, deffen Tendenz und Geifl. und Poefie nur zu gut in folgendem Klinggedicht fich ausfpricht: Kommt, lenit vom Palmenbaum, Ihr die Ihr Euch begeben In die Gefellfchaft wollt, wie Ihr es flellet an, Dafs Euch Fruchtbringend heifs und halt ein Jedermann; Ihr miiffet feiner Frucht in allem folgen eben. Fafl alles, was bedarf der Menfch in feinem Leben, Bringt vor der Baum, draus man Nahnadehi machen kann, Garn, Stricke, Seide, Schiff, auch Mafl und Segel dran, Wein, Effig, Branntewein, Oehl feine Friichte geben, Brot, Zucker, Butter, Milch, Kas; aus der Rinde wird Ein Becher, Loffel, Topf; ein Blatt von ihm formirt Dachfchindeln, Matten auch von ihm geflochten werden, In jedem Monat er vor neue Friichte bringt. Wohl dem, der gleich wie Er darnach nur flrebt und ringt, Dafs er in Allem Frucht und Nutzen bring auf Erden. Abgefehen aber von der Entwicklung der Genoffenfchaft: ihre Griindung war eine bedeutfame That, die, weil fie ein Jahr vor dem Ausbruch des Kriegs flattfand, noch befonderes Auffehen machen konnte. Ein Bund von Fiirflen und hohen Herrn zur Forderung 12* j8o Der Palmenorden. Tobias Hiibner. der deutfchen Sprache und Literatur! Wenn Herzoge und Fiirflen und Geheimrathe und Hofoberflen fiir die deutfche Sprache und deren Reinheit eintraten, dann liefs fich nicht mehr iiber fie als eine gemeine und baurifche kurzweg der Stab brechen, dann war eine GegenRromung gegen die Sprachverderbung eingeleitet und in dem Palmenorden ein Kern- und Sammelplatz und Riickhalt fiir ahnliche Bemiihungen gegeben. Freilich auch der Anflofs zur modifchen Nachaffung und der fchon furftendienerifchen Buhlerei um Gunfl und Auszeichnung. Soil man das dire6te Wirken der fruchtbringenden Genoffenfchaft fchildern, fo kann freilich auch ihr giinfligfler Beurtheiler wenig fagen. Es fehlte an Geifl und Nachdruck und jedem richtigen Ver- flandnifs fiir die Sache, wie es bei Nachahmungen, wie auch diefe war, zu gehen pflegt. Die Italiener wahrten einen grofsen Schatz. Hier gait es erfl den Schatz zu fammeln. Hatte man noch den fiir feine Zeit fo feltfamen eifrigen Germaniflen Goldaft (1576 — 1635) oder die neu auftretenden bedeutenderen jungen Dichter durch An- flellung, Penfionen und dgl. unterfliitzt! Statt deffen kam man iiber ein ernflhaftes Spiel nicht hinaus und barocke Namengebung, Devife- Suchen, Herrichtung von Medaillons, Wappenmalereien u. f. w. wurde die Hauptbefchaftigung der Leiter. Fiir die aufgenommenen mit keinen Gliicksgiitern bedachten Poeten ward die Ehre, unter fo hohen Herrfchaften mit ihrem Namen figuriren zu diirfen, fiir hinreichend erachtet. Unter den Stiftern der Gefellfchaft war Keiner, der eigentlichen Anfpruch auf den Ruhm eines Dichters machte. AUgemeinere Sprach- und Literaturintereffen waren in Ausficht genommen. In den nach- flen Jahren aber fand man auch einen Dichter, welcher der Frucht- bringenden poetifche Glorie wurde, auf den fie fich fliitzte. Es war dies der 1619 aufgenommene Deffauifche Geh.-Rath Tobias Hiibner (1578— 1636). Hiibner's Ruhm befland darin, dafs er 16 19 aus den «Wochen» des Bartas eine Ueberfetzung in Alexandrinern , brachte (noch fo vor- opitzifchen Stils, dafs fpater Friedrich Greiff fich wie bei Barth's Phonix gemiifsigt fand, fie dem neuen Gefchmack anzubequemen und danach zu verbeffern). Ueber diefes Werk entfland bald Spannung mit Opitz, der wegen feines Ariflarchs den heute wenig beneideten Ruhm in Anfpruch nahm, die alexandrinifchen Verfe in Deutfchland V Der Palnienorden. LiuKvig von Anhall-Cothen. l3l eingefiihrt zu haben, den ihm die Fruchtbringende fowohl wie die Siiddeutfchen beflritten. Mit provinzieller Eiferfucht wurde diefe damals hochwichtige Frage verhandelt. Dafs Werder, der zu der Fruchtbringenden in nachfler Beziehung Hand, fich in feinem Taflb fiir Hiibner und diefem fich poetifch verpflichtet erklarte, ward oben angefiihrt. Die Stellung, welche die fruchtbringende Gefellfchaft zu dem jungen Dichter einnahm, der ihr alle ihre eignen Theorien und Ideen iiber den Kopf wegnehnien follte, fei fchon hier zu ihrer Chara<5le- riflik kurz beriihrt. Opitz fiihrte aus, was fie anflrebte. Hiibner's V^ Ueberfetzung weifl gleichfalls auf die Franzofen und das dida6tifche Element und bringt den Alexandriner. War man doch Uberhaupt der franzofifchen Verhaltniffe im Anhaltinifchen kundig genug. Lud- wigs ihm fo ungleicher alterer kriegerifcher Bruder Chriflian hatte lange als General unter Heinrich IV. von Frankreich gefochten, ehe er jetzt eine Hauptperfon im Rath und Generalilab des Winterkdnigs wurde. Fiirfl Ludwig war eine fmnige, aller Leichtfertigkeit fremde Natur, info fern ein guter Trunk nicht dazu gezahlt wird. Die pe- dantifche Religiofitat oder religidfe Pedanterie fleckte auch in ihm; Moral war ihm auch fiir die Poefie das Hdchfle. Und nun liefsen fich junge Dichter, wie Opitz, hinreifsen, nach dem Vorbild von Horaz und anderen rdmifchen und franzofifchen Frivolen von ihren Aflerien und Lesbien in einer Weife zu fingen, dafs ehrbare Gemiither allerdings genaue Bekanntfchaften mit fo gutherzig-leichten Frauen- zimmern vorausfetzen konnten. Anflofs an folchen Profanationen nahmen denn auch die Leiter des Palmenordens, und fo ward denn Opitz als zu leichtfertig einer fo hohen moralifchen Gefellfchaft Jahre hindurch nicht wurdig befunden. Er, dem Buchner fchon 1622 auf eine falfche Nachricht von feiner Aufnahme in den Palmenorden fchrieb, dafs die Fruchtbringende durch ihn mehr Ehre erworben habe, als er durch ihre Auszeichnung, und dafs der Glanz feines Namens alle ihre Titel iiberflrahle, ward erfl 1629 als 200. Mitgliedv (Buchner erfl im Jahre 1641) aufgenommen. -Vorher hatte er in einer wichtig werdenden Stelle fiir feine poetifchen Licenzen eine Art Abbitte leiften mtiffen. Alle Fiirflen und Generale dagegen, welche in die Nahe von Cdthen kamen, waren im Palmenorden willkommen, und weder ihre 1 82 Der Palmenorden. Ludwig v. Anhalt Cothen. Deutfchthiimlichkeit noch ihre Sittlichkeit hatte Proben zu beflehen, wie Hunderte von Namen verrathen. Fiirfl Ivudwig felbfl, gekennzeichnet durch fein Palmen-Sonett, huldigte fur eigene Dichtung der Theorie, dafs die befle Poefie eine gereimte verftandige, fprachlich-reine Rede fei. Intereffant ifl die im fpiiteren Alter in Alexandrinern versificirte Befchreibung feiner Jugend- reife, zu vergleichen mit dem edlen Theuerdank. Sie lehrt dass es moglich ifl, die alltaglichen und die wirklich aufregendflen Begeben- heiten in gleich trockenen Reimen zu erzahlen. Auch als Ueberfetzer aus dem Petrarca trat er in fpateren Lebens- jahren auf. Ludwig's geachteter Name gab feiner geliebten Gefellfchaft, fo lange er lebte, einen Halt: die That der Griindung felbfl hatte ihr Verdienfl gehabt; fie war aus echtem Renaiffance-Bediirfnifs hervorgegangen und hatte ihre nicht zu unterfchatzende Wirkung. Der vveitere Ver- lauf aber war Verkiimmern, Spielerei und Steckenbleiben. Hatte Deutfchland eine grofsere Hauptfladt gehabt! Hatten Manner wie Ludwig von Cothen und feine fich wirklich fur die deutfche Sprache intereffirenden Freunde einen Theil des Jahres in diefer Hauptfladt gelebt! Waren die Weckherlin, Zincgref, Opitz, Werder, Buchner nach diefer Hauptfladt gezogen worden durch jene Forderer und Ludwig's oder der Weimaraner Haus ware im erhohten Maafse geworden, was das Lingelheimifche in Heidelberg gewefen war! Ludwig hatte London in der Bliithezeit der englifchen Dichtung gefehen; er wird mit den Edlen verkehrt haben, unter deren Titel die grofsen englifchen Schaufpieler agirten, wie er denn wahrfchein- lich auch der Auffuhrung von Shakefpeare's Stiicken beigewohnt; er hatte fo Manches anregen und fordern konnen. Statt deffen fafs er auf feinem Schloffe Cothen und vertrocknete in air feinem guten Sinnen und Wollen. Und die poetifchen Krafte blieben zerfprengt und damit wirkungslofer, ohne perfdnliches Wett- eifern und Befeuem und fich gegenfeitiges Steigern. Die einzige deutfche Stadt, welche damals, durch Einwohnerzahl, fomit durch das nothige grofsere Publikum als Hintergrund, durch Grofse und Glanz des Hofes, Reichthum und Anfehn des Adels und jetzt auch dadurch, dafs fie vom Krieg verfchont blieb, eine Pflege- flatte 'derartiger Beflrebungen hatte fein konnen, war Wien. Wien aber zeigte leider den Anblick, dafs Hof und Adel unter fpanifchem Die Universitatspoetik. 1 83 Ceremoniell iind unter italienifchem Gefchmack Randen, dafs der fremdlandifche Adel in Maflen hinzuflromte, das Volk, in feinem aflhetifchen Treiben von den hoheren Standen verlaffen, zwar deutfch- thiimlich blieb, aber in feinem Gefchmack in das Niedrig-Luflige und Rohe fank, wie dies unter ahnlichen Umflanden flets der Fall ifl und mehr oder weniger an den vom italienifchen Gefchmack be- herrfchten Hofen, dem die Volksmenge ferner blieb als den fpateren franzofifchen Neigungen und ihrer Art Politur und Anforderungen, iiberall der Fall war. In Wien hatte fich z. B. in ahnlicher Weife wie zu London und zu Paris eine deutfche Biihne moglicher Weife entwickeln konnen, wenn Manner wie Heinrich Julius von Braunfchweig, Ludwig von Anhalt u. A. am dortigen Hofe gelebt und das Intereffe fiir deutfche Literatur fo zu fleigern gewufst batten, dafs man nicht wie bei Hoeck (1602) und bei Opitz es mit dem Kronen zum Poeta laureatus und Adeln hatte bewenden laffen. [Spater hat Wien in der Pflege der Mufik und der Schaufpielkunfl, in der Schopfung einer eigenthiimlichen Poffe, heutigentags in der Baukunfl, grofsstadtifche Verdienste erworben.] Regte es fich in diefer, allerdings mehr Auffehen machenden als fich wirkfam zeigenden Weife unter den hohen Herrn, fo kam das Intereffe fiir eine Renaiffance der deutfchen Poefie in neuer Art jetzt auch unter dem deutfchen Gelehrtenthum zum Austrag. Man klepperte freilich auch hier in mancher Beziehung fpat genug hinter- drein. Die Poetik hatte im 16. Jahrhundert eifrige und bedeutende Vertreter gefunden. Triffmo's (f 1550) Poetik hatte fich fchon mit metrifchen Fragen fiir italienifche Betonung und Versbau befchaftigt, wie Opitz fie vvieder aufnahm. Seit 1561 aber hatte des beriihmten Julius Caefar Scaliger grofse Poetik*) fiir die lateinifche Poetik dominirt, und iiberall, befonders den Jefuiten-Profefforen, Anregung gegeben, dem Gegenfland Sorgfalt zu widmen. Vor AUem nattirlich hinfichtlich der lateinifchen Dichterei, welche im grofsten Flor fland. Gleichzeitig mit den bisher befprochenen Regungen begann ein deutfcher Profeffor, Augufl Buchner, aus Dresden (1591 — 1661), Profeffor der Poefie zu Wittenberg feit 16 16, fich mit Eifer und *) In 7 Biichem, welche heifsen: hiftoricus, hyle, idea, parasceve, criticus, hypercriticus, epinomis. 1 34 Buchner. bedeutender Anziehungskraft in feinen Vorlefungen des deutfchen Versbaues und der Poetik anzunehmen. Schon zu Anfang der zwanziger Jahre war er fur die fachfifchen, nach der Univerfitat Wittenberg fchauenden Kreife eine Autoritat. Weniger als Poet und Schriftfleller, denn als Lehrer wirkte er, einen Lerneifer fiir Versbau und Reim um fich herum anregend, der befferen Inhalts, als die Zeit gab, wiirdig gewefen ware. Eifrige, zum Theil exaltirte Schiiler gingen aus feiner Schule hervor. (Buchner felbfl gab keine Poetik heraus; feine Vorlefungen erfchienen erfl nach feinem Tode.) Mit Opitz und deffen Genoffen fland er friihzeitig im Briefwechfel , wie er denn die poetifchen Beftrebungen der Zeit aufmerkfam verfolgte; in feiner Lehre wahrte er feine Selbfliindigkeit z. B. hinfichtlich der Opitzifchen Befchrankungen deutfcher Verfe auf Jamben und Trochaen, gegen welche er Dactylen, Anapaflen u. f. w. vertheidigte, die man wohl nach ihm benannte ; als Dichter war er versbauend und reimend fo verflandig und unpoetifch wie die fammtlichen Opitzifchen Durch- fchnittsdichter, fo ungleich in Theorie und Uebung hinfichtlich des Wefens der Poefie und Phantafie dem phantafie- und fchwungvoUen Dichter und Lehrer der Jefuiten Jacob Balde. Von Buchner an und in feinem Stil blieb nun die deutfche Poeterei auf lange hin univerfitats-fahig; den grofsten Einflufs follte allerdings auch hier wieder der junge Dichter haben, der alle der Zeit wichtigfl erfcheinenden Beflrebungen wie mit fpielender Miihe zufammenfafste und ihr feinen Namen gab : Martin Opitz, der Metriker, Claffiker, Renaiffance-Dichter des neuen italienifch, franzofifch, nieder- landifchen Stils, der Verflandespoet und Dida6liker, der Mann, der der Religion und Philofophie, jeder in ihrer Weife der Neuzeit gemafs gerecht zu werden wufste und den nach neuen, ficheren Formen und Dichtarten fich miihenden Deutfchen diefelben in Lyrik, Dida<5tik, dida6lifcher Epik, lyrifcher Novelle, Tragodie, Oper u. f. w. gleich armvoll hinfchiittete. 4. Martin Opitz. Martin Opitz,'') der unter feinen Zeitgenoffen fo hohen Ruhm erhalten foUte, dafs man der anderen, in feiner Jugend mit ihm wirkenden Manner vergafs, gehort zu den Neuerern, welche uns die Macht eines neuen Princips gegeniiber den Leiflungen der mehr im Suchen verharrenden Talente zeigen. Er war es, der die Furt^ eine feichte, bequem zu durchwatende Furt zu der gefuchten neuen deutfchen Dichtung fand, nachdem fo Manche fchon, und wie man *) Martin Opitz, geboren 1597 zu Bunzlau am Bober in Schlefien, aus nicht unbemittelter biirgerlicher Familie, wurde auf den danials beriihmten Gymnafien zu Bunzlau, Breslau und Beuthen erzogen. In Beuthen war er auch Erzieher im Haufe des weitgereiften, fiir die moderne Literatur fich intereffirenden und der fremden Poefie kundigen kaiferl. Rathes Tobias Scultetus von Schwanenfee und Bregofchiitz. Er bezog 1617 die Univerfitat Frankfurt a. d. O., wo er fich Candidaten der Poefie und Philofophie nannte und ftatt der Jurisprudenz feine Krafte afthetifchen Studien widmete. 161 8 ging er nach Heidelberg, wo er im Lingelsheimifchen Haufe Unterricht ertheilte und bald die Hauptperfon des Zincgrefifchen poetifchen Kreifes ward. Er machte von hier einige Reifen in Siidwefldeutfcliland , 1620 aber wich er vor dem Kriege und ging mit feinem Freunde Hamilton iiber Holland, wo er Heinfius auffuchte, nach Hamiltons Gut in Schleswig-Holflein. 1622 war er fchon als Dichter hochgefeiert; er wurde in diefem Jahre von Bethlen Gabor als Profeffor an das Gymnafium zu Weifsenburg in Siebenbiirgen berufen, kehrte aber voU Heim- weh 1623 nach Deutfchland zuriick. Er lebte nun an den fchlefifchen Hofen als halber Hofdichter. 1624 fchrieb er feine wichtige kurze Poetik. 1628 wurde er als M. Opitz von Boberfeld vom Kaifer zu Wien geadelt. Langere Zeit fland er nun im Dienfl des beriichtigten ,,Seligmachers" von Schlefien, des die Proteftanten mit Soldaten bekehrenden Hannibal von Dohna. In deffen Auftrag ging er 1630 nach Paris, wo er zu feiner Verwunderung und feinem Bedauern die von ihm ge- feierten und nachgeahmten Dichter aus der Mode und einen neuen Geifl herrfchend fand. Seit Dohna's Tod 1633 lebte er wieder frei feiner Mufe an den fchlefifchen Hofen, bis er fich nach Danzig wandte, wo er zum Hifloriographen des Konigs Ladislaus von Polen ernannt wurde und 1639 an der Pefl ftarb, angefteckt durch einen Pettier, dem er ein Almofen gegeben hatte. J 36 Martin Opitz. fah, felbflandig und an verfchiedenen Orten fich vergeblich danach fuchend in's Waffer gewagt batten. Soil man feinen Ausgangspunkt feflflellen, fo kann man Opitz unter den deutfchen Poeten als denjenigen bezeichnen, der aus der im Allgemeinen fo geifllofen, die Phrafe, das Gedachtnifs und die Form begunfligenden, in Deutfchland vielleicht am ftarkflen graffiren- den Lateinverfelei hervorging. Mit feinem eigenthiimlichen Talente wufste er die vveiteren Wage zu fin den. Seine Heimath Schlefien hatte damals beriihmte Erziehungs- anflalten. An den kleinen Piaflenhofen herrfchte neben und aufser den durch Ritter Hans von Schweinichen bekannten Neigungen viel Renaiffance-Gefchmack. Der deutfche Biirgerfland fiihlte sich im Ganzen der halbflavifchen Menge entfernter. In feiner Poefie hatte er keine volksmafsige Lyrik hinter fich, wie fie am Rhein und Neckar bliihte. Das Kirchenlied und das, wie wir fahen, dem fremden Ge- fchmack fchon angepafste Gefellfchaftslied, Gelegenheitsreimerei und MeiRerfangerweife batten aushelfen miiffen. Ein junger Poet, der aus diefen Kreifen hervorging, hatte von dem Volksthiimlich-Lyrifchen, wie es Weckherlin, Zincgref, Andreae im Neckarlande kannten, keine Ahnung. Nun herrfchte Anfang des 1 7. Jahrhunderts auch in Schle- fien die allgemeine Renaiffanceflromung. Was nicht unwichtig war, auf der ganzen gegen Polen grenzenden deutfchen Linie konnte und mufste damals der Auffchvvung wirken, den Polen, eine Bluthezeit feiemd, in der Poefie genommen hatte und theilweife noch fortfetzte, indem es an nationalen und lateinifchen Dichtern Manner wie die Briider Kochanowski und jetzt Sarbiewski die Seinen nannte und nach Lyrik, Satire, Idylle und befchreibender Poefie Vortreffliches aufzuweifen hatte. Nicht bios von den Italienern und Franzofen, unmittelbar von den Nachbarn und Mitbiirgern konnte der deutfche Schlefier eine Aneiferung fiir feine eigene Poefie verfpiiren, zu welcher auch hier die verhaltnifsmafsig gluckliche Zeit des Erflen-Viertels des 17. Jahrhunderts hindrangte. Martin Opitz, friih angeregt durch gelehrte Verwandte, ein hel- ler Kopf, leicht falTend, nicht tief aber frifch empfindend, in Allem gleichfam wohl temperirt und im guten Mittelmafs, foweit nicht ein ungewohnliches Formtalent ihn hob und ihn mit wirklich genialer Sicherheit und Ueberzeugung feines poetifchen Berufs erfullte, dabei eine organifirende Kraft, der fich Alles unter den Handen einfach und Martin Opitz: Aiistarchus. l37 iiberfichtlich gedaltete, der leider aber auch die Fehler folchen Wefens, des Niichternen und Aeufserlichen oft anklebten, war 1616 mit latei- nifchen Gedichten hervorgetreten. Im Jahr 161 7 als GymnafiaR zu Beuthen und Informator im Haufe des kaiferl. Rathes Tobias Scul- tetus fchrieb er eine lateinifche Rede: Ariflarchus oder Uber die Ver- achtiing der deutfchen Sprache, die 1618 gedruckt wurde. Hat der zwanzigjahrige Gymnafiafl von der Griindung des Palmenordens Kunde gehabt, als er diefe Rede verfafste oder redigirte? Diefe Rede trat patriotifch und jugendlich feurig fur diefelben Tendenzen ein, die im Palmenorden ausgefprochen waren: fur Rein- haltung der deutfchen Sprache und eine Renaiffance der deutfchen Dichtung. Der Redner plaidirt in gefchickter Weife, fich an das Gelehrtenthum wendend und auf das Beifpiel der Romer verweifend, welche fich in den geliebten claffifchen Zeiten trotz aller griechifchen Bildung des flrengflen Purismus in der lateinifchen Rede und Poefie befleifsigt hatten, Tacitus dient ihm zum Verherrlichen der Deutfchen. Die deutfche Sprache ware die jetzt beflehend alteft-unvermifchte. Die Sorgfalt, welche man fiir die claffifchen Sprachen hatte, foUe man auch ihr zu Gute kommen laffen. Aber der Jiingling begniigt fich nicht mit diefem Anfchlagen der gelehrt-humaniflifchen Saite. Es ifl intereffant und characteriflifch fiir fein fpateres Than, wie viel er jetzt fchon andeutet oder umfafst. Verwebt er das Claffifche mit dem grofsten, mit iiberfchwanglichem oratorifchen deutfchen Patriotismus, fo fieht er dann in der Nach- eiferung der fremden RenailTance den Weg, der deutfchen Poefie wieder aufzuhelfen. Aber er wahrt zugleich mit grofsem Eifer, wenn auch mit fchwacher Kenntnifs, die Bedeutung und Ehre der alteren deutfchen Dichtung, von welcher er aus Goldafl Einiges kannte und die ihm Beweis ifl, dafs die Deutfchen und zwar Adel und Fiirflen hohe Poefie lieben und fchaffen konnen. Er hat die fcharfflen Worte fiir die alamodifchen Sprachverderber, welche der deutfchen Sprache folche Krebsfchaden zufugten und in fie gleichfam das unreine Waffer aller Sprachen hineinleiteten und daherwelfchten, um zu zeigen, dafs auch fie die Nafe iiber die deutfchen Grenzen hinubergefteckt hatten. Reifen foUe man, aber um wirklich das Gute zu lernen von den Auslandern. Er flellt Ariofl, Taffo, Sannazar, Ronfard, Sidney als Mufler auf. Ueberfetzungen der fremden Renaiffancedichter feien das befle Mittel; die Amadis-Ueberfetzung fei fchon ein guter Anfang. 1 88 Martin Opitz. Ernst Schwabe. Dies AUes war im Einzelnen nicht neii, fondern fprach nur aus dem allgemeinen Zeitgefchmack eines grofsen Theils der gebildeten Stande heraus, wie es denn auch im Palmenorden feinen Ausdruck gefunden hatte. Originell aber, wenn nicht im Stil Jacob Vogels, war die Kuhnheit, womit der junge Gymnafiafl fich dami fchliefslich nicht undeutlich als den nothigen Reformator bezeichnete und feine Berechtigung dazu feiner Anficht nach wenigflens mit einigen Belegen darzuthun fuchte. 138 Jahre fpater hat ein anderer Gymnafiafl, der den Ariftarch kannte, ein Grofserer wieder eine lateinifche Abfchiedsrede liber deutfche Poefie gehalten — der Ruhm des Erflen, des Opitz, hat gewahrt, bis der Ruhm des Zweiten, Klop- flocks, ihn verdunkelte. Wo der junge Opitz von feinen eignen neuen Unternehmungen handelt, mufs er freilich felbfl bekennen, dafs vor ihm fchon Jemand die Sache in derfelben Weife, durch Nachahmung der Alexandriner, funffiifsigen Jamben u. f w., im Deutfchen angefafst habe. Er ver- fichert aber, dafs er feine Verfuche fchon gemacht, ehe er Kenntnifs von denen feines Vorgangers, des Ernft. Schwabe von der Heyde gehabt, von dem er einige Verfe anfiihrt, gegen welche er die fei- nigen fetzt. Den Scultetus nennt er feinen Anreger und Forderer. Leider hat man von Ernfl Schwabe, der fein Biichlein 16 16 in Frankfurt a. O. hat erfcheinen laffen, keine weitere Kunde.*) *) Opitz ifl wohl der einzige fichere Gevvahrsmann. Zincgref fagt in ,,Mart. Opicii Teutfche Poemata" S. 161, nachdem er des Joh. Clajus und Joh. Engerdus Profodien genannt: „Ich follte Dir auch etwas aus Ernftens Schwaben von der Heide zu Frankfurt a. O. ausgegangenen Teutfchen Poefien mittheilen, fo hab ich fie aber ebenmafsig felbft noch nicht gefehen." Er kennt ihn nur durch Opitz. Hat Rift das Buch in Hiinden gehabt oder fchreibt er in feiner Mufa Teutonica 1643 ''■^^ Zincgref ab? Er citirt genau wie jener: „Ich will hie nicht fagen, dafs Opitz ja nicht der erfte gewefen, der eine deutfche Profodey gefchrieben, angefehen auch ein anderer, als dafs Johannis Claij von Hertzberg, Ernft Schwa- bens zu Frankfurt und Joh. Engerdi Poetae Laur. Anno 1583 zu Ingolftadt ge- druckte deutfche Profodeyen noch heute zu Tage vorhanden." Wenc. Scherffer fagt (6. Buch der Geiftl. und Welti. Gedichte) : „Es hat< der finnreiche Opitz ohne Zweifel aus Ernft Schwabens von der Heide im Jahr 1616 ausgegangenem Poeti- fchen Biichlein die erfte Anleitung bekommen," indem er augenfcheinlich des Opitz Gegenverficherung keinen Glauben beimifst. Rumpler von Ldwenhalt nennt Schwabe, fagt, dafs er das Buch nicht kenne, und will gehort haben, dafs es nicht gedruckt fondern nur handfchriftlich bekannt gewefen fei! Niemand nennt und j^gnnt ihn fonft. Auch Morhof weifs nichts von ihm. Martin Opitz in Heidelberg. i8q Vor der Hand gehorte der Ariflarch zwar zu den bedeutfamen Zeichen der Zeit und des beginnenden Umfchwungs — es war daf- felbe Jahr, in welchem Weckherlin feine Feflaufzugspoefie fiir Stuttgart ausphantafirt hatte — , liatte aber keine weitere erkennbare Wirkung, die erfl 1624 dadurch, dafs Zincgref ihn in feiner Sammlung vvieder abdruckte, allgemeiner eintreten konnte. Hauptfachlich ward er Opitz fiir feinen Ruhm, auf die Alexandriner gewiefen zu haben, wichtig. Opitz felbfl aber hatte fich feine Lebensaufgabe in diefer Rede, wie fpiiter Klopflock, vorgezeichnet. Er ging nach Frankfurt a. O., zum Erflaunen Vieler und als ubermiithig angefehen, da er, um Jurisprudenz, die er nominell ge- wiihlt, fich nicht kiimmernd, offen fich fiir das Studium der Poefie beflimmte. In Frankfurt mufs eine poetifche Stromung vorhanden gewefen fein, zum Theil fich wohl aus den Bewegungen im polnifchen Nachbarlande erklarend; fie fetzte fich auch weiterhin fort, wie man z. B. aus Heinr. Helds Gedichten erfehen kann. Auch in Danzig und Konigsberg bUeben die pohiifchen poetifchen Beflrebungen wohl nicht chne Einflufs, fo weit nicht auch hier die rein deutfchen wirkten. 1 618 aber ging Opitz in die lebensvolle Stadt der Renaiffance, nach dem damals im hochflen Glanze prangenden, heiteren Heidel- berg, wo er nicht bios, wie Zincgref zeigt, fehr tiichtige Beflrebungen vorfand, der deutfchen Poefie von der claffifchen Literatur aus neuen Inhalt zu geben, fondern auch die franzdfifchen Renaiffance -Beflre- bungen freieren und claffifcheren Stils, der Marot, du Bellay, Bartas, Ronfard u. f. w. noch ganz anders kennen lernte, als dies in Schle- fien und Frankfurt der Fall hatte fein konnen, mochte er auch feinen Ronfard wirklich gekannt und bei Scultetus viele Fingerzeige und Anregungen bekommen haben. Der junge Schlefier war in keiner Weife nach Gemiith und An- fchauungen deutfch-volksthiimlich praoccupirt. War er tiefer und leidenfchaftlicher in feiner Empfindung und feinem Character gewefen, fo hatte er gleich Anderen verfucht, neue, felbflandige Bahnen zu brechen. So, wie er war, klaren Verflandes, heiteren Gemiithes, durch Erziehung und Verhaltniffe den neuen gelehrten Renaiffancebeflre- bungen ergeben, fah er die Fortfchritte der Fremde mit Bewunderung und nahm fie in der unbefangenflen Weife als Mufler. Und er that nun fiir die Poefie, was fchon in alien Kiinllen gefchehen war: er ahmte nach. I go Martin Opitz. Eins freilich hatte er. Nicht bios, dafs er klar wufste, was er wollte und that, fondern er hatte auch ein klares, fell umriffenes Muster des neuen Menfchen, wenn auch vveniger in der kiinftlerifchen Phantafie als vor feinem kunfllerifch angeregten Verflande, des modern- humanen, auf claffifche Bildung fich fliitzenden, in Gelehrfamkeit und Forfchung Vertrauen fetzenden Mannes, der um die mittelalterlich herrfchenden Ideen und EigenthiimHchkeiten fich nicht kiimmert und vor Allem Verfland und Vernunft und danach urtheilende Geiiler fiir fein Verhalten zu Rathe zieht, ohne die religiofen Grundlagen nach einer verniinftigen Befchrankung derfelben aufzugeben, im practifchen Leben allerdings eine philofophifch gewonnene Ethik den rehgidfen aus dem Katechismus gezogenen, gevvdhnHchen Geboten vorordnend. In diefer Beziehung fleht er in feiner Zeit merkwiirdig frei da, auch niichtern, feicht in mancher Hinficht, aber in feiner Art ein ganzer Mann: neben fo manchem Tuinpel und fumpfrandrigen Teich, neben fo manchem Bach und einigen wenigen tieferen kurzen Strdmen ein klarer, iiberall kiesgriindiger, nicht tiefer, aber vielfach nicht anmuths- lofer, grofser Flachlandsfee. Was er gedichtet hat, ifl einheitUcher und beflimmter Ausdruck, und aus diefem einheitUchen Geifl heraus konnte er fo viel leiften, weil ein gewiffer Kern da war, wahrend Andere flets auf befondere Anregung ihrer vielleicht weit bedeutenderen einzelnen Talente warten mufsten, da fie im Princip nicht wufsten, was fie wollten und nicht ihr Inneres als felbflandige Welt fiihlten, wie dies bei Opitz der Fall war. Nach diefer Seite hin ifl Alles, was er geleiflet, wahr. Er war erftillt von feiner Aufgabe. Daher feine grofse Wirkung. Was man damals — um 1620 — unendlich in der deutfchen Literatur fchatzte, war neue Bildung, Klarheit, logifcher Zufammen- hang, Beftimmtheit und Fertigkeit. Dies Alles hatte Opitz, hatte der lyrifch weit bedeutendere Weckherlin z. B. nicht fo. Fafste Opitz eine Sache poetifch an, fo gefchah dies nicht aus der Fiille des Gemiithes, aus wogender Phantafie heraus, fondern nach leicht disponirender Verflandesarbeit aus einer poetifchen Wallung, die grofs genug war, um feine Anfchauung zu reizen und die Worte dafiir leicht flrdmen zu laffen. Fiir feine Epoche aber war er in Diction und Form ein uniibertrefflicher Virtuofe, dem fich fchon in der Zeit feines Heidelberger Aufenthaltes Nieniand an die Seite flellen konnte und der obendrein durch die Beftimmtheit und Sicherheit feiner Beflre- Martin Opitz. jgj bungen und feines Wefens die Einen hinrifs, tlurcli den Umfang feiner KenntnilTe in der fchonen Literatur den Andern imponirte. So ward er fchnell und wie Hamilton's und Zincgrefs Beneh- men zeigt, enthufiaflifch von den Heidelberger Freunden und Gon- nern fiir das anerkannt, wofiir er fich fchon im Ariflarch angefehen hatte. Seine Bearbeitung und Nachahmung der franzofifchen Lyrik gait fchon jetzt fiir muRerhaft, und ein frohes Univerfitatsleben, in welchem Liebeleien und heitere Ausfliige wohl nicht bios auf dem Papier eine RoUe fi)ielten, und die franzofifchen Gevvohnheiten der Heidelberger Hofkreife forderten noch das Verflandnifs der franzo- fifchen Mufe und gaben einen nicht ungeeigneten Hintergrund ab. Nach Allem, was wir von diefem Heidelberger Leben wiffen, war es fiir den Dichter und feinen Kreis eine heitere, fonnige, viel an- regende Zeit. Als Opitz 1620 nach den Niederlanden ging, fand er dort in Bliithe, wonach er flrebte. Den grofsen Daniel Heinfius, fein poetifch- gelehrtes Mufler, lernte er perfonlich kennen. Mit der Ueberfetzung des Lobgefanges auf Chriflus und des Hymnus auf Bacchus von Heinfius (162 1) flellte er fchon jetzt in weiteren Kreifen feinen Ruf feft. Es folgten fiir Opitz die bewegten und ungliicklichen Zeiten, wo er fich vom Gute feines Freundes am Strand der Cimberfee nach dem Wolfsbrunnen und den Kaflanienwiildern Heidelbergs fehnte und, von tiefer Betriibnifs iiber den fortwuthenden Krieg ergriffen, feine freilich erfl nach Jahren veroffentlichten Troflgedichte in Widerwartig- keit des Krieges fchrieb. Dann berief ihn Bethlen Gabor nach Siebenbiirgen, wo er fein Zlatna dichtete, ein befchreibend-didactifches Gedicht im Stil der lateinifchen Landlebens-Dichtung, gleich dem vorigen voll bedeutender, aus dichterifcher Anfchauung und Empfin- dung gefchriebener, in ihrer einfachen, fchonen Corre6lheit damals einziger Stellen, nach dem ganzen Stil fiir diefe Zeit neu und bahn- brechend. Tiefes, uniiberwindliches Heimweh trieb den Dichter dann wieder nach Deutfchland zuriick; neben feiner Dichtung und feiner Lehrflellung hatte er aber in dem Jahre feines Siebenbiirgener Aufent- haltes mit gelehrtem Fleifse iiber die Alterthiimer Daciens Forfchungen angeflellt. (Leider ifl das Werk, welches er dariiber herausgeben wollte, nicht zu Stande gekommen, indem das dem Abfchlufs nahe Manufcript nach Opitz' Tode an der Pefl mit alien iibrigen Manufcrip- ig2 Martin Opitz: Poetik. ten verbrannt wurde.) Zuriickgekehrt nach Schlefien*) fchrieb er nun 1624 «auf vieler Begehren» feine kleine Schrift: Von der deutfchen Poeterei. Ini felben Jahr liefs Zincgref in Strafsburg jene mehrfach genannte Sammlung Opitzifcher Gedichte erfcheinen, weil ihm der Dichter, gleichfam der neue Meffias, zu lange zu zaudern fchien, der Nation fich zu offenbaren und fie Theil nehmen zu laffen an feinem neuen Wirken; bald darauf gab Opitz felber feine gefammelten und nach der neuen Einficht in die deutfche Metrik gebefferten Gedichte heraus. Von 1624 beginnt feine Autoritat und Wirkung. Mit dem Er- fcheinen des Biichleins von der deutfchen Poeterei beginnt man ge- meiniglich und nicht unrichtig die Zeit der neueren deutfchen Poefie. Diefe Poetik ward der Ausgangspunkt der neudeutfchen Dichtung und mit wenigen Ausnahmen der Canon der deutfchen Poefie bis Klopflock. Noch Bodmer und Breitinger, die Viel-Anregenden, halten auf Opitz. Es gefchieht Opitz nur ein Recht und gewahrt iiberdies treff- lichen Einbhck in die Anfichten der Zeit, wenn diefe Poetik, die er anfpruchslos auf Bitten von Freunden gab und in fiinf Tagen gefchrie- ben haben foil, eingehender behandelt wird. Hat man friiher zu viel fie zum Leiter genommen, fo hat man fich in den neueflen Zeiten zu fehr daran gevvohnt, fie lacherlich zu finden. Opitz beginnt damit: er «vermeine nicht, man konne jemanden durch gewiffe Regeln und Gefetze zu einem Poeten machen. Es ill. *) Wenn Vilmar in feiner Literaturgefchichte bei Opitz fpricht von den ,,gefchraubten Gedanken eines Stubengelehrten, der fich vor Freude nicht zu laffen weifs, wenn er einmal aiis feinen vier Wanden herauskommt und ein Kalb auf der Weide fpringen fieht" fo id diefe Abficht, des Opitz Stubenpoefie zu characterifiren nicht gut ausgefiihrt und der Nagel damit niclit auf den Kopf getroffen. Opitz hat feine Reifen nach Frankfurt, Heidelberg, in Siidwefldeutfchland , nach den Niederlanden und Schleswig-Holftein, von da nach Siebenbtirgen und wieder nach Wien und Paris zur Zeit des dreifsigjahrigen Krieges nicht in der verfchloffenen Poflkutfche oder dem Eifenbahnwaggon der fpateren Zeit gemacht und nicht bios Kalber genug fpringen fehn, um davon nicht echauffir,t zu vi'erden, fondern auch zur dichterifchen Anfchauung Reiterfcharmiitzel mitzumachen gewagt, wenn gleich er fich nichts Heldenhaftes zutraute und fo fehr Nachahmer war, dafs er dem Horaz, wie diefer dem Alcjius nach I'lch felber verfpottete, dafs Fechten und Soldatenftolz nicht feine ftarke Seite fei und er keine Ehre dreinfetze, fich todt fchiefsen zu laffen. Nach dem, wie ihn feine Zeit anfchaute, war ihm fchon ein folcher Selbflfpott voll Selbftfchatzung zu verzeihen. Martin Opitz : Poetik. j 03 auch die Poefie eher gefchrieben worden, als man je von derfelben Art, Amte und Zugehor gefchrieben: und haben die Gelehrten, was fie in den Poeten (welcher Schriften aus einem Gottlichen Antriebe und von Natur herkommen, wie Plato bin und wieder hievon redet) aufgemerket, nachmals durch richtige Verfaffungen zufamniengefchlof- fen und aus vielen Tugenden eine Kunfl gemacht. » So Arifloteles, Horaz, Vida und Scaliger. Von ihnen fo vortrefflich, dafs er fich kurz faffe und nur einiges AUgemeine und einiges, die deutfche Sprache vornehmlich Betreffende beriihre.*) Dichtung fei im Anfang nichts anders gewefen als eine verbor- gene Theologie und Unterricht von gottlichen Sachen. Sie fei fmn- licher Ausdruck fiir die Volksmaffe gewefen, welche die wahre Weisheit nicht habe faffen konnen. Und nun fucht er die Theologen fiir die Dichtung, namentlich fiir die heidnifche Dichtung und deren Gebrauch nach Mythologie u. f. w. verfohnlich zu flimmen, indem er die Gotter fiir Symbole der Natur und fiir menfchliche Perfoni- ticationen erklart. Er nennt die Poefie mit den Alien die erfle Philo- fophie und tadelt diejenigen, welche die Dichtung nur zur Ergotz- lichkeit erachten. Er entfchuldigt und verwirft dann, was haupt- fachlich gegen die Poefie und die Poeten vorgebracht wird. Poefie fetze Einficht und Kenntnifs voraus von dem, was man dichte; fie enthalte alle Kiinfle und Wiffenfchaften. Erasmus von Rotterdam, verachtlich ein Poet geheifsen, habe gefagt, er fchatze fich diefes Lobes unwiirdig, denn auch nur ein mittelmafsiger Poet fei hdher zu achten als zehn Philofophaflri. Dafs ein Dichter ein bdfer Menfch fei, diefes Urtheil fei keiner Antwort wiirdig. Leider triigen viele unberufene Dichter Schuld an der Verachtung der Dichtkunfl, indem fie das Papier mit ihren ungereimten Reimen befleckten. « Die Worte und Syllaben in gewiffe Gefetze zu bringen und Verfe zu fchreiben, ifl das allerwenigfle, was in einem Dichter zu fuchen ifl. Er mufs *) Dies ifl; natiirlich feflzuhalten und kommt befonders fiir die Aufzahlungen, die man gewdhnlich lacherlich macht, in Betracht. Es ifl; femer nicht zu ver- geffen, was gleich bei dem niichflen Abfatz gilt, fiir welche Zeit und gegen welche Anfchauungen von Poefie Opitz fchrieb. Seine claffifchen und theologifchen Be- zugnahmen waren zum mindeflen klug und find die letzteren durchaus nicht aus Befangenheit zu erklaren. Viele Satze befagen dire<51: das Gegentheil von dem, was man haufig feine Lehre nennt oder als folche kennt; fo z. B. gleich die An- fangsworte. Lent eke, Gefchichte der detitfchen Dichtung. 13 104 Martin Opitz : Poetik. ivcfnvTttfjicjjnxo?, von fmnreichen Einfallen und Erfindungen fein, mufs ein grofses unverzagtes Gemlithe haben, mufs hohe Sachen bei fich erdenken konnen, foil anders feine Rede eine Art kriegen und von der Erde emporfleigen. » Dann aber tadelt er das Publicum auf's fcharffle wegen feines unfmnigen Verlangens nach Gedichten bei jeder Gelegenheit, bei einem neuen Buch, bei Hochzeit, Begrabnifs, flir Schiiffeln und Kannen und Wande und Steine und Buhlfchaft und narrifche Anfuchen ohn' Ende. Abfchlag brachte Feindfchaft, Willfahren der Dichtung Abbruch. Ferner folle man wiffen, dafs die Dichtung im Nachahmen der Natur befltinde und die Dinge nicht fo fehr befchreibe, wie fie feien, als wie fie fein konnten.") Die Menfchen fahen aber gern das Ergotz- liche und horten gern das Ungeheure, was fie doch in Wirklichkeit nicht zu fehen begehrten. Er betrachtet und entfchuldigt dann das Leben der Poeten, die grofsere Sicherheit und Freiheit ihrer poetifchen Gemiither, ihre Liebe zum Wein und lockeren Leben; doch fei es nicht fo fchlimm damit, wie man es gemeiniglich mache. Was die deutfche Poefie betrafe, fo vermeine er nicht, dafs es an unfrem rauhen Klima lage, dafs das Land keine dichterifchen Geifler hervorbringe. Tacitus kenne fchon den Gefang der Deutfchen zu Ehren des Armin; auch meine er, es ware bei den Germanen wie bei den Galliern gewefen, welche Barden, Vates und Druiden gehabt hatten. Nachrichten von Cimbern und Teutonen und den alten Danen beflatigten ihm dies. Dann aber aus dem Mittelalter unter Kaifer Friedrich L und Heinrich VL feien von deutfchen Dichtern (Reinmar von Zweter, Marner, Walther von der Vogelweide u. A.) Dichtungen noch vorhanden, die manchen flattlichen Lateinifchen Poeten an Erfindung und Zier der Reden befchamten. Hernach fei die Dichtung in Vergeffenheit gerathen; Petrarca habe bei den Italienern, Ronfard bei den Franzofen eine neue Dichtung begonnen. Studium der Griechen gebe der Poeterei ihre meifle Kunfl, Art und Lieblichkeit. «Und mufs ich nur bei hi^figer Gelegenheit ohne Scheu diefes ferinnern, dafs ich es fiir eine verlorene Arbeit halte, *) Die Tragweite diefes Satzes des Ariftoteles vom Nachahmen der Natur, aber in nothwendiger Idealifirung, ift freilich Opitz fo wenig, wie andern dama- ligen Aeflhetikern aufgegangen. Martin Opitz : Foetik. jqc im Fall fich jemand an unfere deutfche Poeterei machen wollte, der nebenft dem, dafs er ein Poete von Natur fein mufs, in den Grie- chifchen und Lateinifchen Buchern nicht wohl durchtrieben ifl und von ihnen den rechten Grifif gelernt hat; dafs auch alle die Lehren, welche fonflen zu der Poefie erfordert werden und ich jetzt und kiirzlich beriihren will, bei ihm nicht verfangen konnen.»*) Er geht dann, hinfichtlich der Erfindung fich auf Scaliger beru- fend, auf die Arten der Dichtung ein. Hier folgen die vielberufenen Anfiihrungen des heroifchen Gedichtes (Epos), der Tragodie, Ko- modie u. f \v. Es ifl aber doch nicht zu vergeffen, dafs Opitz hier nur eine populare Ueberficht des Inhalts geben will und gar nicht an eingehende Erklarungen denkt, fiir welche er auf die grofseren Werke iiber Poetik verweifl. Weil er nun aber hie und da in die Ueberficht eine an fich unbedeutende Regel einfchiebt, erfcheint aller- dings die trockne Aufreihung noch gefchmacklofer. An fich aber ift es, den Zweck des Werkchens betrachtet, weder fo verkehrt noch fo albem, wie man haufig hinflellt, wenn er z. B. fagt: «die Tragodie ifl an der Majeflat dem heroifchen Gedichte gemafs (d. h. fie hat das erhabene, das «hohe Wefen» zum Inhalt), ohne dafs fie felten leidet, dafs man geringen Standes Perfonen und fchlechte Sachen einfiihre ( — in diefen nach Arifloteles gegebenen Worten ifl der Streit beriickfichtigt, wie er zwifchen den Anhangern des antiken und fomit des franzofifchen und andrerfeits des mittelalterlich fich ent- wickelnden englifchen Dramas wegen der Berechtigung der Einfiihrung niedrig komifcher Perfonen und Handlungen in die Tragodie fo viel- fach durchgefochten worden ifl, — ) weil fie nur von Koniglichem Willen, Todtfchlagen, Verzweiflungen , Kinder- und Vatermorden, Brande, Blutfchande, Kriege und Aufruhr, Klagen, Heulen, Seuf- *) Diefer Satz ifl viel hervorgehoben, verfpottet und veidammt worden. Man vergifst, dafs „ein Poete von Natur" gefordert wird oder wie es im Opitzifchen Gedicht heifst „der den Himmel fiihlt". In die Sprache unferer Zeit iibertragen laulet der Satz: „Der Kiinfller ifl zwar der Sohn feiner Zeit, aber fchlimm fur ihn, wenn er zugleich ihr Zogling oder gar noch ihr Giinflling ifl. Eine wohl- thatige Gottheit reifse den Saugling bei Zeiten von feiner Mutter Brufl, nahre ihn mit der Milch eines beflferen Alters und laffe ihn unter femerem griechifchen Himmel zur Miindigkeit reifen." (Aefthet. Erziehung des Menfchengefchlechts. 9. Brief.) 13* Iq6 Martin Opitz : Poetik. zen u. drgl. handelt. *) Von derer Zugehor fchreibt vornehmlich AriRo teles iind etwas weitlauffiger Daniel Heinfius, die man lefen kann. » In dem Abfchnitt iiber Zubereitung und Zier der Worte tritt er ftir Reinheit der Worte, Vermeidung der Fremdworte, aber fur neue Wortbildungen, wie — damals neu — Kummerwenderin, kriegs- blutdiirflig, Wolkentreiber u. f. w. ein, wobei er freilich, ein flraffes, audi trocknes Gelehrtenthum gegen die Willkiirlichkeit der Zeit rich- tend, mit manchem Richtigen eine Reihe pedantifcher Regeln aufflellt, alle hervorgegangen aus der Abficht, die dichterifche Sprache immer klar und verftandlich zu erhalten. Das Extrem der Volkspoefie hatte das Extrem des Gelehrten hervorgerufen. Perfonliche Willktir und Provincialismus follten die Poefie nicht triiben; klar, beflimmt follte *) Es ift eben eine Inhaltsangabe. Wie fagt Horatio, als er nach Hamlet's Tod das Vorgegangene, d. h. den Inhalt der Hamlet-Tragodie melden will? Sie meldet von: „Unzucht, blutiger Unnatiirlichkeit, vom Strafgericht des Zufalls, blin- dem Mord, von Todten , durch Gewalt und Lift bewirkt , und Fehlentwiirfen , die zuriickgefallen auf des Erfinders Haupt"; Hamlet V. letzte Scene. Opitz' Vorreden zu den Dramen follten ihn gegen die Vorwiirfe fichern, die man ihm, jene Worte aufser dem Zufammenhange citirend, zu machen pflegt. Man iiberfetze fich nur feine Sprache etwas in den Stil unferer Zeit. Er fagt in der Vorrede der Tro- janerinnen, worin er wie in der Antigone das Schickfal des deutfchen Vaterlandes bejammert: „Denn eine Tragodie, wie Euripides foil gefagt haben, ift nichts anders als ein Spiegel derer, die in ihrem Thun und Laffen auf das blofse Gliick fufsen. (Solche) Beftandigkeit aber wird uns durch Befchauung der Mifslich- keit des menfchlichen Lebens in den Tragodien zuvorderft eingepflanzet : denn indem wir grofser Leute, ganzer Stadte und Lander aufserften Untergang zum ofteren fchauen und betrachten, tragen wir zwar, wie es fich gebiihret, Erbarmen mit ihnen, konnen auch nochmals aus Wehmuth die Thranen kaum zuruckhalten; wir lernen aber daneben auch durch ftete Befichtigung des vielen Kreuzes und Uebels, das Andern begegnet ift, das unfrige, welches uns begegnen mochte, we- niger fiirchten und beffer erdulden. Wer wird nicht mit grofserem Gemiithe als zuvor feines Vaterlandes Verderben und Schadcn, den er nicht verhiiten mag, er- tragen, wenn er die gewaltige Stadt Troja, an welcher, wie die Meiuung gewefen, die Gdtter felbft gebauet haben, fiehet im Feuer ftehen und zu Staub und Afche werden." Diefe „herrliche Nutzbarkeit" ift zwar mit einer barocken W^endung aber poetifch aufgefafst. Aehnlich fpricht er in der Vorrede der Antigone. Es ift gar kein Grund vorhanden, an Opitz nur als an einen flachen Abfchreiber und Nach- fprecher zu denken. Ift er kein tiefer Denker, fo ift er doch ein gedankenhafter Mann, der immer weifs, was er fagt, wie die Poetik am beften Satz fiir Satz zeigen kann. Martin Opitz : Poetik. jny die Sprache darin gehandhabt und der Vers keine Freiheiten haben, die in der Profa als Fehler galten. Es war dies die allgemeine Stromung der Zeit, die fich in Frankreich am fcharfflen characterifirte; fie traf mit Opitzens Anlage zufammen und verfuhrte ihn zum niich- ternen Tadel wie z. B. der Wortflellung: das Miindlein roth, der Weltkreis rund — anRatt: das rothe Miindlein u. f. w. (Werder hat fich, wie wir gefehen, diefer poetifchen Freiheit der Wortflellung gegen Opitz, auf Hiibner und die allgemeine Sitte verweifend, an- genommen.) Sodann behandelt Opitz mit grofser Wichtigkeit die Elifion des «e», das allerdings fiir die deutfche Sprache fo man- chen Stein des Anflofses abgiebt. (Die kurzen «e-Silben» haben fchon in der mittelalterlich deutfchen Poefie mannigfache Regeln nothwendig gemacht.) Den allgemein eingeriffenen Willkiirlichkeiten machte Opitz im kurzen Procefs ein Ende. Er tadelt z. B. Elifion und Wortflellung wie in des Paul MeHffus: Roth Roslein wollt ich brechen Zum hiibfchen Kranzelein, Mich Domer thaten flechen Hart in die Finger mein. Man vergeffe nicht, dafs viel Grund zur formalen Strenge in der deutfchen Dichtung vorhanden war, wo nur bei zu Vielen Schludrig- keit und Vers- und Reimnoth fich AUes geflattete und Dichtung, anflalt hochfle FormvoUendung zu bedeuten, eine Entfchuldigung ftir Formverletzung geworden war. In ahnlicher Weife befpricht Opitz Undeutlichkeiten, Pleonas- men u f w. Die Bedeutung des Buchflabenklangs kennt er gut; vor Uebertreibung folcher Wirkung warnt er. (Sein «Dirdilir» der Lerche wird ihm auch wohl zu fehr aufgemutzt.) «Das Anfehn und die Dignitat der poetifchen Rede anlangend, beflehet diefelbe in den tropis und fchematibus, wenn wir namlich ein Wort von feiner eigen- thiimlichen Bedeutung auf eine andere ziehen. » Er verweifl dafur auf die Lateiner und befonders auf Scaliger und andrer Gelehrten Poetiken. «Deffen will ich nur erinnern, dafs vor alien Dingen ndthig fei, hochfle Moglichkeit zu verfuchen, wie man die Epitheta, an denen bisher bei uns grofser Mangel gewefen, fonderlich von den Griechen und Lateinifchen abfehen und uns zu Nutz machen mogen » ; fie miifsten aber bezeichnend, wahrhaftig und dem ganzen Character der Poefie angemeffen fein. Nach den Beflimmungen iiber Reinheit 198 Martin Opitz : Poetik. des Reims unci die fchon erwahnte Elifion des «e» folgt jener Satz, auf welchem unfere Versbildung beruht, kurz und einfach, ja trocken ausgefprochen vvie die friiheren Regeln. « Nachmals ifl auch ein jeder Vers entweder ein Jambicus oder Trochaicus, nicht zwar, dafs wir auf Art der Griechen und Lateiner eine gewiflfe Grofse der Silben konnen in Acht nehmen, fondern dafs wir aus den Accenten und dem Ton erkennen, welche Silbe hoch und welche niedrig gefetzt foil werden. Wie wohl nun meines Wif- fens noch niemand, ich auch vor der Zeit felber nicht, diefes genau in Acht genommen, fcheint es doch fo hoch vonndthen zu fein, als hoch vonnothen ifl, dafs die Lateiner nach den Quantitatibus oder Grofsen der Silben ihre Verfe richten und reguliren. Denn es gar einen iiblen Klang hat: Venus die hat Juno nichtfvermocht zu obfiegen — " Diefe von Opitz gegebene Kegel, die unfere, frUher nach Ton- hebungen ordnende, allmalig aber und befonders im Verlauf des 16. Jahrhunderts nur Silben zahlende poetifche Form neu feflflellte, war zwar auch anderswo fchon, z. B. in der oben angeftihrten Poetik des Triffmo fiir das Italienifche aufgeflellt, aber nirgends angenommen und ward gegen das Beifpiel der Italiener und Franzofen von Opitz in's Leben gefiihrt. Es ifl nicht zu verkennen, dafs in die Einfach- heit des deutfchen Versbaues daniit auch eine gewiffe Befchrankung kam, indem die fchwebende Betonung, fiir den Declamator fo wichtig, damit aufgehoben wurde und Ton und Versfall mit einander gehen. Verfe, welche die Franzofen wegen ihrer Freiheit der Betonung ge- brauchen konnen, wodurch die grofse Regelmafsigkeit verdeckt und freiheitlicher im Ausdruck wird, z. B. die Alexandriner, werden, nach der neuen Opitzifchen Regel gedichtet, in Deutfchland fleif und (larr. Entwicklungen lyrifcher Metrik, wie fie aus Hoeck's, Andreae's, Weck- herlin's Poefien mdglich gewefen waren, waren abgebrochen. Aber anflatt diefer unficheren Mdglichkeit und wirklichen Unficherheit war in den Worten « dafs wir aus den Accenten und dem Ton erkennen, welche Silbe hoch und welche niedrig gefetzt foil werden » die neue Theorie gegeben, einfach, unferer Sprache zufagend, auch fchon langfl getibt, wenn dann auch vernachlaffigt, die uns jetzt fo natiirlich fcheint, dafs wir es gar nicht anders wiffen. Es war die Aufflellung diefer Regel das Ei des Columbus. Martin Opitz : Poetik. I on Sodann behandelt Opitz die Verfe. Er zieht nach dem Gefchmack der Franzofen die « heroifchen » Verfe, die Alexandriner, alien iibrigen vor, indem er leider nicht an den Unterfchied denkt, der, wie eben hervorgehoben, fiir das Ohr in einem Alexandriner mit feiner fcharfen, gleichmafsig theilenden, alfo an fich fchon leicht iibermafsig einheit- lichen Ciifur bei frei fchwebender Betonung und einem opitzifch ge- bauten deutfchen Alexandriner befleht.*) Macht man jetzt Opitz den Vorwurf, diefen trocknen, gegen die Wirkung des Knittelverfes die langweilige Regelmafsigkeit des paradefchrittmafsigen und in der Mitte durch die flets gleiche Cafur gebrochenen fechsfUfsigen jambifchen Verfes gefetzt zu haben, fo bedenke man, dafs er grade wegen Ein- fiihrung des Alexandriners feiner Zeit mit mehreren Nebenbuhlem Streit liber die Prioritat hatte. Es war ein Gegenfatzvers, ein Extrem gegen das Extrem der Willkiir des Knittelverfes, fpater wieder durch Gegenfatze: Profa, Knittelvers und cafurlofen Fiinf-Jambus beflritten. Opitz zog die Alexandriner den fiinffiifsigen Jamben, den «vers communs» der Franzofen vor, die «Ronfard fiir die heroifchen Vers tiichtiger zu fein» vermeint hatte. Nach unferem Gefchmack un- gliicklich genug. Doch ifl nicht zu vergeffen, dafs damals fiir den fiinffiifsigen Jambus die flrenge nach zwei und drei Jamben brechende Ciifur gefordert wurde: allerdings eine fiir uns angenehmere Mannig- faltigkeit als die ganz gleich theilende Cafur der Alexandriner.**) Ueberdies hielt Opitz den Alexandriner fiir geeigneter als deutfchen erzahlenden Vers, weil man in unferer Sprache nicht fo kurz fein konne wie im Franzofifchen. (Wohl behauptete man nach Ronfard, die Alexandriner feien der ungebundenen freien Rede wegen ihrer Weitlaufigkeit zu ahnlich, wenn fie nicht ihren Mann fanden, der fie lebendig zu machen wiffe. Aber dies mtiffe, fagt Opitz, von jedem wirklichen Poeten gefordert werden. Zu Grunde lag der Wahl des Alexandriners eben der in Zopf iibergehende Barockgefchmack.) Hexameter halt Opitz im Deutfchen nicht fiir moglich. Dafs aber in diefen kurzen und trocknen Regeln feines Abriffes, welchen er auf Bitten von Freunden in fiinf Tagen aufgefetzt, nicht *) Breitinger hat hierauf zuerfl aufmerkfam gemacht in feiner fcharfen Beur- theilung der Alexandrinifchen Verfe und des Reimes. **) Siehe iiber die Entwicklung des fiinffiifsigen Jambus: Friedr. Zamke: Ueber den fiinffiifsigen Jambus. Leipzig 1865. 200 Martin Opitz : Poetik. die Poefie felbrt. zu finden fei, fagt Opitz ausdriicklich wieder am Schkifs. Naturbegabung mache den Dichter; in ihm miiffe ein Gott fein, der ihn befeure, wie Ovid fage: Eft deus in nobis agitante calescimus illo; der gotdiche Furor des Plato miilTe in dem Dichter herrfchen. Er- findung und Worte dtirften nicht gefucht werden, fondern miifsten von felber kommen und aus Lull und Anmuthigkeit fliefsend LuR und Anmuthigkeit bringen. Fleifs und Uebung feien allerdings nicht zu verwerfen, fondern miifsten fich mit der Natur, d. h. mit der Begabung vereinigen. Dazu fei aber Ueberfetzung gut*), dann aber auch flrenge Kritik kundiger Manner. Ruhm bei den Hohen und iiberhaupt in der Gegemvart, auch bei Frauen, und Ruhm bei der Nachwelt feien des Dichters Lohn, wie fchon PHnius anfiihre. Zu diefer Hoheit des guten Namens komme das Ergotzen durch das Studium der Weifen und Dichter; wer diefe Freude kennen gelemt, der wiirde bekennen, dafs es weit beffer fei, viel wiffen und wenig befitzen als alles befitzen und nichts wiffen. Alle andern Wolliifle zergingen, aber diefe begleite durch alle Stafieln des Alters, eine Zierde im Wohlfland und in Widerwartigkeit ein ficherer Hafen. So folge er, wozu Gott und die Natur ihn leite; und hoffe dem Vater- land zu dienen und Anerkennung zu finden. Den Verachtern der Poefie aber wolle er in kiinftigen Dramen eine ihnen paffende Rolle geben. Dies der Inhalt der Opitzifchen Poetik, womit er den Riegel an der Pforte des Vorhofs der neuen Dichtweife fortfchob, fo dafs Alies Hals iiber Kopf hineinftiirzte und jeder regelrechte Reimer anfangs meinte, er ware auch fchon im eigentlichen Wunderland der Poefie. Mit der einen Regel, dafs wir das Metrum durch die Betonung reguliren muffen, hatte Opitz alle Unficherheit, welche allmalig hin- fichtlich des Versbaues eingeriffen war, befeitigt. Diefe Schrift ward der Eckflein fiir die nachflen Zeiten. Zu ihrer gerechten Beurtheilung ifl ndthig, dafs, man ihren Werth an fich trennt von den Folgen, welche fie hatte, indem man fie einfeitig auffafste und ausfuhrte. Warum kam Keiner, der die richtigen Forde- rungen des Opitz hinfichtlich der Begabung und dichterifchen Be- *) Leffing und Borne urtheilen jihnlich. Martin Opitz : Poetik. 20I geiflerung weiter ausfuhrte; warum wufste Niemand nichl einmal fo wie Spangenberg in der Vorrede des Ganskonig von der Frau Phantafia zu berichten, Opitz erganzend? Was konnte Opitz dafur, dafs feine Nachahmer die formale Seite, die grade feinem Talente am meiflen entfprach und die er deswegen und weil er darin Neues zu geben hatte, ausfiihrlicher behandelte, fafl allein ins Auge fafsten und feine Regeln nicht vertieften fondern verbreiterten und feichter machten, dafs fie weniger zu Empfehlendes, aber im Sinn der Zeit Liegendes mit Leidenfchaft ergriffen, manche bedeutende Wahrheiten aber fo gut wie ganz unbeachtet oder ganz unausgebeutet liefsen? Vor Allem hat man natiirlich Opitz felbfl nicht weiter ver- antworthch zu machen, als die Kritik der Poetik zulafst. Er fchrieb in befler Abficht und im beflen Glauben, ausgeriiflet mit keiner andern Macht als jeder andere um deutfche Poefie fich muhende Gelehrte; er war ein fiebenundzwanzigiahriger, von Heidelberg bis Jutland und von da bis Siebenbiirgen umhergefchiittelter, vor dem Kriege Ruhe und Brod fuchender Gelehrter und Dichter, weder mit Glucksgiitern gefegnet, noch durch Rang und Stand ausgezeichnet, nicht einmal befonderer Patronfchaft, etwa der fruchtbringenden Ge- fellfchaft fich erfreuend, fondern einzig und allein auf fein Talent angewiefen. Er fchrieb diefes kleine Werk und die Zeit fiel ihm zu; noch Klopflock nennt ihn mit Achtung. Er hat allerdings die RoUe eines Leithammels gefpielt; aber mufs er denn deswegen fort- wahrend als Siindenbock abgefchlachtet werden, wie man fich, nachdem man ihn iiber loo Jahre iibermafsig gepriefen, feit dem folgenden Umfchwung gewohnt hat? Fafl Alles, was die nachflen Zeiten deutfcher Poetik gebracht haben, fmd Bearbeitungen der Opitzifchen, Ausfuhrungen, Verbreite- rungen, Erganzungen, leider nicht in der Behandlung des Wefens der Dichtung. Einige Satze mogen noch naher beleuchtet werden. Opitz felbfl hat nie den Satz aufgeflellt, dafs Dichtung gelehrt werden konne. Er widerfpricht dem entfchieden. Er hatte fo viel wahres poetifches Talent, um die Entflehung der Dichtung zu kennen; eine Reihe feiner Poefien fmd aus echter dichterifcher Erregung her- vorgegangen. Er hat den Gott, von dem er redet, felber empfunden, feine Weihe gefpiirt, wie oft er auch ohne ihn verfificirt hat. Hinfichtlich feiner Stellung zu den Claffikern waren feine Aus- 202 Martin Opitz: Poetik. fpriiche durchaus nicht einfach albern oderfchadlich, vvie fchon bemerkt word en. Das Ungliick war nur, dafs fie zu einfeitig Geltung erhielten. Den Gebrauch der antiken Mythologie hat Opitz nicht ein- gefiihrt'; fie war vor ihm langfl Mode; fein Wort und feine verflandes- miifsige Verwendung derfelben fiihrte leider nur darauf, dafs man fie nach der verflandesmafsigen Manier benutzen lernte, wahrend fie bei den guten Renaiffance-Kunfllern eine poetifche Gegenflandhchkeit gewonnen hatte. Opitz ahmte fiir feine Perfon die Fremden nach und forderte dazu auf. Das hatten Andere auch gethan. Die Verfchlimmerung kam jetzt nur dadurch, dafs er die grofse Menge reine deutfche Verfe machen lehrte und dafs man ihm danach die Manier der Nachahmung, Bearbeitung und Uebertragung leicht abfah, der er fich nur zu haufig in feiner Wuth, die deutfche Poefie zu bereichern, hingab. Nichts ifl leichter, wenn man fo weit auf dem Niveau der Bildung des Fremden fleht und fo viel Sprachkenntniffe befitzt, dafs man ihn der Hauptfache nach verflehen kann, als die fremden Ge- danken und Empfindungen in die eigne, gefellfchafriich correcte Sprache zu libertragen und diefe volHg ftillofe Uebertragung, der aller poetifche Schmelz und Duft fehlt und die durch und durch profaifch ifl, in die metrifchen Formen der Fremden zu bringen. Dies ift Mache, keine poetifche Ueberfetzung. So lange die Formen verfchieden gewefen waren, war das an fich fchon nicht fo leicht gegangen. Die Ueberfetzung war fchon dadurch etwas Anderes geworden, ja man kannte kaum Ueberfetzung, fondern nur Verarbeitung. Nach der neuen, von Opitz nur zu oft geiibten Weife ging alles Charadle- riflifche verloren. Man brauchte kein Verfenken in den Stoff, kein neues Durcharbeiten ; verflandesmafsiges Ueberfetzen, Jamben und Trochaen, dann war Alles gethan. Der Werth eines metrifch reinen Verfes wog alles Andere auf Was fragte man nach Phantafie und Poefie, wenn die Strophe keinen metrifchen Schnitzer hatte und der Gedanke plan und eben und fliefsend in der Form dafland! Dadurch kam nun die Epoche jener gelehrten Dichtung der handwerksmafsigflen Reimerei, in der die Zeiten der Meiflerfangerei ihr GegenRuck fanden. Im Uebrigen aber verfolgte Opitz bei feiner Nachahmung der Antike und der fremden Renaiffance ein richtiges Princip. Hatte er Unrecht, in diefer Weife den Fortfchritt zu fuchen? Martin Opitz: Poetik. 20'? War nicht fiir die deutfche Literatur ein fcharfes Durchgreifen nach den neuen Ideen nothig? Stimmte nicht die ganze Zeit darin iiberein? Hiitten, abgefehen von der immenfeflen genialen Kraft und den gliicklichRen Umflanden, bei dem Verfuch der Vermittlung die plumpen, unfauberen und groben Elemente, welche die ganze Zeit liber noch immer in Schvvank und Zote zu Tage traten, nicht die neuen an- geflrebten erflickt? Man denke nur, wie es noch 150 Jahre fpater ausfah, als Gothe dem Volksthiimhchen die Bahn brach, was Alles mit folchem Beflreben aufgewiihlt wurde und wie Gothe felbfl die veredelnden .Gewaken der Antike und Renaiffance bald wieder zu Hiilfe rufen mufste! Wie Schiller nach feinen Jugenddramen zur Le6ture der franzofifchen Dichter griff und aus ihnen und den claffifchen Tragodien feinen neuen und noblen, gegen das Kotzebue- thum fo nothwendigen Stil gewann! Was die ganze Aera Opitzens anflrebte, und was uns zu Iphigenie und Taffo, zu Don Carlos und zur Jungfrau von Orleans und zur Braut von Meffina fiihrte, dafur darf man nicht Opitz in der, feit den Romantikern gewdhnlich gewordenen Weife hernehmen, um an ihm den Groll auszulaffen, den man gegen das Mittelalter richten miifste, weil es mit feiner eigenthiimlichen Poefie nicht im 16. Jahr- hundert durchzubrechen vermochte und gegen die Genoffen und Nachfolger von Opitz, die ihn nicht zu verbeffern wufsten. Traurig genug fiir den Geifl des deutfchen Volkes, dafs es von der An- bahnung bis zur Gewinnung der Renaiffance fo lange Zeit gebrauchte und von Opitz bis Klopflock durch folche Oeden wanderte. Heute fmd durch eine gewaltige Ausdehnung auf fo vielen Wiffensgebieten die Errungenfchaften der Antike vielfach fo weit uberholt, dafs diefelbe nicht mehr die Bedeutung hat, wie fie zu Anfang unferes Zeitalters hatte und dafs ein neuer von ihr un- abhangiger, idealer Ausdruck des Menfchen gefucht wird. Man kann feine Macht erproben bei diefen Fragen hinfichtlich der gewohn- lichen gegenwartigen Mifchung, der religiofen-chrifllichen, der auf dem Humanismus des Alterthums beruhenden und der in den neuen Errungenfchaften der Naturwiffenfchaft fufsenden Anfichten, ob es fo leicht ifl, fo fefl und klar wie Opitz fich zu entfcheiden und danach feinen Weg zu gehen. Man wird dann begreifen, dafs es doch nicht leicht war, ein Opitz zu fein, wie man nun audi die Richtigkeit feiner Beflrebungen beurtheilen mag. 204 Martin Opitz: Poetik. Dabei ifl hervorzuheben , dafs kein Dichter der nachflfolgenden langen Periode fo viel unmittelbare Renaiffance gezeigt, wie Opitz, wenn diefelbe auch nur im allgemeinen Geifl feiner Dichtung oder in einzelnen Stellen wirkfam wird, dafs ferner Opitz durchaus kein Fremden-Nachaffer, kein blinder Fremden-Schwarmer war. Wenn und wo er fremde moderne Dichter nachahmte, fo gefchah dies, fo weit er in ihnen fchon das erarbeitet fah, was er fiir die deutfche Literatur erflrebte. Er zeigte dies felbfl durch Schwachen; er fchatzte hauptfachlich die Dichter der alteren, der Antike gleich ihm zu- gewendeten Periode. Er ifl. weit entfernt, den gleichzeitigen fran- zofifchen Dichtern zu folgen, die er freiUch erfl in feinen fpateren Jahren kennen lernte; er lafst viehnehr feinen Unmuth iiber diefelben aus. Er hebte den Poeten der freieren Renaiffance Marot, den die Antike, auch Spanier und ItaUener nachahmenden Du Bellay, den Bahnbrecher des Gefchmacks, dem er felbfl: huldigte, dann die Dichter aus Du Bellays «Brigade» oder die fogenannten Plejaden, jene Dichter, die fich zur Aufgabe gemacht batten, den halbmittelalterlichen Stil zu beenden,*) welche flatt der Allegorie die antike Mythologie ein- fiihrten und die Ideale des Alterthums fiir die einzig wahren hin- flellten, vor Allen Pierre de Ronfard (1524 — -1585) — ■ der in der Dichtung die Vignola- und Palladio-Beflrebungen verfolgte — , deffen Schickfal hinfichtlich Erfolges, Ruhmes bei Lebzeiten und Tadels nach dem Tode er, Opitz, felber theilen follte. Unter den Nieder- *) Ben Jonfon (1574 — 1639) ging in England diefelben Wege. Weller weift als bezeiclinend auf Jonfon's Charadleriftik des Lord Beaufort hin (The new Inn) : I waited on his fludies , which were right. He had no Arthurs nor no Roficleers, No knights of the fun, nor Amadis de Gauls, Primalions and Pantagruels, public nothings, Abortive of the fabulous dark cloiller Sent out to poifon courts and infefl manners. But great Achilles, Agamemnons acts Sage Neftors counfels and Ulyffes fleights Tydides fortitude, as Homer wrought" them In his immortal fancy, for examples Of the heroic virtue: or as Virgil, That Mafter of heroic virtue, limn'd Pious Aeneas u. f. w. Heut zu Tage hat fich hinfichtlich Shakefpeares ein Streit erneuert , der in den- felben Principfragen wurzelt, welche damals die Zeit bewegten. Maitin Opitz: Poetik. 20'? landern ehrte or zuhochfl Heinfius und nahin ihn fich zum MuRer. Von widriger, chara6lerlofer Nachafterei fpaterer Zeiten fleckte in dem felbflbewufsten, innerhalb feiner trockneren Richtung energifchen und felbfl feurigen Opitz nichts. Leider war Opitz bei feinem Renaiffance-Beflreben poetifch kein Cienie, fondern nur ein Talent und iiberdies ein echter Sohn feiner Zeit. Wenn er audi z. B. Ariofl und Taffo lobt, fo weifs er doch aus ihnen nichts mehr zu machen. Ronfard ifl fein Mann und Heinfius. Er ifl gelehrter Spat-Renaiffanceler und Barock-Poetiker, dadurch feiner und feiner Zeit Anficht nach auf vorgefchrittenem Standpunkte gegen die Weckherlin und Werder, vvie gegen einen unendlich Grofseren, gegen Shakespeare fich ein Ben Jonfon empfand. Verftand und daneben und darum tandehide, aufgeregte Phantafie mit freier Verarbeitung der in der Antike als clafQfch verehrten Anfchauungen und Formen, darin fchien ihm, wie feinen Mitkiinfllern der Barockzeit, die Aufgabe und der Schmuck der Kunfl zu beflehen. Der Grundfehler diefer ganzen Richtung, welche durch Opitz Autoritat zur glaubig anerkannten Herrfchaft in der deutfchen Poefie kam, fafst fich in einen Satz zufammen, den Opitz nicht erfunden, nicht einmal befonders aufgefrifcht liat, der mehr als i6 Jahrhunderte alt war, der vor Horaz fchon, der ihm die Faffung gab, gegolten hat, der von Opitz bis auf Leffmg unbeflritten gewefen ifl und iiber den noch heutigen Tages nur zu Viele nicht im Reinen find, der uberhaupt in alien hinfichtlich ihrer Ideale ungewiffen und in der Schatfensfreude nicht naiven Zeiten auftaucht und fiir wahr gehalten wird, der die Kunfl nicht in der fchonen, in fich fertigen Phantafie, fondern in einer aufserlich brillant hergerichteten Verflandesarbeit fucht, in Horaz Lehrfatz: aut prodeffe volunt, aut dele6iare poetae. Nutzen oder Ergotzen! Lehrgedicht und Ergotzlichkeitsgedicht alfo, wenn der Satz confequent ausgefuhrt wurde. Den Menfchen durch Poefie religios und moralifch erziehen, ihn wiffenfchaftlich bilden, daneben dann audi wieder die Zugel lockern und der Heiterkeit und dem Genuffe fein Recht angedeihen laffen. Theilung der Arbeit in diefer Beziehung! Man fehe darauf liin nur Arioflo und Taffo an, gegen welche ^ man iiberdies jetzt von vornherein wegen der uberwundenen Amadis- phantafiik, die man in ihren Hdden fpurte, nicht gunftig geflimmt war. Der Verfland fragte: wozu das Alles? und murmelte fiber Arioflo 2o6 Martin Opitz. jetzt: Unfinn, wie er es fchon friiher gethan und zu Gottfcheds Zeiten wieder that und zu alien Zeiten thun wird, in denen man den Horazifchen Satz als einen poetifchen Fundamentalfatz nachbetet. Statt mit aller Macht vorgedrangt zu werden zur voUen Geflaltung in der Poefie kam fomit Opitz noch in die Stromung — welche jetzt fowohl in England wie in Italien fiegte — der didaftifchen Theorie: Verkennen der wahren poetifchen Mufler, Nachahmen der fchlechteren. Statt Geflaltungen zu bilden, fentenziofe Weisheit, flatt Leben, Lehre. Dazu dann Witz und gate und weniger gute Ergotzlichkeit als Ab- vvechfelung. Auch die franzofifche Literatur rang fich in diefen Zwitterzuftanden ab, bis Corneille der neue GeiR und Fortfchritt, Dank der BUhne, gelang, wo die Theilung nach Niitzlichkeit und Vergniigen gemafs den neuen Theorien (Moralfchaufpiel und Oper und Ballet) noch nicht durchgedrungen war. Corneille dichtete 1636 den Cid und ftellte damit lebensvoll den Franzofen der hoheren Schichten das neue Ideal hin: diefe Bronzemifchung von Antikem, Mittelalterlich-Ritterlichem und Modernem; das Mittelalterliche vertreten durch die Auffaffung der Ehre*) und Liebe, fiir welche bei Corneille die fpanifche Dichtung grundlegend war. Der Cid war ein aufserordentlicher Gliickswurf. Das Alte und Neue waren echt verfchmolzen. Fortan fahen die Franzofen im Drama Menfchen leben und handeln, deren Handlung und Denkweife fie als Ideale im Leben gebrauchen konnten; mit Riidiger im Ariofl und Rinaldo im Taffo wufste der reale Zeitgeill nichts Rechtes mehr anzufangen. Inmitten der bewegteflen Zeiten dachte fomit ein Opitz und die ihm ahnlichen Geifler nicht daran, Leidenfchaften und voile Charaftere und Schickfale poetifch vorzufUhren. Den neuen Menfchen durch Weisheit lehren, erziehen wollte man! Den gemeffenen, verflandigen, in modern eklektifcher Weife ahnlich wie Cicero philofophirenden und moralifirenden, dabei nicht unglaubigen Menfchen aufilellen! Leidenfchaften, foweit fie nicht neu-heroifche und verliebte waren, eher verkennen und erdriicken als durch Darflellung pflegen! Zu gebildetem Philiflerthum oder BombaR mufste man naturlich dabei finken, fobald fchwachere Krafte diefelben Ziele verfolgten. Und welche Geifler fiihlten fich nun berufen! Und wohin kamen wir! ■') Die heutigen Franzofen kennen diefe Idealitat der damaligen Ehre nicht mehr. Martin Opitz. 207 Opitz Formrevolution hat ebenfo ihre Licht- wie Schattenfeiten. Der Mann hatte einen wirklich ktinfllerifchen Drang. Die volks- thiimlichen Realiften wollten iiberzeugen, ergotzen, belehren, erheben durch das, was fie brachten, und dachten nicht an das «fchone» Gedicht. Opitz woUte audi belehren und ergotzen, aber ein Haupt- augenmerk war ihm die Form, wie er feine Poefie brachte. Er dachte nicht bios an ein «gutes», fondern an ein fchones Gedicht. Das Klare, Verftandige, Ruhig-Geordnete gait ihm aber nach Anlage und Zeitflromung als das hochfle; die nothwendige Reaction gegen die Willkiir der volksthiimlichen Dichtung, die kiinfllerifch aus Rand und Band gegangen war, und die Einfeitigkeit des Reformators drangte ihn mit aller Gevvalt zum Trocknen, Streng-Geregelten. Daher feine Vorliebe fiir einfache Versmaafse (Befchrankung auf Jamben und Trochaen), fiir die gleichmafsigen Alexandriner, feine fchulmeiRerliche Sorge um Wortbildung und Wortflellung. Ordnen und Sichern erfchien ihm als feine wichtigfle Lebens- aufgabe, der er fich mit voUer Kraft der Ueberzeugung widmete. Aber man mufs fich hiiten, in ihm einen einfachen Pedanten zu fehen. Was er in der Erweiterung der deutfchen Dichtung leiflete — diefelbe nun einmal genommen, wie fie war — war fiir feine Zeit ungeheuer. Er ftihrte perfonlich fafl. alle neuen Dichtarten ein, machte alle durch feinen Geifl auf lange hin lebensfahig und offnete feiner erflaunten Mitwelt fiir die Dichtung ganz unbekannte Gebiete, in Lyrik und Lehrgedicht, durch feine Art der Ueberfetzung, durch feine Poefie in Profa. Er fchreibt die erfle deutfche Oper. Er, und das ift ihm nicht hoch genug anzurechnen, weifl wie kein Anderer auf die altere deutfche Poefie hin. Selbfl in Werken, in denen er das Meifle gefiindigt hat, lagen unter alien Schalen und Hiilfen lebensfahige Keime. Man nehme z. B. feine Gedichte Vielgut und Zlatna oder das bis zum Unertraglichen, Gefchmacklofeflen gehende Lehrgedicht Vefuvius. Zlatna hat eine Gegend Siebenbtirgens zum Hintergrund; der BUck wird iiber die befchrankte Hauslichkeit hiniibergelenkt; die Landfchaft beginnt von der Poefie erfafst zu werden. Der Dichter bleibt im Realismus; er hat noch nicht die richtige Behandlungsweife gefunden; flatt des friiher beliebten Abenteuerlichen vom Lebermeer und Magnet- berg, von Greifen, Riefen, Kranichmenfchen u. f w. weifs er nur die 2o8 Martin Opitz. iiberall flobernde Gelehrfamkeit einzufiihren; er weifs die Natur noch nicht allein fprechen zu laflen, aber der x'Vnfang ifl gemacht. Vefuviiis ifl pedantifch, fchulmeiflerlich, Uicherlich und vielfach ganz abfurd. Und doch wurde darin eine Eroberung neuer Gebiete fiir die Dichtung eroffnet. Kein Phantafieland, fondern eine feme, den Deutfchen wunderbare Gegend; die grofsen Naturkrafte waren realiRifch in den Bereich der Dichtung gezogen flatt der alien Zauberkrafte und religiofen Wunder. Wie albern und profaifch es auch ausfiel: es war doch ein Anfang von Naturphilofophie. ,, Natur von deren Kraft Luft, Welt unci Mimmel find, Des Hochften Meifterrecht und erftgeborenes Kind, Du Schwefter aller Zett, Du Mutter aller Dinge, O Gottin, gonne mir, dafs mein Gemiitlie dringe In feiner Werke Reich . . . In diefem Anfang ifl. ein neues Element, ein Geift, den ein Andreae nicht kannte. Mag nun auch gleich kettend, lahmend und lacherlich die Pedanterie folgen: und etvvas fagen mag Davon kein Teutfcher Mund noch bis auf diefen Tag Poetifch nie geredt: ich will mit Wahrheit fchreiben, Warum Vefuvius kann Steine von fich treiben u. f. w. Hier beginnt doch, was durch Brockes und Haller hinauffiihrt zur volligen fchonen Ergreifung der Natur in der deutfchen Dichtung. Aehnlich ifl es mit feiner fchaferlichen Nymphe Hercynia, deren Langweiligkeiten und unterfchiedliche Abgefchmacktheiten genug, feltener aber der Anfang einer edlen Landfchaftsmalerei hervorge- hoben worden ifl. Ein einziges folches Gemalde wog fiir feine Zeit fchwer, unter Umflanden die halbe nachfolgende Erzahlung auf. E> mag auch beweifen, dafs fich in Deutfchland ein gewiffer Pouffin'fcher Zug regte. „E.s lieget dieffeits dem Sudetifchen Gefilde, welches Bciheim von Schlefien trennt, unter dem anmuthigen Riefengebirge ein Thai, deffen weitfchweifiger Um- kreis einem halben Zirkel gleichet und mit vielen hohen Warten, fchonen Bachen, Dorfern, Maierhdfen und Schafereicn erfiillt ifl. Du konnteft es einen Wohnplatz aller Freuden, eine frohliche Einfamkeit, ein Lufthaus der Nymphen und Feld- gotter, ein Meifterftiick der Natur nennen. Dafelbft befand ich mich . . . Es war zu Ende des Weinmonats, als die Hirten im Felde ein Feuer zu machen und der Ackersmann, welcher nun iiber Winter ausgefat, feinen Rock hervor zu fuchen begunnte. Ich war vorige Nacht aus Miidigkeit, beides von Sorgen und dem Martin Opitz. ' 200 Wege lb hart entfchlafen, dafs ich nicht ervvachte, bis die Mutter der Geflirne, die Nacht, verriickt war iind die fchcine Morgenrothe anfing fich und zugleich Das ifl klar, von weiter Anfchauung, ungewohnlich fiir diefe Zeit. Zu vvelchen Albernheiten hat freilich Hercynia die Anregung gegeben mit ihrem wenigen Guten jund vielen Mifslungenen und Gefchmacklofen ! Hiebei moge erinnert werden, dafs die damals aufbliihende Land- fchaftsmalerei die Natur fludirte, die Dichter aber, den alten Satz: Dichtung ifl redende Malerei, vor Augen, nur zu oft die Maler nach- zuahmen anfingen. (Opitz hat in feinem Gedicht auf das Kunflbuch des Bartholomaeus Strobel diefen Satz, wie fchon Fifchart vor ihm ausgefprochen, genug, uni ihn ftir die nachfte Periode canonifch zu machen, bis Leffmg das Falfche darin nachwies.) Ein kurzer Ueberbhck zeigt uns Opitz von der lateinifchen Schuldichtung ausgehend. 1616 erfcheinen feine erflen, lateinifchen Gedichte. Der Humanismus der Schuhiianner, in welchem Verwandte und Freunde ihn forderten, ifl Grundlage. In der damals graffirenden Lateindichtung fpielt das Gelegen- heitsgedicht die HauptroUe. Jeder, der auf claffifche Bildung An- fpruch macht, mufs feine Hexameter und Pentameter machen konnen; folglich will fie auch Jeder anbringen, der fich darin fefl weifs, und damit kommt die Fluth der Gliickwunfch-, Trauer-, Fefl-, Lob-Ge- dichte. Im Allgemeinen ifl. die romifche Dichtung Mufler und wird an fie gedacht, wenn man von claffifcher Poefie fpricht. Sie gilt ftir die glanzende Erhohung der griechifchen Poefie, mit der man fich aus grofserer Unkenntnifs der Sprache noch wenig befafst und deren einfache Schonheit diefe manierirte, didactifch befangene Zeit noch feltener verfl.eht. Opitz tritt im Haufe des Scultetus in die Sphare der fremden mo- dernen Literatur. Scultetus wird ahnlich geurtheilt haben, wie Teutleben und Lingelsheim und Ernfl Schwabe von der Heide urtheilten. Es ifl. in der That nicht nothwendig, dafs Opitz Ernfl. Schwabe's Schrift oder die Abfichten der fruchtbringenden Gefellfchaft beim Druck feines Ariflarchus (16 18) gekannt habe, die Anfichten waren ziemlich iiber- all gleich. In Frankfurt a. O. thut er fich hervor. Letncke, Gci'chkhte der deut/chen Dichtung. 14 210 Martin Opitz. Nun kommt er nach Heidelberg, nimmt reichere Eindrlicke auf, lernt die Beftrebungen der Heidelberger Humaniften und Poeten, Gruter, Lingelsheim, Zincgref, fowie die Vertreter der neuen Anfichten zu Tubingen und Strafsburg, dann auch Heinfius kennen und Weck- herlin's Dichtung, fomit die mehr antikifirende, die franzofifch-Ron- fard'fche, an welche fich Heinfius niederlandifch - gelehrt anreiht, die freiere italienifche Nachbildung — von jeder nimmt er auf und er ifl fertig mit feiner poetifchen Bildung. Eine eigentliche Entwicklung giebt es nun fiir ihn nicht weiter, da er zumeifl Form- und Kopf- dichter, auch in feinem Character fruh fertig ifl; er ifl der Haupt- fache nach kein Andrer zu Anfang als in der Mitte als zu Ende feiner Laufbahn, aufser dafs in der Jugend natiirlich die lyrifch weicheren und freieren Tone vorfchlagen. Er wollte abfolut das, was er konnte, und woUte nichts An- deres. Mit feiner Ueberfetzung des Lobgefanges Jefu Chrifli und des Hymnus auf Bacchus von Heinfius 162 1 fetzt er fiir das grofsere Pubhcum ein. Nun folgte Zlatna, die Poeterei, Epifleln, ein Lob- gefang der Geburt Chrifli, dann die Gedichte. Mit 28 Jahren ifl er damit auf der Hohe feines Rufes. In clafficirender, geiflHcher und welthcher Poefie hat er fich ausgezeichnet; feine Poetik und feine Verfe find bahnbrechend. Die Sonette « Troflgedichte » find fchon gedichtet, aber werden noch zuriickgehalten. Die nachfle Zeit von 1625 — 29 ifl reich: Ueberfetzung der Tro- janerinnen des Seneca, der Argenis von Barclay, die poetifchen Ver- arbeitungen der Klagelieder Jeremiae und des Hohenliedes, die Oper Dafne, Lob des Kriegsgottes, Vielgut find die wichtigflen. Bis 1635 kommt unter den Gefchaften eine an eignen Poefien flillere Zeit, welche aber Aufiagen, Ueberfetzungen nach Hugo Grotius, der Arcadia von Phil. Sidney u. i w. fiillen. 1633 erfcheint Vefuvius, 1635 Judith und im nachflen Jahr die Ueberfetzung der Antigone. Seine Abficht, in Polen feflen Fufs zu faffen, giebt darauf beziigliche Arbeiten. Am Schluffe fleht als wichtig die Herausgabe des ,alten deutfchen Anno- Liedes 1639. Eine Abnahme der Kraft war bei feinem, auch noch fo friihen Tode nicht zu verfpiiren. War, wohl in Folge der letzten gefchaftlichen, mehr zur Gelehrten- und Wiirdentrager-Steifheit und Eitelkeit als zur gewohnten Dichter-Heiterkeit Anlafs gebenden Stel- lung bei dem Grafen von Dohna, das Lehrgedicht Vefuvius befonders Martin Opitz: Epos. 211 gelehrt-barock und holzern ausgefallen, fo hatte vvieder Judith, aller- dings durch italienifchen Einflufs, eine ungewohnliche Leidenfchaft und zeigte der Dichter durch Antigone und Annolied die Mannig- faltigkeit feiner Beflrebungen. Niemand vermag zu fagen, was er bei langerem Leben noch angeregt hiitte. So wie er wufste kein Anderer die Mitlebenden zu faffen und bei feiner, innerhalb feiner Schranken fo klaren Aufifaffungs- und Arbeitsweife und bei feinem Anfehn und dem Gefchick, fich in Gunfl zu fetzen, welches er in Heidelberg und Schlefien, in Wien und Paris, in Siebenbiirgen und Polen bethatigte, hatte bei langerem Leben z. B. fein Verfuch einer Reflauration des deutfchen Schaufpiels nach Vorbild der Parifer Buhne noch ganz andere Erfolge geben konnen, als feine Nachfolger erlangten, trotz- dem ein Gryphius an deren Spitze fland. Sicherlich hatte er fich noch an ein grofses Drama gemacht; Antigone kann als eine Vorarbeit gelten, wie Opitz fich felbfl in dem griechifchen Stile und Arifloteles zurechtzufinden fuchte, wozu ihn die Beftrebungen, die in Paris herrfchten , aneifern mochten. Bei all' feinen Schwachen verfland er die rhetorifche Sprache einer energifchen Hochgefmnung zu reden, wie kaum ein anderer in Deutfchland. Sein Lobgedicht auf den Konig von Polen bezeugt es. War er durch die Biihne gezwungen, Charactere und zwar hohen Stils vorzufiihren, er hatte ficherlich das, was Schlegel hundert Jahre fpater und fomit zu fpat leiflete, in einer bedeutfamen Weife vorweggeleiilet. Nach den gewohnlichen grofsen Dichtarten betrachtet, hielt Opitz ein eigentliches Epos feiner Zeit fiir unmoglich. Die Gotter-Fiction wurde nun einmal fiir unbedingt nothwendig zum Epos erachtet; auf Ariofto's und Taffo's Verfuche diefelben neu zu erfetzen, fah die gelehrte Schichte mit Mifsvergniigen , wie Werder's bezeich- nende Worte auch fiir jene Zeit fchon gottfchedifch beweifen. Die religiofe Phantafiewelt kirchlichen Stils allein zu verwerthen, wie die niichfte Epoche fo vielfach verfuchte und wie Milton in England es durchfiihrte, dazu hatte der weltfmnige, humaniflifche Opitz weder Lufl, noch die religiofe Tiefe. Wo voUer Glaube folcher Phantafie nicht vorhanden war, konnte auch nimmer ein grofses religiofes Epos ernflenj hohen Stils entflehen. Deutfchland mufste deshalb warten bis zu Klopftock. Camoens Mifchung erfchien zu barock und zu kiihn. Opitz begniigte fich mit einzelnen religiofen, epifchrhetorifchen Gedichten. Er hielt Virgil's Aeneide fiir das fchonfle Gedicht , wagte 13* 212 Martin Opitz: Didactik. fich aber aus jenen Griinden und der eigenen Anlage und Richtung halber nicht an ein ahnliches Werk, gegen welches man offene und geheime Bedenken hatte. Die Taffo'fche Phantafie und deren Sphare hielt er in ntichterner, philofophifcher Klugheit fiir iiberwunden. Die Fiction follte nur Decoration fein und Allegorie; die Vernunft foUte herrfchend vvalten. Ueberall, wo Fiction keinen Glauben vor- ausfetzte, fondern nur Phantafiefpiel fein wollte, bediente man fich ihrer in der ungenirteflen Weife. Namentlich fiir das humoriflifche Epos fiihlte man fich deshalb weit freier. (Pulci's und Bojardo's und Arioflo's Dichtungen waren in diefer Beziehung weit leichter als Dante's, Camoen's Taffo's, von Butler, Voltaire, Zachariae u. f w. gegen Milton und Klopflock fpaterer Zeit zu gefchweigen). So folgte Opitz lieber den didactifch-befchreibenden oder raifon- nirend erzahlenden oder fatirifchen romifchen Dichtern, wo er das epifche Gebiet betrat. Virgils Bucolica, Lucrez, Horaz Epifleln, Lucan, Juvenal, die romifche Panegyrik fagten dem gelehrten Poet en am meiflen zu. In Zlatna, Vielgut, Vefuvius, Lob des Kriegsgottes, Lob des Konigs von Polen u. i. w. haben wir die betreftenden Ver- fuche des fogenannten fchlefifchen Maro. Der Nutzen folcher Lehrgedichte war fiir den Augenblick der, dafs fie die Gebildeten wieder zur Poefie fiihrten — wie wir denn fchon Tobias Hiibner und den beriihmten Gasp. Barth, fowie An- dreae u. A. in derfelben Richtung thatig fahen — und dafs fie in popularer Weife den Auffaffungen der neuen Zeit vorarbeiteten. Die Maffe bekam dadurch die neue Character- und Anfchauungslehre. Wie iibel und langweilig auch die Entwicklungen waren, der hier betretene Weg fiihrte fchliefslich zu Schiller's philofophifcher Ge- dankendichtung. In 'feinen didactifch befchreibenden Gedichten verdient Opitz, ganz aus feiner Zeit und deren Vorurtheilen heraus beurtheilt, den Ruhm, den man ihm fpendete. Zlatna und Vielgut haben viele Stellen, in denen eine klare, kraftige Anfchauung waltet. Der Frieden und die Freuden des Landlebens, Scenen des Kriegs treten oft an- fprechend und bedeutend hervor. Das nun Mode werdende Lob des Landlebens durch die Poefie war zum Theil angeregt durch die romifche Dichtung. Dann aber wirkte auch ein wahres Gefiihl mit; eine Sehnfucht nach dem Frieden und der Einfachheit der Natur kam liber die Zeit, inmitten der Leidenfchaften und blutigen Wirren ein Martin Opitz: befchreibendes Gedicht. I'anegyrik. 21^ Zug nach einem gliicklicheren ungetriibten Leben, inmitten der Steif- heit und Ceremonie nach friedlicher, naiver Grazie. Durch die ganze nachflfolgende Zeit zieht fich diefe Art Idealgefiihl in alien moglichen einfacheren und manierirten, realiflifcheren und idealillifchen Formen, hier als flifslich-lyrifche Schaferei, dort das reale «Beatus ille» fingend, dort das Einfiedlerthum vvieder aufnehmend oder dem Robinfon ent- gegendrebend oder als Sehnfucht nach der Paradiefeszeit fich poetifch geflaltend. Opitz fo wenig, wie feine fremden Vorganger, verfland auf die fchone griechifche Idylle zuriickzugreifen. Statt an des herrlichen Theokrit reizende, das reale Leben in Anmuth und Heiterkeit erhohende Weife anzukniipfen, nahm man mehr die romifche Eklogen-Dichtung zum Muller. Eine doppelte Art der Verarbeitung war daraus ent- flanden: die Schafergefchichte, die wie die Ritterdichtung zum pro- faifchen Amadisroman, fich zur Erzahlung in getragener Profa mit untermifchten Gedichten auflofle und die lyrifche Schaferpoefie, die bei ihrer Beliebtheit in alle Gebiete drang, hier als rein lyrifches Gedicht, dort als lyrifche Epik, dort als lyrifches Drama, beziehungs- weife als Oper auftrat. Sannazar und Genoffen nachahmend, dichtete Opitz den barocken Mifchmafch von Profa und Poefie, Wirklichkeit und Schaferthum, die Nymphe Hercynia und leitete damit eine feltfame und abgefchmackte Phantaflerei ein. In der Panegyrik oder den heroifchen, preifenden Gelegenheits- gedichten folgte Opitz gleichfalls mit grofster gelehrter Unbefangenheit den fchmeichelnden und fchwulfligen romifchen Kaiferpoeten. In den Dichtungen zu Ehren Chrifli und der Religion von diefem Stil allzu- fehr abzuweichen, fah er keinen Grund ein. Prachtig, volltonend, erhaben wollte er fein; er fah dies mit feiner Zeit in dem ungl tick- lichen, fo libel wirkenden Seneca'fchen Bombafl und er trieb fich in die nothige rhetorifche Hitze. In feinen Epigrammen war er ahnlich von der romifchen Poefie beeinflufst. Fehlte feiner Epik, oder was dahin gerechnet werden kann, das organifche Leben, die Geflalten und die Entwicklung ihrer Hand- lungen, ift. der raifonnirende oder befchreibende Dichter allein ihre kiinfllerifch fehlerhafte Einheit, fo ift hervorzuheben, dafs durchgangig nur Tiichtiges und Wahres in diefen Dichtungen an Sentenzen, Er- mahnungen u. f w. ausgefprochen wird. Es ifl nirgends Falfches, 214 Martin (Jpitz: Character. feinen Character Entwiirdigendes, Welch -Schwachliches, nirgends ein Satz, der die Gemiither entnerven oder umnebeln koiinte. Der Dichter fleht in feinen Dichtungen iiber dem Niveau feiner Zeit. Man hat Opitz fchwer als characterlofen und erbarmlichen Men- fchen angegriften, weil er, der Proteflant, fich in die Dienfle des beriichtigten Hannibal von Dohna begeben, des kathoHfchen Wtithe- richs gegen die fchlefifchen Proteflanten. Er foil dafiir nicht ent- fchuldigt vverden; er gehorte zu den Mannern, welche fich darein fchickten, fich perfonlich ihren Glauben zu referviren und ihrer Arbeit zu leben, in allem Andern ihr Gewiffen zu dispenfiren und einfach dem Willen deffen nachzukommen, in deffen Dienfl fie flanden, ohne in der Aufifaffung folcher Dienfle wahlerifch zu fein. Opitz war vor Allem Humanifl, ein eklektifch-philofophifcher Chrift in der Weife, wie Cicero feinem Heidenthum gegeniiber fland, wenig glaubend, iiberall verniinftig priifend, kein Begeifterter, aber auch vvenig aber- glaubifch. Schon lange war die Religion und ihre Confeffion der Politik zum mindeflen untergeordnet. Im Lauf des dreifsigjahrigen Krieges ward fie es immer mehr, und bei Allen, welche deffen Ge- triebe durchfchauten , wuchs die Gleichgultigkeit gegen das Aeufser- liche, oft auch gegen das Wefen der Religion; bei der Maffe freilich, die im Glauben das Einzige befafs, woran fie fich klammern komite und die man an dem Zaum ihres Glaubens leitete und nutzte, wuchs ofter noch die Befangenheit. Opitz machte leider in diefer Beziehung keinen Anfpruch darauf, beffer zu fein, als feine Zeit; fein Geifl lebte in feiner Poefie. Was nebenherging, war ihm gleichgiiltiger. Auch er befolgte das: «defs' Brod ich effe», diefe Anfchauung, welche ja flaatsrechtliche Geltung hatte. Es fchien das einfachfle und einzig mogliche Mittel, durch das Gewirr hindurch zu kommen. Der Satz: der Landesflirft. beflimmt die Religion des Landes , zerhieb den gordifchen Knoten. Wie dem fei — und dafs Opitz hierin charadlerfchwach war, fleht fefl, *) — man mufs ihm wenigftens nachriihrnen, dafs er fein Wefen frei *) Man denke nur, wie es in diefer Beziehung im dreifsigjahrigen Kriege herging, wie proteflantifche Fiirflen oftmals mit dem Kaifer verbiindet waren, wie heriiber und hiniiber im Dienfl: gewechfelt wurde. Wallenfteins Heer befl:and aus mehr Proteflanten als Katholiken. Er ward von feinen Feinden befchuldigt, jene vorzuziehen. Alle Zeiten, in welchen die Mittelpartheien die extremen Beftrebungen ver- Martin Opitz: Charakter in der Dichtung. 2'l 5 erhielt und als Patriot und denkender, religiofer Menfch feinem nachfol- genden Jahrhundert zur Fefligung und Erbauung dienen konnte : feine Dichtung zeigt iiberall — die Redensarten der Lobgedichte fah er und feine Zeit nur als gebrauchliche conventionelle Form an — maafs- voUe, tuchtige, ehrenhafte Gefmnung. Mannes- und Frauen-Tugend, wahre Fefligkeit, Gefafstheit im Ungltick, Vertrauen, Ermahnung zum tuchtigen Eingreifen ifl iiberall in feinen Dichtungen ausgefprochen, wo er nicht fcherzend auftritt; feine Philofophie id nicht dumpfe Verzweiflung noch orthodoxes Gebahren, und felbfl feine Nach- ahmung des Horazifchen «tecum Philippos et celerem fugam», in einem Gedichte, fatirifchen, oft bittern, hier humoriftifchen Inhalts flempelt ihn perfonlich noch nicht zum Feigling. Seine Auffaflung ifl oft wirklich bedeutend. An ihm, wie an Zincgref und Weckherlin konnte man fich erheben und grade fein Beifpiel wirkte in der deutfchen Poefie fort: Ein Mann fteht fiir und fiir. Die Freiheit will gedruckt, geprefst, beflritten warden, Will werden aufgeweckt (wie auch der Schoofs der Erden Nicht ungepfliiget tragt), fie fordert Widerftand, Ihr Schutz, ihr Leben ift der Degen in der Hand. Sie trinkt nicht Muttermilch : Blut , Blut mufs fie ernahren, Nicht Heulen, nicht Gefchrei, nicht weiche Kinder-Zahren, Die Fauft gehort dazu : Gott fteht demfelben bei, Der erftlich ihn erfucht und wehrt fich dann auch frei. Diefe Verfe, denen fo viele ahnliche angereiht werden konnten, mogen uns erinnern, wie Opitz das Schillerfche : «Von des Lebens Giitem alien » in feinem Troftlied fiir den Freund Heinrich Schiitz, den erften deutfchen Opern-Componiflen feiner Dafne, ausgedriickt hat, fiir ihn: Den Orpheus aller Zeiten, Den Thalia hat gelehrt, Deffen Lied und giildne Saiten Phobus felbft mit Freuden hort — dammen und auf der einen Seite fo viel Unrecht wie auf der andem fehen, fuhren fchliefslich zur Gleichgiiltigkeit gegen die herrfchenden Prinzipien. Es find nicht immer fchlechte Manner, weiche erfullt von ihren Arbeiten fich z. B. um religiofe und politifche Partheiungen wenig kiimmern und den einen oder andem dienen; wo Schlechtigkeit anfangt und Schwache auf hort, ift freilich in folchem Treiben fchwer zu beftimmen, und echte Wiirde nie dabei zu gewinnen. 2i6 Martin Opitz: Lyrik. Er folle nicht langer in Herzeleid liber feiner lieben Frauen Abfchied verflummen, fondern die Laute wieder flimmen, die Orgel gehen laffen und feine Lieder erheben, in denen die Dahingefchiedene lebe: Die beriihmten Lieder bleiben Wenn wir langft geflorben find, "Was durch fie nicht kann bekleiben, Fahrt dahin wie Ranch und Wind. Wer fo ftirbet, mufs nur fiierben Und fein Lohn mit ihm verderben. In der Lyrik fehlt Opitz das Leidenfchaftliche, Schwungvolle und das Intereffante einer ungewohnlichen Subjectivitat, obwohl ihm manches Frifche, Heitere, Innige gelingt; Nach- und Anempfinden wird ihm leicht. Der dichterifche Fhilofoph hatte fich fogar genirt, voU-leidenfchaftlich aus fich heraus zu gehen ; er hielt fich aus Anlage und Ueberzeugung in den Granzen des Gebildet-MaafsvoUen, fo weit er diefes nach feinen poetifchen Muflern gefleckt wahnte. Weder mit Weckherlin's Feuer, noch mit Fleming's freierem. Sprudel, noch Gryphius' Tiefe ill Opitz im Einzehien als Lyriker zu vergleichen; ja er fleht an individuellem Geprage fafl all' den Dichtern nach, die mit ihm die neue Zeit anbahnten. Dennoch nimmt er auch als Lyriker unter den Andern mit Ehren feinen Platz ein, nicht blofs dadurch, wie er, den Fremden folgend, die neuen lyrifchen Arten fchuf, fondern auch, wie er fie ausfuhrte. Seine Liebesgedichte fmd keck, frifch, des wirklichen Gefiihls durchaus nicht ermangelnd. Die Vorwiirfe, welche ihm feine horazifch angeflimmten Gedichte von feinen Schonen und den mit ihnen erlebten Freuden brachten, beflimmten ihn zu der entfchuldigenden Vorrede, in welcher er gegen Ludwig von Cothen die Lefer aufmerkfam macht, dafs der Dichter Vieles fingire und das Recht dazu habe. Wie alle feine Worte hatten diefe den grofsten Einflufs; bis auf die Klopflockifche Zeit verfleckte fich jede lyrifche Licenz hinter diefem Ausfpruch. In manchen Liebes - Gedichten kehrte er, den Fremden folgend, das Verhaltnifs zwifchen Empfindung und Situation, wie es in der volks- thiimlichen' Lyrik beflanden, gradezu um. Diefe liebten es, nur Situation zu geben, und das Weitere der Phantafie zu iiberlaffen. Die neue Lyrik fprach ihre Empfindung breit aus und gab fo gut wie gar keine Situation, wodurch die Anfchaulichkeit abnahm, die Empfindungen allerdings mit der Zeit fich erweiterten. Martin Opitz : Drama. 217 Wenig Worte liber Opitz religiofe Lyrik. Abgefehen davon, dafs die Sitte, namentlich bei den Proteflanten, diefelbe verlangte und ein Dichter fich gleichfam durch fie reinigen mufste, wenn es ihm fonfl beifiel, leichte lyrifche Gedichte zu fchreiben, fo lag Opitz und feinen Genoffen diefe Lyrik auch an fich nahe. War er kein confeffioneller Eiferer, fo war er doch kein Unglaubiger, und grade hier fah er ein weites Feld fiir feine Subjectivitat und feine Wirkung gedtfnet. Statt der alteren aus der Ueberzeugung des Glaubens ge- fungenen Weife, welche das echte Kirchenlied feflhielt, fchiebt er und die ihm Aehnlichen in der lleigenden philofophifchen Bewegung der Geifler die Reflexion und die allgemeine Moral ein. Jetzt kommen die aus horazifchen Oden u. dergl. umgedichteten religidfen Lieder, fiir uns durchgangig langweilig und unerquicklich , damals ein neues Moment enthaltend und fomit freudig begriifst. Dafs Opitz die Pfalmen und Klagelieder nach feiner Weife reimte, ift nicht weiter zu verwundern; es war ihm eine leichte, erfreuende, beim Publicum hoch aufgenommene Arbeit, worin ja auch in der Nachahmung der Franzofen ihm Andere fchon voraufgegangen waren. Im Drama griff Opitz mit dem durch, was ihm eigentlich am fernflen lag, mit dem muficalifchen Drama, wenn man ein Durch- greifen nennen will, dafs Opitz nach dem Italienifchen des Rinuccini den erflen deutfchen Opemtext Dafne dichtete, den fein Freund Heinrich Schiitz (Sagittarius, Kapellknabe bei Landgraf Moritz von Heffen, fludirte 1609 — 12 Mufik in Venedig, feit 161 5 Kapelldirector in Dresden) componirte. 1627 ward diefe erfl.e deutfche Oper in Torgau aufgefiihrt. In der lyrifch - dramatifchen Bearbeitung des Hohenliedes und der Judith (nach dem Italienifchen) entwickelte Opitz vielleicht die grofste Gluth und Leidenfchaftlichkeit. Das hohe Lied war von Alters her fiir die religiofen poetifchen Geifler eine Krater- offnung ihrer Empfindungen. Das Gedicht ward befonders fo wichtig fiir alle Myfliker. Es wirkte auch jetzt wieder auf die Schilderungs- weife der religiofen Empfindungen bei alien dahinzielenden Secten ein, die fich nach diefer Seite hin mit der Lyrik des Neu-Katholicismus begegneten. Eine Tragddie grofsen und reinen Stils hat Opitz, wie oben fchon bemerkt, nicht gedichtet. Die beiden Ueberfetzungen , welche er v lieferte, waren die Trojanerinnen des Seneca (1625) und die Antigone (1636), beide in Alexandrinern mit gereimten Chdren; bei beiden war 2i8 Martin Opitz. Entwickelungen des Drama's. er von den Gedanken an das arme Vaterland bewegt, welches wie das Theben der Antigone vom Bruderkriege zerfleifcht, der Selbfl- fucht von Herrfchern gleich Kreon hingegeben und wie Troja in den tiefflen Verfall geflurzt fei. Diefe Ueberfetzungen waren trotz aller Steifheit die erflen in Deutfchland, welche aiif den Titel einer vvirk- lichen Ueberfetzung Anfpruch machen konnten. Die ungliickliche Nachahmung der Seneca -Tragodien mit ihrer aufgebaufchten Rhetorik fehen wir auch hier wie in den Nieder- landen und Frankreich durch die Wahl bevorzugt. Dafs Opitz es mit der Ueberfetzung der Antigone bei langerem Leben ficher nicht hatte bewenden laflen, ward oben ausgefprochen. Seiner Natur nach mochte er fich fpater fiir die franzofifche dramatifche Richtung ent- fchieden haben. Drei Stromungen wurden von der antiken Tragodie aus damals verfolgt. Die Nachahmung flihrte in Italien zuerfl zum Melodrama, im Verlauf zur reinen Oper, in welcher Alles gefungen wurde. Der Gegenfatz gegen das rohe volksthumliche Drama begunfligte in den hochflen Standen in Deutfchland die Oper; gegen die plumpe, mate- rialiflifche Auffaffung Flucht in die reinfle Idealwelt. Natiirlich ging Beides neben einander her, bis eine einfach fchone Verfchmelzung gefunden wurde. Die Niederlander befonders fuchten das antike Drama, wie es id, zu verwenden, alfo mit den Choren, mit den iiberirdifchen Ein- griffen u. f. w. Die deutfchen gelehrten Tragodiendichter der nachflen Zeit folgten ihnen hierin; eril nach Lohenflein wurde diefe Richtung aufgegeben. Die Franzofen dagegen gingen am fcharfflen in der, dem opern- haften entgegengefetzten Richtung vor. Sie hielten die ganze Formung hinfichtlich der Befchrankung auf den Hohepunkt, damit in Zeit, Ort u. f. w. fefl, wandelten aber den Chor und deffen Lyrik in den Vertrauten oder die Vertraute und fomit Alles zum Rede -Drama. Damit war die Auffiihrung hochfl moglich erleichtert. Ein Saal, eine Decoration, und die Biihne war fertig. Mit voUer Confequenz wurde das Verflandes -Element ausgepragt entgegen der Phantaflik, welche fich in der Oper und in dem Drama mit Choren feflfetzte. Der Refpect vor der Claffik war der Art, dafs bekanntlich das Martin Opitz: altdeutfche Studien. 2IQ Drama der englifchen Renaiflance mit Shakefpeare und Genoffen vor diefer fogenannten claffifchen FalTung weichen mufste. Es ifl fchon frliher darauf hingewiefen worden, wie Opitz Wirken und Weifen auf die altere deutfche Literatur fiir deren Pflege von grofsem Einflufs ward. Der gelehrte Goldafl. hatte ihn augenfcheinlich fchon in der Jugendzeit angeregt; die humaniflifche Mode von der Germania des Tacitus zu fchwarmen und damit barocke Renaiffance zu treiben, fahen wir lange vor Opitz rege. Opitz fiihrte fich dem- gemafs als Jlingling declamatorifch als Ruhmredner der alteren deutfchen Poefie ein. Aber er blieb nicht bei der Phrafe ; er fuchte fich wirklich weiter zu arbeiten und fchob die Erkenntnifs vor. In der Poetik, die jeder damals las, weift er wieder wie im Arillarchus auf mitteldeutfche Dichtung, dann auf die Scalden und die nordifche Poefie. 1639 giebt er dann das Anno-Lied heraus mit Erklarungen, welche ein liebevoUes Eingehen und Verftandnifs fiir diefe alte deutfche Poefie zeigen. Fortan fiihlte in der ganzen Opitzifchen Periode jeder Gelehrter- Dichter fich verpflichtet , auch hierin dem Meifler zu folgen, wo moglich einige altdeutfche Gedichte zu kennen oder zu citiren in den Vorreden, Enthufiasmus fiir die Altvorderen, die Reinheit, das Alter der deutfchen Sprache, die Ehrlichkeit, Treue, Tapferkeit der alten deutfchen Art zu zeigen oder gar altdeutfche Dichtung heraus- zugeben. Gottfched und Bodmer wollten beide Neu-Opitze fein; beide wurden durch feine Bemiihungen noch angeregt. Intereffant ifl, dafs der Mann, der uns am weiteflen in der poetifchen Praxis von der Vergangenheit entfernte, zu gleicher Zeit wieder als Gelehrter an die Vergangenheit kniipfte und wie kein anderer dazu beitrug, das Intereffe fiir fie rege zu erhalten. Auf dem aufserflen Punkte der Spiralbewegung des Fortfchritts tritt die Curvenbiegung ein, welche zuriickfiihrt. Es ifl keine Frage, dafs die Opitzifche Neuerung alle Fehler und Sunden einer Radical -Aenderung brachte und dafs von ihr aus das fchone Gleichmaafs zu finden nun wieder fo lange Zeit brauchte als ungefahr verflrichen war, feit in regelmafsiger Entwicklung zu Anfang der Reformation die Neubildung aus dem Realismus hatte eintreten miiffen, wenn man nicht gleich einfach bis auf das Jahr 1250 zuriickgehen will. Ueber die (lecken gebliebenen Vermittelungs-Verfuche der alteren 220 Martin Opitz. und gleichzeitigen Renaiffance-Poeten und liber alle Halbheiten un- bedeutenderer Art hinweg verfetzte Opitz die Poefie in die neue Zeit. Aus dem Wirrwarr und der Nachlaffigkeit dabci in die zwangsmafsige Ordnung und Schulmeiflerei und Hofmeiflerei, aus wucherndem Ge- flriipp und Verfumpfung und verwiilleten Waldflellen, in denen die tibriggebliebenen hoheren Baume doch verdorrte Wipfel batten, in die Oede einer langweiligen , im Entllehen begriffenen, mit der Scheere zugeflutzten, der wild wachfenden heimifchen Pflanzen moglichil entbehrenden Gartner- Anl age des Barockgefchmacks , darin die Wege in Sand und Kies vor Allem ausgelegt waren. Statt Individualitat, welche der allgemeinen Cultur ermangelte, ein allgemeines Gefellfchafts- wefen ohne Individualitat, flatt Glauben und Anfchauen und Empfinden ohne Philofophie ein philofophifches Verniinfteln, welches dem vollen frifchen Erfaffen und jedem leidenfchaftlichen Handeln die Spitze abbrechen mufste, flatt derber Lull Schongeillerei, flatt verworrener Phantaflik Phantafielofigkeit, flatt Leben und Geflaltung in der Poefie ohne leitende und beflimmende Ideen, Ideen ohne Geflaltung und Wiffen ohne Leben : das war in grofsen Ziigen der Unterfchied zwifchen der alten und neuen Poefie. Die Zeit fiel Opitz freudig zu. Er war ihr Mann ; er verwirklichte fiir die Schichten, welche den Ton angaben, das poetifche Ideal, denn hinter feinen Poefien fah fie den modernen Vernunftmenfchen, der alles Mittelalterliche rein von fich abgefchiittelt hatte und dem humaniflifch- modernen, philofophifchen Kosmopolitismus zuflrebte. In der lehrenden Form fah fie das Mittel, das Niitzliche am fchnellflen aufzufaffen. Wie man in unferer Epoche fich der Naturwiffenfchaft mit Verachtung der Phantafie zuwandte, fo damals diefer Art Dida6lik der modernen Menfchenlehre. Mag man liber das Fa6lum der neuen Entwicklung feufzen oder denken, wie man will, man foUte wenigflens nicht Opitz allein, fondern die ganze Zeit und das Volk fiir die Wandlung, die nun eintrat, ver- antwortlich machen. o. Aufnahme der Neuerung bei den Katholiken und in Siiddeutschland. Selten id eine grofse Neuerung in folcher Ruhe vor fich gegangen, wie damals die Opitzifche in der Poefie. Es fehlte nicht an Leben und Regen dagegen und daneben, aber Keiner trat auf, der mit energifcher Kriegserklarung den Reformator kurzweg verwarf und feine Neuerungen fiir fchadlich erklarte. Die Parthei des modernen Fortfchritts hatte er in fich zufammen- gefafst. Um die andern — die volksdilimliche Schichte und die Katholiken — kiimmerte er fich nicht und fie fich vvenig oder gar nicht um ihn. Dafs die Manner, vvelche felbflandig und zum Theil mit tiichtigen Kraften vor Opitz den poetifchen Fortfchritt erflrebt hatten, nicht zufrieden waren, als fie fich iiberholt und verdrangt fahen, ward bei mehreren fchon hervorgehoben. Dichter, welche fich zu ihnen rechneten, aber wegen ihres fpaten Auftretens noch nicht zu nennen waren, zeigen die Fortfetzung diefes Grolls. Hier murrte, makelte, flichelte man, wahrte fich gegen den Schlefier die Verdienfle, aber man warf ihm nicht den Handfchuh hin. Sein Uebergewicht war zu unbeflreitbar geworden. Seine metrifche Befferung war ein gewaltiger, unverriickbarer Grundftein feines Ruhmes, den Niemand verfchieben konnte und der Jeden zwang, die eigene Ruhmesfaule befcheidentHch neben der des Opitz zu errichten. Selbfl fpatere, kecke Geifler, welche auf Opitz Schultern flehend fich als grofser gerirten, konnten doch nicht gegen ihn aufkommen. Intereffant ifl, wie der Stamm- und Provinz-Neid innerhalb der Parthei*) wirkt; er hat wenigflens das Gute, dafs er eine gewiffe *) Analogien aus den politifchen Entwicklungen der letzten Jahre find leicht zu finden. 222 Die aufrichtige Tannengefellfchaft. Mannigfaltigkeit erhalt, was man freilich iiber die Kleinlichkeit feines Treibens und die Klaglichkeit der Mannigfaltigkeit oft vergifst. Im Ganzen fehen wir Siiddeutfchland gegen den Schlefier zuriickhaltend. Dafs der Palmenorden Opitz die Prioritat flreitig machte, ward fchon gefagt. Die iilteren Mitglieder fahen in mancher Beziehung Opitz als einen Plagiator an, der ihre Tendenzen ausgefchrieben und ihre Leiilungen todtfchweige. Tobias Hiibner und der hohe Anhang des Palmenordens murrten, dafs Opitz fich das Verdienfl des Hin- weifes auf Ueberfetzungen und der neuen Formen, zumal der Alexan- driner, anmafse, welches ihm, Hiibner, gebtihre. Dafs der Mann der kernigen alten Weife, Andreae, nicht ganz zufrieden, dafs es Weckherlin nicht einerlei war, durch den jiingeren Dichter bei Seite gedrangt und verdunkelt zu werden, dafs er mit Werder fich durchaus nicht niit der Befchrankung der Verfe auf jambifche und trochaifche ein- verflanden erklarte, dafs Werder fich innerhalb der italienifchen Phantafie als Ueberfetzer zu halten fuchte, ward angefiihrt. Zu diefen kamen einige Dichter an der 111, frtihzeitige Neben- nianner von Opitz, doch erfl fpat auftretend. Diefe Elfafser, Andreae in Schwaben, die an die Katholiken Bayerns und an Italien fich anlehnenden Nlirnberger zeigen uns Be- flrebungen und Richtungen, durch welche die Eiferfucht noch fcharfer hervorbricht, als an der Elbe und Fulda gegen die ' Oder. Die Schweizer und Oeflerreicher verhielten fich paffiv und traten eril allmalig in die Opitzifche Bewegung ein. Strafsburg war von jeher ein Hauptfitz der deutfchen Dichtung und des literarifchen Intereffes gewefen; nicht zum wenigflen im i6. Jahrhundert, nachdem es fich durch Sebaflian Brant im Uebergang der alten zur neuen Zeit an die Spitze geflellt wahnen mochte. Nach Fifchart hatte der Spangenberg'fche Kreis wieder dafelbfl gewirkt. Andreae, Weckherlin und Zincgref waren hier bekannl und geachtet. Nun kam ein Schlefier und woUte Alles iiberfliigeln und den Schwerpunkt der Poefie fur Deutfchland ganz und gar ver- riicken. Wir horen den Unmuth der Strafsburger freilich erfl fpat, nach Opitz Tod, 1644. 1633 hatten fie nach Vorbild des Palmenordens cine Gefellfchaft gefliftet, die aufrichtige Tannengefellfchaft. Sie fuch- ten fich felbflandig zu halten und die ftiddeutfchen Verdienfle zu wahren. Rumpler von Lowenhalt unci Schneuber. 22 3 In der Aufforderung Rum pier's von Lowenhalt, Schneuber folle mit feinen Gedichten hervortreten, fagt der auf die Oflmanner als Halbdeutfche herabfehende Rheinliinder : Du fiehfl, wie Andre thun, die fpater noch als du Zum Spiel erfchienen fein, hall) Fremdlinge dazu — indem er fich felbfl mit einem Baum vergleicht, der friih im Jahr mit Kndpfen und Bliithen einer der erflen war, aber defs' Frucht erfl der fpate Herbfl zeitigt. Der Herbfl hat fie leider nicht gezeitigt; fie ifl hartfchalig und innerlich hart und herbe geblieben. Steifes, Ungelenkes klebt diefen beiden Strafsburger Poeten an; andrerfeits ifl. in ihnen etwas Tiichtiges, Mannhaftes, das bei all ihrer Pedanterie erfreuen kann. Schneuber, nebenbei bemerkt, ein Verehrer Andrese's, hat in feinen Gedichten von 1644 weniger Wortgeprange als die meiflen Zeitgenoffen, viel trockene Lehrfamkeit, aber doch nicht die reimende, nur des Metrums wegen dichtende Oberflachlichkeit, die damals in der Mode war. Verfchiedenes ifl. wirklich poetifch gedacht oder angefafst wie z. B. das Trauerlied auf Goler von Ravenfpurg. (Die vielen Trauergedichte diefer Zeit mufsten durchgangig moralifirend und langweilig, wenn nicht ganz hohl und gefchmacklos ausfallen, da die Dichter meiflens nach der Angabe der Verwandten oder nach oberflachlicher Bekanntfchaft ihre fiir halbwegs nothwendig erachteten Trauergedichte leyern mufsten. Bei alien anderen Be- ftellungsgedichten zu Fefl,en, Hochzeiten u. f w., die oft nicht ver- weigert werden konnten, war es grade fo.) Das Lied an den Chorion hat fchon Meufebach (auf einem daneben gebundenen Blatt feines einftmaligen Exemplars) mit Recht: "dies wirklich fchdne Gedicht» genannt.*) V *) Edele Deutfchen, ihr habet empfangen Treffliche Gaben und himmlifchen Preis, Meifter zu bleiben und herrlich zu prangen Ueber die Volker auf mancherlei Weis. Euch mufsten gerathen Die mannlichen Thaten In rnachtigem Krieg. Die Feinde zu fchlagen, Zu todten und jagen, Dafs Alles im Lande fich freute im Sieg. 224 Schneuber. Friedrich von Spec. Urn Bernhard von Weimar klagt Schneuber in tiefer Trauer als um den gefallenen Judas Maccabaus. Leider hat er liber die vielen Gelegenheitsgedichte feine beffere Anlage nicht verwerthet. Einflufs hatten diefe Strafsburger und ihre aufrichtige Tannen- gefellfchaft nicht auf die weitere Entwicklung der Poefie. Die wohl- meinende Biederkeit und hie und da ein gelungenes Gedicht reichten dazu nicht hin. EigenthiimUches leifleten fie nach keiner Richtung. Sie wollten gleich der Fruchtbringenden Genoffenfchaft daffelbe, was Opitz wollte, und nahmen diefelbe Anlehnung in den Formen. Der Alexandriner dominirt, Ganz anders fland es in der katholifchen Dichtung. In fie ein- tretend gelangen wir in eine andere Welt, als die der proteftantifchen gelehrten Dichter ifl, iiberhaupt als die des Proteflantismus, der hoch- flens die Ueberlieferungen des Katholicismus vor 1520, nicht aber die Bewegungen kannte, die dort von Spanien und Italien aus feit Mitte des Jahrhunderts gewirkt hatten: den fchwarmerifchen, phan- taflifchen , hier fufslich-minniglichen , dort gevvaltfamen , zum Grofs- artigflen flrebenden, poetifchen neukatholifchen Stil. Man vergeffe nicht, dafs man es in diefer, in den Jefuiten gipfelnden Bewegung mit einem wirklichen heifsen Enthufiasmus zu thun hat, der den ganzen Menfchen erfullte, mit einem Geifl voU Scharfe, Kraft und Neuerung, wie voir Aberwitz, Unvernunft und Reaction, fo practifch und berechnend auf einer Seite, wie tiberfpannt und abftrus auf der andern, der in dem Raufch des Fanatismus fo kiihn wie verbrecherifch fchrecklich war. Um feine Machtigkeit klarer vortreten zu laffen, fei, abgefehen von dem Ausdruck in den Kiinflen, auf welchen Ichon friiher verwiefen ward, an die Erfolge in der Bekehrung erinnert, die damals die Jefuiten in den verfchie- denflen Welttheilen hatten, namentlich an ihr grofses theocratifches Reich, welches fie feit 1608 in Paraguay zu grlinden begonnen hatten. Der italienifche Gefchmack, von Guido Reni's Weife bis zum gewaltfamflen Barokflil war hier mafsgebend. Zwei deutfche Dichter hat der Neukatholicismus zu verzeichnen, von denen der zweite durch feine lateinifchen Poefien fchon bei feinen Lebzeiten international en Ruf erlangte: Friedrich von Spee (1592 — 1635) u'^d Jacob Balde (1603 — 1668), beide Jefuiten. Friedrich von Spee neben Opitz, welche Verfchiedenheiten ! Es find ganz getrennte Gedanken-Welten, in denen diefe Geifler fich Friedrich von Spec. 2 2 15 bevvegen. Anfchauung und Empfindung ifl eine andere. Dort ein mittelalterlich-riicklaufiger, hier ein modern -vorwartsflrebender Zug; dort Phantafie und Gefiihlsiiberfchwang, hier Verflandesmafsigkeit ; dort viel Schones, aber auch weichlich Krankhaftes, Nervos-Ueber- fchwangliches , Hyflerifches, hier Straffes, Niichternes, aber gefundes \Vefen. Sie find feltfame Erganzungen, zwifchen denen aber die Ver- niittlung fehlte. Spee, iibrigens einer der um die Menfchheit und ihren Fort- fchritt verdienteflen Manner, da er zu den erflen und energifchflen Bekilmpfern des fchauerlichen Hexenwahns und der daraus folgenden entfetzlichen Juflizmorde gehorte, drehte fich innerhalb feiner reli- giofen Schranken, wie Opitz in den gelehrten befangen war. Sobald er gegen diefe flofst, kein Gedanke dariiber hinauszudringen, fondern er wendet fich fogleich zurtick und fucht mit forcirter, krankhafter Leidenfchaft in der Tiefe des Gefiihls und in Ueberfchvvanghchkeit liberlieferter Phantafie, was ihm an Vernunft der Wirklichkeit ab- geht. jVIanierismus iil damit unausbleiblich, und er \vird dann fiifsHch, kindifch und fchwiilflig. Sehen wir von den Verirrungen feines Talentes ab, fo finden wir echt dichterifche Anlage. AUes ifl bei ihm in's Lebensvolle, An- fchauliche ubertragen. Es ifl ein feiner Geifl, auf edle Freude ge- richtet, mit tiefem Geflihl fur's Sinnige, Lmige und Schone; nirgends biirgerhch-gelehrte Pedanterie; er hat Schwung, leichte Bewegung, viel Raumphantafie und hohen landfchaftlichen Schonheitsfinn, den er viel und gem verwerthet. Abflracte Reflexion kennt feine Poefie nicht. Wie das Volkslied kniipft fie an eine Situation oder nimmt balladen- mafsige Form an. Man meint einen altdeutfchen Maler zu fehen, der am liebflen feine heiligen Geflalten unter Blumen malt, an Brunnen, unter Baumen mit Voglein, Sonnenfchein, Mond und Sternen, in fchonen Gewandern mit Gefchmeide. Gern leitet Spee durch die Natur ein; ") er fucht wie die Malerei jetzt, wie auch die proteflan- V *) Z. B. in den aufeinanderfolgenden Gedichten (Trutznachtigall oder Geiftl. Poet. Luft-Waldlein, desgleichen noch nie zuvor in Teutfcher Sprache gefehen. 1649). S. 83: Wenn Abends uns die braune Nacht (die „braune" Nacht findet fich jetzt haufig nach dem Italienifchen). S. 89 ein andrer Bufsgefang: Gleich friih, wenn zarter Morgenfchein. S. 95 : O Traurigkeit des Herzen, wann wirft du nehmen ab, April kommt auf den Marzen, der Winter geht zu Grab. Natur war auch in Levickc, Gefchichte der deiitfchcn Dichtung. 15 226 Friedrich von Spec. tifchen religiofen Dichter im Landfchaftlichen ein neues Gebiet, wel- ches er mit grofser Feinheit des Gefiihls durchdringt. Der triibe Winter ifl vorbei, Die Kranich wiederkehren, Nun reget fich der Vogelfchrei, Die Nefter fich verniehren: Laub mit gemach Nun fchleicht an Tag Die Bliimlein fich nun maiden, Wie Schlanglein krunim Gehn lachelnd um Die Bachlein kiihl in Walden. Himmel, Sterne, Sonne, Mond, Morgen- und Abendrothe und Nacht, Wind, Wald, Blumen, alte Baume, Bachlein, die um Steine zanken, Fltiffe und Meer und Voglein-Gefang, das liebt und kennt er und wendet es gem an. Wie Guido Reni malt er die Auserwahlten feiner Seele mit hellen, verfchwimmenden Farben; ihm ifl die Phan- tafie voll von dem weich-fchonen Jefus-Ideal, fiir welches Balfam und Morgenrothe, Sonn und Mond, Korallen und Purpurfarbe italienifch fiifslich kaum geniigen. Seine Seele hat Schwungkraft, dahin wo Sonne und Mond zu Gottes Fiifsen liegt, fich aufzufchwingen, aber dann kommt der neukatholifche Jefuit und kommen die Schwachen feiner Anlage zur Geltung. Alles foil in majorem Dei gloriam fich wenden; ein Verfchwimmen, ein Hiniiberfpielen in's Religiofe tritt ein, welches oft wunderbarlich, oft aber manieriflifch-widerlich wird. Weich-fchwarmerifch , exaltirt, vom Realen flets in's Ueberfmn- liche gedrangt, myftifch-finnlich, dadurch bei grofeem Flufs der Verfe und vielem Melodifchen oft fpielend, fehlt ihm das Charactervolle. Das Wollen, der individuelle Mann ifl in diefer lyrifchen Weife ganz Schmerzen. S. 95: Die Voglein fchon erklingen, die Sonn' fich flrahlet auf. S. lOO: O wie fcheinbar (fichtlich) Trofl von oben endlich durch die Wolken bricht (S. 103 Franz Xavier). S. lo8: Oft morgens in der Kiihle noch vor dem Sonnenfchein. Nun kommen eine Reihe langer Gedichte, in \velchen>die innige Naturfreude zur Verherrhchung Gottes dient. — Wie er den Volkston behandelt, mochte man ihn den gefteigerten Paul Meliffus nennen: All da pflegt er auch brechen Die rothen Rofelein Ob fchon die Dorner ftechen, Sich troftet er der Pein. Friedrich von Spec. 22 7 zuriickgedrangt, aber wie anders als in der object! ven Poefie. Das Hochfle und Heiligfle feiner religiofen Vorflellungen weifs er nicht belTer als in das Weich-Stifslich-Schaferliche der italienifchen Barock- zeit zu iibertragen. Damon und Halton treiben mit dem Chriflus- kinde eine Ziirtlichkeit, wie wir ahnlich auf Bildern fpanifcher Maler fehen, wenn z. B. Monche das Chrifluskind herzen. In einem theo- kritifchen Gedicht wird lang und breit bis zum Kindifchflen aufgezalilt, was die Hirten dem Kinde fchenken wollen, Lamm, Kalb, Hund, Katze u. f. w., in einer Ecloga wird Chriflus als Daphnis vom Mond beklagf). Hier ift denn naturlich keine Grenze mehr des Manieris- mus. «Hube fufslich an zu weinen ein fo gar beriihmter Bach» — fpricht fich felbfl das Urtheil. Wenn Jefus mit den Nageln, dem Hammer u. f. w. fpricht, die wehklagen, zum Zimmermann, zur Obrigkeit, zur Mutter, zu Gabriel u. f. w., wenn Maria klagt liber Jefus unter der Perfon des Hirten Daphnis, diefer als todter Daphnis, als junges, blutendes, hangendes Reh u. f. w. befungen wird, dann fmd wir in der Poefie krankhafter Phantafie und widerlich - fiifser Myflik. Es ifl. weibifch - hyflerifche Ueberfpannung des iiberreizten Monches. Am bekannteflen ifl Spec's Gedicht iiber Franz Xavier: «Als in Jappon weit entlegen dachte diefer Gottesmann». Es ifl ein Flufs, eine Gefiigigkeit in diefen balladenartigen Gedichten des von Trier bis Hildesheim hin in feinem kirchlichen Beruf thatigen Dichters, der unwillkiirlich an Burger erinnert. Nur bei Heermann fanden wir Aehnliches. In der Vorrede des Dichters zu feiner Gedichtfammlung («Trutz- nachtigall genannt, weil es trutz alien Nachtigallen fiifs und lieblich fmgt und zwar aufrichtig poetifch; alfo dafs es fich auch wohl bei fehr guten Lateinifchen und anderen Poeten diirfte horen laffen»), welche kurz, fehr ficher und einfach-brauchbar liber die Profodie handelt, ftellt Spee daffelbe Princip auf, wie Opitz. Opitz ift mit keinem Wort genannt. Der rechte « Schlag und Ton » wird hier befprochen. Schlag heifst fo viel wie Fufs. Den Trochiius nennt er *) Mit den feltfamsten Plattitiiden: Dem Mond zerfpringt fein Rohr. Augen- tiopfen entfallen ihm, er wiirde wie der „fchwarze Mohr". (Alfo auch diefer Heine-Freiligrathifche Vergleich fchon dagewefen!) Die Sterne „fl6tzten all ab ihren Schein." 51* 228 Jacob Balde. Sprungvers. (1635 flarb Spee; 1649 ei'fchien die Trutznachtigall. Alle Welt fprach feit 1624 von Opitz und feiner neuen Regel. Spee ignorirt ihn aber voUflandig und thut, als ob er fiir fich jene Accent- Regel gefunden. Es ifl. dies moglich. Das: Wann? ware in dem Fall intereffant.) Grofser, kiihner, ein merkwurdiges Beifpiel hinfichtlich der Macht der.Sprache, fteif-alterthiimlich erfcheinend, wenn er deutfch, ein iiberfliegender Dichter moderner fpat - italienifcher Renaiflance, wenn er lateinifch dichtet, in mancher Beziehung ganz eminent, ifl der im Elfafs geborene, in Baiern lebende Dichter und Jefuit Jacob Balde (1603 — 1668). Seiner Zeit von hochllem Ruhm als Lateindichter erflen Ranges, dann ziemlich vergeffen, durch Herder aber wieder hervorgehoben, hat Balde grade in unferen, fo manche Renaiffance- flromung wieder aufnehmenden Tagen fo viele Vertreter feines Ruh- mes und Werthes gefunden,') dafs es nicht nothig ifl, auf feine Lateinpoefie abfchweifend, diefe hier des Naheren zu behandeln. Er nahm in ihr Sarbiewski's Odendichtung (polnifcher Jefuit, 1595 — 1640; auf Ein Flufs, ein Feuer, eine Innigkeit und Leichtigkeit fonder Glei- chen zeigt fich in feinen Dichtungen. Grofse, Kraft, Schwung laffen das Hochfte hoffen. Aber dem Uebermaafs des Jefuitenflils in der bildenden Kunfl entgeht auch er nicht. Die Eigenthiimlichkeiten der italienifchen Schnellmaler kommen auch bei ihm zum Vorfchein. Wie er die Maffen bewaltigt, die Kraft, Keckheit und Sicherheit feines Pinfels ifl. wunderbar: fchliefslich ill man aber mehr iiberwaltigt als befriedigt, und eine gewiffe innere Leere bleibt. Balde mit feinem grofsartigen und feinen Naturfmn, mit feinem katholifch - deutfchen Patriotismus , feinem Kunflverflandnifs , feiner glaubigen Schwarmerei, feiner gewaltigen Phantafie, dem machtigen Affe6l, der Grazie, dem eminenten Sprachfmn (in lateinifcher Sprache), mit feiner poetifch-philofophifchen Einficht in das Wefen der Dichtung, worin er alle Zeitgenoffen in Deutfchland ficherlich iiber- traf, mit feiner Weltkenntnifs und Gelehrfamkeit und feinem Humor — auch Balde kommt nicht dazu, durch Geflalten und Handlung feiner Poefie das wahre, felbflandige Leben zu geben und verflromt damit feine eminente Kraft. Allegoric, Schilderung, Bild, Reflexion, Gefiihl, *) Sehr ausfiihrlich in: Jacobus Balde, fcin Lebeii und feine Werke von Georg Weftermayer. Munchen i858. Der Niimberger Pegnitz-Orden. 22Q Witz, Nichts vermag diefen Mangel zu erfetzen, der ihn hinderte, einer der grofsten Dichter aller Zeiten, der Rubens in der Poefie feiner Epoche zu werden. In feiner deutfchen Dichtung, in voropitzifcher, ') volksthiimlich nachlaffiger und (leifer, des Adels entbehrender Sprache und Weife vorgetragen, ifl derfelbe Dichter kaum mehr zu erkennen. Nach Lyrik und Drama bleibt er hier unter der Maffe; er hat auf die Entwick- lung der Poefie durch feine deutfchen Verfe nicht den geringflen Einflufs gehabt. Der feine, hofifche Jefuit wird hier oft gradezu plump und niedrig. Keiner aber hat das Wefen der Dichtung feiner Zeit in Deutfch- land erkannt wie Balde und die Schwachen der tonangebenden Mit- dichter richtiger beurtheilt."**) An die Strafsburger, Spee und die katholifche Lateinpoefie feien hier angereiht die Dichter des Niimberger Kreifes, die Blumen-Hirten A/ Oder Pegnitz-Hirten des gekronten Blumen-Ordens (der bis auf den heutigen Tag exiflirt). Wie die Strafsburger Tannengefellfchaft treten fie freihch erfl nach Opitz' Tode auf; doch beanfprucht ihr Griinder gleich Rumpler und Schneuber neben Opitz eine Stelle, flatt fich ihm kurzweg unterzuordnen. Ganz aufserlich fchon moge fich diefe Zufammenflellung dadurch rechtfertigen, dafs mehrere der erflen Pegnitz-Hirten in Strafsburg ihre Anregung bekommen haben und *) Wellerniayer meint, Balde habe wahrfcheinlich erft 1654 Opitz kennen lernen, den er wegen der niedrigen kleinlichen Gegenftande und wegen der ab- gefchmackten Sprache fehr herbe beurtheilt. Er habe fich aber feitdem doch augenicheinlich nach Opitz fiir feine deutfchen Verfe gerichtet. **) Man fehe z. B. die Auszuge aus Balde's Poetik bei Herder (im Xeno- taphium des Dichters Jakob Balde. Nr. 8). „Befchwert mit zu vielen Regeln klemnit man fich in die Enge und kann nicht hindurch, Man zittert aberglaubifch vor feinen eignen Idolen und zankt mit Silben oder Namen, als ob fie die Sache waren. . . Ein Dichter werde, kein Verfificator. . . In der Philofophie fucht man Wahrheit, nicht Neuheit; die Poefie will neues Vergniigen, neue Dichtung; fie will Selbflerfindung. . . Verlaffefl du die ausgetretenen Fufstapfen deiner Vorganger nicht: fo bleibfl du ein Nachwandler, ein Nemo. Man wird dir fagen: in Horaz, Virgil, Lucan habe ich langft daffelbe gelefen; wozu alfo es noch einmal fagen? . . Bei den Griechen hiefs der Dichter ein Schopfer. Er fchafft fein Werk, wie Gott die Welt fchuf, aus dem Nichts. Machtig rufet er's aus fich felbfl; hervor und flellet es als eine Welt dar in Ordnung und Schonheit. Werden wir nicht aber zur Nachahmung der Alten gewiefen? Allerdings. Wir follen fie geniefsen, aber auch verdauen u. f. w. ^ 2 -iQ riarsdorffer. anderfeits mit Balde in literarifchem Connex Randen. Balde fchatzte Harsdoriifer ') und wurde von diefem und dem Pegnitz-Kreife gefeiert. Der ttincomparabilis poeta» Jacobus Balde fpielte bei dem Niirnberger Hauptling friihzeitig eine bedeutende RoUe. Georg Philipp Harsdorffer aus patricifchem Gefchlecht (1607 bis 1658) ging 1626, nachdem er feit 1623 zu Altdorf fludirt, nach Strafsburg und reifle dann fiinf Jahre in Frankreich, England, Holland und Italian. 1631 kehrte er nach Nurnberg zuriick. 1634 trat er mit der Ueberfetzung der Dianea des Loredano als feinem Erfllings- werk auf. Harsdorffer hatte augenfcheinlich Lull, fich nicht vor Opitz zu beugen, fondern fich neben und liber ihn zu (lellen. Er wollte ihn in Auffaffung, Stoff, Form und Theorie uberholen und zahlt zu den Wenigen, welche, allerdings nach dem Tode des Neben- buhlers, vvagten, ihm nachzufagen, dafs er kein grofser Dichter gewefen fei, weil es ihm an Erfindung gefehlt habe und feine meiften Werke nur Um- und Nachdichtungen gewefen feien, ein einfichtiges Urtheil, welches ftir Harsdorffer zeugen wiirde, wenn es nicht dem hollandifchen Poeten Vondel nachgefprochen ware, welch er fich mit Recht iiber Opitz' aufserordentlichen Ruhm bei den Deutfchen wundertc. Harsdorffer mag friihe von der Mifsflimmung beeinflufst worden fein, die fich fo vielfach gegen das perfonliche Uebergewicht des fchlefifchen Maro bei den Poeten in Mittel- und Siiddeutfchland geltend machte. Ueberdies aber fiihlte er fich durch die Opitzifche mehr trocken-gelehrte, niederlandifch-franzofifche Weife nicht an- gefprochen, fondern gab dem italienifchen weichen, fiifslichen, auf- gebaufchten Barockflil entfchieden den Vorzug. Nachdem er nach der Dianea bis 1641 als unermiidlicher Vielfchreiber und feiner Zeit gefchatzter Gelehrter eine Reihe Lateinfchriften und audi feine Ge- fprachfpiele herausgegeben und Mitglied des Palmenordens geworden war, griindete er mit Johann Klaj aus Meifsen (16 16 — 56) den pegnefifchen Blumenorden. Klaj war ein SchUler Buchner's, ein Anhanger der metrifch iiber Opitz hinausgehenden, fiir Anapaflen und Da6lylen u. f w. fchwarmenden Richtung, welche man in den von der Univerfitat Wittenberg beeinflufsten Landern als fpecielle Errungenfchaft pflegte. Seitdem gab Nurnberg in Siiddeutfchland einen *) Weftermeyer a. a. O. Dafs fich fpater Convertiten der Jefuiten unter den Pegnitzem finden, kann bei ihrer allgemeinen Richtung nicht auffallig fein. Harsdorffer: Poetifcher Trichter. 231 klcinen Centralpunkt einer eignen poetifchen Genoffenfchaft ab, die einerfeits durch Klaj's Stil an die Katholiken von Ingolfladt und Miinchen fich lehnte, anderfeits mit den Anhaltinern und den Verfe- kiinftlern und Sprachfreunden , zumal mit Schottel, freundlich fland und deren Verbindungen bis zur Unterelbe reichten, wo ein, gleich Harsdorffer fich felbflwichtig erfcheinender Poet, Rifl, mit jenem um die Wette dichtete. Als fpater der Pegnitzer Manierismus in feiner Heimath gefchlagen vvurde, fand er im Norden noch Afyle, welche auszuheben Gottfched fich fo unendlich abeiferte. Fiir die Entvvicklung hat fomit der Pegnitzorden im Ganzen feine Bedeutung gehabt. Harsdorffer's Beflrebungen find am beflen in Bezug auf die Eiferfucht und Nebenbuhlerfchaft gegen Opitz zu erfaffen. Er ifl einer von den Nachahmern, die fich grofser diinken, weil fie das hauptfachhche Verdienfl des Vorgangers ignoriren und im Einzelnen andere Gefichtspunkte aufflellen. Opitz fei fleif, dida6lifch, nicht erfinderifch genug; dies hatte der Patricier von Niirnberg in der Fremde und daheim von Genofi^'en des Opitz horen konnen. Er beflrebte fich gefchmeidig, weich, weniger fchuhiieifi-erHch und er- finderifcher zu fein. Opitz' Hauptverdienfi. fei das Metrum ; inventio et elocutio, Erfindung und Phrafe fetzt Harsdorffer dagegen, indem er feine Anficht von Opitz' Verdienfl auch der Art auszudriicken liebt, dafs er bei Gelegenheit Dieterich von dem Werder vor Opitz als den Hauptforderer der neuen Poefie nennt. Doch auch metrifch fucht er Opitz, den neueren ^Fortfchritten gemafs, zu libertreffen. Rhythmifch wohlgefalUge Form, klingende und reichere Verfe werden erilrebt und geHngen, wenn auch nur zu haufig auf Koflen des Ver- flandes. Indem Harsdorffer und feine Freunde die Einficht haben, dafs die Poefie der Leidenfchaft often flehen miiffe, gehen fie nach alien Seiten ins Uebermaafs, wie nach dem Inhalt, der Schwulfl und Unfinn liebt, fo nach der Form, in welcher der Klingklang und die Onomatopoefie, die Dichtung fiirs Auge, wie Gedichte in Reichsapfelform, als Doppelgipfel des Parnaffus u. dgl. fehr beliebt werden und meiflens ftir ein befonderes Erkenntnifszeichen der Ntirn- berger gelten. Nutzen und Belufligung ifl auch ihr Abfehen. Einen Hauptfchlag fiir feine Schule und Zwecke fuchte Harsdorffer aus- zufuhren durch die Poetik, welche er 1647 unter demTitel: « Poetifcher Trichter, die teutfche Dicht- und Reimkunfl in fechs Stunden ein- 2 22 Harsdorffer : Poetifcher Trichter. zugiefsen,» herausgab. Es ifl dies der bekannte Niirnberger Trichter, der iibrigens zu einem dreibandigen Werke im Lauf mehrerer Jahre anfchwoll. Scaliger und Ronfard bilden audi hier eine Grundlage. Das Ganze ifl aber, ungleich Opitz, in den italienifirten Barock- gefchmack gezogen, fonfl jedoch trotz der dadurch entflehenden Ver- fchiedenheiten nur eine breite, unconcife, fchwiilftige Umarbeitung der Opitzifchen Poeterei nach den umgemodelten neuen, das Didac- tifche weniger hervorhebenden Richtungen, in welcher die ver- fchiedenen Reimgebaude, fmnreichen Erfindungen, Gleichniffe, Bei- worter, Verkehrung der Worter u. f. w. ihre grofse Rolle fpielen. Opitz ifl. ein claffifcher Aefthetiker gegen diefen Verfaffer des Trichters, der die 6. Stunde (des i. Theils) damit zubringt, das Nachmachen der Thierfl.immen, eines SchulTes, Falls, Schlags u. f. w. in der Poefie zu befprechen, der den «Poeten etlichermafsen wie den Lowen aus den Klauen aus fchonen Beivvortern» erkennt, und zwar hie und da aus dem Gehege der Verflandigkeit und des Nutzens in das Gebiet der Phantafie hiniiberftobert , aber doch felbfl. viel zu eng gebunden und zu verfchnorkelt in feinen Gedanken ifl, um daraus irgend wie rechten Vortheil zu ziehen.*) Der Trichter Harsdorffer's war in feiner Wirkung niemals mit Opitz kleiner Poetik zu vergleichen und bedarf deshalb auch keiner naheren Befprechung. Von allem Falfchen, Gefchrobenen, von den Pedantereien und Spielereien der Poefie Harsdorffer's abgefehen, bewegt fich diefelbe mit Vorliebe im Schafergefchmack und Feld und Wald und Bluraen, Weide und Heerden mit dem obligaten Vogelgefang werden darin befungen, Alles natiirlich im hofifchen Schaferflil. Die Landfchafts- malerei der neuen Zeit ifl. deutlich dabei zu verfpuren. Hirtenlieder oder Winzerlieder follen ja auch die alteflen Dichtungen gewefen fein, und verfchont mufs Alles werden. «Der Poet handelt von alien und jeden Sachen, die ihm vorkommen und gleichwie der Maler Alles, was er fiehet, bildet, ja auch was er nie gefehen als in feinen *) Was ein folcher princeps der damaligen Poefie unter Humor verfland, mag ein Beifpiel aus dem 3. Theil des Trichters zeigen. Er fpricht von der Um- fchreibung und der Rede Zierlichkeit und fagt : Scherzhaft kann ich wol fagen : „Es ifl der Sonnen Magd vom Bett erft aufgeflanden, Sie hat das Kammerpot in ihren roten Handen Und fchiittet es gar aus" — Aurora mag fich bedanken. / Havsddiffer. Klaj. 333 fmnreichen Gedanken. Deswegen wird er auch ein Poet oder Dichter genennet, dafs er namlich aus dem, was nichts id, etwas machet, oder das, was bereit ifl, wie es fein konnte kunflzierlich geflaltet.» — Wie Harsdorfter fich in diefer Beziehung zu Opitz flellte, fo foUten fpater die Schweizer Bodmer und Breitinger fich gegen Gott- fched's Theorien wenden. Ein heiterer Zug, etwas Hell-Freudiges geht nun wirklich diirch Harsdorfter's beffere Reimereien ; Manches ifl. nicht ohne Anmuth und Glanz und Klang. Es ifl. Nachahmung in Allem, was er thut, im Spiel, aber grade der Pegnitzfchafer Spielerei gegen Ausgang des dreifsigjahrigen Krieges in dem verfchonteren Niirnberg zeigt uns auch die Flucht aus den Griiueln der Wirklichkeit und Barbarei und Rohheit in das Phantafiegefilde einer nur im Extrem fich ergotzenden Ideahtat, wo nur die Liebe graufame Wunden fchlagt, wo Alles friedlich unter Rofen und an fl.illen fchonen Bachen und in finnreich- gefchnorkelten Hiitten gezierter Garten beim Klang der Pansfloten und Schalmeien lebt, und nur verfchmahte Liebe oder der Schmerz um ein Lamm das Leben triibt. Der Verwilderung in Leben und Sprache wird fchonthuerifches Ceremoniell voll falfcher Poefie ent- gegengefetzt, der Rohheit Sufslichkeit, dem Schwert der Hirtenflab, der Zerfahrenheit die gefchnorkelte Form; den Perriicken gleich, die jetzt Mode werden, find die Anapaflen und Dactylen-Gedichte; dort wie hier kommt aufserliche, vielfchnorkelige, aufgedonnerte Form, die man beliebigen Tragern umhangen konnte. Harsdorffer's Gefprachfpiele, Ueberfetzungen, geifl.liche Gefchicht- Reden, Deutfchthiimlichkeiten u. dgl. bediirfen fo wenig wie feine fonfl.igen zahlreichen gelehrten Schriften einer weiteren Hervorhebung. Der intereflantefle Dichter diefes Kreifes ifl. der Mitbegriinder des Ordens, Johann Klaj aus Meifsen (1616 — 1656), der Clajus feines Strephon-Harsdorfters, Schiiler Buchners, des «Weltberuhmten Urhebers der da6lylifchen Lieder;» 1644 verfchlugen ihn die Kriegs- wirbel als flud. theol. nach Niirnberg, wo er als Lehrer lebte, bis er 1650 in Kitzingen Pfarrer wurde, wo er 1656 flarb. Klaj ifl interelTant durch feinen fiir diefe Zeit aufsergewohnlichen Bombaft, der namentlich in feinen dramatifchen Dichtungen die Furie der katholifchen Leidenfchaftsdichtung wiederzugeben und zu iiber- bieten fl.rebt, Dichtungen, welche Klaj nach Beendigung des Gottes- dienfl.es in der Kirche vorzutragen pflegte. 234 ^^^j- Der fachfifche Poet ergab fich in Niirnberg dem italienifch, lateinifch-katholifchen Gefchmack. Seltfames kam dabei heraus. Ein Stiick wirklicher Anlage und Phantafie macht feme Bemiihungen um fo barocker. Sind einzelne Ziige nicht iibel und gehen auf Richtiges aus, fo kommt dann wieder Horribel-Ueberfchwangliches, der drolligfle Bombafl und Wortfchvvall, wo Heult nicht der Nordenwind, der rauhe Felderfeind, Das goldgeftrahlte Licht zwei Mai vier Stiinden fcheint — fo viel heifst, wie: es ifl Winter, und das Schiff als das naffe Fichten- pferd paradirt. Manchmal kommt freilich durch die feltfamen Bilder etwas Jean Paul'fches in Klaj's Rede. «Weil nun die Poeterei des Hochflen Tochter, alfo verkiindiget fie jederzeit feine Wunder. Sie ifl der Brennfpiegel, der die Laflfchiffe der wSorgen-Kummerherzen vom Himmel anziindet. Sie ifl der Morfer, in welchem die Macht- worte als das eingezwangte Pulver mit einem durchdringenden Nach- druck herausfeuert » u. f w. Die Raumphantafie der damaligen Italiener — Dichter und Maler — , welche in den Himmeln umherfchwarmte, die audi in den Niederlanden und England kraftigfle Anregung gab, erfafste audi Klaj; hie und da wetterleuchtet feine Phantafie durch die Unendlidikeiten. Gewohnlich aber hebt der Bombafl dann an; die Walderharfenfchlagerin fleugt aus dem Birkenhaar, d. h. die Nachtigall fliegt aus den Birken und das Geraffel und Getobe und Gepauke beginnt, und begniigt fich nicht damit, dafs Herodes Jefus Wiege entdecken will, flehe fie audi bei dem Stern und dafs er auf Saturns Radeni durch die Luft rollen mochte, um die verhafste Fruclit aus dem Mond zu reifsen. Unerquicklicher noch ifl, wenn das Sufsliche in den Piflol-Stil fich mifcht. In der Trauerode auf Chriflus heifst es: Die Magenleere Hungersnoth In diefer Welt mich naget, Der Durfl, der arger als der Tod Im diirren Sand mich plaget — — Es rufet mir das Weltmeer zu Aus glafegriinem Saale — — — Mein Brautigam erhoret dies, Erkennet meine Ltifte, Er fpricht, komm her, komm trink, komm ifs' Und giebt mir feine Briifte, Klaj. 235 Mein Brautigam, mein Himmelszier, Mein Weizenbrod, mein Malvafier, Der mich fpeift, der niich tianket. Der blumerante Unfinn, nach Pegnitzer Begrififen jene Beiworts- Klaue, an der man den Dichter-Lowen erkennt, hat gar kein Maafs und Ziel: Chriflus, der Glanz, das Ebenbild Gottes, feines himmlifchen Vaters liegt im Finftern und Unflat, wafchet unflatsvoUe Fifcherfiifs. Das blanke Heer der Sterne zwitfchert, tugendeifrig-fiifsklingend, drangfelig, der Bruflganze Pelican rohret Blut und fammtner, gold- flittriger Unfinn ahnlicher Art iiberall. Wenn Klaj in langgekiirzten oder Buchnerifchen Verfen Chriflus mitten unter feinen Jiingern dactylifiret und im Gegenfall zeigt, dafs die Deutfchen die Griechen, Italiener und Franzofen libertrafen, die Romer aber fich vor ihnen ganz verkriechen miifsten, dann kann er fich wohl anfmgen laffen, dafs vor ihm fafl die Mufen errothen miifsten, als er den Pindus in Deutfchland beflieg. Grofsartiges in jener Raumphantafie mit erfchreck- lichem Unfmn, und wie immer in fliefsenden klingenden Verfen, \vo- bei er nur zuweilen wie in metrifche Manie gerath, zeigen feine Hollen- und Himmelfahrt Jefu Chrifli (1644) und fein Engel- und Drachenflreit , die Niirnberger Ausgabe italienifcher, fpater Miltoni- fcher Phantafien. Erzengel Michael lafst in jenen Salven fchiefsen, dafs man es im Himmel hort; Ascenas, Enkel des Jafet fpielt eine grofse Rolle. Im Engelflreit hat der Oberfeldmarfchall Michael eine Partifane, der Engel Reiterein fich fchwungen auf und ab. Der Himmel, der wird rother, Frau Rothin (leliet auf. Michaels Leibtrompeter Die fitzen fchoii zu Pferd, der Morgenfegen klingt. Der Reiter auf der Wacht, der Bub im Stalle fmgt. Die Trommel brummt kommt, kommt, kommt, fie fmnmt kommt, kommt zum Wachen, Die Diidldiidl Pfeife pfeift, vermenget Furcht mit Lachen u. f. w. Der Erzengel ruft: Auf tretet in's Gewehre, Dafs euch kein Feind gefahre! Englifche Trommeter Reiter zu Pferde, Himmel und Erde, Siegen und Kriegen Kriegen und Siegen! Lerm holla, holla Wache, Die Sache fucht jetzt Rache! 27.(3 Sigmund von Birken. Lucan's Schlacht von Pharfalus wird dann benutzt. Da ill der voile Gegenfatz der Ueberfchwanglichkeit gegen Opitz; ein Suchen nach Inhalt, wie der oft von Klaj citirte Balde forderte, aber welche Ausfuhrung! Echauffirt vom Anblick der damaligen Malereien des wildeften, auch Bliit liebenden Barock-Gefchmackes, angefeuert von den italienifchen und lateinifchen Poeten gleichen Stils, zeigt uns der gefchmacklofe Poet den weiten Abfland der deut- fchen und der hollandifchen Dichtung ahnlicher Richtung. Wie grofs fleht ein Joofl von der Vondel (1587 — 1679) neben Johann Klaj da! Das Drama Lucifer gegen Herodes! Und doch, ware Klaj gleich dem in Koln geborenen Vondel als Kind nach Amflerdam gekommen und dort erwachfen, flatt in Meifsen, er hatte auch andere Werke geliefert, als Wittenberg und Niirnberg im Jahr 1644 fie ihn lehrten. Aehnlich fleht es mit dem dritten grofsen Pegnitzfchafer in der erften Zeit der Gefellfchaft, mit Sigmund Betulius oder Sigmund von Birken, denn fo liberfetzte der Poet feinen latinifirten Namen zuriick, als er 1655 auf Betrieb feines ihn hoch verehrenden Gonners, des Grafen Gottlieb von Windifchgratz vom Kaifer geadelt worden war. Auch Birken war nicht ohne Talent, aber feine Zeit und feine Mufler verdarben ihn, und die Abgefchmacktheit entfpricht der mifsleiteten Begabung. Er war in Eger geboren, kam aber als dreijahriger Knabe fchon nach Niirnberg, ward hier erzogen, fludirte dann in Jena, ward durch Harsdorfifer in den Blumenorden aufgenommen und fodann an Schottel empfohlen, durch den und unter dem er Erzieher der Wol- fenbiittler Prinzen wurde, von denen ihm der fpatere Romanfchreiber Anton Ulrich getreuHch gewogen blieb. Nachdem er diefe Stelle ein Jahr hindurch bekleidet, privatifirte er im Norden umher; die Schottel'fche und zumal Rifl'fche, dann auch die Tfcherning'fche Schule und Weife lernte er perfonlich in ihren Hauptern kennen. Die Rifl'fche Mache war ihrer Zeit einzig. Birken's Pegnitz-Poefie war um mehrere Tone hoher geflimmt als die des Nordens, von der er leider nach Inhalt und Phantafie nichts lernen konnte. Nach Niirnberg zuriickgekehrt und fpater zum Haupt - des Ordens erkoren, den er als der beriihmte Floridan wieder hob, wandte er feine befte Kraft auf die pompofe, goldflitterige Feft- und Gelegenheitsdichtung, fonfl, gemeiniglich in die gefchraubten Phantafien fchaferlicher Art. Er hatte das Zeug zu Befferem in fich, aber war gleich einem bil- denden Kiinfller, der feine Zeit und Phantafie vertrodelt in Decora- Sigmund von Bhken. 237 tionswerken von Stangen- mid Brettergeriiflen , die mit Kranzen und Laub und Pappe imd Leinewand aufgeflutzt werden. Von feinen vielen Werken ifl keins der Erinnerung befonders werth oder hat befonders gewirkt, wenn im Einzelnen in Vers und Profa auch Man- ches der Art ifl, dafs man begreift, warum der Dichter vor fo vielen feiner fleiferen oder plumperen und maafsloferen Zeitgenoffen aus- gezeichnet ward und namentlich unter dem oflerreichifchen Adel, der nach Italien zu blicken gewohnt war, mehrere Conner fand. Aeufse- rer Glanz, etwas Wohliges, Freudiges, auch Edles id zwifchen feine Dichtungen verflreut; manchmal findet man einen Zug und eine Stimmung in den Schafergedichten, die an Claude Lorrain erinnert. Nach feinem bekannten Strudel- und Wudelgedichte darf man ihn nicht allein beurtheilen. Im Canzen ifl er fo critiklos-breit, fo vers- machend, wie feine Genoffen, aber doch wieder hat er einzelne Ce- dichte, die nach Weichheit und einer gewifien Vornehmheit an Dich- tungen im Stil der bezauberten Rofe erinnern. Die Pegnitzer reihten fich hinhchtlich ihrer metrifchen Beflre- bungen an Buchner, fie reichten in Harsdorffer und feinem patricifchen Stolz den Herren vom Palmenorden die Hand, in bombaflifchem Patriotismus und Wiffenfchaftsgefchaftigkeit dem bei Harsdorffer hoch- geehrten Schottel. In Birken fahen wir ihre Anregungen fich nach der Donau hin erflrecken. Dort und nach langer Zeit noch im Nor- den werden wir unter neuen Formen diefelben wiedertinden. 6. Paul Fleming. Die freieren Lyriker. Weckherlin, Zincgref, Buchner, Opitz, Werder, der Palmenorden, die Niirnberger zeigten poetifche Beflrebungen der mannigfachflen Art. Aber frifch quellende, aus dem Leben heraus flromende jugend- liche Lyrik hatte darin nur eine untergeordnete RoUe gefpielt, wenn gleich fie nicht ganz fehlte, wie der Heidelberger Freundeskreis in oft fo anmuthiger Weife und Lund, Hudemann u. A. darthun. Auch diefe Lyrik follte ihren Vertreter, und follte Kreife finden, in denen man fie mit Vorliebe pflegte. Hartenflein an der Mulde war der Geburtsort des Poeten, den feine Freunde fchon neben Opitz, manche Spatere iiber Opitz flellten und der erfl jiingil von einem begeiflerten Verehrer zu den grofsten Dichtem aller Zeiten gerechnet worden ifl.*) Paul Fleming**) kam, friih als begabt erkannt, als Knabe auf die Thomasfchule zu Leipzig. *) J. M. Lappenberg: P. Fleming's deutfche Gedichte. Bibliothek des lit- terarifchen Vereins in Stuttgart 1865. Neue Ausgabe der Werke mit Anmerkungen, biographifchen Notizen u. f. w. **) Paul Fleming (Flammig, Flemming. Es geht mit dem Namen, wie mit dem mancher anderer Zeitgenoffen. Der Dichter felbft fchrieb fich nicht zu alien Zeiten gleich. In einem und demfelben Druck fleht Flemming imd Fleming. Aehnlich mit Zincgref, noch arger bei Zefen u. A.) ift geboren 1609 zu Harten- ftein im Voigtlande. Sein Vater war Lehrer, fpater Pfarrer in der Schonburgfchen Herrfchaft. Er ftudirte in Leipzig Medicin; 1633 erhielt er durch Olearius' Ver- mittlung eine Anflellung als Hofjunker und Truchfefs bei der Gefandtfchaft des Herzogs von Holflein-Gottorp nach Rufsland und Perfien) Zwecks Hand els verbin- dungen iiber Rufsland mit dem Orient. 1634 war Fleming in Moskau, 1635 in Reval. 1636 wurde die grofse Reife Wolga-ab warts iiber das kaspifche Meer nach Ispahan angetreten. 1639 kehrte der Dichter gliicklich nach Deutfchland zuriick. Er wollte fich in Hamburg als Arzt niederlaffen, beftand dazu in Leyden fein txamen als Doctor medicinae, (larb aber bald nach feiner Riickkehr von Holland in Hamburg, April 1640. I'aul Fleming. 230 Wie Opitz am Boberflufs, fo konnte Fleming in dem lieblichen Muldethal feiner Heimath die erflen Eindriicke des Schonen empfan- gen.*) Mancherlei Anregungen mogen ihm auch durch das Verhalt- nifs gekommen fein, in welchem feine Familie zu der Landesherr- fchaft, dem graflich Schonburgfchen Haufe fland.**) An der Thomas- fchule war als Cantor angeflellt der Mufiker mid Dichter Joh. Herm. Schein (1586 — 1630), den Fleming hoch verehrte. Die «fufse Lufl der Mufik, der Kummertroflerin » ifl immer von ihm gepriefen. Auch Paul hat feine Macht des Gefanges, wenn auch im Stil der Zeit, ge- fungen in dem Gedicht an Johann Klipflein, wo er den Einflufs der Mufik fchildert und Schiitzens Lieder, Nauwach und Klipflein preiil. Er widmete fich als Student der Medicin. «Erfahrung und Vernunft» hat er fpater, Grahmann lobend, als die «Beine der Arznei» genannt. Frlihzeitig erwachte in ihm das Gefiihl der Kraft und die Lufl, fich auszuzeichnen. Die bedeutendfle Anregung bekam er feiner Ausfage nach von einem geliebten, friih geflorbenen fchle- fifchen Freunde Georg Gloger, der ihm nicht nur in der Medicin von Nutzen war, fondern ihn auch der neuen Dichtung zufUhrte, 1630 auch mit Opitz perfonlich bekannt machte, den Fleming fo hoch wie Einer verehrte. Nun empfand er den « milden Raufch derer, die Apollo aus feiner Kaflalis trinken lafst». Das Buch Zincgrefs mit j den Dichtungen der Heidelberger Freunde ward ftir ihn von hochflem Einflufs, wie eine Reihe von Bearbeitungen und Nachbildungen dort vorkommender Gedichte zeigen. (Lappenberg.) Fleming verband die *) Auf der Reife fang er die Elegie an fein Vaterland (Nov. 1636): Ach! dafs ich mich einmal doch wieder folll erfrifchen An deiner reichen Lufl, du edler Muldenflufs, Da du fo fanfte gehft in bergichten Gebiifchen, Da du mein Hartenflein mir bot'ft den erften Kufs! Wie jung, wie klein ich auch ward jener Zeit genommen Aus deinem fiifsen Schofs, fo fjillt mir's doch noch ein, Wie ich oft luftig hab in deiner Flut gefchwommen. Mir traumte ofte noch, als follt ich uni dich fein. **) vSiehe Lappenberg a. a. O. Die verwittwete Grafin v. Schonburg-Wal- denburg und Hans Wolf, der alte Herr von Schonburg (Penig?) nebfl dem Amt- fchoffer Virgilius Jacob waren Paul's Taufzeugen. Seine Mutter hatte bei der Grafin als Kammerjungfer gedient; fie flarb friih, und Paul erhielt eine fehr lieb- reiche Stiefmutter, die wahrend feiner Reife flarb. Sein Vater heirathete dann abermals eine Kammerjungfer der Herrfchaft. Dies als culturhistorifche Gloffe. 240 Paul Fleming. Beflrebungen des fchlefifchen Maro mit der Weife des Leipziger Kreifes, welche, wie feine Freunde zeigen, im fludentifchen Gefell- fchaftslied ihren regften Ausdruck hatte und einerfeits ihre Anlehnung an die volksthiimliche Poefie, anderfeits an das italienifche , muf),- califche Lied nahm. 1632 ward Fleming fchon zum poeta laureatus gekront; friih erregte er auch Buchner's Aufmerkfamkeit. Die Kriegs- noth, die Sehnfucht, in ruhigere Lander zu kommen und Lebens- drang und Reifelufl'; beflimmten ihn Leipzig zu verlaffen und eine Stelle bei der Gefandtfchaft des Herzogs von Holflein - Gottorp an- zunehmen, deren Reife fein Freund und Gonner Olearius fo trefflich befchrieben hat. Die weitere Lebenszeit des Dichters flillte diefe Reife nach Perfien aus. Zu fchnell nach der Riickkehr raffte ihn Krankheit dahin. Paul Fleming war ein Dichter von Gottes Gnaden, dem ein Gott zu fagen gab, was er litt und was ihn erfreute, ein Geifl frifch, klar, fromm, Wohlgemuth und tuchtig in jeder Beziehung, in dem Characterflarke und Frommigkeit fich harmonifch einten. Die Ge- danken flromten ihm leicht zu; er hatte tiefes Gemiith, Phantafie und Unmittelbarkeit des Ausdrucks. Sein Character und feine Lebens- philofophie ward erprobt unter fchweren Fahrlichkeiten und zeigte fich flichhaltig bis zum Tod. Gelehrfamkeit zierte ihn; ein heiterer flets kraftig und felbflbewufst auffchnellender Sinn machte ihn liebens- wtirdig. Leben und Studium flellten ihn vor den ganzen Ernfl des Lebens, den er ficher befleht und iiberwindet. Die Leipziger Sphare und feine Anllellung bei der perfifchen Gefandtfchaft entzogen ihn dem Einflufs iibermafsigen Gelehrten- *) Als das dritte Mai der Krieg iiber Meifsen d. i. iiber Sachfen gekom- men fei — fo gab ich mich der Flucht, Die Niemand fchelten kann und ich mir oft gefucht. Ganz einem Vogel gleich, der fliigg ift auszufliegen Und gleichwohl noch nicht traut, fchaut, \venn er Luft kann kriegen; Die Eltem, fie find aus, der Habicht ohngefahr Setzt aiif das blofse Neft aus freien Liiften her; Die Noth enveckt den Muth: er reifst fich aus den Nothen, Fliegt hier und da umher und traut fich fichren Statten, Mein Bleiben war nicht mehr. Zudem war dies mein Rath, Was gilt bei uns ein Mann, der nicht gereifet hat? Paul Fleming. 241 wefens ; er ifl auch kein Biicherdichter, kein Tendenz- und kein Brot- fchriftfleller, der feine Idee oder feine Sonderbarkeiten oder den Erwerb im Auge hat. Jung in ein bewegtes Leben gefiihrt, erhielt ef fiir Vieles weiteren Blick und legte nie viel Gewicht auf Neben- fachliches nach Inhalt und Form. Anderfeits vvurde ihm aber durch die Reife und den Aufenthalt in der Fremde vielfach die kiinfllerifche Ruhe entzogen, und er kam nicht hinaus iiber das Gelegenheitsgedicht, welches er zwar meillens im guten Sinne als echter Lyriker ausfuhrte. Die bunte Fiille von Anfchauungen der Reife richtig zu verarbeiten, war er leider durch die falfche Theorie der befchreibenden Dichtung nicht im Stande. In diefer Beziehung bietet er lange nicht das envartete Intereffe. Auch er behilft fich oft in der gewohnhchen Weife der Barockzeit und um Rubar in Gilan in den Casbinifchen Gebirgen zu preifen, miiffen z. B. das Haus der Nais, Chloris grtine Brufl, Thetis Schoofs, Dryaden, Silen mit feinen Leuten, Ofyris und Oreaden und Pomona herbei, um die gefeierte Landfchaft zu beleben und das Sonett glan- zend zu fiillen. Er war der befle Lyriker diefer neuen Zeit, aber er erweiterte die Grenzen der Poefie nicht, nicht einmal der Lyrik. Innerhalb feines Kreifes aber, feiner Lieder, Epigramme, Sonette und vielfaltigen Gelegenheitsgedichte, wie viel leiflete er und wie viel verfprach er! Wen erinnert er nicht zuweilen an einen jungen Dichter der fpateren Bliithezeit? So z. B. in dem Hochzeitsgedicht auf Herrn Schroter mit dem Refrain: Pfliicken Blumen, winden Kranze, fiihren liebe Lobetanze: Venus herzet ihren Buhlen, Mars vertaufcht den rothen Streit, Zynthius die blaffen Schulen Mit der fiifsen Miidigkeit. Pfliicken Blumen u. f. w. Ceres fpringt auf alien Rainen Mit der frohen Bauemwelt Um die Tennen, um die Scheunen, Um das abgethane Feld. Pfliicket, windet um die Wette! AUes foil von Farben fein. Fiihret auf ein Blumenbette, Legt die zwei Verliebten drein. Pfliicket Blumen — Lemckt, Gefchichte der deutfchen Dichtung. i6 242 P^"l Fleming. Legt fie drein! Pfliickt, windet immer, Streuet auf das liebe Paar, Tanzet um ihr buntes Zimmer Und umfchrankt fie ganz und gar. • Lobetanze, fo die Werke Der Weltmehrerin vermehm Und des grofsen Knaben Starke, Den die Cyprusbiirger ehrn. Pfliicket, windet, ftreuet, fpringet, Tanzet, jauchzet, was ihr konnt, Aller Himmel hat's gedinget, Alle Welt ifl fo gefinnt. Bis der Gott der giildnen Gluthen, Der die braunen Mohren brennt. In die hesperifchen Gluthen Freigelaffnen Ziigel's rennt. Bis die filberne Diane Zu dem lichten Wagen kehrt Und am blanken Himmelsplane Ihr geftirntes Haupt emport. Und dann wieder, wenn man die Anfange eines Liedes nimmt (im V. Buch der Oden; von jeder Strophe ifl nur die erfle Halfte genommen, die zweite fetzt im Versmaafs um): An die Stolze. Und gleichwohl kann ich anders nicht, Ich mufs ihr giinflig fein, Obgleich der Augen flolzes Licht Mir mifsgonnt feinen Schein. Wie manchen Tag, wie manche Nacht, Wie manche liebe Zeit Hab ich mit Klagen durchgebracht Und du verlachfl mein Leid. Bift du denn barter Stein und Stahl, Die man nicht zwingen kann? Feld, Wiefen, Walder, Berg und Thai Sehn meine Wehmuth an. Ach denke, denke, was du thud, Ich kann nicht anders fein, Ich hab an meinem Leben Lufb, Du haffefl meine Pein. Paul Fleming. Olearius. 24'? Eine Wirkung gleich Opitz konnte Fleming nicht haben, ob er ihn audi lyrifch iiberragte. Opitz Bedeutung lag anderswo, wie ge- zeigt worden. Durch Fleming's Abwefenheit vom Vaterlande war iiberdies die ganze Stellung eine andere. Die Wirkung feiner Ge- dichte blieb vereinzelter; anfangs in Leipzig, fpater in Reval und Hamburg. Erll bei langerem Leben hatte Fleming, in der Heimath anfaffig geworden, zumal in dem volksreichen und vom dreifsig- jiihrigen Kriege verfchonten Hamburg, der Kern einer bedeutenderen Entwicklung werden konnen. An Frifche, Nobleffe, Schwung Hand er hoch iiber Rifl und Zefen, welche dort walteten. Er war wie ein Hochflieger gegen Hiihnervogel. Ein friiher Tod raiifte ihn im 31. Jahre hinweg, ehe er Gelegenheit und Ruhe gefunden hatte, feine ganze Kraft zu entfalten. Sein Ruhm ward hauptfachlich an der Elbe gepflegt. In den dahin gehorigen Landen fehlte es nie an Bewunderern deffelben. Morhof war es, der ihn zuerfl als Dichter iiber Opitz flellte. Lebendig erhalten hat fich im Kirchengefang fein Reifelied: In alien meinen Thaten lafs ich den Hochflen rathen. Wie er fich bei langerem Leben entwickelt haben wiirde, wie weit er iiber «Gedachtnifs, Wiffenfchaft, Beredfamkeit, Verfland», die er als Hochfles preifl, und iiber das Gelegenheitsgedicht hinaus zu grofseren und vollen poetifchen Geflaltungen vorgedrungen ware, wer kann es fagen? Die Abficht hatte er. Vor feiner Reife fchon fafste er den Plan, eine Margenis im Wetteifer mit Barclai's Argenis zu fchreiben und darin den dreifsigjahrigen Krieg zu fchildem. Aber andere Mufler als die ihm vorfchwebenden hiitten ihm aufgehen miiffen, um in grofseren epifchen und dramatifchen Dichtarten fo viel zu leiflen, dafs er feine Zeit mitgeriffen hatte. Fleming's Freund und Gonner, der beriihmte Hilloriker der Reife nach Perfien Adam Olearius (1599 — 1671) iiberfetzte Dichtungen Saadi's und Lockmann's in fliefsender Form, aber freilich ohne alien eigenthiimlichen Schmelz des Siidens. Eine befondere Wirkung iibten diefe Orientalia nicht; es wimmelte von deutfchen Reflexionsdichtern, die fich alle Mann's genug fiihlten, keinen Lockmann zu gebrauchen. Auf Fleming hattenZincgref's und Opitz' Beflrebungen bedeutenden Einflufs gewonnen. Freier von den neuen Einwirkungen hielten fich feine Leipziger Freunde Gottfried Finckelthaus und Brehme, die uns den eigentlichen Gefchmack des Leipziger Kreifes repriifentiren. 16* 244 Finckelthaus. Brehme. Homburg. Finckelthaus'Gedichte (wenigftens feine deutfchen Gefange) find im Ganzen ohne alien Werth. Hie und da tritt ein muntres, luflig- derbes, (ludentenmafsiges Gedicht, wie: Ich bin frei von euch, untreue Schone oder das Martinganslied, Sauflied, u. f. w. intereffanter hervor. Der Schafer Blax an die Alamode Bruder u. drgl. bildete feine Force. Chrifl. Brehme id in feinen friiheren Gedichten von 1637 I'loch merkwiirdig ungefiige in der Form, auch im Inhalt nicht ausgebacken. Im frifchen Lied ifl auch er am beflen; ein fmnlich derber Zug geht hindurch und giebt doch Leben und Frifche. In anderen Gedichten ifl er wieder ganz flach und unbedeutend. Sein: Der andere Tag lufliger Gefellfchaft — mag zu den intereffanteflen Sittenlkizzen jener Zeit gehoren; ein merkwiirdig toUes Wefen ill darin; vieles vielleicht mit Abficht dunkel gehalten, an Weckherlin's Bachanal erinnernd, wie die Freunde mit Lebensmitteln ausgeriiftet auf ein Dorf ziehen, dort zu toUen. Die frifchen Lieder volksthlimlich-ftudentilcher Art drangen in's Volk und wurden nicht nur auf den Dorffchenken-Bierbanken und in den Wachtfluben gefungen, fondern auch fall auf alien Kloppel- kifsen gefunden, wie uns Schoch und fpeziell von Finckelthaus' Liedern berichtet. Mehrere Dichter, die zumeifl im Lied fich auszeichneten, wenn fie auch andere Arten der Poefie daneben pflegten, feien hier gleich an die Leipziger gereiht, Poeten, die Studenten- und Gefellfchafts- lied zum Ausgangspunkte nehmen, frifch, leicht, auch leichtfertig, die den Scherz, auch das Schl tip frige und Derbe lieben, fich oft gehen laffen, dafiir in ihren befferen Leiftungen lebensfrifch, zuweilen auch culturhiflorifch intereffant find. Das eigentlich Volksthiimliche haben auch fie fall ganz abgeftreift; es find Studirte, die Opitz, Buchner, die Italiener, Niederlander vor x\ugen gehabt haben; zum Theil freilich Manner, welche dann felbfl Koller und Degen Irugen und von denen Einige uns drailifch das Gefchlecht vergegenwartigen, mit welchem der grofse Churfiirll aufwuchs und feine Siege erkampfte. Der Thliringer Ernll Chrifloph Homburg 1605 — i68i trat 1638 mit einer Sammlung Lieder auf, welche durch Gefugigkeit des Ausdrucks, metrifche Gewandtheit und Reimfertigkeit entziickten. Im lufligen Liede id er und blieb er am anfprechendflen, obgleich die in fpateren Jahren gefungenen geilllichen Lieder ihm feiner Zeit den meiflen Ruhm erwarben. Hollander und Franzofen haben auf ihn Homburg. Wafferhuhn. 245 Einflufs. Gleich das Gedicht, z. B., mit wekhem er einfetzt (Aiifl. V. 1642), ill meifl aus dem Niederlandifchen. Sein «Pindarifiren», wie er fein Dichten nach Opitz zu nennen beliebt, fiihrt ihn dazu, fich zu verfuchen in der Ode da6lylica et Bacchica: Obgleich der Winter die Herrfchaft bekommen Und durch den Norden (o Blumen-Tyrann !) Alle behagliche Luft uns benommen, Keiner mufs jemals fich kehren daran! Was diefe dir rauben, Soil gelten die Trauben Mufs biifsen der W^ein. Mein Bruder lafs finken, In Floribus trinken, Bacchus mufs.unfer Bezahler doch fein. Ode compofita ex dadlylis, jambis et trochaeis folgt: genug damals um dem Dichter hohen Ruhm zu erwecken. Homburg ifl im Durchfchnitt reimfertig, kritiklos, breit, fchaferlich; bei grofser Gelaufigkeit aufserer Behandlung fehlt es nicht an ebenfo grofsem Ungefchmack. Auch an Derbheiten ifl kein Mangel, wenn er z. B. «die Damen ohne Freier» befmgt. In feinen fchaferlichen Liedern ifl etwas «Gebildetes», wie man es jetzt verlangte und als Nobleffe pries, etwas Zartliches und Melodiofes, was ihn gegen die Grobheit Anderer beliebt machte; die keckeren Lieder find jedoch die beflen; fie find zum Theil den Fremden abgefehen. Die Gartenfreude und Landlufl der Hollander wirkt auch auf Homburg heruber (Cats namentlich ward jetzt in Deutfchland beliebt. Homburg iiberfetzte aus ihm). Von feinen erziihlenden Gedichten kann man kurz fagen, dafs fie wie «gefchmiert» find. Seine Sonette und Epigramme er- reichen in ihrer Art lange nicht die Lieder, fondern find flach und langweilig. Mehr im Studentifch-Soldatifchen bleibt Rudolph Wafferhuhn in feinem Kaufif-Fenfler (Hamburg 1644), frifch und fiott, aber auch derb und bis zum Gemeinen draflifch. Wenn er im Titel feiner Samm- lung fagt: neue poetifche Inventiones, welche nicht die Jugend mit un- niitzen Buhlliedem bezaubern, aus meinem juriflifchen, philofophifchen und hiflorifchen Kram zur Probe aufgethan — fo ifl das ein falfches Aushangefchild. Seine Kloflerjungfrau, das Duett fuit et mihi gratior aetas, feine Soldatenlieder, fein Schmauslied gehen wild genug in's Zeug. Im Ganzen erfreut bei ihm der Mangel alles Gelehrt-Lang- 246 Greflinger. weiligen und der metrifchen Phrafen. Deshalb haben feine Gedichte auch durchgangig nicht bios Inhalt fondern auch innere Entwicklung und ficheren Abfchlufs. Georg Greflinger aus Regensburg (7 1677), Soldat, Literal und fpater Notar in Hamburg, i(l ebenfovvenig angekrankelt von der Schulbank-Gelehrfamkeit. Er ifl. in feinen Liedern fehr frifch , einig in der Stimmung, mit Schwieger und Schirmer in mancher Beziehung eine wahre Erquickung unter feinen vielen lyrifchen Zeitgenoffen. Einzelnes ift bei ihm vortrefflich. Die Befchreibung feiner felbfl lautet (Strophe 5 und 6): Was ich hab, ifl junges Leben Frifches Herze, freien Muth, Sinne, die nach Ehre flreben Und ein ehrlich reines Blut, Was ich kann, kann Brod erwerben, Lafst mich leichtlich nicht verderben. Wie ich bin, habt ihr erfahren, Weiber Schonheit hab ich nicht, Frifch von Augen, fchwarz von Haaren, Braun in meinem Angeficht Und dabei gefunden Leibes Diirftig eines lieben Weibes. Derbheiten und Unanflandigkeiten kommen vor, wie fich damals fafl von felbfl verfleht. Dem tlotten, frifchen Sanger verzeiht man Man- ches, dem Vertheidiger desWeins, dem Feind von Bier und Branntwein: Weine vom Rheine, Neckar und Maine Starken der Sinnen Geiftig Beginnen. Waffer mit Hopfen Pfeififen beftopfen, Branntwein zu Nofehi Macliet zu Efeln u. f. w. Der Dichter (Seladon) hat iibrigens gleich Zefen und Schwieger langere Zeit als Literat gelebt und als folcher Mancherlei tiberfetzt; fo aus dem Franzofifchen nicht bios Schaufpiele (Cid. 1650), Reifen u. dgl., fondern auch Biicher iiber Gartenkunft, Kochkunfl u. f. w. aus dem Franzofifchen und Hollandifchen. Schwieger. 247 Auch Jacob Schwieger aus Altona hat fein Beft.es frifch aus bewegtem Leben heraus gedichtet, unci zwar, wo er fich am keckften die Zugel fchiefsen liifst, CatuU, TibuU und Properz vor Augen, die mit Virgil, Horaz und Ovid ihn den Neid verlachen lehrten, wie fein Freund Chirander aus dem Lager in Podlafchen dichtet. Hollander und Franzofen lieferten freilich auch Catullifche und Tibullifche Vorbilder. Schwieger's Gedichte find in ihrem Werth fehr ungleich. In den «FluchtigenFeldrofen» ift er oberflachlich fpielend, des Metrums wegen dichtend, und den vornehm-prangenden italienifchen Stil anftrebend. Ohne Pedanterie, aber auch ohne alle tiefere Auffaffung, ohne Humor und Witz reimt er nun die nachften Jahre weiter, zum Theil nach dem HoUandifchen. Er hebt hervor, dafs «feine Lieder nicht aus geilem Herzen gemacht feien. Wer fich dies einbilde, thue ihm Unrecht. Denn ich bezeuge es vor Jedermann, dafs kein einziges Lied darunter zu finden, welches ich fiir mich einer einzigen Jungfrau willen zu gefallen verfertiget.» In feiner «Verlachten Venus » (1659) welche gegen fchlimme Wirkungen der Venus gerichtet ift, ift er fo fade wie un- anftandig (das Titelbild des halb profaifchen, halb poetifchen Mach- werks ift durch feine Schamlofigkeit auffallig); in der wVerftihreten Schaferin Cynthien» (1660) ift eine Verftihrungsgefchichte im auf- geputzten Schaferftil ohne rechten Abfchlufs gegeben. Nun aber feine « Geharnifchte Venus (1660) oder Liebeslieder im Kriege gedichtet, » mit dem Motto: Wer Ernft und Eifer liebt und nie bei Luft gewefen, hat meine Venus noch zu fmgen, noch zu lefen — , geharnifcht genannt, weil fie mitten unter den Riiftungen im oftenen Feldlager feiner und anderer guten Freunde verliebte Gedanken, kurzweilige Begebniffe und Erfindungen erzahle. «Sagft du dann, ich fei in etlichen Gedichten ein wenig zu natiirlich ge- wefen: fo gebe ich dir zur Antwort, dafs ich felbige den Catonifchen Gemiithern ausdriicklich zu lefen verbiete, auch nur zu der Zeit, wenn die Floridanifchen Fefte angeftellt werden, gefungen haben will. » Und nun kommt eine Reihe verhaltnifsmafsig trefflicher Gedichte, kraftig einfach, von freier, fcherzhafter, keeker Stimmung, oft frech- jugendlich und leichtfertig, dafs bis Hagedorn hin nichts dem Aehn- liches zu finden ift. (Schwieger diente 1657 im polnifchen Feldzug.) Diefer Filidor der Dorfferer, wie er fich hier nennt, ift ein andrer Mann, als ihn die vorher citirten Gedichte zeigen, wie er realiftifch in's Leben greift und « frifch bei der Liebe» ift. Der 248 Schwieger. falfche Arcadifche Schafer ifl aufgegeben. Opitz, Fleming und Rift hatten fich beim Dichten, wie er gern geftande, mehr gezwungen: Mir ifl das Urtheil allzu fchwach, Sobald der Eifer wird in meiner Feder wach, Dann weifs ich keinen Halt. Katull hat fo gefungen — — Mehrere «franz6fifche Ballete», Tanzlieder mit fehr wechfelnden Verfen (im fechften Zehn) weifen uns gleich auf die Vorbilder. Das fiebente Zehn feiner Gedichte ift gar dem « Unbehobelten und nacken- den Garten-GdtzenPriapus» gewidmet (unter Datum : Hamburg 20. Aug. 1657) und keck und frech, glucklicher Weife nicht verfteckt-fchlupfrig und lliftem, fondem frifch-fmnlich fmgt er feine Sarabande, Blinzel- Maus u. f. w., realiftifch in's Leben greifend, dafs man an ahnliche Gemalde der Hollandifchen Schule erinnert wird. Von der Hof- mannswaldauifchen Liifternheit, franzofifcher vornehm - fchaferlichen Unfittlichkeit ift nichts zu finden. In den Epigrammen wagt Schwieger fich freiUch an das Ueberfrechfte, was Martial gedichtet, und — es gelingt ihm. Flemings Mufe, die Niederlander und Franzofen haben augen- fcheinlich auf Schwieger Einflufs gehabt. Erft mit dem realiftifchen Tone gewinnt er Kraft. So lange er den italienifchen Stil einzuhalten fuchte, reicht er z. B. in keiner Weife an feinen Zeitgenoffen David Schirmer (aus dem er feine Lobeserhebung der Forderer der Dichtkunft und gegen die Dichter Freigebigen abfchrieb?) Schwieger ift mit Wafferhuhn, Greflinger, Schirmer und Genoffen fchon der Vorlaufer der fpateren Anacreonsdichter, Widerfpiel der kopf- hangerifchen Gefangbuch- und der Gelehrtendichtung. Vater Gleim hat mit Recht feine Freude an ihm gehabt und hat ihn herausgeben wollen. Es ift in dem fcherzenden Soldaten, der wirklich beim ccfchreckenden Karthaunenknall, der Biichfen- und Musketen-Paffen» nur ttVenus fiifses Liebeshandwerk» dichten wollte und die «an- genehmen Gefpenfter» ficherlich von Angeficht kannte, mehr Lebens- kraft und dann auch poetifche Kraft, als in fq vielen fpateren Ana- creontikem von der Gelehrtenftube und jener biederen Moral, welche ein Kiifschen in Ehren und einen faftigen Witz bei fonft biirgerlich- fittlich ftrengem Lebenswandel verzeihen liefs. Wie Schade, dafs wir nicht mehr Lyriker gehabt, die « unter dem Sabel der Barbaren nie in Miihe, Angft, Sorg und Furcht geklagt, wenn der Stern der Schirmer. 249 Frohlichkeiten, ihre Geliebte|, zur Seite war.» Es ifl in Schwieger ein Hauch von dem Geifl. der uns aus den hoUandifchen Meiflern, etwa aus den Bildern eines Wouwerman fo frifch anweht und der unter den Reitern fleckte, wie fie der alte Derflinger kommandirte: frifch, keck, fchneidig. Das fleht wirklich im Leben, lebt, liebt, kampft, fchiiltelt den Schulflaub ab und vergifst die metrifche und moralifche Einfchniirung. David Schirmer aus Freiberg (1623 — 82) kam nicht aus dem Studentenleben in den Dragonerfattel fondern ward berufen, dem Dresdener Hofe die Fefldichtungen zu verfertigen als eine Art Hof- dichter, da er Bibliothekar wurde. Er trat von Anfang an mehr in Homburg's Fufstapfen, in der hofifchen Sphare immer mehr in der italienifchen Weife fich ausbildend. Der Unterfchied zwifchen ihm und Anderen befleht dann darin, dafs er nicht des Metrums wegen reimt, fondern oft wirkhchen Aufgaben gerecht zu werden hatte. Schirmer id in feinen Jugendgedichten (fie reichen bis 1643) noch fehr breit, felbfl fleif ; der Zug von Barock-Schonheit tritt zurlick. Gefuchter Reichthum, falfche Wiirde, bombaflifche Zufammenflapelung, Gefchmacklofigkeit und TriviaHtat herrfchen vor, aber Flufs der Sprache und Melodiofes zeigt fich von Anfang an. Infeinem «Poetifchen Rofengebufche» (2. Aufl. 1657) aber findet fich fo manches, im wahr- haft fchonen itaUenifchen Stil Gedichtete, eine Unbefangenheit, Sicher- heit, humoriflifche Schalkheit, auch Frifche und Keckheit, ein wirk- Uches Phantafie -Leben und Weben in diefer gotterhaften Schafer- und fchaferlichen Gotterwelt, dafs er mit echt poetifcher Kunfl und Kraft den Lefer in feine Sphare hineinzieht. Natiirlich neben Lieb- lichem, Heiter-Bewegtem und Feinem viel Barockes, Inhaltlofes, Pompos-Unfmniges und finnlich-geziertes modifches Feuer. Er riihmt fich auch der erfle deutfche Anacreon zu fein, der eine «Anacreon- tifche Ode nach Art der Griechen und Lateiner gefetzet, unter welchen der weit gepriefene Poeten-Vater Taubmaim ein Meifler ifl. Mein Opitz klagt felbfl, es hatte nie kein Anacreon, weder in dem La- teinifchen, noch in dem giildnen Deutfchen ihm wohl abgehen wollen". Bei den Cartellen und Feflgedichten, welche er dann fiir den Dresdener Hof zu fertigen hatte, lauft viel Gewohnliches und Gemachtes unter, immer aber merkt man die Begabung. Er ifl doch nicht fo platt wie Andere. Die Ballete, z. B. Paris und Helena, find oft grofse mimifche Darflellungen (in denen Rofs- und Fufsturniere vorkommen). 2 CO Schirmer. Die Verfe find darin fehr frei behandelt. Sonette hat Schirmer in der Weife Shakefpeare's gereimt. (Neben ihm wirkte fiir dramatifche Aufftihrungen Emft Geller. Von ihm z. B. ein Luflfpiel von Hilde- gardis, der verlaumdeten Gemahlin Karls d. Gr., aufgefuhrt in Dresden im Riefenfaale; es ifl nur Inhaltsangabe diefes Stiickes in Alexandrinern. Das Trauerfpiel von Heraklius giebt eine fehr verwickelte Gefchichte im Verflellungs- und Verwechslungsilil der itahenifchen Komodie. Es ward in folchen Scenirungen das Drama der engUfchen Komo- dianten hofifch verarbeitet. Die Haupt- und Staatsa6lionen geflalteten fich aus diefer Art Vereinigung.) Aus der hofifchen Kunflluft feines Dresden -« Athens » und der Liebesfphare tritt Schirmer nie heraus. Alle Leidenfchaft des Strengen, Zvvingenden fehlt ihm, auch alle Freude am Chara6leriflifchen und Realen, aber er ill ein wirklich kiinfllerifches , fchonmalerifches Talent, ein poetifches Gemlith, weit intereffanter in feinem weichen, oft fUfs- lichen italienifchen Stil, als die Ceremoniendichter der nachften Periode. Er ill lyrifch der echte Ausdruck des Pracht liebenden Johann Georgs 11. Unwillktirlich mahnt er an die arcadifchen Landfchaftsgemalde. Morgen- und Abendrothe, Flliffe, Quellen, Blumen, Kranze, Venus, Charitinnen, Daphnis, Galathea und Damon an den Buchen, Rofen- wangen, feidene Haare, Silberthau etc., all dergleichen in wenige Verfe mit Sternen und Fama, Triften und Weiden und wer weifs noch was AUes, zufammenzudrangen ifl ihm ein Leichtes. Dazwifchen fmgt er wieder fein Alamana Schone Friihlingsblume, Du bid weifs und roth, Hilf aus Noth Dir zu deinem Ruhme, Alamana — oder fein Refrainlied: Ich liebe Weiden, Wald, Laub und Gras Und alle Haiden. Ich fage das, Wo meine Laura fafs. Man kann bei ihm an Arioflo's fchalkhafte Freiheit oder an Shakefpeare's italienifirende Gedichte wenigflens erinnert werden. Selbfl die Alexandriner feiner Sonette kann man zuweilen vergelTen, Schirmer. Schoch. 2 5 I wenn auch andre wieder, wie die liber Marniens Krankheit und Tod zu fehr im friiheren Spiel- Stil bleiben und dadurch unpalTend und unangenehm werden. An andern Stellen ifl er in Wald- und Wild- fchilderungen ein poetifcher Riedinger. Ein hoheres ideales, all- gemein menfchliches Ideal vor Augen — und Schirmer hatte ein be- deutender Dichter werden konnen. Job. Georg Schoch, aus Leipzig, der Dichter der draflifchen Comodie vom Studentenleben (1657), zeigt den hofifchen Poeten zu- gleich mit dem derben Gegenfatz. Er ifl ein gelaufiger italienifiren- der «Fettfch\vatzer», eine jugendliche Phantafie nach der Mode, die in Schafereien lebt, die in fchonen Garten Venus und Amaryllis mit Adonis und Seladon fieht, nicht ohne Talent, aber ohne Concentration und Kritik; auf Verworrenheit und Unfmn kommt es nicht an, wenn es nur klingt: Phobus, der giebet den feurigen Sonnen Blinkender Augen mit Willen gewonnen, Wenn die beroflichten Knospen der Wangen Himmel erleuchtete Strahlen empfangen. Schlagt fich das Silber der Haare zu Felde, Dafs fich befchattet der Wangen Gemalde, Miiffen fich Klippen und Felfen verlieben, Die doch von Jugend auf fleinern geblieben. So geht es in reinem Unfmn weiter. Nun fo heult ihr Elflelinnen, Heult ihr Winde, es thut noth, Heult, fie ifl nunmehr von hinnen Und Curfiije, die id todt. Heult ihr Thranen, Lamnier, Baume, Heult ihr Felfen in die Reime, Heult, es thut fo grofse Noth, Die Curfine, die ifl todt. Hie und da dringt in diefe Reimerei ein realiflifcher Zug. Wie zur Zeit der mittelalterlichen hofifchen Dichtung bricht aber dann durch das Amaryllen- und Fleurien-Gefimpel und den blumigen Unfinn von dem verftohlenen Walder-Kind, welches den aufgefangenen Othen- wind in fein Ach einverwirrt, der frifche, kecke, derbe, lebensluflige Poet und Bruder Studio heraus, ein Nithart-Ton: realiftifche Genre- Bilder vom Bauernleben, wo gedrofchen wird, der Bauer vor der Thiire fleht, die Tochter mit dem Burfchen vom Tanz kommt, 252 Schoch. gegeffen, gefchwiitzt wird: Dichtungen, die mit Gedichten von Schwieger, Zefen u. A. an die Bilder von A. van Oflade, Brouwer u. f. w. gemahnen. Das Dialed-Gedicht id bei Schoch nicht vergeffen (zum Einzug Ihrer Flirfllichen Gnaden von Alten-Burg) ; Studentenlieder der Liebe und «Sauflieder», manche volksmafsig in Ton und Weife, fchlagen frifchen Ton an : Immerhin, nur immerhin, Weil dein Sinn Andern fich ergeben, Meinft du denn , ich konnte nicht Ohn dein Licht Allerfchonfte leben? Diefe Art Lieder werden es zumeifl gewefen fein, die fchnell in's Volk drangen und iiber deren Verbreitung in Wachtfluben und bei alien Bierzapfen Schoch fo wohlgefallig raifonnirt: Es mdcht noch fein, wenn fie richtig gefungen wiirden, aber fie wiirden jammerlich geradebrecht , zerfliimpelt und zerhiimpelt mit falfchen Melodeien und Weifen. Er habe neulich ein Gedicht vol! Unfmn zu lefen bekommen und fchliefslich gefunden, dafs es eins feiner eignen verftiimmelten Lieder fei. Fafl nicht ein Wort, gefchweige eine Zeile fei richtig gefchrieben und abgetheilt gewefen. So fei es Finckelthaus und David Schirmer ergangen. Die Vorrede an den Lefer beginnt er mit der Behauptung, dafs unter alien poetifchen Erfindungen Lieder am alleranmuthigflen und lieblichflen feien. wDenn indem die andern Gedichte gleichfam fprach- und leblos an der Erde kleben bleiben, fo wird im Gegentheil den Liedern gleich- fam eine lebendige Regung und bewegliche Seele eingeblafen.» Seine Sonette, in denen wie bei Schirmer Vers 13 und 14 reimen, fmd durchgangig Gefchwatz unbedeutender Art. Intereffant nur, dafs auch fie zuweilen wie an Genrebilder kniipfen « als fie fich mit der Nadel in den Finger flach, als fie ihm Schweflerfchaft zutrank» u. f w. zwolf Sonette (unter 200) find Entwurf und Abtheilung einer Trago- dien, Ihr. Maj. Caroli Stuart gewaltfamen Tod betreffend; in Nr. 3 halt Cromwell eine Rede an den Konig, in 7 Fairfax an das Volk, in 10 und 11 der junge Konig an beide Morder Cromwell und Fairfax, Alles ganz oberflachlich. In Denkfpriichen, Spriichwortem, Rathfeln u. f w. giebt Schoch Schoch. 253 Eigenes und Fremdes nach den verfchiedenflen Quellen, am meiflen nach Lateinifchem und Franzofifchem ; genug des Saftigen darunter. In feiner Studenten-Comoedia (1658) hat er realiflifch, aber auch derb und roh die wlifle, rohe Zeit und die Folgen des wiiflen Lebens gefchildert. Pickelharing fpielt eine HauptroUe. Es id die niedrige Comodie jener Zeit, in welcher wieder die ideale Durchgeifligung fehlt, wenn das reale Element fich Raum verfchafft hat, wodurch diefes traurige Hin- und Herfallen der dramatifchen Beflrebungen vom Rhetorifch-Unfmnigen in das Gemein-WirkUche entfleht. Weife in /einen JugendHedern und Gunther kniipfen an diefe fachfifchen Liederdichter vom Schlage der Brehme, Schirmer und Schoch. Der junge Gothe fand noch ihren Nachklang in Leipzig. Das Band diefer Art Poefie vom fludentifch-italienifirenden Gefellfchafts- hed bis in die neuefle Zeit ward nie zerriffen. 6. Die Konigsberger. Tscherning. Schottel. Zesen. Rist. Trockener, verllandiger und geifllicher gefarbt geflaltete fich die neue Dichtung im aufserflen Nordoflen Deutfchlands, in Konigsberg. Ein Profeffor ward bezeichnender Weife ihr Mittelpunkt. Wie iiberall fanden fich auch hier Freunde der Poefie zufammen. Den hauptfachlichflen Anflofs gab Heinrich Albert (1604 — 1651) aus dem Voigtlande, Dichter und Coniponifl. (Er hatte in Leipzig Jura fludirt, fich dann aber ganz der Mufik gewidmet, war 1626 nach Konigsberg gegangen und 1631 dort Organifl geworden.) Er brachte den fachfifch - italienifchen Liederklang zu den Konigsbergem. Das Kirchenlied, diefe muficalifche Lyrik, die Opitzifche Metrik und Poefie, auch einige Einfltiffe der polnifchen und polnifch-lateinifchen Poefie kamen zur Aufeinanderwirkung.*) Manches heitere frifche Lied ent- fland durch Albert, Simon Dach und Robert Roberthin in diefem Freundeskreife. Albert componirte diefelben. Nur zu friih entfchwand jedoch von dem Sprudelnden, Kecken der jugendlichern Zeiten aller Nachhall. Nach Roberthin's und Albert's Tod ging es mit dem Hauptpoeten, dem angefehenen Simon Dach, wie fpater mit Gellert. Aus dem frifchen Liederdichter, der das Aennchen von Tharau gefungen, welches noch heutigen Tages lebt (es war plattdeutfch gedichtet), ward ein kranklicher, hypochond- rer, frommer Profeffor. Auch die Konigsberger pflegten wie die Leipziger das Lied, ohne in metrifche Spielereien zu verfallen. Sinion Dach aus Memel (1605 — 1659) hielt fich dabei am meiflen an die Art des volks- *) Eine allgemeine RenaifTanceftromung, wie Plavius fie 2. B. (in Danzig ?) zeigt, ift vor Albert und Dach natiirlich fo gut flir Konigsberg wie in Frankfurt a. O., Wittenberg, Leipzig, Heidelberg u. f. w. anzunehmen. Albert. Roberthin. Dach. 255 mafsigeren, einfachen, Schwulfl vermeidenden Kirchenliedes. Schon feine Jugendgedichte (1633 — 49) liaben etwas Mild-Wohlgefetztes, Klares, auch Volksliedmafsiges , find aber durchgiingig gewohnlich und unbedeutend. Hochzeitsgedichte werden auch von ihm, der Sitte im Nordoflen Deutfchlands gemiifs, fehr draflifch behandelt und die fchamlofeflen Vergleiche ganz harmlos als Witz verwandt. Manches Innige, Hiibfche kommt vor, hie und da ein intereffanter Zug — z. B. wie er fpazirend und dichtend weit hinaus gegangen, forgfam den SchUtten ausweichend, um mit den beraufchten heimfahrenden Bauem nicht in Streit zu gerathen, denn Niemand flritte gern mit folchen Flegehi Denn wenn er nichts mehr weifs, fo mufs die Rung heraus — Im Allgemeinen aber bietet er eine endlofe Reimerei unbedeutender, aufzahlender, reflectirender, morahfirender Art, durch welche fich durchzuarbeiten fchwere Miihe macht. Es bleibt AUes im gleichen Stil; man fieht im Lauf der Jahre keinen Fortfchritt, keinen Rlick- fchritt in diefem Dichter der Studirflube und des gewohnten Spazir- gangs, der zu alien Leichenbegangniflen und Hochzeiten feine troflen- den Oder fcherzhaften Biedermannsverfe bringen mufs. Moralifche Entriiflung vermag auch ihn allerdings aufzuregen, dafs wir plotzlich in andre Zeit uns verfetzt wahnen.*) In den letzten Jahren, nachdem *) Es war z. B. ein fremder Student in Konigsberg ermordet worden. Dach, der Profeffor der Poefie (feit 1639), fang das Rachegedicht gegen den unbekannten Morder : (V. 3.) Lafs deines wilden Eifers Weh Ohn Ablafs ihn betreten, Verfolg ihn Herr zu Land und See In Dorfem und in Stadten. Im Wald erfchreck ihn iiberall Durch das Geraufch der Blatter, Im Felde durch den Hagelfall Und durch das Donnerwetter. (4) Die Nacht durch hor er das Gcfchrei Der Schubuth und der Eulen, Lafs Wolfe, Hund und allerlei Gefpenfter um ihn heulen. Lafs den Entleibten auf ihn gehn Mit hafslichem Gefichte Und ihn in alien Traumen flehn Vor feinem Halsgerichte. 256 Dach. ihm alle feine Freunde geflorben waren, wurde er Hypochonder und fchwer krank. Dichten war aber fein Lebensberuf. Wie er krank und fchwach ifl, Feuer auf der Brufl. hat und der Arzt ihm das Schreiben verbietet, fmgt er, wehmuthig der alten, heiteren Stunden des Freundeskreifes gedenkend, wo er und Albert gefpielt, Krohl gefungen habe: Lafs ich es nach? Mit nichten, Die Liebe treibt mein Spiel, Ich mufs dir etwas dichten. . . (5) Verfag ihm deinen Friedensbund Hie und auf aller Erden, Bis er fich felber giebet kund Und wohl geflraft kann werden. Indeffen trag mit uns Geduld u. f. w. Die Reifeluft jener Zeit ifl aufserordentUch, wie wir aus den Trauergedichten fo oft erfehen. Das wunderbare Schickfal des Johann von Kalkflein moge hier nach Dach's Todtengedicht ftehen. Kalkflein wurde mit achtzehn Jahren Soldat, diente im polnifch-ruffifchen Feldzug, wurde fchwer verwundet und gefangen, lag zwei Jahr im Thurm zu Stolitza, wo er verhungert ware, wenn nicht Lefsle und die Deutfchen ihm heimlich zu effen gegeben hiitten. Viele flarben Hungers. Ein Tartaren-Gefandter erbittet fich funfzehn Gefangene von den Ruffen, darunter Kalk- flein, der das Feld pfliigen foil. K. hofft, in Konftantinopel eher die Freiheit zu erlangen und bittet feinen Herrn, ihn dorthin zu verkaufen. Dies gefchieht; er wird Ruderfclave des Pafcha von Rhodos und rudert auf deffen Galeeren; nach deffen Tode wird er wieder verkauft. Sieben Jahre rudert er im agaifchen Meer, welches er wie daheim feine Strafsen kennt. Sein Herr capert einen Malthefer, und er kommt bei diefer Gelegenheit nach Konftantinopel, kann aber kein Lofe- geld auftreiben und mufs wieder als Galeerenfclave fort, bis ein Koch aus Holland ihm Geld vorftreckt und endlich auch fein Wechfel aus der Heimath kommt. Er geht liber Chios und Sicilien durch Italien, Frankreich und Holland nach Preufsen zurtick; nach vierzehn Jahren kehrt er heim und bewirthfchaftet fein Gut. Und in welcher Art fmgt Dach tiber diefen Mann? Er ifl Ulyffes allerwegen Mit Noth und Reifen iiberlegen. Doch wuchs ihm nimmermehr der Muth Bei diefer grofsen Tugend Gut. Er war flill, fittfam und befcheiden Und g'nug gelehrt auch unrecht leiden. An Abenteuern und Abenteurern war diefe Zeit reich. Die Tiirken fpielen dabei eine grofse RoUe. — Dach in feinem Gedicht auf den Maler Mathias Czwiczicken nennt Spranger, Goltz und den grofsen Rubens. Dach. Titz. Tfcherning. 257 Er kommt fchliefslich aus den Sterbegedanken auch in feinen Poefien nicht mehr heraus. Diefe, weil fie fich immer im Kreife des Gewohnlichen drehen und nirgends unfere Anfichten und Ver- muthungen iiber Leben und Tod vertiefen, find fo langweilig wie unerquicklich. Im Gegenfatz zu den fludentifch-kriegerifchen oder fonfligen kecken Dichtungen des Lebens und den hdfifch - barocken des italienifchen Gefchmackes eine klare aber niichterne, wiirdige aber langweilige, der Phantafie, des lebendigen Ergreifens ermangelnde, im Heiteren, wie im Ernflen philiflrofe Dichtung: das ifl die Simon Dach's. In dem Einfachen, Wiirdigen flimmte Johann Peter Titz aus Liegnitz (1619 — 89) fchon in feinen friiheren Gedichten (von 1644) mit Dach iiberein. Titz vertrat durch Geburt und weitere Anregung (in Danzig durch Opitz auf den Schtiler?) die Opitzifche Richtung in feiner gelehrten Weife in Danzig, wo er das Mannes- und Greifen- alter hindurch, hochgeehrt wegen feiner Bemiihungen um die Poefie und Poetik wirkte. Er hielt Opitzens hoheren — allerdings auch fleiferen gelehrten Zug fefl und pflegte, wie er es verfland, das epifche Gedicht. In Norddeutfchland bis Roflock und Holflein hin war fein Anfehn bedeutend. Seine Schule erhielt fich. Gottfched erwuchs durch Pietfch in den Anfchauungen derfelben, und Gottfched ifl es, der dann von Konigsberg nach Leipzig kommt und hier den fpecififch fachfifchen Beflrebungen, wie fie nach dem derben Luflfpiel und der muficaUfch-lyrifchen italienifirenden Oper fich fortgefponnen und ent- wickelt batten, mit Erbitterung entgegentritt, mehr noch als Opitz den verflandig-gelehrten, fleiferen franzofifchen Stil vertheidigend. Mit Titz treten wir wieder in die poetifche Gelehrtenfchaar ein. Berlihmter noch als Titz und ein Haupt der Schlefier nach Opitz Tode war Andreas Tfcherning (161 1 — 59), der auf der Univerfitat Roflock, weit und breit beruhmt, wirkte. Tfcherning, in Bunzlau geboren, in Breslau erzogen, opitzirte wie alle feine Landsleute, welche einen Reim zuwege brachten. Schlefien gait an fich als ein Mutterland der Poeten. Aber Opitz' Poetik und Buchner's Beflrebungen regten den Gelehrten noch mehr an, als die Poefie felbfl. Metrik und Poetik wurde ein Hauptabfehen fiir Tfcherning und darin erwuchs ihm denn auch fein grofser Ruhm. Wenn er als GegenflUck zuni Apollo den Opitz auf einem Titelbilde Lemcke, Gefchkhte der deutfchen Dichlung. 17 258 Tfcherning. darftellen liefs, dann riihmten feine Freunde ihm wieder nach, dafs er den Opitz erfetze. Sein Einflufs als Profeffor der damals noch viel befuchten Uni- verfitat Roflock und als Metriker war bedeutend. Als Dichter fleht er trotz des ihm geflreuten Weihrauchs mehr unter als auf dem Niveau der Zeit. Er ifl trivial, gefucht, bombaftifch, fo faft- und krafdos niichtern wie AVenige. Das einfachere Lied gelingt auch ihm noch am beflen. Wenn Rachel bei ihm iiber den Kindermord des Herodes klagt, (Deutfcher Gedichte Friihling 1642) beginnt fie: Hdrt an ihr Beflien aus Zion meine Klagen, Ich will euch diirr heraus in's Angefichte fagen — Die Plutoninnen werden auf Herodes lauern; er ifl graufamer als Diomedes mit feinen Roffen. Getreide heifst bei ihm Feldgeburt. Die deutfche Redlichkeit ift bei ihm «heute fafl verreckt und ver- flogen». Die Druckerei begeiflert ihn zu: Die edle Druckerei, der grauen Tugend Amme, Die Mutter aller Kunft, der Ehre Pharusflamme, Der Zeiten Aufenthalt erhiibe dich allein, Bis wo der Cynthius wirkt feinen Purpur-Schein. Wichtig aber war, dafs er den zufammengefetzten Versmaafsen Aufmerkfamkeit zuwandte und gleich Buchner, Plavius, Zefen u. A. liber Opitz in diefer Beziehung hinausging. Er dichtete anapaftifche Verfe, da6tylifche Oden und Alcaifche Oden, und was er that, hatte bei Vielen ein anderes Anfehen, als wenn der angefeindete Zefen etwas vorfchlug oder verfuchte. Weil dir, o Tarnau, Redlichkeit auch behagt, Die fond der Erden faft gute Nacht gefagt, So geb ich dir dies nach der Reihe, Trink zu beftatigen deine Treue — fingt z. B. Tfcherning. Er war von Opitz felbfl gelobt worden und fah fich auch fonfl in feinem Gegenfatz gegen die italienifirend hofifcheren Dichter als eine Hauptftiitze des echten Opitzthums an. Die Sprachforfchung intereffirte ihn. Er trieb orientalifche Sprachen und verfuchte in feiner Weife fich in vergleichender Sprachforfchung, indem er fich bemiihte die deutfchen Worter aus orientalifchen ab- zuleiten. "^) *) Krabbc. Aus dem kirchlichen und wiffenfchaftlichen Leben Koflocks. Schottel. 259 Er hatte in diefer metrifchen und fprachforfchenden Thatigkeit Genoffen an den ilim fonfl fo unahnlichen Philipp von Zefen und Julius Georg Schottel. Schottel*) (Schottelius) aus Einbeck (1612 — 74;, fpater Con- iiflorialrath in Wolfenbiittel, die rechte Hand Ludwigs von Anhalt in der fruchtbringenden Gefellfchaft, id der metrifche, fprachforfchende Patriot iilteren Schlags, als Theolog und in Sprachweife noch vielfach mit Andreae verwandt. Aus diefem breiteren, volksthiimlichen Geifl. heraus hat er alle Anregungen mit Leidenfchaft ergriffen und fiir den Werth und die Ausbildung der deutfchen Sprache und der deutfchen Poefie fich fein Lebenlang bemiiht. Er iibernahm, 1642 in die frucht- bringende Gefellfchaft aufgenommen, «mit heiligem Eifer» die Fiihrung in wiffenfchaftlicher Beziehung. Gleich alien Formaliflen rifs ihn fein Eifer fiir die Ausbildung und Gefchmeidigkeit der Sprache weit liber das fchone Maafs der Verfchmelzung von Inhalt und Form, und er begiinfligte und forderte durch Beifpiel und Lehre die Spielereien mit Verfen und Reimen abgefchmackteller Art, hierin fich mit den Pegnitzfchafern begegnend, mit denen er, wie bei Birken gefagt, in enger Verbindung fland. Es kam ihm zumeifl darauf an, zu zeigen, dafs die deutfche Sprache fich in alle Formen fchmiegen laffe; er war ein Sprachenthufiafl, der Opitzen's Enthufiasmus iiberopitzte. Sein Werk von der « Deutfchen Hauptfprache und Sprach- und Vers- kunfl» (1663, Braunfchweig) ifl ein ftir feine Zeit coloffales Unter- nehmen, ausgefiihrt mit fammtlichen Fehlern und Schwachen der Zeit, zu denen vor Allen die Kritiklofigkeit aus Mangel an griindlicher Sprachwiflenfchaft gehort, merkwurdig durch Energie der Begeiflerung bei dem doch nicht mehr jungen Manne und einen nicht felten liin- reifsenden Schwung. Natiirlich folgt er Opitz auch in dem Riihmen und in der Aufmerkfamkeit fiir die altdeutfche Dichtung. Oft citirt er daraus; die Nibelungen kennt er; aus wAttile Hochzeit» fiihrt er an: Da Ichliig Ovtliben das Kind Ilagen der Held gut Dafs ihm gegen der Hand am Swert flofs das Blut. Mit air diefen wohlmeinenden breiten Zufammenhaufungen von WilTen und Meinen, Wahrem und Falfchem, Sinn und Unfmn in der Polyhiflorweife der Zeit war nun freilich noch immer wenig gethan, ja der Schaden war im Grunde grofser als der Nutzen, weil der -j Barthold^ Gefch. der Friichlbr. Gef. neniit ihn den Jacob Grimm feiner Zeit, 17* 26o Schottel. Zefen. gelehrte Wufl. nur zu oft gleichfam pramiirt wurde unci je ver- fchrobener, aber umfaffender zufammengeflapelt, deflo hoheren Ruhm brachte; nur das Eine, die Anregung war im Grunde zu loben. Und dies Intereffe hat denn auch flill fortgewirkt, bis eine griindlichere Sprachforfchung moglich ward. Schottel's Dichtungen find rhetorifch, bald trocken, bald bom- baflifch; die Abficht ifl gut, die Phantafie und Geiflesgefchmeidigkeit, alles eigentlich kiinfllerifche Element fehlt. Er nimmt in geifllichen und weltlichen Gedichten einen grofsen Anlauf zur Lebendigkeit wie feine Freunde die Pegnitzfchafer. Er malt aus, doch ohne Poefie. Er ifl grofsartig, ohne dafs etwas Rechtes dabei heraus kommt. Er liebt kiinflliche Reimflellungen und kiinfllich gebaute Worte und ifl in der Behandlung fo barock wie Einer. Wenn er das Kind Chriflus z. B. fchildert (Fruchtbringender Luflgarten 1647), wie es faugt, geblindelt wird, wahrend es die Welt erfiille, die Meere errege u. f. vv. wird er unertraglich. Manche Gedichte find ganz zufammengephraft: Gott mein Herze, Gott mein Hand, Gott mein Haus, mein Vateiiand, Meine Quickimg, meine Stet, Meiner Seelen Ruhebett u. f. w. In den Auffuhrungen dichtet er Wunderliches genug zufammen. Beim Waldgott Pan erfcheint mit griechifchen Gottern ein alter Celtifcher Poet Widod. (Celtifch und germanifch wurde bis zuni vorigen Jahrhundert fiir Eins erachtet.) Das Intereffante und oft fehr Komifche ifl dabei, dafs man bei den Gefprachen z. B. des Typhon und Pan durch den hochfleigenden gefuchten Schwung und Bombaft an die Sturm- und Drang -Ausdrucksweife erinnert wird. Wo fein biederes altfrankifcheres Wefen Schottel nicht beifleht, wo er im Stil der Zeit vornehm fein will, da ifl er hohl und leer und iiufserlich, wie feine Dichtungen zu Balleten mit Gefang darthun. Der nachfolgende Poet zeigt uns den Enthufiaflen der Buchne- rifchen Schule neben dem Enthufiaflen des allgemeinen Opitzianismus und der Richtungen Tfcherning's und Schottel's. Philipp Zefen (von Zefen, Caefius u. f. w.) aus Priorau bei Deffau (1619 — 89) ifl fchon als einer der erflen deutfchen Literaten merk- wiirdig; Sprachenthufiafl, Formalifl, Dichter, Schriftfleller hat er nur der Literatur und nur von Schriftflellerei gelebt. (Es, geniigte das in feiner Zeit faft allein, um ihn fiir einen halben Narren zu halten.) Zefen. 26 1 Er bekam die erfle Anleitung und Richtung in Halle durch den neben Buchner hoch angefehenen Reftor Gueintz. Von Halle ging er nach Wittenberg zu Buchner. Diefer fuchte fein Autorenfeuer zu dampfen. Aber Zefen trat mit i8 Jahren als Poet, mit 21 Jahren fchon in feinem « Hochdeutfchen Helicon oder Grund-richtige An- leitxing ziir hochdeutfchen Dicht- und Reinikunft» als Lehrer der Poefie auf. Es ifl fchwer, dem Manne gerecht zu werden, wie er feitdem fein Lebelang auf dem einmal eingefchlagenen Wege weiterflrebte- mit der ganzen Eigenthiimlichkeit feines fonderbaren, fchwiirmerifch befangenen und verfchrobenen , iiberzeugungstreuen und in feinen Beflrebungen unerfchiitterlichen Wefens, einer von den Neuerem unter- geordneten Ranges, die halb Kind und Narr, halb Prophet und Martyrer find, flir ihre Ideen verblendet, einfeitig, flir Anderes be- fchrankt, mit leidenfchaftlichem Feuer wirkend, nie ermiidend, durch Noth und Feindfchaft nicht gebrochen, weltfremd durch's Leben gehend mit ihrem Dichten und Trachten, in ihren Schwachen bemitleidens- werth und auch in ihren guten Leiflungen nicht fo grofs, das man die Schwachen liberfehen konnte, eitel, aber ohne alle Weltklugheit und den klaren Egoismus, der fich auf den Schultem oder mit Hiilfe Anderer emporzufchwingen weifs. *) Zefen nahm feinen Ausgang von der Sprachbehandlung und der Form und dichtete in die Form hinein, ehe er etwas vom Leben wufste oder Gefiihle zu verwerthen hatte. In feinem Hehcon (nach der 2. Aufl. von 1641; im felben Verlag von Rohner erfchien 1641 die 5. Aufl. von Opitzens Profodia *) Als die Studenten in Leipzig mil dem viel befeindeten und verfpotteten, damals achtundfunfzigjahrigen Dichter unter dem Schein, ihn zu feiem, durch ein wunderliches Gedicht ihren Spott trieben, merkte er es nicht. Man wird aber eher zur Riihrung als zum Hohn geftimmt, wenn man folgenden Brief eines un- befangenen Zeitgenoffen dariiber lieft und bedenkt, dafs Zefen wirkliche Verdienfte hatte: „Er halt AUes der Art fiir aufrichtig und wohlgemeint. Wer, wie er, nur immer in fich gelebt hat, kennt nicht die Bosheit der Welt, und es id ja auch wohl fonft nichts Seltenes, dafs der ehrliche und aufrichtige Mann Andere nach fich beurtheilt . . . Von Armuth gedriickt, fucht er Freunde, fcheut fich aber, ihnen befchwerlich zu fallen." (K. Forfter' in der Einleitung zu Zefen in der Bibliothek deutfcher Dichter des 17. Jahrh. von W. Miiller und K. Forfler, der Samm- lung, welche jetzt in neuer Geflalt durch Godeke und Tittmann erfcheint, und hier beftens empfohlen wird). A 262 Zefen. Germanica oderBuch von der deutfchen Poeterei) fiigt er nach Buchiier zujambenund Trochaen die daclylifchen, anapaflifchen und Sapphifchen Arten. Viele, fagt er, woUten keine Da6lylen gelten laffen und be- haupteten, man niiiffe dann auch auf die Pofition wie im Lateinifchen achten. Aus den Daclylen liefsen fich nun durch Vorfetzen fehr gut Anapaflen machen, wie fchon Buchner erinnere. Sapphifche, idle Opitz nicht haben woUe ohne Mufik, habe wohl Clajus zuerfl gebracht in feiner Profodie: Lobe mit Cynibelii, der ob alien Himmeln Dich mit Heil zieret, benedeit, regiret, Noch gefund fparet, wider Angfl bewahret, lobe den Herren. Dr. Schleupner fei gefolget. Auch Johann Plavius (fiehe oben). Er lobt und bringt dadlylifche Sonette «weil es beffer klingt als ein jambifch Sonett», weil Alles darin klinge und fpringe. Zum SchlulTe folgt fein Reimbuch weiblicher Reime. Eine Abhandlung liber den Abfchlufs im Sonett nach dem 8. Vers id angefchloffen. Im zweiten Band giebt er Mufler einfacher und zufammengefetzter Gedichte, Sexain, Huitain, Rondeau, Pindarifche Oden u. f. w., Pokale von da6lyHfchen Verfen, Sapphifche Oden, Ode auf Echonifche Art, dann ein Reimbuch mannlicher Reime. Dabei befchaftigt ihn auch die Frage (nach Opitz), ob man nicht die mythologifchen Nanien iiberfetzen konne; er plaidirt fiir deutfche Eigennamen, meint, wir hatten nur drei rechte deutfche Weibesnamen: Adelheid, Erdmuth und Hedewig. Alles dies ifl geifllos, unverdaut zufammengetragen, iiberladen im Einzelnen. Der junge Pedant der Collegienvvande ifl es, der fpricht; wie klar, durchgreifend, iiber dem Gegenftand flehend war Opitzens Schrift gewefen! Gutes und Uebles, Sinn und Unfmn wechfeln in der Folge bei dem in alien eignen Sachen kritiklofen Kritiker und Poeten feltfam ab. Tiefes Gefiihl und heiliger Ernfl in feinem Streben tragt ihn. In alien Gefchmacklofigkeiten und Reiniereien eines wirklich ver- fchrobenen, eitlen iiberfpannten Kopfes, der feine metrifchen Reim- gebaude und dichterifchen Zufammenflapelungen fiir die hochfle Poefie halt und mit Recht den verflandigeren Gegnern zum Spott wird, dringen wieder Tone, welche anfprechen, ja riihren. Man nehme z. B. feine «Gekreuzigten Liebesflammen oder geifl- Zefen. 263 licher Gedichte Vorfchmack» (1653, mit Melodien) und feine «Dichte- rifchen Liebesflammen» (165 1'. Jene, «\venig dichterifche Blumen und Verziickuagen, fondern nur einfaltige Reden, meiflens in der Jugend, vor 10, ja 18 Jahren gefchrieben» konnen uns erklaren, warum Zefen grade Frauen fo vielfaltig fur fich gewann (z. B. Dorothea Eleonora von Rofendial ift. fchon 1641 von Zefen begeiRert; 1642 dedicirt ihr Zefen feinen poetifcher Rofen-Walder Vorgefchmack voll blumerantem Unfinn. Die Konigin von Danemark fchenkte ihm fiir die gekreuzigten Liebesflammen einen vergiildeten filbernen Pokal, wie Schvvieger uns in der Vorrede zu den «fliichtigen Feldrofen» erzahlt). Er hat etwas Weiches, Bedtirftiges, wie auf mildere Fiirforge der Frauen Angelegtes. Er ifl im « Vorfchmack» meiflens kurz, ohne die triviale Breite. Tiefe Klage fpricht aus feinem: Poche nicht o Menfch fo gern — dafs man Vater- land und Freunde wohl eher in der Fremde finde als daheim, wo die Briider feindlich feien. Denn mein Bleiben ifl nicht hier, Ich bin fremd in diefem Leben, Und der Wanderfchaft ergeben, Bis ich komme Gott zu Dir. Sobald er aber den Poeten von Fach herauskehrt, mufs er feine metrifchen Steckenpferde reiten. Dann fucht er fein einfacheres, durchaus nicht fchwungvolles Wefen aufzubaufchen, den Italienern gleich freie, glanzende Phantafie und vornehmen Prunk zu zeigen. Statt IdeaHfches giebt es dann Fratzen. Der «Himmelsflammende Flamming" im Motto charakterifirt z. B. fchon feine dichterifchen Liebesflammen, in denen das Abgefchmackte , Metrifch-Inhaltlofe, Geziert-Unverniiftige iiberwiegt: Ihr meiner Seufzer fchale Winde Die durch den trocknen Gaumen gehn, Sagt meiner lieben Rofalinde — konnte einen Schupp mit Recht argern. Drauf brechen an des Rofenmondes Liifte Die Zier der frohen Briifte, In keufcher Scham mit Milch und Blut befpruhet. Dann milcht die Ros und bliihet, Dann bluhten fie, Die lieblichen, die fchonen Rofen die — 264 Zefen: Deutfchgefmnte Genoffenfchaft. Oder wenn er noch in fpateren Jahren fingt: Hochweifs ift Dein Halsgeriifte, Lieblich milcht die klare See Deiner alabafler Briifle Wie der neugefallne Schnee — Es miiff' in meinem Athem zifchen Die Zimmetluft aus Zeilans Bufchen. I Sobald er fich dem Realismus nahert, wird er beffer. Bekannt ifl z. B. fein Trinklied eines Deutfchen in Holland, ein poetifches Genrebild (welches ubrigens auch bei Rill fich findet). Ueberlafst er fich einfach feinem Gefiihl, fo bringt er manches Sinnige und Erfreuliche; ja der altere Mann riihrt uns wieder, der viel geplagte, wenn wir fehen, wie er durch feine falfchen Theorien fein Lebenlang auf falfchen Wegen irrte und mehr vom wirklichen Dichter in fich hatte, als er felbfl ahnte. In feinem Abfchiedslied z. B. Ihr Bticher, meine Freude, Du leichte Feder dn — im Berg- und Feldlied: Wie oft gedenk ich noch mein Schirau deiner Auen u. f w. wird er lesbar, weil er einfach ifl und (latt im Allgemeinen umherzufchwogen an etwas Beflimmtes kniipft und da- mit einen Inhalt hat. Hatte er fich weniger dem metrifchen und mufikalifchen Geverfel iiberlaffen und nicht darin feine hochfle Auf- gabe gefehen! Aber weder die Genoffen in Hamburg wie Schwieger, noch Flemings, noch der Hollander Vorbild konnten ihn aus feiner eng mit feinen philologifchen Bellrebungen und Marotten zufammen- hangenden Richtung reifsen, fobald es fich um Verfe handelte. Wo ihn der Stil der Dichtung, z. B. religiofer Lieder, an fich fchon mehr zum Einfachen drangte, findet fich gleich manches Einfach-Geftihlvolle und Anfprechende. So auch z. B. «in der himmlifchen Haupt-Tugen- den Dreiling und Reifelieder zu Waffer und zu Lande» 1677 u. f w. Im Jahre 1653 fliftete Zefen den Poeten-Orden der «Deutfchgefinnten Genoflenfchaft». Wie bei manchem feiner Genofl'en und fpater wieder bei Klopflock verband fich bei ihm das metrifche und philologifche Abfehen mit dem deutfchthiimelnden; Grillen, wie fie auch der grofse Klopflok ohne durchgreifenden Erfolg, weil ohne die nothwendige wiffenfchaftliche Bafis betrieb, hatten fchon den alteren landsmannifchen, Zefen: Sprachneuerungen. 265 in Deutfchland zumeifl. an demfelben Punkte des Nordens wirkenden Zefen eingenommen. Die fprachthiimelnde Seite war es gerade, durch die Zefen jenen Aufruhr und jene Angrifte erregte, die ihn fein Lebenlang verfolgten und ihn, den Corrumpuntius der deutfchen Sprache, wie ilm Calow nannte, zum Gefpott eines grofsen Theils des literarifchen Publicums machten, wahrend Andere ihn den Heiland der deutfchen Sprache hiefsen. Zefen that, was feit Opitz Sitte geworden war; er unterfchied fich in feinem Streben nicht fo fehr von Tfcherning und Schottel. Hatte er ein hoheres Amt gehabt oder in Wiirden gefeffen, fo mochte das Unwetter der Gegner fchwerHch fo arg iiber ihn losgebrochen fein, wie es iiber den verriickten Literaten, fiir den er gait, erging. Die Ehre der deutfchen Sprache fchien ihm nicht bios zu er- heifchen, die Verwelfchungen und fremden Redensarten zu verwerfen, fondern er ging auch frifch daran, mit Allem, was ihm fremd vorkam, mochten es noch fo eingebiirgerte Worter fein, aufzuraumen. Aufserdem verfuchte er auch die Orthographie umzugeflalten : man folle fchreiben, wie man fprache. Nun war der gelehrte Spracheifer damals grofs. Die Neuerungen wurden fomit gleich beachtet und, flatt todt gefchwiegen zu werden, erweckten fie einen Sturm der Entrtiflung oder bei Andern ein un- bandiges Gelachter. Der eitle, fonderbare, nur zu oft Veranlaffung zu Angriff und Spott gebende Schriftfleller und Dichter war fortan aufs Korn genommen. Gut noch fiir ihn, dafs er einige Verehrer und hie und da auch thatige Gonner fand. Es ware nun freilich fchlimm gewefen, wenn Zefen's Purismus durchgegangen ware. Wunderliches genug kam darin vor und dem Belieben und der Willkiir eines Jeden ware Thor und Thiir geofifnet worden. Nutzen hatte er trotz feiner Verkehrtheiten als Oppofition gegen die Fremdworter in der Profa, wo man fich ungeflorter dem Kauderwelfchen uberliefs; dann gab er auch mancherlei Anflofs zu wirklich treffenden Wortbildungen, fetzte auch felbfl eine Reihe der- felben durch. Am auffalligflen war feiner in der alten Mythologie lebenden Zeit, dafs er auch die Gotternamen umdeutfchte und Jupiter Erzgott, Juno Himelinne, Pallas Kluginne oder Blauinne, Venus Luflinne, Liebinne, Lachmund, Schauminne und Freia, Aurora Rothin, Vulcan 266 Zefen: Roman. Gluthfang und fo weiter liberfetzte. Dafs er feine Neuworter 'zuweilen fcherzhaft gebrauchte, dafs er die alten Bezeichnungen nicht verdammte, daran kehrten feine Gegner fich nicht, und felbfl Worter, die er nur einmal ira Scherz anwandte, (wie Lefchhorn fur Nafe) oder blofse Umfchreibungen (wie Schauglas fiir Spiegel, Luflhohle fiir Grotte u. a.) mufsten herhalten, um mit dem Reitpuffer, Tageleuchter (Fenfter), der Zeugemutter und Geburtsart (Natur) u. f. w. ihn zu verhohnen; nicht genug damit, man fchob ihm auch noch die feiner Nachahmer in die Schuhe*). Seine neue Rechtfchreibung (an Vofs befonders erinnernd) wirkte nun gar irritirend. Eine bedeutende Wirkfamkeit hat Zefen entfaltet auf einem Gebiete, welches feiner weniger lyrifchen Begabung naher lag: im Roman **). Schon 1645 fchrieb er eine Erzahlung neuen Stils: die Adria- tifche Rofamund (eine Liebesgefchichte von Ritterhold von Blauen 1645), eine Interieur- und Converfationsmalerei, ein Terburg gleichfam, von den Amadisromanen fo verfchieden, wie Terburg etwa von einem Schlachtbilde Frew's. Ein junger proteflantifcher Deutfcher liebt in Holland ein katholifches , venetianifches Fraulein, deren Vater die Hochzeit zugeben will, wenn der Deutfche verfpricht, dafs etwaige Tochter im katholifchen Glauben erzogen wurden. Hierauf einzu- gehen erlaubt ihm fein Gewiffen nicht. Die Liebenden trennen fich, kommen wieder zufammen. Rofamund verzehrt fich in Gram, er- krankt und flirbt. Gefprache und Briefe, Kunfl, Staatswefen, Nach- richten liber Paris, Venedig u. dergl. ftillen mit den Liebesfchilderungen diefen einfachen Hergang. Er iiberfetzte fodann die beiden Romane der jetzt beriihmten Scudery, den Ibrahim (1645) ^"^^ ^^^ Africanifche Sophonisbe (1646). Die Amadisphantafie hatte ausgefpielt. Richelieu's und Mazarin's Regirungen bandigten die trotzigen ungebundenen Individualitaten, die in Frankreich im Burgerkrieg und Duell derartige Phantafie zu bethatigen gewohnt waren; aus dem kecken Cavaliers geifl voUzog fich der Uebergang zum, immer noch keken, tapferen Hoflingsthum. Der Umfchwung zeigte fich auch im Roman, aus dem das fahrende Ritterthum alterer Art verdrangt wurde. Die Romane einer Frau *) Siehe Cholevius: die bedeutendften deutfchen Romane d. 17. Jahrh. S. 108 pp. **) Hieftir befonders das vortreffliche Werk von Cholevius. Zefen : Roman; Gefchichtfchreibung. 267 bildeten die Haupt-Ueberleitung. Anftatt eines fabelhaften Phantafie- helden wahltc fie in ihrem Ibrahim eine gefchichtliche Perfonlichkeit. Damit war dor Phantaflik trotz aller noch moglichen und ausgiebig beniitzten Willkiir doch eine Art Zugel angelegt. In die Abenteuer wurden Betrachtungen und Ideen, wie Zeit und Leben in Staat, Religion, Sitte, Kunfl u. f. w. fie boten, eingefchoben. Kampf und Liebe herrfchten nicht mehr allein. Der Kreis ward ausgedehnt — wie breit und flach, darauf kam es vor der Hand fo fehr nicht an. In Deutfchland fand diefer neue franzofifche, die feinere Gefellfchaft jetzt reprafentirende Stil natiirUch Gunfl und Nachahmung. Doch wandte fich Zefen errt. in fpateren Jahren, die einer andern Periode fchon angehorten, dem grofsen Liebes-, Helden- und Lehr- Roman zu. Derfelbe Mann, der in der Poefie fo felten feine metrifchen Abfichten vergeffen konnte und der auch im Roman wieder der ge- lehrten Gefchmacklofigkeit nicht entging, fchrieb vor diefen Romanen wahrend feines Aufenthaltes in Holland mehrere Biicher, die hier ihres guten Stils und ihrer durchgangigen Tiichtigkeit wegen genannt feien. Wer Zefen's: «Verfchmahte, doch wieder erhdhte Majellat, d. i. kurzer Entwurf der Begebniffe Karl's II., Konig von England" (1661) liefl, wird fich wundern iiber die Lebendigkeit und den Flufs der Darflellung, iiber die Kraft des Stils, der oft an Schiller's hiftorifche Schriften gemahnt. Karl's Fahrniffe auf der Flucht find fo lebhaft gefchildert, fo einfach dabei, wie man nur wunfchen kann. Ein gutes Buch im beflen Stil, ohne alle Manier, ifl ferner Zefen's Befchreibung der Stadt Amflerdam (1664)'*), welche uns den filben- meffenden, reimenden Stubenpoeten als einen aufmerkfam beobachten- den, dem Eeben der damaligen grofsen Weltfladt mit finniger Betrach- tung und forfchendem Fleifse folgenden Mann kennen lehrt. Nicolai hat das Werk in feinen Reifen mit Recht geriihmt. Den einfach fliefsendcn profaifchen Stil hielt Zefen leider nicht fefl. In feiner Mifch- *) Zefen fagt in der Vorrede vom i. Eintemond 1663 — fo wie er poetifirt, ift die Gefchmacklofigkeit da — die Amftelinnen anredend fiir Amflerdam : „bei denen ich nunmehr innerhalb 22 Jahren die meifle Zeit als ein Gafl: zugebracht, ja im verlaufenen Jahre durch die machtigen Amftel-Vater felbft mit dem hochften Vorrecht der Biirger verehret worden". — — Es wurde damals in Amflerdam gewdhnlich zwei Mai die Woche Theater gefpielt, Trauer- oder Freudenfpiele, wie Zefen bei Befchreibung der „Schauburg" anfiihrt. 268 Zefen: Roman. profa: «die fchone Hamburgerin», 1668, bildet er feine Profa aus lauter kurzen, abgehackten Satzen im Gegenfatz zu dem Kanzleifl.il der Zeit. Tacitus' Stil — in Nachahmung des Pieter Hooft? — wurde gegen den fogenannten Ciceronianifchen geft.ellt. (Er befchwert fich darin bitter, dafs man ihn ausfchreibe, nachdrucke, feinen Namen verfchweige, ihn anfeinde und verfpotte und anneide.) In «Affenat» (erfchienen 1670) ifl der Stil im AUgemeinen in der Kiirze nicht iibertrieben, im «Simfon» dagegen (1679) der wunderlichfl.e von der Welt. Seitenlang bildet Zefen darin nur einfache Satze von 3, 4 bis 7 Wortern. In den kurzen Satzen lag ein richtiges Beft.reben; aber ohne Sonderbarkeiten und einfeitige Uebertreibung konnte es bei Zefen nicht abgehen, wenn er fich als Vertreter eines neuen Princips fiihlte. In der «Affenat», einer Staats- Liebes- und Lebensgefchichte, bot Zefen dem deutfchen Lefepublicum einen grofsen Lehr-Roman. Jofef in Aegypten lieferte ihm nach der biblifchen Gefchichte und nach Legenden des Mittelalters den Stoff. Alle Einfichten und Anfichten des Schriftflellers liber Staat, Kunfl, Gefellfchaft u. f. \v. liefsen fich hier verwerthen. Die Thatigkeit des jiidifchen Grofsveziers des Pharao gab die befte Gelegenheit. Seine Liebe zur Affenat, der Tochter des Oberpriefl.ers zu Heliopolis, geflattete die Herzensbediirfniffe ausgiebig zu befriedigen. Alle damaligen Kenntniffe liber Aegypten wurden gewiffenhaft benutzt, Religion, Lehre und Ergotzlichkeit nach befl.en Kraften verfchmolzen. In «Simfon», einer Helden- und Liebesgefchichte daffelbe Beflreben. Aber nicht mehr mit dem verhaltnifsmiifsig guten Erfolge. Das Wunderliche fchliigt darin bald zu arg vor, im Stil fowohl, wie im Inhalt. Weit und breit fpinnt der arme, liber Kranklichkeit, Mlih- feligkeit und Alter in der Vorrede klagende Poet feinen Stoff aus, den er aus dem Buch der Richter, dem Jofephus und aus Pallavizien, wie er fagt, zufammengetragen. 15 Bucher habe er fchreiben woUen, aber Kranklichkeit habe ihn gezwungen, Vieles zu klirzen, um zu Ende zu kommen. Wie fchon in der Hiflorie Karl's 11. und der Befchreibung Amflerdams entfchuldigt er auch hier, dafs er nicht Alles ganz forgfam habe durchfeilen konnen, weil er vvahrend des Druckes immerfort habe fchreiben miiffen. Es ifl. ein ungeheuerliches Machwerk, Ausgeburt einer barocken Phantafie und Gelehrfamkeit, diefer Simfon. Ein ernfler, frommer Sinn giebt den Grundton. Viele Anfchauungen haben etwa's Kraftig- Rift. 269 N^erflandiges. Der Alitor will aus den Erfahrungen eines bewegten, nachdenklichen Lebens Weifes fprechen und fpricht Weifes, aber AUes geht bei ihm in die Breite auseinander, nirgends kann er fich fafTen, nirgends Plan, nirgends organifche Entwicklung; Schwulfl, gelehrte Verfchrobenheit, Abgefchmacktheit dringt iiberall hinein, fo dafs nichts iibrig bleibt, als iiber den alten, thorigen, wohlmeinenden Schreiber den Kopf zu fchiitteln und feinen Gegnern zu verzeihen, wenn fie auch hier wieder an ihm einen Sparren entdeckten. Die letzten Werke des greifen Schriftflellers reichen Ubrigens "| weit iiber die Epoche der eigentlichen Opitz-Zeit oder der fogenannten \ erflen Schlefifchen Schule hinaus. Der Nebenbuhler und Gegner Zefen's, Johann Rifl aus Ottenfee ^y (1607 — 67), der weit und breit, bei Katholiken und Proteflanten gepriefene Singfchwan und Pfarrer zu Wedel an der Elbe, ftihrt uns weit zuriick. Seit 1634 hat er die Druckereien und die Gemtither in Bewegung gefetzt niit Schriften allerlei Art. Seine «Mufa teutonica, d. i. Teutfcher Poetifcher Miscellaneen erller Theil, in welchem begrifFen allerhand Epigrammata, Oden, Sonette, Elegien, Epitaphia, Lob-, Trauer- und Klag-Gedichte» u. f. w. (1634) mit ihrer Vorrede aus Heide in Ditmarfchen — giebt uns eine gute Anfchauung, wie fich hier nordwarts der Elbe noch zu Opitz' Lebzeiten und unter Einflufs der niederlandifchen Dichtung die Poefie auswuchs. Breit, eitel und anmafsend ill Rifl von vorn herein und ifl. er geblieben. Er ifl beim erflen Auftreten von feiner poetifchen Corre6lheit n/ durchdrungen , ein Nachaffer der Opitzifchen Weife. Er erzahlt, dafs er neulich in einem Hochzeitsgedichte 200 Vitia vermerket; der Autor habe oft 12 Verfe feminini generis und dann wieder 8 oder 10 masculinos hintereinandergefetzt, 5 Fiifse flatt 6 Fiifse gebraucht, 15 oder 16 Syllaben jambifch flatt trochaifch, der fo harten Ellyfium, Pleonasmorum und anderer verdriefslicher Figuren nicht zu gedenken, und doch fei dies Lappenwerk von der Poeterei und deren Legum Unerfahrenen fiir ein gutes Carmen gehalten worden. « Aber auf eine vorgenommene Materi, die poetifchen Figmenta der alten fein mytho- logice accomodiren und nach Art derfelben, auch jetzt lebenden rechtfchaffenen Poeten, in einer fletigen continuirlichen AUegorien fchreiben, die Gemtither der Menfchen mit zierlichen Exclamationen, artigen Profopopaejen und dergleichen Retorifchen Figuren bewegen 2/0 Rift. konnen, das heifst eigentlich ein guter Poet fein, davon aber folche Reimenmacher nichtes oder ja fehr wenig wiffen.» Man fieht, er kraht Opitz nach. Nachdem er Opitz Poetik mit dem Hinvveis auf Schwabe (aus Zincgref) angefiihrt, fahrt er fort: denn obwohl ihrer viel in der Meinung find, dafs die gemeinen Lieder, fo bin und wieder ausgeflreuet und von dem gemeinen Volk gefungen werden, mit unferen Oden eine grofse Verwandtfchaft haben, fo foUen fie doch wifien, dafs zwifchen den gemeinen Reimen imd nach der Kunfl gefetzten Gedichten eben ein fo grofser Unterfchied zu finden, als zwifchen den einfaltigen Hirtenliedern eines hinter dem Pflug leirenden Baiiern und den klinflHch gefetzten Concerten eines in furfl- Hchen Capellen wohlbeflahen Magiflri. In diefen friihellen Gedichten hangt Rifl in feinen Liedern noch fehr mit Lund zufammen. Es ifl eine und diefelbe Schule. Rifl hatte in Rinteln, Roflock, Leipzig, Utrecht und Leyden ftudirt (Theologie, Medicin und Mathematik) und Manches gelernt und gefehen. Er bringt Ueberfetzungen der Epigramme des beriihmten Owen, aus dem Franzofifchen u. f w. Wenn er vom Landleben, vom FriiWing u. drgl. fingt, fo hat er frifchen Zug, hat er Erd- gefchmack. Das kennt er, darin lebt er. Etwas vom Geift. der hoUandifchen Landfchafts-, Thier- und Genre-Maler weht durch diefe Dichtungen. Im Lied von Liebe ifl er anfprechend. So wie er hoher fleigt (Klaggedicht auf Guflav Adolfs Tod, Lobgedicht auf Bernhard von Weimar, den Thule, Thracia und Zembla kennen thut), wird er trivial und bombaflifch. Den Dr. jur. Dow, braunfchweigifchen Canonicus, vergleicht er mit Petrarca, Ariofl, Bartas, Ronfard, Marot. Alles in Allem ifl er, ausgenommen im Lied, ein breiter, fader Schwatzer, oft an den aufgeblafenen Frofch gemahnend. Er hat fich wenig verandert in feinen fpateren Werken. Gewandtheit und Flufs der Sprache zeichnen ihn aus, namentUch feine heiteren Lieder. Die Flachheit und Eitelkeit wachft. In der Bearbeitung fremder Gedichte wa,r er trotz einem Opitz und Fleming gefchickt. (Einige feiner geifllichen Gedichte find aus dem Paradiesgartlein Arnd's bearbeitet.) In der «Florabella» z. B. von 165 1 (1644) '^^ fchon der Opernton getroffen, der bald in Hamburg fo beliebt werden follte. Italienifche, fpanifche und franzofifche Lieder dienten ihm dabei zum Mufler. Kill. 271 Auf Unklarheiten kommt es ihm freilich auch niclit an*) und dafs Gefchmacklofigkeiten unterlaufen, verfleht fich bei dem damaligen deutfchen Poeten von felbfl. Aber oft kann feine Gelaufigkeit in Vers und Reim an Burger erinnern. **) In Gedichten diefer Art liabe er fich Ronfard, Theophil und Petrarca zum Mufler genommen, fagt er fpottend gegen die Hammerlinge oder unverflandigen Kritiker. Mufa teutonica, Poetifcher Luflgarten (1638), Florabella, Tragodien u. f. w.. diefe und andere Werke ofter und fchnell wieder aufgelegt, machten ihn weit und breit bekannt und kamen einem damaligen «dringenden Bedurfnifs» nach anfprechender, heiterer, leichter und wohlgebildeter Le61ure entgegen. Schon die leichte Versbehandlung bei einem im Ganzen verflandigen , oft freilich platten Inhalt geniigte, ihn in den Augen der Zeit zu einem ausgezeichneten Dichter zu flempeln. Kein Wunder, dafs der gefeierte, von Natur eitle Poet, verwohnt und ganz kritiklos wurde und immer breiter dahinreimte. Da er auch im Kirchenlied bedeutende Erfolge hatte (Ermuntere dich mein fchwacher Geifl, O Ewigkeit, du Donnerwort, Werde munter mein Gemiithe u. a. leben noch), 1644 von Ferdinand III. zum Poeta laureatus ernannt, fpater dichterifcher Pfalzgraf und vom *) Man fehe z. B. feine Ueberfetzung von Theophils: Quand tu me vois baifer tes bras, Que tu pofes nuds fur tes draps. wo der Franzofe in : quand tu fens ma brulante main" fo deutlich ift, Rift mit feinem : Dein Halslein riihret fauberlich' Und Deine Bruft im Schlafe trennet fo unverftandlich und liiftern ausmalend. **) Kein grofser Narr ifl weit und breit In diefer Welt zu finden, Als der durch Weiber Freundlichkeit Sich gar lafst iiberwinden, So dafs er blofsen Worten traut Und nicht auf ihre Falfchheit fchaut, Der wird nach wenig Tagen Sein Elend fehr beklagen. Ganz hiibfch ift Manches in feinem: Hin ift der Tag: Du heller Mond zieh mich hinauf I'nd lafs mich dir zur Seiten fchweben. 2/2 Rift. Herzog von Mecklenburg hoch geehrt and ausgezeichnet wurde, fo ging der Stolz mit ihm durch und des Schreibens von Gedichten, namentlich "auch andachtiger Art, war kein Ende. Sein «neuer teutfcher Parnafs, auf welchem befindlich Ehr- und Lehr-, Scherz- und Schmerz-, Leid- undFreuden-Gewachfe» (1652), mit feiner breiten, abgefchmackten Vorrede kann ihn in feinen Mannesjahren kennen lehren, nach der trivialen, fchmeichlerifch - kriechenden Seite fovvohl, wie der im Lied erfreuenden, in Schilderung des Landfchaftlichen anfprechenden. Aus der Vorrede fei nur hier hervorgehoben, dafs Rifl jetzt als echter Pfarrer fich gerirt und Front macht gegen die Anwendung der antiken Mythologie und Literatur iiberhaupt. Stolz fagt er : aus den Schriften der Heiden niiiffe man gleich wie aus einem Mifthaufen die Perlen der Weisheit fammeln. Er habe jederzeit vor dem heidnifchen Wefen grofsen Abfcheu getragen, brauche nicht Cupido, Hymen, Adonis, Leda und Jupiter und wie die fauberen Burfche heifsen. Er eifert auch gegen das Studium des Terenz in den Schulen. Derfelbe fromme Paflor fagt dann freilich einem FiirRen, der ihm einen eigenhandigen Brief gefchrieben hat: Bald mufs ich Heerhold werden Herr deiner Treff lichkeit : Du bift ein Gott auf Erden. Der eitle Elbfchwan oder Cimberfchwan (der Riiftige genannt im Palmenorden, Daphnis aus Cimbrien im Pegnitzorden) hoffte, dafs fein Lieblingsaufenthalt, fein Parnafshiigel , fo lange Parnafs genannt werden vviirde, wie Leute an der Elbe wohnten. Zur Abwechslung erhebt er in der Vorrede den Homer; von einem befferen Verftandnifs deffelben, als die Meiflen diefer Zeit hatten, ifl freilich nichts zu bemerken. In feinen hdher greifenden Dichtungen des Ruhms und der Klage, in feinen wunderlichen Tragodien zeigt fich der Freund der Nurnberger und Schottel's, wie er den Mund voll nimmt und donnert und flohnt. Schwulilige Inhaltslofigkeit und metrifche Spielerei herrfcht vor. Im poetifchen Genre-Bild hatte Rift, wirklich Ttichtiges und Er- freuliches leiflen und wirken konnen, wenn er nicht in die breite Reimerei und Lehrhaftigkeit gekommen ware: Gedichte, an die hol- Ijindifchen Genre- und namentlich die Winterbilder erinnernd, in die heimliche warme Stube, auf die von Schlittfchuhlaufern belebte Eis- Rifl. 273 flache verfetzend oder Schilderungen aus dem Landleben gelangen ihm ganz hiibfch. In feiner Jugend hat er eine Reihe Tragodien gefchrieben (zum Theil wiihrend des Krieges; find fie vvie viele feiner Schriften durch die Soldaten vernichtet ?). Unter feinen fpateren dramatifchen Poefien fei das «Friede\vunfchende Teutfchland» (1647) hervorgehoben, eine grofse Allegoric in Profa «weil die vvenigflen Schaufpieler Verfe fi:)rechen k6nnten.» Man wird an Mofcherofch erinnert. Konig Ehrenvefl (Ariovifl), Herzog Herman, Fiirfl Claudius Civilis, Herzog Wedekind, das erfl libermiithige, den Frieden verjagende, auf die Wollufl horende, dann vom Mars und Hunger und Pell und von dem Spanier, Franzofen, Kroaten und dem (furchtfam als deutfchen Reiter behandelten) Schweden befiegte und zerfchlagene, von dem Arzt Ratio flatus libel behandelte Deutfchland agiren darin. Das Stiick fangt an mit Mercurs Rede im Stil des Gothefchen: Gotter, Helden und Wieland. Die Rifl'fche Trivialitat fchlagt freilich gleich in aller Breite vor. Tableaux find der Handlung beigemifcht. Im fiinften A61 fitzt Gott auf feinem Thron und halt Reden. In der «Depofitio Cornuti typographici» (einer Scherzhandlung bei Gelegenheit des Buchdruckergehiilfe - Werdens , 1654) hat Rift fich an die Vorlage im alten Stil gehalten. Derfelbe ift derb-popular. Der Knecht, der Clown des Stiicks, fpricht plattdeutfch. (Vor der fpateren Auflage von 1677 fteht ein Prolog von Philipp Zefen.) Rift hat unter einer Menge anderer Schriften auch eine Reihe Profawerke gefchrieben, die in ihrer niichternen Zweckdienlichkeit vielfach an Schriften des fpateren Rationalismus, befonders an Campe erinnern. Es find dies die unter dem Titel : «Das alleredelfte Nafs (Waffer, Milch, Wein, Tinte), die alleredelfte Zeitverkiirzung, die alleredelfte Thorheit u. f vv. der ganzen Welt», vieljahrhch heraus- gegebenen Werke. Der Dichter hat eine immer gleiche Einkleidung gewahlt. Freunde aus Hamburg befuchen ihn auf feinem Pfarrhof zu Wedel und er flihrt mit ihnen Gefprache, die iiber Blumen zu beginnen pflegen, dann fich zu allem Moglichen wenden, wobei Rift feine Gelehrfamkeit als Arzt, Chemiker, Aftronom, Aftrolog, Hand- wahrfager, Mathematiker, Pfarrer u. f w. auskramen kann. Die Schilderung der verfchiedenen Garten am Pfarrhaufe, der Tafel mit Effen und Trinken, der Gartner aus Hamburg, der Rift'fchen Curio- fitaten u. f w., die Einblicke in Glaube und Aberglaube und Kennt- L em eke, Gefchichtc der detdfchen Dkhtuiig. iS 274 Rifl : Elb - Schwanen - Orden. niffe jener Zeit find oft recht intereffant. Als Ganzes gehoren jedoch diefe Biicher zu den echten Trivialitiiten des Riflifchen Stils. Seine Eitelkeit liefs ihn nicht ruhen, bis er auch 1667 Stifter einer poetifchen Genoffenfchaft, des «Elb-Schvvanen-Ordens» geworden war. Seine Riihrigkeit war erflaunlich. Ueberall hin fetzte er fich in Verbindung*) und iiberall fand er Bewunderer. (1653 wurde er vom Kaifer geadelt.) Hatte Rifl mit grofserem kiinftlerifchen Ernfle und mehr Kritik und weniger Selbflzufriedenheit fein Talent verwerthet, fo hatte er Dauernd-Erfreuliches im Lied und in der genrehaften Poefie, fo wie in der belehrenden, novelliflifch aufgeflutzten Erzahlung leiften konnen und Johann Heinrich Vofs mit feinen Idyllen und der Robinfon- Campe batten in dem Pfarrer zu Wedel einen nicht zu verachtenden Vorganger gehabt. Aber die wahre poetifche Kraft ward verfchwemmt in der breiten, feichten, nur dem AugenbUck dienenden Reimerei und Schriftftellerei , deren Moral, Chriftenthum, philiflerhafte Niitz- lichkeit und Wortflrom und Redegewandtheit immer Bewunderer fand. Rifl war hoch geehrt und — hat feinen Ruhm dahin. In kiinfllerifch befferen Zeiten geboren, ware auch ein befferer Poet aus ihm ge- worden. Die falfchen poetifchen Theorien in der Poefie und die Kritiklofigkeit des Publicums verdarben Alles. *) Wir finden z. B. im Anhang feines Neuen Pamaffes Gedichte auf ihn von Mofcherofch, Schottel, Schneuber, Schirmer, Neumark, Greflinger und Betulius u. A. Er fland gut mit den Niirnbergern und mit Schupp. 7. Fortwirkungen. Die religiosen Dichter. Dichterinnen. Die Wirkungen diefer poetifchen Beflrebungen machten fich iiberall in Deutfchland gel tend, abgefehen von den fiidlichRen Ge- bieten; (iber die Donaulinie drang die Opitzifche Verbefferung nur langfam. Verfchieden vvaren die Ankniipfungspunkte, welche das jiingere Gefchlecht wahlte und die Art und Weife, wie nun die eine Oder andere Stromung weitergeleitet wurde. Im Allgemeinen blieb man die nachflen Decennien nach dem dreifsigjahrigen Kriege in den einmal betretenen Geleifen. Erfl mit der Generation, deren Erkraf- tigung in die vergleichsweife flillen folgenden Friedensjahre fallt, kommen andere AuiTalTungen, Ziele und Ideale, fo gut man eben folche zu bilden wufste. Einzelne Dichter mogen hier fiir ihre Kreife eintreten und die Entwicklungen und Verbindungen diefer und der folgenden Periode zeigen. Der Palmenorden bekam 1653 zum Mitgliede Georg Neumark aus Miihlhaufen (16 19 — 81), feinen fpateren Erzfchreinhalter und Hiftoriker, den Verfaffer des bekannten und fchonen Liedes: Wer nur den lieben Gott lafst walten. Neumark kann uns wie Ringwaldt lehren, wie treuherzig und fromm dies Gefchlecht dichten konnte, wenn es fich einfach und wiirdig, gefuhrt durch den Ton des alteren Kirchenliedes, zu Gott wandte, wie abgefchmackt, trivial -pathetifch und roh es fein konnte, fobald es zu einem Publicum redete, auf das es modifche oder fonflige Wirkung ausliben wollte. Im Allgemeinen zeigt er uns eine Verbindung der fachfifchen und der Konigsberger poetifchen Richtung. Er machte feine Studien haupt- fachlich in Norddeutfchland. Neumarks religiofer Ton ift. echt, wenn auch im Allgemeinen nicht erfreulich ifl, dafs zu viel abwartendes aber laffiges Vertrauen wiederkehrt. Das Anrufen und Winfeln zu 18* 276 Neumark. Gott, Ratt der Thatkraft, die dabei ja doch fromm bleiben kann, iiberwiegt. Der eitle Poet, der auf feinen (lets fliefsenden Vortrag (lolz ifl, kann leider auch in feinen derartigen, guten Liedern nicht unterlaffen, fich oft zu wohlgefallig zu ergehen, flatt fich auf den innerlichflen, vollflen und damit kurzen und kraftigen Gefiihlsausdruck zu befchranken. In den nicht religidfen Dichtungen ifl, Neumark durchgangig phrafenhaft, oberflachlich verfificirend, fchmeichlerifch unterthanig nach oben, grob gegen Widerfacher. Seiten fpricht er fo an, wie in feineni Tanzlied : Branch die Liebesmittel, die zum Vortrab taugen, Fiihre fie fein fan ft herum, rede mit den Augen, Giebt fie dir ein Liebesblicken, Gieb ihr zu verftehen Mit dem Handkufs oder Driicken, Dafs du's haft gefehen. Auf Schriften des Amadis-Stils ifl er iibel zu fprechen. Gegen einen groben Verachter feines Violdigammenfpiels fprudelt er: Efels- kopf, Unflad, Schlingel, Grobian, Klausnarr, Pavian, Urian, was man gewohnlich von dem frommen Liederdichter nicht erwartet. In bombaflifchen Beiwortern kommen ihm die Schlefier der zweiten Schule, in welche er hineinwuchs, wenig vor. «Als er mit feiner Karitille Abends perfonHch in keufcher und ehrengeziemender Liebe fcherzte», bringt er Honigfeim, Nectar, Zimmtrinden, Zucker- kandien, Ambra und Nardus zur Liebkofung. Metrifche Kunft treibt auch er: Packe dich Venus, weg von mir Dione, Packe dich Feindin, weg mit deinem Sohne, Deine verfluchten Liifte anzAifchauen Hab ich ein Grauen. Sein «Poetifcher und Hiflorifcher Luflgarten» (1666) zeigt ihn uns von einer andern Seite als Profaiker und Erzahler. Zwifchen die Schafereien und den eigentlichen Roman fchoben fich, dem epifchen Bediirfnifs zu geniigen, in diefen Decennien fonder- bare Gefchichtenerzahlungen ein, bald in Verfen, bald in Profa, zum Theil fich beriihrend mit dem Inhalt der Schaufpielprogramme, im Stoff oft den alteren Novellen entfprechend. Zuweilen meint man Romantiker vor fich zu haben bei dem wunderlichen Gemifch, das Neumark. Albinus. 277 darin zu Tage kommt. Neumark fagt, dafs er feine Gefchichtarten zum Theil aus dem Lateinifchen , zum Theil aus dem Niederliindi- fchen, zum Theil aus feiner eigenen Pfropffchule habe. Sein «Sieg- hafter David » id nur eine oberflachliche Verfificirung der Gefchichte Davids und Goliaths trivialfler Art, oft in's Unwiirdige, Grobe, Ge- meine, Flegeliche fallend. Ebenfo die Abigail. Es ifl intereffant, wie der Realismus, der hier verfucht wird, in den alten Grobianflil Oder vielmehr in den Stil der derbflen Niederlandifchen Genremalerei fallt. David nennt den Nabal Rakel, Tolpel. Abigail nennt ihren Mann Rolps, grober Sauertopf, Holz, Narrenkopf, Efeldirn, Tolpels- kopf; er liege neben ihr wie ein Holz und denke nicht an feine Fflicht, foffe, lebte wie ein Schwein, fei wie ein Bar, Hund, Schaf. Abigail felbft hat Korallenpforte (Mund), Alabafterflirn, Marmorhals, weifsgelbblondes Haar. Dann folgt die «Erhohete Fryne-Bozene», von Oalricus von Bohmen und feiner Brautwahl, ganz trivial behandelt. ^'iel beffer ifl diefelbe Gefchichte erzahlt von Joh. Georg Albinus. Beide Dichter bearbeiteten den Stoff nach dem berlihmten Cats. Xeumarks wVerfiihrerifche Cleopatra», und «Ungluckfelige Cleopatra» (mit BilderU; ift die trivialfle Reimerei; z. B. Als Asdrubal erlegt Ift in derfelben Stadt was merkliches gefchehn, So man zum Theile kann aus diefem Kupfer fehn. Die iibrige Gefchicht, weil man fie nicht kann fchauen, Soil meine Poefie der Feder anvertraiien. Auf meine Pamaffm, erzahle diefes Mai, "Wie dafs die Lieb auch fpielt bei Pulver, Blei und Stahl. Aus dem (1644 gefchriebenen?) «Filamon», einem Hercynien- Mifchmafch von Vers und Profa fei nur erwahnt, dafs der erfte Satz eng gedruckt iiber eine Seite lang ifl und der zweite die zweite Seite fiillt, das Ganze aber ein Blodwahn aufsergewohnlicher Art ifl. Und das ifl derfelbe Mann, der das: Wer nur den lieben Gott lafst walten — gedichtet hat! Joh. Georg Albinus (1624 — 1679) aus Weifsenfels , Lehrer, fpater Pfarrer zu Naumburg, ifl Neumark ahnlich darin, dafs er als religiofer Dichter Einiges leiflete. Er ifl fchwlilflig, fmnlicher und kraftiger als der Erzfchreinhalter der Fruchtbringenden. Er zeigt das z. B. in feiner Behandlung des hohen Liedes, in feinem «Traurigen Cypreffenkranz , Jiingflen Gericht, Freude des ewigen Lebens, Qual 278 Albinus. Schlefifche Poeten. Scultetus. der Verdammten» (1653). Schwall und Bombafl darin von Niirnberger Art. Der traurige Cypreffenkranz aus den heiligen fiinf Wunden Jefus gebunden -— fei hier erwahnt, weil der fchwlilflige Dichter ihn pegnitzifch - katholifch mit Apollo und der Mythologie aufdonnert. Alecto, Tifiphone blafen dem Ifchariot ein. Titan, Cyllarus, Diana rafen bei der Kreuzigung. Diana fragt nicht nach Endymion, Triton rumpelt mit feinen Wogen bis an des Orcus Schwelle — es ifl. das Moglichfle geleiflet. In den geifllichen und weltlichen Gedichten (1659) ifl Alles bis auf das oben genatinte nach Cats bearbeitete Gedicht fchwach.*) Ware diefes « Hirten Erofilos Liebe», wie es bei Albinus heifst, durchgeftihrt, wie bis zur Mitte bin, fo wiirde dies Gedicht beffer als Wielands breite tandelnde Jugendgefchichten ahn- lichen Schlags geworden fein. Epifch fiott fchreitet im erilen Theil die Fabel voran. Albinus iiberfetzte 1675 (nach Godeke) die «pia defideria» des Jefuiten Hermann Hugo, wie Wencel Scherfter. Die Stromungen aus Siiddeutfchland fehen wir fomit heraufdringen. Wencel Scherffer fahrt nach Schlefien zuriick, welches nun bald durch die Hoffmannswaldau-Lohenfleinifche Weife den alten Opitzia- nismus noch entfchiedener verabfchiedete. Der fchlefifchen Freunde und Nachfolger des Opitz, eines Koe- lers, Niifslers, des damaligen fchlefifchen Macens Mattheus Apelles von Lowenflern, des Daniel Czepko fei nur einfach Erwahnung gethan. Andreas Scultetus ifl durch Leffmg geriihmt worden und verdient Auszeichnung. (Ein Sterbegedicht 1640 von dem 1639 auf's Gym- nafium zu Breslau gekommenen Schuflerfohn r) Er hat bedeutende Phantafie, verweilt nicht in der Phrafe, geht kraftig von Bild zu Bild; Alles hat Character. «Mehr freu ich mich ein Menfch als Gabriel zu fein» wie die oflerliche Triumphpofaune fchliefst, diefer eine Satz hebt ihn aus Vielen heraus. Man follte meinen, man habe darin eine *) Die Abfchweifung zu den Toilettenkiinflen ifl characteriftifch. Die Scha- ferin Filene iibertrifft alle Nebenbuhlerinnen an Schonheit, nachdem fich alle haben wafchen miiffen und bei alien andern die Schminke herabgegangen ifl. Sie fchminken fich mit Purpurlappen. Waffer, gebraut aus Koth und Pferdemifl und Viehharn, wird zur Toilette gebraucht. Sie effen nicht, una fchlank zu bleiben, nehmen Tranke, um blafs auszufehen. Oft lecken fie ungelofchten Kalk und ftinken gleich den Bocken, fagt der undelicate Paflor, von Kohle, Rufs, Oel, Walperthau, Kreide, Zibeth, frifcher Barenklau, ja von Afche. Der Schlufs geht aus in ein edit niederlandifches Lob des Landlebens. Scherffer. 279 Ueberfetzung aus dem Franzofifchen, im «Blutfch\vitzenden und Todes- ringenden Jefus» eine folche aus dem Niederliindifchen vor fich. Jeden- falls hatte der junge Dichter etwas in fich, was ihn bei langerem Leben und richtiger Entwicklung zu einem Nebenbuhler des iVndreas Gryphius hiitte machen konnen. Wencel Scherffer von Scherffenflein (r — 1670), der fpatere OrganilT. zu Brieg, der Mufiker organico plectro canore, fleht mit einem Fufse noch in der alteren Periode. Er ifl es, der den alten Grobianus Dedekinds 1 640 nach Opitzifcher Weife umgearbeitet hat, der noch 1652 im neunten Buche feiner Geifl- und WehUchen Ge- dichte davon fpricht, es war wohl an der Zeit, jetzt den Theuerdank in die neue Art umzuarbeiten und vielleicht auch den Frofchmaufeler, wie es mit dem Reinecke Fuchs gefchehen. Wenn man fein Wein- Monats-Gedicht (erfonnen dem durch der Sonne Feuer gebrauenen Octoberbiere u. f. w. fiir die zwei Eimer dflerreichifchen Weines an feinen Verwandten Andreas Scherffer) liefl, dann meint man einen etwas jiingeren Ringwaldt vor fich zu haben, wie er, allerdings in Alexandrinern, das Lob und die Wirkung des Weins erzahlt, drollig und fcherzhaft, auch derb genug. Da werden, nachdem der Ofen im Uebermuth eingefchlagen ifl, alte und neue Tanze aufgezahlt, alle auf Lieder nach alter Weife, z. B.: Ich hat an einer Mtitz das rauhe rausgedrehet; — Wie gut fchmecket uns das Hutzeplutzer Bier; — Ifl dir das Hofeband u. f. w. Auch der Spott ifl da, dafs ihm eher einfallt nach polnifchen als nach deutfchen Liedern zu tanzen, nach Oden der Kofacken und was man in den Lagern pfeift und fmgt. Er tanzt auch nach Polen Art, den Beginn durch Stampfen anzeigend. In feinen Gedichten von 1652 fmd die eignen Gedichte von andrem Ton. Von Trink- und ahnlichen Liedern, die ihm gelingen, und von Ueberfetzungen abgefehen, fmd fie durchgangig mittehmafsig. Die Vorrede aber ifl gut, kurz, biindig, iiber die Schrecken des dreifsig- jahrigen Krieges anfchaulich (das Schlimmfle freiUch erzahlt er als in der Mark, in Pommern, im Reich und in Mecklenburg gefchehen, fo dafs er die erwahnten Grauel des Menfchenfleifcheffens u. f. w. doch nicht felbfl gefehen zu haben fcheint). Dann fetzt er lang- weilig genug poetifch ein, auch der Wiffenfchaft fich befleifsigend und feine Gelehrfamkeit verwendend. Einblick in den Inhalt der Gedichtfammlung wird inflruirend fein. Anakreontifche Lieder fchon hier. Opitz, Buchner, Niifsler, 28o Scherffer- Franke. Czepko, Koler, Rill, Tfcherning, Zefen, Fleming und Logau werden genannt. Holzern genug ill er, wenn er feine Weisheit verwerthet. Im erllen geiftlichen Gedicht fagen die heiligen drei Konige, dafs kein Abgott mehr bellehen werde, der Grauel Mahomets und Aly's (nach dem cilirten Olearius) werde zergehn; der Mexicaner wiirde den Vitziputzli haffen (nach Georg Braun und Johann Gonfale), die Samojeden wiirden nicht mit den Peruanern die Sonne anbeten (nach Olearius und Hulfius) u. f. w. Frifche Verwerthung fchien alien diefen Dichtern angebracht. Nun kommt weitere Weisheit liber Lorichius von Hadamar, der von poetifcher Art gefchrieben und gefagt, es ware die deutfche Sprache gar unedel und tolpifch, Ueber- fetzungen aus dem Polnifchen des Kochanowsky und der «pia defideria» des Jefuiten Hermann Hugo (viertes Buch) dazwifchen. Dann folgt in trauriger Weife eine Verfificirung in Alexandrinern aus Tacitus von der Alten Teutfchen Ankunft, Leben, Starke, Sitt und Gottes- dienll. Sodann erzahlt er uns, dafs Opitz aus Ernfl Schwabe von der Heyde die erlle Anleitung bekommen und Vondel den Opitz nicht fiir einen Poeten habe anfehen woUen, weil er fo viele Inventionen entlehnt habe. Das Intereffantefte find feine Ueberfetzungen aus Kochanowsky, dem die deutfchen Genoffen ubertreffenden frifcheren, freieren polnifchen Dichter. Manche kleinere Gedichte des Polen fmd vortrefflich. Er kennt, liebt und ahmt Anakreon nach; flellen- weife fcheint er der reine Mirza-Schafty. Eine leichte, freie Lebens- auffaffung in ihm! Eine eigenthiimliche Luft, verglichen mit der, in welcher die deutfchen Dichter diefer Zeit lebten. Wo Scherffer, wie im neunten Buch derber wird, wird er um etwas frifcher; es fleckt leider nichts dahinter. Seine ausfiihrliche Aufzahlung von deutfchen Poeten vor dem zehnten Buch ift intereffant. Joh. Francke, der anSimonDach fchreibt (Poetifche Werkei648): Deutfcher Flaccius, Sohn der Gotter, Andrer Opitz, Caflors Vetter Luft der Nympfen u. f. w. Oder : Es war gleich um die Zeit, wenn mit den fchwarzen Roffen Die Nacht um's Halbrund kutfcht, der Titan lag verfchloffen Im Untertheil der Welt — in geifllichen Liedern, im Draflifch-Realiflifchen beffer, Ueberfetzer vieler fremden Epigramme, Dichter eines grofseren epifchen Gedichts Gerhardt. 28 1 «Sufanna» ^1658', in welchem er aber vor Reflexion zu wenig zur Erzahlung gelangen kann, und mit ihm fein Freund Heinrich Held aus Rollock, fie konnten iins zeigen, wie in Frankfurt a. O. die poetifche Lull nicht erflarb. Fafl alle die behandelten Dichter, Opitz, Fleming, Rift, Rinck- hart, Zefen, Homburg, Neumark, die Niirnberger dichteten auch geifl- liche Lieder, die zum Tlieil, wie angefiihrt worden, zu ihren beflen Leiflungen zahlten. Martin Albinus in Danzig, A. H. Buchholtz, Scriver, Dilherr, der beriihmte Prediger in Niirnberg und Conner des Klaj, Job. Vogel ebendafelbfl , frtih nach Opitz « neuteutfche » Verfe machend, fowie Betulius, der Bruder des Sigmund von Birken, David von Schweinitz feien nur genannt, hervorgehoben aber nur einer, der befle unter den Dichtern des evangelifchen Kirchenliedes: Paul Ger- hardt aus Grafenhainichen (1606 — 1676). Gerhardt ifl aufser durch feine tiefempfundenen Lieder bekannt durch den Widerfland, den er als Prediger an der Nikolaikirche in Berlin den Unionsbeflrebungen des grofsen Churftirflen leiflete. Er legte in Folge deffen fein Amt nieder und wurde fpater Pfarrer in Liibben. i^Das Lied: Befiehl du deine Wege — ifl fchon 1659 gedruckt gewefen, folglich nicht mit der Amtsfuspenfion 1666 in Verbindung zu fetzen, wie poetifirende Erzahlung gethan hat.) Gerhardt ifl. einer der erfreulichften Dichter diefer ganzen Periode. In feinen bellen Liedern zeigt er ein fo harmonifches, klares Gemtith, ein folches Vergeffen feiner Selbft, ein Fernfein von aller Eitelkeit, von alien Gedanken an die Wirkung feines Gefanges, damit von aller Abflcht und Manier, innerhalb feines Kreifes und feiner Fahigkeit folche Fiille und ruhige, maafsvolle Kraft, dafs ihm in diefer Beziehung Keiner feiner deutfchen Zeitgenoffen nahe kommt. Er hat innere Anfchauung, kiinfl.lerifch verfcbonernde Phantafle. Seine Sprache ifl, fliefsend, doch nicht gelehrt eingefchniirt, fondern in der einfachen, im guten Sinn volksmafsigen Weife flch bewegend. Nie klebt er am Aeufserlichen und nie verliert er flch in Bilder. So einfach er einfetzt, wie Spee gern von der Natur feinen Ausgang nehmend, fo dringt er immer zum Hohen oder zum Hochften hin, dem Alles bei ihm dient. Fleming, Gryphius, Weckherlin, Spee, von Balde abgefehen, iibertreffen ihn, der Eine in Diefem, der Andere in Jenem. Aber in jener harmonifchen Grundftimmung, die doch der Kraft und Wiirde nicht ermangelt, iibertrifft er fie Alle. Und 282 Gerhardt. vveil er, voll feine tiichtige Perfonlichkeit gebend, dichtete ohne rechts und links zu fchauen und fich beirren zu laffen durch Tendenz oder Egoismus allgemeiner oder kiinfllerifcher Art, fo entfland bei feiner poetifchen Begabung Gutes und Erfreuliches und Wirkfames. Seine Poefie gab dem evangelifchen Kirchenlied einen neuen Halt. Nun ruhen alle Walder (1653) — Gottlob nun ifl erfchollen — Befiehl du deine Wege — O Haupt voll Blut und Wunden u. f. w. — as find bleibende Gedichte. Wie melodifch er fein kann, zeigt etwa fein Morgenfegen: (i) Die giildene Sonne Voll Freud und Wonne Bringt unfren Grenzen Mit ihrem Glanzen Ein herzerquickendes liebliches Licht. Mein Haupt und Glieder, Die lagen damieder Aber nun feh' ich, Bin munter und frohlich Schaue den Himmel mit meinem Geficht. (12) Kreuz und Elende, Das nimmt ein Ende; Nacli Meeres Braufen Und Windes Saufen Leuchtet der Sonne gewiinfchtes Geficht. Freude die Fiille Und felige Stille Hab ich zu warten, Im himmlifchen Garten Dahin find meine Gedanken gericht. Hier klingt es und fnigt es. (Ein fchoner Fortgang im Gedicht von der Morgenwonne, die fo morgenfrifch, morgenheiter gefeiert wird; danach der Gedanke an die Schwere und Trubnifs, der aber mit demfelben frohen Entzticken iiberwunden wird; auch Martyrium ifl Seligkeit fiir diefen frohen, frommen Glauben. Schon das Zuriick- greifen auf den Anfangsgedanken und feine Erhohung.) Andrerfeits zeigt fich in folchen Verfen auch eines Gerhardts die Annaherung des religiofen Gefangs an die Arie. Paul Gerhardt fand im Leben feinen Halt am flarren Lutherthum. Andere Gemiither, unbefchrankter ins Weite flrebend, unruhiger an- gelegt, fuchten nach alter myflifcher Weife weiter und welter, bis Scheffler (Angelus Silefms). 28 ^ die Einen ihr Ziel durch ihre tiefere Gemiithsbewegung fanden, Andere von einer Confeffion fich zur andern wandten, Anderen der Verfland fich wirrte. Jene Manner, welche im Pietismus, Arnd's Spuren folgend, fpater um ihr beriihmtefles hoch verdientes Mitglied Phil. Jacob Spener aus Rappoltsweiler im Elfafs (1635 — 1705) als einen Haupt- ftihrer fich fchaarten, haben keinen hervorragenden Reprafentanten in diefer Zeit aufzuweifen. Anders die zweite Gruppe, welcher einer der fonderbarflen theofophifchen Dichter angehort, Johann Scheffler oder Angelus Silefms aus Breslau (1624 — 1677). Scheffler war Proteflant, 1652 wurde er katholifch. Es ifl eine tiefe poetifche Kraft in diefem Manne; fiihrte diefe ihn mit zum Katholicismus, aus den phantafiearmeren Regionen zu denen, von welchen ein Spee und Balde fo beredtes Zeugnifs ablegten? Seine Ueberfchwenglichkeit in den noch proteflantifchen Liedern konnte darauf weifen. Der Aufenthalt in Italien — in Padua wurde Scheffler 1648 zum Doctor der Philofophie und Medicin promovirt — gab ihm nachhaltige neukatholifche Anregung. Spanifche Einfliiffe fmd fichtbar. Hier handelt es fich hauptfachlich um Schefflers wunderbare Sammlung von theofophifchen Spriichen des «Cherubinifchen Wanders- mann» (1657). Es ifl dies (nach der 2. Aufl. in 6 Blichern von 1675) ^i^^ Sammlung der allerbedeutendflen Art nach Inhalt wie nach Form.*) Scheffler griff gleich Arnd und Bdhme aus verflandes- trockener Zeit und Dogmawefen weit ins Mittelalter zuriick. Ein feltfames Gemifch ifl in diefem Manne gewefen, oft eine Weichheit wie in den geifllichen Dichtern des Mittelalters , folche Inbrunfl, Seligkeit; eine Reinheit und Klarheit in den poetifch-philofophifchen Verfen, die in der Faffung nach Inhalt und Form ihres Gleichen in der Zeit fuchen, von einer klaffifchen Einfachheit. Dazu Gedichte zum Theil hochfl barocker, auch fonfl gang und gaber Art, Chrifl- liches z. B. durch antike Mythologie aufflutzend. Spater Dichtung (Sinnliche Befchreibung der vier letzten Dinge, 1675) im gewohn- lichHen Stil, gefchmacklos, bankelfangerifch , grob und grobfinnlich *) Tauler fagt, was Gott aus Natur, das konnen wir aus Gnaden werden. Dies ifl ein Ausgangspunkt fiir Scheffler. Er weifl auf St. Bernhard, vor Allen auf Tauler, dann zum Rusbrochio (Joh. Ruysbroek 1293 — 1381}, Harphio, auf den Autor Theologiae Teutonicae und fonderlich auf die theologia myflica des Jefuiten Sandaeus und auf das Leben der ehrwiirdigen Maria de Escobar. 284 Scheffler. Knorr von Rofemoth. bis zum Sackgroben unci Eklichen, dafs man den Angelus Silefius der geiflreichen Sinn- und Schlufsreime des Cherubinifchen Wanders- mannes gar nicht vviedererkennt. So finnig, treffend, das Schwierigile oft fo einfach fagend er im Wandersmann ifl, fo roh, heftig, aufserlich wird er oft hier. Dort ein tiefer Pantheifl'), hier ein Zelot (vvie auch in feinen theologifchen Streitfchriften). Knorr von Rofenroth (1636 — 89) gehorte ahn- licher Myftik an. Auch er trat zum Katholicismus. *) Cherub. Wandersmann : Ich trage Gottes Bild : wenn er fich will befehen, So kann es nur in mir und wer mir gleicht gefchehen. Ich felbft mufs Sonne fein, ich mufs mit meinen Strahlen, Das farbenlofe Meer der ganzen Gottheit malen. Gott ift die ew'ge Ruh, weil er nichts fucht noch will, Willft du in gleichem nichts, fo bifl du eben viel. Eh' ich noch etwas ward, da war ich Gottes Leben. Drum hat er auch ftir mich fich ganz und gar ergeben. Ich felbft bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlaffe Und mich in Gott und Gott in mich zufammenfaffe. Du felber machft die Zeit: das Uhrwerk find die Sinnen, Hemmft du die Unruh nur, fo ift die Zeit von hinnen. Ihr Menfchen lernet doch vom Wiefenbliimelein, Wie ihr kdnnt Gott gefall'n und gleichwohl fchoner fein. Die Welt, die halt dich nicht, du felber bill die Welt, Die dich in dir mit dir fo flark gefangen halt. Ift deine Seele Magd und wie Maria rein. So mufs fie Augenblicks von Gotte fchwanger fein. Die Schrift ift Schrift, fonft nichts. Mein Troft ift Wefenheit Und dafs Gott in mir fpricht das Wort der Ewigkeit. Das Ei id; in der Henn, die Henn ifl in dem Ei, Die Zwei im Eins und auch das Eins im Zwei. Mein! richte dich doch auf! Wie foil dich Gott erheben, Weil du mit ganzer Macht bleibfl an der Erde kleben u. f w. Es ift eine Fiille zum Verwundern. In den vier letzten Dingen dagegen ift fchon die Vorrede gewohnlich, die Verfe find durchgangig gefchmacklos, aber fliefsend im popularen Stil. AUes, Holle und Himmel ift grobfinnlich. In der Kuhlmann. 285 Sinnvervvirrt vvurde der Mystiker Quiriaus Kuhlmann aus Breslau (165 1 — 1689). Der Weltvvechfel, den er aus den Zahlen- verfetzungen fah, verflorte ihn. Das Studium Bohme's erregte ihn tief. Er wollte Griinder einer neuen Religion werden, des Kuhl- raannsthums. In Konflantinopel, wo er den Sultan zu bekehren ge- dachte, kam er 1678 in Gefahr gefpiefst zu werden; 1698 wurde er in Moskau vom Patriarchen verdammt und verbrannt. Mit 15 Jahren fing Kuhlmann an zu dichten (feine Grabfchriften), dem Exempel des Martial, Owens, Muretens, Taubmanns zu folgen bellrebt. Opitz (nach der Aufl. von 167 1) heifst ihm der fchlefifche Homer, Gryphius der deutfche Sophokles, Logau der fchlefifche Martial. In den «himmlifchen Liebeskuffen» wirken Barth und der gelehrte und phantaflifche Jefuit Ath. Kircher (1601 — 80) auf ihn. Im Geschichtsherold (1673) ifl interessant, wie er gegen «Janen Huarten, den fpanifchen Arzt» polemifirt, der die Dichtung als Einbildungs- werk, als Gegenpart der Weisheit aufflelle «und denfelben aller Ver- ftandsgehorigen Wiffenfchaften unfahig nennet, welcher mit einem HoUe find Frofche, Kroten, Schlangen, Maufe, Wanzen, Miicken, Bremfen u. f. w. In der himmlifchen Stadt Jerufalem dagegen riechen z. B. die Menfchen nach Zimmtrinde, Benzoin und Amber, Rhodifch Oel und Nelken, find unkorperlicli, konnen durch Steine gehen. Grofsfiirfl Michael ift Erzmarfchalk. An's Herren Seiten gehn, die fich Urn's Himmeheich verfchnitten. Die Martyrer tragen Scharlach. Die Beichtiger kommen „gefprungen". Gabriel ifl der Maria treuer Oberfber Hofmeifter. Chrillus verfchenkt an die Ge- treuen Schldffer, goldene Palafle, Herrfchaften, Dorfer, an die Frauen Gefchmeide, Gold, Perlen u. f. w. Es ifl halb Ringwaldt-, halb Klajflyl, wie man fieht. Commodus, Nero, Sever, Decius u. A. fehen die geretteten Heiligen : Dies find die, murmeln fie bei fich, Die wir fiir Narren hielten, Mit deren Blut wir haufiglich Die wilden Thier erfiillten. Dies find, die wir als einen Schaum Des ganzen Volks verachten ! Dies find, die wir wie einen Traum Und blauen Dunft verlachten. Der ifl's, fpricht jener, der ftir mir Nicht einmal durfte mucken! Der bettelte vor meiner Thiir, Den trat ich auf den Rucken u. f. %\. 286 Kuhlmann. Dichterinnen. fiirtrefflichen Dichtungsgeifl begabet». Man follte Juan Huarten noch lange nicht verflehen (Leffing uberfetzte ihn). Kuhlmann bringt im «^efchichtsherold» ganz fchriftflellermafsig eine Reihe recht gut ge- fchriebener Gefchichten (Novellen) zum Theil nach Kircher; die erfle darunter ifl die Gefchichte von Deodatus von Gozon (d. i. Schillers Kampf mit dem Drachen). In feinen Dichtungen ifl manches Bild voll Schwung und Poefie. Die Fehler der zweiten Schlefifchen Schule herrfchen {lark in ihnen: erfl fpater machte er fich davon frei. Ganze Gedichte beftehen aus Auseinanderreihungen von Bildern. Sanftmuth ifl z. B. Band der Gottlichkeit, Sauhverk, Riefe, Licht, Mond, Leben, Flufs, Perlenkind, Schmuck, Spiegel, Strahl, Bronnen und Stern. Myflifcher Aberwitz verfolgt ihn in der ZahlenaufTaffung, deren Zufammenfetzung er nach Kircher treibt. Er bringt eine Reihe Verfe aus einzelnen Wortern und erzahlt wie viele hundert Millionen Mai fich diefelben verfetzen laffen. Sein bedeutendfles Werk war fein «Kuhlpfalter» (1685): fchwarmerifche Theofophie. Befondere dich- terifche Einwirkung hatte er nicht. Die tiefer ergriffenen, weicheren Gemiither fuchten eben in der Gottesfehnfucht Zuflucht und in der religiofen Tiefe Raum, llch auszu- dehnen. Sentimentalitat im fpateren Sinn gab es noch nicht, noch keinen Weltfchmerz. Es fiel das krankhaft-gefleigerte Gefiihl zunachfl und am leichteflen deshalb auf das Religiofe. AUes, was fich fpater in fentimentale Gefchlechtsliebe und Weltfchmerz entlud, machte fich jetzt in folchen religiofen Empfindungen Luft. Daher deren Ueber- fchwanglichkeit, Krampf- und Krankhaftigkeit in fo vielen Fallen. Die Reimfreude hatte auch Frauen erfafst, nachdem das Verfe- machen fo leicht und fo ehrend geworden war und man gelernt hatte, dafs gute, fromme oder iiberhaupt verflandige Gedanken in Vers und Reim gebracht, Poefie feien. Wo wirkliches Talent fich regte, konnte der Erfolg zum mindeflen kein grofserer als bei den Mannern, mufste im Durchfchnitt wegen befchrankterer Anfchauungen geringer fein. Dorothea Eleonora von Ro fen thai aus Schlefien fei hier er- wahnt, weil fie in ihren «Poetifchen Gedanken» (Breslau 1641) eine Zeugin des Intereffes und der Begeiflerung fur die Opitzdichtung und die Wirkung ifl., welche der junge Zefen iibte. Der Anfang des fonfl. inhaltslofen trivialen Gedichts erzahlt, wie die Damen, durch das Lob des Landlebens von Opitz begeifl.ert, fich in die Kutfche fetzen und auf das Vorwerk fahren. Dann folgen Lobverfe auf Opitz Dichterinnen. C. R. v. Greiffenberg. 287 wegen feiner Jamben und Trochaen, auf Buchner wegen der Da6lylen and auf Zefen wegen der Anapafle, der Sapphifchen Verfe und feiner eigenen, neulich erfundenen Zefen-Art. Sibylla Schwarz aus Greifswald (162 1 — 1638) ward in der Folge, nach der Herausgabe ihrer Gedichte durch ihren poetifchen Lehrer Gerlach ^1650), viel genannt. Die Jungfrau hatte leider, wie Gerlach's Vorrede zeigt, einen fehr mittelTnafsigen Lehrer. Man be- greift, dafs fie unter deffen Anleitung nichts Befferes in folcher Jugend dichten konnte. Unter den hohen Frauen, welche als Dichterinnen religiofer Lieder auftraten, ill Louife Henriette, Kurfiirflin von Brandenburg 1627 — 67 mit mehreren religiofen Liedern (Jefus, meine Zuverficht) am bekannteften. Die Pegnitzer und Zefen nahmen Frauen in ihre Gefellfchaften auf. Die Pegnitzer allein konnten fpater (fiehe Herdegen) mit einer langen Reihe Dichterinnen auftreten, mit Frau Dobeneckerin, Stock- tlethin, Limburgerin, Penzlin, mit der auch von Morhof anerkannten Frau Mollerin zu Konigsberg — alle kaiferliche gekronte Dichterinnen — und Anderen. Anna Owena Hoyer, die Schwenkfelderin , ward friiher zu den mannlichflen unter alien deutfchen Poeten ihrer Zeit gerechnet. Von Frau Catharina Regina von Greiffenberg") (1633 — 94) hatte man Lufl, im 7. Jahrzehnt Aehnliches zu wiederholen. Sie ifl fo klihn, gedankenvoU, feurig, oft fo concentrirt und fo fchlagend einfach, dafs fie mit Gryphius die tieffle, characlervollfle poetifche Kraft ihrer Zeit in Deutfchland genannt werden kann. Ihren Namen: die Tap fere — in der Zefifchen Lilienzunft (1676), deren Vorfitzerin fie ward, hat fie mit Recht bekommen. *) 1662 ift fie Friiulein, 1675 Frau von Greiffenberg, Freiherrin von Seiffenegg, genannt. In der Vorrede der 1663 und 64 gedichteten „Siegesfaule" fagt fie: fie habe damals keine Hausforgen gehabt, ware aber zu andern weiblichen Uebungen angehalten, „dafs ich alfo zu diefer faft die Stunden flehlen mufste". Nie hatte fie die Ueberfetzung des Bartas und die angehangten Sonette herausgegeben, „wenn nicht mein liebfter Freund auf Erden, nemlich mein Gemahl, folches verlangt und an mich begehrt hatte, dies Einige von politifchen Dingen herauszugeben, welchem ich nichts abfchlagen kann und folle". Ift Hans Rud. von Greiffenberg, Freiherr von Seiffenegg, der fich in der Vorrede der ,,Geifllichen Sonette" ihren Vetter nennt, nach der Vorrede aber ihr Oheim ifl, ihr Mann geworden? 288 C. R. V. Gieiffenberg. Intereflant und fcherzhaft ill die Vorrede des Herausgebers ihrer Geifll. Sonette, Lieder und Gedichte (nunmehr zum Ehren-Gedachtnifs zwar ohne ihr Wiffen zum Druck gefordert durch ihren Vetter H. R. von Greiffenberg. Niirnberg 1662). Er plaidirt fiir die Berechtigung der Frauen durch Beifpiele aus der Bibel. «Es ift ein grofser Unterfchied zwifchen einem Virgil und Baven oder Meven, zwifchen einem Opitz und Hans Sachfen». (Das war das Urriieil 100 Jahre nach Hans Sachfens Tod in Niirnberg, wo, wie es fcheint, Greiftenberg lebte). «So wenig ein blofses Bild, weil ihm die Seele mangelt, ein Menfch ift, fo wenig ifl ein blofses Zeilengebaude ein Kunflgedicht zu nennen, weil ihm die fonderbare Ausfiindigkeit und rednerifche Kunflzier als die Seele eines Redge- baudes abgeht. Noch fmd heutzutage deren viele, welche nur ein leeres Gereim und Geleim ohne lehrhaften Nachdruck und tapfere Worterpracht daherfchmieren». Mit Berufung auf Mitglieder der fruchtbringenden Gefellfchaft fpricht er dann aus: «die rechte und echte Dichtkunfl befleht in nutzbarem Kern-Inhalt und in ungemeinem beluflbaren Wortpracht.» Das Lobgedicht des «Sinnreichen» auf Catharina Regina — Wie wenn der griine Mai die Felder tapeziret Mit Schmelzwerk der Natur — ware gut zum Motto des Unfmns. Wie die Nurnberger Theorien wirkten, lehre uns der «Erwachfene», welcher die Dichterin fo feiert: Hande von weifsfeidnem Flor, (Die die Hande der Natur Mit faffirnen Faden fticken,) Betet an die Mannerwelt. Jeder will auf diefes Feld Einen Lieb und Ehrkufs drticken. Was foil wolil alsdann gefcheh'n, Wenn die fchone Hand fo fchon Schreibt ein geiflig Kunflgedichte r Wer kein Mopfus ifl, der richtfe. Eine Schnee-Alpafler Stirn (Die mit giildnem Locken-Zwim Sonneflrahlend ift behangen,) Mannerherzen an fich riickt: Jeder wiinfchet fich beflrickt, Und in diefes Netz gefangen. C. R. V. Greififenberg. 28q Wie, wann unter Haar und Stim Wohnt ein gottlich's Geifl-Gehiin? Ach die felbfte Lieb, zu lieben So ein Bild fiihlt fich getrieben. Gegen folche Reimereien flicht dann die deutfche Urania, wie Friiu- lein von Greiffenberg auch wohl nach dem Titel ihrer Liederfamm- lung genannt wurde, gliicklicher Weife ab. Sie id ein bedeutender, aus innerem Trieb und auch innerer Fiille dichtender, nachdenklicher, klarer Geifl. Unter ihren 250 So- netten ifl natiirlich Vieles weniger oder wenig anfprechend, aber nirgends ifl oberflachliches Spiel; Vieles id tief, kraftig, Manches grofsartig in Bild und Gedanken im guten Sinn der Phantafie der Niirnberger, wenn auch mit barockem Anflug. In den Liedern (der teutfchen Uranie Himmel-abflammend und Himmel - entflammender Kunflgefang in 50 Liedern, untermifcht mit allerhand Kunfl- Ge- danken) will fie zu viel Schwung, Lufl. zur Weisheit, zum Glauben zeigen. Wahrend fie fich in den Sonetten mehr concentriren mufste, wird auch fie hier breit und mehr Reimerin als Dichterin. Dadurch dafs Alles auf Gott gewendet wird, verliert fich obendrein das freie geiflige Walten; eine flereotype Behandlung tritt ein. In der « Sieges -Saule der Bufse und des Glaubens wider den Erbfeind chrifllichen Namens aufgeflellt und mit des Herrn von Bartas geteutfchten Glaubens Triumf gekronet» (gedichtet 1663 und 64, herausgegeben von Schlofs Seiffeneck aus 1675) ^ritt ihre kraftige Eigenthumlichkeit voU hervor, deretwegen fie mit Anna Hoyer ver- glichen ward und welche fie nach der mannlich - feurigen Seite aus- zeichnet. Die Dedication diefes Buches der Frau ift « an mein wer- thes Teutfches Vaterland» voll gliihenden Patriotismus , in mancher Beziehung von libermafsigem SelbRbewufstfein, an die Hoyer und die Myfliker erinnernd, wie fie wider die TUrken und die Schlaffheit der Deutfchen eifert: « Da bin ich zu Gott und wider den Rifs getreten, da hab ich den Himmel in meine Arme gefafst und mit ihm ge- rungen, bis er mir nach und gewonnen gegeben, wie du, o allerlieb- fles Vaterland in der That und Wahrheit erfahren haft, dafs, dem Himmel fei Lob! der Krieg eher als meine Schrift voUendet war. » Kraft, Vernunft, Warme, auch Befcheidenheit, aber niemals Kriecherei, ift in ihren Worten, fo verfchieden von den bald trotzigen, bald knechtifchen, heuchlerifch-demiithigen Vorreden der meiften damaligen Lent eke, Gefchkhte der deut/chen Dichtung. 19 2Q0 C. R. V. Greififenberg. Poeten. Lehrhaft-breites , Predigendes wechfelt in dem liberlangen Gedicht (Alexandriner) mit manchem Kraftvollen, Wahren , Frifchen, Tiefen. Gegen Geiz, Habfucht, Stolz, Hoftahrt, Neid und Hafs fchleudert fie Strafvvorte. Vom Geiz ruft fie: erwiirgt das Tigerthier — — Hinweg! weg! kreuzigt ihn! — — Er giebt als Gott fich aus. Der lofe Mammon ifl Der Juden Konig ja, verfiihrt durch Trug und Lift Den meiften Theil der Welt! Die Kunfl Macchiavelli's, warnt fie, wird der Ochfe des Phala- ris fiir den Kunfi.ler! Adlerreich, reifs wie der Lowe durch die Spinnweben! erfchallt ihr Ruf. Die Gedanken find vortrefflich; gut der Rath, gut die Anfchauung deflen, was im Volk und Staat fiir Oeflerreich Noth that. Dafs Catharina Regina freilich hinfichtHch der Theorie nicht iiber ihrer Zeit fland, lehrt leider die weitere Durchficht ihrer fiir die Zeit intereffanten Siegesfaule. Wir fehen darin die Auffaffung und Behandlung, wie fie Birken in den ahnfichen hofifchen Wer- ken zeigt. Nach Trefflichem kommen religiofe Erniedrigungen vor Gott im Ungefchmack der Zeit; fie tragt zu flark auf, wird breit und kann kein Ende finden. Der organifch fich entwickehide Inhalt fehlt. Befchreibungen , kiinflHche Einfchaltungen aus allem MogUchen, aus Natur und Gefchichte follen ihn erfetzen. Ein trofllofes Gottes- geplarre hebt an; dann folgt eine verfificirte Gefchichte der kriege- rifchen Ausbreitung des Muhamedanismus , die Gefchichte der unga- rifch-ttirkifchen Kriege. Kraftige Ziige leuchten hie und da hindurch. Sodann kommt eine Ueberficht iiber die Volker ihrer Zeit; grofs ifl dabei ihr Mitleid mit Polen, das wie ein Ring zum Kriegsfpiel fiir Jedermann danach zu rennen hinge. Dann folgt wieder ein Aufruf, gegen die Tiirken zu kriegen; jede Schwangere flehe ja auch beim Gebaren in Todesgefahr. *) In endlofer Breite geht es dann wieder *) Es ift fonderbar, wie wenig die Herren der Schopfung gemeiniglich die Furchtlofigkeit und die Todesgefahren der Frauen in folcher Beziehung pfycho- logifch und philofophifch-moralifch verwerthet haben. Jeder Soldat, der in's Feld zieht, wird verherrlicht; von der Schwangeren, deren fchwere Stunden und Gefahren gewifs find, wird, auch alle fonftigen Riickfichten in Anbetracht gezogen, fehr wenig Aufhebens gemacht. Die Dichtung in Siicldeutfchland. 2QI dahin liber Gott, Chriflus, Tugend u. f. \v., dafs kaum der Kern zu faffen iR. Das angehangte, iiberfetzte Gedicht von Bartas: le triumphe de la foy — zeigt uns das Vorbild und diefelben Fehler. Danach fol- gen noch vortreffliche Sonette von der Dichterin, in denen fie den BeRen jener Zeit gleich ill. Catharina Reg. von Greiffenberg iibertrifft an energifcher Kraft alle ihre Mitdichter, Rifl, Zefen, Schottel, Birken, Neumark u. f w., auch den furftlichen Dichter, der zur felben Zeit mit ihr feine «Geifl- lichen Reimgedichte» erfcheinen liefs (1663), Guflav Adolf von Meck- lenburg, der ernft. und tiichtig, aber vor Lufl an Reuegefiihlen fich in der Poefie nicht kraftig emporreifst. ") Diefe deutfche Urania oder Clio des Ifler-Strandes lafst uns mit dem Dichter Hohenberg, deffen epifchen Verfuch wir noch kennen lernen werden, doch in Etwas den Geifl gewahren, der damals in den hoheren Kreifen des Oeflerreichifchen Landes herrfchte. Es war die Epoche, welcher Prinz Eugen dort vorantreten follte und welche auch in der Architectur in Wien ihren zwar barocken, aber grofsflrebenden und bedeutfamen Ausdruck bekam. Die Greiffenberg zeigt uns, wie man in den Siidofl-Marken der poetifchen Bewegung folgte. Die oberen Stande fchliefsen fich all- malig der Neuerung an. Die Fruchtbringende Genoffenfchaft wird hier mehr genannt als Opitz; die hohen Herrn und Fiirflen eben mehr als der gelehrte Poet. Dann haben die Niirnberger, als dem italienifchen und lateinifch-poetifchen Stil zunachfl flehend, ihre Ein- wirkung. Birken war, wie wir gefehen haben, der Hauptvertreter. *■) In feinen Oden macht das Lied iiber den loi. Pfalm eine frifche Aus- nahme, die freilich dem Bearbeiter kaum zuzufchreiben ifl. V. 2. Was bofe ift, nehm ich nicht fiir, Den Uebertreter haffe ich, Ich weife ihnen bald die Thiir, Und hafs' fie, weil fie haffen dich. Verkehrte Herzen leid' ich niclit. Die Bofen miiffen weg von hie, Wer von dem Nachflen iibel fpricht, Vertilg ich ftrax und leid ihn nie. Wer ftolze Sitten an fich hat Und hohen Muth, den mag ich nicht u. i. \v. I9» 2Q2 Die Dichtung in Siiddeutfchland. Franzofifcher Einflufs wirkt mit dem italienifchen ein; der nieder- landifche dagegen, der burgerlich proteflantifche tritt zuriick. Der norddeutfche burgerlich- gel ehrte und allerdings fo langvveilige Geifl gelangt hier nie fo fehr zur Herrfchaft, dafs er die Mittelfchichten ergriffen und dominirt hatte. Der «neue Menfch», der dahinter fleckte, kommt aber deshalb auch dem oflerreichifchen Biirgerthum nicht zum Bewufstfein; diefes beharrt im Geifl in dem jetzt nichts we- niger als regen, fortfchrittlich niitzlichen, alterthiimlichen Stil und es finkt natiirlich flehen-bleibend gegen die Voranfchreitenden zuriick. Die Mittelfchichten, hier, in Baiern und uberhaupt da, wo man unter der Herrfchaft des Katholicismus jenen neuen Geifl fernzuhalten wufste, blieben dadurch in mancher Beziehung frifcher, nach alter Weife gemiithlicher, volksthiimlicher. Aber fie flanden dadurch zu den gleichen in Norddeutfchland etwa wie Zwei, von denen der Eine eine pedantifche aber fchliefslich doch fordernde Lehrzeit durchmachte, wahrend der Andere davon verfchont, aber ohne Schulung unficherer und folglich auch unbedeutender blieb. Wie fchon bei Balde hervorgehoben ward, herrfchten im fiid- lichen Baiern die lateinifchen Jefuiten oder die altere deutfch-volks- mafsige Poefie, die fich langfam, wie Balde felbfl zeigt, den neuen Formbefferungen anbequemte. Jene fchwungvoU, hochflrebend und wieder auf Grazie und Feinheit ausgehend, im angegebenen manie- riflifchen Stile, diefe unbeholfen, unkiinfllerifch und plump. Im fiid- lichen Schwabenlande nahm man die nord-oflliche Neuerung gleich- falls nur langfam und nicht fehr gutwillig auf. Im Volksleben und der poetifchen Volksweife war bei allem Ungefchmack und allem Mangel an Entwicklung doch fo viel frifcher Saft und Kraft, dafs man der gelehrten Abflraction von Opitz nur mit Widerflreben fich bequemte. Andreae's und Weckherlin's Art fland mit Recht der neuen, herrfchend werdenden Dichtung entgegen, doch Fortfetzer und Verbefferer hatten fie nicht. So machten fich die Vorziige der neuen Form und die tieferen Triebkrafte der Opitzifchen Dichtung auch hier geltend. Friedr. Greifif mit feinen fchon oben genannten Bear- beitungen alterer Gedichte nach Opitzifch-reiner Art in feiner wGeifl- lichen Gedichte Vortrab» (Tubingen 1643) war hier Finer der Erflen, der, freilich in fehr trivialer Art, nach Opitz, Buchner und Zefen iiber Metrik vorredete und verfelte. Der breite, nach Gewahltheit Rrebende, poefielofe Chrifloph Kaldenbach, der von Konigsberg 1638 Die Dichtimg in Stiddeutfchland. 2Q^ als Profellbr nach Tubingen kam (und dort 1683 feine Deutfchen Lieder und Gedichte herausgab), konnte kein gutes Beifpiel geben. (Kaldenbachs Gedichte reichen bis 1638 zuriick.) Aehnlich war nun die Entwicklung im iibrigen Siidwefldeutfch- land. In der deutfchen Schweiz kam man erR ziemlich fpiit zu dem Bewufstfein , dafs man in der Poefie einen anderwarts fiir alterthiim- hch erachteten Standpunkt einnehme. In feiner eignen Weife, etwas fchwerfiilHg aber ruhig und nicht geblendet durch die nordofl- deutfchen Erfolge ging man hier nun den weiteren Gang. Wenn J. H. von Traunsdorff, der mit Logau genannt warden mag, in feinen 3000 Gedichten und Spriichen noch ganz der alten Schule angehort, fo fehen wir Joh. Wilh. Simler in feinen «Teutfchen Gedichten» (Zurich 1648) zu der neuen Schule den Uebergang machen. Aus der Vorrede erfieht man die Anregung, welche durch die Fruchtbringende Gefellfchaft (der Drucker Bodmer wunfcht in eineni Sonett hochfl. naiv, dafs die Fruchtbringende Gefellfchaft Simler als Mitglied aufnehmen moge), und die angefiihrten Opitz, Buchner, Venator, Niifsler, Weckherlin, Hiibner, Werder, Lund, Rift gekommen war. Simler, damals Zuchtherr im Collegio Parthenico in Zurich genannt, erklart, er habe friiher die deutfche Poefie nicht geachtet, jetzt aber diefe Gedichte gemacht, doch nicht in fchonen Redens- arten, fondern nur einfach und zu alten fchonen Gefangsweifen. Gegen die Reimereien von heidnifchen Gdttern und Gottinnen, als der leicht- fertigen Venus und ihrem garftigen Sohne Cupido, woraus verdamm- licher Schade komme, erklart er fich ftreng, tadelt aber auch die iibelklingenden Verfe. Seine Gedichte find mehren Theils geiftliche. Simmler ift chara6lervoll, phrafenlos, ernft und einfach, alterer deutfcher Art in feinen Anfchauungen. Metrum und Form haben liber ihn keine Gewalt. Es ift kein Schwung noch befondere Phantafie in feiner Dichtung, aber es ift diefe Ausflufs eines innerhalb feines Kreifes tUchtigen, die Welt verftandig anfchauenden Chara6lers und damit von einem gewiffen Intereffe. In feinen «Ueberfchriften» nimmt er diefelben noch im alten Sinn. Er hat darin viel mit guter Ehe, Tifchzucht u. f. w. zu thun, lehrhaft, ehrbar, aber ganz hiibfch zu lefen, weil Alles kurz und finnig, freilich auch ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, gefagt ift: ^) ein hoherer Ringwaldt in diefen Dingen. *) Schon er heifst den Fifch nicht mit dem Meffer fchneiden und fiir keine Speife das Meffer zum Einfchieben benutzen. 204 I^i^ Dichtung in Siiddeutfchland. Im Uebrigen ging die Poefie in der Schweiz ihren alten Gang waiter. Die alteren Anfchauungen und Richtungen wogen hier noch vor, wahrend fie in Deutfchland zvvar noch grade fo, namentlich im Siiden und Nordweflen beflanden, aber erfl in zweiter und dritter Linie und vor den Neuerungen nur noch eine kiimmerHche, immer geringer werdende Geltung hatten. 9. Die Satiriker. Kann die Gefchichte der Dichtung einen noch grofseren Abfland zeigen zwifchen Wirklichkeit und idealem Streben? Und ftir den erflen Anblick fonderbarere Ideale, foweit fie hinter den Lehren, die uns fo trivial diinken, und den gedrechfelten Phrafen, die uns fo langweilig und komifch vorkommen, zu erkennen find? Was das deutfche Volk feit dem dreifsigjahrigen Krieg litt, war grauenvoU. Was aber ifl Inhalt und Ziel feines poetifchen Traumens? Was wird geliebt, gehafst, erfehnt und gelehrt ? Und wie lange noch mufste man warten, bis man den neuen Menfchen nun wirklich angezogen, das erflrebte moderne chrifllich- philofophifche Gleichgewicht gewonnen hatte, Muth bekam, die Gangel- bander loszulaffen und fich frei in der Welt umzufchauen und die- felbe fich zurechtzulegen, die Kraft, nach wahrem fchonem Menfchen- thume zu ringen! Welch' ein Jahrhundert in der Oede und Ver- kehrtheit fland noch bevor! Welche Zuflande aber mufsten vorher- gegangen fein, um folche Gegenwirkungen nicht bios hervorzurufen, fondern fie in den Augen der Zeit felbfl als heilfam, die Perrticken- lehre als idealifch erfcheinen zu laffen! Die bisher betrachteten Poeten waren vorwiegend Lyriker und Dida61;iker. Die, welche fchon die nachfolgende Zeit nach Satire und Drama ftir fich zu nennen pflegte, mogen auch hier gefondert er- fcheinen. Sahen wir fchon bei den Friiheren, dafs die aus der Feme wie eine einzige Kette erfcheinende fogenannte Opitzifche Schule — gemeiniglich die erfle fchlefifche Schule genannt — fich in eine Reihe von Einzelziigen aufldft, zu deren meiflen Opitz allerdings der Knotenpunkt ill, dafs aber auch Querziige und fogar felbflandige Gruppenbildung nicht fehlen, fo werden die Folgenden das Bild noch 2q6 Die Satire. etwas maiinigfacher erfcheinen laffen. Wir find und bleiben dabei freilich in Hohenziigen, welche in ihren beflen Parthien nur die Ge- flaltungen eines Mittelgebirges erreichen. Die Satire gehort in fo weit zur hoheren Poefie, als fie ein Ideal hat, mit dem fie das Verfpottete oder Verdammte zufammenhalt, um es eben danach zu verlachen oder zii verwerfen. Dies Ideal kann vorwarts oder riickwarts in der Zeit liegen, revolutionar oder rea<5lionar, freifinnig oder confervativ fein. Manche Satiriker fchlagen blind um fich oder fuchen in jeden Punkt, den ihr Witz oder iibler Humor ftir verwundbar halt, ihre Bolzen zu fchiefsen. Sie treiben die niedere Jagd in der Satire. Die hohe Jagd bilden die grofsen, gefahrlichen Lafler der Zeit, die nicht bios angeklafft werden foUen, wie der Finder- hund den Baren umklafft, fondern angepackt werden miiffen. Grofse Satire verlangt viel Muth, am beflen den Muth der Ueberzeugung. Wer ihn nicht hat und in dem immer perfonlich gefahrlichen Spiel nicht hoch einfetzt, kann nie hohe Treffer ziehen. Was wagten Ari- flophanes, Juvenal, Luther, Hutten, Rabelais ! Gedeckter fchon durch die eigne Parthei ging Fifchart vor, aber er hatte den echten fatirifchen Muth. Die grofse Satire ifl fehr felten, weil fie ideale Gewalt, Witz und Muth vereint vorausfetzt. Sie entfleht gewohnlich in grofsen Wendepunkten des Volkslebens. Reichthum an Satire mittelmafsigen Schlags ifl ofter ein Zeichen des Zerfalls als des Fortfchritts. Hatte man ein fefles Ziel und die nothige Energie, fo wiirde man fich nicht bei dem Geplankel des Spottes beruhigen, fondern mit hohem Pathos^ vorwarts dringen. ' Die idealifirende Poefie ntitzt gewohnlich dem culturhiflorifchen Intereffe allgemeiner Art unmittelbar wenig, hat audi in keiner Weife die Aufgabe. Die Satire ifl. meiftens ein befferer, wenn auch gleichfalls kein getreuer Spiegel der Zeit. Sie verzerrt zu oft die Ziige in die Cari- catur, oder fie tragt ftark auf, um flark zu wirkeii; fcharfe Linien, grelle Lichter und fchwere Schatten gebraucht fie. Sie wahlt befondere Standpunkte, Vogel- oder Frofch-Perfpe6liven jenachdem. In der un- endlichen, allgemeinen Reihe der Unvollkommenheit erftrebt fie keine hohere VoUkommenheit, wie es die pofitive Kunfl verfucht; fie ftellt die VoUkommenheit nicht als Ideal, fondern als eine Norm hin, um den Abfland der geriigten Unvollkommenheit als aufserordentlich er- Die Satire. Die Piofn. 297 fcheinen zu laffen. Diefe Befonderheiten der Satire find fiir Satiriker nicht zu vergeffen. So interelTant einige der folgenden Manner vom culturhiflorifchen Gefichtspunkt aus find, fo konnen fie doch hier, wo vorzugsweife die Entvvicklung der Dichtung in's Auge gefafst vvird, keine eingehendere Behandlung finden, als ihre und ihrer Werke Wirkung auf jene ge- bietet. Ihr eigenthlimlicher, allgemeiner Werth moge alfo nicht nach der Lange der Befprechung gemeflen werden. Zwei Profaiker mogen vorangehen. Sie flreifen beide in andere Gebiete aus der Satire heraus, der Eine in den Sittenroman, der Andere in die Theologie und das allgemeine Schriftflellerthum. Ueber die Profa felbfl einige Worte. Auch fie war bis zu der Opitzifchen Zeit beim alten Stil geblieben. Als Kunfl war fie vernach- lafiigt. Nur im officiellen Gebrauch hatte man fie, falls man nicht Latein anwandte, verkiinflelt zu den Verfchrankungen und Verfchnorkelungen des Curialflils. Zu Opitz' Zeit und nicht zum wenigflen durch feine Bemiihungen begann audi in der Profa das Renaiffanceflreben und zwar befonders nach dem Vorbild des fchon entwickelteren, ge- fchloffenen, logifch fcharfer gebundenen franzofifchen Satzbaues. Opitz mit feinem klaren, leicht difponirenden Verflande fchrieb, abgefehen von den Dedicationen, in denen der fleifere Canzlei- und Schnorkelflil officios war, leicht und im guten Mittelmafs hinfichtlich der Kiirze und Lange und der Bindung der Satze, im Ganzen freilich feiner Natur gemafs mehr trocken als frifch, mehr genau und fliefsend als chara6leriflifch : der Stil der planen Logik. In fo weit entfprach er dem franzofifchen und zugleicli dem neuen allgemeinen Ideal; nur die Kraft und Gefchmeidigkeit, welche die Franzofen gewannen, das Feuer ihrer Sprache, die doch dem fcharfen Ziigel fich fiigte, konnten weder er noch feine Nachfolger ihrem deutfchen Stil geben, da die Eigenthiimlichkeiten der damaligen den franzofifchen Stil bil- denden franzofifchen Gefellfchaft nicht hinter ihnen flanden. Nuchterne Deutlichkeit als Nutzen, fchnorkelhafter Unfinn zum Ergotzen — danach theilte fich auch durchgangig die deutfche Profa des neuen Stils, wo fie poetifch in Betracht kommt. Verfuche gelehrter Art, wie fie Zefen machte und fpatere Zeiten wiederholt haben, wurden fchon angefiihrt. Daneben ging der alte Stil. Wie vor Jahrhunderten fchon haben Anfangs des 17. Jahrhunderts wieder die Myfliker in die Profa ein- gegrifien durch ihre Verfuche, die fchwierigften Gedanken und Gefuhls- 298 Mofcherofch. probleme deutfch denkend and fprechend zu bewaltigen. Die wiffen- fchaftlich-rechte Ausbildung, wonach die Zeit rang, konnte freilich der deutfchen Profa Jacob Bohme nicht geben, wie fie Descartes audi hinfichtlich der Profa den Franzofen gegeben hat. Aehnlich wie in der Poefie fehen wir aber fiir die Profa neben den Beflrebungen eines Opitz eine volksthiimlichere Renaiffance, welche wir auch hier aufserlich an Zincgref und zwar an feine Apophtheg- mata anfchliefsen konnen, die den alteren Erzahlungsflil nicht kurz- weg aufgeben. Dabei ill zu beachten, dafs fiir behagliches Sich- Gehenlaffen und gemiithliche Erzahlung der altere Stil fo bequem wie draflifch war und das voile Leben und ^den Volksgebrauch hinter fich hatte. Philander vonSittewald nannte lich der beriihmte Verfaffer der fatirifchen Sittenfchilderungen, welche unter demTitel der «Wunder- lichen Gefichte» fich eine dauernde Anerkennung gewannen und uns tief in das Leben jener Zeit einftihren. Johann Mich. Mofcherofch in der wirkliche Name des Verfaffers (1601 — 1669). Mofcherofch, (einer aragonifchen Familie entflammend, fein Ahne, Hauptmann Mufenrosh war unter Karl V. nach Deutfchland gekommen) geboren in Willfladt im Elfafs, fludirte in Strafsburg. Er erwuchs in den alteren und fpeciell fiidweildeutfchen Anfchauungen, wie fie fich im Uebergang von Fifchart und Spangenberg zu Andreae, Zincgref, Schneuber und Rumpler darflellen. Wohl lernte er die franzofifche Literatur, nach beendeten Studien auf einer Reife durch Frankreich auch das franzofifche Volk kennen, brachte aber mehr Abneigung als Wohlgefallen an demfelben heim. Mit Zincgref ward er in feinen Jugendjahren bekannt und arbeitete fiir denfelben, wie wir oben bei Gelegenheit der Zincgreffchen Apophthegmata gefehen haben. Wie aus feinen Citaten, vor AUem aus den Lobeserhebungen hervorgeht, trat er in den Kreis der Anfchauungen, wie diefelben Zincgref's Gedichtfammlung characlerifirt*). Er felbfl. beharrte als Profaiker bei diefer Weife, in noch ausgepragterer volksthiimlicher Art als die Schneuber und Rumpler in Strafsburg. Andreae und Weckherlin find und bleiben fiir ihn die grofsen Dichter; Opitz wird im Ganzen kiihler behandelt und finden fich mit deffen Beflrebungen nur die '■■) Zincgref ging 1623 nach Strafsburg: 1626 war er nach kurzer Abwefen- heit wieder dort; ebenfo Bahhafar Venator und Chriftoph Colerus. Mofcherofch. 299 allgemeinen Beriihrungspunkte, wie Lob des deulfchen Wefens, der alten deutfchen Helden u. f. w. Dagegen tritt mit der Fruchtbringen- den Genoffenfchaft nahere Beziehung ein; Mofcherofch ward auch als Traumender ihr MitgHed. Ein Lyriker war Mofcherofch nicht und wollte er nicht fein. Er hat bezeichnender Weife fich in der franzofifchen Literatur wenig mit Ronfard und Genoffen zu fchaffen gemacht, dagegen viel mit dem grofsen ElTaiflen Mich, de Montaigne (1533 — 92), der auf ihn eine Anregung ausgeiibt hat, wie wir fie bei Schupp durch Baco von Verulam finden. Mofcherofch ward pra6lifcher Jurifl und blieb fortwahrend im Drang der Gefchafte auf das Reale gerichtet. (Er wurde erft Amt- mann im Linksrheinifchen, erlitt hier die fchreckUchflen Drangfale durch den Krieg, Pliinderungen und Todesgefahren, ward dann Fiscal in Strafsburg, gegen Ende feines Lebens Rath in Caffel.) Als er die Feder ergriff, in der bedrangteRen Lebenslage und aus der zerfahrenflen wiiflen Zeit heraus, war es die fatirifche Sittenmalerei, der er fich zuwandte. Wir fahen fchon durch Aegidius Albertinus den Picarifchen Roman aus dem Spanifchen eingefiihrt. Mofcherofch nahm fiir feine Schilderungen gleichfalls feine Anlehnung an fpanifche Vorbilder, flellenweife an jene Schelmenromane, mehr aber noch an ein Werk des Spaniers Don Francisco de Quevedo Villegas, welches er wahr- fcheinlich aus der franzofifchen Ueberfetzung kannte: eine fatirifch- allegorifche Sittenfchilderung. Er arbeitete danach feine Vifionen oder Wunderbare Gefchichte des Philander von Sittewald (aus Willfladt zufammengefetzter Name); fieben Themata in freier Bearbeitung des Spaniers, die tibrigen felb- flandig. Es find fatirifche Skizzen, genannt Schergenteufel, Welt- wefen, Venusnarren, Todtenheer, Letztes Gericht, HoUenkinder, Hof- fchule, Alamode Kehraus, Hanshiniiber-Gansheriiber, Weiberlob, Thurnier, Podagra, Soldatenleben und Reformation; am beriihmteflen darunter Alamode Kehraus, Hanshiniiber und Soldatenleben.*) Diefe «wunderbaren und wahrhaften» Gefichte Philanders find wunderbar genug, wie bei der allegorifchen Behandlung kaum anders *) Die altefle Ausgabe ifl von 1643; "^^'^ Leydener von 1646, les vifions de Don de Quevedo, Satyrifche Gefichte u. f. \v. , enthalt einige unechte Zufatze. ^^oo Mofcherofch. moglich ill. Quevedo hat, vvie er felbfl fagt, aus Dante fich die Einkleidung des Traums geholt, die auch in Deutfchland fehr beliebt und durch Hans Sachs, Ringwaldt, den Verfaffer des Reifebiichleins eines begierigen Pilgrims, Andreae u. A. geiibt war. Der Welt Scheinfal, Eitelkeit und Betrug, ihr narrifches und frevelhaftes Wefen, giebt den, allerdings fchwer zu erfchopfenden Inhalt der durch Lehre, Gelehrfamkeit, Anekdoten, Citate u. f. w. aufgelockerten Erzahlungen und Schilderungen, welcher durch die Perfonlichkeiten des Philander, des expertus Robertus, Konigs Ariovifl, Hans Thurnmeyer romanhaft lebendig gemacht wird und flellenweife ganz in den picarifchen oder Schelmenroman hiniibertritt. So vor Allem im Soldaten - Leben, welches mit feinem mannigfachen aber fchauerlichen Detail zu den intereffanteflen Schilderungen des dreifsigjahrigen Krieges gehdrt. Wie es damals in Leben und Sitte ausfah in den mittleren und unteren Standen, lehren diefe Gefichte, in deren Flille und Wufl alles Mogliche aus dem taglichen, gewohnlichen Leben mit all' feinen Bediirfniffen und Confli6len zum Vorfchein kommt, was zu beriihren die ideale Poefie felten oder nie in den Fall kommt. Welche Einblicke z. B. in den Wirrwarr der Rechtsverhaltnifle bei diefer Auflofung aller Ordnung auf der einen und dem Zug der Zeit zum Beamtenwefen auf der anderen Seite!*) Culturhiflorifch find diefe Gefichte Philanders deshalb von hochfler und auch poetifch in vieler Beziehung von nicht geringer Bedeutung. Auch gelefen find fie ihrer Zeit viel und hoch gefchatzt, wie z. B. fie Rifi. gleich nach der Bibel liefl. Der Verfaffer hatte eine Fiille *) Es fei hier auf eine Ecloga oder Gefprach zweier Hirten von Krieg und Frieden (1639) verwiefen von einem nicht angegebenen Dichter. Damon antwortet auf Coridons Wunfch nach Frieden : Du albern armer Tropf, du bift ja wohl betrogen; Hat der Soldate dich nicht ganzlich ausgefogen, Der Schloffer Amtmann kommt, der Schreiber und Fiscal, Die nehmen Haupt und Haar und bringen neue Qual. Dies fei nicht moglich, fagt Coridon. Man habe ja Alles fiir den Junker geopfert. Aber Damon entgegnet : fei gewifs, der Junker wird kommen und den Zins ein- fordern, als ob noch Alles gut flande und lafst dich die Kriegsjahre her nach- zahlen, fonft jagt er dich fort und fetzt einen neuen Pachter ein. Eine triibe, aber einfichtige Beurtheilung der Zuftande, die aus dem Kriege hervorgingen und dem Bauernflande in fo vielen Provinzen den letzten Trefif ver- ietzten, indem in manchen jetzt erfl die Leibeigenfchaft durchgriff. Mofcherofch. 301 von Anfchauungen, fafste die Sache nicht ganz unkiinfllerifch an, fondern wufste ihr Leben einzuflofsen, war fo belefen, wie pra6tifch kundig und fchrieb refolut und frifch von der Leber weg. Seine Mangel: die kritiklofe Haufung von Erzahlung, Schilderung, Re- flexionen, Gelehrfamkeit u. f. \v., die zuweilen erdriickende und confufe Fiille Fifchartifchen Sprudelns fagten der Zeit zu. Es id ein turbulenter Jahrmarkt des Lebens, durch den er uns ftihrt, deflen Gewirr uns freilich betaubt und felbfl katzenjammerlich macht, wenn wir in ihm zu lange verweilen. Schliefslich fehlt Mofcherofch namhch doch das rechte, hohere Ziel; mit der blofsen Verzeichnung und Chara6leriflik des Uebels ifl es bei allem guten Willen und aller richtigen Beobachtung und tuchtigen Satire nicht gethan. Kiinfllerifch hat er die angefiihrten, fiir uns fehr hinderhchen Mangel; perfonhch war er tiichtig, fcharffichtig und wohhneinend, ragte aber nicht iiber feine Zeit empor und konnte ihr keine befferen Bahnen weifen, als die, welche wohl oder libel betreten werden mufsten. Er war iibrigens felbfl in mancher Beziehung zu alamodifch in feiner Schreib- art, als dafs feine Werke etwa den confervativen Effe6l des holzernen aber durch und durch alterthiimlich-biderben Ringwaldts hatten machen kdnnen. Tiichtig nach Ernfl und Scherz finden wir ihn nicht bios in feinen profaifchen Schriften, fondern auch in einem intereffanten Ge- dichte von 1652: Melander's Abfchied und Philander's Gliickwiinfchung in Strafsburg. Kommfl du nach Sittewald, heifst es, fo befeufze das Ungliick des Vaterlandes. Unfer Gut und unfere Kraft ifl dahin. Wir denken nicht einmal an Hilf und Mittel, die vor 100 Jahren uns die Eltern erworben — Es fcheint, als waren wir den Fremden heimgeftorben Und gehn zur Schlachtbank bin als wie das dumme Vieh — ^ Wir find? Ach was find wir? Ein Scheufal unfren Freunden, Den Nachbarn ein Gefpott, ein Anftofs unfren Feinden. Das id der fchone Ruf, der alien Volkem kund. So hab ich oft geklagt Doch ifl man nicht zufrieden Und find im Frieden wir mehr als im Krieg geplagt. Man vexirt fich mit Eiden, fagt er, und ruft Gottes Rache herab, der den gebrochenen Eid an den Chriflen fiir die Tiirken geracht habe. 0Q2 Mofcherofch. Schupp. O Untreu falfche Treu! Der Chriften grofste Seuche, Zerriittung aller Stand, Zergliederung im Reiche, Und was aiis diefer wird in Kurzem eingefiihrt, Verfluchte Moderei, Walfche Statifterei, Unchrifllich Deutelei, Tyrannifches Gemiithe, Ein wilde Barbarey und, welches Gott verhiite, Ein' folche Chriftenheit, die arger als Turkey, O du armes Deutfchland du, Wte bid du gerichtet zu ! Vor warft du an alien Giitern leich ! Jetzt bift du mehr als einer Wittwen gleich ! In Mofcherofch herrfcht noch ein unruhig-phantaftifches Element, wie es auch Spangenberg und Andrese zeigen. Unruhig, aber nicht phantaflifch , eine im Grunde derb-heitere Kraft, fchon weit mehr nach dem Norddeutfch-Pra6lifchen und Niichternen zeigend, ifl. Joh. Balthafar Schupp aus Giefsen (1610 — 1661). An fprudelnder Kraft und Frifche der aUen Art fleht Schupp Niemandem in feiner Zeit nach, wenn er nicht Alle iibertrifft; es ifl eine unverwliflUche Natur aus einem Stuck, nicht gerade fein gearbeitet, aber nirgends zufammen- geleimt und felbfl. die Schnitzel daran noch aus dem Vollen gefchnitzt. So klar wie er, fchauen Wenige feiner Zeitgenoffen in das Getriebe um fich und fo gradeweg draftifch und trefifend weifs kaum Einer zu fprechen. Als Profeffor (in Marburg) und Paflor (in Hamburg feit 1649), inmitten all' des gefpreizten, halb fcholaflifchen, halb alamodifchen Wefens fleht er und geht er fo ungenirt und urwlichfig feine Wege, dafs es kein Wunder ifl, wenn er gegen Viele und Viele gegen ihn anprellen. Was er fchreibt und predigt, Erzahlung, Ab- handlung, Streitfchrift, Litanei u. f w., Alles wird durch feine voll hineingelegte Perfonlichkeit lebendig und chara6leriflifch, fomit ins Poetifch-Schopferifche hineingezogen. Er kann nichts reden, was nicht durch und durch individuell belebt ware und zu einem Sitten- bild der Zeit wtirde. Sein dem alamodifchen Wefen gegeniiber un- beflechlicher gefunder Menfchenverfland , fein Humor und fein Mutter- witz, feine pradifche und theoretifche Lebenserfahrung, der natlirliche Flufs feiner kraftigen Sprache zeichnen ihn hoch vor Vielen aus. Wie er die falfche Gelehrfamkeit der Zeit und viele ihrer fonfti.p^en Mangel anfchaute und verurtheilte, was er liber Perfonlichkeiten, Univerfitaten , Studium und Politik bringt, gehort nicht hieher, hat aber realiflifch bleibenden Werth. Schupp's Kritik war ubrigens Schupp. 303 in diefer Beziehung nicht eiiie fchlechthin eigengemachte oder haus- backene, fondern ein grofserer Geifl., Baco von Verulam, (land hinter ihm. *) Die Bewegungen in der deutfchen Poefie fafste Schupp deni entfprechend auf. Er ifl der einzige Mann, der herzlich iiber die poetifchen Schulfuchfereien und Klein-Meifler lacht und fie rundweg fiir folche erklart, ohne nun auf der anderen Seite ein grofses Wefen zu machen, ohne freilich auch felbfl eine hohere Anficht von der Poefie zu haben als fein alter Lehrer und Gewahrsmann Bachmann (der, wie fpater fein Landsmann Weife dafiir hielt, dafs man in etlichen Wochen Einem fchon das Versmachen miiffe beibringen konnen). Bekannt ill fein Spruch, dafs ihm und alien Musquetirern in Stade und Bremen wenig daran gelegen fei, ob «und, das, der, die, ihr» u. f w. lang oder kurz fei und dafs nicht Kaifer, nicht Apoflel ein Gefetz ge- geben hatten, « dafs man einer Silben halben, dem Opitio zu Gefallen, folle einen guten Gedanken, einen guten Einfall fahren laffen. » Seine eignen Gedichte find frifch, von Herzen kommend; die Opitzifche Neuerung ifl darin genutzt. Hoheren Werth hat er als Dichter nicht. Schupp's Hauptfahigkeiten lagen in der Characteriflik und Satire des Realismus. Ihm fehlte nur eins, um durch feine Vorziige einer der bedeutendflen Manner feiner Zeit zu werden und dauernde Grofse zu erringen: eine hohere, ihn befeuemde Idee, die feine vielfach an Luther erinnernden Krafte aus dem Trivialen und der Neigung zum Draflifch-Schnurrigen emporgeriffen hatte. Sie fehlt und damit die Alles durchwaltende ideale Macht. Dagegen fallt er wirklich in die Fehler, welche feine Gegner ihm vorwarfen'*): er kennt keinen Unter- *) Schupp citirt Sidney und Owen nicht, dagegen mehrfach Baco. In der ,,Kunfk reich zu werden" hat er die foeben erft bei Mofcherofch angefiihrte Ein- kleidung, dafs er in Schlaf fallt. Im Traum erfcheint ihm Francisc Baconus, Freiherr von Verulamio, Vice-Graf St. Albani, ein Mann grofsen Verflandes und fonderbarer Gefchicklichkeit. Der fei gerade von Peru gekommen etc. , von der Infel Atlantidis, die fo befchaffen wie des Thomas Morus Utopia. Mit ihm fpricht Joan Barclajus u. f. w. In der Padagogik wirkte Baco auf Comenius, den Verfaffer des orbis picflus (i65c\, den grofsen Neuerer im Sinne des Realismus. **) Man mufs bekennen, dafs der Gegner Schupp's in der Streitfchrift bei dem Kampfe nicht am fchlimmften wegkommt. Die Klatfchereien der Hamburger Unzufriedenen iiber ihren popularen, kernigen, witzigen Pfarrer find fiir die Klein- 204 Schupp. Lauremberg. fchied von Zeit und Ort; fein Mund geht mit ihm durch; er fabulirt, fatirifirt iiberall, am Schreibtifch wie auf der Kanzel und letzteres derart, dafs zumal die Frauen, welche jetzt anfingen, fich bei der- gleichen geifllichen Expectorationen derbfler Art zu geniren, keines- wegs der Priiderie zu befchuldigen find. Den Fehler fo vieler Humoriflen, namentlich des alten Stils, hat er im hohen Grade, dafs er von der wahren Einheit und Mannig- faltigkeit fich dispenfirt und uberall gleichfam improvifirt. Sein Vor- rath von Einfallen, Gefchichten *) u. drgl. id grofs, dafs es ihm nie fehlt, wenn er einmal in Zug gekommen ifl.. In Folge deffen kann er nicht bei der Stange bleiben und kein Thema ruhig und wiirdevoU durchfiihren. Was ihm in die Feder oder auf die Zunge kommt, mufs heraus, eine Eigenfchaft, mehr amiifant als wirkfam. Statt zu Mannigfaltigkeit fiihrt fie zur Buntheit oder wirren, der rechten Ein- heit ermangehiden Vielheit. Manner wie Schupp, Kernholz der Vorzeit, hatten naturhch hohen Werth. Im Grofsen und Ganzen dienten fie als Hemmfchuhe gegen das Kopfiiberfi-iirzen in den Alamode-Geifl; aber die Kraft, felbftandig-volksthiimUch die alteren Ideen zum Neuen zu entwickehi, fehlte ihnen. Sie find deshalb doch mehr von mittelbarer Bedeutung in der Entwicklung der Literatur. An Schupp reihten fich Joh. Praetorius u. A., Praetorius zu den Hervorragenden im treffenden derb-witzigen Stil gezahlt. Lauremberg und Rachel und Fr. v. Logau find die hervorragenden in Verfen fchreibenden Satiriker diefer Zeit. Die romifchen Poeten von Juve- nal's bis zu Martial's Stil mufs man ftir diefe Zeit flets als Mufler vor Augen haben. Johann Lauremberg aus Roflock (1591 — 1659) zeigt uns in feiner Stellung zur Zeitneuerung den niederdeutfchen gemein-niitzlich verflandigen und verfi.andlichen Geifl. Das Intereffante und Auifallige lichkeits-Chronik von Hamburg nicht ohne Intereffe und hatten Heine einigen Stoff geben konnen. Dem Paflor wird vorgeworfen, dafs er wegen pecuniarer Zerriittung Torf flatt Holz brenne, zu Juden feine Zuflucht nehme, durch zu gutes Effen und vieles Weintrinken feine Gefundheit verderbe, fortwahrend Tabak rauche u. f. w. Schupp's Vertheidigung ifl; ein tragikomifches Sttick aus dem Pafl;orenleben und Philifl;erium des 17. Jahrhunderts. *) Die Gefchichte: Fritz, Fritz, die Briicke kommt — ifl unter andern bei ihm fehr ergotzhch. Lauremberg. Racht 305 ift bei ihm, dafs er — der Profeffor der Poefie und Mathematik in Roflock, fpiiter in Soroe — iiber die Gelehrfamkcit nichts von feiner Naturlichkeit verloren, nichts Pedantifches, Kathederhaftes, Predigen- des hat, fondern flott, in popularfler Weife, ohne Wohhveisheit und Dociren feine Spottgedichte daherbringt. Er ifl frifch, inhaltsreich, von vortrefflichem «Schnack». Manches wird ausgezeichnet gefagt. Alles beruht auf derb-vvahrer, nicht felten freilich audi etwas ge- meiner Anfchauung. Wie aber bei fo manchen -verflandig-witzigen Niitzlichkeitsmenfchen ohne weitere Phantafiebegabung fo oft der Fall, empfindet man auch bei Lauremberg vvegen Mangels eines hoheren, erhebenden Geifles keine tiefere Befriedigung. Seine wichtigfle Leiflung find die niederdeutfchen «veer olde Schertz-Gedichte » (1653). Sie handeln: von der Menfchen jetzigem verdorbenen Wandel und Manieren, von alamodifcher Kleidertracht, von vermengter Sprache und Titeln, von Poefie und Reimgedichten — zum Theil in Alexan- drinern, zum Theil in Knittelverfen abgefafst. Durchgehends find fie drailifch, wie befonders die zvveite Satire; Vieles z. B. in der vierten Satire ifl vortrefflich.*) Mit vollem Recht blieben diefe Gedichte in Norddeutfchland das ganze Jahrhundert hindurch und driiber hinaus beliebt. Joachim Rachel aus Lund (1618 — 1669), Rector verfchiedener norddeutfcher Schulen, kam vom Hochzeitsgedicht zur Satire, wie er uns felbfl berichtet. Seine drei erflen Satiren: das poetifche Frauen-Zimmer, der vortheilige Mangel und die gewtinfchte Haus- mutter waren urfpriinglich Hochzeitsfcherze «denen er, wis Jean Potage feinem Hute, die Form geben konnte, die er wollte». Die Kinderzucht habe er aus der vierzehnten Satire des Juvenal, das *) Dem Reincke Vofs wiixl hohes, verdientes Lob gefungen : „In weltlicker Wyfsheit is kein Boeck gefchreven, Dem man billig mehr Rohm und Loff kann geven Als Reincke Vofs: ein fchlicht Boeck, darinnen Tho fehnde is ein Spegel hoger Sinnen .... Von der hochdeutfchen Ueberfetzung deffelben heifst es: Ydt klappet jegen dat Original tho reken Als wen men plecht ein Stiicke vul Holt to breken Edder fchmit einen olden Pot jegen de Wand . . . Lemche, Gefchichte der dcutfchen Dichtung. 2& 306 Rachel. Oebet aus der vierten des Perfius, das Gute und Bofe nach der zehnten des Juvenal gedichtet. Der Freund, der Poet, die Jungfern- Anatomie und Jungfern und verkehrtes Weiberlob folgen, das letzte eine keck-derbe, grobe und auch grob-witzige Wiederaufnahme des Themas der erflen Satire. Diefe erfle id flott, kraftig, ohne jedoch Tieferes zu bieten; Tie behandelt das altbeliebte Thema der verfchiedenen Frauen und ihrer Aehnlichkeit niit Hund, Gans u. f. vv. bis zur Biene. Die zweite id unbedeutender. Die dritte giebt ein fehr nettes, biederes, klares Bild der guten Frau und ihrer Wirkfamkeit, ifl aber flreng genommen nur eine derartige Characteriflik, keine Satire. In den nachgeahmten Satiren merkt man bei der freien Bearbeitung nichts von eigentlicher Nachahmung. Wallenfleins Wort: «Lafst die Beflie henken » und fein Schickfal zu Eger ifl in Nr. 6 gut verwandt; Nr. 7, die uns Einblicke in das Studentenleben und deffen Verfiihrungen giebt, ifl leider viel zu breit; in dem «Poeten» beweifl Rachel gleich Schupp, dafs er einen klaren Einblick in die Poefie feiner Zeit hat, wenn- gleich er feinen Freund Tfcherning fo inbriinflig lobt. Hinfichtlich Opitzens ifl feine Anfchauung fo ziemlich diefelbe wie bei Laurem- berg. Das Verflandesgemafse, Klare der Opitzifchen Dichtung fagt ihm zu. In der «Jungfern-Anatomie» bekommen wir eine culturhiflo- rifch ganz ergotzliche Einficht in die weiblichen Toiletten-Kunfle und Gebrechen der putzfuchtigen Jugend jener Zeit. Im Ganzen zeigt Rachel einen kraftigen, mannlichen, republi- kanifch-ficheren Sinn. Es fleckt etwas von Juflus Moefer in dem dithmarfchen Rector zu Heide, Norden und Schleswig. Die Sprache ifl fiott, frifch und fliefsend. Tiefere Gedanken find allerdings in diefen Satiren oder Quafi - Satiren nicht zu finden (durchgangig ifl namlich Satire und Strafrede zu fehr von ihm zufammengeworfen worden).*) ■*) In der Sammlung der Satiren Rachel's und Lauremberg's (Bremen, Joh. Weffel) im Jahre 1700 folgte noch ein ,,Anhang etlicher in diefer Zeit neu heraus- gekommener Nieder-Sachf. Teutfch. Verfen" iiber die hier kurz berichtet werden mag. Das Gedicht von den „Bungen und Gygeln" id gewandt in den Verfen ; der Realismus aber hat viel Betriibendes und Trauriges in feiner nackten und gemeinen Wahrheit; das Priigeln der Frau fpielt noch immer eine grofse Rolle im Eheleben jener Zeit, „Eene luftige Gefchicht thom befchluth" ift in der Anfchaulichkeit den derbflen Niederlandifchen Bauern-Priigelfcenen gleichzuflellen ; F. V. Logan. J. H. v. Traunsdorff. ^qt Schon Opitz hatte das Epigramm nach iilteren und neueren Epigrammatikern aufgenommen; unter den letzteren waren des Eng- landers Owen lateinifche Epigramme befonders beliebt. Die keckflen Nachbildungen, z. B. nach Martial warden fchon erwahnt; in Schwieger zuckte audi jenes Gefiihl: «alfo das ware Verbrechen, dafs einfl. Properz mich begeiflert, dafs Martial fich zu mir audi, der ver- weg'ne, gefellt?» Es war kein Wunder, dafs in diefeni bunten Durcheinander der gahrenden, Alles iiber einander flurzenden, zwifdien fdirecklidier Wirklichkeit und barockem Idealismus ficli bewegenden Zeit der Drang zur gnomifdien und epigrammatifchen Diditung herrfditc. Ueber alien derartigen Poeten fleht hinfiditlidi feines Talents und feiner Leiflungen in einfamer Grofse Friedridi von Logau. Friedrich von Logau^) (1604 — 1656), Rath des Herzogs Lud- wig von Brieg, des fpateren Herzogs von Liegnitz, gab 1638 unter deni Namen Salomon von Golau «hundert Teutfche Reinien-Spruche», 1654 feine grofse Sammlung: Salomons von Golau Deutfcher Sirm- Gedichte Drei — Taufend — heraus: das Bedeutendfle, was wir auf diefeni Gebiete befitzen. Dafs Logau's Fulle nicht das Auffalligfle an feiner Poefie ifl, zeigt J. H. von Traunsdorff, der fdion 1642 zu Bern 3000 deut- fcher weltlicher Poematum herausgab «von allerhand taglidi fiirfal- lenden Materien und Handlungen, mancherlei Spriichwortern und Gleichniffen, fchonen dictis und Sentenzien, aus des Authoris operibus manuscriptis und ethico - moralifchen Emblematibus alfo zufammen getragen. » Traunsdorff ifl das treffliche Seitenfliick alten Stils zu dem in der Opitzifchen Schule erwachfenen Rath an dem fchlefifchen Piaflen- in erfchrecklicher Wahrheit wh-d erzahlt, wie ein Stromer zu einer Bauenihochzeit kommt, zu effen und zu faufen erhalt nach Herzensluft, Nachts aber noch Hiihner ftehlen will und nun halb todtgefchlagen wird. Er reflectirt, dafs man ihm fiir ein Huhn oder ein Ei die Rippen entzweifchlagt, wahrend diejenigen, welche im Grofsen ftehlen, Obrigkeiten heifsen. Die niederdeutfche Sprache ward iibrigens auch fernerhin zu Bearbeitiingen der Satiren des Horaz, der Eklogen Virgils u. f. w. benutzt. So oft nicht iibe) von dem Rector und Pfarrer Caspar Abel (1676 — 1752) einem fonderbaren Kauz, dem Ueberfetzer der Satiren Boileau's. *) Fr. V. Logau, Bibliothek deutfcher Dichter. 3. Band. (Brockhaus). ao* 308 F- V. Logau. hof. Er fchreibt noch Knittelvcrfe, oft in Ringwaldt-Art, nach der langweiligen Seite fowohl, wie nach der biderben-volksmafsigen; viele feiner Sprliche find uralt, Manches in Priamelweife. Das erfle Tau- fend enthalt fafl nur Spriichworter *) ; dann kommen auch Fabeln und Anecdoten, kurz es ifl die alte Volksweisheit und Volksrede darin vertreten; die Satire oder das Epigramm ifl mehr zufallig als beab- fichtigt. Dagegen fleht Logau da als der fubjective Betrachter der Welt um ihn herum: ein Mann der neuen Anfchauungen, aber in dem Guten, Tiichtigen der voralamodifchen Zeit wurzelnd. Kenntnifs der Welt und des menfchlichen Herzens befahigt ihn, das Gewtihl und den Wirrwarr der neuen Sitten und Ordnungen zu beherrfchen; zum Leitftern hat er den ernflen rechtlichen Sinn; iiber die gewohnliche Philiflrofitat und den unbeflreitbar guten aber mittelmafsigen Willen wird er gehoben durch hohere Anfchauungen von Recht, Ehre, Schickfal und gottlichem Wefen. Es ifl nicht blofs Katechismus- Geifl; es ifl philofophifche Anfchauung und Vertiefung in dem, vom Gliick wenig begiinfligten, in mannigfacher Noth des Familienlebens und feiner dienfllichen Stellung fich abringenden Manne. Zu dem *) Kalblleifch — halb Fleifch. (Jetzt noch niederdeutfch.) Der Fiofch hupft wieder in den Pful Und fafs er auf eim gulden Stul. Beffer die Kinder bitten dich, Als du fie bittfl, verfteh recht mich. Man heifst nicht leicht ein Kuh Blafslein, Sie hab dann vorn her ein Flecklein. Ein Herr ohn' Reputation Ifl ein Pfau, der kein Schwanz thut han. Warum foUt ich ein Doctor fein, Hatt doch Chriflus der Herre mein Zwolf Jiinger ghabt, dern, wie wir lefen, Keiner Baccalaureus gewefen. Kein Scheermeffer, das fcharfer fchirt Als wenn ein Magd zur Frauen wird. Einem voUen Mann und feines Gleichen Soil auch ein Fuder Heu ausweichen. F. V. Logau. 209 geifllichen Angelus Silefius bildet Logau den weltlichen epigrarama- tifchen Erganzer; in mancher Beziehung konntc diefer jenem ein Vorbild fein. In feiner Jugend hatte Logau der Lyrik im Allgemeinen fich zugewendet; in fpilteren Zeiten concentrirte er fich mehr und mehr auf das Epigramm. Alles geflaltete fich ihm zum Sinnfpruch oder zur pointirten oder witzig-fcharfen Bemerkung; aus jeder Anfchauung heraus entwickelte er den zu Grunde liegenden oder treibenden Ge- danken. Nicht immer ifl jene und diefer verfchmolzen, wie es der ungezogene Martial fo herrlich verfland. Der Deutfche wird nicht felten trocken, weil der Gedanke oft einfeitig vorherrfcht, doch mangeh ihm durchaus nicht die echt dichterifche AnfchauHchkeit und treffende Characteriflik; felbfl die lehrhafte Zeitrichtung kann lein Talent in diefer Beziehung nicht unterdriicken''). •Seiner Stellung, die ihn im hoheren Leben den Kampf eines Hofmanns mit Neid, Laune und Mifsgunfl zu beflehen zwang und ihn von den gelehrten Kreifen und ihren einfeitigen Theorien ferner hielt, fodann feinen antiken und modernen Muflern hat er es ficherlich zu danken, dafs er fich nicht noch mehr der abflracteren Gedankendichtung zuwandte. Als Dichter und Patriot gehort er zu den beflen Mannern diefer Zeit; culturhiflorifch zahlt er zu den intereffanteflen, indem er uns namentlich den Kampf des neuen modifchen Geifles mit dem alten volksthiimlichen befferer Art in den hoheren Schichten treft"lich ver- fmnlicht. Und auch Logau wurde bald vergeffen. Die neue Aera, welche mit den zweiten Schlefiern fiegte, flellte ihn im Allgemeinen zu den alterthiimlicheren Poeten; er erfchien antiquirt, zu ernfl, zu fchvver. Im nachflen Jahrhundert kannte man nicht einmal mehr feinen wah- ren Namen. Leffmg und Ramler erfl erweckten fein Angedenken, indem fie 1759 eine Sammlung aus feinen Sinngedichten unter feinem richtigen Namen herausgaben', wonach er, wie es manchem alteren deutfchen Dichter geht, viel genannt aber leider nicht fo bekannt geworden ifl, wie er es verdient. *) Aus der Fiille der Logau'fchen henlichen Sinngedichte follen hier nicht einzelne herausgegriffen, dagegen foil dringend auf die foeben angefiihrte neue Ausgabe hingewiefen werden. 10. Das Drama. Eine fpatere Epoche fah auf diefe Opitzifche Zeit oder die Dichter der fogenannten erflen fchlefifchen Schule mit einer Ver- ehrung, wie wir etwa die Dichter des Klopflockifchen Auffchwungs betrachten. Opitz* war der allgemeine Heros. Zu ihm ward als Lyriker Paul Fleming gellellt. Als dritten im Bunde erhob man ftir das Drama Andreas Gryphius. Noch der junge J. E. Schlegel hat verfucht, ihn dem grofsen englifchen Dramatiker entgegenzufetzen, da zum erflen Male die Aufmerkfamkeit der um aflhetifche Intereffen lich kiimmernden Deutfchen auf Shakefpeare gelenkt wurde. Andreas Gryphius'') (1616 — 64) zahlt zu den bedeutendflen poetifchen Talenten diefer Zeit in Deutfchland; in der gedanken- haften Lyrik wird er von Niemandem iibertroffen; im Drama fleht er unter alien feinen Genoffen diefer and der nachflen Epoche einzig da. Er ifl kein Dichter der Mache, des theoretifchen Beweifes und des Metrums, fondern eines wahren poetifchen Drangs. Schwermuth, Schauer iiber das irdifche Elend und Religiofitat, mit welcher er *) Andr. Gn'phius ward 1616 zu Grofs-Glogau in Schlefien geboien, ein Ungliickskind der fchrecklicheii Zeit. Im ftinften Jahr verlor er feinen Vater, im zwolften feine Mutter. Er mufste die Grauel des damals in feiner Heimath wiithen- den Krieges und der Peft anfchauen; bis in das fpatere Alter konnte er die Ein- driicke nicht verwinden. Er befuchte die Schulen in Gorlitz, Glogau und Frauftadt, feit 1634 in Danzig. Dann ward er Erzieher bei einem Herrn v. Sclidnborn, der fich feiner annahm. Die katholifche Bekehrungswuth war damals im Schwang und brachte neue Leiden. 1638 ging Gryphius nach Leyden, ftudirte dafelbft und hielt dann Vortrage iiber Philofophie, Gefchichte, Mathematik, Anatomic u. f. w. 1643 kehrte er in die Heimath zuriick, ging 1644—46 als Reifebegleiter auf Reifen in den Niederlanden , Frankreich und Italien. 1647 blieb er in Strafsburg, lehnte, zuriickgekehrt , verfchiedene Berufungen ab, wurde 1 650 Syndicus feiner Vaterftadt, in welcher er 1664 ftarb. Gryphius. • ■J I I fich gegen jene wappnet, habcn feine Poefie erzeugt, die in ihrer Wehmuth unci Wahrheit die Dida6lik verfchmaht und oft wie in thranenlofer Verzweiflung zum Himmel flarrend uns tief ergreift.*) Id denn zwifchen Tief unci Hohen Kaum ein Sonnenuntergang? Diefe Worte konnten als Motto zu feiner Lyrik gelten. Die meiflen Dichter jener Tage haben tiefe Klagetone zwifchen ihren heiteren und dida6lifchen Weifen; der Todesgedanke umfchwebte Alle, fo wie Gryphius aber doch keinen andern. **) Ein leidenfchaftHcher Geifl von wirkHcher Phantafie, lag ihm die Gefahr des Barocken und Grotesken nahe. Mufler einer, leider manierirten, Kraftrichtung hatte er namentlich feit feinem Aufenthalt in Leyden vor Augen. , Seine Sonette (1643, ^^i^ auch die Oden; das 3. Buch religiofer Sonette von 1639), jjugendblumen, die er nicht verworfen", zahlen zu den beflen diefer Epoche : ernfle fowohl wie fcharfwitzige und Liebes- fonette; befonders die des zweiten Buchs. Manche find durchaus fertig und vortrefflich. Der Dichter zeigt fich durch und durch poetifch geflimmt, und nicht Worte und Anfichten, fein ganzer dichte- rifcher Chara6ler fpricht fich in feiner Dichtung aus. Diefe Leiflungen einer eigenartigen Natur flehen poetifch fo weit fiber dem Niveau der Zeit, dafs derfelben ihr voller Werth nicht einmal ganz klar werden konnte, da die Maffe nur dem Trivialeren hinfichtlich der Werthfchatzung gewachfen war. Einer Schule gehort Gryphius nicht weiter an, als dafs er durchaus im Geift. der Opitzifchen Neuerung wirkfam ift. Aber be- fondere Theorien aufzuflellen und ihnen nachzuhangen und Propaganda zu machen, kommt ihm nicht in Sinn. Er ifi. eine einfame Natur, kein Macher, feine Wirkung auf Andere deshalb auch verhaltnifs- mafsig nicht grofs; wie felten wird er, anderen unbedeutenderen *) Gryphius bietet Biographer) einen viel dankbareren Stofif als Opitz, Fleming, Logau u. A., weil die pfychologifchen Unterfuchungen bei ihm in erfler Linie in Frage kommen. **) Will man bei dem jungen Gryphius nach einer Aniehnung an einen deutfchen Poeten fuchen, fo konnte man — abgefehen natiirlich von den all- gemeinen Einwirkungen von Opitz — am meiften an Plavius denken, deffen Ge- dichte er in Danzig ficher kennen lemte. •3 12 Gryphius. Mannern gegeniiber, feiner Zeit genannti wie fchnell von der Maffe aufser Augen gelalTen, um freilich deflo riihmlicher der Nachwelt zu erfcheinen. Seine hervorragendfte Bedeutung gewann er durch feine Dramen. Der ernfle, chara(5lervolle, im UnglUck und in bitteren Ver- haltnilTen heranreifende Mann hatte eine wirkliche Begabung fur die Erkenntnifs der menfchlichen Seele und des Chara6lers. Eine Grund- bedingung fiir den Dramatiker war fomit erfiillt. Eine bedeutende pathetifche Ader, dann nach der Abklarung der fchmerzlichen Em- ptindungen ein kraftiger Humor, der freilich nicht ganz nach der richtigen Seite fchlug, kamen ihm zu Hiilfe. Beffere Anleitung und eine tiichtige Biihne — und Gryphius hatte in bedeutender Weife fiir unfer Drama wirkfam werden konnen! Mit 15 Jahren*fchon hatte er dramatifch zu dichten begonnen. Was fpateren Zeiten ein Arminius oder Conradin war, bot damals fiir poetifche JiingUnge der in Bild und Dichtung nie genug be- handelte Herodes und feine Kindermorderei, entfprechend den Schauer- thaten jener Zeit, die fich mit Geringem nicht in den verlangten mit- leidigen Schrecken verfetzen Hefs. Als Gryphius 1638 nach Leyden kam, hatte der begabte niederlandifche Dramatiker Jooft, van den Vondel durch feinen Gysbrecht van Amftel feinen hochflen dra- matifchen Triumph gefeiert. Der Einflufs auf den deutfchen Dichter ill augenfcheinhch. Vondel hielt die neukatholifch-italienifche Richtung; er ward auch im nachflen Jahr, 1639, katholifch; Drang zum Grofsen und Bewegten, weitraumige, fchwungvolle Phantafie zeichneten ihn aus. In ihm wirkte, was in Rubens fo gewaltig lebte, was wir in Balde und abgefchwacht in einigen Pegnitzern wirkfam fanden. Vondel war der Mann, der im Lucifer ein Vorbild und ein Seitenftiick zu ilem verlorenen Paradiefe Miltons geben konnte. Das hoUandifche Drama war ariflotelifch im Sinn der Zeit. Wie nicht Homer, fondern Virgil noch als das hochfte epifche Mufler, als verbefferter Homer gait, fo flanden die Dramen des Seneca da gegeniiber den Dramen der griechifchen Bliithezeit. Das Bombaflifch- Aufgeblafene der Di6lion, die Uebertreibung und Manier in jeder Beziehung galten fiir das Wahrhaft-Erhabene und waren muflergiiltig. Wie friiher bemerkt, trat das franzofifche Drama aus dem Zwitter- zufland heraus, den Chor und Mulik veranlafste, fobald es fich von Gryphius. ? I ■? der religiofon Idee loslofle, welche bei den Griechen den Mittelpunkt gebildet hatte. Wenn die Handelnden, wenn zumal der Chor fuh in den grofsen Krifen, welche das Drama vorfiihrt, zu der Gottheit wendete, flehend oder jubelnd, fo war die Lyrik und Mufik voll- flandig eingeordnet. Sobald das religiofe Element zuriicktrat, kam der Zwiefpalt. Schon Euripides hatte den letzten Schritt wagen und den Chor aufgeben miiflen. Da dies nicht im Alterthum gefchah, hatte damals die \veitere dramatifche Entwicklung (locken miiffen. Die Niederlander fleiften fich auf ihre Clafficitat; fie behielten den Chor oder Reyen, wie ihn Gryphius nach ihnen nannte bei, ohne doch nun den Mittelpunkt fiir den Chor zu finden. Derfelbe wurde ein lyrifches, die Handlung unterbrechendes, damit leicht der Reflexion anheimfallendes, unorganifches Einfchiebfel , welches liber- dies durch feine Anforderungen an die Darflellung die Auffiihrung ungemein erfchwerte. Den Alten folgend, befchrankte man fich nicht auf Menfchen, fondern wenn im Prometheus die Okeaniden den Chor bilden, fo fuchte man mit ihnen in der Phantafie zu wetteifern, und nun kommen auch in die hiflorifchen Stiicke Chore von Geiflern, Sirenen, allegorifchen Perfonen u. f. w. ! Alfo Barockwirthfchaft im hochflen Grade! Dafs Gryphius in diefem Stile fortflrebte, fallt feiner Kritik zur Lafl und zeigt feinen Fehler in der dramatifchen Begabung. Denn er hatte auch beffere Mufler. Er hat die franzofifche Biihne und die englifchen Dramen der grofsen Zeit gekannt. Ein durchgreifendes Genie war er fomit nicht; wie hoch wir auch im Einzelnen fein dramatifches Talent fchatzen konnen und miiffen, iiberfchatzen diirfen wir ihn nicht. Das Endergebnifs war denn auch — und deshalb ifl er auch hier nicht eingehender betrachtet — dafs er bei all' feinen bedeutenden Anlagen keinen dauernden, rein-poetifchen Werth er- ringen konnte. Was wir fiir das grofse Drama dadurch verloren, dafs er nicht beffern Muflern folgte, lehren am beflen feine Stiicke «Leo Armenius" und ttCatharina von Georgien», beide von wirklicher dramatifcher Be- deutung. Die Tragodie «Carl Stuart» (1649) ifl, dadurch intereffant, dafs wir fehen, wie Gryphius das Zeitbegebnifs aufgefafst hat; fie bleibt aber in der Chara6leriflik der Perfonen (Carl, Fairfax, Cromwell) weit hinter jenen zuriick; der lyrifche Eifer, mit welchem der Dichter daran gearbeitet hat, hat der Gewichtigkeit des Inhalts gefchadet. 314 Gryphius. Schwach id Papinianus (1659); verfprechender, aber zu wirr, das, italienifche Liebesintrigue behandelnde Stiick «Cardenio und Celinde.» «Leo von Armenien» (1646, nach der Dedication aus Strafsburg), fpater von Job. El. Schlegel dem Julius Cafar Shakespeare's zur Ver- gleichung an die Seite geflellt, hat bedeutende Auffaffung. Die Chara6lere find in ihrer unaufgeloflen Mifchung von Gut und Bofe echt dramatifch. Das Ganze ifl echt poetifch gedacht, empfunden und vor der Phantafie gefchaut. Dem Dichter, der diefes Stiick fchrieb, fehlte nur eine Biihne wie die zu Paris oder London, um fich voUig durchzuringen. Michael Balbus, fiir den augenfcheinlich Wallenflein dem Dichter vorfchwebte, tritt in feinem Trotz und feiner nicht ungerechten Selbflfchatzung befonders hervor; daneben Theo- dofia. Die Sprache ill. oft voll wirklicher Leidenfchaft ; im Anfang freilich fmd die Reden meiftens rhetorifcher als dramatifch und zu lang, doch beffert fich dies. Eine Reihe Scenen fmd hochfl be- deutend; mehrere weifen auf Kenntnifs und Benutzung der englifchen Dramen. So die grofse Befchworung durch Jamblichus, die Zufammen- kunft der Verfchworenen — an Julius Cafar erinnernd — - wo Crambe und ein Verfchworener fich gegen einander erhitzend die Schwerter Ziehen, Andere dazwifchen treten, der Diener eintritt u. f \v. Die friihere Scene, wo dem Leo der Geifl des Tarafii erfcheint, erinnert an Richard III. Wie Leo den zum Tod beflimmten Michael im Kerker fchlafend findet, gehort zu den Glanzflellen. Sodann die Erzahlung des Todes Leo's, wie er fich vertheidigt, fchliefslich das Kreuz entgegen halt, Alle erfl. flille flthen, dann aber wie die neunte Welle wiithend liber ihn herfliirzen. Theodofia's Wahnfinn ifl hoch dramatifch. Nur fehlt dann der eigentliche Schlufs. Der Dichter fland wirklich hoch und frei in feinen Anfchauungen, wie dies Stiick zeigt*). Der ewige Confli6t zwifchen dem fchwiicheren *) Der Rath klagt iiber Theodofia, die ihren Gatten Leo beredet hat, die Hinrichtung Michael's aufziifchieben, (wodurch das Verderben iiber Leo herein- bricht) : Ja, die Princeffin bat, ein andrer trieb fie an! Warum doch will die Schaar, die dem Altar gefchworen, Stets in dem Rathe fein ? fie hort durch eure Ohren, Sie fchliefst durch euren Mund, fie kiimmert fich um Feld, Um Lager, Reich und See, ja um die grofse Welt, Nur um die Kirche nicht. Gryphius. -^ I c Herrfcher and dem gewaltigen Untergebenen, auf dem die Lafl des Reiches ruht, den man fiir all' feine Thaten noch furchtet, befpionirt and nach Laune zu Fall bringt, ifl trefflich gefafst und frharf zum Ausdruck gebracht. Die Fehler diefes Barockwerkes gilt es hier nicht naher aus- einanderzufetzen: es ift. nicht rein genug zufammengearbeitet, ift viel- fach in der Di6lion tiberladen, zu lang in Reden, zu oft nur in Reden beftehend. Der Reyen fchiebt fich tardirend und nur in der Reflexion angehangt zwifchen die Handlung. Der erfle Reyen ifl z. B. ein Mahn-Chor (iber den Nutzen und Schaden des Redens, der zweite Reyen der Hoflinge bringt das Lied: O du Wechfel aller Dinge. Zu «Catharina von Georgien oder bewehrete Beflandigkeit» be- merkt der Dichter in der Vorrede: dies Trauerfpiel fei langfl vor dem jammerlichen Untergang Caroli Stuardi, Konigs von Grofs- Brittannien, aufgefetzt. Er weift damit felbfl auf die Ereigniffe bin, an welche es erinnert. Die Einheit der Zeit ifl wie im «Leo» feflge- halten, aber der .Schauplatz wechfelt wie dort. Der Aufzug beginnt mit grofser allegorifcher Schauflellung. Der Schauplatz ifl voll Leichenbilder, Kronen, Scepter, Schwerter u. f. w. Ueber dem Schauplatz offnet fich der Himmel, unter dem Schauplatz die Holle*). Die Ewigkeit kommt vom Himmel und halt den Prolog (in wechfelnden 6, 5, 8, 4fufsigen Verfen), fragend, was die Menfchen wjihlen wollen, den Himmel oder die HoUe. Das Stiick hat wieder bedeutende Charadleriflik mit edler Sprache. Catharina weifs wirklich koniglich zu reden. Leidenfchaft und deren echter Ausdruck waltet darin. (hn Anfang fetzt Gryphius leider wieder mit zu vielen einzeiligen Gegenreden ein). Es ifl ein wahrhaft dra- matifches Erfiilltfein, voll und tief; nichts oberflachlich. Man vergifst oft die gereimten Alexandriner ganz und gar. Ware das Stiick in fiinf- fufsigen Jamben gefchrieben, die Wirkung ware fiir uns noch bedeuten- der. Einzelne Stellen fmd ausgezeichnet; fo dieWehklage der Catharina tiber die Leiden und Martern ihrer Landsleute. Catharina vor ihrer Hinrichtung (mit fchrecklicher Befchreibung) erinnert an Maria Stuart, wie fie ihre Sachen austheilt. Imanculi, eine Art Burleigh, wird dann auch von Chach Abbas *") als zu voreilig angeklagt. Mit tiefer Welt- •■■) Alfo noch ganz alterthiimliche Biihnenfcene. **) Gryphius zahlt in den Anmerkungen auf, was er tiber Perfien gelefen hal: Purchafius und Olearius, die Reifen Joh. Cartwigt's und Anton Jenckinfon's u. f. \v. 3l6 Gryphius. und Chara6lcrkenntnifs find die Verhandlungen dargtflellt. Zum Schlufs erfcheint die gemordete Catharina dem Abbas und prophezeit dem verwirrt Redenden den Untergang. Noch der letzte Vers ifl bedeu- tend, wie Abbas fpricht: Doch ift wohl herber' Rach und die mehr kann betriiben, Als dafs Wir, Feindin dich, auch todt flets mtiffen lieben. Auch in diefem Drama ifl der Conflift zwifchen Catharina und Abbas hoch dramatifch. Auf der einen Seite fleht Marter und Tod und die angedrohte Vernichtung ihres Volkes; auf der andern Seite ihr fefler Glaube und ihr chriflliches Bewufstfein. Dafs der Dichter oft liber das Maafs hinausgeht, namentlich im Schaurigen, braucht nicht erfl befonders hervorgehoben zu werden. Doch ifl er von den Uebertreibungen und ScheufsHchkeiten feines Nachahmers Lohenflein noch weit entfernt. In den Luflfpielen, zumal in «Horribihcribrifax» und «Abfurda Comica oder Herr Peter Squentz» zeigt Gryphius echten Humor und herrhche komifche Characteriflik. «Peter Squentz» behandelt die aus Shakefpeare's Sommernachtstraum bekannte Epifode der Handwerker- Comodie; obwohl diefelbe auch fonfl in Deutfchland dramatifch bearbeitet worden, ohne dafs eine Kenntnifs des Sommernachts- traumes anzunehmen ifl, fcheint doch eine Kenntnifs Shakefpeare's bei dem Dichter vorauszufetzen.*) Gryphius wahlt zum Rahmen des Stiicks ein Fefl, welches dem durchreifenden Fiirflen gegeben wird. Im «HorribiHcribrifax» ifl. der miles gloriofus des Plautus nach den Erfcheinungen des dreifsigjahrigen Kriegs verarbeitet. Ein Gefang- fpiel: das verliebte Gefpenfl. — wurde von dem Dichter fchnell zu der Hochzeit des Herzogs von Liegnitz gedichtet, in der Hauptfache mit Benutzurig von Ideen aus «Cardenio und Celinde». In diefes Stiick fchob der Dichter ein anderes hinein: das Scherz-Spiel, «die geliebte Dornrofe», in der Weife, dafs fl.ets Aufzug um Aufzug das eine oder andere Stiick wechfelt.**) Es war dies ein Mittelweg, bei den Vor- fchriften des Arifloteles zu bleiben und keine niedrigen Perfonen in die Stiicke hohen Stils zu bringen und doch dem Verlangen der Zufchauer nach Humor und ihrer Gewohnheit von Alters her Rech- *) Godeke nimmt fie beflimmt an. Schon feit Tiek geht der Strait iiber diefen Punkt. **) Beide Stiicke mit Anmerkungen herausgegeben von H. Palm. Gryphiiis. •? I 7 nung zu tragen. Das englifche Drama hatte bekanntlich kurzweg die Sitte der Myflericn hinficlitlich des Wechfels von Ernfl. und Scherz, von Erhabenem und Niedrigem beibehalten: volHg richtig, fobald der Realismus Grundlage fiir das Drama war und nicht eine idealifch fchon aufserlich in Gefang und Mufik fich darflellende Handlung. Gryphius hat die Literatur feiner Zeit (lets im Auge behalten, die Lateinpoefie eines Balde, Niederlander, Italiener u. f. w. FaR konnte man aber bei der ganzen Handhabung des Gefpenfles und der Dorn- rofe an Shakefpeare wieder erinnert vverden: der Art, wie wenn der Dichter etwa das Wintermarchen einmal gelefen und ein Hiflorico- Pafloral, um mit Polonius zu reden, in feine zwei Beftandtheile auf- gelofl hatte. In der Dornrofe ifl der fchlefifche Diale6l gewahlt. Das Volksmafsige in diefen Luflfpielen, welches fich aus dem Pomp, der Rhetorik und Ueberladung der Tragodien des Gryphius oft fo frifch, heiter, wenn auch wohl derb und faftig hervorhebt, ifl nun allerdings nicht immer aus lieiterem, kiinfllerifchen, gefchweige in unferem Sinn volksthtimhchen Wohlgefallen an diefer Art, fondern ofter aus fpottifcher Anfchauung des Volkslebens im Sinn der Aut- klarung und des gelehrten Fortfchritts jener Tage hervorgegangen. ^Vie wenig ware es aber darauf angekommen, woher folcher Humor feinen Urfprung nahm, wenn Gryphius eine Biihne, zumal die Biihne einer grofsen Stadt hinter fich gehabt hatte und das Pubhcum ihn durch fein Vergniigen auf den betretenen Wegen weiter gedrangt hiitte. Gryphius hatte dann immerhin gleich Hamlet feufzen mogen, dafs feine Seneca-Erhabenheiten Caviar fiir das Volk feien und das- felbe gleich Polonius fiir Poffen und Zotengefchichten fei und fonfl einfchliefe. Ohne die Grtindlinge im Parterre und den grofsen Haufen, dem die Stiicke mit Reden wie: Der rauhe Pyrrhus, deffen dunkle Riiflung Schwai"z wie fein Vorfatz war — mifsfielen, ware Shakefpeare nicht der grofse Shakefpeare geworden. Gryphius Dramen hatten keine regelrechte Biihne hinter fich. Sie wurden im giinfligllen Falle von den Gymnafiaflen oder von Liebhabem fiir beflimmte Zufchauer-Gefellfchaften oder fond bei feierlichen Gelegenheiten aufgefiihrt. Aber welcher Fortfchritt konnte fich daraus ergebenr Welche Wirkung vom Publicum auf den Dichter? Welche Kritik? Wie follte der Dichter fich abfchleifen, dem Volksgefchmack Rechnung tragen, wonach ja im guten Sinne 3 I 8 Gryphius. durchaus zu flreben id, um wirklich Wurzel zu faffen und zu wirken? Welcher Unfmn, welche Abgefchmacktheit macht nicht, felten vor- kommend Effe6l, der ofter vorkommend erkannt wird! Was halfen alfo, um es kurz zufammenzufaffen, alle dramatifchen Talente, fo lange keine Biihne in Deutfchland exiflirte, die ihnen wenn auch nur halbwegs angemeffen war! Gryphius in Glogau neben feinen Ge- fchaften Dramen fchreibend! Doch fchon friiher ward auf den tiefen Schaden hingewiefen, der daraus entfprang, dafs Deutfchland damals fo wenige Centralpunkte und grade in diefen Zeiten keinen einzigen hatte, in welchem ein Sinn vorhanden war, wie ihn die hohe drama- tifche Poefie braucht, um in volksthiimhcher Kraft fich zu entfalten. Der Mann war da: ihm fehlte die Biihne und das richtige Pub- licum. Aufser Gryphius haben noch eine Menge Poeten, der eine in (liefem, der andere in jenem Stil dramatifch fich verfucht und Dra- men drucken laffen oder in ihren Kreifen zur Auffiihrung gebracht; nichts davon griff durch, weder fiir die Biihne noch auch fiir das Lefepublicum. Es wurden jetzt auch die Dramen der franzofifchen Biihne bekannterj unter Andern machte fich Tobias Fleifcher — Greflinger hatte fchon 1650 den Cid von Corneille iiberfetzt — an die Ueberfetzung. «Der Martrer Polieyt und das Trauerfpiel von Cinna» erfchienen 1666 als feine «Erfllinge von Tragodien» (mit Balzac's Antwortfchreiben an P. Corneille); fehr hart und ungelenk, doch gewiffermafsen Character zeigend. Sie machten fo wenig wie andere Verfuche Wirkung. Erfl zu Gottfched's Zeit war das deutfche Publicum, falls es ein dramatifches Werk auffiihren fah, geneigt, dem franzofifchen Stil mehr Gefchmack abzugewinnen. Bis dahin war ihm Seneca noch lange nicht fchwermiithig, Plautus noch lange nicht leichtfertig genug und Tragico-Hiflorie, Tragico-, Komico-, Hiflorico-Pafloral oder in deutfcher Lesart der Zeit Staatsactionen, allegorifche Schaufliicke, rafende Schauder- und Bombaflfliicke des, Gryphius iiberbietenden Lohenfleinflils, lyrifche Schafereien und Poffen und Zotenfliicke , von der Oper abgefehen, waren die Kofi, die man liebte und an der man fich dramatifch befriedigte. Vom Wefen und von der Aufgabe des Drama's hatte man noch auf lange hin keine Ahnung. 11. Epos und Roman. Erzahlung einer ereignifsreichen, bedeutfamen Gefchichte mit AUe- gorien oder Gottermafchinerie in Verfen, das war es, was man in diefer Zeit fiir ein Epos hielt: Allegoric oder Cotter zur Idealifirung und Unterfcheidung von der gewohnlichen Hillorie unumganglich noth- wendig. Wir fallen bei Opitz und Werder, wie die Zeit fich zu einem derartigen Epos llellte, wie Opitz zweifelte, dafs man das hochfle Mufler, einen Virgil, erreichen kdnne, Werder den Taffo entfchuldigte, wie Fleming mit Barclay's Argenis durch eine Margenis zu wett- eifern gedachte, wie Lehrgedicht, idyllifches Lehrgedicht u. f. w. fubflituirt wurde. Wenn die Meiflen vor der Aeneide zuriicktraten, fo dachten fie um fo mehr daran, einer Schlacht von Pharfalus fo gut wie einem Gedicht de natura deorum oder tiber den Aetna Etwas an die Seite ftellen zu konnen. Was der Zeit in diefer Beziehung vorfchwebte, kann man noch an Voltaire's Henriade, oder bei deut- fchen Poeten an Schlegel's Heinrich dem Lowen oder Schonaich's Herman erfehen. Es ifl kaum der Miihe werth, von den fogenannten epifchen Dichtem der ganzen vorliegenden Epoche zu reden. Die Meiflen lieferten jene allegorifch aufgeputzten Erzahlungen oder wirkliche Allegorien oder Schilderungsgedichte. Opitz mit feinem Gedicht liber die Geburt Chrifti, Zlatna, Vefuvius, Andreae's Chriflenburg u. f. w. lieferten uns dafiir fchon Beifpiele. Spater kamen hinzu Dichtungen, die man Novellen in Verfen nennen konnte, wie wir fie z. B. in des Albinus u. A. Nachahmung nach Cats fahen und noch bei anderen Poeten hatten anfiihren konnen. In den erflen Decennien werden unter den vielen Poeten, welche nun im befchrankteren epifchen Stil fich verfuchten, zwei Namen -^20 Wieland. Freinsheim. ofter genannt, die deshalb hier ihre Stelle finden mogen. Der erfle freilich bringt nichts, was nicht Andere ebenfalls nebenher in ge- fchichtlichen Schilderungsgedichten lieferten. Der wiirtembergifche Pfarrer Job. Seb. Wieland dichtete 1633 fein in diefer Zeit oft citirtes Carmen auf Ltitzen und den Tod Guflav Adolfs: der Held von Mitternacht. Es fleht weit dem Weck- herlinfchen Nachrufe nach, ifl gewohnlich, pedantifch lehrhaft, auf- zahlend, im Ganzen Gefchwatz ohne Werth. Bei der wichtigflen Stelle, dem Tode Guflav Adolfs, fchweift Wieland mit O! und Weh! in der langvveiligflen Weife vorher ab; die verkehrtefle Weife, Span- nung erregen zu wollen. Johann Freinsheim (1608 — 60) folgte 1639 mit einer Dichtung auf Herzog Bernhard von Weimar, um den z. B. auch Schneuber in einem Hochzeitsgedicht in wahrer tiefer Trauer klagte, mit der religiofen Troflung, dafs Gott, wenn er woUe auch den Deutfchen einen Jonathan nach dem Judas Maccabaeus erwecken konne. (Bei den verherrlichenden Todtengedichten fchob fich durch die Er- zahlung des Lebens der Geflorbenen ofter ein epifches Element ein. So z, B. bei Schneuber in dem Todtengedichte auf Bernh. Schafalitzky.) Der gewohnlichen rhetorifch - erzahlenden Gedichte heroifcher Art, d. h. Gedichte in Alexandrinern gefchrieben, giebt es eine grofse Menge, viele dem Stil der fliegenden Blatter, den damaligen Zeitungen fich fehr annahernd, manche noch in feltfamen Mifchungen des alten und neuen Gefchmacks.*) *) So z. B. das alterthtimliche Gedicht auf Magdeburg und die Schlacht bei Leipzig 1631; Tilly fcher Nachklang 1631 mit der barocken AUegorie. Friiher ware Tilly rein und keufch gewefen; dann habe ihm Cupido das Bild der flolzen Magd Magdeburg gezeigt. Diefe aber will lieber, dafs ihre Jungfraufchaft in Blut ein Ende nehme. Tilly wird rafend in graufamer Affenliebe. Seine Harpyenklaue tddtet fie. Da kommt der Helden-Mann aus Mitternacht. Die fSchein-Braut Magdeburg fagt zu Tilly: Hinfort ifl Hecate dein Weib und du ihr Mann u. f. w. Tilly flieht vor Guflav Adolf. Orpheus zum Tanze blies: So fo geht's allemal AUemal geht's fo zu. Corber hat die Schlacht bei Leipzig fiir feine Zeit nicht iibel befchrieben. Bei Hellbom heifst es : Hecheln und Mausefallen, die fonfl hie trugen fail, Rittmeifler wurden und kriegten deutfch Gut zu Theil. •Schrecklichen Einblick gewahrt: Bufs-Spiegel iiber die Stadt Bautzen, 1634 etc. etc. Hohenberg. * ■? 2 1 Ein Dichter trat nun aber im fiebenten Decennium mit einem Verfuch eines grofsen Epos im Sinne der Zeit auf, ein Oeflerreicher bezeichnender Weife, d. h. ein Poet, der fich weniger urn Opitz Vor- fchriften und Zweifel kiimmerte und den Italienern naher blieb und, wenn es fich urn Ankniipfung mit der norddeutfchen Bewegung han- delte, hauptfachlich auf die fruchtbringende Genoffenfchaft blickte. Wolfgang Helmhard von Hohenberg (.in den Dedications- gedichten feiner Freunde audi Hohberg genannt, Mitglied der frucht- bringenden Gefellfchaft) geb. zu Lengefeld in Niederoflerreich, im Jahr 1665 als Proteflant nach Bayern iiberfiedelnd , gab aufser andern Poefien, darunter eine Proferpina, im Jahre 1663 und 64 ein epifches Gedicht: der Habsburgifche Ottobert , heraus, eine Dichtung in fechsunddreifsig Biichern in gekuppelten, mannlich und weiblich wechfelnden Alexandrinern (aa, bb). Ein Ahn des Haufes Habs- burg wird mit fingirten Schickfalen darin befungen. Mufler ifl Ariollo, wodurch nach friiher Auseinandergefetztem das Epos wieder die grdfste Aehnlichkeit mit den gleichzeitigen Romanen bekommt. Dazu aber ifl nun die Nachahmung des Homer nicht zu verkennen. Der Verfaffer felbfl ift durch und durch in feinem Werke barock, aber eins ifl er nicht, er ift kein fchulmeiflerlich-gelehrter Pedant. Ein nach BeHeben kritiklos zufammengetraumtes, aller Grundlage entbehrendes Epos von ungefahr 30,000 Verfen kann natiirUch nichts anderes als Widerfmn ergeben, gleich den ahnlichen profaifchen Werken. Von einem Organismus ifl in dem Gedichte keine Rede. Nochmal fo lang, halb fo kurz, dies weggelaffen oder andres eingefchoben: es kame Alles auf Eins hinaus; von kiinfllerifcher Compofition ifl eben keine Spur. Hierin fleht es in einer Linie mit den Romanen von Buchholtz, Lohenflein und alien hofifchen Zeit- genoffen. Arioflo hatte eine Ueberlieferung vor fich mit bekannten poetifchen Grofsen, und er behandelte fie fubjectiv-humoriflifch; Otto- bert hat von Anfang bis zu Ende keinen Anhalt, wahrend der ob- jectiv-erzahlende Ton fur alle die Einfalle und Phantafie-Zufammen- flapelungen eingehalten wird. In diefer Beziehung fallt das Werk aus jeder Kritik heraus. Dagegen kann man dem Dichter fur die Darflellung durchaus nicht alles Verdienfl abfprechen. Er hat eine gewiffe anfchauliche Phantafie — wie fie felbft der fpatere Joh. Elias Schlegel in feinem Lemcke, Gefchichte der deutfchen Dichtung. 21 ^22 Hohenberg. epifchen Verfuch nicht zeigt. Er ficht die geclichteten Kampfe und Thaten vor dem geifligen Blick mit cavaliermafsigem Intereffe. Mehrere feiner Geflalten und feiner Einfalle find nicht tibel. Wie in der realiflifch-anfchaulichen Darflellung, zumal der Zweikampfe, ifl er befonders durch feine dem Homer nachgeahmten, oft durchaus nicht ungefchickten Gleichniffe vor Andern hervorragend. Ruremunda, eine Art Bradamante, fpricht haufig an. Ihre Gefangenfchaft durch Ana- demon, ihre Befreiung, ihre Vertheidigung mit Stuhl und Stuhlbein hat z. B. Vortreffliches. (Der Dane Duraldan, der mit dem Siegwald einen Zweikampf ficht, ifl der Sohn Frotho's aus dem Stamm Star- katers. Merovig's, Chilperich's, Brunhilden's, Fredegonden's Namen und Hiflorien werden benutzt wie Rodoalt und Rotharis , Alles frei- lich in der ungefchickten Romanweife.) Mit dem zweiten Theil verliert fich die Erzahlung leider immer mehr in's Wirre. Im dritten Theil geht die Gefchichte nach Bohmen und erzahlt von Libuffa, Primislaus, Schlachten gegen die Tartaren. Was Hohenberg in diefer Beziehung Alles zufammengeflapelt hat, welche tieferen Beziige er aus der Zeitgefchichte genommen haben mag, wie weit er fiir feinen fabelhaften im Orient kampfenden, Schiff- bruch leidenden, von Rafael geretteten Helden in dem Habsburgifchen Stammbaum irgend einen Ankniipfungspunkt gefunden, geht uns nichts an. Wohl aber, wie fchon mit Robinfonfreude von Einfiedlern, einem gefcheiterten Fraulein, von einem an Simpliciffimus erinnernden ver- wilderten Knaben auf Infeln erzahlt wird, wie Ottoberts Schififbruch und Rettung durch Rafael nach der Odyffee gedichtet ifl, nur dafs Rafael den Ottobert nicht in kurzer Weife wie Pallas Athene den Odyffeus anredet, fondern ihm eine Rede von 1400 Verfen iiber die Tugend halt, die Lafler zeigt und die Zukunft feines Gefchlechtes fagt. Ottobert ifl ficherlich eben fo felten, wie die ihm verwandten grofsen Profawerke ganz durchgelefen. *) Wenn wir Schlegels epifchen Verfuch zum Vergleich herbei- ziehen — abgefehen von Poflels Wittekind und Schonaich's Hermann, denen Hohenberg an Kraft zu fchildern weit ' iiberlegen ifl — und fehen, was Schlegel im Drama, was er unter falfchen Einfliiffen, den *) Es id immer ein eigenthiimliches Gefiihl, wenn man auf den befuchteften Bibliotheken in folchen Werken Blatter feit 200 Jahren unaufgefchnitten findet, die beim Binden dem Buchbinderhobel durcli Zufall entgangen waren. Roman: Buchholz. 323 gleichen, die bei Hohenberg fchon wirkten, im Epos leidete, dann miilTen wir diefe Kraft und Zeitverfchwendung des Ottobert um fo mehr bedauern. Hohenberg macht, wie gefagt, epifch eine Ausnahme. Die meiflen Poeten diefer Zeit begniigten fich nach dem Mufler Frank- reichs mit dem profaifchen Epos, mit dem Roman,*) wie fchon bei Zefen angeftihrt worden. Den grofsen Roman diefer Epoche flellt man fich am leichteflen vor, wenn man irgend eine abfonderUche Helden- und Liebesgefchichte in der verfchkmgenen Weife des Rafenden Rolands fich in Profa aufgelofl. und verballhornt denkt, jede Scene durch unendliche Reden in's Breite gezogen, nothigenfalls durch Moral gefpickt. Statt Phan- tafieperfonlichkeiten liebt man eine Anlehnung an die Hiftorie. Jeder Begrifif von Compofition pflegt gemeiniglich zu fehlen. Es iR ein unendliches Gefpinfl und Geflecht; der Inhalt ill ohne befondere Nach- hiilfe uniiberfehbar, ohne alle innere Nothvvendigkeit, nur der Gnade und Laune des Romanfchreibers anheimgegeben. Neben verfchiedenen Ueberfetzern aus dem Franzofifchen , Ita- lienifchen und Spanifchen thaten fich aufser Zefen in langathmigen grofsen Romanen befonders hervor Buchholtz, der Herzog Anton Ulrich von Braunfchweig und Lohenflein. Chriftian Heinrich Buchholtz (1607 — 1671), Superintendent zu Braunfchweig, ifl der Verfaffer des gewaltigen Schreibe- und Lefe- werks: des chrifllichen deutfchen Grofsfiirflen Hercules und der bohmifchen koniglichen Fraulein Valisca Wundergefchichte (acht Biicher, 1659) und der Fortfetzung Herculiscus und Herculadisla, worin der Held ein junger Sachfenfiirfi. zur Zeit des Alexander Severus ifl. Buchholtz hat mit feinen Roman-Genoffen daffelbe Ziel. Neue Bildung foil durch Mufter in Reden und Handlung gelehrt, Gottes- furcht bewahrt, Patriotismus genahrt werden. Leider ifl die Lehre diefer Zeit gemeiniglich fleif , breit , langweilig, und es fehlt der be- lebende Geift, der Enthufiasmus , die Schneidigkeit; die Gottesfurcht ifl. in gar vielen Beziehungen unerfreulich , die Lebensauffaffung ifl befchrankt und ftandesartig, refp. niedrig; die menfchliche Freiheit mit ihrem Schwung und Idealismus ifl eine unbekannte Grofse; *) Cholevius: Die bedeutendften deutfchen Romane des 17. Jahrhunderts, aiif welches Werk fchon frtiher verwiefen wurde. 21* 324 A. U. von Braunfchweig. der Patriotismus id gut gemeint, aber doch nur zu oft aufserlicher Anputz durch Namen und Phrafe; der Wille ifl durchgangig bider aber alle kiinfllerifche Einficht, die einem Romandichter nothig id, fehr fchwach. Was die gefchichtliche Anlehnung betrifift, fo ifl fie durch- gangig nur eine Fiction von bekannten Nanien; all' und jede ge- fchichtliche Wahrheit mangel t. Bedenkt man nun, dafs in folchen Werken weder Gefchichte noch Characteriflik, weder Idealismus noch Realismus zu finden ifl, dafs in ihnen AUes eine wirr fich ver- fchlingende, willkiihrliche Erzahlung ifl, die im Lehren von Anfland, Religiofitat u. f. w. den Zweck fieht und fo das Niitzen und Ergotzen zu verbinden fucht, fo erklart fich, dafs diefe Ausgeburten einer von Kunft, nichts ahnenden Phantafie ohne Gliederung, Steigerung, Gefchloffenheit, Mannigfaltigkeit, aber von langweiligfler Vielheit und Breite, zu den Werken gehoren, die jetzt vor dem Durchlefen am allerficherften find und uns kiinfllerifch erfchaudern laffen. Anton Ulrich von Braunfchweig (1633 — 17 14), der Zogling Schottel's und Birken's knupfte in feiner durchlauchtigen Syrerin Aramena (1669 — 73) an die biblifche Gefchichte aufserlich an. Fiir die Octavia (1685 — 1707) wahlte er die romifche Gefchichte zum Rahmen; beide Romane waren beflimmt «rechte Hof- und Adels- fchulen» abzugeben, «die das Gemiith, den Verfland und die Sitten recht adlig ausformen und fchdne Hofreden in den Mund legen». Der Herzog hat in diefe Romane, Andern darin folgend, Manches aus der Zeitgefchichte hineingeheimnifst. Doch foil der Namen- fchliiffel dazu verloren fein. Das Deutfchthum ifl in beide Werke, fo gut oder iibel es ging, hineingezogen ; in der Aramena dadurch, dafs der Kdnig von Bafan zu einem Konig der Celten und Germa- nen gemacht wird; in der Octavia dadurch, dafs Armins und der Thusnelda Sohn Thumelicus eine RoUe fpielt. Doch ifl in diefer die Darflellung des Chriflenthums die Hauptfache. Wer die Romane diefes Stils naher anfchaut, dem wird Cholevius' Hindeutung auf Gothe's Wilhelm Meiller nicht iiberrafchend kommen ; man erinnere fich, wie Gothe in den Bekehntniffen einer fchonen Seele tiber den chrifllichen deutfchen Hercules und die 06lavia, die vor alien d^n Preis behalten, fpricht. Der altere Mann hat wieder gebildet, was ihm in der Jugendzeit gefallen; Wilhelm Meifler bietet fchliefslich ein ahnliches Gewirr von Lebensfchickfalen, Verwicklungen, dunklen Wunderlichkeiten und feltfamen Lofungen, gegen das Ende Ziegler. 325 nebelhaft in Raum und Zeit, gleichfalls auf eine Bildung von Gemiith, Verfland und Sitten zielend. Ifl. doch audi im zweiten Theil des Faufl Manches, was an die Phantafie des 17. Jahrhunderts erinnert. Dafs iibrigens in diefen Romanen nicht felten Anfprcchendes und viel fur die Zeit Intereflantes vorkommt, braucht nicht bemerkt zu werden. Einzelne Parthien find ftiliflifch oft liber alles Erwarten flott gefchrieben. Fiir Anderes diirfen wir nicht vergeffen, dafs wir in der Periode uns befinden, darin Leibnitz unter verhaltnifsmafsig regem Intereffe der hoheren Stande philofophirte. Von diefen an Ausdehnung ungeheuerHchen Werken ifl in mannig- facher Weife unterfchieden die durch ihren haarflraubenden Anfang als Mufler des Bombafls beriichtigte «afiatifche Banife oder das blutige doch muthige Pegu» (1689) von Heinrich Anshehii von Ziegler und KUpphaufen. H. A. von Ziegler (1663 — -97), ein vermogender Adliger in der Laufitz, kniipfte an das Intereffe, welches man damals durch Ver- mittlung der Hollander fiir die oflindifchen Lander und deren An- gelegenheiten hatte. Reifebefchreibungen waren beliebt und wurden gem benutzt. Ziegler wiihlte einen gefchichtlichen Vorgang in Pegu zum Anlehnungspunkt ; wie Gryphius feine perfifchen, Zefen feine iigyptifchen, Andere ihre claffifchen Studien und Vermuthungen, nutzte er jene Reifebefchreibungen. Ziegler's Banife ifl verrufen wegen ihres Bombafles der Sprache, wozu befonders der Anfang mit feiner un- geheuerlichen, komifch werdenden Verwiinfchung Anlafs gegeben hat. Damals war diefe Sprache ein Mufler leidenfchaftlichen Ausdrucks und gait fiir uniibertrefflich. Aber diefe Banife hat auch wirkliche Vor-' ziige. Vor Allem zeichnet fie fich durch ihre verhaltnifsmiifsige Kiirze, dann durch Lebendigkeit und Anfchaulichkeit aus. Sie hat unter viel iippigem Wufl wirklich gefchickte, markige, lebendige und humoriflifche Ziige und fliefsenden Stil. Der Tyrann und Haupt- Wiitherich Chaumigrem wurde eine populare Figur; er fpielte nicht bios auf Wilhelm Meifler's Puppentheater feine RoUe, fondern das Werk fand noch lange fein grofses Lefepublicum. *) Einen eigent- *) Die letzte Auflage der Banife erfchien 1764 zu Kdnigsberg bei Hartungs Erben und zwar, wie es in der Vorrede heifst, „als gutes Mufler eines gefunden und tugendhaften Romans" — ohngeachtet ihres fchwiilfligen Stils. „Die Banife erhebt fich weit iiber die Talandrifchen Poffen und Thtiringifche und Sachfifche '126 Volksthiimlicher Roman: Grimmelshaufen. lichen culturhiflorifchen Roman beabfichtigt Ziegler in der Banife noch nicht, nahert fich ihm jedoch dadurch, dafs er fich an die Reifeberichte halt und dem Ganzen das tropifche Colorit zu geben fucht. (Der Humorifl und Realifl des Werkes Scandor, Balacins Diener und Freund gehort zu den erfreulichflen Darflellungen des Romans; zwifchen Komifchem und Widerwartigem kennt freilich auch Ziegler nicht die Grenze.) In der Banife ifl. nicht mehr der unendliche Erzahlungsfaden, fondern der Romanfchreiber fiihrt mit einer verhaltnifsraafsig lobens- werthen Selbllbefchrankung hinfichtlich all' der Thaten und Ver- wicklungen. Die Haupterzahlung bleibt in ihrem Verlauf erkennbar und bleibt Hauptfache, ein grofser Fortfchritt gegen die vorher- genannten dida6tifch-erzahlenden Roman-Ungeheuerlichkeiten, zu denen durch die Maffe und Weife auch Lohenflein's Arminius gehort, iiber den kurz bei Lohenftein berichtet werden foil. Neben diefen Werken des neuen Stils ifl. nur eine hervorragende Erzahlung volksthiimlicher Art anzufiihren, himmelweit verfchieden von den Lehrromanen und franzofifchen Nachahmungen, voll Ur- fpriinghchkeit, realifl-ifcher Kraft und Anfchaulichkeit, voll Humor und Chara6lerift.ik : ein Werk, deffen Verfaffer nur eins fehlte, um allgemein Bedeutendes und in feiner Art Claffifches zu leiflen: das Verflandnifs fiir die Compofition eines Kunflwerks. Ein kiinftlerifch- befriedigender Schlufs und der Simplicifflmus des Hans Jacob Chrifloftel von Grimmelshaufen aus Gelnhaufen (1625 — 76) verdiente alles Lob, welches man jetzt fchon haufig ihm gefpendet fieht. Grimmelshaufen (er nannte fich in feinen Schriften German Schleifheim von Sulsfort, Samuel Greifenfon von Hirfchfeld u. f. w. in der beliebten Namen-verflellenden Weife diefer Zeit; langere Zeit hielt man Samuel Greifenfon fiir den echten Namen) war als Knabe in den Strudel des dreifsigjahrigen Krieges hineingeriffen und hatte als Soldat gedient; fpater — katholifch geworden — war er Schult- heifs zu Renchen in Baden, im Dienft. des Bifchofs von Strafsburg. Er hat einige Sachen im neuen Stil gefchrieben, fo wenig von Be- Robinfone, die, eben fo abgefchmackt ,'gefchiieben wie die Felfeninfel, bis zum Ekel gelogen haben." Man mufs bekennen, dafs die Erzahlung noch heute ebenfo gut und ohne grofsere Langeweile gelefen werden kann, als eine Menge der jetzigen Zeit- todtfchlags-Romane. (irinimelshaufen: Simpliciffimus. 22 7 deutung wie die mancher Anderer. In feinem Hauptwerk und deffen Fortfetzungen und Zubehor dagegen flellte er ficli auf den alten, volksthiimlich realiftifchen — PhantalTik dabei nicht ausfchliefsenden — Boden, und hier war fein Erfolg grofs und verdient. Er nahm den picarifchen Roman auf, wie ihn Aegidius Albertinus zu Miinchen durch feinen oben befprochenen Landtflortzer Gufsman von Alfarche aus dem Spanifchen eingefuhrt und wie ihn Mofcherofch in feinen Gefichten des Philander von Sittewald, befonders in dem Soldaten- leben verwerthet hatte. 1669 erfchien diefer «abentheurHche Simpliciffimus, d. i. die Befchreibung des Lebens eines feltfamen Vaganten, genannt Melchior Sternfels von Fuchsheim» u. f. w. — die Erzahlung des Helden der Gefchichte, deffen erlle Erinnerungen fich an einen Bauernhof im Speffart kniipfen, der aufwachfl wie ein ins Derb-Bauerifche iiber- fetzter Parcival als einfaltiger, von der Welt nichts wiffender Knabe, der dann einen Soldatenliberfall und deffen Schrecken erlebt, zu einem Einfiedler kommt, hernach in's wilde Soldatenleben hinein- geriffen wird, wo er kaum der Gefahr entgeht mit Abficht wirklich blodfinnig gemacht zu werden, weil fein dumm-unfchuldig-tappifches Wefen feinem Herren grofsen Spafs macht, der dann heranwachfl, felber Soldat und ein beriichtigter Partheiganger wird, dem hohes Gliick lachelt, der in Paris Liebesabenteuer befleht, hier jedoch die Blattern bekommt und nun in Elend und Noth zuriickgeworfen wird. Ifl von da an die Schilderung des armfeligen Lebens in der Garnifon, der Rauberbande u. f. w. nun auch culturhiflorifch fehr intereffant, auch lehrhaft-abfchreckend genug, fo geht doch hier die vortreftliche Erzahlung kiinfllerifch aus Rand und Band. Der Schlufs mit einer fpringenden Erzahlung feiner Ehe, weiter Reifen durch Europa und Afien und feiner Einfiedelei auf einer Infel — feit Kaflner die erfle Robinfonade genannt, wahrend vor ihm im Ottobert von Hohenberg fich fchon Aehnliches findet, — zeigt leider, dafs der Verfaffer bei air feiner naturlichen Begabung nicht wufste, worauf es ankam. So lange er erzahlt, ifl er ganz vortrefflich, von grofster volksthiimlicher Frifche, Kraft und Naivitat und Originalitat ; er vermeidet dabei die neumodifche Einfchachtelung und fpitzfindige Verwirrung, obwohl er in wirkfamfler Weife einen Knoten zu fchiirzen verfleht — es flellt fich heraus, dafs der Einfiedler, dem er die erfle Bildung und Gottes- furcht verdankte, fein Vater und der Befehlshaber zu Hanau, in deffen •^28 Grimmelshaufen. Zeitroman: Happel. Dienfl er der narrifche Junge war, der Mann feiner Schwefler gewefen — nur kann er fich doch zu fchwer von dem Anreihen von allerdings immer fpannenden Gefchichten losreifsen und zur Compofition der Haupt - Gefchichte emporfchwingen. Schon bei feinen Partheiganger- flreichen verliert er fich zu fehr in Detail, in Jagdgefchichte und Soldatenflreich-Erzahlung — die Zauber- und Schwarzkunfl-Gefchichten find mit einem fchauerlichen Ernfl und ergreifender Lebendigkeit er- zahlt. — In einer Reihe von Anhangfeln des Simpliciffimus (Trutz- Simplex oder die Landflortzerin Courafche, Springinsfeld, Vogel- Nefl u. f. w.) hat Grimmelshaufen diefe feine flarke Seite noch einfeitiger ausgebeutet und dem derben, aberglaubifchen und rohen Gefchmack derb und aberglaubifch Rechnung getragen : in dem, was lobenswerth, eine grofse Aehnlichkeit mit Hebel zeigend. Wie Riil in manchem feiner Profawerke an den Robinfon-Campe, fo kann Grimmelshaufen in der kleinen Gefchichte an den alemannifchen Volksfchriftfleller erinnern. Im Allgemeinen aber haben wir von Grimmelshaufen daffelbe wie von Andern ihm ahnlichen begabten Autoren des deutfchen Realismus diefer und der voraufgegangenen Zeiten zu wiederholen. Mit aller Kraft der Nattirlichkeit ohne Kunfl konnte ebenfowenig wie mit fogenannter Kunfl ohne Kraft und Natiir- lichkeit der nothige Fortfchritt gemacht werden. Von den Romanfchreibern fei nur noch Einer erwahnt, der gegen Ende des Jahrhunderts fein Wefen trieb und das Publicum ^ mit Le6ture verforgte: Happel, mit den Europaifchen Gefchichts- romanen. Wie fpater mit den Robinfonen, fo hatte der Erfolg des Simpliciffimus beim grofsen Lefepublicum mehrere Nachahmungen erweckt: tiirkifche, franzofifche, ungarifche Simpliciffimi u. f. w., in denen der Hintergrund eines betreffenden Krieges genommen wurde. Happel verfertigte feine Romane mit Riickficht auf das je verfloffene Jahr, indem er im Allgemeinen die hdfifchere Romanfphare hinfichtlich des Helden, feiner Geliebten und unerhorten Abenteuer, Tugenden, Verfolgungen u. f w. einzuhalten und in Verwicklungen, Taufchungen, Aufklarungen das Moglichfle zu leiflen fuchte. So heifst es z. B. im wEngellandifchen Eduard oder fog. Europaifchen Gefchicht-Roman auf das 1690. Jahr, in welchem neben des Konigreichs Grofs-Brit- tannien Merkwurdigkeiten die denkwiirdigflen Kriegs- und Politifche Staatsfachen , Wunder-Gefchichten , Gliick- und UnglUcks-, auch hohe Todes-Falle u. f w. befchrieben wird» in der Vorrede: «Es bleibet Zeitroman. Volkslied. 32Q aber der Author nicht nur bei der blofsen Romanifirung, fondern ifl bemiihet, unter diefem Liebes- und Helden-Gedichte, audi die vor- nehmfle Handlung und Verrichtungen fo wohl in Kriegs- als auch andern Sachen, grofse Feld- und Seefchlachten, Belager- und Er- oberungen der Stiidten, wie fie mit der Wahrheit iibereinkommen, ohne Zufatz oder Jemanden Nachtheil, wie es einem Hillorico geziemet, unpartheiifch und wie fie fich bin und wieder zugetragen, auf eine ebenmiifsige nicht unangenehme Manier mit einzuflechten, damit das- jenige, was das verflrichene Jahr da und dorten Notabels vor- gegangen deflo beffer der Gedachtnlifs eingepraget bleiben moge.» Man fieht, einige Romanfchreiber der Gegenwart konnen von Happel noch protitiren hinfichtlich der frifchen Verarbeitung des Neueflen. Was Happel noch Alles fonfl verfpricht, von Befchreibungen, Hiflorien, Discurfen, Donner- und Hagelwettern , Mordbrennern^ Gifttranken, Veflmachen, Kugelbannen, Nothhemden , Geographic, Lebensbefchreibungen, Nachweifen der Unbeflandigkeit der Eng- landifchen Nation, Untreue von Freunden, von Wechfelkindern u. f. w. u. f. w. zu melden, foil hier nicht einmal im vollen Auszug an- gefiihrt werden. Schon das Wenige mag geniigen, um einen Begriff von diefem einen gegen 1600 Seiten flarken Roman des Jahres 1690 zu geben, dem einen unter vielen deffelben Stils. Dafs in diefem Gefchmiere manches Flotte und Draflifche unter- lauft, fei nicht vergeffen. Man merkt zuweilen, dafs man auf einem Boden fleht, dem ahnlich, aus dem fpater ein Fielding'fcher Tom Tones erwachfen ifl. Ein Blick auf die eigentliche Volkspoefie zur Zeit nach dem dreifsigjahrigen Kriege moge hier geniigen. Ihre Verkummerung hatte feit dem vorigen Jahrhundert zu- genommen. Die Gunfl der Gebildeten war den alten Weifen und Worten entzogen; die frifcheren Gemiither, welche fich nicht ganz in den neuen, trockneren oder gelehrteren Ton fchrauben liefsen, wandten fich dem popularen aber kunflgemafsen , bald feineren, bald derberen Gefang der Greflinger, Schwieger, Finkelthaus, Schirmer u. f. w. zu: dem neuen foldatifchen und fludentifchen Gefellfchaftslied. Das Volk (lutzte fich diefe Lieder zum Gebrauch zu, vergrobernd ■7 TQ Volkslied. unci corrumpirend, wie wenigflens die dariiber ficli beklagenden Poeten melden. Die eigne echte Produ6lionskraft war durch die Begierde, es dem neuen Stil gleichzuthun, auPs tieffle gefchadigt; unverflandene Phrafen aus dem Gelehrtenthum batten fich fchon feit der Mitte des vorigen Jabrbunderts eingefcbUcben. Das KirchenUed batte vielfach in den Tagen der Notb bei den gefitteteren Scbicbten die alten, fcbonen, idealeren LaienUeder verdrangt und viel poetifche Kraft und Zuiirom in ficb abgeleitet. Wabrend das altere deutfcbe Volks- Hed durcb feine Weicbbeit und Gemiitbstiefe oft fo uniibertreftlicb ifl, bleiben ibm jetzt mebr die roberen und zerfabrenen Elemente. An neuen balladenmafsigen Relationen bedeutender oder auffalUger Ereigniffe ifl kein Mangel; der dreifsigjabrige Krieg bat ibrer eine fcbwer uberfehbare Fillle bervorgebracbt : des Guten wenig, gefcbweige, dafs ficb die ecbte biftorifcbe Ballade entwickelt und etwa um Mans- feld, Guflav Adolf, Pappenbeim, Wallenflein, Job. von Wertb u. A. epifcb verdicbtet batte. Durcbgangig find es poetifcbe Pbantafien untergeordneten Ranges obne bobere Anfcbauung, welcbe mit den iiberkommenen Mitteln des alten Stils und bie und da mit neuem gelebrten Kunflaufputz zum Tbeil als Gefcbaft (Zeitungsgefcbaft) fort- fetzen, was friiber aus dem innerflen Regen und Leben bervor- gefprudelt war. Der Meiflergefang fcbleppte ficb bin und ward mebr und mebr ein Spott. Viele Scbulen gingen jetzt ein. Einige wenige Diflri(Sle ausgenommen batte durcb ganz Deutfcb- land die neuere gelehrte Dicbtung allein Geltung. Was ibr nicbt angeborte, war veracbtet oder ward nicbt beacbtet. Grade die Jabre nacb dem dreifsigjabrigen Kriege vollendeten den Umfcbwung. Diefe Jabre der todesmiiden Erfcbopfung, wo Jeder ficb freute, endlicb Frieden und Rube wiederkebren zu feben, wurden von den an der Spitze flebenden Macbten benutzt, das Jocb fefl und gefetzlich zu macben. Aus der Zerfplitterung und dem Eigen- willen, der obne bobere Ideen ficb um das Allgemeine und die bobere Ordnung nicbt kiimmert, kommt jetzt der Deutfcbe in die monotone, von Oben herab durcbgefetzte Zwangsordnung, die ficb um das individuelle Leben nicbt kiimmert. Poefie und Soldatenwefen mag man jetzt vergleicben: dem un- gebundenen, nur feiner Articuls- Ordnung folgenden, freien Lands- Riickblick, 331 knecht der iilteren Zeit, dem riiden, doch fchon halb gedrilltcn Soldner ties dreifsigjiihrigen Krieges folgte jetzt der Soldat des beginnenden Gamafchenthums und der Fuchtel-Ordnung unter dem ausgebildeten Officiersfland: Ordnungen, von den friiheren Auffaffungen fo ver- fchieden, wie ein modifches Gedicht von 1660 verfchieden von den Weifen des Hans Sachs. Wcnn die glatte aufsere Form als das Erflrebmigswerthe gilt, verliert das Characteriflifche feine Geltimg und gilt leicht fiir na- turaliflifch und fchlimmer fiir ein Zeichen fchlechter Erziehung und Rohheit. Man mufs dies fiir die nachflen Zeiten nicht vergeffen. Die poetifche Unerquicklichkeit derfelben nimmt nun nicht ab, fondern eher noch zu. Die Manner der erflen Halfte des Jahrhunderts find mit denen der zweiten verglichen Originale, und jene Zeit erfcheint wie die der Mannigfaltigkeit und Frifche. Das Gefchlecht der Bohme, Andrese, Mofcherofch, Lauremberg ifl ausgeflorben und damit die altere volksthiimliche Gegenbewegung; der katholifche Auffchwung geht jetzt auch voruber; die alteren, aus und neben Opitz fich entwickelnden Renaiffance-Beflrebungen nehmen ein Ende oder gehen Wandlungen ein. Jeder kann jetzt die neuen Formen handhaben. Jeder meint, er ware damit auf der Hohe der Zeit. Alles wird uniformer, aufserlicher, unkiinfllerifcher. Da die lebendige Triebkraft im deutfchen Volke denn doch noch nicht ganz erlofchen ifl, fo erzeugt das Uebermaafs wieder gewiffe Gegenbewegungen ; aber in all' den Schwankungen und Kampfen wird das Wefen der Poefie auch fernerhin verkannt, und wahre Poefie kennt Keiner und bringt Keiner. 12. HofmannsAvaldau und Lohenstein Oder die sogenannte zweite schlesische Schule. Opitz hatte zum Ziel den in gelehrter claffifcher Bildung ge- fchulten, in jeder Hinficht maafsvoUen und verflandigen, etwa im Sinn eines Cicero eklektifch-philofophifchen, vorurtheilsfreien, virgilifch- horazifch klaren, feinen Menfchen, den humaniflifchen Weltmann. Der barock-gelehrte Gefchmack trat bei ihm allerdings flark hervor. Ueber dies fein Streben war er als Poet zu fehr Dida6liker geworden. Das Verflandesmafsige des Niederlandifch-Franzofifchen und deffen Mufler, der lateinifchen Poefie, hatte ihm am meiflen zugefagt. Zu feiner eigentlichen Schule gehoren die, welche in diefer Be- ziehung mit ihm auf demfelben Boden flehen. Die Katholiken und die Niirnberger gingen andere Wege, von den volksthiimlichen Richtungen abgefehen. Harsdorfifer hatte weniger die humaniflifche Bildung als die zierliche Aeufserlichkeit im Auge, welche er bei den Italienern fah. Er griff weit oberflachlicher die Neuerung an, ein Nachahmer, der fiir das Einzelne ein nicht unrichtiges Gefiihl hatte. Sein Verdienft war, dafs er in bewufsterer Weife die Phantafie, mochte fie nun auch fo verfchroben zu Tage treten, wie fie wollte, gegen die do- minirende Verflandesrichtung bei den Opitzianern fetzte. Da Opitz todt war, als Harsdorffer hervortrat, fo war es diefem bei feiner Stellung und feinen Verbindungen um fo leicliter, zu einem nicht un- bedeutenden Anfehn und fomit zur Wirkung zu gelangen. Seit der Mitte des Jahrhunderts dringt der Niirnberger Phan- tafie, refpe6live ihr Bombafl, wie wir fahen, iiberall ein, uiiter- fliitzt durch die fremden Poefien, fo Aveit diefe die gleichen Ten- denzen verfolgten. Eine Entfefflung der Subjeftivitat wird aber Hofmannswaldau. 333 durchaus nicht beabfichtigt. Das formale Element waltet noch immer vor. DerMann, welcher lachend erkliirt, von der nioralifch-dida6lifchen and der formalen Theorie fich dispenfiren zu wollen und, ein echtes Kind der Zeit frifcli weg die vornehm modifche Liiflernheit poetifcli verwendet, begriindet eine neue Schule, die um fo wichtiger wird, weil fie in dem Hauptland des Opitzianismus, in Schlefien, die Opitzifchen Grundfatze unidofst und neue an die Stelle fetzt. Nicht mehr der humaniflifch-dida(?tifche Poet, fondern kurzweg der Welt- mann des italienifchen Barockflils bekommt nun das Wort. Die neu- hofifche Anfchauung fchlagt damit in wichtigen Kreifen vor, vvahrend bisher die gelehrte und fchulmeiflerliche der neuen Bildung den Ton angegeben hatte. Da Deutfchland aber keinen eignen hofifchen Ton ausbildet, wird in ihm der beginnende Kampf um das Ueber- gewicht des italienifchen Barock- oder des franzofifchen Stils poetifch durchgefochten. Chriflian Hofmann von Hofmannswaldau (1618 — 79)*) ifl es, der fich gegen die neue Meiflerfangerfchaft der Herren von Katheder und Kanzel flellt und nicht nach der Antike bilden will, fondern aus dem modernen Barockgefchmack herauspoetifirt und mit vor- nehmer Geringfchatzigkeit auf die Pedanten der Silbenraaafse herab- fieht, welche von der Hauptfache der Poefie, der Amourfchaft, nichts wiffen. Wenn Opitz einflmals in diefer letzten Beziehung hatte die Fliigel einziehen niiiffen, fo war die Zeit jetzt eine andere und kein Ludwig von Anhalt Sittenrichter. Hofmannswaldau hatte das richtige Gefiihl von dem, was Noth war, wenn er bei feinem Dichten fich iiber die «gemeinen Schul-Poffen» und die Schul-Gelehrfamkeit, ihre Mythologie etc., luflig machte und von fich ausfagte: «lange auf Kunfl und weitgefuchte Dinge zu denken oder iiber alien Wortfatzen Rath zu halten und driiber in den Nageln zu klauen, ifl kein Werk vor meinem Gemtithe." Aus den Schul - Cliquen trat er heraus, fich in feiner Stellung erhaben fiihlend iiber ihre Pedanterien und Gehaffigkeiten. Um diejenigen, die «aus vergalltem Urtheil oder *■) Ch. Hofmann von Hofmannswaldau geb. zu Bieslau 1618, lernte auf dem Gymnafium zu Danzig Opitz kennen, der den Jiingling auszeichnete. Er ftudirte zu Leyden, bereifte mit dem Fiirften Fremonville die Niederlande, Eng- land, Frankreich, Italien und kehrte iiber Wien nach Breslau zuriick, wo er 1646 Rathsherr ward und 1679 als kaiferlicher Rath und Rathsprafes ftarb. 234 Hofmannswalclau. Richtgierigkeit etwas Widriges aus feinem Werk zu entfpinncn be- gehren» bekiimmert er fich fo wenig als um «die Hof- Junker des grofsen Mogols oder um die Mohren in den Zucker-Muhlen», von denen ihm fchwerlich einer viel werde fchaden konnen. Er dichte zu feiner eignen Belufligung und laffe nur drucken, weil Andere fonfl feine Sachen herausgeben wurden und fie verftiimmelten, wie es fchon gefchehen. Die Liebe nennt er ein Hauptagens der Poefie; er wiffe gar wohl, dafs «Gedichte in allerhand Bewegungen des Gemtiths und von allerhand Arten gefchrieben warden konnen, doch fcheinet es, dafs die Poefie iiberall Fremdling und in dem Land der Liebe alleine zu Haufe ift, und faget ein gelehrter Auslander nicht ungereimt, dafs man der Poefie mit Entziehung der Liebesfachen die Herz- Wurzel verfleche und hergegen der Liebe durch Entziehung der Poefie den lieblichflen Blumengarten verfchliefsen wurde.» Zug zur Poefie habe er von Jugend auf gehabt; als neunjahriger Knabe habe er an Maximilians Theuerdank Silben zahlen gelernt, an Dichtern, nicht durch gedruckte Anweifung habe er fich gebildet und eril fpater fleifsig Theorie getrieben. In mehr als einer Beziehung leitete ihn alfo ein richtiges Gefiihl und dies machte auch feine Bedeutung und gab ihm die ungeheure Wirkung in feiner Zeit: er war durchgreifend. Er zeigte wieder Un- abhangigkeit vom Formalismus, von Handwerksdichtung um Brod und von der Furcht vor rigorofer moralifcher Verketzerung, gegen welche er fich auch durch feinen ganzen Chara6ler als Menfch und hoher Beamter deckte. Ein wohlgemuther, freundHcher, verflandiger ]\Iann, fchneller, wenn auch oberflachlicherer Faffung, von leichter Phantafie, thatig und tuchtig im Amt, hiilfreich, in behaglicher Lebensftellung — fo konnte er gegen Schulftaub und Kanzel feine Aufgabe erfiillen und erflillte fie. Leider fchofs er dabei weit iiber das Ziel hinaus. Die Ueppigkeit und Sinnlichkeit, welche er uberall auf feinen Reifen im Leben und in der Poefie der Fremden gefunden hatte, nahm er frifchweg heriiber; ihn, wie fo manche perfonlich maafsvolle Manner, amiifirte die Frivolitat des Sinnlichen mehr, als dafs fie auf feinen Character verfchlechternd wirkte; er hatte, ab- gefehen von den wunderfamen Schrullen, die aus der Liebes-Theorie floffen und ihn gegen den Anfland blind machten, fein heiter-ober- flachliches Spiel mit dem Unziichtigen. Gegen die Heuchelei, die, damals fo wenig wie je eine rohe craffe Sinnlichkeit ausfchlofs, Hofniannswaldau. ^^^ ftcllte er fich lachend und enthlillte epicuraifch-fpottifch alle Nackt- heiten mit etwas kiinfllerifchem und viel modemafsig luflernem Formfinn, aber er konnte die Grenze, die vom Gemeinen fchied, nicht einhalten. Extreni kam gegen Extrem, die Liiflernheit fo fchlimm und das Blut vergiftend wie die moralifche Pedanterie lang- weilig und das Blut verdickend. Sicherlich trieb ihn der falfche Satz von der redenden Malerei noch mehr auf Irrwege. Man mufs fich die beliebten Vorwiirfe aus der mythologifchen Malerei ver- gegenwartigen, die Leda's, lo's, die Aufdeckungen der Satyrs u. f. w., um zu fehen, wie man zu diefer fchildernden Verirrung der Sinn- lichkeit in der Poefie gelangen konnte. Hofmannswaldau hat Heldenbriefe, poetifche Gefchichtsreden und viele weltliche und geiflliche Gedichte gefchrieben; aufserdem den ttgetreuen Schafer» von Guarini und den cdlerbenden Socrates » von Theophile iiberfetzt. Wie und wo es ihm fehlt, zeigt fchon die fiir feine Epoche hochfl wichtige Vorrede zu feinen Werken. Es war nach Opitz Poetik Mode, jede Vorrede wo moglich zu einer kleinen Poetik zu machen. Seine Jugend fei in des Opitz Zeit gefallen. « Meiner Natur gefiel diefe reine Schreibens-Art fo fehr, dafs ich mir aus feinen Exempeln Regeln machte und bei Vermeidung der alten rohen Teutfchen Art mich der reinen Lieblichkeit fo viel moglich gebrauchte: bis nachmals ich auf die Lateinifchen, Welfchen, Fran- zofifchen, Niederlandifchen und Englifchen Poeten gerieth, daraus ich die finnreichen Erfindungen, durchdringende Beiworter, artige Be- fchreibung, anmuthige Verkniipfungen und was diefem anhangig, mir je mehr und mehr bekannt machte, um nicht, was fie gefchrieben, nachzufchreiben, fondern nur deren Art und Eigenfchaft zu beobach- ten und folches in meiner Mutterfprache anzuwenden. » Das heifst: die Grundlage feines Poetifirens ifl das vernunftige, profaifche Anfchauen und Verarbeiten, dies aufserlich-poetifch auf- geflutzt durch pomphafte Sprache, Gleichniffe u. f. w. Da er die Vorwiirfe der Niederlander, Franzofen und der Niirnberger, Balde's u. A. gegen Opitzens Mangel an Erfindung und deffen Nachdichtung An- derer kennt, fo miiht er fich, freier zu dichten, nicht nach — fondern neben — zu erfinden. Und hierauf legt er nun triumphirend das Hauptgewicht Mit anwachfenden Jahren habe er vermittelfl. fleifsiger Durchfuchung gelehrter Schriften auch endlich dichten und erfinden konnen « indem das erfle allein der Pritfchmeiflerei gar nahe kommt ^^5 Hofmannswaldau. das andre aber, fozufagen, der Poefie Seele ifl». Ein richtiger Ge- danke, Streben nach Inhall gegen die formalen Reimer, kam hier ia diefer Weife entflellt zum Vorfchein. Intereffant ill, wie er fich theoretifch Opitz anfchliefst und in welcher Art er ihn zu erweitern fucht. Die neueren citirten Autoren zeigen den Standpunkt der Zeit. Fur den Werth und die Berech- tigung der Dichtung miilTen wieder Mofes, Debora, David, Arifloteles, Mufaeus, Homerus, Thales u. A., dann die Druiden und Barden Zeugen fein. Dann aber werden auch die «halb-erfrorenen Lappen mit ihren Morfe faurog oder Hochzeitsgefangen und die Areitos und Haravac (Poeten) der neu-erfundenen americanifchen Lande» angefiihrt, zum Beweis ein Indianerlied auf eine Schlange beigebracht. Ueber die Erfindung des Reims wird verhandelt; neben Dante und Petrarca werden die Troubadours citirt und die bekannten Italiener und Fran- zofen; doch hat Ronfard den Alten zu knechtifch angehangen. Mal- herbe, Theophile, St. Amant, Geodeau, Moine, Chapelain, Scuderi, die beiden Corneille werden hervorgehoben. Dazu Boscan und Gar- cilaffo, Monte-Major, Lopes de Vaga, Quevedo, Caflillejo, Ercilla und Juan Rufo von den Spaniern. Chaucer und Robert von Gloceiler hatten nicht die Gelehrigkeit, Kunfl und LiebUchkeit wie Edmond Spenfer, Michael Draiton, Johnfon, Quarles und Dons/) Heinfius, Cats, Hiigens, Vondel, Hofft, Weflerbaen, Veens, Vos, Deker werden von den Niederlandern gertihmt. Nach den citirten Druiden und Barden wird Otfried (« achthundert Jahr nach Chrifti Geburt, zur Zeit der Kaifer Lotharii und Friedrichs » !) genannt und aus ihm citirt, dann ein Gemifch von Namen, Cunrad von Wiirzburg (um iioo!) Hermann v. Sachfenhaufen, Werner von Tiifen, Wolfram von Efchen- bach u. f. w. Dann fei die Poefie meiflens unter gemeine Hande gerathen, bis auf das vermeintliche Werk Maximilians «darinnen ich im neunten Jahr meines Alters mich fehr belufligt und die Silben zahlen gelernt». Sodann wird Hans Sachs genannt, «deffen Kopf und Art nach Befchaffenheit der Jahre, darinnen er gelebet, ich gar nicht tadle und wurde er, wann er beffere Wiffenfchaft von gelehrten Sachen und genauere Anweifung gehabt hatte, es vielen, die nach feiner Zeit gefchrieben und manche ungereimte Dinge uns fehen und horen laffen, weit vorgethan haben». Erfl mit Opitz fei der Auf- •'■) Die Namen nach Hofmannswaldau. Hofmannswaldau. 23/ fchwung gekommen; verdient nach ihm Tfcherning, Colerus, Czepko, Dach, Fleming (wegen der Sonette) , Rid, Titz, Miihlpfort, Hars- dorfter, die beiden Gryphii und Lohenflein, Anderer zu gefchweigen. Bei Hofmannswaldau's Anficht von poetifcher Erfindung und bei feiner Art Reimbegabung liefs fich natiirlich eine grofse Mache ent- wickeln. Es ill nicht nothig lang auseinanderzufetzen, was bei keeker Laune, breiter Schilderung der Sinnlichkeit als Ziel, (denn die Liebe bewegte ikh mit fchamlofer Offenheit um die Sinnlichkeit) bei leich- ter, nach Vers und Sinn einen gewohnlich fliefsenden Ausdruck tindender Phantafie, beim Princip der Ausmalerei, d. h. des Schvvullles, zu Stande kam. Mochte hie und da ein leichter, frifcher Klang in der Lyrik ertonen, mochte Hofmann hie und da poetifche Einfalle haben und einigen guten Gedanken Ausdruck geben (die Thranen der Tochter Jephte bringt ein Bild, in der Art des Abfchieds der Jungfrau von Orleans, wo Jephte von Thai, Berg, Flufs Abfchied nimmt), feine Dichtung als Ganzes ill durch verilandesmafsige Ausmalerei, Frivolitat, die oft plump in's Gemeine und Ekelhafte fallt, und jenen angeleim- ten Schmuck des Bomballes entllellt. Es fmd ausgedachte Stoffe in ausgedachten Verfen — keine Gedichte. Und diefe Seite feines Schaffens, nicht die befferen Ausnahmen darin, wirkte am meillen; darauf fliirzten fich naturUch die Nachahmer zuerll und iibertrieben die fchon grofsen Fehler bis in eine kaum denkbare Caricatur. Eine Malerei beginnt, ein Bomball, ein Vergleichen und eine Schlupfrig- keit, eine Gemeinheit in Bezug auf Alles, was man fonfl fiir fcham- haft halt, dafs man die Gedichte lefen mufs, um zu glauben, dafs fo Etwas in Deutfchland gedruckt worden und fiir fcherzhaft gegolten hat. Ware noch naturkraftige, frifche Sinnlichkeit darin, antike Genufs- kraft! Thierifche Sinnlichkeit, jene derbe Obfconitat der Faftnachts- fliicke ift noch fittlicher als diefe kitzelnde Liillernheit. Die galanten Gedichte in Neukirch's Sammlung der « auserlefenen und bisher un- gedruckten Gedichte des Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutfchen» bieten dafur Auswahl. (Bei den fchlupfrigRen hat fich iibrigens der Herausgeber gehutet, Anfangsbuchflaben hinzuzufetzen; die Gedichte fmd nur zum Theil von Hofmannswaldau, was zuweilen bei Citaten nicht genug beachtet wird, fo dafs ihm Gedichte zu- gefchrieben werden, die auf Rechnung feiner Nachahmer kommen). Hofmannswaldau hat fich felber viel auf die Helden-Briefe zu gut gethan, welche die Liebesgefchichte beriihmter Perfonen, wie Lemcke, Gefchichte der deuijchcn Dichtung. 22 -^-jg Hofmannswaldau. Lohenflein. Eginhard's unci Emma's, die mit einer nackten, rohen Deutlichkeit fonder Gleichen gefchilderten Begebniffe Abalard's und Heloifens u. A. behandeln; fie fanden natiirlich ihrc Nachahmer, obwohl fie klaglich langweilig in ihrer craffen undelicaten Behandlung find. Ovid's Briefe hatte er fich daflir zum Mufler genommen; wie holzern, wie klappernd der Schlefier des 17. Jahrhunderts gegen den leichtfertigen Dichter des Augufi.eifchen Rom's, bedarf keiner Auseinanderfetzung. Plump zeigt Hofmannswaldau flets die pfychologifche Mafchinerie. Nirgends Reiz. Wie denn uberhaupt die ganze Schule durch die mifsverflandene Eloquenz fich felbfl zu Grunde richtet, weil fie da- durch, dafs fie Alles fagt, was fich ungefahr fagen lafst, Alles lang- weilig und abgedrofchen macht. Auf gleichen Wegen mit Hofmannswaldau wandelte Cafp. Dan. von Lohenflein,*) dem auch «Schlefiens Himmel oder ich weifs nicht was fiir ein Geifl den Trieb zum dichten eingefldfst», wie er felbfl fagt; auch er ein holier Beamter, der aus Dichten kein Hand- werk macht, fondern es zum Zeitvertreib iibt, der auch nur des- wegen feine Dichtungen herausgiebt, dafs man fie ihm nicht ver- fltimmle und fremde unterfchiebe, der zwar mit Hinweifung auf Kaifer und Konige und Mofes die Poefie vertheidigt, aber fie doch mit Herablaffung behandelt und auf die Ernflhaftigkeit feiner jurillifchen Befchaftigung hinweill, um eine gewiffe Saure feiner Dichtung zu entfchuldigen; kurz ein Poet, der gleich Hofmannswaldau den vor- nehmen Herrn herauskehrt und eifrig forgt, dafs er nicht zum ge- wohnlichen Dichtertrofs gerechnet werde. Einen Satz feiner Vorrede zu den « Blumen » kann man als fein Princip hinflellen: «dafs in der Dichter-Kunfl das nur erlangte Mit- telmaafs, welches doch fonfl der Maafsflab aller Vollkommenheit ifl, jederzeit fiir einen grofsen Fehler gehalten worden. » Danach hat er in Bezug auf Maafs gehandelt. Alles hat er iibertrieben. Hofmannswaldau's lyrifche Anlage geht Lohenflein ab; eine in Gewaltfamkeit nach dem Erhabenen llrebende Rhetorik macht feinen poetifchen Trieb aus; Gryphius fchwebt ihm vor Augen; er drama- tifirt mit diefer Rhetorik: darin fah feine Zeit feine Hauptbedeutung. *') C. D. von Lohenflein, geboren 1635 zu Nimptfch in *Schlefien , fludirte in Leipzig und Tubingen, wurde in der Heimath friili befordert, fpater kaiferlicher Rath und erfter Syndicus in Breslau, wo er 1683 ftarb. Lohenftein. 339 In feinen Gedichten, Liebesbriefen u. f. vv. folgte er Hofmannswaldaii, ohne ihn in der «lieblichen» Art zu erreichen, wenngleich er ihn noch iiberhofmannswaldaute. Am wirkfamflen war Lohenftein als Dramatiker. Als folcher wird er zu einem der intereffanteften Objecte fiir Jeden, der Verir- rungen ftudiren will. Seine Anlage ging auf das Rhetorifche und Bedeutende. Ein Drang nach Grofsartigkeit des Stoffs und der Sprache erfullt ihn. Seneca, Gryphius geben ihm die Richtung. Wahrend Gryphius tief innerliches Gefiihl befitzt und daher wahrhaft fchmerzvolle und nachbebende Tone hat, ift Lohenftein aufserlich und auf das Aeufserliche gerichtet. Sein Kopf ift feft; feine Hand in feiner Weife ficher; feine pfychologifche Kenntnifs nicht verachtlich. Die «Saure» feiner Dichtung, der Ernft ftimmte recht gut zu Tra- godien. Auch der Trieb ift nachhaltig und wahr; niit funfzehn Jahren hat er den Ibrahim zu dramatifiren begonnen; Cleopatra, Agrippina, Epicharis, Ibrahim Sultan, Sophonisbe folgten. Aber welche unglaubliche Verirrung kommt dabei heraus. Alles Gefiihl fiir Maafs ift verloren; die durch die Griiuel des dreifsig- jahrigen Krieges und der Juftiz jener Zeit abgeftumpften Nerven ver- langen zur Reizung das Entfetzlichfte, damit in falfch verftandener Weife die Btihne tiber die Wirklichkeit den Sieg davon trage: Ent- fetzliches in Schrecken und dazu natiirlich an Schuld, beides in widerwartigfter Deutlichkeit. Mit einer verhenkerten Phantafie und protocollarifcher crimi- naliftifcher Genauigkeit in der Ausmalung geht Lohenftein in feinem Stoff vor. Gefiihl fiir Anftand, fiir die Grenze, wo Schmutz und ekelhafter Grauel beginnt, hat er nicht. Gleich Gryphius folgt er wohl den Zeitbewegungen. Die Tiirkenkriege bewegen ihn, dramatifch Schlage gegen den Erbfeind zu verfuchen, der ja bis an die Thore Wiens wieder vordrang; er fchildert die Despotic und Wahnwitzigkeit eines Ibrahim, die Corruption am Sitz der Pforte. Der Mord eines Clement, Ravaillac's reizt feine Phantafie. Seine Gedanken bewegen fich richtig um den iiberhand nehmenden fiirftlichen Abfolutismus, der jetzt mit den ftiindifchen Freiheiten durch Machtfpruch , Gewalt und felbft mit dem Richtbeil kampfte; Despotic, Verfchworung da- gegen, Freiheitsbeftrebungen fmd fein Lieblingsthema, wozu aufser der tiirkifchen Gefchichte die romifche, befonders Tacitus ihm die Stolife liefert, aber in den fmnlofen Uebertreibungen wird die zu Grunde 22. 340 Lohenflein. liegende gute Idee erflickt und Lehre und Warnung klappert pedan- tifch nach. Die Rohheit des Gefiihls und die Maivitat diefer Tage ifl erflaunlich. So dedicirt z. B. Lohenflein feine Agrippina, in wel- cher eine Hauptfcene die ifl, dafs Agrippina ihren Sohn Nero durch ihre korperlichen Reize zur Blutfchande verfuhren will, der Herzogin von Schlei'ien-Liegnitz, «denn ihre (der Agrippina) Lafler vviffen nir- gends als bei denen Tugenden einer grofsen Herzogin Gnade und die, welche dem Mord-Eifen ihres Sohns nicht entfliehen kann, nur bei einer Mutter des Landes Befchirmung zu finden». In «Epicharis» ift durch die Folterungen das Unglaubliche geboten; der Anblick des vorgefetzten Holzfchnitts mit fengendem Henker, aufgefchlitzten Adern und gekopften Perfonen kann libel machen und tief in den ganzen fchrecklichen Zufland einer Zeit fiihren, die dies Stiick mit diefeni Bilde ausdenken, fehen und ertragen konnte — nicht bios auf dem Papiere! Aehnliches iibte fie ja als Gerechtigkeit in den Folter- kanimern und auf dem Richtplatz! Als Gerechtigkeit! O Erbarm- lichkeit menfchlicher Natur! Und nicht als Ausgeburten toller Fieber- phantafie flehen diefe Stucke da; entfetzlich niichtern bei allem Schwulfl find fie durchgeflihrt; alle Hauptphrafen find durch Gelehr- famkeit gebunden, vvofiir in den langen Anmerkungen der juriflifche Beweis der Echtheit und Wahrheit angetreten wird, indem der Dichter gleichfam zeigt, dafs fein Werk aus Citaten der beriihmtellen Autoren zufammengefetzt ifl.. Das Faunifche Hofmannswaldau's fehlt iibrigens Lohenflein, wenngleich feine Unanflandigkeiten noch grofser find, was die Wider- lichkeit wo moglich noch widerlicher macht. Von Gryphius und den Hollandern hat er die Nachahmung der antiken Chore in den Reyen beibehalten, wodurch ein fonderbares Spiel der Phantafie in die Stiicke hineinkommt, an deren AUegorifiren hie und da der zweite Theil des Faufl. anklingend gemahnen kann. Am bekannteflen ifl. der « Lohenfleinifche Schwulfl », jene iiber- triebene, den italienifchen Manieriflen, befonders Marino nachgeahmte, im Stil Hofmannswaldau's fich bewegende Sprache, welche fich bei Lohenflein in vielen, vermeintlichen Glanzflellen feiner Dichtungen bis zu einer folchen Lacherlichkeit fleigert, dafs der RUckfchlag da- gegen wie gegen feine fonfligen Uebertreibungen erfolgen mufste und zur Bildung einer neuen Schule trieb. Das non plus ultra bot Lohen- flein in feiner Leichenrede auf Hofmannswaldau, den «grofsen Pan». Lohenflein. Anhiinger der 2. fchlefifchen Schule. 'to 341 Ein hoch gepriefenes Wunderwerk liefs Lohenflein unvollendet zuriick: den ungeheuren Roman Arminius*), von dem freilich bald nach dem Tode des Dichters fchon ein Verehrer klagt, «dafs die wenigflen fich die Miihe nehmen, diefes herrliche Buch auszulefen". Es id ein patriotifcher Roman im Stil der obengenannten Genoffen, imgeheuerlich an Ausdehnung und durch das , was Alles hineingear- beitet ifl; manches Tiichtige dazwifchen, manches frifch und flott Gefchriebene: ein folches Buch einer gewaltigen Rumpelkammer gleich, in der man immer wieder Neues findet und in der namentHch die Jugend fich unbefchreibHch ergotzen kann, wenn auch gar nichts Brauchbares daraus fiir die Folge zu entnehmen fein follte. Es war bei Lohenftein die alte, in den verfchiedenflen Epochen wiederkehrende Verkehrtheit , das Erhabene mit dem Schwiilfligen, das Grofse mit dem Grofswortigen, das EntfetzHche mit dem Tragi- fchen zu verwechfehi. Im Uebrigen fleht diefe Poefie in ihrer Manier auf demfelben Boden mit der damaligen bildenden Kunfl. Dort wie hier Schwulll tiber niichternem Schema; dort aufgebaufchte Phrafe und outrirte Empfindung, ungewohnHche Beiworter u. f. w., hier das Alles in die korperliche Form, in Muskel und Schnorkel und Kleider- baufch und Stellung iibertragen, dort aufserliche Bravour und iiufser- liche Gelecktheit im Vers, hier in Formen und Farben. Und doch vertrat in der Poefie die zweite fchlefifche Schule die Phantafie gegen den Verfland und hatte ihre Gegenfatz-Nothwendigkeit. Die Jugend fiel ihr fortan meiflens zu, um freilich, wie es zu gehen pflegt, mit zunehmenden Jahren fich den regelrecht-gemafsigteren Schulen zuzuwenden. In ihrer Jugendzeit flanden fiir fie ein die Beffer, Neukirch u. A., Poeten, welche dann aus diefem italienifch-barocken ganz in's neu- franzofifche Lager Ludwigs XIV. ubergingen. Zu der zweiten fchlefifchen Schule werden, mit mehr oder minder Recht, gezahlt der breite, unerquickliche, in feiner Anlage durch falfche Lehre verdorbene Heinrich Miihlpfort (1639 — 81), Hans von Affig (1650 — 94), Chriflian Gryphius (1649 — 1706), der Sohn des gro- fseren Andreas Gryphius und Hans Afsmann von Abfchatz (1644 — 99)- Abfchatz tritt unter diefen am kraftigften und klarflen hervor. Sein deutfches Kriegslied ifl z. B. von iiberrafchender Kraft; neben *) Cholevius a. a. O. 342 Lohenfleinismus. feinen Epigrammen war befonders feine Ueberfetzung des Pallor Fido beriihmt. Gefunder Menfchenverfland und Anftand begannen bald fich gegen den Lohenfleinismus und den Schilderflil der fchlechten Hof- mannswaldauifchen Poetik zu erheben. Das alte Spiel dauert aber noch lange fort. Das Gegengift wirkt fo iibel wie die Krankheit felbfl. Der Kampf zwifchen dem Uebertriebenen und dem Nuchternen kommt zu keinem richtigen Ausgleich. Er fchleppt fich mit grofser Erbitterung und haarflraubendem Unverfland durch die nachilen Zeiten. Er beherrfcht die Partheien Gottfched's und Bodmer's; der alte Schlachtruf gegen Lohenilein foil bei Klopflocks Auftreten zu neuer Bedeutung geflempelt werden, ja er klingt noch hinein in Schillers erfles Auftreten. Lohenfleinifcher Schvvulfl wurde dem jungen Medi- ciner vorgeworfen, der nach anfcheinend begriindeter Ueberlieferung noch mit der Bombafldichtung in feinen Knabenzeiten genahrt ward. Neukirch's Sammlung fcheint der poetifche Hausfchatz gewefen zu fein, aus dem er feiner Mutter vorzulefen hatte. Man pfiegt ja auch noch heutigen Tages in kleineren Burgerhaufern um hundert Jahr und mehr in der fogenannten fchonen Literatur zurtick zu fein. 13. Anti-Lohensteiner. Die Gelehrten. Fiir die Bewegungen in der Poefie der nachflen Decennien ver- gefl'e man nicht die grofsen geifligen Stromungen im Auge zu be- halten, vvelche im Volkerleben Europa's hier gegeneinander, dort neben einander gingen und nach Ausgleichung flrebten. In den hoheren Kreifen beginnen der italienifche Barockgeifl und das franzofifche Wefen, wie es jetzt als Stil Ludwig's XIV. fich aus- gebildet hat, miteinander um die Herrfchaft zu ringen. In beiden herrfcht ein manierirter Idealismus. Jetzt tritt der Realismus da- gegen mit neuen Auffaffungen und voll innerer Ueberzeugung auf. Nach Verflandigkeit und Klarheit flrebte auch der franzofifche Geifl und dies gab ihm feiner Zeit das Uebergewicht unter den Mitbewer- bern, wie fie fich aus dem MittelalterHchen zu lofen fuchten, aber er hatte dann mit dem hdfifch-ariflocratifchen Idealismus fich verquickt und deffen tiberfpannten damahgen Anfichten gemafs die Naturwahr- heit verletzt. Jetzt kommt der democratifche, durch das Wiffen ge- regelte, im Nutzen das ideale Ziel fehende Geifleszug, wie ihn be- fonders die Niederlande reprafentiren , um Hand in Hand mit den neuen Entdeckungen aller Art die Geifler aller Orten zu erregen und das Leben unter andere Gefichtspunkte zu bringen. Ludwig XIV. von Frankreich, Augufl der Starke von Sachfen reprafentiren uns den franzofifchen und den italienifchen Geift. Der Czar von Rufsland auf dem Schiffszimmerplatz von Saardam arbei- tend und der gefiirchtete Befucher Dresdens in Stulpfliefeln , der Verachter alles Prunks, Carl XII. von Schweden zeigen uns die Gegen- flromung und ihre Kraft und Bedeutung. Will man die Entwicklungen und Gegenfatze im Nacheinander betrachten, fo fehe man den grofsen Churfurflen, ein bedeutender, 344 Weife. felbflandigerer Renaiffancegeifl, ein kiihner, Opitz ahnlicher Reformer, wenn man folche verfchiedene Thatigkeiten vergleichen kann, dann Konig Friedrich I., italienifch-franzofifcher Stil, dann Friedrich Wil- helm I., hollandifcher Niitzlichkeitsendiufiafl vom Scheitel bis zur Zehe. In der deutfchen Poefie fpiegeln fich im Kleinen alle die grofsen Bewegungen wieder. Hinter jedem der Fuhrer (leht eine grofse Parthei, fleht ein Geifl, der mehr zu befagen hat, als man nach feinem Vertreter vermuthet und der von diefem felbfl in feiner wahren Bedeutung durchaus nicht erkannt wird. Die Schulmeifler-Poefie hatte nach den Begriffen der Schuhneifler fo herrlich gebluht, und nun kamen der Herr v. Hofmannswaldau und der Herr v. Lohenflein und fprachen liber deren Principien fo wegwerfend.*) In mehr als einer Hinficht war es nicht zu verwundern, dafs diefe wieder aus jenen Kreifen heraus ihre Widerfacher fanden. Die Sachfen batten felbfl zu des grofsen Schlefiers, Maro-Opitz', Zeit eine gewiffe Selbflandigkeit und altere Tradition bewahrt. Gegen den Bombafl der zweiten Schlefier fich aufzulehnen fand unter den Erflen wieder ein Sachfe den Muth. Der beriihmte Schulmonarch von Weiffenburg und Zittau, Chriflian Weife (1642 — 1708) aus Zittau, trat mit der Forderung des gefunden Menfchenverflandes gegen den Hofmannswaldau-Lohenfleinifchen Gefchmack auf und vertrat nebenbei unumwunden das iibrigens altgeiibte Niitzlichkeitsprincip in der Vers- macherei der Schule. Er flammte als Poet dire6l von den Poeten des Leipziger Kreifes ab, die mit ihrer Anlehnung an das fludentifche Gefellfchaftslied und durch ihr Streben nach Frifche und Ungenirt- ®) Eine vorziigliche Anfchauung der Gymnahen-Poefie kann man gewinnen aus Joh. Bohme's: vier Biicher Odarum oder Gefange in Teutfche Verfe iibeifetzt (1656). Der Dresdener Rector paradirt darin mit den Ueberfetzungen feiner Schiller, welche diefelben in Alexandrinern , Anapaflen a. f. w. , Alias gereimt, bringen. Sie find durchgehends haarftraubend. Od. I. 22, vierte Strophe, heifst: Diefer Wolf war alfo graufend, Dafs auch nicht dergleichen Wild In Apulien dort briillt, Da der Krieger find viel laufend. Noch hegt wo das Morenland Solche Thiere in den Waldern, Von den ftets erhitzten Feldern, Da viel Lowen, wie bekannt. Weife. 345 heit fich in Brehme, Finckelthaus , Schoch u. A. eine volksthiimliche Specialitat gefchafifen hatten, aber auch haufig innerhalb der Granzen des Trivialen, Derben und Rohen bewegten. Der Unterfchied zwifchen dem Schulmann und den Weltmannern von Breslau, welche die Poefie als Cavaliere treiben woUten und zu treiben vorgaben und auf die Schulpedanterie herabfahen, mufste in vielen Einzelheiten zu Tage treten. Wcife begann als jugendlicher Poet im Stil des fludentifchen Gefellfchaftsliedes und hat darin manches Htibfche, Fliefsende, Ge- fangliche gedichtet. In den: «Ueberfluffigen Gedanken der griinenden Jugend» 1668*) find die Lieder fall alle in diefem Ton, keck und flott, die Jungferfchaftslieder mehr als deutlich; neben Franzofifch- Piquantem und Saloppem und Liedern, die auf manchen Biihnen noch heute als Couplets ihre Wirkung thun wiirden, faugrobe, plumpe Scherzlieder im Hansvvurflgefchmack, fehr gemein, aber inflruirend fiir diefe Zeit. Alles in AUeni ifl es eine ordinare Luft, in welcher diefe Phantafie athmet. Man mufs diefe Lieder lefen, die der Autor als geehrter Praceptor wieder drucken liefs, um Giinther und die Nothwendigkeit der franzofifch - vornehmeren Reaction zu begreifen. Diefe und ahnliche Lieder find von den Studenten bis in Gothe's Studentenzeit gefungen. Die Gedichte, wie fie z. B. in : « Der Griinenden Jugend Noth- wendige Gedanken, denen Ueberfluffigen Gedanken entgegengefetzt» etc. fich finden (1675), gehen aus einer andern Tonart, find aber die allergewohnlichflen Reimereien eines verfemachenden, fchnell fertigen, unpoetifchen Kopfes; es ifi. der gewohnlichfle Verfland, ohne alle Kunflanfchauung. Diefer Geifl des Niichtern-Verflandigen, Practifchen im Sinn der Zeit und des Kecken, Derben, Munteren und Rohen, auf welchem Gebiete Weife eine bedeutende Anlage hatte, mifcht fich feltfam in alien feinen Werken. Als Theoretiker der Schule lafst er jenem, als Lyriker, Dramatiker und Romanfchreiber diefem den Vorrang. Eine kurze Betrachtung feiner den grofsten Einflufs gewinnenden ®) In der zweiten Aufl. von 1692 fteht vorn eine Art Entfchuldigung, dafs Manches fchliipfrig und das Meifle verliebt ware, aber die Wiffenfchaft fei oft unter einem Frauenzimmer verftanden, zwei Madchen auf einnial bedeute, dafs der Autor zugleich theologica und juridica collegia hielt. In den Gedichten felbfl merkt man keine Allegoric. 346 Weife : Poetik. poetifchen Theorien kliirt am beflen die Eigenthiimlichkeit der ihm folgenden poetifchen Schule auf. Weife fagt in den nothwendigen Gedanken: «Allein dies find meine Gedanken. Sofern ein junger Menfch zu etwas Rechtfchafifenem will angewiefen werden, dafs er hernach mit Ehren fich in der Welt kann fehen laffen, der mufs etliche Nebenllunden mit Versfchreiben zubrinsen. » Die Gedanken konne uns Niemand anfehen. Darum miiffe die Zunge des Gemiiths Dolmetfcher fein und unfere Klugheit an das offentliche Licht bringen. Dazu ware gut Poefie wie Bered- famkeit. Hier ifl alfo der alte Satz vom Nutzen der Poefie der Art noch verftarkt, dafs die Poefie ganz zum niitzlichen Mittel gemacht wird. Sehr pra6lifch wirkfam, weil bequem, wird nun Weife dadurch, dafs er nach dem Spruch handelt, er wolle lieber gar keine, als zu viel Regeln geben. Sein Abfehn ifl ja fiir die, «welche fich der Verfe nur als eines Neben-Werkes bedienen wollen." Er theilt das Poetifche Geheimnifs in zwei Theile: «Erfllich mufs man fich nach der Grammatica und vor's andre nach der Rhetorica fich zurichten. Ich pflege es fonfl fo auszufprechen : Ein Liebhaber der Poefie (ich fage nicht ein Poete) mufs fich erfllich auf Gute Verfe, hernachmals auf Gefchickte Verfe befleifsigen.» Einzelne, beliebte und gang und gabe gewordene Fremdworter find geflattet. «Doch dafs ich es kurz mache, es geht Alles an und ill nichts verboten, was nicht wider die Eigenfchaft der Sprache lauft. Was aber der Sprache wohl und libel anflehe, das wird verhoffentlich ein geborener Deutfcher mit fchlechter Miihe judiciren und erkennen.» Er habe in einer Disputation gefagt: «in Poefi Germanica omnis conflruclio, quae in profa non toleratur, vitiofa» etc. Fafl mochte er zweifeln, wenn er fo viel vornehme Leute davon abgehen fehe, und doch ware es richtig. Er lobt Ringwaldt, aber die Alten hatten nicht die rechten pedes oder Tritte gehabt, mit denen Opitz den Anfang gemacht. Anapaflen gabe es im Deutfchen nicht, fondern nur Dailylen mit Vorfchlagsfilben. (Dies und vieles Andere, auch Beifpiele wie z. B. «ich erbafiliske mich» aus dem Horribilicribrifax, hat Omeis von Weife abgefchrieben.) Alexandriner mit weiblich-mannlich verfchlingenden Reimen (a b, a b) feien Elegien. Von anacreontifchen Verfen, von denen er ein Beifpiel giebt, fagt er, ahnlich wie Opitz und wie fpater Gottfched: «Ich geflehe es, ich mache diefe Art nicht gerne, weil fie Weife: Poetik. 347 etwas kindifch und fo zu fagen thalhaftig herauskommt» ftala ahd., dahlen iiiederd., fpielen, albern fich benehmen). Uebrigens wolle man jetzt ein Gedicht lieber zu kurz als zu lang. Genaue Regeln gebe es nicht. «Die Ode ifl gut, da nichts ausgelaffen ifl und da nichts (leht, welches man hiitte mogen auslaffen.» Der zweite Theil liber die gefchickten Verfe giebt tiefen Einblick in die Art und Weife der damaligen poetifchen Mache. Da fehen wir, vvie die invcntio, dispofitio und elocutio zu gefchehen hat. Die «affectirte hohe Obfcuritat» der Ausdriicke wird verworfen, un- glaubliche Flachheit gepredigt. Es wird gezeigt, wie Hochzeits- gedichte im Winter, Sterbegedichte um Pfingflen, Sterbegedichte fiir einen reichen Kaufmann zu machen find. In der Dispofition fiir den Kaufmann heifst es z. B. als Nr. 6: «Gott hat die Kaufmannfchaft recommandirt, weil nicht in alien Landern Alles wachfl.» Nr. 7: «Es ifi. befohlen, W'ein beim Abendmahl zu brauchen und er vvachfl doch nicht liberall. Es miiffen alfo Kaufleute da fein» u. f. w. Es in. aufser Maafsen in die Fabrication der Verfemacher bei Gelegen- heit der verfchiedenen loci hineinzublicken. Welch ein Wuft! Weiche Pedanterie und Mache ! Indem Weife Alles mit Beifpielen in Verfen belegt, gefleht er: an den locis topicis habe er feine grofste Lufi..*) *) Der Dichter finde vortreffliche Hiilfe hinfichtlich des Inhalts durch fol- gende loci : 1. locus notationis (meiflens mit dem Namen fpielen). 2. ,, a genere (Stand, Profeffion u. f. w.). 3. „ deftnitionis (Befchreibungen). 4. „ partium (zerlegen und weitlaufiger aiisfiihren). 5. „ caufae efficientis (anflatt der Sache oder Perfon das, was als eine Urfache beigebracht wird, z. B. bei einem Profeffor der Churfiirfl, der ihn an die Univerfitat befordert hat, ftatt des Sohnes den Vater, der ihn ge- zeugt hat). 6. „ caufae finalis (zu was Ende eine Perfon oder .Sache ihr Abfehn habe). 7. „ „ formalis (Wefen und Geflalt einer Sache). 8. „ „ materialis (woraus die Sache befteht oder worauf fie ge- griindet ifl; oder womit fie pflegt umzugehen, z. B. bei dem Gelehrten werden die Biicher als Leichenftein gewiinfcht). 9. „ efifecloruni (was die Perfon gethan hat). 10. „ adjunclorum (Gemiith, Leib, Gliicksgiiter u. f. w.) 34S Weife: Poetik. In den: «Reiffen Gedanken, d. i. allerhand Ehr-, Lufl-, Trailer-, Lehr-Gedichte» von 16S2 finden wir die Fortfetzung diefes Geifles, der Schulmethode, welche realia bezweckt und vom Anfang diefes Jahrhunderts bis Ende des nachften immer wieder aufflrebt. Weife fagt, fein einziges Symbolum in den Arbeiten fiir die Jugend fei: «disce loqui.» In den Gedichten ifl. er ein iiber alle Maafsen trockner Pedant. Seine Gedanken bei dem Leichenbegangnifs feines Sohnchens beginnen: «Gott lob, dafs wir in Zittau noch Leichenbegangniffe haben und hierbei vornehmen und lieben Freunden vor ihre Gegen- wart danken konnen» (anflatt wie in der Epidemic, wo die Leichen fo verfcharrt wurden).. In den «Ueberfliiffige Gedanken, andere Gattung», 1692, heifst es: «Man mufs die Sache alfo vorbringen, wie fie naturell und ungezwungen find, fonfl verlieren fie alle grace, fo klinfllich als fie abgefaffet werden. Ein Maler ware nicht klug, wenn er die Rofen mit giildenen Knopfgen abmalete . . . (es folgt eine Verfpottung der gefpreizten Redensarten). Es mag ein Jedweder feinem Belieben nachgehen ; ich bleibe bei meiner Freiheit und habe meine Lufl an der Einfalt, die der Natur am nachften kommt . . . Und gewifs die comoediens ware ein Narr, der die Schafer in die Sammet-Pelzen prafentirte ... In dem letzten Luftfpiel habe ich nach Anlals der Perfonen die Worte bald hoch, bald niedrig gefiihrt, ob die Hiftorie wahr oder nicht, davor darf ich fo genau nicht Rechenfchaft geben. Es ift genug, dafs ein jedweder geftehen mufs, es gehe im gemeinen Leben nicht anders her.» In diefen Satzen hat Weife ein Princip und zwar das des Na- turalismus ausgefprochen, wahrend er fich friiher in der allgemeinen Niitzlichkeit bewegte. Uebrigens fiigt er bei, er habe nicht zu alien Liedern die Arien beigefetzt, «fonft lernen es die gemeinen Kerlen in alien Bauerfchenken zu leicht, wie es den Kriegerifchen Arien ergangen ift, welche man viel hoher hielte, wenn nicht alle Sack- pfeiffer und Dorffiedler die herrlichften Melodien zerlafterten und gemein machten." Noch ganz Schoch, wie man fieht. In der: «Po- litifchen Jugend erbaulichem Zeitvertreib» von 1699 ftimmt er den 11. locus contrariorum (Widerfpiel , womit die Perfon oder Sache nicht be- haftet war). 12. ,, comparatorum (Vergleichimg einer andern Sache mit dem Thema). Dann find noch loci exemplorum et teflimoniorum. 1 Weife. 349 alten Ton aufs Neue an, dais ein junger Menfch aiich bei feinen wichtigen Studiis gleichwohl einige Nebenvergniigung in deutfchen \'erfen liaben und dennoch keiner poetifchen Eitelkeit nachhangen diirfe. Er ware oft wegen feines einfachen Stils verachtet worden, liatte aber lieber Hochtrabendes ausgeflrichen , um nur bei der leichten und un^> \^ K^ y^^ \^ Ruhel fanft | ohne P'urcht | ohne Scheu | ohne Flag. Durcheinander der Schulen. 357 latinifirende Vers-Sucht ifl fo neue nicht. » Vor fad Eineinhalbhundert Jahren habe Conrad Gesnerus damit begonnen. ) «Nun fragt fich aber, was von diefer Lateiner Art zu halten? Antwort: die Sapphifche und Phalaecifche Art (zumal wenn der letzte Tritt wegkommt) etwan ausgenommen, fo achte ich die iibrige vor imnothige Schulgrillen. » Man fieht, wie die Hexameter- und Reimfrage immer wieder auftaucht, bis fie durch Breitinger neue Kraft gewinnt. Sie ifl nicht plotzlich mit Klopflock vom Himmel gefallen. Was man liber Ringellieder, Rondeau, Wiedertritte, Gefprach- Lieder, Frag-Reime, Echo, Bilder-Reime u. f \v. um das Jahr 1700 docirte, ifl des Breiten in Omeis zu finden, der, wenn er nicht Unfmn fchreibt, fehr niichtern ifl.''*). In dem Anhang «Teutfche Mythologie» findet man auf 272 Seiten nicht, was man nach dem Titel flaunend erwartet. Omeis giebt namlich keine deutfche, fondern eine antike, lexicalifch geordnete Mythologie, wobei wir belehrt werden, dafs die meiflen Heiden aus den Biichern Mofis gefchopft hatten. Die letzten Decennien des 17. Jahrhunderts bieten, wie man leicht erachten kann, ein merkwurdiges Gemifch der verfchiedenen alteren, in der Umwandlung begriftenen Richtungen unter dem Ein- flufs der Hofmannswaldau, Lohenflein, Weife, Morhof und der Man- ner, welche nicht vom Gelehrtenthum aus, wie Morhof, aus der franzofifchen Kritik Nutzen zu ziehen fuchten. Namenthch im achten Jahrzehnt, wo Weife's antilohenfl.einifcher Einflufs erfl, begann und neben den zweiten Schlefiern noch fo manche der alteren Schriftfleller und Poeten (z. B. Zefen) lebten und wirkten, fah es bunt und, nach Schulen betrachtet, zerfallen aus. Da tauchen z. B. Pegnitzfchafer im aufserflen Norden auf, neben Zefen, den Anhiingern eines Tfcherning, Rifl u. f. w., mit einem bliihenden Unfmn, gegen welchen Piflols Bravaden Kinderfpiel find (z. B. in der Sammlung «Balthis» 1674). Die norddeutfche NUchtern- heit wird darin in's alberne Gegentheil verkehrt. Diefe Parthei wirft fich dann Lohenflein, den italienifchen Manieriflen und befonders der Oper in die Arme. *) Z. B. O Vatter unfer, der dii dein ewige Wohnung Erhochfl in Himmeln, dein Name werde geheiligt u. f. w. **) Aus feinen trivialen Bemerkungen iiber das Schaufpiel fei nur angefiihrt der nicht unintereffante Satz: „Heut zu Tage paffirt audi ftatt des Chori eine Inftrumentalmufik. 7 eg Stockmann. Grob. Anderfeits zeigen fich neben den niichternflen Mittelmafsig- keiten z. B. eines Roling, dem Weifefchen Beflreben entfprechende Verfuche. So z. B, ein gewahlterer, nicht in's Rohe fallender Realis- mus in dem Lob des Landlebens von Ernfl Stockmann, (1681), weniger anfchaulich und weniger anfprechend in dem breiteren, ge- lehrten Lob des Stadtlebens (1682). (Die nachfolgenden Gedichte Stockraanns*) taugen nichts). Zu den maafsvoUeren Poeten diefer Zeit gehort der unter fach- fifchem Einflufs dichtende Schweizer Johann Grob, der 1678 mit feiner «Dichterifchen Verfuchgabe» auftrat, einer Sammlung von Auf- fchriften (Epigrammen) und etlichen Stimmgedichten oder Liedern. Sind jene rein, d. h. nicht entflellt durch Zoten, Grobheit, Schwuld und drgl., fo erheben fie fich doch nicht iiber das Mittehnafs , wenn fie auch dadurch wieder ein Intereffe gewinnen und einen kiinflleri- fchen Hauch zeigen, dafs der Character des Dichters aus ihnen her- vortritt und zwar als ein freundUcher, verflandiger und angenehmer, wie ihn auch Grob in feinem offentlichen Auftreten als Burger und Politiker bewahrt hat. *) Intereffiren kann es, dafs Stockmann die auch im alten Lied angedeutete Ueberlieferung anfiihrt, dafs Godke Michael und Stortebeker die Wege der jetzigen Weltumfegler zum Theil gewufst hatten. 14. Anti-Lohensteiner. Die franzosische Schule. Giinther. Zwifchen die Lohenfleinianer und Weifeaner trat Friedrich von Canitz (1654 — 99) aus Brandenburg, ein Diplomat der Schule des grofsen Churfiirllen, ein wahrer Edelmann in mehr als einer Beziehung. Canitz hatte gegenliber der poetifchen Trivialitat und Rohheit wie dem Bombafl die kritifche franzofifche Poefie vor Augen und wirkte in ihrem Sinn, verhaltnifsmafsig unbefangen genug, nicht als reiner Nachahmer, fondern verarbeitend. Ein reiner, edler Ausdruck, Klar- heit, Eleganz, Vermeidung aller bunten Ueberfchwanglichkeit ifl fein Beflreben, Horaz fein Meifler. Horazens und Juvenals Satiren find feine Mufter. Bei jenem findet er auch das Vorbild in dem Behagen am Landleben, worauf freilich noch befonders Niederlandifche Ein- fliiffe, fpeciell am Berliner Hof, wirkten. Der Hofmann und bewahrte Gefandte preift. es mit Vorliebe, was von einer gewiffen Bedeutung wird. Er kann in feiner Art als Vorganger von Kleifl erfcheinen. War Canitzens Talent nicht bedeutend, weder weit, noch frifch- energifch, noch fchwungvoU, fo ward es doch von grofser Wirkfam- keit, weil, was er gab, echt war und nichts falfch Angenommenes hatte. Sein Wefen adelt feine Poefie, die es nicht glanzend, nicht phantafievoll machen konnte, der es aber innere Ttichtigkeit und guten Halt mittheilte. Ein ehrenwerther, vornehmer Character (land hinter den Verfen, und dies verfehlte feine Wirkung nicht. Er war im Ganzen ein guter Reprafentant der Schule des grofsen Churfiirllen und des Berliner Hofs: ein ficherer, gebildeter Character, im Kerne feflhaltend am deutfchen Wefen, allem Rohen feindlich, wahrer Bil- dung zugethan, von Vorurtheilen frei. Er rang auch in der Poefie nach einem Phantafiebilde folcher Ttichtigkeit, eines Mannes, der mit dem Degen, mit der Feder und als Verwalter feines Haufes und -igO Canitz. Neukirch. Gutes gleich tuchtig fei. In diefer Hinficht ifl er Poet, wiewohl er mehr in der didactifchen Darflellung flecken blieb. Ueber die Diirf- tigkeit und Klaglichkeit fo vieler ihn umgebenden Zuflande des engeren Standes- wie des weiteren Volkslebens ihn wegzuheben, war feine Kraft allerdings viel zu fchwach. Hervorgehoben mag noch bei ihm die uberrafchend gewandte und belebte Profa in manchen feiner Briefe werden. Viele erkannten, hier feien die Anfange der Wege gebahnt, um aus Weife's und Hofmannswaldau's Manier herauszukommen. Es begann ein Streben und Ringen, auf Canitz fortzubauen. Ein Dichter nach dem andern ging zu ihm liber. Manche fuchten feinen und den zweiten fchlefifchen Stil zu vereinen und bedienten fich je nach Bedtirfnifs des einen und des andern. Dabei kam nun freihch vor der Hand nichts heraus, im Gegentheil manches verfchlechterte fich noch. Mit der fogenannten Reinheit der Dichtung rifs eine erneuerte, grenzenlofe Langweiligkeit ein. Ein Beifpiel flir die Eimvirkung von Canitz id Benjamin Neu- kirch aus Schlefien (1665 — 1729), in feinen jungen Jahren einer der eifrigflen Anhanger Hofmannswaldau's, in deffen Manier keck und frivol gegen Pedanterie redend und das Unzlichtigfle verfificirend. Er hat feine Gedichtfammlung «Herrn v. Hofmannswaldau und anderer Deutfchen auserlefene und bisher ungedruckte Gedichte» zu einem wahren Brennfpiegel all' der galanten und ungalanten, tibrigens von Leibnitz wie von Churfurflinnen bewunderten, den elfenbeinglatten Gemalden van der Werff's entfprechenden poetifchen Bilder und Unfittlichkeiten gemacht. Der franzofifche Ton wirkt bei Neukirch, wie bei den fpateren Anhangern der zweiten fchlefifchen Schule. Die Galanterie kommt nicht mehr fo plump, wenn auch fehr oft fehr indecent heraus. Er hat Glatte, fucht Esprit zu zeigen, dringt auf Kritik nach Boileau's Vorgang. Canitz hat dann bedeutenden Ein- flufs auf feinen Gefchmack, vielleicht auch die Jahre, Sorgen, die das Strohfeuer der Sinnlichkeit und des Leichtfmns' erflickten, und fchliefs- lich das Amt. Neukirch fland in diefer Beziehung nicht allein. Es wendet fich der erfl fo leichtfertige Dichter von feiner Jugendrichtung ab und geifselt fie fchliefslich mit der Scharfe eines Renegaten, wobei er nur, wie es zu gehen pflegt, zu beklagen hat, dafs man ihm auf feinen fchlimmen Wegen fo hohen Ruhm gegeben, jetzt aber «da er befchamt zur Neukirch. ^61 Vernunft zuriicke kreucht" ihn nichts mehr geltcn kalTe. Griechifche ^'ernunfl und fittliches Latein foil ihn troflen; von den niit Pickel- fcherzen untermifchten Operettchen, flinkenden Romanen und un- fittlichen Buhlliedern, dem Liigenruhm der Nachruf-Gedichte, den rohen I'rauerfpielen , unfmnigen Epifleln, kreifsenden Sonetten u. f. w. will er nichts mehr wiffen. Friihe hatte er fich iibrigens durch die Franzofen beftimmen laffen, feine Aufmerkfamkeit der modifchen Satire zuzmvenden; an Satiren fehle es den Deutfchen; nur Rachel und hie und da Opitz hatten fich darin ausgezeichnet, fagt er in der Vorrede zu feiner Sammlung, als ihm noch ein «frohliches Ge- muthe» Hauptbedingung fiir den Dichter war und dies frohliche Gemiithe ihm und feinen Genoffen manches frifche Lied mit gutem Klang brachte. Denn verfchiedene jener Lieder der Sammlung von Hofmannswaldau , Neukirch, Abfchatz u. A. fmd hochfl beachtens- werth durch Frifche, lyrifche Bewegtheit, Klang und Rhythmus; einige klingen an Gothe's Jugendlieder an, zu denen fie durch Giinther und das Leipziger Studentenleben hiniiberfiihren. «Ich habe befchloffen, ich liebe (trinke, fpiele) nicht mehr», «Wo fmd die Stunden der fiifsen Zeit», von Hofmannswaldau, «Springt Feffeln entzwei, brecht Ketten und Schloffer, ich hab es jetzt beffer, die Seele wird frei», «Glaube nicht, dafs ich dich haffe» oder «Fliehfl du Sonne nun von hinnen und entziehfl. mir deinen Schein», diefe Gedichte mahnen an den muficalifchen Geifl, der bald zeigen follte, dafs der deutfche Genius nicht ganz und gar erflickt fei. Dafs Neukirch, nachdem er Jahre hindurch eine diirftige Stellung in Berlin gehabt, als Prinzenerzieher nach Ansbach verfetzt wurde, mag infoweit intereffiren, als wir feitdem in diefer Stadt eine gewiffe poetifche Tradition finden, deren Stolz in der nachflen Periode Uz werden follte. Neukirch befchaftigte fich in feinen fpateren Jahren mit der Ueberfetzung des Telemaque von Fenelon. Seinen Haupt- ruhm fetzte er und mit ihm feine Anhanger in feine, iibrigens durch pichts befonders chara6leriflifchen Satiren. Es folgte Canitz kein Befferer. Was er als hochgeflellter, freier Mann mit Wiirde erflrebt hatte, mufste unter hdfifchen Literaten, falls fie ihn an Talent nicht flark iiberwogen, an und fiir fich ein weniger anfprechendes Anfehen bekommen und fich gleich mehr veraufserlichen, Sobald, wie jetzt nach Frankreichs Vorgang gefchah, officielle Hof- dichter feinen Stil aufnahmen, war das Uebel da. Bis jetzt hatte ■3^2 Fiirer von Haimendorff. man fich an den deutfchen Hofen mit Hofnarren und mit Pritfch- meiflern fiir die nothige Spruch- und Aufzugsdichtung begniigt oder mit Dichtern fiir das Opern-Libretto ; jetzt wurde die Pompdichtung officiell, wozu man die Anforderungen des Pritfchmeifterthums fleigem mufste. Ein gelehrter, der Mythologie, der franzofifchen und italienifchen Sprache und Aufzugsdichtung kundiger, dazu der Aufziige wegen im Hofceremoniell fchulgerechter Mann wurde jetzt iiberall erforderlich. Welch ein Umfchwung tritt bald ein gegen die Zeiten eines Schirmer und feines weichen italienifchen Stils! Der Unfmn einer «verruckten Fantafey» kam fiir diefe Ceremonien- dichtung aus der Mode, aber der Unfmn fchaler, kriecherifcher Rhetorik kam dafiir in die Mode, ein erbarmliches leeres Gewafch des kalten Prunkes, der Emiedrigung aller Freiheitsempfindungen vor dem Despo- tismus und welchem Despotismus erbarmlicher Art! Taft und Bildung hat man natiirlich nicht gleich mit der neuen Mode gelernt. Rohheit und Schmutz lauft noch immer unter — weder Dichter noch Herr- fchaften wiffen beides vom Scherz richtig zu trennen. Grofse wird auch fernerhin im Bombafl gefucht. Schmeicheln, Preifen, Kanonen- donner und Feuerwerksgepraffel, das wird die Hauptfache der Fefl- lichkeiten. Vor diefen eigentlichen Ceremonienpoeten fei aber noch ein fiiddeutfcher Dichter als Gegenfliick zu Canitz angefiihrt: Chrifloph Fiirer von Haimendorff (1663 — 1732), langjahriger Vorfland des in feinem zweiten Stil nach grofserer Einfachheit flrebenden Pegnitz- ordens. Nach feiner «ChriflUchen Vefla» und «Irdifchen Flora" (1702) wenigflens verdient Fiirer den felbflandigen Standpunkt. Auch bei ihm ifl der franzofifche, befonders Boileau's Einflufs fichtbar. Nichts ifl bombaflifch-pegnitzifch (einige Briefe find noch im Hof- mannswaldauifchen Gefchmack). Man merkt einen gebildeten, in der franzofifchen und italienifchen Schule bewanderten, doch nicht ver- drehten Geift, weniger fprode, weicher, anmuthiger als Canitz, doch ohne deffen fefleres Metall im Chara6ler, der in und aus Canitz Dich- tung hervortritt. In der Vefla beginnt nach breitem, nichts bedeuten- dem Einleitungsgedicht mit dem Hohenlied in Alexandrinern ein frifcher, kurzer, wahrer Ton, der dann freilich in feiner Art Volksmafsigkeit abgeloft. wird durch eine regiflrirend lehrhafte Weife, welche fchon ganz zu Brookes hiniiberweifl und in den philofophifchen Fragen Haller vorbahnt. Hier kommt die philofophifche Betrachtung des Fiirer von Haimendorfif. Ceremoniendichtung, 26^ Menfchenfchickfals, der Verdriefslichkeit des menfchlichen Lebens und Anweifung auf das Vertrauen zu Gott, in einfachem, pracifem Stil, ohne Pegnitztirade und Lohenfteinfchwulft. Die Frage nach der beflen Welt, nach der Harmonic der Dinge mahnt bei Fiirer doch daran, dafs damals der grofse Leibnitz (1646 — 17 16) in Deutfchland dachte (zuweilen auch deutfch fchrieb und deutfche Verfe machte). Schade, dafs die «kurze Wanderfchaft diefer Welt» in der Vefla zu lang wird. Das Gedicht i(l durchgehends gut, Einiges darin fehr gut. Was ifl die Welt mit allem ihrem Pracht? Ein finflrer Wald gleich einer dunklen Nacht, AUwo wir uns gar kurze Zeit verweilen Und mit dem Tag zu unfrer Heimath eilen — ifl. flir diefe Zeit nicht gewohnlich. In der Irdifchen Flora ill Manches recht hiibfch aus dem Pallor fido und aus Torquato Taffo's Aminta iiberfetzt. Ein Lob der Me- dicaifchen Venus (als Statue des Phidias) und Bezugnahme auf Michel- angelo mag als felten in der damaligen deutfchen Poefie hervor- gehoben werden. Es weifl auf den beginnenden Kunfl.- und Kunll- fammeleifer auch reicher deutfcher Manner hin, wahrend das friiher vorwiegende Raritatenfammeln aus der Mode kam. Ueberfetzungen des «Cinna» von P. Corneille (ungleich, manches lleif und ungelenk, namentlich zu Anfang, Anderes bis in Gottfched's Zeiten fchwerlich beffer iiberfetzt), der italienifchen Oper wCamilla, Konigin der Volsker» (aufgefiihrt 1690 in Augsburg zu Ehren des Romifchen Konigs Jofephi), des italienifchen Singfpiels: «Singende Starke», aus Voiture und Ovid beweifen die Gewandheit des Poeten. Ueberfetzungen und Nachahmungen aus Boileau, Fabeln aus Aefop, Epigramme, Gelegenheitsgedichte, in denen er auch fchliipfrig fein kann, zeigen Alles in Allem einen gewiffen Umfang feines Strebens und machen es im Ganzen auffiillig, dafs Fiirer, wenn auch vielfach gelobt, nicht grofsere Bedeutung gewann. Andere wufsten fcharfer die Principien herauszukehren : daher ihr bleibenderer Name. Unter den eigentlichen Ceremoniendichtern gewannen durch ihre Poefien und ihre Stellungen den grofsten Ruf Johann (v.) Beffer (1654 — 1729), Dichter und Cermonienmeifler am BerliYier, danach am Dresdener Hofe und fein Nachfolger in Dresden Joh. Ulrich [v.) Konig (1688 — 1744), beide ihrer Zeit zu den Mullern eines reinen poetifchen Stils gezahlt. Dire Gedichte und Profa konnen an chara6ler- 264 Beffer. Konig. Heraeus. Pietfch u. A. lofer Glatte der Diction, wie fie die Zeit flir vornehm hielt, audi an trivialem Geprange nicht leicht iibertroifen werden. Dafs Beffer auch den iippigen Stil zu handhaben wufste und in feiner Jugend dadurch fein Renommee gewann, ward fchon erwahnt. Konig ward auch als Verfaffer der «Unterfuchung vom guten Gefchmack in der Rede und Dichtkunfl», einer nach Boileau gemodelten Poetik von aufserlich fehr glatt fliefsender Form wirkfam. Aus dem Schwall der eigentlichen Ceremoniendichtung braucht nach dem Gefagten nichts hervorgehoben zu werden. Nur der Wiener Hofpoet Karl Guflav Heraeus (1671 — 1730) fei hier noch genannt, weil er niit der Abficht «dem franzofifchen Unfug zu wehren, der der deutfchen Sprache unbequeme Hartigkeit vorwirft», nach Vorgang des Herrn von Seckendorf (1626 — -92), der den Lucan, wie erwahnt, mit reim- lofen Jamben zur Erleichterung der Genauigkeit iiberfetzt hatte, darauf verfallt als «Neuigkeit» Hexameter zu bauen. Hexameter mit Reimen. Seine Neuigkeit war, wie man weifs, nicht neu. Er fand bei Birken u. A. die Mufler. Seine poetifchen Grundfatze mogen, wie diejenigen diefer neuen Richtung iiberhaupt, folgende Worte chara6lerifiren : «Die edle poetifche Entzuckung mufs in keinen Raufch, noch in eine verruckte Phantafei verunarten. Das wahre Hohe oder fogenannte Sublime befleht auch nicht in fchwulfligen Worten, noch in iiber- hauften Zierrathen; nicht in verwirreten Empfindungen , welche eine Zuflucht find derjenigen, die entweder von Vorrath der Materie ver- laffen werden, oder deren zur Bewegung der Gemiither gehorige mjinnliche Starke nicht genugfam verfehen ifl mit reinen Gedanken und dem, was die Franzofen Sentiments nennen. Die wahre Bildung, welche allezeit die fchonfle, ifl die Seele der hohen Schreibart in dem Leibe einer neuen, kurzen und netten Ausrede.» Heraeus be- merkt, dafs auch die Italiener fich von ihren neueften manieriflifchen Dichtern wieder zu Petrarca und Dante wendeten. Zu diefer Hofdichtung bekannten fich nach und nach immer weitere Kreife. Unter den vielen derartigen-Fefllichkeitsfeierern feien hier nur Pietfch, Gottfched's Lehrer, Amthor und Richey (1678—1761} mit feinen von ihm als Stade'fchem Gymnafiallehrer verfertigten Lob- gedichien auf Schweden hervorgehoben, wenngleich beide fonfl zum Hamburger Kreife gerechnet werden konnen. Aber auch hier follten die Extreme fich wieder beriihren. Neben den wohlbeflallten Dichtern des Ceremonienzettels, den Giinther. 365 Intriganten dcr Antichambres, nebcii den dit:htcnden, ihre Potentateii verherrlichenden Profefforen der Poefie und Re6toren und Predigern, neben den vornehmen Poeten nach italienifchem und franzofifcliem Schnitt erfcheint der wiifle Poet des Branntweinraufches , der hungrige, verflofsene und verfluchte, in Mangel und Elend als Lump ver- kommene Dichter, der nun auf lange bin ein abfchreckendes Beifpiel eines deutfchen Poeten wird, der nicht auf fein «ficheres Brod» fludirt. Und daneben beginnt, nicht aus dem Gymnafmm, fondern aus einer grofseren Schule heraus, ein unbewufstes Anbahnen einer im Vergleich mit der Hofpoefie democratifchen Dichtung, vertreten durch den Patricier und Philifler einer norddeutfchen fladtifchen Republik in air feiner Wtirde und Herrlichkeit. Das altere burfchikofe Gefellfchaftslied und der Ton, den es vertrat, die Lyrik der Leipziger, Schwieger's, Greflinger's, Schoch's und des jugendlichen Weife bekam einen neuen Vertreter, der genialifcher als feine Nebenmanner und Gegner, aber leider ohnc inneren fittlichen Halt war und in feiner Schwache, feiner Lage und den traurigen Zuflanden des damaligen Studentenlebens zu Grunde ging: ein wirres, unerquickliches Gemifch von wirklicher und be- deutender Begabung, dem Gliick und Ungliick, Jubel und Reue zur Dichtung ward und dem oft ein Gott zu fagen gab, was er litt, aber von Planlofigkeit im Wollen und gemeiner, fich fallen laffender Schwache. Ein Schwanken zwifchen Realismus und Idealismus (im Sinn der Zeit) kam hinzu, poetifch das Mifsgefchick voll zu machen. Wo fand der junge begabte Poet Stofif, wo Form, fich wirklich zu geniigen, audi wenn er eifriger fich bemuht und in der Kunll einen Halt g^efucht hatter Johann Chriflian Giinther*) (1695 — 1723) ift diefer Dichter. «Ein entfchiedenes Talent, begabtmitSinnlichkeit, Einbildungskraft, Gedacht- *) Joh. Chrift. Giinther, geb. 1695 i" Striegau, fiihlle frith feinen dichte- rifchen Beruf, follte, durch Unterfliitzimg im Stande zu fludiren, Mediciner warden, zerfiel wegen feines unordentlichen Lebenswandels mit feinem Vater; eigne Schuld und Neid und Vernachlaffigung Anderer hinderten ihn im Fortkommen; Trunkfuclit und Ausfchweifungen und Elend brachten ihn Ijald immer mehr herunter, machten es ihm unmoghch fich recht zu concentriren, ermiideten feine Freunde und brachten ihm friihen Tod. Allen Jammer der Armuth und einer liederlichen Genialitat, Elend, Vaterfluch, Verftofsung durch die Geliebte u. f. \v. hatte er erfchopft, als er 1723 flarb. 366 Giinther. nifs, Gabe des Faffens und Vergegenwartigens, fruchtbar im hochflen Grade, rhythmifch bequem, geiftreich, witzig und dabei vielfach unter- richtet; genug, er befafs Alles, was dazu gehort, im Leben ein zweites Leben durchPoefie hervorzubringen und zwar in dem gemeinenwirklichen Leben. Wir bewundern feine grofse Leichtigkeit, in Gelegenheits- gedichten alle Zuflande durch das Gefiihl zu erhohen und mit paffen- den Gefinnungen, Bildern, hiflorifchen und fabelhaften Ueberlieferungen zu fchmiicken. Das Rohe und Wilde gehort feiner Zeit, feiner Lebens- weife und befonders feinem Charadler oder, wenn man will, feiner Charadlerlofigkeit. Er wufste fich nicht zu zahmen und fo zerrann ihm fein Leben, wie fein Dichten.» So Gothe iiber Giinther. Wahr- heit und Kraft der Empfindung bildet fein hauptfachliches Gut, wie fie durch Rohheit und Gefchmacklofigkeit, die er nicht bios mit Andern theilt, fondern in der er fich auch oft gefallt, hindurch- fchlagt. Seine Form ifl fliefsend und gefchmeidig. Leider ver- wirthfchaftet er feine Begabung, llatt fie zu verflarken, tobt fie aus, als. ob er im reiferen Alter noch immer genug habe, wie alle diefe jugendlichen Verfchwender an Geift und Gefundheit traumen. Sein keckes und wiilles Leben durchleuchtet immer ein oder der andere ideale Zug, noch aus den Jugendtraumen heriiberblitzend, aber die Kraft, die Ruhe, diefe Ziige zu reinen, fleten Idealvorflellungen zu verbinden, ifl verloren gegangen. Die dichterifche Kritik fehlt dem aufgeregten, iiberreizten Geifle; feine Schopfungen zeigen nur zu oft die Schwachung des Raufches : Energie, Abfpannung und verzweifeln- der Jammer wie in willenlofer Folge. Was ein Hofmannswaldau in hoher Stellung, in lebemannifcher Sorglofigkeit und Jovialitat verfificirt, ohne feiner inneren Natur dadurch Schaden zu thun, immer im Gleichgewicht mit fich felbfl, hier bei Bier und Branntwein fchlagt es dem mittellofen, leichtfinnigen , characfterfchwachen Studenten iiber dem Kopfe zufammen. Und weil er wiift, durchlebt, was er dichtet, wobei das Gefiihl von der Wahrheit feiner dichterifchen Empfindung, feines Talentes, ihm noch mehr zum verlockenden Verderber wird, geht er elend unter. Die Armuth hat ihren Dorn in feinen Lorbeer geflochten. «Verfolgung, Diirftigkeit, Gram, Mifsgunfl, Laflerfteine und Liigen obenauf» — dazu Schwachheit und Schuld, Verzweiflung, die Gott fragt, wo die Billigkeit bleibt, warum er fo den armen Wurm im Staube martere, warum die Narrheit, Krieg, Hunger, Pell und Brand, Hochmuth und Geiz, Wortgezanke, Verruchtheit das Giinther. Schmolke. 367 Leben fiillen und dann Reue und dann Sehnfucht nach Ruh: «Im Grabe fchlaft man aus; die Nacht ift. lang genug.» Wir haben nicht viele fo begabte Lyriker gehabt, wie Giinther war. «Dafs Giinther und fein Fleifs nicht gar umfonfl. gewefen», wie er hoffte, hat fich erfiillt. Seine Lyrik hat nachgewirkt; ihm zerrann fein Leben wie fein Dichten, aber er (Ireute den Samen fiir kommende Zeiten. Seine echten Tone der Empfindung konnten alle Lamentos und Zorn- worte der Moraliflen, konnten alle gedrechfelten Phrafen der gliick- licheren Poeten nicht erflicken. Fiir manchen fludentifch-wilden Poeten ward Giinther, wie kaum bemerkt zu werden braucht, ein falfches Vorbild, wahrend die Pedanten diefer Zeit an ihm das warnende Exempel zeigten und fich darauf noch mehr verrannten, einen genialifch forglofen Menfchen mit einem Lumpen zu verwechfeln.*) Als Gegeniliick zu Giinther flehe hier Benjamin Schmolke (1672 — 1737) geboren in Brauchitfchdorf bei Liegnitz, beriihmt als geifllicher Liederdichter von warmem, herzlichem Ton, in delTen bef- feren Liedern der einfache Inhalt oft feltfam contraflirt mit den wunderlichen fchwiilfligen Titeln, welche er feinen Sammlungen zu geben liebte. *) Aus dem ungliickfeligen Leben Giinther's fei nach Roquette hier nur die verhangnifsvolle Audienz beim Churfiirften erwahnt. Der Dichter hatte Ausficht auf die Ceremoniendichter-Stelle bekommen und Audienz erlangt. Er war (feiner Ausfage nach) dem feinen Freunden gegebenen Verfprechen gemafs niichtern, als er in's Schlofs ging. Im Vorzimmer, darin er lange warten mufste, fei ihm, behauptet er, durch einen Bedienten ein Glas Wein angeboten ; der Bediente fei von feinen Feinden beflochen gewefen, in dem Wein miiffe ein Erbrechen erregendes Mittel gewefen fein. Die Folgen waren der Art, dafs die Freunde Giinther's fiir ihre Empfehlung iiblen Dank hatten. 15. Die Hamburger Poeten. Brockes. Der italienifche Barockgefchmack hatte in dem Stile Ludwigs XIV., namentlich in den fleif-gelehrten Hofpoeten und in den Weifeanern und deren Ntichternheit, Plattheit und Derbheit, bald fo gewaltige Gegner gefunden, dafs es von Wichtigkeit ward, dafs diefe, dem Lohenfleinifchen BombafL an poetifcher Unbrauchbarkeit bald nichts nachgebenden neuen Richtungen ein Gegengewicht in der den Itali- lienern treu bleibenden Dichtung fiir Mufik, namenflich in der Oper behielten. Hier behauptete fich der italienifche Manieriflenilil niit all' feinem Klingklang, Bombafl. und Unfinn trotz dem Zorn der Ver- ftandesradicalen und dem Eifer der geflrengflen Herrn von der Kanzel. Es war in einer Hinficht ein Gliick: denn in der Willkiir und unter dem Wuft folcher Dichtung konnte wirkliche Phantafie und Empfin- dung mitfchweifen, um fpater daraus fich hervorzufchwingen, wahrend das kalte Pathos und der Esprit der Franzofirer ihr kaum einen Unterfchlupf bot und die flrengeren Verflandesdichter ihr barfch die Wege wiefen. Wenn wir jetzt ihren Text-Unfmn lefen, fo miiffen wir uns erinnern, welche muficalifche Grofsen ihre Empfindungen daran aufgerichtet haben und dafs zwifchen dem Uebel ein Keim des Guten fleckte. Damals nahm die deutfche Tonkunfl ihren hohen Auffchwung; frei, grofs, erhaben ward fie ein Gegenfatz gegen die knechtifch dienenden Kiinfle. In ihr zeigte fich die Kraft-Idealitat des deutfchen Geifles. Die Oper ward damals von allgemeiner Wichtigkeit. Sie florirte nicht bios an den Hofen; ihren wichtigflen Standort hatte fie in Hamburg ^feit 1678), das, wie die wenigen andern Stadte, die der dreifsigjiihrige Krieg ungefchadigt gelaffen hatte, mit fleigendem Wohl- fland auch frifche Lebensluft. und fmnliches Behagen liber die fchreck- Oper. Poftel. 369 lichen Zeiten hiniibergerettet hatte. Poeten hatten hier mit Vorliebe iliren Sitz aufgefchlagen; die freien Kiinfle waren nicht unter Moid und Pliinderung verfcheucht worden; es war Sinn dafiir vorhanden, befonders wenn fie dem Niitzlichen oder Vergniiglichen dienen moch- ten. Die Oper ward beliebL und gepflegt und damit auch im All- eemeinen die Parthei der Dichter unterflutzt, welche «die Schreibart der Italiener, die das Metaphorifche, tieffmnige und Majeflatifche Wefen lieben» gegen die «leichte, wohlfliefsende und liebliche Dicht- kunfl der Franzofen, die einer Profa nicht gar unahnlich i{l» ver- theidigte. Marino und Loredano behielten hier ihre Geltung; Lohen- flein und die Pegnitzer und deren Gefmnungsgenoffen wurden hoch- gefchatzt. Als kaum mehr anderswo Pech, Schwefel und Feuer eine fo grofse Rolle fpielten, konnten hier noch die araffelnden Wetter, die fliirmenden Winde, dieBrande der hollifch- und irdifchen Schliinde» ungeflort die Welt «zerfchmeifsen, zertriimmern, verfchlingen » und « Hohlen und Schliinde voll freffender Flammen, voll reifsender Winde die Welt zerbarflen, verfenken, verfcharren». Kayfer, Matthefon, der junge Handel, Telemann u. A. componirten*). Tapfer focht man gegen geiilliche und weltliche Opernfeinde; enorme Summen wurden auf die Ausflattung verwandt. Ein beachtenswerther Zug ift, dafs mit dem Beharren im Ton der alteren Schulen auch der patriotifch-deutfche Zug der Zefen und Lohenflein, des Braunfchweiger Herzogs u. f. w. wohl oder iibel fich weiterfpann, ein vveiterer, dafs die Nachahmung Homer's beliebter wurde. Chriflian Hinrich Poflel**), waller Niederfachfifchen Poeten Grofsvater», wie Weichmann den halbgenialifchen Advocaten und Poeten nennt, fchrieb «die liflige Juno» (1700)? eine Bearbeitung des vierzehnten Gefangs der Ilias, und begann ein epifches Gedicht: wder grofse Wittekind" (unvollendet, erft 1724 von Weichmann heraus- gegeben). Sein Herausgeber ifl verfichert, dafs, wenn .dies Werk ware vollendet worden, «Teutfchland weit grofseren Ruhm davon gehabt hatte als Italien von feinem Taffo und Marino zugleich». Ungeachtet diefer Verficherung ifl der Wittekind ein fo trauriges ausgefonnenes *) Die intereffanten mufikalifchen Ziiftande bei F. Chryfander: G. F. Handel. **) Weichmann fuhrt unter Poftels Werken unter Nr. 17 an: ,,Koniglicher Prinz aus Polen Sigismund oder das menfchliche Leben wie ein Traum 1693. Ifl aus einer hoUandifchen Comodie." Lemcke, Gefchichte der detitj'chen Dichhing. 24 370 Poftel. Andere Poeten des Kreifes. Wernicke. poetifches Machwerk, wie feme Mitepen bis Klopflock hin, unfinnig in der Anlage, ohne alle fiihrenden Gedanken, ohne Einheit, ohne Sinn, mifsrathen vom Anfang bis zum Ende, wie all' folche Hirn- gefpinnfte des unkiinfllerifchen Ausdenkens und fchaaler Nachahmung. Der Inhalt id: Die Franken iiberfallen die Sachfen. Wittekind ent- kommt mit Noth. Erzahlung, wie Wittekind als Jungling mit einem Berferker gekampft hat (!). Er geht mit einer Flotte ab. In England ifl Stierhatz, Wettrennen, Hahnenkampf (nach der Ilias). Wittekind leidet Schiffbruch, fchwimmt an's Land (ganz nach der Odyffee); Fiirfl Bedis Tochter Fatima erbittet fich Erlaubnifs, mit ihren Diene- rinnen an's Meer zu gehen. Wittekind geht mit ihr nach Granada und fchwafelt ihnen dort vor, was AUes die Deutfchen von Anbeginn gethan hiitten. Sodann folgt eine Circe-Rinald- Gefchichte, lange Taffo'fche fmnlich-warme Erzahlung von Adelwig und der Zauberin Galiana, dann Heerbefchreibungen und eine lange Schlacht. Im zehnten Gefang bricht die Gefchichte ab. Poflel (1658 — 1705), der Singfpiele dichtende Biirgermeifter Lucas von Boftel (1649 — 1716), Nicolaus von Boflel, Barthold Feind (1678 — 1 721), Praetorius und Hunold (Menantes 1680 — 1721) bil- deten den Kern diefes Hamburger Kreifes. Opern, Luflfpiele, lyrifche Gedichte, epifche Verfuche, dann fatirifche Nachahmungen Boileau's, plattdeutfche Gedichte und Romane wurden von ihm mit grofsem Stolze in die Welt gefandt. Aufser diefem lufligen Behagen, wel- ches in Luflfpielen (z. B. in der « Hamburger Schlachtzeit » von Praetorius) den derben popularen Gefchmack traf und namentlich im plattdeutfchen Gedicht dem derbflen Realismus huldigte, ill nichts oder fehr wenig zu loben. Bltihender Unfmn wog bei den Haupt- fiihrern, z. B. bei Poftel, vor, wenn man eine hohere Poefie erflrebte. Wollte man komifch und realiflifch fein, fo kam Gemeinheit und Weife- fche Trivialitat. . Uebrigens lebte man und liefs leben in poetifcher Hinficht; als einzigen Feind betrachtete man die Hamburger Ortho- doxen, die Feuer und Flammen gegen die Oper fpien. Man lohen- lleinte, weifete, fchrieb im Stil Marino's oder der Franzofen; jedes Produciren war recht, man war in der Handelsfladt kosmopolitifch, bis Chriflian Wernicke (Warneck, Warneke 7 nach 17 10) die Ein- tracht im literarifchen Lager florte und der durch ihn hervorgerufene Streit den Kreis zerfprengte. Wernicke (in Preufsen geboren; feine Mutter war eine Englan- Wernicke. Weichmann's Sammlung. 2/1 derin), ein Zogling Morhof's, dann am Mecklenburgifchen Hof an- geflellt, wo die Herzogin feinen Witz reizte und jeden Tag Epigramme von ihm erwartete, kam durch Schule und Anlage kritifch gebildet nach Hamburg und erregte durch feine Antifchwulfl-Epigramme bald den Zorn der unkritifchen, aber flolzen, fich ungeheuer wichtig diinkenden Poeten, namentlich Poflels und Hunolds. Der hofifch- franzofifche, kritifche Gefchmack und der unkritifch populare, wie er fich nun vom Trivialflen bis zum Bombaflifchften entwickelt hatte, kamen hier in das erfle fcharfe, perfonlich gefiihrte Gefecht , in wel- chem es weder von Wernicke's noch von Poflels und Hunolds Seite an wirklichem und fein follendem Witz, Grobheit und gemeinen per- fonlichen Hetzereien fehlte. Wernicke, ein kritifcher, fcharfer, feiner Kopf, im Hofumgang gefchliffen, der franzofifchen Reinigung zugedian, der neuen Literatur nicht bios kundig, fondern auch in ihrem Geifle durchgebildet, mufste lich zu diefen phrafenhaften , leicht fertigen, breiten Reimern und ihrem roman- und opernhaften Unfmn in Gegenfatz fiihlen. Mit ihm beginnt der Kampf der Kritik gegen Schwulfl und Trivialitat, der nun in fcharf fpottender Weife durch Liscow fich bis zu Leffing fortfetzte. Wernicke's Epigramme find im Ganzen vortrefflich und zeugen von einer fiir ihre Zeit auffallig klaren Einficht in die literarifchen Gebrechen. Nur ein Mann, der geiflig hoch dariiber fland, konnte fie in fo freier leichter Weife verfpotten. «Der Abfchnitt? gut. Der Vers? fliefst wohl. Der Reim? gefchickt. Das Wort? in Ordnung. Nichts als der Verfland verruckt» — dies eine Epigramm charak- terifirt uniibertrefflich das damalige Lohenfleinerthum. Amthor, Richey, Weichmann u. A., dann vor Allen Brockes traten nach und nach zu dem Hamburger Kreife hinzu, fur den man im Allgemeinen auf Weichmanns «Poefie der Nieder-Sachfen» (17 21) verweifen kann, eine der Neukirch'fchen nachgeahmte Sammlung, nur dafs Weichmann eifrig bemiiht ifl, die «Sau-Difleln», d. h. «garflige Oder auch nur folche Dinge, dadurch einige ernflhafte und zartliche Ohren konnten beleidigt vverden», femzuhalten. Hier ifl Lohen- Reinismus, kaltes Heldengedicht , Marino-Nachahmung, franzofirendes Epigramm, franzofirende Fabel und gewohnlichfle Trivialitat bunt beieinander. Auch Ueberfetzungen englifcher Lyriker nehmen ihren Anfang. Hier bluht z. B. noch des belobten Poflel's muficalifch- 24* •372 Richey. Brockes. tonender Unfmn: «Des Himmels Blumen find die giildnen Nacht- gefichter, wenn fich der Sonnen Ros' in Thetis Armen neigt, die Blumen aber find der Felder Sternen-Lichter u. f. w. » als glanzende Poefie. — (Bei der Herausgabe der zweiten Sammlung (1722) fand fich Weichmann fchon durch die Schweizer Verfaffer der Maler-Dis- curfe (1721) beunruhigt, die, wie Seckendorf, reimlofe Verfe empfah- len. Des Heraeus Verfuche, Hexameter zu machen, billigte er. Diefe metrifchen Fragen wurden durch feine Vorreden in diefer in Nord- deutfchland, foweit es nach Hamburg blickte, weitverbreiteten Samm- lung fomit fchon friihzeitig popular.) Richey, der feit 171 7 von Stade an's Hamburger Gymnafium berufen war und nicht wenig dazu beitrug, die Poefie im Anfehn zu erhalten, fowie durch eine fliefsende Diction ihr zu nlitzen, wurde bald noch in der Wirkfamkeit iibertroften durch Barthold Heinrich Brockes*), der feit feiner Herausgabe des: « Irdifchen Vergntigen in Gott » von eingreifender Wichtigkeit fiir die deutfche Poefie wer- den follte. Brockes huldigte anfangs den italienifchen Manieriflen, wie er denn 17 15 Marino's Bethlehemitifchen Kindermord iiberfetzte; die Lehrdichtung der Franzofen ward ihm ein weiteres Mufler (der dritte Band feines Irdifchen Vergniigens ifl eine Ueberfetzung der ttPrincipes de Philofophie» des Abbe Genefl); die Einwirkung der Eng- lander tritt erft. in den fpateren Jahren beflimmter hervor. Mit einer viel componirten Paffions-Cantate begann der, zu feinem und feiner Dichtung Vortheil freigeflellte Dichter, der in kei- nem triibfeligen Literatenfchickfal fich abzuarbeiten hatte, fich in weiteren Kreifen hervorzuthun. Eine Reihe Fefl- und anderer Dich- tungen folgten, von denen uns das Geburts-Gedicht des jungen Leopold's verweilen mag, worin Hamburg mit der jetzt von aller Furcht befreiten Germania uber die Geburt diefes jungen Hercules frohlockt (17 1 6). Auch hier fleht Deutfchland, wie der Hamburger Reichsfladter anhebt, mit fchlaffem Hals und mit zerflreutem Haar, *) Barthold Heinrich Brockes, geb. zu Hamburg '1680, fludirte die Rechte in Halle, bereifle Italien, ging iiber Paris nach Leyden, wo er feine Studien ab- fchlofs (dichtete in hochdeutfcher, niederdeutfcher, hoUandifcher, franzofifcher und italienifcher Sprache). Nach Hamburg zuriickgekehrt im Jahre 1704, griindete er 1714 mit Richey und Konig die Teutfchliebende Genoffenfchaft, 17 16 die Patrio- tifche Gefellfchaft, wurde 1720 Rathsherr, ipater einige Jahre Amtmann in Ritze- biittel und zahlte zu den angefehenften Wiirdentragern Hamburgs. Er ftarb 1747. Brockes. 373 mit fletig rinnenden, gefchwollenen Augenliedern. «Der Thranen Flut, das Blut der Seelen benetzet ihre Brufl und Hand, und aus den klopfenden beklemmten Herzens-Hohlen brach, wie aus einem feuch- ten Brand die eingefperrte Luft mit Raufchen zifchet, ein rochlendes Gefeufz, mit Schluchzen untermifchet, worauf fie denn mit miter- brochnem Ach und heifrer Stimme folgends fprach » u. f. w. Aber dann kommt durch alien Schwall wirkliche Phantafie. Der Dichter redet nicht in blofsen Phrafen. Der Schutzgeifl Deutfchlands fliegt in den Himmel und fenkt fich vor dem, dem Demuth nur ge- lallt, im briinftigen Gebete. Der fel'gen Engel Schaar, der heilgen Seelen Heer, die das Pariidis fiillen, wie Tropfen ein unendlich Meer, erheben ihren nimmer miiden, flehenden Gefang. Viel hun- dert taufend taufend Chore flimmen das Heilig! Heilig! Heilig! an. — Grofse anfchauliche Ueberfichten mifchen fich auch weiter in den Bombaft. Es iR eine Erneuerung des Pegnitzer-Wefens eines Klaj, aber zum erflen Male wieder grofses dichterifches Raumerfaffen, welches nun bis Klopflock hin fich fleigern foil, eine Phantafie, welche wirklich fieht, in der Art, wie die grofsen und noch viele manieri- flifchen Maler in ihren Verklarungs- oder Schreckensbildern vom jiingflen Gericht, die mit dem Blick aus Himmelshohen Lander iiber- fafst oder in Sternenfernen hinauffchaut und kiihn an das Unendliche hinaufzufliegen fucht. Brockes hatte hier an den Quellen gefchopft, aus denen Milton in glucklichen Jahren — ein Wanderer bei den Gegnern — getrunken. Wer einmal folchen wahren poetifchen Zug gethan, der fpiirt ihn fein Lebenlang; Brockes in all' feiner Pedan- terie beweifl es. Er hat von den grofsen Malem, und hat von Vondel, von Marino gelernt, er plappert nicht blois nach; er ift zum Theil beffer, als er fich in feinen Aufzeichnungen felbfl macht; manche Stellen feiner Gedichte und Cantaten bezeugen es und fie wirkten. Es find freilich nur Stellen. Der junge Hamburger, der Mufik, Ma- lerei, Poefie liebte und pflegte, wurde mehr und mehr ein guter, moralifcher, reimender Philifler; fein poetifches Licht, welches er an den Italienern angezlindet hatte, brannte nach dem erflen helleren unfteten Aufflackern flet aber klein Jahrzehnte hindurch gleichmafsig dahin. Flir die eigenthiimliche Kraft, welche er wirklich gewonnen hatte, fand er nicht den rechten Stoff. Der grofse, ungluckliche Milton, der Verfechter der Konigsbeflrafung, der ehemalige Staats- fecretar der Republik England, fchuf fich. blind geworden, eine neue ■2 J A Brockes. innere Welt nach jenen Vorbildern der italienifchen Dichter and Maler, deren hochfler Ausdruck Michelangelo war; fein verlorenes Paradis mufste ihm erfetzen, was er verloren. Brockes, der kleine Dichter und gliickliche Hamburger Rathsherr und zeitweife Gebieter von Ritzebiittel verlor feine innere Phantafiewelt iiber die aufsere; von den Schilderungen der ihn umgebenden fichtbaren und tonenden Natur flieg er hinab zu der mikroskopifchen Priifung und betrachtete fo gerne Steinchen und Bllimchen, die er in ihre Blatterchen und Fadchen und deren Diifte er zerlegt; er braucht kein verlorenes Paradis und kein's wiederzufinden, denn er hat feinen Garten und feine Wiefe; er braucht keine.Holle zu fchildern, weil es fo Heb im Zimmer ifl, wenn die Sonnenflaubchen tanzen; Satan braucht er nicht zu meffen; fchoner ift. es die Lagen der Farben auf den Schmetter- lingsflugeln unterfuchen; die Giite Gottes und die vortreffliche Ein- richtung der Welt kann man aber an Stein und Kraut, an Hund und Katze, Ochs und Dachs, Wiefel und Mond etc. lernen. So verzettelte Brockes die Begabung, die concentrirt Wiirdigeres hatte leiflen konnen; die poetifche Lage war freilich in Deutfchland fo klaglich, dafs es fraglich ware, ob er mit befferen Dichtungen mehr geniitzt hatte; man hatte noch an Schulexercitien zu thun. Er wandte fich in feinem wirdifchen Vergniigen in Gott» (1721 — 1748; neun flarke Bande) zur Naturbetrachtung. Neben dem mu- ficalifchen Beflreben,*) welches Weichmann hervorhebt, der behauptet, dafs Brockes die Mufik durch feine tonende Sprache iiberfliiffig mache — wozu auch die unregelmafsigen Verfe gehoren, richtet er fich hier auf die malerifche Erfaffung. Den bekannten Satz: Poefie ifl redende Malerei, treibt er auf die Spitze. Er war felbfl. ein guter Zeichner, Freund des Mieris, Denner, Liebhaber von Gemalden; wenn er in *) Im Gegenfatz zur Lehrdichtung begann jetzt die Theorie, dafs die Poefie eine Art Mufik fei, Extrem gegen Extrem zu fetzen. In Frankreich fochten fchon die Partheien, die wir als Profa- Dichter und Anakreontiker auch bei uns wieder finden. Chaulieu z. B. fagt: elles feules (les rimes redoublees) donnent aux vers libres et irreguliers le nombre et I'harmonie, en quoi je fuis convaincu que confide le principal agrement de la verfification. Quoique penetre deja de la verite de cette opinion, j'y ai ete confirme par un excellent livre latin, ecrit par un Anglois, de Rhythmo et Menfura: il etablit pour principe que la Poefie eft une efpece de mufique. II eft aife de-la que le nombre et les fons harmonieux en doivent faire la perfection. In Deutfchland mufste die Gottfchedifche Schule erft das Verftandes- Extrem durchfetzen; dann bekamen auch wir jenes Mufik-Extrem. Brockes. 375 feinen Cantaten oft als ein Nachahmer der Malerei der italienifchen ManieriRen erfcheint, fo wird er in feinem Irdifchen Vergniigen zum Wettkampfer mit der Landfchafts- , Blumen-, Thicr- und Stilllebens- malerei. Sehen wir von dem Moralifchen in diefen « phyficalifch- und moralifchen Gedichten » des Irdifchen Vergniigens noch ab, fo ifl hervorzuheben, dafs Brockes felbft in der Verirrung noch ini aflhetifch- fmnUchen Element blieb, indem er auf Anfchaulichkeit hinausging. Wie unglaublich diirftig, hausbacken und abgefchmackt er auch in feinen Schildereien wurde — was mit dem Alter und der Anerken- nung fich lleigerte — fo waren diefelben doch gegen die blofse Ver- flandesdichterei noch eine Erquickung. Oft finden wir eine wirkliche Erfaffung und Durchdringung der Natur durch klinfllerifchen Geifl. Seine landfchaftlichen Schilderungen haben in den beflen Stiicken Tiefe des Horizontes; in Luft und Flut, in Wald und Feld, in Blu- menpracht und Abendfchein taucht fein Blick mit einer Frifche, wie die niederlandifchen Maler feinei Zeit fie nicht beffer hatten, aber beffer in wirklichen Gemalden verwandten, wahrend Brockes auf fal- fchen Wegen das Unmogliche zu leiften fucht. Er hat Denner'fche Genauigkeit, wenn er das Geringfle malt, aber in feinen Wetterfchil- derungen weifs er doch auch das Grofse oft wirklich grofsartig wie- derzugeben. Kritiklofigkeit und verkehrte Theorien verderben freilich Vieles wieder. Er war malerifch angelegt; feine Zeit halt ihn ftir einen grofsen Poeten. Er war ein eifriger Deifl im Grunde feines Herzens und huldigte den englifchen Anfchauungen — er war ein Freund von Reimarus, dem beriihmten durch Leffmg fo bekannt gewordenen Fragmentiflen. — Dem biedermannifchen Niitzlichkeitsprincip an- hangend, verwerthete er gewiffenhaft feine Krafte feiner Ueberzeugung gemafs. Fiir Handlung und Entwicklung in der Poefie hat er in feiner malerifchen Anlage keinen Sinn; er hatte fonfl in der Art der La- fontaine'fchen Fabel feinen Gedanken Ausdruck gegeben und in der- artigen vorgefuhrten Handlungen moralifirt und feine Lehre gepredigt. Ausgehend von der alten falfchen Theorie, dafs Dichten redendes Malen und das Vergniigliche mit dem Niitzlichen, mit dem Mora- lifchen darin zu vereinigen fei, verfallt er in die malende Befchrei- bung. Die Natur war die fichtbare Bibel diefes Deismus, und er preifl fie und lehrt in ihr feine Moral, feine Lobpreifung von Gottes Giite, Xl^ Brockes. feine Lehre von tier befl eingerichteten Welt. Schwulfl und Ge- nauigkeit, d. h. unfagbare Nuchternheit und Lacherlichkeit — Alles zu Ehren Gottes! je breiter, je popularer und deflo niitzHcher im Sinne der Zeit. So liefert ein wirklich nicht unbegabter Mann das Unglaubliche in philiRrofer, wohlmeinendller Gefchmacklofigkeit, wie er anderfeits keck in's Schwulflextrem gefliegen war. In ahnlicher Weife fehen wir fpater noch einen Klopflock einerfeits am Bombafti- fchen hin fich bewegen, anderfeits in feiner profaifchen Didactik der kahlflen Nuchternheit, in feinen dramatifchen Werken einer ahnlichen Kritiklofigkeit verfallen. Brockes' Naturfchildereien — phyficalifch-moralifch, noch nicht fentimental im Sinn der nachll folgenden Zeit — nehmen eine wichtige Stelle in unferer Dichtung durch ihre grofse Wirkung ein. Diefe anfchauliche Richtung ward, wie fchon gefagt, in Gegenfatz gegen die bios verflandesmafsige geflellt. Dann aber ward fie ein Gegen- gift gegen die hofifche Prunkdichtung ; ein democratifches Element lag in diefen verfificirten Dichtereien des Hamburger Republicaners gegen den Bdllerknall und Feflfpe6takel der Hofalexandriner. Brockes fiihrte die Gemiither auf das Allen Zugangliche, in die Natur, in Wiefe und Garten und Feld und Landfchaft. Er lehrte fie, man konne Poefie fuchen in dem Blumenflock vor dem Fenfler und in der pispernden Maus des Dachftiibchens, im Taufendfchonchen der Wiefe und in der Birnbaumbliithe ; man brauche nicht Schlachten, Kanonaden, das Gewitter fei weit erhabener; anflatt Feuerwerke konne man Sonnenaufgang und Untergang befmgen; anflatt Hof- maskeraden die Wandlungen in der Natur, und die Lilie auf dem Felde fei fchoner als Salomo in all' feiner Herrlichkeit. Die Zeit, die hierin, wie Brockes felber, der biirgerlich-englifchen Literatur zu folgen begann, verfland dies wohl; befonders da, wo man nicht unter dem direften Einflufs der Hofwirthfchaften lebte, z. B. in der Schweiz, hatte Brockes eine durchgreifende Wirkung. Lohenflein's hofifcher Bombafl ward verworfen; Brockes ward als Mufler proclamirt. Bezeichnend ill, dafs Brockes auch fiir die Gleichberechtigung der Menfchen poetifch feine Lanze einlegte. In anderer Hinficht ward er dadurch wichtig, dafs er in feiner deiftifchen Verherrlichung Gottes durch die Natur gegen den fleif-dogmatifchen Glauben verging, der in der anfcheinenden Bundesgenoffenfchaft bald einen gefahrlichen rationaliflifchen Gegner fand. Die Verpopularifirung der Brockes'fchen Brockes. 377 Methode fiihrte iibrigens bald zu den liicherlichflen Ausfchreitungen; es ward eine formliche Manie, Naturdieologie zu treiben und nicht bios aus den Lilien auf dem Felde und dem Sperling auf deni Dache und den gezahlten Haaren des Hauptes, fondern auch in eigenen grofsen Gedichten aus Steinen und Feuer und Waffergrund und Infedten, fpeciell z. B. aus den Heufchrecken, Gottes Giite und Weisheit zu beweifen. In feinen fpateren Jahren liefs Brockes die englifchen Schrift- fleller und Dichter immer mehr auf fich wirken — Addifon, Pope, Thomfon; von Pope iiberfetzte er den Verfuch vom Menfchen, von Thomfon die Jahreszeiten ; fiir Richardfon fchwarmte er — ; doch war er in diefer Beziehung nicht Bahnbrecher, vermochte auch ihren Geifl nicht mit jener Frifche zu erfaffen noch fich zum beredten Organ deffelben zu machen, wie dies in der Schweiz fchon feit dem zweiten Decennium in beflimmter Weife gefchah. Er hatte viel zu tief im Lohenfleinismus der Jugendzeit Wurzel gefchlagen, und hatte er dann auch wieder nach der verflandigen Di6lion der Franzofen geflrebt, doch nicht die Kraft und nicht die Kritik gehabt, das Streben nach einer glanzenden .Di6lion und verflandigem Inhalt zu jener Einheit im Stil eines Addifon und Pope zu verfchmelzen ; er war ein Mann des alten Stils geblieben. II. Von Gottsched bis Klopstock. 1. Gottsched, Hundert Jahre nach der durch Opitz eingeleiteten grofsen Neuerung, wie fah es mit der deutfchen Poefie aus? Alles Mittelalterlich-Volkstlilimliche war im grofsten Theile Deutfchlands erflickt bis auf eine geringe, in den niedrigflen Schichten unverwufllich lebende altere Literatur von Volksbiichern und von Volksliedern , zu denen mit wenigen Ausnahmen nicht viel Gutes hinzugekommen war. Ein frifches Blatt fprofste grade jetzt wieder. In dem Lied: «Prinz Eugenius der edle Ritter» — hielten die Soldaten die glorreiche Eroberung des turkifchen Bollwerks Belgrad fefl. Nur in wenigen Diflridlen, befonders in katholifch abgefchloffenen und in einzelnen Gegenden der Schweiz fetzte fich der alte Stil mit allgemeinerer volksthiimlicher Geltung bis zum i8. Jahrhundert fort, im gedruckten Buch, wie im aufgefiihrten Drama, freilich ohne irgend welche Bedeutmig fur die allgemeine Entwicklung. *) *) So z. B. wurde 1672 das Drama: die „Aufnemmende Helvetia voi- geftelll auf offentlichem Theatre von einer loblichen Burgerfchaft der Stadt Zug;" es wurde 1702 mit der „Abnemmenden Helvetia" gedruckt, reicht alfo in Bodmer's Kindheit. Das Werk ift durchaus alten Stils, frei von claiTifchen odcr modem-fremdartigen Einfliiffen und ganz ernfl gemeint. Die eigentliche Handlung beginnt mit Vogt Gridler, der fich iiber Stauffacher's grofses Haus ereifert. Des Schiller'fchen Tell's wegen mogen hier die nachften Scenen folgen. Werner Stauffacher, Walther Ftirft, Erni aus dem Melchthal, Conrad von Baumgarten berathen fich. „Croni(l" erzahlt die Gefchichte der Schweizer. Tell fchiefst deu Apfel vom Kopf feines Sohnes. Erni von Melchthal warden die Augen aus- geftochen. Baumgarten erfchlagt feinen Vogt im Bad. Der drei Lander erfter Bund wird aufgerichtet. Die Schloffer werden eingenommen. Jogeli iiberredet Anneli ihn Nachts zu fich zu laffen und lafst fich in's Schlofs ziehen. Ludwig der Baier beftatigt der Schweizer Freiheit u. f. w. . . bis zu Karl V. und Franz I. von Frankreich. -j32 I^i^ Poefie. Abfolutismus und Aufklarung. Herrfchend war die feit Opitz eingefiihrte neue Poefie nach Inhalt und Form, durchfchnittlich eine Dichtung nach Theorien, die alle in der Hauptfache, hinfichtlich des Wefens und Ziels der Dichtung, unrichtig oder ganz falfch waren. Weit gingen die einzelnen Richtungen auseinander. Lohenfteinifcher Bombafl, Hofmannswaldauifche Frivolitat, fleifer Paradegefchmack oder Prunkgewafch, itaHenifch manierirte Ueber- fchwanglichkeit, Opernunfmn, Niichtemheit und Gemeinheit, die flatt Volksthtimlichkeit echter Art auf die Popularitat des Niedrigen und Trivialen ging und fich befonders im (Hanswurfl) Luflfpiel zu einer Rohheit fleigerte, die in ihren Poffen und Zoten mit den Fallnacht- fpielen rivaUfirte, breite Lehrdichtung und ausmalende Schilderungs- dichtung, im Roman das Unglaubliche an Trivialitat und weifem Sammelfurium , in der Lyrik neben Klingklang vielfach ein wiifler, in Energie und Wildheit an den Raufch gemahnender Ton, dazwifchen grobere und feinere Satire, Alles in breiter Kritiklofigkeit neben und durcheinander — das war der Zuftand der deutfchen Poefie in den erflen Decennien des i8. Jahrhunderts. Der Zufland der Geiller fpiegelte fich im Ganzen nur zu getreu darin wieder, indem fiir das Gute, das man wirklich befafs, Verkehrtheit und Befchranktheit, die man in fehr vielen Fallen auch Feigheit nennen konnte, nicht den richtigen Ausdruck finden liefs. Wer nun in Deutfchland die franzofifche Poefie kannte und ihre Einheit, Gefchloffenheit, Klarheit, Grofse, Eleganz u. f. w. mit der deutfchen verglichi Wer Comeille, Racine, MoHere, J. B. Rouffeau, Fdnelon, Lafontaine und den fcharffmnigen Boileau, wer den Kranz von grofsen Profaikern vor Augen hatte und die deutfchen Dichter der Gegenwart iiberfchaute! Wie die ganze Zeit angethan war, mochte ein refoluter Kopf die kiihnflen Plane faffen und auf ihre Durchfiihrung finnen. Niemals gab es in diefer Hinficht mehr Kiihnheit und weniger Bedenken. Der Verfland war autokratifch geworden. Man ging in Deutfchland dem Hohepunkt der Entwicklung ent- gegen, die feit Mitte des i6 Jahrhunderts zur entfchiedenen Geltung gekommen war; damit naherte man fich dem Anfang der ebenfo ent- fchiedenen Gegenbewegung. Im aufsern und innern Leben befand man fich auf der Scheide zu einer neuen Zeit. Abfolutismus und Aufklarung. -jS^ Jetzt war die Aufklarung da und in den Spitzen der Geifler der grofstmogliche Gegenfatz gegen die herrfchenden Anfchauungen des Mittelalters eingetreten. Auch die Religion gait nun bei Vielen fiir «verruckte Phantafei» und das: «ecrafez rinfame!» kam aus einer Leidenfchaft der Aufklarung und einem Cultus des Verflandes, wie ihn friiher nur der Glaube gehabt hatte. Auch diefer Cultus hatte wie feine Enthufiaflen , fo feine Martyrer. Das Gleichgewichtsbeflreben, welches antreibt, fich in die entgegengefetzte Richtung zu werfen, wenn der eine Schaukelarni fo tief finkt, dafs man furchtet, das Ganze moge aus dem Angelpunkt geriffen werden und Alles fich iiberfchlagen und welches im Volkerleben die Geifler in dem fleten Hin und Her der Beforgnifs und des Widerftreites erhalt, hatte Ende des Mittelalters gegen den Wufl von Rechten und Ausnahmen und Befchrankungen zu der Rea6lion der Begiinfligung der einheitlichen fiirfllichen Gewalt getrieben. In dem Kampfe zwifchen altem Recht, welches Unrecht geworden war, und neuem Recht, welches von den Anhangern des alten als Unrecht verworfen ward, konnte fchliefslich Nichts helfen als ein Durchhauen des gordilchen, verfilzten Knotens durch den riickfichtslofen Willen und die Gewalt. Bei einer regel- mafsigen gefunden Entwicklung tritt natiirlich ein folcher Zufland iiberhaupt nicht ein. Jetzt aber kampften die fchroffen Gegenfatze in den meiflen Landern auf fafl alien wichtigen Gebieten: gegen zu viel Recht, wodurch die unendlichen Ausnahmen und Verclaufulirungen eingetreten waren, der despotifche Wille des Staatsoberhauptes und der einfache, unumflofsliche Befehl; gegen den zufammengetragenen, unendlichen Krimskrams in der Gelehrfamkeit, in welcher das Poly- hiflorwefen bliihte, die Readlion der mathematifch-philofophifchen Methode, gegen fcholaflifche Verzwicktheit die neuen Philofophien und die Aufflellung des gefunden Menfchenverflandes als hochfle Inflanz, gegen Dogma die Naturreligion u. f. w. Alles das nimmt die verfchiedenflen Geflaltungen an; die Gegenbewegung ifl ein Proteus, der in der politifchen Sphare als fiirfllicher Despot auftritt, in der religiofen Sphare zum Deiflen oder zum Materialiflen wird und in der Erziehungstheorie den Naturzufland als hochflen preifen lehrt, in Allem aber nach den einfachften, beflimmten Kraften fucht. In Deutfchland kam dies Alles zum Austrag, aber nicht in der durchgreifenden Weife nach der einen oder andern Seite wie anderswo. Die Durchgahrung der Maffe ifl langfam und fehr ungleichartig. 384 Aufklaruns:. Vieles blieb iler deutfchen Zerfplitterung gemafs duodezartig und ein Wille kam wieder vor dem andern nicht zur Geltung. ^) Im Allgemeinen gait damals audi in Deutfchland, was meiftens in folchen Zuflanden gilt, dafs der Teufel durch Beelzebub, ein Un- recht durch ein anderes vertrieben wurde. Wir haben fchon in Morhof einen kiihnen, gradedurchgehenden Mann gefunden. Zwei andere deutfche Gelehrte gingen um den An- fang des i8. Jahrhunderts in der entfchiedenflen Weife weiter vor, principiell der alten Richtung den Krieg erklarend und mit dem ganzen Bewufstfein der Neuerung kiihn und fchroff auftretend: Chri- flian Thomafius aus Leipzig (1655 — -1728) und Chriflian Wolf aus Breslau (1679 — 1754). Sie bewirkten einen gewaltigen Umfchwung, Thomafius fiir die grofsere Freiheit der Univerfitats-Wiffenfchaft im Allgemeinen, befonders wirkfam im Recht, fpecieller fiir Naturrecht und Ethik und jene Lebensweisheit, welche man damals Politik nannte, Wolf in der Gefammt-Philofophie als Syflematiker und Ordner, der nach mathematifcher Methode die letzten fcholaflifchen Begrifife aus- fegte. Die Logik und die fogenannte gefunde Vernunft wurden als die einzig gefetzmafsigen Machte hingeflellt, denen fortan Glaube, Dogma, phantafievolle Ahnung keine Einfprache zu thun hatten. Was in der Wiffenfchaft feine hochfle Berechtigung hatte, wurde fLri(ft fiir das ganze Leben als nothwendig angenommen. Alles wurde dem Ver- flande unterworfen, deffen Kreis aber freilich noch keinen fehr grofsen Durchmeffer hatte. Die Kehrfeite blieb natiirlich nicht aus: Herrfchaft des Schema's und Niichternheit, eine Weisheit, die fpateren Zeiten oft unendlich kleinlich, befchrankt und kindifch-lacherlich diinkt. Anderfeits war eine kraftigere Reaction des Glaubens und Gemiithes und der verbannten Krafte gegen diefe Herrfchaft des Einmaleins und des numerirten Claffificirens unausbleiblich. *) Am bekannteflen id in diefer Beziehung die' lacherliche damalige Staats- wirthfchaft im heiligen romifchen Reich deutfcher Nation, wo der Wirrwarr bei der Vielherrfchaft nicht einmal durch das Gegengift des Despotismus geheilt werden konnte. Wernicke fagt am Schlufs eines Epigramms iiber die Verfchieden- heit und Gleichheit von fiinf Wdrtern in Regensburg, dem Sitz des deutfchen Reichstages und in Verfailles fo treft'end : Bei uns heifst's: Ob? Wie? Wen? Was? Wer? Und dort : denn das ifl; meln Begehr ! Aufraumende Geifter. Einflufs der englifchen Poefie und Critik. 385 Diefe Ordner find durchgehends Geifter zweiten Ranges. Genies pflegen voraufzugehen und die Ziele zu finden, wenn fie diefelben auch ini Zickzack erreichten. Dann kommen die klugen, beftimmten Syftematiker. So ging es jetzt auf den verfchiedenften Gebieten. Nach Richelieu waren Ludwig XIV. und feine Colbert, Louvois u. A. ge- kommen; auf den grofsen Churfurften folgten Friedrich I. und der Ordner Friedrich Wilhelm I.; nach Corneille, Racine und Moli^re kam Boileau, nach Spinoza und Leibnitz kam Wolf. In der deutfchen Poefie kam Gottfched. Aber der grofse Vorder- mann fehlte zu dem Ordner und Aufraumer, dem fteifen Hercules im poetifchen Augiasftall, der in der Dichtung leiften wollte, was Wolf auf dem Gebiete der Philofophie geleiftet hatte. Gottfched, der Polizift gegen das Unfaubre, der Lehr- und Zuchtmeifter gegen die Ungeregeltheit, griff mit einem unglaublichen Erfolge ein. In wenigen Jahren hatte er fich die Dictatur auf dem damaligen deutfchen Par- nafs theils erzwungen, theils hatte man fie ihm mit Freuden zu- geftanden. Die poetifche Entwicklung war aber in diefem Falle nicht fo einfach, wie zu Opitz Zeit, den Gottfched in neuer Auflage wieder- geben zu wollen fchien. Opitz hatte dire6t gefiegt uber die vor ihm und neben ihm ringenden Beftrebungen. Auch Gottfched fchien eine Zeitlang vollftandig mit feinen Doctrinen den Sieg gewonnen zu haben liber Alles, was vor und neben ihm fich geregt hatte. Dann ver- kehrte fich aber fein Triumph in Niederlage. England hatte angefangen fich literarifch auf dem Continent Geltung zu verfchaffen. Dort hatte nach den grofsen Zeiten der Elifabeth ein fteiferer claffifcher Ton die Oberhand bekommen. Es folgten die Zeiten der Revolution, welche das burgerliche religiofe Element an die Spitze brachten. Der Gegenfchlag danach hatte in's franzofifche Wefen der leichtfertigen Art gefiihrt. Nach der holliin- difchen Invafion war der niederlandifch - franzofifche Gefchmack von grofserer Bedeutung geworden. Dann aber fchalte fich der englifche Gefchmack, nachdem er das ihm Zufagende aus den iibrigen Stilarten angenommen, aus diefen heraus und lofte nun in feiner germanifch- freiheitlichen, die Mittelclaffen befonders bertickfichtigenden Stilweife den niederlandifchen Einflufs ab. Er ward fiegreich in den fogenann- ten Wochenfchriften, fiegreich befonders gegen den franzofifchen Stil Oder viehnehr den franzofifchen Manierismus, der iibrigens in Frank- Levicke, Gefchichte der deutfchen Dichtung. 25 \ 386 Englifcher und franzdfifcher Einflufs. reich felbft, critifche Widerfacher fand. Einzelne hervorragende Geifler in Frankreich, im Gegenfatz namentlich zu dem iibermachtigen Des- potismus, fchauten jetzt nach den freieren Ordnungen des englifchen Volks und begannen fiir diefelben, damit aber auch unwillktirlich fiir englifche Literatur und Critik Propaganda zu machen. Schon bei Brockes, dem Burger der Hamburgifchen Republik, fahen wir eine Richtung, die man democratifch nennen kann hin- fichtlich der Wahl ihrer Stoffe in der Poefie, fowie einen Zufammen- hang mit dem englifchen Deismus. Nun begann man aber auch in der republicanifchen Schweiz fich um die englifche Literatur zu be- kiimmern. Hinzuzufiigen ifl noch, dafs die Englander befonders durch naturwiffenfchaftliche Erfolge jetzt fich auszeichneten und die fremden Gelehrten, welche mit der Naturwiffenfchaft zu thun hatten, nothwen- diger Weife von ihnen angezogen wurden, was ahnliche Folgen wie die Aufmerkfamkeit hinfichtlich der politifchen Inftitutionen England's hatte. In Bafel bildete fich ein Kreis, der englifche Literatur pflegte. Der Profeffor Drollinger (1688 — 1742) aus Durlach wurde ihr Ver- ehrer; dann aber wurden zwei Ziiricher, Bodmer und Breitinger, Be- wunderer und Vertreter der englifchen Anfchauungen. Sie gaben 1 72 1 in den «Discurfen der Maler» eine Nachahmung der englifchen Wochenfchriften heraus, die fich aber noch nicht halten und durch- greifen konnte. Wahrend diefe neue Bewegung noch wieder in's Stocken kam, brach nun Gottfched mit feiner, feit Canitz vor- bereiteten franzofifchen Theorie durch. Eine kurze Ueberficht der Entwicklung kann am beflen orientiren. _Gottfched's, Ideal war die Literatur der fleiferen franzofifch- romifchen Ordnung, die verflandesmafsige Aufklarung ubertragen in die Dichtkunfl. Die freie Phantafie war verbannt aus der Dichtung, die durch die Nachahmung der Natur ihre genauen Grenzen hatte, welche hochflens hie und da des Spafses und Ergotzens wegen liber- fchritten werden durften. Gottfcheds Triumph fchien fertig, feine .Richtung unanfechtbar. Der bombaflifch - manieriflifche Stil, die verriickte Phantafie nach Gottfchedifchen Begriffen und der niedrig populare, rohe ungebildete Stil, der dem Gelehrten widerlich war, fchienen befiegt. Der Himmel Gottfcheds war blau bis auf paar fchwarze Punkte. Sie hiefsen Haller und die Frage wegen des Miltonifchen Epos, liber welches die Englander und ihre Freunde viel Wefens machten. Gottfched unci die Schvveizer. Aefthetik. ■jg? Anfangs fiirchtete Gottfched nichts Arges, aber die Wolkchen wurden Wolken und plotzlich brach das Unwetter los. Nachdem man lange anfcheinend zufammen gegangen war, traten die Schweizer Bodmer und Breitinger gegen Gottfched auf, d. h. die neu-englifche gegen die franzofifche Anfchauung. Bald entwickelte fich ein Kampf auf Leben und Tod. Aus eigenem Kopfe kam auf beiden Seiten wenig oder nichts. Bodmer und Breitinger fiihrten gegen Gottfched, der fie mit den Waffen feiner franzofifchen Lehr- meifler angriff, die in England fchon gegen eben diefe Franzofen be- wahrten Waften. Der Erfolg war nicht fehr lange zweifelhaft. Der germanifche Geift. der englifchen Theorien drang in Deutfchland gegen den romanifchen der franzofifchen Theoretiker vor. Die deutfche Jugend wandte fich Bodmer und Breitinger zu, von Gottfched ab. England begann durch feinen Geifl dem deutfchen Volke ein Theil von dem zu vergiiten, was diefes durch die Reformation um die andern germanifchen Volker verdient hatte. Eine bedeutende Regung kam nun in die literarifchen Kreife. Zwei Pole waren entflanden, gegen welche Feindliches und Freund- liches fich fammelte, zwifchen denen bei dem fleten Anziehen und Abflofsen AUes in Mitleidenfchaft verfetzt wurde. Die Sache lag dies Mai anders, als wenn fiir gewohnlich ein Paar Poeten oder felbfl zwei Schulen bisherigen Stils ihre Streitigkeiten mit einander aus- fochten. Es war ein grofser, fcharf ausgepragter Principienkampf von zeitbewegenden Geiflesflromungen geworden, der nicht bios nach einer Seite des Inhalts oder der Form, fondern nach alien Seiten hin feine Gegenfatze zeigte. Inhalt und Form war in Frage geflellt, deutfcher und romanifcher Geift kampften; die Wiffenfchaft war be- theiligt. Je mehr es Gottfched gegliickt war, die gelehrte Welt flir die Fragen der Literatur zu intereffiren, defto einfchneidender ward der Streit. Wie unter Opitz die deutfche Poetik, fo fetzte fich jetzt — durch die Unterfuchungen der Franzofen und Englander zumeifl an- geregt — die Aeflhetik, anfangs fpeciell fiir die fogenannte fchone Literatur, als eine befondere Disciplin der Philofophie auf der Uni- verfitat fefl.^) Bisher hatte fich bald hie bald da ein oder das andere *) Alexander Gottlieb Baumgarten, ein Schiiler Wolfs, fchrieb 1735 „de non- nullis ad poema pertinentibus" und las in Halle, fpater in Frankfurt a. O. Aeflhetik. Nach Baumgartens Heften gab Prof. Meyer, Vertheidiger der Schweizer, 1748 feine: 25* •3 88 Ausbreitung der afthetifchen Intereffen. Centrum der fchonen Literatur zu bilden gefucht, jetzt in Breslau dann in Niimberg oder Hamburg u. f. w. Jetzt gaben alle Univer- fitaten und grofseren Centren der Bildung eine Art Stiitzpunkt ab. Von Zurich bis Konigsberg, von Bafel bis Hamburg, von Frankfurt bis Breslau entloderte derfelbe Kampf um das Wefen der Dichtung und ihre befle Form. Man war durch die Geiflesrepublik des Ge- lehrtenwefens und der fich intereffirenden Gebildeten mit einem Schlage iiber den Provincialismus als Clique in der Poefie hinaus und es ver- breitet fich jetzt in Folge diefes Bodmer-Gottfched Kampfes die Theilnahme fiir Dichtung durch alle gelehrten und gebildeten Schichten. Man begniigt fich jetzt nicht mehr in der alten Weife mit dem Gefang- buch und einem oder dem andern Lieblingsdichter, fondern es wird guter Ton, gehorig zu wiffen, was in der Poefie vorgeht, und Parthei zu nehmen und fomit Kenntnifs zu zeigen. Sehen wir jetzt die flreitenden Machte naher an. Seit Canitz war der neue franzofifche Stil Ludwig's XTV. eiri- gefiihrt. Er gait in Frankreich und alien geiflig davon abhangigen Kreifen als das hochft Erreichbare, als die moderne und nicht nach- flehende Renaiffance des kaiferlichen Roms zur Zeit des Auguftus, dem der Gebieter in Verfailles gleich zu fein, den zu tibertreffen er fich bellrebte. Man fah in der franzofifchen Poefie und Literatur die neue Claffik erreicht; man erblickte vollendet, was Opitz erflrebt hatte; dort agirten und philofophirten und poetifirten folche Manner mit folcher Geiflesfreiheit, Feinheit und Eleganz, wie es den friiheren Zeiten vorgefchwebt hatte. Ludwig's XTV. Epoche war in diefer Be- ziehung fiir die franzofifche Renaiffanceftromung in Wahrheit idealifch ; fie war in ihrer Art claffifch. Zu den Anhangern der franzofifchen Schule, die in Deutfchland meiflens in der leeren Hofdichtung zum Ausdruck kam, gehorte auch der Profeffor der Poefie Pietfch in Konigsberg (1690 — 1733). Ueber die metrifchen Schwierigkeiten war man in diefer Zeit hinaus und die Begeiflerung fiir die Form, wie fie Buchner, Opitz, Zefen, Tfcherning und die Niirnberger gehabt hatten, war voriiber. Anfangsgriinde aller fchonen Wiffenfchaften — heraus. Baumgarten liefs feine Aefthetica 1750 erfcheinen. Efchenburg, Sulzer u. A. fchliefsen fich an diefe Schule an. Crilifche Unterfucluingen. Gottfched. o^q Wie nun einer wiffenfchaftlichen Behandlung der Poetik eine neue Seite abgewinnen? Die Fremde mufste Hiilfe fchaffen. In Frankreich waren die grofsen Dichter todt; Racine war 1699 geflorben. Aber die grofsen Schriftfleller, die philofophirenden Geifler, die Vortriippen und Be- griinder der eigentlichen Aufklarung batten mit kleineren Dichtern jene abgelofl. Nun kamen die Reflexionen, Unterfuchungen und Fragen, die Priifungen der beati poffidentes einer reichen, mannig- faltigen Literatur-Erbfchaft, darunter auch die Fragen nach dem Wefen der Dichtung, den Vorzugen der verfchiedenen Stile, dem Werth der verfchiedenen Arten. Die Kritik trat auch hier fchneidig ein; in- tereffante, wenn auch nicht gerade philofophifch tieTe Streitigkeiten batten fich dariiber entfponnen; die Niitzhchkeitstheoretiker und Reahilen waren in Paris felbfl aufgetreten; ein allgemeines, mehr Oder minder populares Aeflhetifiren hatte fich daraus ftir die Poefie entwickelt. In England war daffelbe gefchehen; hier aber mit dem Unter- fchiede, dafs die freiere Schule fich auf das nationale englifche Element flutzte und dadurch den Kampf zweier ailhetifcher Schulen in den Kampf der franzofifchen, fremden und der englifchen, nationalen Parthei verwandelte, wie fehr fie auch felbfl noch in der Tradition des franzofifchen Stils fland und von diefem ihren Ausgang ge- nommen hatte. Steele und vor Allen der hochbegabte Addifon waren es, welche durch ihre popularen Wochenfchriften in diefer Beziehung einen un- geheuren Einflufs ausgetibt und die Linien flir den neuen eng- lifchen Geifl. ausgelegt haben. Der «Tatler» 1709, der mit Recht be- riihmte «Spe6lator» 1711 und der «Guardian» 1 7 1 3 machten Epoche durch Inhalt und Behandlung ihrer Themata. Der Literaturdrang diefer franzofifchen und englifchen Schriften begann im zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhundert auch in Deutfch- land feine Wirkungen zu iiben. Wir fahen fchon die Reflexbewegung in der Schweiz. Aber auch in Konigsberg ward er wirkfam bei einem Schiiler von Pietfch. Johann Chrifloph Gottfched*) (1700 — 1766) aus Judithen- *) Johann Chrifloph Gottfched, geboren 1700 zu Judithenkirchen in Preufsen, fludirte in Konigsberg Theologie und fchone Wiffenfchaften, ging 1 724 nach 390 Gottfched. kirchen fludirte in Konigsberg, welches feit Simon Dach feine poetifche Tradition hatte. Gottfched verfpiirte in fich den Reformator der zeitgenoffifchen deutfchen Poefie. Er ging nach Leipzig — die Furcht, wegen feiner Grofse unter die Riefengarde von Potsdam gefleckt zu werden, trieb ihn aus Preufsen — . Er habilitirte fich dort; der Profeffor Johann Burkhard Menke (als Dichter Philander von der Linde), ein im Morhof'fchen Stile fiir die Literatur vvirkfamer Gelehrter, hatte 1722 aus der friiheren Gorlitzifchen poetifchen Gefellfchaft die Deutfch-iibende Gefellfchaft gegriindet ; in diefe trat Gottfched, fchwang fich zu ihrem Leiter empor und conflituirte fie 1727 neu als Deutfche Gefellfchaft, wobei ihm ein academifches hochfles Tribunal vorfchwebte. Durch feine Profeffur und feine Lehrbiicher iiber Redekunfl. und Dicht- kunfl verfchaffte er fich bald durch ganz Deutfchland ein Anfehn, dafs er alle iibrigen Mitbewerber in der Poetik verdunkelte. Das Intereffante war, dafs er von Leipzig aus nun nicht bios den Lohenfleinifchen fondern auch den alteren fachfifchen Gefchmack fchonungslos bekampfte und gegen den Dresdener italienifchen iiber- triebenften Barockgefchmack und anderfeits die Weifedichtung, die in dera Steuerbeamten Chr. Friedr. Henrici (1700 — -1764; genannt Picander) jetzt ihren nicht felten lasciven, fchmutzigen Vertreter hatte, norddeutfch zah und pedantifch im Geifl der Aufklarung verging. Gottfched, gebildet im Geifle Wolf's und Thomafius', angefeuert durch die Erfolge der Franzofen und Englander in der Lehrhaftigkeit und Kritik in der Poefie, fiihlte fich berufen, der Boileau der Deutfchen zu werden und es einem Addifon und Steele in der Popularifirung gleich zu thun. Er war ein Mann feiner Zeit, vom echten Schlage der despotifchen Ordner und Aufklarer, voll erfiillt von feiner Aufgabe, von Scrupeln und Zweifeln hinfichtlich des Werthes oder der Nothwendigkeit feiner vermeinten Befferungen frei, fomit auch durchdrungen vom eignen Werth und dem feiner Arbeit, ein grofses Talent des Schematifirens und Aufraumens mit nie verfagender ruhiger Arbeitskraft, Fanatiker der Ordnung und niichternen Klarheit, unter deffen Handen Alles fich unter iiberfichtliche Nummern fligte. Leipzig, wo er fich habilitirte. 1730 wurde er aufserordentlicher, 1734 ordent- licher Profeffor der Logik und Metaphyfik. Seit dem Erfcheinen feiner kritifchen Dichtkunfl, 1729, hatte er den weitgehendflen Einflufs auf die deutfche Poefie, der bis 1740 etwa unbeftritten dauerte, feitdem abnahm. Hinter feiner Zeit zuriick- geblieben und ihr zum Spott geworden, flarb er 1766. Gottfched. 391 Eine tiefere, reichere Natur ware bei der Arbeit, die Gottfched iiber- nahm, verzweifelt und nicht mit ihr fertig geworden; er in feiner Befchranktheit und Selbflficherheit brachte fie, in feiner Weife freilich, zu Stande. Gottfched ging aus von der franzofifchen Kritik und deren Ausgangspunkt, als den man jetzt kurz und gut Horazens Brief an die Pifonen, die fogenannte «ars poetica» bezeichnenkann. AUeiibrigen claffifchen Schriftfleller, felbfl. Arifloteles, wurden in diefer Periode dem Horaz untergeordnet, der als kaiferUch - romifcher Hofpoete, als der kritifchfle Kopf der Poefie des Augufleifchen Zeitalters abfolut Recht haben mufste. Man lege diefen Brief des Horaz von der Dichtkunft ntichtern aus, dann hat man die Quinteffenz der Gott- fchedifchen Lehre. Gottfched hat ihn auch feiner kritifchen Dicht- kunft als Einleitung vorangeflellt und hebt hervor, «alles, was er (Horaz) fagt, ifl hochfl verntinftig und man kann fich von feinen Vorfchriften kein Haar breit entfernen, ohne zugleich von der Wahr- heit, Natur und gefunden Vcrnunft abzuweichen.» Hochfler Grund- fatz des Ganzen ifl fiir Gottfched darin das «fcribendi re6le fapere efl et principium et fons» — «Vernunft und Klugheit find die Quellen fchoner Lieder» oder wie er es profaifch ausdriickt: eine gefunde Vernunft und gute Einficht in philofophifche Wiffenfchaften legen den Grund zur wahren Poefie. Durch den Satz geht es nach ihm zur Dichtung, und liber feine niichterne Auslegung ifi. er nie weg- gekommen. Als fchon der Beweis durch die That geliefert war, dafs noch etwas ganz anderes zur Dichtung gehore, fchrieb er zu jenem Satz in bittrer Ernflhaftigkeit : «Indeffen halten doch bis auf den heutigen Tag die meiflen dafiir, die Poeten wurden geboren und wiichfen gleichfam wie die Pilze fix und fertig aus der Erden. Hochftens meinen fie, man dlirfe fich nur die Regeln der Versmacher- kunfl vom Scandiren und Reimen ein wenig bekannt machen; das Uebrige gabe fich von felbfl. Wenn Pritfchmeifler Poeten waren, fo hatten fie ganz recht. » Gottfched hat fiir die Poetik AUes gethan, was ein niichterner Gelehrter feiner Zeit vermochte, aber das Wefen der Phantafie hat er nie begriften und damit nicht das Wefen der freien Schonheit und wahren Dichtkunft. Nur fo weit der Verftand reichte, ging fein Reich; Klarheit, Ordnung, formelle Fefligkeit, auch noch das gewohnlich Luftige und gewohnlich Witzige, fo weit das Moralifch-Lehrhafte philifi.rofer Ehrbarkeit dies zuliefs, konnte er 392 Gottfched, Lohenfteiner und Hofdichter. wiirdigen, und dafur wirkte er. Mit feinem Glauben an das Evan- gelium der gefunden Vernunft und der Aufklarung im Wolfifch- philofophifchen Sinne und mit den Brillen des franzofifchen Gefchmacks iiberfah Gottfched die Poefie feiner Zeit. Eine ausgedehnte Belefenheit gab ihm alle Anhaltspunkte und lieferte ihm die fiir Beweife ge- nommenen BezugsRellen fiir feine Anfichten und Behauptungen. Einen wirklich originellen Gedanken kann man wohl kaum bei ihm finden. Hatte er einen gehabt oder hat er einen gehabt, fo hat er doch als echter gelehrter Pedant nicht eher geruht, als bis er ihn auch bei Andern, Lateinern, Griechen, Franzofen, Itahenern, Englandern oder wer es fei, aufgeflobert und zum Beleg heran- gezogen hatte. Da waren die Lohenfteiner: ihr in Prunkwortern wie auf einen Faden gereihter zufammengefuchter Bombafl widerte feine niichterne, verflandige Natur an. «Eine von den allervornehmften Tugenden eines guten poetifchen Satzes ifl die Deuthchkeit defl"elben.» Der Lohenfleinifche Unfmn und die Unnatur war nirgends in der Natur anzutreffen und doch «befleht das Wefen der ganzen Poefie in Nach- ahmung der Natur. » Dazu war er nach den Franzofen und durch Horaz gefchmackvoll genug, das Hereinziehen der «weithergefuchten Gelehrfamkeit» der Lohenfleinifchen Zeit zu verwerfen. Die Un- zuchtigkeit der Lohenfteiner und Hofmannswaldauer hafste er gleich- falls; Horazens Regel, nicht fein Exempel miiffe da gelten; unziichtige Reden in garfligen Allegorien, grobe Zweideutigkeiten und hafsHche Wortfpiele htt Gottfched nicht, weil es ihm Ernft damit war, dafs fie die Dichtung fchandeten. Er vergifst nicht anzufuhren, wie Boileau mehrmals diefe Regel, das Unfitthche zu vermeiden, wiederholt hat. Unerbitthch fuhr der geftrenge Mann hier drein, und weil er Recht hatte und diefe Sittenftrenge jetzt nach friiheren franzofifchen, dann nach englifchen Muflern auch in Deutfchland als Zeitftromung viel- fach durchbrach — man denke nur an Friedrich Wilhelm I. — , fo hatte er grofsen Erfolg und gewann fich hier die am langften an- erkannten Lorbeeren. Die Hofdichter liefs er mehr in Ruhe; ftammte doch feine Mufe von der Pietfchifchen und gehorte er felber als Poet vielfach in den Orden, wenngleich man nicht leugnen kann, dafs er im Ganzen den biirgerlich-gelehrten Sinn bewahrte. Uebrigens hatte er auch zu viel furchtfame Klugheit, um hier freimlithig mit feinen Anfichten heraus- Gottfched, Weifeaner und Lehrdichter. ^q7 zufahren. Kam er doch fo fchon mit Dresden fpater in fchlimme Differenzen. Aber die Weifeaner! Ein Mann, der die beflen franzofifchen Poeten und Schriftfleller verehrte und rhetorifch - gcwichtig von Charader war, konnte fich mit folcher banalen «gemeinen Sprache» nicht befreunden. Das «fi caret arte", wenn die Kunft. fehlt, — des Horaz, (land ihm immer vor Augen; ferner deffen «brevis eflo!» fei kurz und all' die andern goldnen Spriiche des Horaz; die Lull der Weifeaner an gemeinem Inhalt traf ihn wie alles Rohe aufs Empfindlichlle. Hier fand er einen befonderen Wirkungsplatz, den Kehraus zu machen und den Schmutz und die Zoten aus Gedichten und von der Biihne hinwegzufegen ; der ganze Hanswurfl. mufste mit- fpringen und ward abgethan. Dann waren die breiten Lehrdichter da: Brockes und feine An- hanger. Wunderlich fafl, dafs Gottfched hier fo flreng fich zeigte, und doch wieder erklarlich. Er war ein viel zu fyflematifcher Ver- flandeskopf, als dafs er die breite malerifche Verfchwommenheit hatte lieben konnen. Er fand auch bei Franzofen und Englandern Kritiker, die gegen dies blofse Lehren in Reimen eiferten und die ihn bei den Satzen des Arifloteles liber die Fabula von der Nach- ahmung der Natur in der Dichtung feflhielten. So fagt er (^ 9 Von dogmatifchen Gedichten): «Dafs es alfo angehe, dergleichen philo- fophifche, theils natUrliche, theils fittliche Materien in Verfen ab- zuhandeln, lehret der Augenfchein felbfl: und dafs es nicht uneben fei, zeigen die angefiihrten Exempel der grofseflen Manner. Das fraget fich nur, ob man diefe oder dergleichen Schriften Gedichte nennen kdnne? Nach der oben feflgeflellten Befchreibung der Poefie iiberhaupt, kann man ihnen diefen Namen fo eigentlich nicht ein- raumen. Alle diefe grofsen und weitlauftigen Werke find zwar in Verfen gefchrieben; in der That aber keine Gedichte: well fie nichts Gedichtetes, das ift, keine Fabeln find. Arifloteles hat daher in dem erflen Capitel feiner Poetik dem Empedokles den Titel eines Poeten abgefprochen und ihm nur den Namen eines Naturkiindigers zu- geflanden, ob er wohl wufste, dafs die Unverflandigen ihn, feiner alexandrinifchen Verfe halber, mit dem Homer in eine Claffe zu fetzen pflegten. Was er von dem Empedokles geurtheilt hat, das miiffen wir von alien iibrigen obenerwahnten Buchern und Schriften fagen. Es find philofophifche Abhandlungen gewiffer Materien, Ver- 394 Gottfched unci das Drama. nunftfchlufle, Unterfuchungen, Muthmaafsungen der Weltweilen, Er- mahnungen zur Tugend, TroRreden im Ungliicke; aber keine Ge- dichte, keine Nachahmungen der Natur. Alfo wiirden denn wohl alle diefe Stiicke gar nicht in die Poefie laufen, wenn fie in un- gebundener Schreibart abgefaffet waren: da hingegen die Helden- gedichte, Romane, Trauerfpiele, Komodien, Schaferfpiele und iiberhaupt alle Fabeln dennoch Gedichte bleiben und in die Poefie gehoren; wenn fie gleich nur in ungebundener Rede abgefafst werden.» Doch wolle er fie wie Oden, Elegien und Briefe paffiren laffen. Man fieht daran fo recht feine kritifchen Bedenken und audi die Ehrlichkeit, freilich in diefem Fall auch die Nachgiebigkeit derfelben (die an- gefuhrten Worte nach der 4. Auflage der kritifchen Dichtkunfl) , eine Nachgiebigkeit, die er in andern, ihm weniger homogenen Fallen nicht kannte. Die dramatifche Poefie fah er vor AUem als feine Domane an. Er berichtet uns von dem erflen Eindruck, den er von der Auffiih- rung von Schaufpielen nach altem Schnitt bekam: «Lauter fchwUlliige und mit Harlekinsluftbarkeiten untermengte Haupt- und Staatsactionen, lauter unnatiirliche Romanflreiche und Liebesverwirrungen, lauter pobelhafte Fratzen und Zoten waren dasjenige, fo man dafelbfl zu fehen bekam." Die Mufler Frankreichs, Corneille, Racine, Molidre vor Augen, den Kopf voll von den Bemiihungen der bedeutendflen Schriftfleller Frankreichs und Englands fiir die Biihne, angeeifert auch wohl durch den fiegreichen, bekannten Streit Collier's*) gegen die unfittliche englifche Comodie der Nach- Revolutions -Epoche, fand er im Drama das rechte Feld feiner Thatigkeit. Practifch griff er die Sache an, wie niichtern er auch in feinen Anfchauungen war. Er verbiindete fich mit der Frau Neuberin, der intelligenten Vorfleherin einer verhaltnifsmafsig bedeutenden Truppe.'*) Er bewog fie, die Staatsactionen und Stegreiffliicke und Poffen fo viel wie moglich zu befchranken und Stiicke in Verfen nach franzofifchem Mufler auf- zufiihren. Er war voll Eifer, neue entfprechende Stiicke herbeizu- *) Siehe Macaulay's Effay iiber Leigh Hunt: The Dramatic Works of Wycherley etc. **) Eduard Devrient: Gefch. der deutfchen Schaufpielkunfl. 2, Band. Seit Velten hatte, wie oben fchon bemerkt, die deutfche Schaufpielerkunfl; einen neuen Impuls bekommen und fich aus dem Jahrmarkts-Gauklerwefen niehr herausgefchalt. Gottfched und das Drama. 395 fchaffen, er iiberfetzte und trieb Freunde und Anhanger dazu, die beflen Tragodien und Comodien der Fremden zu iiberfetzen. Seine gewandte, liebenswurdige Frau ward darin die thatigfle Arbeiterin. Er felber dichtete nach Addifon und Deschamps 1731 den flerbenden Cato, die erfle deutfche Tragodie des neuen Stils, eine ehrenvverthe Leiflung fiir ihn und feine Zeit, wenn man fich auf deren Standpunkt flellt. Gottfched ging fiir das Drama nach der Kegel zu Werke, die er bei den Franzofen und bei dem franzofifch verflandenen, moraUfch verballhornten Arifloteles fand. Sein Argumentiren ift, danach einfach und confequent. Das Drama ift. Nachahmung menfchlicher Hand- lungen. Es foil wie jede Dichtung belehren und gefallen. Sein hoch- fler Zweck ift. Moral. Die Tragodie mufs, man kann einfach fagen, weil Arifloteles es gefordert hat, Schrecken und Mitleiden erwecken; die Komodie «ift nichts anders als eine Nachahmung einer lafler- haften Handlung, die durch ihr lacherliches Wefen den Zufchauer beluftigen aber auch zugleich erbauen kann. » Horen wir ihn felbft. iiber die berlihmten Satze von der Einheit: «Die ganze Fabel hat nur eine Hauptabficht; namlich einen moralifchen Satz: alfo mufs fie auch nur eine Haupthandlung haben, um derentwillen alles iibrige vorgeht Alle Stucke fmd alfo tadelhaft und verwerflich, die aus zwoen Handlungen beflehen, davon keine die vornehmfle ift ... . Insgemein fiindigen die englifchen Stucke wider diefe Kegel, wann fie zwei ganz verfchiedene Fabeln in einan- der wirren. Die Einheit der Zeit ift. das andere, das in der Tragodie unentbehrlich ift. Die Fabel eines Heldengedichts kann viele Monate dauren, wie oben gewiefen worden; das macht, fie wird nur gelefen: aber die Fabel eines Schaufpiels, das mit lebendigen Perfonen in etlichen Stunden wirklich vorgeflellt wird, kann nur einen Umlauf der Sonne, wie Arifloteles fpricht, das ift einen Tag dauren. Denn was hatte es fiir eine Wahrfcheinlichkeit, wenn man in dem erflen Auftritte den Helden in der Wiege, etwas weiter hin als einen Kna- ben, hernach als einen Jtingling, Mann, Greis und zuletzt gar im Sarge vorflellen wollte; wie Cervantes folche thorichte Schaufpiele an feinen fpanifchen Poeten im Don Quixote ausgelacht hat. Haben es die Englander nicht voUig fo fchlimm gemacht, fo ift es doch nicht viel beffer. Shakefpears Cafar hebt vor der Ermordung Cafars an und dauert bis nach der philippifchen Schlacht, wo Brutus und Caf- fius geblieben. Oder wie ift. es wahrfcheinlich, dafs man es auf der -3q(3 Gottfched unci das Drama. Schaubiihne etliche Mai Abend werden fieht und doch felbfl, ohne zu effen oder zu trinken oder zu fchlafen immer auf einer Stelle fitzen bleibt? Die beflen Fabeln wiirden alfo eigentlich diejenigen fein, die nicht mehr Zeit gehabt hatten, wirklich zu gefchehen, als fie zur Vorftellung brauchen; das ill etwa zwei oder drei Stunden; und fo find die Fabeln der meiflen griechifchen Tragodien befchaffen. Kommt es hoch, fo bedtirfen fie fechs, acht oder zum hochflen zwolf Stunden zu ihrem ganzen Verlaufe und hoher mufs es ein Poet nicht treiben, wenn er nicht wider die Wahrfcheinlichkeit handeln will. Es muffen aber diefe Stunden bei Tage und nicht bei Nachte fein, weil diefe zum Schlafen bellimmt ifl, es ware denn, dafs die Hand- lung entweder in der Nacht vorgegangen ware .... Zum dritten gehort zur Tragodie die Einigkeit des Ortes. Die Zufchauer bleiben auf einer Stelle fitzen: folglich muffen auch die fpielenden Perfonen alle auf einem Platze bleiben. » Diefe Forderungen, die hier flehen mogen, weil fie ja die ganze Zeit beherrfchten und bei den Franzofen kanonifch waren, bedtirfen keines befonderen Commentars mehr. Pof- firlich ill nur die Art der Folgerung, die Gottfched anwendet. Mit demfelben Rechte kdnnte man fagen, weil die Zufchauer fchweigen, miiffen auch die Schaufpieler alle den Mund halten. Und wenn er eifrig damit fchliefst: «Es ifl alfo in einer regelmafsigen Tragodie nicht erlaubt, den Schauplatz zu andern. Wo man ifl., da mufs man bleiben; und daher auch nicht in dem erflen Aufzuge im Walde, in dem andern in der Stadt, in dem dritten im Kriege und in dem vierten in einem Garten oder auf der See fein. Das find lauter Fehler wider die Wahrfcheinlichkeit: eine Fabel aber, die nicht wahr- fcheinlich ifl, taugt nichts, weil diefes ihre vornehmRe Eigenfchaft ifl.» — fo fallen ihm alle anderen Unwahrfcheinlichkeiten der Biihne nicht ein, fo lafst er die Unwahrfcheinlichkeit des Verfes z. B. ruhig paffiren! Die ganze Anfuhrung mag ihn nach der engherzigften Seite kennen lehren, wie holzern er die franzofifchen Argumente wieder- gab; fie wird feinen Sturz und die fpatere Verfpottung erklaren, als man einmal an diefer oden Art der Wahrfcheinlichkeit und Natur- nachahmung zu riitteln begonnen hatte. So unnachfichtlich er in der Tragoeiie fich zeigte, fo unnachfichtlich in der Komodie, die natiir- lich auch nach den Regeln der Vernunft gemacht werden mufs. Un- finnige Phantafien und Schwarmereien , Parodien, Geiflerfpuk, Zau- bereien, Romanflreiche, Betriigereien der Diener und Narrenspoffen Gottfched und das Drama. 707 von Harlekin und Scaramutz, worin nicht Handlungen des gemeinen Lebens nachgeahmt werden, fondern lauter ungereimte Streiche ge- fchehen, die einem nicht fo arg traumen konnten — fie find ihm in den Tod zuwider. Mit der fchon oben angefuhrten Definition von (ler Komodie ftihlte er fich in jeder Hinficht gefichert. Gottfched fiegte damals mit feinem franzdfifch-claffifchen Streben liber den alten Schlendrian der deutfchen Biihne, wenn man diefelbe mit ihren zerfetzten, unfmnigen Stucken und Poffen, mit ihren ver- fchlechterten Nachahmungen der fremden Schaufpiele und ihrem Stegreiffpiel fo nennen darf. Wie grofs feine Thatigkeit war, beweifl feine deutfche Schaubiihne (feit 1740, acht Bande). Die beiden erflen Bande fuhrten folgende Werke vor: den flerbenden Cato, den Gott- fched allmalig fo umgedichtet hatte, dafs er ihn fiir ein Originalwerk ausgeben konne, MoUere's Menfchenfeind, Corneille's Cid und Hora- zier, Holberg's politifchen Kannegiefser, die Spieler in und die Widerwillige von Riviere du Frefny, Iphigenia von Racine, die Opern von St. Evremond, Cornelia von Mad. Barbier, das Gefpenfl mit der Trommel von Addifon nach Destouches, Zayre von Voltaire, der deutfche Franzos von Holberg. Die deutfchen Theaterbanden hatten kein einzig nennenswerthes Stiick! Wohin der Gefchmack aller Gebildeten fich folchen Werken gegeniiber richten mufste, war klar; der Enthufiasmus, womit Gottfched und die Neuberin und die erflen Drama-Sanger die Wandelung der deutfchen Schaubiihne durch- fetzten und der namentlich Leipzig erfiillte, ill leicht zu begreifen. In den Studenten Schlegel, Weifse, Leffing u. A. fehen wir ihn fpater wirkfam. Durch diefe Regelmafsigkeit und Ehrbarkeit wegen des hochgewichtigen Leipziger Profeffors ward das deutfche Schaufpiel wieder ehrlich gefprochen und das Niederfle in der poetifchen Praxis wieder gehoben. Die weiteren Fragen, ob denn eine folche radicale Umwalzung nothwendig oder gut war, ob fich aus den Staatsactionen, dem Weife'fchen Drama und dem Stegreiffpiel Nichts hatte entwickeln laffen, mogen nur mit dem gefchichtlichen Hinweis beantwortet wer- den, dafs eben Revolutionen, die durch ganz verkommene, unhaltbare Zuflande hervorgerufen find, in Extremen fich bewegen. Bei einer gefunden lebendigen Entwicklung gefchieht ein folcher Umfchlag in's Gegentheil nicht. Bei gehdriger Lebenskraft wird fich aber aus den Extremen allmalig das richtige Mittelmaafs herausflellen. ■3q8 Gottfched und das Drama (Hanswurft). Open Was den Hanswurft betrifft, deffen Abfchaffung Gottfched oft und von gewichtigen Kritikern fchon der nachften Zeit, z. B. von Leffing und Juft. Mofer, vorgeworfen worden, (und zwar, nebenbei bemerkt, in derfelben Weife, wie Fielding im Tom Jones [1750] liber den Polichinell des Puppentheaters gefprochen hatte) fo kann man den alten Poliziften der Sittfamkeit in Leipzig wohl noch anders in Schutz nehmen, als dafs man auf die wirklich unertragliche Art der Poffen und Zoten diefes, aus dem englifchen Clown und den italieni- fchen burlesken Masken entftandenen deutfchen Poffenreifsers hinweift. Ift denn der Harlekin wirklich daran geftorben, dafs er auf der Neu- berifchen Biihne als Strohpuppe verbrannt wurde im Jahre i737r Vegetirte er nicht luftig fort auf den anderen Btihnen, ja fand er nicht in Wien eine langdauernde Verjiingung? Schon drei Jahre nach jener Puppenverbrennung begann der Kampf gegen Gottfched, Und Niemand kam, der den Hanswurft reftaurirte? Warum hoben den Hanswurft denn nicht andre, poetifchere Geifter zu der Hohe, die ihnen fpater nach Shakefpeare's beften Clowns vorfchwebte? Aehnlich konnte man einen Vorwurf erheben, dafs man die Marktfchreier und Quackfalber nicht zu Wanderpredigern gewandelt hatte, um der Maffe des Volks die Lehren von der Gefundheit bei- zubringen. Ging Gottfched in diefer Weife im Schaufpiel pofitiv vor, fo negativ gegen die Oper. Diefem Verftandeskopf war die Oper an fich ein Unding, ein Unfmn, der jeden Augenblick der gefunden Vernunft in's Geficht fchlug. Das «Beffere», die moralifche Lehre, fehlte in der Oper neben dem Vergniigen ganz und gar; Nachahmung der Natur ift darin nicht zu linden. «Wenn nicht die Regeln der ganzen Poefie iibern Haufen fallen follen — fagt er in dem Capitel iiber Opern und Singfpiele — fo mufs ich mit dem St. Evremond fagen: Die Oper fei das ungereimtefte Werk, das der menfchliche Verftand jemals erfunden hat Einmal ift es gewifs, dafs die Handlungen und dazu gehorigen Fabeln mit den alten Ritterbiichern und fchlechten Roman en mehr Aehnlichkeit haben, als mit der Natur, fo wie wir fie vor Augen haben. Wenn wir eine Oper in ihrem Zufammenhange anfehen, fo miiffen wir uns einbilden, wir waren in einer ander 1 Welt : fo gar unnatiirlich ift alles. Die Leute denken, reden und handeln ganz anders als man im gemeinen Leben thut und man wiirde fiir narrifch angefehen vverden, wenn man im gering- Gottfched und die Open ^QO flen Stiicke fo lebte, als es uns die Opern vorflellen. Sie fehen daher einer Zauberei viel ahnlicher, als der Wahrheit, welche Ordnung und einen zulanglichen Grund in alien Stucken erfordert. Wo fieht man im gemeinen Leben Leute, die einander als Gotter anbeten, Liebhaber, die auf den Knien vor ihren Gebieterinnen liegen, und fich das Leben nehmen wollen; Prinzen, die in Geflalt der Sclaven in weitentlegene Lander ziehen, weil fie fich in den blofsen Ruf einer Schonheit ver- liebt haben; Konige, die ihre Kronen um eines fchonen Weibes halber verlaffen, und was dergleichen Phantafien mehr find? Wo horet man die gewohnliche Opernfprache, von Sternen und Sonnen, von Felfen- bruften und atnagleichen Herzen, von verfluchten Geburtsflunden, um eines fcheelen Blickes wegen u. f. w. . . Ich fchweige noch der feltfamen Vereinbarung der Mufik mit alien Worten der Redenden. Sie fprechen nicht mehr, wie es die Natur ihrer Kehle, die Gewohn- heit des Landes, die Art der Gemiithsbewegungen und der Sachen, davon gehandelt wird, erfordert: fondern fie dehnen, erheben und vertiefen ihre Tone nach den Phantafien eines Andern. Sie lachen und weinen, huften und fchimpfen nach Noten. Sie fchelten und klagen nach dem Tacte, und wenn fie fich aus Verzweiflung das Leben nehmen, fo verfchieben fie ihre heldenmafsige That fo lange, bis fie ihre Triller ausgefchlagen haben. Wo ifl doch das Vorbild diefer Nachahmungen? Wo ifl doch die Natur, mit der diefe Fabeln eine Aelinlichkeit haben r » Es ifl, das Alles wieder nicht auf feinem eignen Mifl gewachfen. Getreulich nennt er auch feine Gewahrsmanner, St. Evremond, Gedoyn, Racine, Boileau u. f w. Kein Wort liber den innern Unwerth einer folchen Deduction, die von falfchen Grundfatzen ausgehend zu fal- fchen Folgerungen kommen mufste. Der logifche Philifler, den man iibrigens grade fo ja noch heu- tigen Tages hort, moge aber eine Entfchuldigung finden, foweit eine folche zu geben ifl. In der Oper herrfchte allerdings ein Unfmn, der eine Reaction erforderlich machte. Aus dem heitferen, freien Phantafiefpiel edler Art hatte fich ein Ausftattungsftuck entwickelt, welches dem Zufchauer den Kopf wirbelich machen mufste und in der That unter jeder verniinftigen Kritik fland.*) Wenn das Chaos *) Heut erleben wir das Gegentheil im Schaufpiel. Die philifterhafte Niich- ternheit der neuen Schau- und Luftfpiele mit ihrer verflandesmafsigen Ausarbeitung 400 Gottfched unrl die Oper. fich bei Erofifnung der Buhne in die vier Elemente zertheilte, die gegeneinander fangen, wenn Winde und Bildfaulen tanzten oder der ganze Olymp urn ein Nichts in Bewegung gefetzt wurde, wenn eine Befchreibung, wie fie Gottfched in der Ueberfetzung von St. Evremonds Luflfpiel «die Opern» giebt, nur zu wahr war, dann konnte eine Re- action nicht ausbleiben. Aus feinem Luflfpiel ein Beifpiel, v/elches Gottfched nach den ihm vorliegenden Hamburger Opern giebt. Dr. Heilbronn «Auch diefe (die Oper Thefeus) ift. aus dem Franzofifchen liberfetzt und von Strunken in die Mufik gebracht. Das Vorfpiel dabei war neu, der Stadt Hamburg zu Ehren gemacht. Es fungen lauter Gotter zufammen. Und es ifl wahr, die Gotter kamen ein wenig zu oft, fo dafs man fie fchon uberdriiffig ward. Denn was nicht natiirlich ifl, das fetzet einen nur in Verwunderung , fo lange es neu ifl. Es ward auch ein Opfer der Minerva vorgeflellt, welches vielen Leuten fehr andachtig vorkam. Es ifl in der That argerlich, dafs fo viel heidnifches Gotzenzeug in den Opern vorkam. Die Verfe in diefem Stucke waren fehr fchlecht und unrein und die luflige Perfon, Arkas, hatte eine Menge Zoten und niedriges Zeug auf feiner Rolle, das dem unterflen Pobel kaum gefiel. Z. E. in dem erflen Auftritte der vierten Handlung heifst er feine Dorine eine verfluchte Donnerkatze, ein Stachelfchwein, eine Hexe, die zu Plutos Hexenfefle iiber Berg und Thai fahrt; eine alte Hure, der er mit Gunfl ihre Kunft zerfetzen will. Und da er einen Geifl kommen fieht, fpricht er: Ach gnadiger Herr Teiifel ! Ihr feid es oline Zweifel, Der eben itzt die Pfeife mit Taback An meinem Feuerfchlag Habt angeziindet. Wie fchon fich das auf die Zeiten des Thefeus und der Medea fchicke, das ifl leicht zu fehen. »*) Gottfcheds Reaction und die wichtigere feiner franzofifchen Vor- manner bewirkte, dafs fortan mehr Maafs gehalten wurde. Die Ge- erzeugt jene unfinnigen Ausflattungsftiicke , die zu neunzig Procent in Decoration, Garderobe, Mafchinerien etc., zu zehn Procent in einer phantaflifch unfinnigen Handlung beftehen. *) Und heute? Orpheus in der Unterwelt etc.! Gottfched und die Oper und fein Ballet- Vorfchlag. aqI fchichte der Mufik hat nachzuweifen, wie Handel's Oratorien und fpater Glucks Reinigung der Oper*) mit den darauf bezuglichen Ideen zufammenhangen. Eine Zeitlang jubelte Gottfched fchon, dafs er die gehafste Oper verdrangt habe, die uberall deni Schaufpiel, dem niitzlichen, mora- hfchen, nach den Regehi der alten Griechen und Rdmer verfafsten Schaufpiel im Wege fland; fein Enthufiasmus fiir die neue Schaubiihne fleckte an, und an einzelnen Stellen ging die Oper ein und kam das neue, deutfche Schaufpiel auf, ja an den Hofen wiirdigte man diefes neue Schaufpiel des Anblicks. [In Dresden fpielte 1734 nach vierzig Jahren vor dem Hofe die erfle deutfche Truppe wieder, fo lange hatte derfelbe nur franzofifche und italienifche Comodien gefehen. Jene Truppe agirte noch mit dem Hanswurfl.**)] Doch dauerte diefer Triumph des gefunden Vernunft- Dictators der Poefie nicht lange, trotzdem er, wunderlich genug, den Vorfchlag machte, die Neugier und die Schaufucht durch das panto mimifche Ballet zu befriedigen. ttVielleicht kommen einmal in Deutfchland die Zeiten, da man durch dergleichen fmnreiche Erfindungen, die das vorige Jahrhundert fchon gekannt und geliebet, die Schaubiihne wieder emporzuheben und den bisherigen Wufl der unnatiirlichen Opern in folche allegorifche Tanz- fpiele, die abgefchmackten Haupt- und Staatsactionen in herzriihrende Trauerfpiele und die narrifchen Burlesken der italienifchen und an- derer gemeiner Komodianten in lehrreiche und fcherzhafte Luflfpiele verwandelt fehen wird. » Das Ballet rief er gegen die Oper an! Freilich hat er es fich nicht ganz in der heutigen Weife gedacht. Naiv erzahlt er in der fpateren Auflage von dem grofsartigen pan- tomimifchen Ballete in Wien, welches er 1749 auf feiner Reife ge- fehen, und fetzt hinzu: «Was koflet nicht die grofse Anzahl Tanzer zu unterhalten, die fich oft bis auf dreifsig und mehr Perfonen und driiber erflrecken konnen. » Hatte er nur im Traume Ballete der Jetzt- *) Niemand hat Gluck beffer verftanden als Richard Wagner der in feiner Art ahnliche und grofse Tendenzen verfolgt. Die poetifche Unklarheit aber, die diefer energifche hochbegabte Componifl felbfl noch nicht iiberwunden hat, kann man fchon aufserlich daran erkennen, wie er der Phantafie gerecht zu werden fucht, wenn wir den finglnden Drachen der Friih- Handel fch en Opemzeit in dem Nibelungen- Ring wiederkehren fehen und den ganzen nordifchen Gdtterfaal, Riefen und Zwerge und Nixen und Walkyren etc. flatt des alten Olymps der Barockzeit wiederfinden. **) Devrient a. a. O. L em eke, Ge/chichte der deut/chen Dichtung. 26 A02 Gottfched's Erfolg. zeit mit den Tanzerinnen und ihren « hieroglyphifchen Figuren» von Arm- und Beinbewegungen fehen konnen, zu denen kein Poet mehr Verfe, « doch kurz und gut», macht und die audi nicht einmal die confequent verlangte Einheit haben! Die feltfame Befchranktheit diefes Geifles zeigt fich audi hierin vortrefflicli. Singen follte man feine Gemiithsbewegungen nicht; fie fpringen fdiien ihm nicht gegen die Nachahmung der Natur. Natiirhch wirkten auch hiebei aufser Erin- nerungen an die grofsen Mimen der romifchen Kaiferzeit die Mei- nungen einiger franzofifchen Schriftfleller. Das ware eiiie Ueberficht liber die verfchiedenen Richtungen feiner Thatigkeit in der Poefie, der feine weiteren Anregungen und ahnhchen Einwirkungen und Verdienfle fiir die deutfche Sprache und Literatur iiberhaupt als Sanimler und Gelehrter hier nicht angereiht werden konnen. Man fieht, er erkannte richtig, dafs das AVaffer fchmutzig und das Gefafs fchmutzig und auszubeffern fei, fchiittete nun aber das Kind mit dem Bade aus. So lange, bis die Wanne gebeffert und frifches, klares Waffer hineingepumpt war, niochte man immerhin das Kind — ein recht ungefiiges und verwahrlofles, die damahge Poefie! — herauslaffen, aber als der Renovirer die Wanne foweit gerichtet und fein Pumpenwaffer darin hatte und nun das Kind doch nicht wieder hineinfetzte, im Gegentheil das fiir eine Schandung und Verderbung feiner Renovation erklarte, da wurde es doch Gott- lob Einigen zu arg und das Publicum felbfl begann allmalig ein- zufehen, dafs der Leipziger Profeffor Unrecht habe und das Kind am Ende die Hauptfache fei. Die erflen Jahre feines Wirkens flanden die Uebel, gegen die Gottfched kampfte, fo im Vordergrunde, auch waren feine Schroff- heiten, die wir zufammenfafsten, iioch nicht fo ausgebildet, dafs ihm, man kann fagen, die gauze Nation, foweit fie fich fiir Literatur in- tereffirte, dankbar war und feinem Wirkeii die Gebildeten entgegen- kamen. Seine, ob auch jetzt fchon pedantifche Ordnung war eine Art Erldfung aus dem Wufl der voraufgegangenen Literaturepochen. Er gab, wie Wolf, einmal wieder ein Syflem, eine Regel, Grundfatze, nach denen man fich rich ten, nach denen man beurtheilen konnte. Seine NUchternheit entfprach der Zeit — der Regirung eines Fried- rich Wilhelm, urn wieder an diefe Parallele zu erinnern; in diefer Zeit des noch fchrecklichen graffirenden Aberglaubens war feine wolfifch- Gottfched iind das Wiinderbare in der Poefie. 403 philofophifche, pedantifche Mafsregelung alles fogenannt Unnatiirlichen in jeder andern Hinficht als in der Beurtheilung der poetifchen Phan- tafie ein Verdienfl. Wir verflehen diefe Manner und ihre Verflandes- pedanterie gar niclu recht, wenn wir uns nicht die damaligen Cultur- zuflande mit dem \\'ull von jammervollem Aberglauben vergegen- wartigen. Ja Gottfched bekommt in dem nun ausbrechenden Kampfe dadurch eine Art tragifches Intereffe, dafs er die letzten Griinde gegen das Gebahren feiner Feinde nicht fcharf fagen durfte. Es handelte fich fiir ihn und feine Anhanger um mehr als um die Poefie. In innerfler Seele war ihm jede Pflege des Wunders, des Ueber- natiirlichen verhafst. Als Bodmer mit feinem Milton und dann auch Klopflock mit den Engeln und Teufeln und Schutzfeelen u. f. w. kam, da fah er die alte Dunkelheit, die alten Nebel des Aberglaubens, die Feinde der gefunden Veniunft wieder liber fein Volk fich herab- fenken, nachdem die Encyclopadiflen Frankreichs und Voltaire, nach- dem Wolf und er, Gottfched auf feinem Gebiet und durch die Ueber- fetzung des Bayle, die er veranflaltete, fchon nahe daran gewefen waren, den volligen lichten Tag der Vernunft heraufzufiihren. Und dies konnte er nicht einmal Alles fagen. Thron und Predigerkanzel wagte er niemals anzugreifen, wenn er auch gegen jenen nicht blind, gegen diefe gelehrt-flolz und durchaus nicht freundlich war, fondern dem vollen Rationalismus der Wolfifchen Schule perfonlich huldigte. Nur allegorifch duldete er in feiner poetifchen Theorie das Unwahr- fcheinliche; feine Scrupel, ob nicht die Phantafie eine Aufgabe in der Poefie hatte, befchwichtigte er damit, dafs er das Aufserordentliche fiir diefe verlangte, da felbfl er einen Abklatfch der ganz gemeinen Naturlichkeit nicht fiir poetifche Nachahmung anerkennen konnte. Aber er ging confequent fo weit zu fagen: verntinftige Leute wiirden lieber eine Dorffchenke voll befoffener Bauern in ihrer natiirlichen Art handeln und reden, als eine unverniinftige Haupt- und Staats- action folcher Opermarionetten fpielen fehen. Das Wunderbare — fagt er — mufs noch allezeit in den Schranken der Natur blei- ben und nicht zu hoch fleigen; «es mufs glaubwiirdig heraus- kommen, und zu dem Ende weder unmdglich noch widerfinnig aus- fehen. Daher kommt es denn, dafs man auch im Dichten eine Wahrfcheinlichkeit beobachten mufs: ohne welche eine Fabel, Be- fchreibung, oder was es fonfl ift, nur ungereimt und lacherlich fein wurde. Ich verftehe namlich durch die poetifche Wahrfcheinlichkeit 20* 404 Gottfched. nichts andres, als die Aehnlichkeit des Erdichteten mit dem, was wirklich zu gefchehen pflegt oder die Uebereindimmung der Fabel mit der Natur». Er windet fich betrefifs der gebilligten Aefopifchen Fabel fleif genug durch mit deren hypothetifcher Wahrfcheinlichkeit, ifl aber im Uebrigen von der rigorofeflen Pedanterie, woriiber denn auch der Streit losbrach, der feinen Sturz zur Folge hatte. Nennen wir «die Mufler, die man jungen Leuten vorlegen mufs: Terenz, Virgil, Ovid und Horaz von den Lateinern; Petrarcha und Taffo von den Italienern; Malherbe, Corneille, Boileau, Racine, Moliere, la Motte, J. Baptifle Rouffeau, Destouches und Voltaire von den Franzofen; Heins, Cats und Vondel von den Hollandern; Opitz, Dach, Fleming, Tfcherning, beide Gryphier, Canitz, Beffer, Neukirch, Pietfch und Giinther von unferen Landsleuten. » *) Homer bekommt Tadel z. B. wegen der Dreifiifse Vulcans, die von fich felbfl in der Ver- fammlung der Gotter fpazieren und wegen der redenden Bildfaulen und des unmoglichen Schildes des Achilleus. Virgil wird auch we- gen Schnitzer in diefer Beziehung durch einen Hinweis auf Hans Sachs fchwer beflraft; Camoens habe auf eine befondere Art wider die Wahrfcheinlichkeit verflofsen, wegen Vermifchung des Chrifllichen und Heidnifchen; Taffo hat auch oft gefiindigt, aber Ariofl's Phan- tafien nun gar; fie fehen eher den Traumen eines Kranken, wie Horaz fpricht, als der verniinftigen Dichtung eines Poeten ahnlich. Es ware weder Wahrfcheinlichkeit noch Ordnung darin anzutrefifen. Ueber Marino's Unwahrfcheinlichkeiten weifs er gar nicht, was er fagen foil. Dann kommt er auf Milton, von dem Dryden behauptet habe, er vereinige Homer und Virgil. «Er hat fich aber auch nicht aller Fehler in diefem Stucke enthalten, fo grofse Fahigkeit er auch fonfl im Dichten erwiefen hat. » Kurz zahlt er eine Reihe von deffen Unwahrheiten**) auf. Voltaire folgt und bekommt auch feinen Tadel. Spater heifst es [in der vierten Auflage von 1751, da wir nicht die vollflandige langfame Entwicklung geben konnen]: «und wiirde (ich) noch ein deutfches Heldengedicht vqrnehmen miiffen, wenn *) Als feine Lehrmeifter nennt er: Ariftoteles, Horaz, Longin, Scaliger, Boileau, Bo(Tu, Dacier, Perrault, Bouhours, Fenelon, St. Evremond, Fontenelle, la Motte, Corneille, Racine, Des Callieres und Furetiere; dazu noch Shaftesbury, Addifon, Steele, Caflelvetro, Muralt, Voltaire und hinterdrein noch eine Reihe. **) Nach Spectator Nr, 297, worin auch das Bild von Siinde und Tod flreng critifirt ill. Gottfched. 405 eins vorhanden ware, das die Mtihe belohnte. Wir haben zwar den Habsburgifchen Ottobert, die Proferpina, ein Stiick vom Witte- kind und Meffias, allein diefe verdienen ebenfowenig eine Kritik, als Chapelains Madchen von Orleans oder des St. Amand erretteter Mofes in Frankreich. Zudem werden fie fall von Niemanden gelefen und alfo ifl es nicht zu beforgen, dafs ihr Exempel verfiihren werde. » Eine Selbfttaufchung, die wenig mehr half Denn der Meffias flieg, ein heller funkelnder Stern, am literarifchen Hinimel empor und fein, Gottfcheds Geflirn, (land fchon tief, matt durch Nebel blinkend. Die Schweizer hatten langfl gewonnen, als Gottfched fo liber den Meffias fchrieb. 2. Die Poetik der Schweizer: Bodmer und Breitinger. Gottfched hatte die englifchen Wochenfchriften Steele's und Ad- difon's auf fich wirken laffen, ihren Einflufs allerdings in den Schranken feiner gelehrt-verflandesmafsigen Schranken gehalten. Gleich bei fei- nem erften Auftreten in Leipzig hatte auch er ihre Weife nachgeahmt und 1725 — 26 «die verniinftigen Tadlerinnen » und 1727 den «Bieder- mann» herausgegeben, wofiir jene ihm Muiler waren. Im Laufe der dreifsiger und vierziger Jahre iiberfetzte feine Frau den Spectator und Guardian, trotzdem ihr Mann und Meifler allerdings der flrengen, franzofifchen Schule getreu blieb. Anders die beiden Zuricher Profefforen Joh. Jac. Bodmer*) und Joh. Jac. Breitinger, die beiden unzertrennlichen J. J. B. ihrer Werke. Die Schweizer flanden von vorn herein in ihren poetifchen An- fchauungen unbefangener da, als dies etwa in Sachfen, Schlefien, Preufsen unter den Einfliiffen der dortigen Dichterfchulen moglich war. Lohenflein hatte auch hierhin kraftig gewirkt; die eigentliche Hof- und Prunkdichtung jedoch hatte keinen befonderen Einflufs aus- getibt und in den Republiken nicht ausuben konnen; dagegen hatte Brockes einen bedeutenden Erfolg. Sowie die Dichtung auf Natur- fchilderung gelenkt wurde und die Schweizer fich auf ihre Alpen befannen, fo mufste fchon bei gleichen Kraften die Schilderung eines *) Joh. Jac. Bodmer geb. 1698 zu Greifenfee in Ziirich, follte in Italien die Kaufmannsfchaft lernen, ftudirte aber, wurde 1725 in Zurich Profeffor der Gefchichte und Politik, f 1783. Joh. Jac. Breitinger, geb. 1701 zu Zurich, wurde 1731 Profeffor am Gymnafium feiner Vaterftadt, flarb 1776. Bodmer unci Breitinger. 407 Schweizer Dichters, der fich vornahm, Gott und delTen Allmacht aus der heimathlichen Schopfung zu preifen, anders ausfallen, als die des Hamburger Rathsherrn in feinem Garten und bei fcinen Spazier- gangen. AUes, was in der Poefie aus dem falfchen hofifch-augudeifch- franzofifchen Hofgefchmack hervorging, nicht bios die Verirrungen deutfcher Hofpritfchenmeifler und Poeten, fondern auch die feineren Schadlichkeiten der franzofifchen Hofdichtung konnten auf den Schweizerbiirgern nicht fo haften wie auf ihren deutfchen Briidern unter den Fiirftenfceptern. Diefer Rofl frafs fie nicht fo leicht an; der mannliche, felbftiindige deutfche Biirgerfmn erhielt fich in der Schweiz, wenigflens in deren hoheren Kreifen bewufster, derber und flolzer, wahrend er im Fiirflendeutfchland altvaterUch befchrankt- verknocherte und unter Herren-, Prediger- und Bureaukratenfurcht alle Entfchiedenheit nach Aufsen verlor. (Helotenthum gab es allerdings in den botmafsigen Gebieten der grofsen Cantone der Schweizer ebenfalls genug.) Die Schweizer waren hinfichthch der philofophifch-aflhetifchen Anfchauungen wie alle Welt von der franzofifchen Literatur abhangig gewefen; die englifchen moralifchen Wochenfchriften, welche in Reaction gegen den franzofifchen Hofgefchmack und die Leicht- fertigkeit der Literatur auftraten und fur eine nationale englifche Richtung kampften, mufsten aber hier, wie in den freieren Handels- fladten einen befonders giinftigen Boden linden. «TheTatler», befonders aber «the Spe6lator», dem «the Guardian» folgte, waren diefe fchon genannten Zeitfchriften, die dem franzofifchen Ton in England ein Ende machten, ohne ihn in Baufch und Bogen zu verwerfen und die der englifchen Literatur, ja dem englifchen Volke bis auf den heutigen Tag ihr eigenthiimliches Geprage hinterlaffen haben. Bei Bodmer mochten wenige Satze zu finden fein, die man nicht auf den Spectator zuriickfiihren konnte. Auch auf Breitinger batten die Englander Einflufs, doch ging er in feinen Werken am liebflen auf die freieren franzofifchen Schriftfteller zuruck, die auch auf Eng- land grofse Wirkung hatten. Die richtigere Auffaffung des Wefens der Poefie, der Einbildungs- kraft, des Erhabenen, der Bildung des Gefchmacks, der poetifchen Wahrfcheinlichkeit, der Figuren, Bilder, Gleichniffe, der Auffaffung des Epos, Homer's, Virgil's, Milton's, die Anforderungen an das Drama, liber die Reimverfe im Drama, weiter auch der Wieder- 408 Bodmer. beginn der richtigen Wiirdigung Shakefpeare's *) und, worin er vor- trefflich, die Werthfchatzung der englifchen Volkspoefie, der Volks- poefie anderer Volker, wie der Lapplander, Indianer ii. f. w., nebenbei bemerkt aiich die Lobpreifung des chinefifchen (fpateren englifchen) Gartengefchmacks gegen den franzofifchen — Alles das konnte man in dem einzigen Spectator finden, Alles mit uniibertrefflicher Klarheit und Griindlichkeit dargeflellt, ohne dafs die Gelebrfamkeit, die da- hinter (land, fich vordrangen durfte. Bodmer hatte in den «Discourfen der Mahler» fchon im Jahre 1 72 1 mit Breitinger und anderen Freunden den Verfuch gemacht, jene Wochenfchriften der Englander nachzuahmen. Die Gleichflellung der Malerei und der Dichtung als der redenden Malerei gab den Titel; moralifch-literarifche Befprechungen bildeten den eigentlichen Inhalt. Diefer erfle Wurf fiel zu kurz. Der ungezwungene, freie, fichere Ton, den keine Gelebrfamkeit flockifch und fchwerfallig machte, die goldene Mitte des Popularen follte in Deutfchland erfl langfam gewonnen werden. Bodmer und Breitinger nahmen aber fchon bei diefem erflen Verfuch, als man noch an keinen Gottfched dachte, die Richtung auf das PhantafievoUe und auf die Vorflellung von Bildern in der Poefie, anflatt auf die kiihle Vernunftrichtung, welche Gottfched eine Zeitlang tibermachtig durchdriickte. Gegen den Lohenfleinifchen Schwulfl wandten auch fie fich von Anfang an. Aufser Muratori wirkte auf Bodmer durch die immer wachfende Verehrung der Englander Milton. Addifon's Lob und Vertheidigung Milton's, durchgefiihrt in einer Reihe von glanzenden Artikeln des Spedlator, *) Durch den ganzen Spedlator fieht man, wie Addifon fich mil dem Ver- flandnifs der eigentlichen Grofse Shakefpeare's abarbeitet und fich mit ihm aus- einanderzufetzen fiicht. Seine Bemeikungen iiber ihn, iiber Lear (Nr. 40), liber feine Metaphern, iiber den John Falftaff (47), Macbeth und die Hexen und Geifler fmd wegen des Zwiefpalts, der fich zwifchen dem Kritiker und feinem Gegenftand noch nicht ganz uberwunden zeigt, von der Art, dafs darin eine bedeutende An- regung lag, fich mit Shakefpeare naher bekannt «u machen. Als 1741 eine Ueberfetzung des Julius Caefar Shakefpeare's durch Casp. Wilh. v. Borck, preufsifchen Gefandten in London, erfchien, waren die flreitenden Partheien vorbereitet. Gott- fched's fchnode Beurtheilung fchiirte das Feuer. Um fo eifrigcr konnte Bodmer werden; feine Anregung wirkte auf Wieland, der dann, als der erfte, Shakefpeare uberfetzte, zur felben Zeit (feit 1766), wo Home's Werke in Deutfchland zu wirken begannen, an welche Leffing's fiegreiche Geltendmachung Shakefpeare's gegen den franzofifchen Gefchmack fich anfchliefst. Bodmer. 40Q Pope's Schriften iiber das Epos unci fein Verfuch iiber Kritik (1709) wurden in mancher Beziehung fiir ihn der Ausgangspunkt/;;: Ob dann Gottfched's Ruhm fie auch iiberflrahlte, waren ;die Schweizer doch nicht geneigt, fich ruhig bei Seite drangen zii laflen. Das Gefiihl, auf richtigem Wege zu fein, fetzte fich vielleicht in der Eiferfucht nur fefler. Addifon hinter fich, gaben fie einem Gottfched nicht nach, fondern fuchten und fludirten nur um fo eifriger die Gegner von defien Gewahrsmannern. Bodmer uberfetzte 1732 in Profa Milton's verlornes Paradies. Ein grofses gehaltvolles Mufler war damit dem deutfchen Publicum vor Augen geflellt. Gottfched felbfl war um diefe Zeit noch nicht von feiner Hochfahrenheit und pedantifchen Halsflarrigkeit befeffen, die fich erfl recht entwickelte, als er fiir feinen gefiihrdeten Ruhm zu fechten hatte. So erkliirte er 1728 Milton's verlorenes Paradies fiir eines der beflen Heldengedichte, fo in neueren Zeiten gefchrieben worden, welchen Ausfpruch er im Jahr, wo Bodmer's Milton erfchien, drucken liefs. Allerdings hatte er ihn bei Gelegenheit der Aufnahme eines Herrn von Seckendorf in die deutfche Gefellfchaft gethan und es gait da, fiir den alteren Seckendorf, den Ueberfetzer des Lucan, ein Vorbild in reimlofen Verfen zu finden, um bei der Lobrede des Seckendorf'fchen Gefchlechts denfelben von dem Makel reinzuwafchen, der poetifch noch in den Augen der Meiflen an Verfen ohne Reim, die keine Verfe feien, haftete. Aber er gab dann felbfl Veranlaffung, dafs Bodmer fich an eine nahere Unteifuchung des Milton machte, woraus deffen fpatere Abhandlung vom Wunderbaren in der Poefie in der Vertheidigung John Miltons entfland. Krittlich machte allerdings den Leipziger Dictator mehr und mehr, dafs Bodmer und deffen Ziiricher Anhanger hinfichtlich der Auffaffung der Poefie, des Wunderbaren u. f w. nicht auf feine Bahnen lenkten, fondern fich von ihm und der flrengen franzofifchen Schule entfernten. Er gewahrte, dafs man fich feiner Theorie nicht fiige und dafs die Anfichten und Beflrebungen immer weiter auseinanderliefen. Bis zum Jahre 1 740 aber dauerte es trotz mancherlei Entfremdung zwifchen dem Hauptquartier zu Leipzig und dem fich abfondernden fiiddeutfchen Centralpunkte, dafs oftene Feindfchaft ausbrach. In diefem Jahr erfchien Breitinger's «Kritifche Dichtkunfl» mit einer Vorrede von Bodmer. Die Stellung, welche die beiden Ziiricher Kunflrichter darin einnahmen, war fiir Gottfched beifpiellos A 10 Breitinger's Dichtkiinn;. irritirend.*) Sie nennen ihn kaum; die paar Male, dais er im Buch an- gefiihrt wird, wird er in unbedeutender Weife gelobt oder ablehnend and herb beurtheilt. Verachtliches Todtfchweigen feiner Verdienfle und feiner Poetik mufste Gottfched in dem ganzen Werke erblicken. In (ier von Bodmer gefchriebenen Vorrede ein Dankelreden liber Kritik und Kritiker, das mit Recht oder Unrecht die Maffe auf die kritifche Dichtkunfl deuten mufste, auf welche einmal mit hohnifchem Seiten- blick hingewiefen wird. Im Werk felbfl greift Breitinger Gottfched in der empfindHchflen Weife an. Er fchlagt auf ihn ohne ihn zu nennen. Er behandelt ihn verachtUch, indem er Gottfched felbfl als ob nicht vorhanden, tiberfieht und der Art gegen ihn polemifirt, dafs er ihn nur als den Abfchreiber behandelt, die von Gottfched genannten oder verfchwiegenen Gewahrsmanner aber angreift, und dagearen andere bedeutende Kritiker in's Feld fiihrt. Man kann ficher darauf rechnen, jeden Tadel der Gottfchedifchen Kritik, der irgendwie in's Thema fchlagt, widerlegt und wo moglich, was Gottfched lobt, getadelt zu finden. Unverkennbar batten die Schweizer die Abficht, mit einem Haupt- fchlage Gottfched und die hochmiithige fachfifche Schule zu treffen, welche mit ihrem Meifsenfchen Hochdeutfch das Privilegium in der deutfchen Literatur zu haben glaubte und fich angemaafst hatte, fie, die Schweizer, die friiher als jene einer Erneuerung der Poefie die Bahn gebrochen hatten, hinter fich zu fchieben. Lange hatten fie fich darauf vorbereitet und ihre Krafte gefammelt. Bis zum letzten Augenblicke hatten fie die Kriegserklarung hinaus- gefchoben; mit der voUendeten Thatfache des Bruchs, iiberrafchend *) Danzel (in dem vortrefflichen : Gottfched und feine Zeit) behauptet mit Unrecht, dafs Breitinger es urfpriinglich mit feiner Poetik gegen Gottfched wenig bofe gemeint habe! Man fehe als ein Beifpiel nur jene verjichtliche Abfertigung Gottfched's (S. 163) in Betreff Homer's. Breitinger lieft den deutfchen Kritikem, die fich feit wenig Jahren — die Schweizer ja friiher — aufgethan hatten, den Text, nicht fo fertig mit dem Abfchreiben des Perrault,> I. a Motte, Voltaire und Magny zu fein, ohne zu unterfuchen, was Andere darauf geantwortet hatten. Diefe Critici Muftacei wiederholten die Kritik des Scaliger iiber die Unwahrfcheinlichkeit der wandelnden Dreifiifse, des Achilleus-Schildes u. f. w. im Homer, die doch von Dacier griindlich abgethan fei, was auf Unwiffenheit, Urtheilsfchwache oder fchandliche Bosheit fchliefsen laffe. Gottfched aber hatte diefe Kritik Scaliger's wiederholt. Ueber die Adreffe, an welche Breitinger fich richtete, konnte kein Zweifel fein. Breitinger's Dichtkunfl. 411 und verwirrend, ftanden fie plotzlich gegen Gottfched feindlicli in Waffen, nicht zum gewohnlichen Geplankel, fondern ihn zu flurzen. Man kann fagen: Alles war Gegenfatz in dem Breitinger'fchen Buch, fogar die Form. Gottfched's Poetik ill fyflematifch, paragraphirend, feicht-klar in der damals pracis erachteten Weife; es ill ein Schulbuch zum Lernen. Breitinger halt fich von Allem fern, was nach folchem Schema ausfieht. Ihm kommt es darauf an, die allgemeinen Grund- fatze auseinanderzulegen, die allgemeinen Gefichtspunkte feflzuflellen. Er giebt eine gefammelte Reihe von Abhandlungen breit beleuchtend, fyflemlofer. Sein Werk ift deshalb fiir den Anfanger fehr fchwierig; um wahrhaft gefordert zu werden, die Polemik ganz zu verflehen und den rechten Einblick zu gewinnen, mufste man eigentlich vorher Gottfched's Poetik kennen. Breitinger ifl dem Inhalt nach von Englandern und Franzofen fo abhangig, wie Gottfched von den Franzofen. Die englifchen Wochenfchriften, befonders aber der tiichtige, einflufsreiche franzofifche Aeflhetiker Dubos bilden die Grundlage. Er geht aus von der Vergleichung der Malerei und Dichtkunfl. Dichtung ifl poetifche Malerei. Sie iibergiebt unferer Einbildungs- kraft Bilder, wobei fie auf alle Sinne wirkt. Diefe freie Einbildungs- kraft ill nicht auf die fichtbare Welt befchrankt, auch nicht auf die unfichtbar-wirkliche, fondern fie kann fich auch mdgliche Welten bilden; fie hat alfo das Wirkliche und Mogliche zum Schauplatz. (Damit war der Rifs von der Kette des Verflandesmafsig-Wahr- fcheinlichen gefchehen, daran Gottfched hing und von der aus er alles Uebernatiirliche anbellte, wenn es nicht einen allegorifchen Ausweis hatte.) Man mufs die «Urbilder» in der Natur zur Nach- ahmung ausfuchen und daraus wahlen, mit der blofsen Aehnlichkeit des Gemeinen ill es nicht gethan. Das Ergotzen durch die Kunfl wird dem Belehren vorangeflellt, in der Weife, dafs wahres Ergotzen immer einen Nutzen vorausfetze. Am wirkfamflen wird das Neue unfre Phantafie in Thatigkeit fetzen; das Wunderbare ift, deffen hdchfler Grad. Die Dichtung ift, die reichfte Quelle des Neuen; das poetifche Schone ift an keinen Ort und keine Zeit gebunden; am beften ift aber, wenn der Dichter, wie Milton, fich an das Un- veranderliche in der Menfchen Natur halt. Das Wunderbare braucht in der Poefie keine Wahrheit, fondern Wahrfcheinlichkeit ; durch die Verbindung mit diefem wirkt es bezaubernd. Der Dichter darf mit A 12 Breitinger: Metrik. der Kraft fciner Phantafie fich eine folche moglich-wahrfcheinliche Well fchaffen, Dinge, die keine Wefen find, wie in der Allegoric Tugend, Lafler etc., als lebende Wefen hinflellen, oder das Todte und Verflandlofe vermenfchlichen, wie in der afopifchen Fabel. Diefen Hauptfatzen folgt die technifche Lehre in Bezug auf die Ausfiihrung der poetifchen Malerei, wie die Bilder befchaffen fein, wie dazu die Worte gewahlt, die chara6terifl.ifchen Farben aufgetragen werden miiffen 11. f. w. Streng fucht fich Breitinger dabei von jedem Verdacht der Begiinfligimg des Lohenfleinifchen Schwulfles fern zu halten und hebt hervor, wie allerdings aus derfelben Quelle, woher das Gute flamme, aus dem Neuen, Wunderbaren und Poetifch-Schonen, die Kiinflelei, die ungereimten Metaphoren und die verwegenen Hyper- bolen flammten, die z. B. Lohenflein ungeniefsbar machten. Aber deshalb trocken und niichtern zu fein, fei doch eben fo fchlimm. Es gebe Leute, welche die gekiinflelte Schreibart fo forgfaltig mieden und fo fehr befliffen feien, lauter natiirliche und einfaltige Gedanken zu fagen, dafs ihre Verfe zur Profa wiirden. «Diefe bedenken nicht, dafs es das fchlechtefle Lob ift, wenn man von einem Scribenten fagen kann, er fei ohne Fehler.» Die Poeten mufsten das os magna fonaturum haben und konnten das Grofse, Wunderbare und Erhabene nicht entbehren. Wenn man auch einmal dariiber flrauchle, fo fei das doch beffer als die magre Armuth, die weder Tugenden noch Fehler hat. Wichtig ward fiir den Versbau der Schlufs diefer Poetik, das Capitel: von dem Bau und der Natur des deutfchen Verfes. Breitinger unterfucht den Alexandriner und findet, dafs er in einem langen Gedicht monoton fei; der Mangel der Abwechslung flore das Wohlgefallen, welches man anfanglich an feiner Symmetric habe. Die Mannigfaltigkeit erfreue uns und verfchiedenc Proportionen feien angenehmer als die flete Symmetric. Richtig hebt cr hervor, dafs wir Deutfchen den Alexandriner um fo weniger gcbrauchen konnten, weil wir nicht die Freiheit des Accents, wie die Franzofen und Italiener hatten, fondern ihn holzcrn fcandirten, wodurch eine noch verdriefslicherc Homophonie entflehe. Wir hatten Unrecht, den Franzofen und Italienern ihre declamatorifche Freiheit vorzu- werfen, die in ihrer Art an die lateinifche und griechifche Weife erinnere, wo auch innerhalb des Metrums der Accent frei war. (Beim Alexandriner ifl. la Motte fein Gewahrsmann.) Er empfiehlt Breitinger : Metiik. A I 3 nach Matifei's Vorgang den reimlofen Vers, und zwar den Fiinffufs Janibus ohne die Cafiir nach der 4. Silbe, mit verfchiedener Cafur (die weiblichen Endungen feien bei uns nicht fo wohllautend, wie im Italienifchen.) Maffei meine, vielleicht habe der Zwang des Reimes es verhindert, folche Werke wie Homer und Virgil hervorzubringen, da doch die Neueren an Geifl und Erfindungsgabe nicht geringer fchienen. Breitinger erklart, die Anmuth des Reims durchaus nicht finden zu konnen. «Es ifl ein alter Kirmefs-Tanz, wo die Perfonen bei beflimmten Paufen aus Freude-Bezeugung in die Hande klatfchen und man konnte den Reim flir eine Nachahmung deffen ausgeben, dadurch er aber fich alleine in einigen lufligen Gedichten einen Platz fodern konnte. » Er weifl hin auf den natiirlichen Accent, der fich in unfern mittelalterlichen Dichtern finde, 16(1 diefe alfo von dem banalen Vorwurf der Vers-Barbarei. Er befiirwortet wieder kuhnere Verfetzungen anflatt der profaifchen Conflrudion der Verfe, was verflandigen Ohren ein grofses Ergotzen bereiten wiirde. Man fieht die Tragweite aller diefer Satze fur die nun kommende Poefie. AUerdings fland Breitinger hier nicht fo allein. Gottfched felbfl trat fiir den reimlofen Vers der Art ein, dafs er fagt: «Doch ich bin den Reimen tiberhaupt nicht zuwider und geflehe es gar gerne, dafs ein wohlgemachter und noch dazu gereimter Vers deflo mehr Anmuth habe.» Empfiehlt doch Gottfched den Hexameter, nicht den gereiraten des Heraeus oder die gereimten Pentameter, fondern den echten Hexameter und beginnt, als Beifpiel ihn zur Ueberfetzung empfehlend, den Anfang der Ilias darin zu iiberfetzen/) Anakreontifche Verfe hatte er felber, wie er hervorhebt, zuerfl ge- dichtet (doch eigentlich wiederholt, was fchon Morhof dariiber gefagt.) Diefe Fragen iiber Einrichtung der Verfe befchaftigten fchon friiher die Geifler und kamen jetzt verflarkt von Frankreich, England, Italien nach Deutfchland, wo fie dann am kraftigflen aufgenommen *) In der 4. Aufi. von 1751 fagt Gottfched (XII. § 21): Diefen meinen Auf- forderungen zu Folge habe ich es nun zwar erlebet, dafs man uns im Deutfchen verfchiedene grofsere Gedichte unter dem Namen epifcher oder Heldengedichte in folchen Hexametem an's Licht geftellt, ja auch kleinere Verfuche, z. B. auf den Friihling, in Druck gegeben. Allein nach dem Wohlklange zu urtheilen, den diefe Proben uns von deutfchen Hexametern horen laffen, foUte ich's beinah bereuen, dafs ich- diefe Art von Verfen unfern Landsleuten von neuem an- gepriefen habe. AJA Breitinger: Natur der Gleichniffe. wurden. Klopflock hat fie nicht erfl angeregt, aber er fiihrte aus, woriiber die Andern theoretifirten. Die Verbannung des Alexandriners aus dem Drama, die Einftihrung des Funffufs Jambus darin ohne Reim war langfl griindlich verhandelt worden (in Nr. 39 des Spe6lator wird erklart, gereimte Verfe im Drama feien fo abfurd im Eng- lifchen, vvie Hexameter in griechifchen und lateinifchen Dramen gewefen wiiren), als Wieland den Funffufs in der Johanna Gray (1758) anwandte, dem fpater Leffmg im Nathan folgte. Als Erganzung zu jener Dichtkunfl fiigte Breitinger im felben Jahr 1740 die «Kritifche Abhandlung von der Natur, den Abfichten und dem Gebrauche der Gleichniffe" hinzu, cine treffliche Abhandlung, die nicht bios die deutfchen Dichter, den hochgeflellten Opitz, Lohen- flein, Brockes u. f \v. einer flrengen Kritik unterwarf, fondern na- mentlich wichtig war durch das Verflandnifs, welches fie nach dem Vorgang englifcher und franzofifcher Kritiker in die Grofse, Schonheit und edle Einfalt Homer's eroffnete. Addifon's Abhandlung von dem Ergotzen der Einbildungskraft und fein Wunfch, dafs diefe Frage der Poetik einmal eine ausfiihrliche Erorterung finde, hatte, wie Bodmer in der Vorrede fagt, diefes Werk veranlafst. Schon die erflen Worte feiner Inhaltsangabe konnen uns die un- geheure Neuerung gegen Gottfcheds Auffaffung zeigen. Der erfle Ab- fchnitt von den erleuchtenden Gleichniffen beginnt: «Idee einer Lo- gik der Phantafie. Was die Begriffe, die fich gedenken laffen, in der Vernunft-Lehre find, das find die Bilder der fmnlichen Dinge in der Logik der Phantafie; und was dort die Satze find, das find hier die Gleichniffe." Bodmer fecundirte im Kampfe mit feinen Abhandlungen vom Wunderbaren und mit Addifon -Abhandlungen liber Milton, denen andere folgten. Der grofse Schritt war gethan, der Bruch mit dem Formalis- mus, der feit Opitz vorgeherrfcht und in Gottfched gerade eine Art Hohepunkt wieder erreicht hatte, gefchehen. T)ie Poefie war aus der fchonredenden Verflandesmafsigkeit und der gelehrten Sphare in die Phantafie verfetzt, die Einbildungskraft aus den Feffeln entlaffen, die Gelehrfamkeit aus der Dichtung verwiefen. Durch den fcharfflen Gegenfatz zu den herrfchenden Anfichten der flrengeren franzofifchen Schule — man denke an J J. Roffeau, der auch aus der Schweiz hervorging — durch die Ktihnheit, wo- Die Schweizer und Gottfclied. 415 mit fie den bisherigen Dictator Gottfched ohne Weiteres bei Seite fchoben, bekam das Vorgehn der Schweizer fogleich eine ungemeine Wichtigkeit und erregte die heftigfle Aufregung. Gerade dadurch, dafs Gottfched iiberall den Boden bereitet hatte, war eine folche Wirkung moghch, konnte der Same, den die Schweizer flreuten, in verhaltnifsmafsig fo kurzer Zeit aufgehen. Die erfle Folge war natiirhch ein ungemeiner Wirrwarr, ver- fchuldeter und unverfchuldeter. ') Die Vergleichung der Malerei und Dichtung autorifirte die Schilderei auf's Neue, wie richtig Breitinger felbfl auch die falfche Schilderung eines Brockes verurtheilt hatte. Eifl. Leffmg gelang es im Laokoon dem Uebel einen Damm zu fetzen. Mufste auch jeder nur einigermafsen poetifch begabte Geifl gleich Gottfched's Niichternheit der Theorie erkennen, fo konnte doch nur eine geniale, felbflkraftige Natur fich von feinen Stiitzen losmachen, da Bodmer und Breitinger felbfl ihre richtigeren Theorien nicht richtig in die Praxis zu iibertragen vermochten und bis Klopflock hin der Beweis von deren Ausfiihrbarkeit im Deutfchen fehlte. Deshalb diefer Triumph der Schweizer, als Klopflock erfchien. Anfangern fehlten uberdies bei Bodmer und Breitinger die Stufen zum Eingang in ihre Werke, die zuviel vorausfetzten. Sodann war in Gottfched's Theorie fo viel Wahres — es waren eben die Grundfatze der franzofifchen Poetik, die zum grofsen Theil noch in ihren Starrheiten in Frankreich bis auf den heutigen Tag gelten, und er hatte fo bedeutende, anerkannte Mufler, dafs Alle, die nicht naher auf den Streit eingingen oder die einmal den Geifl der franzofifchen Schule eingefogen hatten, gegen die Schweizer kopffcheu wurden, mit deren Theorien auch die nuchterne, radicale Aufklarung, wie oben gezeigt, in Confli6l gerieth. Milton's Satan, Teufel, Engel, Holle u. f w., Alles mit der Kraft der Lebendigkeit hingeflellt, wie konnte ein echter Aufklarer das horen, ohne bei dem Gedanken zu erbeben, dafs dem Volk dadurch auf's neue das Gift des alten religiofen Unfmns eingeimpft werde! Steckten nicht die Auffaffungen des katholifchen Mittelalters dahinter? Dann wog ein Satz, wie der Gottfched's: «Die Nachahmung der Hand- lungen und Leidenfchaften des Menfchen, wird wohl allemal das Hauptwerk der Dichtkunfl bleiben» (allerdings erfl in der 4. Auflage *) Gothe: Wahrheit und Dichtung. Cuch 7. A\S Die Schweizer und Gottfched. 1 751), die Schilderungstheorie der Art auf, dafs die Wage ziemlich einfland. Die Wirrnifs des Kampfes unter diefen Umflanden mag man fich leicht denken. Mit Klopflock's Erfcheinen war deffen Er- bitterung nicht abgethan, nein gefleigert; nur eine grofsere Ordnung kam hinein. Erft Gothe beendete, um es kurz zu fagen, den Kampf, indem er nicht die eine oder andere Parthei fiegreich machte, fondern beider Principien in fich vereinend, beide fich untervvarf. 3. Die neuen Bewegungen in Gottsched's Kampf. Bei dem aflhetifchen Getiimmel, welches nun begann und worin die literarifch zum Neuen flrebenden Geifter ihre fchlefifchen Kriege gegen die Anhanger des Alten fochten, kommt in Betracht, dafs man fich in einer ungewohnlich ilreitlufligen Zeit befand. Wie damals fafl Alles in der deutfchen Literatur auf Nachahmung be- ruhte, fo war auch der Kitzel des Humors, der Satire und der Klopf- fechterei liber die deutfchen Schriftfleller gekommen, mochten die wenigflen auch von Natur Humoriflen oder Satiriker fein. Es war die Zeit, wo die Einfluffe Pope's, Swift's und Voltaire's wirkten. Die Popularifirungsepoche , welche feit den zwanziger Jahren begann, erzeugte allmahlig ein Schriftflellerthum von Beruf, das man bis dahin nicht gekannt hatte. Durch die grofsen franzofifchen und englifchen Vorbilder Boileau, Voltaire, Pope, Addifon, Steele u. f w. erfchien Schriftftellerei den jungen deutfchen Gelehrten in einem neuen Licht. Zefen war bisher eine Ausnahme gewefen. Das Leben eines Giinther oder ein hoheres Pritfchmeiflerthum an den Hofen war die Ausficht fiir einen Gewerbs-Poeten gewefen. Jetzt kamen literarifche Wochenblatter und Zeitungen auf; das Publicum hatte literarifch-aflhetifche Bediirfniffe. Honorare der Buchhandler ermog- lichten fich von den Lobhudeleien und dem Erwerb durch die Ge- legenheitsdichtung der alten Art zu emancipiren; ein neuer Zug kam damit in die Schriftftellerei. War diefe bisher als Beruf fehr anruchig gewefen, fo fUhlten fich jetzt die Dichter und Schriftfleller als die grofsen Culturarbeiter und Vorkampfer der Epoche. Selbftfchatzung und natiirlich auch oft Ueberfchatzung begann die jungen Manner zu erfiillen, die fich dem literarifchen Leben widmeten. Diefe neu Letncke, Ge/chichte der deutfchen Dichtung. 27 4i8 Das fatirifche Gefchlecht. und oft unausgebackenen kleinen Addifons und Swifts und Voltaires von Leipzig und Halle u. f. w. hatten aber leider oft grofsen Stoff- mangel, fobald die erfle Fornifreude voriiber war. Man mufs die Reden der damaligen literarifchen Gefellfchaften, z. B. der Leipziger Hauptgefellfchaft lefen, um ihre Klaglichkeit und Inhaltsdiirftigkeit einzufehen. Intrigue, Zank und Hafs id gewohnlich die Folge unter unruhigen und ohne grofse Ideen vorwartsflrebenden Mannern. In der Nachahmungswuth war der Zeitvertreib bald gefunden, fobald der grofse Gottfchedkampf losgebrochen war. Die Klafiferei, die Grobheit und Biffigkeit, welche herrfchend ward, ifl danach zu erklaren. Aus der Cadmeifchen Saat diefes Gefchlechts blieben librigens auch nur wenige liber, die Tiichtigeren und Gewaltigen. Die Andern waren fchnell in gegenfeitiger Hinmetzelung wieder in das Nichts gefunken. Einer der erflen diefer Schule zahlt, wie es oft geht, zu den Bedeutendflen. Wahrend die Theoretiker ihre Satze iiber die Poefie abfchrieben, durchdachten und neu aufflellten, hatten die Practiker nicht ganz miifsig dagefeffen, und gliicklicher Weife hatten nicht Alle nur aus Gottfched's kritifcher Dichtkunfl ihre leitenden Grundfatze gezogen. Im Norden und im Siiden, an der Oft- und Nordfee, wie in der Schweiz hatte man fich aufserhalb der Profeffor-Dictatur freier bewegt. Liscow, Hagedorn und Haller waren diefe bedeutenderen felbflandigen Geifler. Liscow und feine Gefninungsgenoffen mogen hier in den Gott- fchedifchen Streit eingereiht werden. Gottfched hatte im vierten Decennium wohlig und machtig in Leipzig gethront and von den Erfolgen aus, welche er im Drama hatte, ruhig auf die Kreife geblickt, welche fich neben ihm und, wie er meinte, tief unter ihm erhielten. Auf ihr Lachen oder ihre Mifs- achtung feiner Grofse fah er mit der weifen, unerfchutterlichen Wiirde eines pedantifchen Olympiers. Er hatte eben fo gut gefiirchtet, dafs der Himmel einfalle, als dafs man feine Theorie des Arifloteles, Horaz, Scaliger und der neueren Franzofen und damit ihn felbfl flUrzen konne. Er fafs in einem Kreife talentvoller, ihm anhanglicher Jiinglinge, von denen mehrere nach den verfchiedenflen Richtungen Bedeutendes verfprachen. Da brach der Schweizer Streit aus. Aber nicht genug. Er fah Gottfched unci die Neuberin. 419 fich auch in Leipzig felbfl angegriffen — Bremfen im Stall, konnte man fagen — die ihrn keine Ruhe liefsen. Der Kampf mit den Schweizern wickelte fich vor deni literarifchen Publicum ab; der Neuber-Streit wurde unmittelbar vor die Leipziger als Zufchauer gezogen und grift' damit den ernRhaft-pedantifchen Mann in feiner aufseren Wiirde um fo krankender und wirkfamer an, je gravitatifcher und ficherer er bisher gewefen. Schlimme Gegner folgten. Gottfched hatte fich mit der Neuberfchen Truppe Zwecks feiner Verbefferung des Dramas in Verbindung gefetzt und beide Theile hatten durch diefe Verbindung gewonnen. 1737 wurde auf der Neuberfchen Biihne der Hanswurfl feierlich verbrannt. 1739 hatten fich die bisherigen Bundesgenoffen veruneinigt. Die Neuberin, welche noch mehr als ihr Mann in der Directorfchaft zu bedeuten hatte, lehnte Gottfcheds Anfinnen ab, die Alzire Voltaire's nach der Ueber- fetzung feiner Frau, der Gottfchedin, nochmals umlernen zu laffen, da das Stiick fchon nach einer andern Ueberfetzung einfludirt war. Fortan protegirte Gottfched mehr die Schonemann'fche Truppe, als diefelbe nach Leipzig kam, und verhielt fich gegen die Neuberfche kiihl, da diefe nach langerer Abwefenheit 1741 nach Leipzig zuriick- kehrte. Die erbitterte, leidenfchaftliche Frau fann auf Rache und begann in der keckflen, ja unverfchamteflen Weife fich gegen Gott- fched zu flellen. Sie benutzte die Auffiihrung eines Actes feines Cato, um ihn lacherlich zu machen. Der Schweizer Kampf machte ihr Muth. Weiter gehend fchrieb fie ein Vorfpiel « der allerkoflbarfle Schatz» und brachte in diefem allegorifch-fatirifchen Stiick Gottfched in der Maske eines Tadlers auf die Biihne. Gottfched war felbfl gegenwartig bei der erflen Auffiihrung; feine fchwach revoltirenden Anhanger wurden hinausgeworfen, als fie das Weiterfpiel zu hindern fuchten. Vor dem fchadenfrohen Publicum war fomit offentlich die Verhohnung gefchehen. Gottfcheds Zorn gegen die Undankbare war dired machtlos. Die Neuberin hatte Ruckhalt am Dresdener Hofe, an dem allmachtigen Minifler Bruhl, hinter den fich der durch Gottfched gekrankte Hofpoet Konig gefleckt haben foil. Der Hof zu Dresden war eben nicht befonders fiir einen gelehrten Pedanten eingenommen, der fein Hauptvergniigen, die Opern, fiir das diimmfle und fchad- lichfle Zeug der Welt erklarte. Schlimmer noch ward es, als diefer fcenifche Scandal wieder durch Rofl (aufgehetzt durch die Dresdener?) zu einem allgemeinen 27* 420 Liscow. literarifchen gemacht wurde und Rofl « das Vorfpiel » (funf Gefange 1742) fchrieb, worin Gottfched und der engere Gottfchedifche Kreis frech aber frifch und voll echter Komik verhohnt wurden. Eine kiihne polemifche Schrift eines jungen Dichters Pyra gegen Gottfched folgte. Es kam hierin eine befondere, von jener der Schweizer wieder verfchiedene Stromung zum Durchbruch. Wernicke hatte fich fchon als fatirifcher Epigrammatifl aus- gezeichnet. Die Manner, welche Thomafius und Wolf fludirten und damit von vorn herein im Kampf gegen fo viele Widerfacher flanden, dazu aber noch die franzofifche und engHfche Literatur einfahen und Sinn fiir deren Feinheiten befafsen, begannen flatt auf die Keulen- fchlage der alten literarifchen Grobheit fich auf die Stofsdegen- Fechterkunfl der Satire zu iiben. Es gait nicht bios, den Gegner niederzufchlagen, fondern ihn dabei noch zu verhohnen und in den Augen der Gebildeten lacherlich zu machen. Chriftian Ludwig Liscow aus Wittenburg in Mecklenburg (170 1 — 60) war der erfle Kampfer der neuen Art. Liscow hatte fich, durch Thomafius angeregt, philofophifch und literarifch nach den franzofifchen und englifchen Philofophen und Schriftflellern durch- gebildet. Swift und Bayle (f 1706) waren feine Lehrmeiller, er felbfl war ein geborener Satiriker, einer jener Kritiker und Spotter, die in Uebergangszeiten fo gern und oft erftehen, die, weil das Eine nicht mehr und das Andre noch iiicht gilt, am verniinftigflen finden, iiber Beides zu lachen, von fcharfem Verftande und jener beifsenden Witz- lauge, die wir z. B. auch bei Friedrich EL. und feiner Schwefler, der Markgrafin von Baireuth, gewahren. Die Hohlheit und der Wuft. der deutfchen Sammelgelehrfamkeit und ihre unkritifche, unverdaute Weisheit, die jammerliche Art der Gottesgelahrtheit fo vieler Theologen, die Klaglichkeit des deutfchen Schriftflellerthums und die Erbarmlichkeit fo vieler Verhaltniffe konnte einen Mann, der eine wirkliche fatirifche Ader hatte und Loke, Montaigne, Bayle fludirt, die englifchen Wochenfchriftfleller und Swift gelefen hatte, nicht ruhen laffen. Der Magifler Sievers in Liibeck und der Profeffor Philippi in Halle wurden (1732) feine Opfer, Einzelopfer gefchlachtet fiir die ganze Gattung, zu deren Grauen und vielfaltigem Grimm. Die beiden Satiren gegen diefe Manner wie die anderen, aber allgemein gehaltenen Satiren Liscow's find von genialer Kraft. Rechnet man eine iiber- Liscow. 421 miifsige Breite mancher Stellen ab, die mit der Freude an fliefsender Darflellung in den Zeiten, wo man anfangt, gut zu fchreiben, unzer- trennlich fcheint, fo find diefe Schriften vortrefflich, Meiflerwerke der damaligen Profa, hochftehend in der Anfchauung, voll Witz, in der ficherflen Beherrfchung des Stofife?. Die perfonlichen Gegner, Sievers und Philippi, waren, wie man fo oft hervorgehoben hat, traurige Helden; nichtsdefloweniger war es ein gefahrliches Stiick, in diefer Weife mit der fich hinter ihre Unverletzlichkeit zuriickziehenden Theologie und mit der Dummheit in der Wiffenfchaft anzubinden. Nur die grofste perfonliche Unbefangenheit mit aller Macht des Humors und des Spottes konnte dies wagen. Aber Liscow verfland es mit bewunderungswiirdiger Fechtergewandtheit, in Anbetracht, dafs er der erfle derartige Kampfer in Deutfchland war, die Satire von aller fchwerfalligen Verbiffenheit und Klobigkeit, die man bisher ge- wohnt war, fernzuhalten und den auf die gewohnliche Art eingeiibten Gegnern nirgends eine Blofse zu geben. Liscow (bis 1738 Hofmeifler in Liibeck, fpater Secretair in ver-' fchiedenen Dienflen, feit 1741 bei dem Grafen BrUhl in Dresden, dann Kriegsrath) hat fich in die folgenden literarifchen Streitigkeiten nicht weiter gemifcht und feine fatirifchen Schriften, vor 1740 ge- fchrieben und gedruckt, wurden iiber den kommenden Streit der Principien und Perfonlichkeiten zuriickgedrangt und mehr zu einer Speife flir fatirifche Feinfchmecker. Wenn auch in den nachflen Zeiten noch der Art in Ruf, dafs man recht treffende fatirifche Schriften von vornherein ihm zuzufchreiben pflegte, fo verging feine Beriihmtheit alsdann fo fehr, dafs er neben Rabener kaum noch ge- nannt wurde; erfl in neueren Zeiten ifl feine Bedeutung mit Recht wieder hervorgehoben worden.') Er gehort zu den bedeutenden *) Es hat fich ein fcharfer Streit iiber die Bedeutung Liscow's und Rabener's erhoben. Leffing hat Liscow nie genannt. Gothe hat ihn weit unter Rabener geftellt. Gervinus hat ihn fehr erhoben, worauf des Fiir und Widers kein Ende geworden ifl; noch in den jlingflen Jahren hat ein Autor fich zu unnothiger Grob- heit gegen die Vertheidiger Liscow's hinreifsen laffen. Hauptanklage gegen Liscow ift, dafs er fich nur an Sievers und Philippi und nicht an hohere Tropfe gewagt habe. Abflracft ein richtiger Vorwurf. Aber nach der damaligen Lage der Dinge, bei der Rechtlofigkeit gegen den Abfolutismus und die Giinfllingswirth- fchaft, bei der Auffaffung der perfonlichen Satire ais des fchandlichften I'asquillen- wefens ware ein riickfichtslofes Vorgehen gegen hohere erbarmliche Perfonlichkeiten fiir einen Mann, der fo einfam ftand wie Liscow, keine Parthei hinter fich hatte. 422 Roft. Vorlaufern der nachflen Periode, feiner Zeit war er einer der geiflig Vornehmeren und Einfameren von der Art Haller's. Die keckeren Geifler, wie fie den Einflufs der franzofifchen und englifchen Satiriker verfpiirten und literarifch-fatirifchen Angriff durch die Fremden, dann aber audi durch Liscow nicht mehr als plumpe vSchlagerei fondern als ein Duell nach Regeln der Kunfl geftihrt fahen, wurden nun gleichfalls zur literarifchen Duellwuth erregt und diir- fleten Blut. Diefer Kampfhahnflimmung mufs man eingedenk fein, wenn man den um Gottfched fich entfpinnenden Streit verfolgt und die Bodmer, Breitinger, Rod, Pyra, Schwabe, Schonaich, Mylius, Leffmg u. A. als derbere oder feinere Fechter agiren fieht. Ein unbezwinglicher literarifcher Rauffmn wird Mode; wenn fich die Klingen einmal ge- kreuzt haben, ift das Verfahren diefer Manner oft gerade fo erbar- mungslos, ja frevelhaft auf todtliche literarifche Krankung gerichtet, audi gegen frlihere Bekamite und Freunde, wie wir dies bei Duell- raufern finden. Als Joh. Clirifl. Rofl (1717 — 1765) keck und frivol fich gegen fei- nen bisherigen Lehrmeifler aufhetzen liefs, deni er Dank fchuldig und deffen Lobhudler er lange gewefen war, wurde ihm das Vergniigen zu Theil, dafs man in Liscow den Autor feiner Satiren vermuthete. War er fchliipfrig und frech, ein ecliter Vertreter der franzofifchen Leichtfertigkeit in feinen lyrifchen poetifchen Nachahmungen, die beriichtigt genug wurden, fo war er zu Gottfched's Schaden wirklich witzig, witzig gegen diefen aus innerfler Seele heraus, ein leicht- fUfsiger Quiiler in der literarifchen Arena, in welcher fich Gottfched fortan wie ein gereizter und verwundeter Stier abqualte und in der Leffing der gefiirchtetfle Matador werden follte. wie die englifchen Satiriker, keine gefchloffene Macht der Bildung hinter fich wufste, wie Voltaire, ein halber Wahnwitz gewefen. Man denke nur, wie es fpater Voltaire mit Friedrich d. Gr. und noch fpater Schubart auf dem Hohenasperg erging. J a man braucht nur Liscow's Leben anzufehen. Wegen freimtithiger Aeufserungen iiber die Sachfifche Hofwirthfchaft ward er 1749 feines Amies als Kriegsrath in Dresden entfetzt, in Criminalunterfuchung verwickelt, eingekerkert und fchliefslich entlaffen, um in die landliche Verbannung zu gehen. Er flarb 1760 auf dem Gute feiner Frau. — Befonders haben feine Briefe aus dem Kerker an Briihl herhalten mtiffen, um ihn als miferablen Feigling darzuflellen. Man lefe die Briefe und denke dabei an die Grauel der damaligen Staatsgefangniffe und die Menfchen, welche die Macht und die Gewiffenlofigkeit hatten, fich zu rachen. Roft. 423 Roll ging niit feinen Poefien in der ungezogenRen Weife den Erotikern voran, deren Weife fpiiter in Wieland gipfeln foUte. Er ward 1746 Secretair beim Grafen Briihl, in delTen Kreifen der Kampf, den Gottfched zu beflehen hatte, eine malitiofe Heiterkeit hervorrief. Als Gottfched fich fpiiter in feinem Eifer fur das deutfche Schaufpiel zornentbrannt erhob, da man ihm vor Augen in Leipzig das Sing- fpiel «der Teufel ifl los» auftuhrte, und fich nach Dresden wandte, um durch ein Verbot von Oben zu erzwingen, was fein Anfehn nicht mehr bewirken konnte, da mufste Rofl feiner Laune wieder die Ziigel fchiefsen laffen und er fchrieb jene berUhmt-beriichtigte Satire « Schrei- ben des Teufels an Herrn G. Kunflrichter der Leipziger Biihne (1755), die man dem auf einer Reife begriffenen Gottfched in jedem Poflhaus zuflellen Hefs. (Als Gottfched fich beim Grafen Briihl befchwerte, zwang ihn diefer, die Satire in Gegenwart von Rofl, feinem Secretar, vorzulefen, was Gottfched, um die Beleidigung hervorzuheben, mit dem grofsten Nachdruck that. Briihl fpeifle ihn dann mit dem malitiofen Rath ab, dafs es am beflen fei, iiber folche Poffen keinen Larm zu machen.) Im Knittelvers abgefafst, ifl dies Sendfchreiben eins der beflen damaligen fatirifchen Erzeugniffe und ein Vorliiufer keckfler Art der fpateren Gothefchen Gedichte im Hans-Sachs-Ton. Man rieth anfangs wieder auf Rofl's Freund und Vorganger im Amt, auf Liscow. Spater foil Rofl feine Frivolitat friiherer Poefien wie feine riickfichtslofe Bosheit leid gethan haben. Diefe letztgenannte Satire fallt fchon in die abnehmende Zeit Gottfched's, in den Beginn des grofsen Kampfes um die Gottfche- difche Autoritiit aber eine Schrift von Pyra: «Erweis, dafs die G«ttfch-»dianifche Sekte den Gefchmack verderbe» (1743). Wernicke, Liscow find hier fortgefetzt, mit einer Kraft, einer Schneide und Beredfamkeit, dafs es auffallig und ungerecht ifl, dafs Pyra fo wenig genannt und bekannt ifl. Es ging ihm, wie Liscow. Diefer fchwieg friihe; jener flarb friihe (1744). Der Kreis, dem Pyra angehorte, ward durch Leffmg's Abflrafung Lange's im Anfehn ver- nichtet — auch die Literargefchichte zeigt viele Vorkommniffe fowohl des Despotismus als auch des Undanks, feiger Verleugnung und Furcht, Manner auch nur zu nennen, die zu Schulen gerechnet werden, welche in Mifscredit flehen. Leffmg felbll aber braucht fich Liscow's und Pyra's, feiner genialen Vorganger, wahrlich nicht zu fchamen. Pyra's poetische Beflrebungen werden wir spater kennen lernen 424 Py^^- Hier nur, was zu jener Gegenfchrift gegen Gottfched gehort. Pyra, 1 715 zu Cotbus geboren, trat 1737 mit einem Gedicht auf, deffen Motto fchon wCarmina nunc mutanda, novo nunc ore canendum» und das «odi profanum vulgus et arceow bedeutsam find. Vor dem Schweizer Streit wagte er in diesem «Tempel der wahren Dichtkunfl" einen neuen Wurf, der aber nach intereffantem Anlauf viel zu kurz ausfiel. Genug, dafs er darin durch eine eigenthiimliche Gahrung der Ideen iiber die Poefie zeigt, dafs er nicht bios in Nachahmung der Schweizer Oder einzig und allein aus verletzter Eitelkeit gegen Gottfched fich zu den Neuerern gefellte, wie seine Feinde behaupteten. Seine Polemik iiberragt nun aber fo fehr feine Gedichte, dafs man nach diefen ihm jene kaum zutraut und an Liscow denkt und dann fich geflehen mufs, dafs diefer in den bitterflen Lebensver- haltniffen fich abqualende junge Menfch zwifchen Liscow und Leffmg Rang und in vielen Beziehungen feine ganz eigenthiimliche Bedeutung hat. Er geht heftig, in fcharfem, geiflvollem, dramatifchem Stil vor. Er fleht Leffmg an Scharffmn und Durchbildung nach. Leffmgs Stil ift compacter ; er giebt in VoUendung, was Liscow und Pyra fliefsend begonnen. Pyra hat feine Arbeit nicht fo kritifch durchgefichtet, wie Leffmg es bis in's Einzelnfle that (felbfl in feinen Briefen an Freunde, wie bekannt), aber wenn auch manche eiligere, fliichtigere Stelle dadurch zwischenlauft, wo er nicht fo wie Leffmg den Nagel auf den Kopf trifift, fo kommen doch andere und viele andere, wo er in Pracifion feiner Theorie, Scharfe und Kuhnheit Leffmg's Vorbild genannt werden kann. Er verdient, dafs fein Standpunkt kurz klar gemacht wird. Er lehnt fich an die Schweizer, Gottfcheds Feinde, feine Freunde. Dafs er Bodmer den ziircherifchen Swift nennt, nimmt Anfangs wenig fiir ihn ein, wenn man auch in feiner Verehrung Liscow's mit ihm libereinRimmt. Die Ziiricher, fagt er, vertheidigen die Alten, Gottfched fei ein Rarker Perraultianer. Er fafst deffen Anhanger auf ihren Stil an, ganz wie fpater Leffmg gegen Klotz und Conforten es machte; Pyra jedoch verfleht dies noch nicht recht, ifl fchwach, nicht pointirt und ungerecht nergelnd an diefer Stelle. Gottfched, behauptet er mit den Schweizern, fei diefen mit feinen Biichern nur florend da- zwifchengekommen und habe flatt Lohenfleinfchen einfach Weifefchen Gefchmack wieder verbreitet. In feiner Schiiler Schriften fei nichts poetifch als Sylbenmafs und Reim. «Und was feine Kritiken anbelangt, fo weife man mir eine, auffer denen, fo er ausgefchrieben, die was Pyra. 42 5 taugt.» ]Man meint den fpateren Leffing nun liber Gottfched zu horen. Was Perraults Kritik, Gottsched's Vorbild angehe, welcher Menfch lache denfelben jetzt nicht aus. Addisons Urtheil flehe hoch und ficher. Voltaire fliefse Milton nicht urn. Das Philofophifche miifre wahr, das Poetifche wahrfcheinlich fein. «Sie fprechen: In Milton waren die verachtlichflen Gefpen(lergefchichten,» wie oben gefagt, ein Punkt, den die Aufklarer nicht in aller Scharfe in Deutfch- land hervorzuheben wagten. Pyra's Frage ob fie Chriften waren und Engel und Teufel nicht in der Bibel ihren Grund hatten, fcheint nicht ganz loyal. Er fetzt wenigflens hinzu: «und endlich, wer ifl. ein fo erflaunlicher Dudenkopf, dafs er nicht mit leichter Miihe den eigentlichen Sinn einfehen follte?» Opitz (leht bei ihni, wie bei den Schweizern und bei Gottfched als bedeutende Autoritat da. Von Wernicke heifst es: er ifl der erfte rechtfchafifene deutfche Kunflrichter, der erfle, der fich mit Vernunft dem Lohenfleinifchen Gefchmacke wiederfetzt, aber auch zugleich Milton gepriefen hat. Dann aber fpricht Pyra klar und rund aus « dafs die Poefie nichts anders als eine Wirkung der Einbildungskraft ifl, folglich eigentlich und hauptfachlich mit der Einbildungskraft der Lefer zu thun hat. Daher die Dichtung nichts anderes ifl als eine Lehre von dem Ge- brauche derfelben, wie die Logik von dem Gebrauche der Vernunft. Kein Verflandiger wird dies laugnen kdnnen. Die Einbildungskraft hat mit lauter klaren und fmnlichen Vorflellungen zu thun. Die ab- gefonderten und allgemeinen Begrifte gehoren einzig und allein ftir die Vernunft. Nach jener Kraft ifl, es unmoglich, fich andere als fmnliche oder kdrperliche Vorflellungen auch von Gott . . zu machen — Poetifche Vorfl.ellungen heifsen alfo fmnliche. Und entweder darf ein Dichter von alien diefen Wefen gar nicht fchreiben oder er mufs fie finnlich, d. h. mit Korpern verfehen abbilden (Milton und Lohenfl.ein hatten nach denfelben Muftern fich gebildet) Milton war ein Herr der Regeln, Lohenflein hingegen ein Rebell. In feinen Erfin- dungen beobachtete der Deutfche weder Wahrfcheinlichkeit noch Nothwendigkeit. Keines folgte aus dem Andern, fondern es war nur viel bei einander ohne alle Verbindung zu einem Endzwecke. Das beweifl. fein Arminius und feine Tragodien. » In den Satzen von der Dichtung baute Pyra, wie auch Breitinger, auf Wolf und Baumgarten. Aber wo waren die dann folgenden Ge- dankenvonder fmnlichen Vorflellung fo fcharf und kurz ausgefprochen? 426 Pyra. Inhalt des Heldengedichts fei das Wunderbare. (Hier kam Pyra fo wenig wie die Schweizer zur klaren Darftellung der idealen Frei- heit der Phantafie und hob einfeitig heraus, was fur Milton fpeciell gait. Diefe Anficht voni Wunderbaren ward ein Gegengift gegen das Triviale, hatte aber auch ihre unliebfamen Folgen, wie felbll der Meffias lehrt). Ueber Gottfcheds Drama Cato brach Pyra unbarm- herzig den Stab. Er fei weit hinter Addifon und felbfl De Champs zuriickgeblieben und habe den geraubten Glanz fo oft in den Pfiitzen oder der Sprache des Pobels untergetaucht. «Denn ein Trauerfpiel heifst nicht dann fo, wenn Alles an einem Orte und zu einer Zeit gefchieht, fondern wenn es durch eine wohlverkniipfte Handlung Schreck und Mitleiden erwecket. Der grofste Schnitzer wider die Regeln ift, wenn es epifodifch ifl, wie Herrn G..'s Cato. Gottfched verfeichte, erniedrige, mache Alles profaifch, was er iiberfetze. (Er giebt Beweife dafiir durch Ueberfetzung.) Gottfcheds Profa fei wie eine klare Wafferfuppe ohne Fett und durchaus nicht franzofifcher Stil, denn die Franzofen konnten das Profaifche in Verfen nicht leiden, und die bedeutenden Manner, welche die franzofifche Literatur bewun- derten, verachteten deswegen auch mit Recht diefen falfchen Fran- zofifchen Stil Gottfcheds und der Gottfchedianer. Opitz, Wernicke und Haller feien faft die einzigen deutfchen Dichter. In der Fortfetzung des Erweifes (1744), nennt fich Pyra mit Namen. Seine Feinde wollten fein Gedicht «Tempel der Dichtkunfl» die Kiihnheit biifsen laffen. « Fiir ihre Drohungen, den Tempel der Dicht- kunfl zu fltirzen, erzittere ich gar nicht. Ich gebe ihn wie alle iibrigen Kleinigkeiten denfelben gerne Preis. Schriften, die fich einmal in der Welt befinden, darf kein gefcheuter Verfaffer fchiitzen, wenn fie wirk- lich Fehler haben. Es ifl das ohnedem eine Arbeit, die ohngefahr im zwanzigflen Jahre ifl verfertigt worden und von vermifchtem Ge- fchmack ifl, denn ich hatte damals erfl angefangen, Bodmers und Breitingers Schriften zu lefen. Die undeutlichen Begriffe waren noch nicht ganz zerflreut, die ich aus der kritifchen Dichtkunfl (Gottfched's) eingefogen. Denn ich weifs es aus Erfahrung, dafs fie nichts als eine verwirrte Furcht vor den Fehlern beibringt. » Er lobt feinen Rector Behrnauer, der ihn befonders auf dieAlten aufmerkfam gemacht. (Winckelmann konnte von feinem Lehrer, dem damaligen Conrectqr Chrifl. Tobias Damm daffelbe riihmen). Liscow wird mit dem Odyf- feus verglichen, der den Therfites zum Schweigen gebracht. Mit Pyra. 427 Milton wird Camoens (entgegen Gottlched) bewundert. Schwacher ifl Pyra in der Beurdieilung Gottfcheds und der Schweizer hinficht- lich deren «Epifoden» und Gottfched's Fabel der Dichtung, worin er diefem nicht Recht angedeihen lafst. Gerecht aber ifl, wenn er hinzufugt und zugiebt: « die Leipziger wiffen immer wohl die Regeln auswendig aber nicht den rechten Verfland und die Ausnahmen. Im Uebrigen gebe ich zu, dafs die Leipziger Kritifche Dichtkunfl noch fur Anfanger liatte dienlich fein konnen, einen hiflorifchen Begriff von der Dichtkunfl zu bekommen. Breitinger und Bodmer vviirden fie fchon voUig zurechte gebracht haben. Wenn er (Gottfched) fich nur nicht fo wider diefe gefetzet und die Gemiither irre gemacht hatte. » . . . «Wen die Dichtkunfl nicht felbfl, fondern nur ein Lehr- buch erleuchtet, der kann nicht ihr Priefler fein. G. hat kauni Feuer genug zu einer Ode und will fich an ein Trauerfpiel wagen. » Er folgt dann Arifloteles, erkennt Joh. El. Schlegel als den beflen der Gottfchedianer an, wenn er auch die Hoheit und Starke der grofsen alteren und neueren Dichter bei Weitem nicht erreicht habe. Es fei einem Poeten allemal riihmlicher zu reich als zu arm an Geifl und Witz zu fein. Erbittert fpricht er iiber Neukirch, den grofsten Gefchmacksverderber , den wir gehabt hatten. Wer . wiffe nicht, was er mit dem Hofmannswaldauifchen Theil gefchadet! «Ich felbfl habe ihn als Schiller iiber Alles geehrt. Seine Einficht ifl aber fo fchlecht als fein Geifl. Denn erfllich verflieg er fich faft rafender als Lohenflein und hernach liel er blindlings fafl fo tief als Weife und bei feiner grofsen Niedrigkeit wimmelt er doch von falfchen Gedanken. » Nach dem Jahr 1 744 war Gottfched's Herrfchaft gebrochen. Diefe Schrift Pyra's, der im felben Jahre flarb, war ein Schlag, dem man, neben den Anflrengungen der Schweizer, mehr als gewohnlich zu gefchehen pflegt, die Erfchiitterung und den Niederbruch der Gott- fchedifchen Macht zufchreiben mufs. Im nachflen Jahr lofle fich von Gottfched der Kreis der Bremer Beitrage, deffen beliebte Mitglieder neue Recruten nicht erfetzen konnten. Seitdem wurde das Leben Gottfcheds ein fortgefetzter, fieglofer, feit Klopftocks Auftreten immer verderblicherer Kampf fiir die Er- haltung feines Ruhmes, in welchem er nicht bios die glanzenden fremden, fondern auch die eigenen Federn einbiifste. Sein befler Bundesgenoffe war bisher gewefen und blieb feine 428 Frau Gottfchedin. Frau Louife Adelgunde Victorie, geborene Culmus (17 13 — 1762), der heitere Geifl der Gottfchedifchen Schule, bis der fiir fie fo un- felige literarifche Kampf und, wie fie felbil oft hervorhebt, der Jam- mer iiber den fchrecklichen fiebenjahrigen Krieg ihre letzten Jahre triibte und ihr Gemiith mit tiefem Kummer erfullte. Frau Gott- fchedin, wie ihre Zeit fie nannte, war eine Zierde ihres Gefchlechts. Eine geborene Danzigerin aus guter Familie hatte fie eine treffliche Erziehung gehabt, die bei der Verbindung zwifchen Danzig und Eng- land fich auch auf die engUfche Sprache und Literatur erflreckte. Im Franzofifchen war fie geiibt und liebte es, darin zu fchreiben, bis ihr Brautigam fich dagegen erklarte. Spater lernte fie noch Latein, auch etwas Griechifch. Mufikalifch durchgebildet, von ficherem Ta6t, klaren Verflandes, heiteren Geifles, als Hausfrau fo gewandt und thatig wie als Gehiilfin ihres Mannes in literarifchen Arbeiten, zwang fie auch fpater noch ihren Feinden Anerkennung ab. Sie war ur- fpriinglich dem freieren englifchen Gefchmack mehr zugethan, iiber- fetzte auch fpater Spectator und Guardian, verehrte Haller und blieb immer unbefangener als Gottfched. Um fo fchmerzlicher empfand fie den Streit mit den Schweizern, da fie ihres Mannes Schwachen beffer fuhlte und erkannte. Ihrer mannigfachen Ueberfetzungen und kleineren eigenen Werke gilt es hier nicht befonders zu gedenken. Wirkfam ward fie befonders durch ihren freien und klaren Stil, durch den fie fiir Luflfpiele wohl jeden Nebenbuhler anfangs iibertraf Ihre Briefe find reizend;*) die aus fpateren Zeiten oft tief ergreifend.**) *) Briefe der Frau L. A. V. Gottfched , herausgegeben von Dorothee Hen- riette von Runckel (1776). **) 4 Monate vor ihrem Tode fchrieb fie: Ich dichte nichts mehr und ,,der befte Fiirfl" ift der Abfchied meiner Mufe gewefen. Ich bin zu alt, zu verdriefs- lich und vielleicht auch zu unfahig meine Mufe die neueren Pfade gehen zu lehren. Gefchmack, Styl, Versart, alles hat fich verandert und wer diefen nicht folgt, wird nicht glimpflich, nein graufam getadelt. . . Am 4. Marz 1762, einen Monat fpater: Und wie fehnlich wiinfche ich die Stunde meiner Auflofung fchlagen zu horen! Fragen Sie nach der Urfache meiner Krankheit? Hier ifl fie. Acht und zwanzig Jahre ununterbrochene Arbeit, Gram im Verborgenen und fechs Jahre lang unzahhge Thranen fonder Zeugen, die Gott allein hat fliefsen fehen; und die mir durch meine eigene und hauptfachlich durch die allgemeine Noth und die erUttenen Kriegsdrangfalen fo vieler Unfchuldigen ausgeprefst worden. — Diefe Frau erwartet noch das biographifche Denkmal, welches fie verdient. Frau Gottfchedin. Gottfched's Anhanger. 420 Sie zahlen zu den beflen, die wir im Deutfchen befitzen, nach Aus- druck von Anniuth, Humor und Scherz. Stellenweife find fie von einer weiblichen Feinheit, die den beflen franzofifchen Schriftflelle- rinnen nichts nachgiebt. Auf Gottfched's Seite flanden anfangs die Hulfsfchaaren dicht. Er hatte die fammtlichen Verflandes- und Lehr-Poeten, das ganze gebildetere Weifeanerthum und die allgemeine zahlreiche Mittel- mafsigkeit, dann iiberhaupt die Aufklarungsfreunde entfchiedenen Schlages fiir fich; die Anhanger und Bewunderer der franzofifchen Literatur mochten liber feine und feiner Schiiler Werke den Kopf fchiitteln, oder fie als pedantifche Nachahmungen verlachen, aber feinen Grundfatzen flimmten fie entfchieden bei. Viele waren fo befangen in dem franzofifchen Stile, dafs fie gar nicht begriffen, was die Schweizer und Gottfchedsfeinde eigentlich woUten, und namentUch von den alteren Anhangern der feineren franzofifchen oder der ge- wohnlichen NiitzHchkeits- und Verniinftigkeitsrichtung find nur wenige in den Geifl feiner Widerfacher eingedrungen. Ein Kafi.ner als Mann der Gottfchedifchen Schule, ein Friedrich der Grofse, der im Geifl. der franzofifchen Philofophie und Literatur fich erzogen hatte, mogen uns daran erinnern, dafs es nicht bios gewohnliche Geifl.er waren, welche von den neuen Theorien, wie fie fich jetzt vordrangten, tiefe Schadigungen des gliicklich errungenen Humanismus der Aufklarung beflirchteten. Was die engere Gottfchedifche Schule anbelangt, fo war fie Anfangs mehr uberrafcht als erfchrocken; fie flutzte fich befonders auf die dramatifchen Fortfchritte, die man in den letzten zwei De- cennien gemacht hatte, und glaubte Geifler genug zu haben, die den nicht zur Schule gehorigen oder gar feindlichen Poeten die Spitze boten. Wunderbar war nun freilich, wie fchnell die Lage fich anderte und wie fchnell die Schule zufammenfchmolz. Gottfched hatte feine Aufgabe erfiillt, Ordnung und Vernunft in das Gewirr gebracht und die Poefie durch das ernflere Drama und die feinere Komodie der Fremden bereichert. Jetzt war er abgewandelt und wurde verworfen. Seine Idee war zu Ende. Die frifchen Krafte fonderten fich von ihm ab und bildeten eigene felbfl.andige Kreife, indem fie die neuen Ideen nutzten, welche jetzt die Stromung von England her auch nach Deutfchland trug. Die Halben, welche im franzofifchen Stile beharrten, trieben dabei allmalig hintenan; die Ent- 420 Gottfched's Anhanger. fchiedenen, die fich voll dem englifchen Geifle hingaben, kamen an die Spitze. Der Jiingling, welcher den deutfchen Geifl mit den kraftigllen neuen Ideen zu einen wufste, war dann der gefuchte Heros der neuen Poefie. Gottfched's literarifcher Lieutenant war Anfang der vierziger Jahre Joh. Joachim Schwabe (17 14 — 84), der die wBelufligungen des Verflandes und Witzes» herausgab, ein Hauptkampfer gegen die Schweizer, Pyra und Genoffen, grob-witzig und refokit im Stil der Zeit. Eine plattere, grobere Richtung verfolgte der Arzt und waffrige Poet Daniel Wilhelm Triller (1695 — "I782} aus Erfurt, ein Reimer der alten Sorte (Herausgeber von Opitz' Werken). Die Schweizer krankten ihn tief wegen feiner albernen Fabehi und er ward ihr erbitterter Feind, war aber flets ein trauriger Held der Gottfchedifchen Parthei, das Urbild der klaglichflen, poefielofen Mittelmafsigkeit. Es ifl intereffant, wie Triller in feinen poetifchen Betrachtungen (6 P.ande 1755) noch in der alten Zeit wurzelt und z. B. Gryphius gegen Lohenflein erhebt und mit Canitz, Beffer, Pietfch, Amthor u. f. w. zu thun hat. Er mengte fich in den Streit gegen Klopflock. Wie mufste diefem Kopfe die Sturm- und Drangperiode als Ende aller Dinge erfcheinen. Fiir Gottfched warf fich im nachflen Decennium der junge Chrifloph Otto von Schonaich auf, in dem die Schule das zu finden hoffte, was die Schweizer in Klopflock gefunden hatten. Er wird fpater feine Stelle finden. Zu Gottfched hiniiber fland auch anfangs die ganze Schaar, die fich feit 1744 als der Kreis der Bremer Beitrage von ihm und Schwabe loslofle und nun gleichfam ein felbllandiges rechtes Centrum zwifchen der Gottfchedifchen Rech- ten und Schweizerifchen Linken bildete, neben welcher die Anacreon- tiker fich als eine befondere Parthei einreihten. Doch haben wir vor diefen neuen Richtungen noch zwei Manner zu nennen, welche gliicklicher Weife neben den Theoretikem als Poeten fich erhoben und trotz Gottfched und Bodmer dem Publicum einen Begriff von Anmuth und Wiirde der Dichtkunfl beibrachten: Hagedorn und Haller. 4. Hagedorn und HaUer. Zwei Manner, gelehrt, aber auch hoch gebildet, der eine fogar ein Wunder der Gelehrfamkeit ; beide keine Poeten von Beruf; der eine viel zu leicht auf der Hohe der Zeitbiklung fich bewegend, der andere viel zu genial, um von der Schulpedanterie fich ein- fchntiren zu lalTen! Beide fich erganzend: Jener die Heiterkeit und der Humor felbfl, der Dichter des epicuraifchen Geniefsens; diefer ernfl, griibelnd, zweifelnd, energifch nach dem Grofsen und Erhabe- nen flrebend; ein philofophifcher Gedankenwalzer, der bald in den Tiefen des Lebens fich abringt, dann wieder in die Unendlichkeit fich auffchwingt, um im Ewigen und Unendlichen die Gottheit und in Gott die Ruhe und die Lofung all' leiner Zweifel zu finden. Jener, der Glatter in feiner Lebensdichtung, geliebt, verehrt, ja als Dichter gehatfchelt, das Oel in der Poefie feiner Zeit; diefer, der Vertiefer, der Sturm, angeflaunt, feinen Widerfachern felbfl der «Alpenriefe». Beide, obwohl nur dichterifche Talente von mehr Gefchmack als Kraften,*) die Poefie aus innerem Drange iibend, der Lebemann im Stil des vornehm gebildeten Mannes, der die Dichtung als feinfle Bliithe des Geifles liebt und iibt; der grofse Gelehrte, um den energifchflen und vollflen Ausdruck feiner Empfindungen zufammen- zufaffen. Beide bekannt mit den beflen Muflern des Auslandes und deffen kritifchen Fortfchritten ; beide als wahre dichterifche Talente fich mehr nach den Muflern richtend, als dafs fie Theorien fchul- mafsig in dichterifche Praxis zu iibertragen Lufl gehabt hatten. Friedrich von Hagedorn**) (1708 — 54) ging aus dem Dichter- "*) Hagedorn und Haller gegen einander verglichen. Schreiben Hallers an den Herrn von Gemmingen 1772. **) Friedrich v. Hagedorn, geb. zu Hamburg 1708, flotter Student in Jena, wo, nach Leffing, der Career lange Zeit ihm als fein wirkliches Studirzimmer 432 Hagedom. kreife des behabigen, in feinen hoheren Claffen fich vielfach fiir Dichtung und Mufik intereffirenden Hamburg hervor. Hunold, Feind, Amthor, Wernicke, Richey waren Bekannte des Vaters, der leider flarb , als Friedrich erfl 1 5 Jahre alt war und die friiher glucklichen Vermogensverhaltniffe fich fchlimmer geflaltet batten. Schon als Gymnafiafl, wo Richey zu feinen Lehrern gehorte, betheiligte fich Hagedorn mit ein paar Auffatzen an den damaligen hamburgifchen Wochenfchriften ; friihzeitig trieb er neben den Berufs- und claffifchen Studien neuere Sprachen. Schon 1729 gab er eine Gedichtfammlung heraus, die jedoch noch den alten, kritiklofen Stil verrieth, der die Dichter aus Weichmanns Sammlungen kennzeichnet. Dann aber, in den empfanglichflen Jahren, nachdem er eben als Dichter aufgetreten, gewann er durch feine Stellung bei der danifchen Gefandtfchaft in London lebendige Einficht in grofses Leben und in die englifche Literatur. Was er in feinen franzofifchen, englifchen und lateinifchen Dichtern bisher gelefen und geahnt hatte, konnte er jetzt wirklich fehen: hochgeflellte, freie GeiRer mit der Lebensphilofophie jener Zeit, Reichthum mit Gefchmack und Sinn fiir Literatur, Verachtung fchwerfalliger Pedanterie, Verflandigkeit, heitere Lebensanfchauung mit eleganter Form, Feinheit und Witz, ein Neu-Horazwefen, zuhochft in Pope bewundert, gait damals befonders. Es flimmte voUkommen zu Hagedorn's Anlage, der in diefen Anfchauungen fich vollfog und darin bis an fein Ende beharrte, trotz deutfchen Pedanten und kirch- lichen Eiferern, auch trotz eines Klopflocks neuem Schwung. Eine heitere Lebensweisheit, die gegen die Uebel mit Spott oder Geduld fich waffnet, Verkiindigung der Freude ward der Inhalt feiner eigenen Dichtung; reine Form voll Gefchmeidigkeit und Eleganz fein Be- flreben. Hagedorn's Anlage war nicht wait, aber fein Geniigen darin machte einen befriedigenden, ganzen Eindruck ; feine Philofophie nicht tief, aber es gait von ihr daffelbe; feine Phantafie ging nicht in's Grofse, war aber fiir alles Anmuthige empfanglich; fein Humor war vortrefflich; fein fprachliches Talent fiir Melodie und Rhythmus erfchien damals einzig. Ein gutes Herz, ein klarer Verfland und weltmannifcher Anfland, was Wunder, dafs er fo entzuckte und, niitzlich geworden fei; nach den Studien 1729 — 31 Secretar bei der danifchen Gefandtfchaft in London; feit 1733 hatte er in feiner Vaterftadt das wenig niiihe- voUe Amt eines Secretars bei der englifchen Handelsgefellfchaft. Er flarb 1754. Hagedorn. 4^^ nachdem feine Dichtungen in weiteren Kreifen bekannt geworden waren, er fiir langere Zeit eine fo unbeflrittene Geltung in der an grofsen Vertretem noch armen deutfchen Poefie gewann, vvie wenige beffere Dichter fich riihrnen konnen. Bekannter wurde er ungefahr feit 1740. Da er fich von den Gottfched-Schweizer Streitigkeiten fern hielt und beide Partheien ihn unangetaflet liefsen — die Einen, weil er beim Reim blieb, die Andern, weil fie ihre freiere Auffaffung bei ihm fanden — fo bot er eine wahre Zuflucht fiir alle Freunde der Poefie, die fich behaglich an feinen Dichtungen erquicken konnten, ohne dafs gegnerifche wiithende Angriffe und Verlaumdungen gegen diefelben ihnen den aflhetifchen Genufs verkiimmerten. Hagedorn war in fo weit originell, als er aus feinem Wefen heraus dichtete und Alles, was er aufnahm, erfl durch diefes hin- durchgehen liefs und geiflig verarbeitete. So machte er es zum Eigenen. Weiter freiHch ifl nichts Originelles zu iinden; er war auch in keiner Weife darauf erpicht, den Schein davon zu haben. Fafl fiir Alles hat er Vorbilder; dafs in Wahrheit oft von einer Rivalitat mit ihnen die Rede fein kann, darin befleht fein Ruhm.*) Hagedorn's Satz in Bezug auf feine Fabeln und Erzahlungen kann man ganz allgemein als fein Princip hinftellen: Man foil nach- ahmen, wie Boileau und Lafontaine nachgeahmt haben. Wie diefe, wie Pope, den Horaz und fonftige Mufler, wie Horaz wieder feine Griechen zum Vorbild genommen, fo bemiiht er fich, daffelbe zu thun. Er giebt uns — mit einem gewiffen Stolz und vielleicht mit geheimer *) Es mag hier feine Ueberfetzung von einem Triolet Barchin's flehen, welches Menage : le roi des Triolets genannt hatte : Le premier jour du mois de Mai Der erfle Tag im Monat Mai Fut le plus beau jour de ma vie. Ift mir der gliicklichfte von alien. Le beau deffein, que je formal Da fah ich und geftand dir frei, Le premier jour du mois de Mai! Den erflen Tag im Monat Mai, Je vous vis et je vous aimai. Dafs dir mein Herz ergeben fei. Si ce deffein vous plut Silvie; Wenn mein Geftandnifs dir gefallen, Le premier jour du mois de Mai So ifl der erfl;e Tag im Mai Fut le plus beau jour de ma vie. Fiir mich der gliicklichfte von alien. (1732.) Wenn man erfh fo genau und fchon zu iiberfetzen verfland, dann war man bis zum Niveau der Fremden gekommen. Eine originate Kraft, falls fie erfland, fand Technik und Material vor. Levi eke, Gefchichte der deiiffchcti Dichtung. 28 434 Hagedorn : Erzahlungen u. f. w. Eitelkeit wegen feiner ungemeinen Belefenheit — getreulich in Noten die Quellen zu feinen moralifchen Gedichten, Epigrammen, Fabeln, Liedern und Erzahlungen an, wie er denn beifpielsweife bei feinem wjohann, der muntere Seifenfieder» auf des Burcard Waldis Schuh- flicker, auf eine Fabel Lafontaine's , auf den lufligen Blondeau in den Erzahlungen von Perier, auch auf den hinkenden Teufel von Le Sage vervveifl.. Er will verarbeiten wie Lafontaine und Pope. Meiflens band er fich nicht genau an feine Mufler; oft liefs er fich mehr davon anregen, als dafs er iiberfetzte, wenngleich er auch dies, wie gezeigt, fo meifterlich verftand, dafs man fchwerlich ge- wahrt, dafs in vielen Gedichten einfach ein Umgufs aus dem Eng- lifchen und Franzofifchen, kein Original vorliegt und eine folche Ueberfetzung wohl flir ein altvaterliches, kerndeutfches Gedicht gehalten wird. Das Wichtige ifl, dafs feine ihm eigen angehorigen Gedichte mit jenen, in denen er fich an Andere anlehnt, auf gleicher Stufe flehen und dafs durchgangig die letzteren durchaus deutfch ver- arbeitet find. Es gilt hier nicht feine fammtlichen Mufler und Vorbilder auf- zuzahlen, noch auch nur die hervorragenden Franzofen und Eng- lander genau er zu citiren, die Lafontaine, Lamotte, Chaulieu, Regnier, Swift, Prior, Gay, Pope u. f. w. nach denen er fich gerichtet und gedichtet hat. Genug, dafs im Allgemeinen Horaz fein «Freund, fein Lehrer, fein Begleiter» ifl und feine Satire beflimmt, dafs die Fabeln und die Sinnlichkeit eines Lafontaine fiir feine Fabeln und Erzahlungen zumeifl die Vorbilder wurden und er fonll iiberall das feiner Natur Entfprechende aufnimmt. Im Allgemeinen gilt feine Vertheidigung Pope's, mit der nothigen Einfchrankung in doppelter Beziehung, von ihm felbft: «Aber der Chara6ler diefes vortreftlichen Poeten ifl gewifs nicht in der gewohnlichen Nachahmung zu fuchen. Keiner ifl. reicher an eigenen neuen Gedanken, gliicklicher im Aus- druck, edler in Gefmnungen. So gar feine Nachahmungen aus dem Horaz find meiflerhafte freie Originale. Er ifl ein Mufler der beflen Nacheiferung und bekraftigt uns eine Wahrheit, die ich voritzt fo verdeutfchen mdchte: Wer nimmer fagen will , was man zuvor gefagt, Der wagt, dies id fein Loos, was niemand nach ihm wagt." Hagedorn gab in Erzahlungen und Fabeln heiter lebendigen Stoff in einer, feiner Zeit voU entfprechenden, weil breit behaglichen, Hagedoin: Lyrik. 4^^^ gefchwatzigen Form, die man anfangs als ein Wundcr von Leichtigkeit und Eleganz anflaunte. Geflalten, Handlungen, Leben und Regen in diefen Gedichten; das Ganze ganz hiibfch gruppirt, lebendig und mit Humor behandelt, mit Moralfpruch unterfchrieben, Jedem ver- flandlich in der gewdhnlichen Sphare fich bewegend — das mufste nach air den Verflandesreimereien, Redensarten der Gelegenheits- dichtungen ohne Stoff, Oden und Verherrlichungen ohne Inhalt, Be- fchreibungen ohne Handlung, nach den, durch Gelehrfamkeit jeden AugenbUck unverflandigen gewohnten Poemen auf das grofse Publicum hinreifsend wirken. Hier konnte man fich erholen, fich erfreuen: das war der Parnafs fiir die Mittelfchichten des Publicums. Mit Recht leben einige von Hagedorn's Dichtungen nocli heute; fo z. B. fein Johann, der muntere Seifenfieder, das Hiihnchen, welches den Diamanten fand u. A. Die Munterkeit, welche zuweilen an Frivolitat flreift, der fatirifche Humor, und bei allem Witz das behagliche Leben und LebenlalTen bei ficherer Weltkenntiifs in feinen Gedichten, Satiren, Epigrammen u. f. w. mufste auch feineren Geiftern als die Quinteffenz des deutfchen poetifchen Epicuraismus erfcheinen. Am wichtigften ward jedoch Hagedorn fiir unfere Dichtung durch feine Lyrik. Er befchlofs die x\era Hofmannswaldau und hob die deutfche Lyrik auf das Niveau der Fremden. Er mag uns felbfl iiber die Neuerung belehren, welche durch ihn kam. In der Vorrede zu feinen lyrifchen Gedichten beginnt er damit, dafs feine Oden und Gedichte nicht den erhabenen fondern den gefalligen Chara6ler erflrebten. Nicht bios Konige und Helden fondern, wie Horaz fage, auch «juvenum curas et libera vina referre» Liebe und Wein befmgen lehre die Mufe, Franzofen und Englander batten fich in diefer wahrfcheinlich alteflen Art der Ode vorlangfl hervoreethan. Nach einer kurzen Ueberficht iiber die Troubadours, Erwahnung der deutfchen Lieder des 13. Jahrhunderts, der franzofifchen Chan- fonniers, der Italiener, Spanier und Englander, nach einem kraftigen Lob altenglifcher Balladen kommt er durch einen Blick auf die Mit- telmafsigkeit neuerer englifcher Lyrik zur Hauptfache. Er fiihrt Pope's und Swift's Satire dawider an. Dann citirt er den Guardian. Dort heifst es (im fechzehnten Stiick) iiber die Liederdichtung: Ohne Zweifel ifl die Urfache — dafs man fo viele lappifche Werke in der Lyrik habe — grofsentheils diefe, dafs man von den Eigenfchaften folcher kleinen Gedichte keinen rechten Begriff 28* 436 Hagedom : Lyrik. hat. Es ifl wahr, fie erfordern eben keine Hoheit der Gedanken, noch eine befondere Fahigkeit, noch eine Kenntnifs, die fehr weit gehet. Hingegen erheifchen fie eine genaue Kunflrichtigkeit, die grofste Zartlichkeit des Gefchmacks, eine vollkommene Reinigkeit in der Schreibart, ein Silbenmafs, das vor alien andern leicht, angenehm und fliefsend ifl, einen ungezwungenen zierlichen Schwung des Witzes und der Einfalle und zugleich einen einformigen Entwurf voU nattir- licher Einfalt. Grofsere Werke konnen nicht wohl ohne Unrichtigkeit und Fehler der Unachtfamkeit fein; aber ein Lied verlieret alien Glanz, wenn es nicht mit aufserfler Sorgfalt poliret und ausgeputzt wird. Der geringfle Fehler deffelben gleichet einem Flecken in einem Edelgeflein und benimmt ihm feinen ganzen Werth. Ein Lied ifl gleichfam ein kleines Gemalde von Schmelzfarben, das alle feinen Ausdriicke des Pinfels, einen Glanz, eine Glatte und endlich diejeni- gen zarten vollkommenen Ausbildungen erfordert, die in grofseren und folchen Figuren, welche von der Starke und Kiihnheit einer meiflerhaften Hand ihre ganze Schonheit erhalten, iiberfliiffig und libel angewandt fein wiirden .... fie werden mich wohl keiner Schulfuch- ferei befchuldigen, wenn ich ihnen melde, dafs Sappho, Anakreon und Horaz in feinen kurzen lyrifchen Gedichten Mufler kleiner Oden und Liederchen find. Sie werden finden, dafs diefe Alten in ihren Liedern gemeiniglich nur Einen Gedanken ausfiihren und folchen bis zu einem gewiffen Ziele treiben, ohne, wie es den neueren Dichtern von diefem Orden fo gewohnlich ifl, durch Nebendinge aufgehalten oder unter- brochen zu werden und auf Abwege zu gerathen. » Die Franzofen werden fodann vom Guardian am meiflen gelobt und als Mufter hin- geflellt, wahrend die englifchen Dichter ein Lied meiflens mit Materie iiberluden. [Was der Guardian kurz bemerkt, dafs die Franzofen oft Lieder und Sinngedichte mit einander verwechfelten, macht Hagedorn viel Kopfzerbrechens; er kommt dariiber nicht in's Klare; feine Un- ruhe in diefer Beziehung ifl erklarlich, weil er felbfl als witziger Kopf feine Hauptflarke in der epigrammatifchen Lyrik hatte.] Hagedorn ruhmt Opitz, Fleming, Gryphius, Pietfch wegen guter Oden und einiger guter Lieder, ferner Konig, Beffer, Philander von der Linde, den feuerreichen Giinther u. A., welche Schoch, Schirmer, den ehrlichen Finkelthaus weit tibertroffen hatten. Wir konnen die Worte des Guardian dire6t auf die deutfche Lyrik iibertragen; ihnen gemafs hat Hagedorn diefelbe geandert. Hagedorn: Lyrik. A^y Er lehrte, dafs auch fiir fie die Gefetze der Compofition galten, GefchlolTenheit, Unterordnen des Mannigfaltigen unter die Einheit, und hat damit jene breite, profaifche, unausflehliche Grofsmauligkeit und jene Vershaspelei zu verbannen angefangen, die ebenfogut funf- zehn, zwanzig Strophen wie fiinf oder acht oder zwolf aneinander- hangte und ihre miferable Diction damit entfchuldigte, dafs es ja nur ein leichtes Gedicht fei. Ein kleines Kunflwerk vol! Einheit, ge- fchmackvoU, bis auf den letzten Punkt fauber ausgearbeitet, fprachUch rein, glanzend, voll Geifl ward jetzt verlangt. Zur Theorie kam Hagedorn's Praxis als Beweis: langfam fing man an, zu begreifen. In Hagedorn's Wein- und Liebesliedern gewahrten feine Zeit- genoffen den Ausdruck einer VoUendung, vvelche Opitz und Fleming befeffen hatten, feitdem aber verloren gewefen ware: echte Renaiffance, antike Geiflesflimmung in fchon moderner Form. In der That zeigt uns Hagedorn's Lyrik eine claffifche Durchbildung, wie fie die Zeit vor Winckelmann eben kannte und welche, nebenbei bemerkt, fo nichtig nicht war, wie man oft urtheilen horen kann. Bei den Fran- zofen, auch bei manchen Englandern hatte fich der claffifche Ge- fchmack vielfach fo weit durchgerungen — auch die platonifche oder epicuraifche Philofophie — fo weit dies bei Fleifs, Lufl und Liebe und Talent moglich war. Uns Deutfchen bliihte dann allerdings der Ruhm, das Genie Winckelmann*) hervorzubringen, dem nach der Schulung der Fran- zofen und Englander und durch Lippert, Oefer, Chrifl. L. v. Hage- dorn, des Dichters jiingeren Bruder u. A. es gelang, fich iiber AUe auf die freie Hohe unbefangener Anfchauung der claffifchen bilden- den Kunfl zu fchwingen und der damit eine neue Einficht in die ganze Welt des Alterthums erfchlofs. Hagedorn war Vielen feiner Zeit ein moderner Sokrates, Ana- kreon, Horaz. Und er hatte von dem Geift, feiner Weisheit redenden, Wein und Liebe fmgenden Vorganger des Alterthums etwas in fich. Der Sanger von «Du braufender und frifcher Moll, du gahrend Mark der milden Reben » — hob den Pokal voll Freuden, liebte den Scherz> die Gefelligkeit und die heitere Urbanitat und gab nichts auf das profanum vulgus. Sokratifch heiter im franzofifchen Stil, in eben *) Carl Jufli : Winckelmann. Sein Leben, feine Werke und feine Zeitgenoflen. Leipzig 1866. 438 Hagedorn: Epicuraismus. demfelben nachfichtig gegen das Freundlich-Ueppige, ja Freund davon — wie er denn in engeren Kreifen auch liber das Maafs zu gehen liebte, das er fich fiir die Oeffentlichkeit gefleckt hatte — , Feind alles Diifleren, Harten und Herben, voll natiirlicher Hinneigung zum Anmuthig-Schonen war und lebte er, was er dichtete. Dichterifche Mache war ihm fremd. Ein ganzes Heer von Anakreontikern ifl ihm und feinen fran- zofifchen Muflern gefolgt; die raeiden naturlich mit der ganzen Klag- lichkeit der Nachahmung. Wenn der feingebildete Kenner gefell- fchaftlichen Lebens im Kreife feiner wohlhabenden Hamburger Freunde die Freuden der Gefelligkeit oder die Lufl an Harvstehude mit hora- zifchem Behagen pries, wenn er forgenlos durch eine zwar nicht bedeutende aber immerhin geficherte Stellung und heiter feinem Epicuraismus Ausdruck gab in freieren Liedern, wer horte ihn dann nicht gern? Aber das Schreckhche bUeb nicht aus, dafs Haufen von weniger begabten Sohnen der Mufe und Freunden von Wein und von der Liebe welche deren beffere Sorten nicht kannten und mit einer Weisheit ausgeriiftet waren, die grade zu einer anflandigen oder auch nicht anflandigen Ueberfetzung von ihren lateinifchen und griechi- fchen Lyrikern hinreichte, dafs diefe, Hagedorn nachahmend, began- nen, anakreontifche Gefuhle zu hegen und die Leyer des Sangers von Teos oder des Freundes von Maecen zu fchlagen. Mehreren freiUg gelang es, fich neben Hagedorn zu flellen und die claffifche Richtung in diefer Lyrik eigenthiimUch zu entwickeln. Ein Wort Haller's, aus jener Zeit heraus (in feinem Tagebuch 1746), mag uns auf die tiefere Stromung hinweifen, die diefe neuen fogenannten anakreontifchen Wellen erregte und bedeutende Wir- kungen hervorbrachte. Er fagt: Pope in feinem Verfuch iiber den Menfchen verdeckt unter angenehmen Blumen ein gefahrhches Gift. Seine Abficht geht dahin, dem natiirUchen Triebe oder Inflin6le das Wort zu reden. Und der allgemeine Satz, das Alles, was ifl, gut fei, flreitet fowohl mit der Vernunft als mit der Offenbarung. «Was ifl, ifl gut!» Der Gegenfatz jener dogmatifchen Lehre, dafs das Irdifche von Uebel fei. Eine immer wiederkehrende Zuflucht fiir lebensfreudige Sceptiker, von der aus man in Ehrfurcht vor der waltenden Macht feinen fchuldigen Tribut bringt und alien weiteren dogmatifchen Forderungen und unbequemen Geboten ein Schnippchen Hagedom. 4'?0 fchlagen kann — damit aber audi ein von Zeit zu Zeit nothiger Regulator derfelben. Der Trieb nach einer fchonen, freien unverketzerten Menfchlich- keit erwachte flarker; man fand die Vorbilder einer fchonen Natiir- lichkeit jetzt mit richtigerem Verflandnifs am freieften bei den Grie- chen; einmal in diefer Stromung nach dem Menfchlich-Natiirlichen mufste iiberhaupt der griechifche Einflufs in Philofophie und Literatur iiber die Horaz, Virgil, Seneca, Cicero u. f. w. fiegen und wieder gegen die echte Renaifiance hindrangen. Hagedom ward ein Fiihrer, doch blieb er felbfl, ahnlich wie fein Bruder in der bildenden Kunfl, noch in jener manierillifch- claffifchen Stimmung der Chaulieu und Pope. Es gelang Hagedorn, feinem oben genannten Princip in der Lyrik nachzukommen. Er ifl darin gedrangt; feine Sprache rhythmifch und melodies. Form und Inhalt fmd zufammen geworden; der Inhalt ifl nicht ein in Verfe iiberfetzter Gedanke. Tiefe Leidenfchaft hat er audi in der Lyrik nicht; das Anmuthige und Heitere und Fran- zdfifch-Epigrammatifche herrfcht. Im leichten Spott iiber den Welt- lauf, im keckeren oder zarteren Sang von der Liebe, im Preis des Weines, der Gefelligkeit, der Freude*), im Vergniigen an der Natur- fchonheit, fiir die er ein feines fmniges Auge und die Frifche eng- lifcher Dichter hat, im Lob der Ungebundenheit, deretvvegen er fchon die Zigeuner befmgt, in Allem zeigt er die gleiche heitere Meillerfchaft. Manchmal wird man unwillkiirlich an Beranger erinnert — ein Zeug- nifs, wie treu fich im franzofifchen Volke jene Lyrik als national er- halten, die Hagedorn mit ihrer Lufligkeit, Leichtigkeit und ihren Schlagwortern des Refrains vom Anfang des vorigen Jahrhunderts aus Frankreich bei uns einfiihrte. Hagedorn ifl gefiihlvoll, doch hat er noch keine Spur von der Sentimentalitat der nachfolgenden Epoche. Auch fein geftihlvollfles Gedicht, die in der Krankheit gedichtete Ode an den Schlaf hat zum Schlufs noch eine fcherzend - riihrende Wendung.**) *) Der Cultus der Frende beginnt jetzt. „Freiide, Gdttin edler Herzen'', hebt die Ode bei Ilagedoni an. Bei Uz kommen hohere Accorde in dem Hym- nus: „Freude, Konigin der Weifen, die mit Blumen um ihr Haupt" u. f. w. Schillers Hymne macht den Abfchlufs : „Freude fchoner Gdtterfunken". **) Egmont-Hagedorn konnte man fagen : Wo bin du hin, du Trofter in Befchwerde, Mein giildner Schlaf? 440 Hagedorn. Haller fafste (Haller und Hagedorn gegeneinander verglichen) Hagedorn's Verdienfle folgendermaafsen zufammen: «Die Frohlichkeit und Kenntnifs der Welt breitet liber alle Gedichte, auch liber die Lehrgedichte meines Freundes eine Heiterkeit aus, wodurch er fich dem Horaz nahert und den Boileau ubertriftt. Mit dem Pope hat er eine grofse Aehnlichkeit in der feinen Auspolirung der Verfe, worin wenige, auch feit unferen Zeiten, es Hagedorn nachgethan haben. Dem Horaz kam er in der lachehiden Ironie, in der un- fchuldigen Schalkhaftigkeit der Satyre und in der Kenntnifs des gefellfchaftlichen Menfchen nahe. Noch jetzt finde ich nichts, das der Gllickfehgkeit und dem Freunde vorzuziehen fei. Hagedorn fchrieb rein wie Boileau und fcharffinnig wie Horaz. » Von den Streitigkeiten Gottfched's und der Schweizer hielt fich Hagedorn gleich Haller fern. Er entfchuldigte fich damit, dafs er kein Gelehrter fei und daflir die beruhigende Erlaubnifs habe, bei den Spaltungen und Fehden der Gelehrfamkeit nichts zu entfcheiden. Hallers Worte kennzeichnen genug: Er war der waffrigen Dichtung nicht glinflig und lebte mit Bodmer in Freundfchaft. Der neue Schwung, der in den hexametrifchen Verfuchen herrfchte, dauchte ihm eine Neuerung, wie er Hallern oft verworren und gezwungen vorkam. Er blieb beim Reim und fchatzte das Lehrgedicht, in welchem eins An dem ich fonft die Grofseflen der Erde Wait iibertraf. Du haft mich oft an Waffern und an Biifchen Sanft iibereilt, Und konntefl mich mit beffrer Raft erfrifchen, Als mir voritzt der weiche Pfiihl ertheilt. Er fchliefst nach einem Blick in die Ver'gangenheit , wo er hoffnungsreich, in Sorgen unerfahren, ohne Ehrfucht, fiir alle Welt, nur nicht fiir Phyllis todt, von Winden und Wellen eingewiegt, an den Ufem der Themfe, Saale und Elbe gefchlummert habe: Mein alter Freund, mein Schlaf erfcheine wieder! Wie wiinfch ich dich! Du Sohn der Nacht! o breite dein Gefieder Auch iiber mich! Verlafs dafiir den Wuchrer, ihn zu flrafen, Den Trug ergetzt, Hingegen lafs den wahren Codrus fchlafen, Der immer reimt und immer iiberfetzt. Hagedorn. Haller. aaj feiner Hauptmufler, Pope, den grofsten Ruhm erworben hatte, den er, der Mann der iilteren Zeiten gegen Klopflocks, fiir ihn iiber- fchwangliche Geflaltungen nicht einzutaufchen Luft. gehabt hatte. Das verfchwommene Odenwefen mit den modifchen Undeutlichkeiten pin- darifcher Nachahmung und der Wortverfetzung entzuckte ihn, den Zogling der Franzofen und Pope's ebenfowenig. Wufste er gleich das Verdienflliche der feit 1748 fich erhebenden Klopflockfchen Richtung zu fchatzen, fo bUeb er doch ruhig in feiner Sphare, in der er voile Befriedigung fiihlte. Sein Briefvvechfel zeigt ihn in literarifchem Privatverkehr in gleicher Liebenswiirdigkeit wie feine iibrigen Schriften, fefthaltend am Mittelmafs. So klagt er fchon 1741, dafs Leipziger und Schweizer fich gegenfeitig fo lacherlich machten; fie hatten beide ihre Verdienfle und keiner habe allein Recht. Fiir Glover's Leonidas ifl er fehr eingenommen. «Den Petrarch, Taffo, Marino habe ich vorlangfl gelefen, ja fogar den Ariofl. Aber nicht nur Pope, fondern fchon Boileau haben mir einen Ekel wider jene erweckt, weil ich in ihnen mehr Figuren als Natur angetroffen habe. » Der echte Kritiker diefer Aufklarung! Li vielfachem Gegenfatz zu ihm fland und wirkte fein Zeit- und Altersgenoffe Albrecht von Haller^) (1708 — -1777). Der merkwurdige Mann hatte als Knabe fich an Lohenfleins Dichtung entziindet; dann hatte Brockes ihn eingenommen. In jenem, wie in diefem, dort hinter allem Bombafl und der unnaturlichen Gefchrobenheit, hier zwifchen den breiten Ausmalereien konnte er einen Zug in's Grofse finden, der ihm eigenthiimlich war. Nach- ahmend fchrieb er eine Unzahl von Gedichten, die er aber, bis auf wenige, in demfelben Jahre, wo Hagedorn feine Erfllinge herausgab, *) Albrecht Haller, geb. 1708 zu Bern, als Knabe ein friih reger, wenig verftandener Geifl, verlor im dreizehnten Jahre feinen Vater, erwarb fich fchon als liingling die mannigfachflen Kenntniffe. 1723 ging er als Student der Medicin nach Tubingen, 1725 nach Leyden, ward 1727 zum Doctor promovirt, befuchte London und Paris, fludirte dann weiter in Bafel. 1728 machte er zu botanifchen Studien mit Joh. Gefsner eine grofse Alpenreife. 1729 liefs er fich als Arzt in Bern nieder, von wo er 1736 als Profeffor der Arzneikunde, Anatomic und Botanik nach Gottingen berufen ward. Bald errang er in feinen Wiffenfchaften europaifche Beriihmtheit. 1749 ward er geadelt. 1753 kehrte er als Amman nach Bern zu- rtlck, wo er als Staatsmann bis an fein Lebensende 1777 wirkte. 442 Haller. verbrannte: Hirtenlieder, Tragodien, epifche Gedichte und was es war. Als holies Vorbild — fagt er in «Haller und Hagedorn» — zumeifl in Virgil erblickt, fchwebte ihm vor eine Erhabenheit, die fich niemals herunterliefs, wie ein Adler in der oberen Luft fchwebte, eine Ausarbeitung, die an der Harmonic, an der Malerei, am Aus- druck nichts ungefeilt liefs. Er fand es nirgends ganz erreicht; er fiihlte feine Kraft ftir die voile Ausfiihrung felbfl ungeniigend, aber fchon, dafs er ein folches Ziel in feinen Traumen vor fich fah und danach flrebte, ward fiir unfere Dichtung von der hochften Bedeu- tung. Seine Reife nach England hatte auf ihn, wie auf Hagedorn den wichtigften Einflufs.*) In der Philofophie, Naturwiffenfchaft (Newton -{- 1727) und Lite ratur mufste der freie und glanzende Geifl Englands in gleicher Weife auf den begabten Jiingling wirken. In Bezug auf die Literatur fagt er von fich und Hagedorn: «Wir fuhlten, dafs man in wenigen Wortern weit mehr fagen konnte, als man in Deutfchland bisher gefagt hatte; wir fah en, dafs philofophifche Be- griffe und Anmerkungen fich reimen liefsen und flrebten beide nach einer Starke, dazu wir noch keine Urbilder gehabt hatten. » Fiir den leichten frohfinnigen Epicuraismus zu ernfl ftrebend und zu tief angelegt, in diefer ernflen Anlage durch feinen Beruf als Arzt noch befonders an die Leiden diefes Lebens gemahnt, warf fich Haller voll Unruhe auf Probleme, wie fie feit Leibnitz, feit Locke und Shaftesbury die Gemiither audi in weiteren Kreifen nach den verfchiedenflen Seiten in Spannung erhielten. Man kann diefe Fragen nach Gliick, Leiden, Gerechtigkeit des Schickfals kurz als die nach der beflen Welt bezeichnen. Die Eng- liinder (Toland, Mandeville u. A.) iiberboten an Sceptik und voll- faftiger Riickfichtslofigkeit noch die Franzofen. Haller nennt die Profefforen Stahelin und Drollinger, die ihn wahrend feines Aufent- haltes in Bafel zu eineiii Wettkampf gereizt hatten iiiit den englifchen Dichtern, von denen er «die Liebe zuiii Denken und den Vorzug der fchweren Dichtkunfl angenommen» hatte. Die philofophifchen Dichter, fagt er, deren Grofse ich bewunderte, verdrangen bald bei mir das Geblahte und aufgedunfene Wefen des Lohenfleins, der auf Metaphoren, wie auf leichten Blafen fchwimmt. "") Sein Ziel ward leere *) 1726 ging auch der aus der Baflille gefliichtete Voltaire nach England und ftudirte drei Jahre lang englifche Literatur und Philofophie. *) Vorrede zur vierten Auflage der Gedichte. Haller. 443 Zeilen unnachfichtlich zu verbannen. « Ein Dichter mufs Bilder, leb- hafte Figuren, kurze Spriiche, llarke Ziige und unerwartete Anmer- kungen auf einander hitufen, oder gewartig fein, dafs man ihn weg- legt. » So fehen wir audi bei Haller die Englander, befonders Pope als Vorbild. Sein Stolz war in der erden Auflage feiner Gedichte, dafs er die ^^'elt nicht mit Vielem befchwere, gleichwohl etliche ^Vahrheiten fage imd daneben nichts Unreines noch Anziigliches in feine Feder habe kommen laffen. Im Jahre 1732 trat er mit feinen Gedichten in .die Oefifentlichkeit — die wichtigflen find alle vor dem dreifsigften Jahre gefchrieben — , Weniges aber fo Ungewohnliches , Gevvichtiges, Grofses bietend, dafs er fiir den Kenner augenblicklich aus dem Schwarm wie ein Pha- nomen hervorragte. Mit feinem Ruhm als Gelehrter mehrte fich natiirlich der Einflufs und Ruhm feiner Poefie. Eine geiflige Kraft und Klihnheit, eine leidenfchaftliche Energie, INIacht der Schilderung und Gedriingtheit der Sprache zeigten fich darin, wie man in diefer Weife noch nicht kannte. Das Gedanken- hafte trat allerdings zu fehr vor; Haller lehrte und fchulmeiflerte nicht, er gab mehr leidenfchaftliche Reflexionen und Selbftgefpriiche und betrat dadurch das Gebiet der Dichtung, aber es drang nicht zu der poetifchen Erkenntnifs durch, die dem trocknen Gottfched hinfichtlich des Lehrgedichts klar ward, dafs diefem eine Fabel im ArifLotelifchen Sinn, d. h. eine nach Anfang, Mitte und Ende entfprechende Handlung fehle, dafs es diefelbe nothig habe, um fich felbflandig als Dichtung loszulofen. Haller hatte wohl ein Gefiihl dafiir, blieb aber auf halbem Wage flehen. Sein Bemiihen ward bis Schiller mafsgebend. Wie lange hat felbil diefer, fein grofser dichterifcher Nachfolger auf diefem Gebiete, fich ahnlich in der philofophifchen Dichtung abgerungen und demfelben das nur Mogliche abgezwungen, bis er durch Gothe zur reiferen Einficht kami — Hatte Haller fchon fich von den Fehlern der Ideendichtung freier machen konnen, wie hatte er dann gegen Klopflocks Schwachen ein Gegengewicht zu leiften vermochtl Dreifsig und einige Gedichte find es im Ganzen, die Haller in feine Sammlung aufgenommen hat: ein diinnes Bandchen. Ein be- fchreibendes Gedicht, mehrere philofophifche und fatirifche, einige Ge- legenheitsgedichte, einige Oden und etliche Cantaten bilden den Inhalt. A AA Haller's Alpen. Das beriihrntefle Gedicht ifl das befchreibende «die Alpen »*), welches den Dichter neben die beflen fremden Dichter flellte. Ein Werk, wiirdig feines Ruhnis, innerhalb der Hallerfchen Eigenthiim- lichkeit ■ — die fachfifchen Sprachrichter batten natiirlich an feinem Schweizerdeutfch viel auszufetzen — trefflich in der Form, der Inhalt von hochfler Bedeutung. Man vermuthet gewohnlich darin eine Be- fchreibung des Hochgebirges, eine landfchaftliche Malerei. Diefe tritt aber zuriick gegen die Schilderung des Volkslebens; nur gegen Schlufs driingt fie fich flark und nicht zum Vortheil fiir die einheitliclie Ge- flaltung ein. In der Hauptfache ifl mit richtigem Geflihl ein ficherer Verlauf angeflrebt, wodurch das Gedicht, jenen fchildernden Theil ausgenommen, fo viel Einheit bekommt. Der Dichter halt einer iippigen, aber nicht gliicklich machenden Uebercultur die Sitteneinfalt und Zufriedenheit der goldnen Zeit vor und weifl diefe im Alpenvolk als vorhanden. Wie es arm, thatig, kraftig, heiter, naturgemafs lebt, das wird Gegenfland feiner Betrachtung. Er fchildert uns deffen Leben nach Arbeit und Freuden; die Spiele der flarken Manner, Steinflofs, Ringkampf, Schiitzenfreude, Reigentanz, alle die Freuden der fogenannten Bergfefle leiten ein. Eine gliihende Schilderung der naturgemafs fich aufsernden Liebe der fchonen, bliihenden Junglinge und Jungfrauen fchliefst fich daran — in feuriger Zartlichkeit und kraftigem Ausdruck hochfl revolutionar gegen die beflehenden An- fchauungen und Gebote und gegen den Zwang, wo Gunfl fiir Geld erheirathet wird, Ehrfucht, Staatsfucht herrfcht, wo man nicht fiir fich, fondern fiir die Vater liebt, wo falfche Zucht die fiifseften Regungen feffelt und den Afifen der wahren Keufchheit der Hochmuth Qual macht. — Nun bekommen wir die Anfchauung von der Arbeit des Volks: Der Auszug auf die Almen, die Thatigkeit des Hirtenlebens, die Mahezeit, Herbflfreuden, Riickkehr in's Thai, die Ergdtzungen des Winters, wie ein Wetterkundiger feine Erfahrungen mittheilt, die Jugend *) Neunundvierzig Strophen zu zehn Verfen, gedichtet 1729, alfo mit ein- undzwanzig Jahren nach den Eindriicken der grofsen Alpenreife, die er das Jahr vorher zu botanifchen Studien gemacht hatte. Bemerkenswerth ift aus der Vorrede fiir die Technik: Die zehnfdbigen Strophen, die ich brauchte, zvvangen mich fo viel befondere Gemalde zu machen, als ihrer felbfl waren und allemal einen ganzen Vorwurf mit zehn Linien zu befchliefsen. Die Gewohnheit neuerer Zeiten, dafs die Starke der Gedanken in der Strophe allemal gegen das Ende fleigen mufs, machte mir die Arbeit noch fchwerer. Haller's Alpen. aa c ihre fchlichten, aber liebeheifsen Lieder dichtet und fmgt, ein Greis von Schlachten erzahlt, ein andrer, ein lebendiges Gefetz, der Freiheit Werth, den Nutzen der Giitergleichheit, den Druck der Despotic, die That eines Tell*), den Werth der Eintracht lehrt, ein Dritter die Krafte der Schweizer - Natur und ihre Schonheit erklart. (Hieran kniipft der Dichter die Schilderungen aus Gebirg und Flora, in rich- tiger Verbindung, aber oft zu breit malend.) Seht ein folches Volk, ruft er, verblendete Sterbliche! Ihr darbt und forgt bei all' euer Pracht. Jenes lacht bei Miih und Arbeit. Bosheit, Verrath und Lafler wohnen in den grofsen Stadten; Neid, Eigennutz herrfchen; ein wilder Fiirfl fpielt mit feiner Diener Riimpfen, fein Purpur von lauem Biirgerblut gefarbt. Dort bei dem Volk der Berge und Thaler wohnt das Gliick, waltet die Natur und herrfcht der Seelenfriede! Auf die Wucht folcher Ideen und Theorien, die dichterifch zu Allen getragen und verflandlich gemacht waren, des Naheren ein- zugehen ifl nicht nothig. Es waren grofse Ideen, es war die neue Lehre, welche in dem Jahrhundert fiegen follte: im Ganzen einfach aber in der grofsten Beflimmtheit, in kurzen, kraftigen Ziigen, gefund, feurig ausgefprochen, noch frei von der kommenden Sentimentalitat und den Verirrungen und Verwirrungen, wie wir fie zu hochfl und am gewaltigflen wirkend bei Hallers fchweizerifchem Landsmann, dem Biirger von Genf, J. J. Rouffeau**) ausgebildet fehen. Die Fehler von Lohenflein und Brockes fmd in den Alpen noch nicht ganz getilgt, befagen aber nicht viel gegen die Vorziige. Lohen- ileins Einflufs, auf den Haller felbfl hinweifl, zeigt fich noch befon- ders in der Verwendung der fchmiickenden und erklarenden Beiworter, in denen er oft des Guten zu viel thut. Die Ausmalerei eines Brockes *) In fpateren Auflagen: Lehrt wie die feige Welt in's Joch den Nacken (Ireckel, Wie eitler Ftirften Pracht das Mark der Lander frifst, Wie Tell mit kiihnem Muth das harte Joch zertreten, Das Joch das heute noch Europens Halfte tragt Wie um uns alles darbt und hungert in den Ketten, Und Welfchlands Paradies nur nackte Bettler hegt. **■) Haller's fpatere Kritiken iiber J. J. Rouffeau mogen unter den kurzen die beflen fein. AaO Haller's Alpen. tritt nur flellenweife ubermafsig vor. Die Hauptverfe geben echte poetifche Anfchauungen in der knappflen Form*}. Man hat darauf hingewiefen, dafs die Idyllendichtung durch die Alpen neuen Anflofs bekommen. Aber mehr hat diefe characteri- firende, auf Realitat beruhende Schilderung und das Gefiihl fur das Volksleben niit feiner I,iebe und Einficht gewirkt; einen Juflus Mofer und deffen Patriotifchen Phantafien war hier fchon das Vorbild ge- geben. Nichts von dem oberflachHch-fchnellen Urtheil und Stab- brechen iiber eigenthiimUche Sitten oder kurzweg fogenannte Unfitten in dem Gedicht: das Gegentheil. Sitte, die mit der Natur als flimmend angefchaut wird, wird gegen flache Verachter und gegen Morahften erhoben und das NaturevangeHum , je nachdem, bald mit Trotz, bald zartlich, immer feurig gepredigt. Der Verfuch, grofs- artige Naturfchonheiten**) in vvenigen grofsen Linien vviederzugeben, die Originalitat der Behandlung nach der Hauptfache, die dichterifche Grofse, der Republicaner-Stolz eines Mannes, der in Wahrheit auf fein Volk flolz zu fein das Recht hatte — alles dies macht die Alpen zu einem der wichtigflen Gedichte in unferer Literatur. Hier war wenig Phrafe, eine Ftille von Geifl und Character mit energifch uberflromen- der Wirkung, fobald man fich ihm hingab. Die Tiefen und die Fernfichten vvaren gewaltig; die Anregungen deshalb fo grofs; um fo kiirzer der Dichter, um fo mehr zwang er zur Selbflthatigkeit. *) Gemsjagd z. B. fchildern die Verfe : Sobald der Himmel grant und fich die Nebel fetzen, Schallt fchon des Jagers Horn und ruft dem Felfenkind: Da fetzt ein fchiichtern Gems befliigelt durch den Schrecken Durch den entfernten Raum gefpaltner Felfen fort: Dort kiirzt ein mordrifch Blei den Lauf von fchnellen Bocken. . . . ■-•■*) Schilderung des beriihmten Staubbachs, liber vvelchen viel kritifcher Larm gemacht wurde: Der dick-befchaumte Flufs dringt durch der Felfen Ritzen Und fchiefst mit jaher Kraft weit iiber ihren Wall: Das diinne Waffer theilt des tiefen Falles Eile, In der verdickten Luft fchwebt ein bewegtes Grau, Ein Regenbogen ftrahlt durch die zerftaubten Theile, Und das entfernte Thai trinkt ein beflandig Thau. Ein Wandrer fieht erftaunt im Himmel Strome fliefsen, Die aus den Wolken fliehn und fich in Wolken giefsen. Haller: Satire, Lehrgedicht. 447 Die fogenannten moralifchen Gedichte hob Haller's leidenfchaft- licher, grofser Geill gleichfalls weit iiber das Niveau zu philofophi- fchen Gedichten. Seine Satiren, wie feine ethifchen Betrachtungen iiberhaupt, batten einen Stil, den auch der Stumpfe bald von der gewohnten Weisheit und Ironie und Satire der meiflen Nebenbuhler unterfcheiden mufste. Es war vveder die horazifche fpottifche Ge- miithlichkeit und halb blafirte, vornehme Gelaffenheit, noch jene breite poetifche Lehr-, Strafrednerei und Schimpferei, welche die Kanzelmoral, Horaz und Juvenal zu vereinen fuchte. Sein Auffchwung war grandios, fo hoch, wie fein Jammer, feine Zweifel in die Tiefe gingen, feine Satire bitter ernfl; man fand gleich mehr den Juvenal als den Horaz darin. In Allem fchlug das Feuer eines innerlich fich in verzehrender Leidenfchaft abkampfenden grofsen Geifles fengend vor. Man merkte die vulcanifche, leicht gefahrliche Natur, und die Mittelmafsigkeit fchaarte fich unwillkiihrlich gegen ihn, wie er diefes auch im aufseren Leben als Arzt in Bern zu empfinden hatte, wo er fich Jahre lang vergebens um eine Anflellung bemiihte. Die Rechtglaubigkeit fchiittelte den Kopf iiber einen Dichter, der fo Aberglauben und Unglauben befprach und ausrief: Genug, es ift ein Gott! es ruft es die Natur — ; felbft die Halbphilofophen bekamen Herzklopfen iiber die Ktihnheit, womit er die menfchlichen Schwachen und Schaden aufdeckte, und felbfl fie, gefchvveige die Menge, wurden fcheu und fiihlten fich doch nicht ganz wohl, wenn er Gott apoflrophirte, wie z. B. in dem Gedicht iiber den Urfprung des Uebels. *) *) Das Gedicht ift auch aufserhch wichtig, weil Haller eine aufsere An- lehnung zu geben fucht, die Schiller im Spaziergang ausfiihrlicher gab. Der Dichter iiberfchaut in grofsartigem landfchaftHchen Umblick feine Heimath, von den blauen Schatten des Juras bis zu des Wetterhornes nie beflogenem Gipfel. Er fchildert die idyllifche Landfchaft vor fich; dann Sonnenuntergang; nachdem die Dammerung hereingebrochen , fenken fich auch Schatten iiber feine Seele. Er fieht die innere Welt, der Holle gleich, wo Qual und Lafler herrfchen, vol! nagender Begierden, falfcher Hoffnung, eingebildeter Ruh und wahrer Schmerzen ; auf der Liifle wilder See fchwankt der Nachen; umfonft halt Vernunft das fchwache Steuer. Ein Leben in Feindfchaft mit Gott, dann Tod, mit welcher Ausficht in welche Schrecken? Ein Fluch gegen Menfchfein bricht aus dem Menfchen. Was hat Gott gewoUt, der Giite, Gnade, Langmuth ift? deffen Rathfchlufs aber niemand erkennen kann ? O Vater! Rach und Hafs find fern von deinem Herzen, Du haft nicht Lufl an Qual, noch Freud an unfren Schmerzen, 448 Haller. Gofs Haller auch poetifch nach den Zweifeln Oel auf |die Sturm- wogen, fo kam doch die Beruhigung nicht in Betracht gegen die Erregung und die Erfchiitterung. Das ttunvollkommene Gedicht iiber die E\vigkeit» gehort zum Erhabenflen in unferer Dichtung. Der Anfang deffelben, wie der Dichter in den hohlen Felfen wandert, wo im Geflrauch verirrt ein trauriges Gefchwarm einfamer Vogel fchwirret, wo matte Bache in dlirren Angern fliefsen und den verlorenen Strom in ode Siimpfe giefsen, wo das erflorbene Gefild, die GraufenvoUen Griinde ein Bild der Ewigkeit geben, wo der Schatten des Freundes vor den Sinnen fchwebt, ihn felbfl aber die Ewigkeit mit flarken Armen fefl- halt — wer merkt nicht, welchen jiingeren Dichter dies fpater befeuert hat ! Die nun folgende Schilderung der Ewigkeit und des unendlichen Weltraumes und Gottes Grofse klang bis iiber Tiedge's Urania hinaus nach. Wenn doch nur unfere jetzigen jungen Dichter an folchen Vorbildern ihre Phantafie liben wollten ! Was Klopflock und Schiller fo grofsen Nutzen gebracht, wiirde ihnen gewifslich nicht fchaden. Haller's lyrifche Gedichte, fo wenig fie voile lyrifche Freiheit gewannen, und fo fehr fie auch in der Reflexion gebunden blieben, iibten in ihrer Art eine ahnliche Wirkung. Es find ihrer wenige. Die beriihmtellen jenes die Liebesgluth fchildernde: Doris (1730) und die Trauerode^) beim Abflerben feiner geliebten Mariane (1736). Wie viel Flammen haben fich an dem Feuer in Doris entziindet! Wie viel Seufzer haben denen in der Klage iiber Mariane mit Worten Du fchufefl nicht aus Zorn, die Giite war der Grund, Weswegen eine Welt vor nichts den Vorzug fund. Du warefl nicht allein, dem du Vergniigen gonntefl, Du hiefsefl Wefen fein, die du beghicken konnteft, Und deine Seligkeit, die aus dir felber fliefst, Schien dir noch feliger, fobald fie fich ergiefst. Wie dafs, o Heiliger! du dann die Welt erwahlet, Die ewig fiindiget und ewig wird gequalet ? War kein voUkommner Rifs im gottlichen Begriff, Dem der Gefchopfe Gliick nicht auch entgegen lief? Doch wo gerath ich bin? wo werd ich hingeriffen, Gott fordert ja von uns zu thun und nicht zu wiffen .... Dichtungen im Geifte Schopenhauer's waren, wie man fieht, nicht ganz neu. *) Schiller: iiber naive und fentimentalifche Dichtung. Es ifl Schade, dafs Schiller fo kurz iiber Haller ifl, deffen Anregungen er fehr viel verdankt. Haller. Lyrik. 449 nachzuringen fich bemiiht! Doris wurde zu einer Art Manifefl der feurigeren Liebhaber. *) Man lernte daraus Gluthen der Liebe, die man fonfl gewohnlich nur neckifch oder das zarte Gefiihl verletzend dargeflellt hatte, durch Leidenfchaft adeln. Haller konnte feiner ganzen Natur nach nicht fo popular werden wie etwa Hagedorn. Nicht fiir die Maffe, aber fiir die Auserlefeneren ward er fo wichtig ; fo wenig er verhaltnifsmafsig der Quantitat nach gab, fo fchwerwiegend war die Qualitat. Die Grofse und Kuhnheit der Ideen, die Leidenfchaftlichkeit und Kiirze des Ausdrucks, die Beflimmtheit und Sicherheit die uberall einen aufserordentlichen Geift verrath, die Art und Weife feine Empfindungen auszufprechen — Alles dies gab den feurigeren poetifchen Gemlithern und den Grofse liebenden Geiflern nachhaltigflen Anflofs. Er hob das morali- firende Gedicht zum philofophifchen ; er hatte Feuer, Kraft, Kuhnheit. Bei ihm zuerfl ifl jene Straff heit und an die An tike gemahnende Strenge in Anfchauung und Form, jene oft grofsartig republicanifche Strenge, die nun auch bei den deutfchen Dichtern durchbricht. Noch bei Schiller ifl der dire6le Einflufs Haller's mehr, als man gewohnlich annimmt, nachweisbar. **) *) In Weife : „die Poeten nach der Mode", dichtet Reimreich : Wenn du nur erftlich wirfl empfinden, Wie fchbn es ifl, fich zu verbinden, Und iiberhaupt die Liebe fei : So follfl du mir gewifslich fagen : Ach! warum ftrich in vor'gen Tagen Mir ohne fie die Zeit vorbei ! Henriette: Wie elend, wie glatt, wie kalt! Wenn ich einem Madchen an ihrer Stelle das hatte vorfagen wollen, wiffen Sie, wie ich es wiirde ausgedriickt haben? (Mit der aufserflen Zartlichkeit) O konnte dich ein Schatten riihren Der WoUufl, die zvvei Herzen fpiiren, Die fich einander zugedacht! Du fodertefl von dem Gefchicke Die langen Stunden felbft zuriicke, Die dein Herz miiffig zugebracht. Henriette verfpottet Reimreich, als diefer iiber den Vers in Entziicken aus- bricht und erzahlt ihm, dafs der Vers aus Haller's Doris fei. Vorher hat er iiber Haller gerufen : Fy! Eine Ode von dem Alpenriefen? Die mag fchon fein! Haben Sie denn noch nicht meine Satiren auf ihn gelefen? **) Manche Zuftrome der Schiller'fchen Dichtung fliefsen aus den grofs- artigen , durch ihre Rauhheit weniger gekannten Regionen des Alpenriefen. Der Lemckc, Gefchichte der deutfchen Dichtutig. 29 450 Haller (und Schiller). Mailer's unausgemiinzte Gedankenbarren konnten auf lange im Einzelnen Andern zum Ausmiinzen dienen und konnten es in manchen Beziehungen noch heute. (Seine Kritiken fiir die philofophifche und fchone Literatur von 1745 — 77 geben die intereffantefle Ausbeute zu feiner und der ganzen Zeit Beurtheilung.) junge Arzt war durch fein Studium auf den grofsen Arzt Haller hingewiefen. In einigen Fallen ifl die Anlehnung Schiller's iiberrafchend und wird zur Nach- dichtung, allerdings der fchonflen Art, durch welche der Gedanke erft vol! fchon in die kiinfllerifche Erfcheinung tritt. AIs Beifpiel wahle man Haller's Gedicht Aberglauben und Unglauben, beilaufig bemerkt, mit 21 Jahren gedichtet. Dort erhebt Haller den Verfland des Menfchen : Sein fliichtig Denken ifl kaum von der Welt umfchranket, Was nimmer moglich fchien, hat doch fein Witz voUbracht, Und durch die Stemen-Welt fich einen Weg erdacht. Dem majeflatfchen Gang von taufend neuen Sonnen Ifl lange vom Hugen die Rennbahn ausgefonnen, Er hat ihr Maafs beftimmt, den Korper umgefpannt, Die Fernen abgezahlt und ihren Kreis umrannt. Ein forfchender Colomb, Gebieter von dem Winde, Befegelt neue Meer, umfchifft der Erden Riinde: Ein andrer Himmel flrahlt mit fremden Stemen dort, Und Vogel fanden nie den Weg zu jenem Bort, Die fernen Granzen fmd vom Ocean umfchloffen. Was die Natur verbarg, hat Kuhnheit aufgefchloffen; Das Meer ifl feine Bahn, fein Fiihrer ifl ein Stein, Er fucht noch eine Welt und was er will, mufs fein. Ein neuer Prometheus befliehlt den Himmel wieder Zieht Blitz und Strahl aus Staub u. f w. Es folgen Newton's Berechnungen. In den philofophifchen Briefen Schiller's bringt Julius in genauer Reihenfolge : die Berechnungen des Cometen und des Eintritts des Planeten vor die Sonnen- fcheibe, dann Columbus, dann die Schliiffe der Mathematik auf die ver- borgene Phyfik. In dem herrlichen Columbus des gereiften Schillers heifst es : „Steure muthiger Segler, mag auch der Witz dich verhohnen." Der Stein als Fiihrer wird zum „leitenden Gott", das Weltmeer bleibt. Der grandiofe Gedanke: Er fucht noch eine Welt, und was er will mufs fein — heifst bei Schiller: „ War fie noch nicht, fie flieg jetzt aus den Fluthen empor." ,,Was die Natur verbarg, hat Kiihnheit aufgefchloffen", bei Haller, heifst bei Schiller: Mit dem Genius fleht die Natur in ewigem Bunde : Was der eine verfpricht, leiftet die andre gewifs. Jener Vers Haller's ifl das Gegenftiick zu feinem : „Ins Innre der Natur dringt kein erfchaffner Geift", deffen Nachplappern Gothe fo argerte. Haller. 451 Grade bei diefem fo gewaltigen und eigentliiimlichen Geifl mochte die Hinweifung wieder am Platze fein, wie die Romantiker uns jencr Zeit mehr als billig ifl, entfremdet und wie fie die Aufklariingsperiode in formlichen Mifscredit gebracht haben, die doch unfre grofsten Mufiker, Staatsmiinner, Philofophen, Dichter theils hatte, theils erzeugte und heranbilden half. Das rechte Verflandnifs fur viele Beurtheiler in unferer Zeit beginnt erfl mit der ausgebildeten deutfchen Sentimentalitatsperiode, woran fich dann die weiteren geifligen Stro- mungen fchliefsen. Man kann verfichert fein, dafs die Wenigflen einen Mann wie Friedrich d. Or. und feine eigentlichen Zeitgenoffen — alle die grofsen Aufklarer des 18. Jahrhunderts, auch Staats- manner wie den grofsen Pitt eingerechnet — pfychologifch richtig aus der Zeit heraus beurtheilen und die Kraft und Sicherheit und den Stolz jener Zeit nachzuempfinden wiffen. Haller's fonfligen Chara6ler zu fchildern liegt hier fern. Seine inneren Kampfe, die mit einer angfllichen hypochondren Recht- glaubigkeit und einer unerquicklichen Unterwlirfigkeit vor feinem gefUrchteten Gott endeten, feine Fehler als Menfch im Allgemeinen oder als Politiker wiirden uns zu weit fiihren. Nachdem er alle Zweifel feiner Epoche in der Jugend durch- gearbeitet hatte, klammerte er fich, in der aus feinem Tagebuch bekannten Weife, an den tiberlieferten Glauben. Es ill das in einer Beziehung nicht fo auffallig. Niemand mufste beffer als er, in feiner Zeit einer der grofsten Kenner der Natur, die Ktimmerlichkeit jener damals fchwunghaften Verfuche empfinden, Gott aus der fogenannten beflen Welt und deren Einrichtungen zu beweifen. Womit der Dilettan- tismus fich bewundernd erflillte, mit jenem Anflaunen, das wir bei Brockes fahen, das konnte diefem wiffenfchaftlichen Forfcher nicht geniigen, fomit nicht die Sehnfucht feines dichterifchen, alfo nach Befriedigung des Gefiihls und der Phantafie flrebenden Gemiiths flillen. Abflra6le philofophifche Satze eben fo wenig. So kam er in jenes un- gliickliche Schwanken des Glaubens, aus dem er durch Schroffheit fich zu retten fuchte und immer weiter nach der (Irengglaubigen Seite fluchtete. Zu jener harmonifchen Freiheit und freien Glaubigkeit, welche in Gothe's Iphigenie aufgeht, war eben noch nicht die Zeit gekommen. Haller kann iibrigens zum Reprafentanten jener Manner dienen, die in religiofer und politifch-focialer Beziehung confervativ, neben 29* At2 Haller: Lehrdichtung fpaterer Zeit. fo manchen neueren Richtungen und Wandlungen der Gemlither, bei dem, nun alt genannten Stil beharrten. In feinen letzten Lebensjahren nahm er noch einmal die Lehr- Dichtung und zwar in drei Gefchichten iiber Staatsformen und gate Regierung wieder auf. Er fchrieb, Fenelon und Montesquieu zu unterilutzen, Rouffeau's Verirrungen einzufchranken und deffen Fehler zu berichtigen. Einen fich felbfl befchrankenden Despoten fchilderte er in: Ufong, eine morgenlandifche Gefchichte (1772), wo er Xenophon fich zum Vorbild nimmt, aber aufser manchen Schwachen des Alters bei feinen Kriegsgefchichten noch den Fehler hat, dafs er eben kein Anfuhrer der Zehntaufend gewefen, fondern nur ein Gewaltiger im hohen Rath von Bern ill. Trocken genug wird erzahlt, wie Ufong, ein mongolifcher Prinz als Gefangener in China, als Reifender in Aegypten, Venedig, als Kampfer bei Scanderbeg, Sultan Murat und Arabern die Cultur \ind den Krieg der verfchiedenen Volker fludirt, fich zum Kaifer von Perfien auffchwingt und machtig herrfcht. In Alfred, Konig der Angelfachfen (1773) zeichnet er eine durch den Adel gemafsigte Monarchie. In Fabius und Cato, ein Stiick der romifchen Gefchichte (1774), bilden die Vorzuge der Ariftocratie fein Thema; wobei er in der Vorrede entfchuldigend bemerkt, dafs er in der Ariflocratie geboren fei. *) Der bedeutende Mann verleugnet fich ubrigens trotz Flarten und Schwachen und Einfeitigkeiten darin nicht. Manches konnte noch jetzt politifchen Schriftflellern Ausbeute oder Anregung geben. Haller's Gedichte waren fiir die Aelteren noch weit in die Klopftock'fche Zeit hinein die Mullerdichtungen der Anti-Gottfchedi- fchen Richtung, den Gottfchedianern unangenehm, die iiber feine rauhe Grofse klagten und denen das Vulcanifche feiner Natur nicht *} Mandeville's Lehre hat Haller in feinen philofophifchen Gedichten in leidenfchaftlichen Zweifeln ausgefprochen. Wie wenig er ihn iiberwunden hat, kann eine Kritik iiber des Herrn Car. de Chalotais Effai d'education nationale lehren (1764). Diefer klagt, dafs der gemeinfle Mann zu feinem und des Staats Schaden nur allzuviel Lefen und Schreiben leme, der bios feine Hande brauchen follte; in den Seehafen finde man fafl niemand mehr, der Schiffsjunge werden wolle. Haller fetzt in Klammer hinzu: „Wir kennen ein Land, wo die uniiberlegte Erhohung des niedrigflen Standes noch viel fchwerere Folgen hat" . . . Bekanntlich wagt man noch heut zu Tage, folchen erbarmlichen Egoismus zu predigen, deffen Bemiihungen immer fchrecklichere Ausbriiche des Egoismus der dadurch Betroffenen zur Folge haben werden. Haller. 453 zufagte. Einem geifligen Ordnungshandwerker und pedantifchen Logiker der Wolfifchen Schule, einem gewohnlichen, glatten Fran- zofirer mufste Haller's unruhige, aufwiihlende, im Stiirmifchen wie Zartlichen iibermafsig erfcheinende Natur widrig, die Genialitat feines Geifles argerlich-erfchreckend fein. Nicht bios fprachliche Harten, nicht bios ein Lohenfleinifcher Zug, den man haufig witterte, nicht bios feine Malerei, die man ihm vorwarf, erweckten den kritifchen Unmuth der niichternen Richtung, fondern in innerfler Seele war fein Wefen ihr antipathifch. Dire6le Nachdichter hatte er in feiner Art nicht viele, weil fie zu fchwer war und fich nicht behaglich in andere Verfe umdichten liefs. Nur die grofseren Geider konnten ihn recht verwerthen. Wer feinen Hauptfehler iiberwinden wollte, mufste grofse dichterifche Geflaltungs- kraft befitzen, um Ideen zu Fleifch und Bein zu bilden. Wenn wir von einer Fortleitung feines grofsen Stils fprechen konnen, fo miiffen wir Schiller nennen, der auf Haller's Wegen auszog und als Dichter vollendete, was Haller als dichterifcher Denker begonnen hatte, der das Lehrgedicht zur Poefie hob, der in feinen Raubern die philo- fophifchen Zweifel, die moralifchen Schauder der Haller'fchen Gedichte zu Geflalten verkorperte und in vielen Einzelheiten kiinfllerifch voll- endet hinflellte, was bei Haller nur im Umrifs angedeutet war. 5. Die Halle'sche Schule. (Horaz und Anakreon). Man fieht, dies ifl ein neues Gefchlecht, welches anders denkt und empfindet und Anderes erflrebt als das des vorigen Jahrhunderts. Die philofophifche Bevvegung hat durchgegriften; die alten Anfichten, in denen man fich angflhch befchrankte, haben neuen Speculationen oder Zvveifehi in den an der Spitze flehenden und zum Fortfchritt drangenden Kreifen Platz machen miiffen. Man ifl wieder wie in den entfprechenden antiken Zeiten auf der Suche nach dem fummum bonum und der fogenannte gefunde Menfchenverfland und die Logik werden als die einzigen Potenzen anerkannt, die drein zu reden haben. Wahrend die italienifchen und niederlandifchen Einfliiffe jetzt zuriicktreten, beginnen die englifchen Anfichten neben den franzofifchen flarker hervorzutreten und in mannigfachen Lebensbeziehungen die Fiihrung an fich zu reifsen. Frankreichs Geiil ill gegen die Mitte des Jahrhunderts perfonlich geworden in Voltaire: verllandesmafsige, fcharfe Reflexion, einfeitige Richtung, in vvelcher der Verfland liber Gefuhl und Character vor- wiegt, aber voU Begeillerung und Kiihnheit, wie nur innerfle Ueber- zeugung fie giebt. Die fceptifchen und eklektifchen Philofophien des Alterthums geben das hauptfachliche Material fur die neue, gern populare, raifonnirende Philofophie diefer Richtung. Stoicismus und Epicuraismus find von jeher in zerfahrenen, kritifch nach der Weisheit fiir die Lebensordhung fuchenden Zeiten die beliebten Philofophien gewefen. Wozu lebt man? Wodurch kann man dem Ungluck des Lebens trotzen? Wie kann man im Leben gliicklich fein? Die eine Antwort lautet: die Selbflfiihrung und Moral id das Hochfle des Menfchen. Sei tugendhaft! Lebe flreng nach der Tugendnorm. Die andere: unfern Zweck wiffen wir nicht; wir find Franzofifche unci englifche Bewegung. 455 auf Erden; Schmerz id. ein Uebel; geniefsen wir das Leben; das Weitere findet fich fpater, wenn es noch ein Weiteres giebt. Eine narrifche, ascetifche Tugendfucht und eine laxe und frivole heitere Genussfucht bilden die Extreme, jene mit Vorliebe fiir den rauhen Ausdruck, fiir die geringflen, einfachflen Bediirfniffe, diefe fiir den feineren, egoiflifch fich alle iibrigen Kriifte fiir den Genufs dienfl- bar machenden zufammengefetzten Culturzufland. Wichtig ifl dabei, dafs in Frankreich die ganze Bewegung in dem Ideenreiejie vor fich geht und dem realen Leben durchaus ent- riickt ifl, bis die fchreckliche Krifis gegen Ende des Jahrhunderts hereinbricht, wo die Theorien nun in's Leben gefiihrt werden foUen. Vorher fpinnt fich Alles in gefellfchaftlichen Cirkeln und in Biichern ab; die kiihnflen Grundfatze, welche Religion und Gefellfchaft und Staat umflofsen, andern viele Decennien hindurch kein Jota an den beflehenden Ordnungen der Kirche, der Gefellfchaft und des Staats in Frankreich. Grundverfchieden ifl. die grofse englifche Bewegung, welche Mitte des Jahrhunderts zu dem Auffchwung fiihrte, den der grofse altere Pitt (Chatam) reprafentirt. Es ward fchon friiher darauf hin- gewiefen, wie der Revolution, welche England religios und politifch fiegreich gegen die reactionaren Gewalten des 1 7. Jahrhunderts zeigte, zwar eine Reactionszeit unter Karl 11. folgte, wie aber bald unter Wilhelm III. die Gegenbewegung wieder eintrat, in welcher die gemafsigten liberalen Elemente die Herrfchaft gewannen. Die Mannigfaltigkeit der vereint wirkenden Gewalten machte England jetzt grofs und nach den verfchiedenflen Seiten hin zum Mufler. Man entbehrte nicht der neu franzofifchen (franzofifch-romi- fchen) Bewegung mit ihrem, wenn auch vielfach falfchen Idealismus in der Kunft. und ihrem Scepticismus in der Philofophie. Man behielt daneben einen characterifirenden Realismus in der Kunfl, und die echt englifche von Baco ausgehende fceptifch-realiflifche, naturwiffenfchaft- liche Methode in der Philofophie. Man theoretifirte, aber man hatte den realen Boden unter den Fiifsen, wo es Fragen des politifchen und rehgiofen Lebens gait, in denen die grofse Revolution nach- wirkte, wahrend in Frankreich noch Alles Karapfe waren, die aus- gefochten wurden auf dem Papiere, Theorien, die erft von der Zukunft Aenderungen hofften und als blofse Theorien auch meifl.ens radicaler auftraten, weil ihre Vertreter nicht durch Lebenserfahrungen fich 456 Franzofifche unci englifche Einfliiffe. genirt fuhlten. Neben der grofsten Freifinnigkeit Einzelner erhielt fich in den englifchen Mittelfchichten ein kraftiges religiofes Gefiihl, wel- ches fich in flets neuen Sectenbildungen Luft machte und der aus- fchliefslichen franzofifchen Verflandesherrfchaft das Gegengewicht hielt> tief auf Gemiith und Character wirkend und moralifchen Anfland, frei- lich auch Heuchelei begunfligend. Wo das Gefiihl nach Aufhoren der gewaltigen Ueberfpannung der Revolutionszeiten der religiofen Kampfe iiberdriiffig war und fich der neuen confeffionslofen Moralflromung naherte, da kam es in neuen Geflaltungen zum Vorfchein, die wir als die neue englifche Sentimentalitat zufammenfaffen: Geflihlsvirtuo- fitat im Seelenleben nach Schmerz, Trauer und Freude, in Moral und Naturempfindung. Thomfon, Richardfon, Young, die fpateren Sentimentaliflen und die Offianbegeiflerung hangen in diefer Beziehung mit einander zufammen. Diefe GefUhlsfreunde fiihrten gegen die franzofifche Verflandes- fchule und ihre raifonnirend-philofophirende Verflandesvirtuofitat den erfolgreichflen Krieg. Mit den englifchen Wochenfchriften hatte der directe englifche Einflufs auf die deutfche Literatur begonnen. Er wurde feitdem im- mer nachhaltiger. Der deutfche Mittelfland nahm feine Anlehnung an das germanifche Brudervolk, wahrend die hohere und hochfle Schicht im Ganzen dem franzofifchen Gefchmack getreu blieb. Die nachflen Schulen wiederholen, in freilich ziemlich verfchie- denen Formen, die fchon in Gottfched und Bodmer, Hagedorn und Haller vorgezeichneten Bewegungen. Es flellt fich natiirlich in Deutfchland Alles anders und ziem- lich fonderbar dar. Wenn die deutfchen filbernen Mittelmafsigkeiten, welche nun vor den grofseren Kraften auftraten, den franzofifchen Gentilhomme oder Petit-maitre nachzubilden unternahmen, fo gelang es durchgangig nicht brillant. Wenn fie den englifchen Schriftflellern folgten, fo hatten fie keine Anfchauung von deren popularen Lieb- lingen, von den derben, tiichtigen, vermogenden Land-Gentlemen voU Character und JoviaUtat, fondern hochflens von fleifen, durch Hof- wefen und Junkerflolz verfchlimmerten Adligen, von dem nicht glan- zend geflellten Beamtenthum und jetzt fehr zopfig gewordenen Biirger- fland und vor alien Dingen keine Ahnung von dem englifchen Freiheitsgefiihl und Stolz und der englifchen daraus entfpringenden Energie, die fich jetzt fo glanzend bethatigte. Halle gegen Leipzig. A^y Der grofse Haller war auf der richtigen Spur gewefen. Dann hatte man bis Klopflock, Leffing's Minna von Barnhelm und Juflus Mofer zu warten, bis man aus kerndeutfchem Holz bilden lernte. Jene Mittelforte fuchte am liebflen zu vereinen: Deutfches mit englifchem und franzofifchem Fortfchritt. Von Allem das Moralifche, Verftiindigfle ! Was dabei herauskam, lafst fich leicht denken. Betrachten wir zuerfl die franzofifche Stromung der neueren, Hagedorn fortfetzenden Richtung mit ihren Vor- und Nebenmannern. Das Eigenthiimlichfle ifl, dafs fie fich mit den Schweizern ver- biindet und gegen Gottfched wendet; die horazifche und anakreon- tifche Lyrik lehnt fich auf gegen den Schulineifler und feine Didactik, trotzdem fie felbfl mit ihm fehr haufig aus denfelben Quellen fchopft. Aber feine Pedanterie war zu arg gewefen. Und fo wurde es ein Kampf des heiteren lyrifchen Bluts gegen den Poeten von der Ver- flandeselle. Doch noch ein andres Moment tritt hiebei in Wirkfamkeit. Die deutfchen Gelehrten, fpeciell die claffifchen Philologen haben fich gleichfalls iiber das bios Formale und Kritifche vorwarts gearbeitet, und gehen auf den Geifl ihrer geHebten Schriftfleller ein. Der fran- zofifche auf das Feine und Elegante gerichtete Zug der Zeit wirkt hiebei mit. Die deutfchen Gelehrten erfaffen jetzt in rieuem Renaif- fancegefiihl archaologifch-aflhetifch das Alterthum, deffen Kunfl. eine befondere Aufmerkfamkeit auf fich zieht. Die Lehre von der Schon- heit wird fomit wichtig; Arifloteles, Horaz, QuinctiUan liefern das Vor- bild; die franzofifchen und englifchen Unterfuchungen im Gebiet der fchonen Literatur geben die Anregung; Wolf's Philofophie und Me- thode giebt die Stelle und die allgemeine Technik und fo entfleht der Neubau der deutfchen aflhetifchen Wiffenfchaft. Die philologifch-archaologifche Gelehrfamkeit und die Aeflhetik treten jetzt als zwei neue Machte in der deutfchen Literatur auf Sie haben fogleich beim Beginn des Gottfched - Schweizer Streites ihre jugendlichen Vertreter. Halle contra Leipzig lafst fich diefe nachfle Entwicklungsphafe nennen. Der Univerfitatsgeifl ward gewiffermafsen mitbetheiligt. Halle, die neue Univerfitat mit ihrem NeuerungsgeifL eines Thomafius, Wolf, Baumgarten und deffen Schiiler Meyer fland gegen Leipzig und die Anhanger von deffen gefeiertem Gottfched. Es waren die Whigs und Tories im deutfchen Hochfchulwefen. ACS I'yra und Lange. Studenten und junge Gelehrte fammeln fich zu poetifchen Schu- len, die fich nach Haller's und Hagedorn's Vorgang von den theo- retifchen Hauptkampfern loslofen und fich felbMndig ftellen. Eine Ahnung, ein Hauch eines kiinfllerifchen Geifles erwacht. Vom lebensvolleren antikifirenden Erfaffen geht man hier aus; man fleht mit der franzofifchen Schule infoweit vielfach auf dem- felben Boden. Man halt fich deshalb auch weniger an den die eng- lifche populare Richtung vertretenden Bodmer, als an den mehr franzdfifch-claffifchen Breitinger. Gottfched's Pedanterie aber wird verworfen. Zu den erflen von Gottfched fich losfagenden deutfchen Poeten gehorten Pyra und Lange. Jac. Imm. Pyra, der dann fo fchneidig gegen Gottfched vorging, veroffentlichte in feinem zweiundzwanzigften Jahre (1737) das Gedicht: « Der Tempel der wahren Dichtkunfl. Ein Gedicht in reimfreien Verfen von einem Mitglied der deutfchen Ge- fellfchaft. » In reimfreien Verfen! Alexandriner allerdings noch. Aber der Neuerer zeigte fich von vornherein. Es ifl eine feltfame Dich- tung, die uberrafchend anfangt, um im zweiten Gefang in's Mittel- mafsige der Ausmalung zu finken und dann immer tiefer zu fallen und fo unfaglich klaglich zu enden, wie die Werke der genielofeflen Zeitgenoffen. Pyra hatte ein Gefiihl von dem, was Noth that und dies Gefiihl gab ihm Schwung fiir den Anfang. Aber er hatte noch nichts weiter, keine Einficht, keine Ueberficht. Die falfche Theorie der Schilderei fiihrt ihn obendrein irre. Die ganze Anlage der Dich- tung ifl deshalb durch und durch verkehrt. Der Dichter fitzt Nachts, Davids grofsartige Poefie fmgend. Da erfcheint ihm die heilige Poefie; er erfchauert; fie reicht ihm die Hand und er fiihlt Muth. Er wandelt mit der Gottin fort. Die Hochzeitsdichter (die falfchen Phrafen- und Gelegenheitsdichter) rufen ihn und fuchen ihn zu verfuhren. Wenn er auch weifs, dafs er oft eher weinen als dichten wird, er hort nicht auf fie. Da fleht er vor einem Abgrund, graufenhaft, dafs er in Ohnmacht fallt. So weit der erfle Gefang. Die Poefie hat ihn in feiner Ohnmacht in ihr Phan- tafieland, in ein andres Paradies getragen! — Bis dahin ill AUes gedrangt, anfchaulich, wiirdig, phantafievoU. Nun beginnt die aus- fuhrende Malerei und Alles im Gedicht wendet fich zum Schlimmen. Der Dichter befchreibt die Gegend, fieht die Schloffer, wo Homer und Virgil wohnen u. f w.; kommt zum Strom der Vergeffenheit, der Pyra unci Lange. d^Q Kronen und Scepter rollt, kommt zum Tempel der Dichtkunfl, wird allegorifch, fieht eine Art Erfchaffung der Welt, Helden, die preufsi- fchen Ftirllen, zahlt Dichterromane auf, perfonificirt Ecloge, Ode, lYagodie, Epopoe u. f. w. Die Dichtung fingt die Dichter von Amrams Sohn bis Grieph und Rifl an, fie foUen nicht in klappern- den Reimen, fondern aus inniger grofser Seele fmgen. All' dies ill aber ganz fchvvach und lehrhaft. Auf folchen Wegen war eben abfolut Nichts zu erreichen. Weiter lernen wir Pyra kennen aus feinen und feines Freundes Lange Gedichten, welche Bodmer 1745 als Thirfis und Damons freund- fchaftliche Lieder herausgab. Lange als Damon zeigt hier fliefsende, fiir feine Zeit gute Mittelmafsigkeit, ungeheuer viel Selbflbewufstfein und Selbfllob, dann aber auch eine ihn ehrende Freundfchaft und Verehrung fiir den bedeutenderen, unglucklichen, arnien Freund. Das Todtenlied um Pyra ehrt den Geflorbenen und den Dichter, der fich bei air feiner Eitelkeit jenem fo merkwurdig unterordnet. Du vvarft arm, fagt er, weife, fleifsig, redlich, treu, Mufler der Freundfchaft, unerkannt von der Welt, treuefler Sohn, der hungrig feine Eltern nahrte — Bei Dir war nicht einmal der Schein Von Falfchheit, Leichtfinn oder Wanken, Ja nicht einmal nur in Gedanken. Du haft Dein Spiel auf Erden nie entweiht, Der Inhalt und die Art war ftets erhaben! Und grade in Gedichten, wie in der Einladung feines Thirfis zu Tifche: Die Stiirme lagern fich, die Luft wird warmer — oder im Lob: Ich lobe deine Kunft, noch mehr dein Herze, Riihm, was allein mich deiner wiirdig machet, Dafs ich dich fchatze — gewinnt man Lange, den man meiflens nur durch Leffing's Vademecum kennt, ganz gern, indem durch alien aufseren Versumhang fo viel wahres, tiefes Gefiihl hindurchdringt, dafs man rait ergriffen wird. Im Ganzen zeigen diefe Gedichte der Freunde den Anlauf zu fleterem, claffifchem Geifl, wenn auch noch nichts concentrirt und fchon gefafst ifl. Es ifl aber derfelbe Geifl, der in Winckelmann fich erhebt und fiir die bildende Kunfl durchbricht. Man will, aber kann noch nicht grofs, naiv, claffifch fein, wird vielfach gewohnlich. 4(50 Pyra und Lange. manchmal wohl klaglich. Aber befonders in Pyra bricht das Gute und Grofse oft wie ein heller Lichtflrahl hindurch. Ein grofser Geift, der Sternen Erb' und Sohn, Geniefst o Freund in ewig hellen Sphiiren Weit von der blinden Nacht der tiefen Welt Der heiligflen Tage. Pyra hat vvirkliche poetifche Begabung (mehr als z. B. Kleifl), eine ktinfllerifche Richtung im ganzen Wefen. Auch in Lange war etwas davon, doch verwafchener. Kritiklofigkeit und Bequemlichkeit und Eitelkeit fchadigten Lange dann immer mehr. Ungefucht kommt bei Pyra ofters poetifche Anfchauung und Wort; felbft die characte- riflifche Rauhheit verzeiht man ihm gegeniiber der nichtsfagenden Glatte feiner Gegner: Des Ungliicks Wolken zielin noch iiber meinem Haupt, Ich fitze traurig in dem Dunkeln. Nichts troflet mich als Gott und eure Gunft In meiner arm' und frommen Mutter Armen, Die mich durch ihren Schweifs ernahrt. . . . -'— — — vergefst mich nimmer. Was hab ich auf der Welt, als euch, das mich erfreut? Und lafst mein Unftern mich euch hier nicht mehr umarmen, So feufz ich nach der Ewigkeit, Ach Freund mit vvelcher Lufl werd ich euch dort umfangen!*) Samuel Gotthold Lange, wohlbeflallter Paflor in Laublingen, (171 1 — 1 781) genofs bis 1753 eines ungetriibten Anfehns Seitens der alteren Plallenfer Richtung. Er war kein Sucher und Streber wie Pyra, fondern ein leichteres oberflachliches Talent, unter feinen Freun- den und Genoffen aber als einer der erflen deutfchen Dichter bewun- dert. Er ward fiir fie der claffifche Poet, der neue Horaz, ein Mittel- punkt der Anti - Gottfchedianer in Norddeutfchland , Freund der Schweizer und der Hallifchen Aeflhetiker. Wie man ihn fiir einen Stern erfler Grofse hielt, erfehen wir fowohl aus den verfchiedenen Stellen in Leffmg's Vademecum, welches ihm' nicht bios den Lorbeer zerpfliickte, fondern in den Kehricht warf, wie befonders aus G. F. Meyers Aeflhetik (1748), worin Lange nach Haller am meiflen *) Pyra war fchwindfiichtig. Nach der damaligen Sage hatte er fich iiber eine Satire Schvvabe's gegen ihn zu Tode geargert. Er ftarb neunundzwanzig Jahre alt als Conrector in Berlin 1744. Lange und Frau. 46 1 als Mufter citirt wird. Auch Lange's Frau, Anna Dorothea geb. Gniigin Hand in dichterifchem Anfehn. Die Frau Paftorin hatte wenigflens einen richtigen Ta6l, wenn fie nach dem Grofsen und KraftvoUen in der Hallerfchen Dichtung flrebte; fie machte Verfuche grofser landfchaftlicher Schilderungen, fiihlte fich auch gleich ihrem Manne durch Friedrich's IT. fchlefifche Kriege zur Heldenode angeregt. In der Ode auf die Riickkehr in fein Land, fang fie: Natur, warum hafl du mich weiblich gebildet? O konnt ich doch mit flark und mannlichen Kraften Mein Blut fiir dich o Vater, Friedrich, verfpriitzen — Es thu' es mein Kind! Hart verfificirt, aber, wie man fieht, kraftig nach dem Gedanken, kurz im Ausdruck. Lange's Bundesgenoffenfchaft mit Profeffor Meyer war ein Vor- fpiel zu jenem fpateren Kreife von freien, aflhetifirenden, antikifiren- den und poetifirenden Gelehrten, der wie Lange unter den Streichen Leffing's fiel. War Gottfched der Pedant, fo war Lange der Dilettant. Er riihrte als folcher vielfach an Richtiges und poetifirte daran hin, brachte es aber nirgends zu Fertigem von bleibendem Werthe. Ge- wirkt hat er deshalb nur als Anreger. In der lebensvolleren poeti- fchen Erfaffung der Antike und dem Verfuch diefelbe getreuer wieder- zugeben und in der Verherrlichung Friedrich's 11. geht er voran und Gotz, Gleim, Ramler, Klopflock u. A. haben ihm in einer oder der andern Hinficht etwas zu danken. (Ein Gedicht Lange's an Fried- rich's Heer mahnt an Schiller's Schlacht.) Der Pallor von Laublingen fland auf einer Hohe des Ruhms, von der wir uns jetzt gemeiniglich wenig traumen laffen. Leffing felbfl. fchildert ihn uns im Beginn des Vademecums, durch welches er Lange's literarifche Bedeutung vernichtete. Er fagt, er habe Lange's Horaziiberfetzung in die Hand genommen, um iiberfchwangliche Schonheiten darin zu finden und jenen Poeten, der nach dem Urtheil der Zeit des Floraz Vorziige « untriiglichen Gefchmack und gllicklich kiihne Starke des Ausdrucks» in bewunderungswurdigem Grade in fich aufgenommen habe, der «im Rufe eines grofsen Dichters fland, dem es am erllen unter den Deutfchen gelungen fei, den oden Weg jcnes alten Unflerblichen, des Horaz, zu finden und ihn gllicklich genug zu betreten.* 462 Lange (unci Leffing). Jener Kampf, in welchem der junge Leffing feine fchreckliche Mata- dorfchaft zum erflen Mai bewies, fei hier nur kurz angefiihrt. Lange hatte den jungen, diirftigen, in iiblen Verhaltniffen fich abqualenden Magifler Leffing mit fattem Hochmuth behandelt, und ihn mit ehrenriihrigen Befchuldigungen niederzufchlagen gefucht, als diefer feine Horaziiberfetzung kritifirt hatte. Lange hielt fich fiir einen grofsen fatirifchen Streiter; er hatte fein Licht friiher gegen die Herrnhuter leuchten laffen und hohes Lob feiner Freunde geerntet; er wahnte nicht in dem als Federfuchfer, Plagiarius und kauflichen Literaten behandelten Leffing einen gefahrlichen Gegner gefunden zu haben. Diefer aber erhub fich in einer fo iiberlegenen Meiflerfchaft, dafs fortan die gelehrten Dichter und dichtenden Gelehrten ihres behag- lichen Producirens nicht mehr froh werden foUten. Das Vademecum (1754) fchlug Lange's poetifchem Rufe fo un- heilbare Wunden, dafs er fich davon nicht wieder erholen konnte. Seine fpateren Dichtungen hatten keine Bedeutung mehr. Andere waren ihm auf feinem bisherigen Hauptgebiete zuvorgekommen. Leffing hatte flreng kritifch Recht. Seine Schrift legte dem fich auch noch grofsartig fpreizenden dilettantifch-poetifchen Ueberfetzer- wefen auf dem deutfchen Parnafs das Handwerk. Sein Unrecht be- fland darin, dafs er keine Gnade, keine Riickficht auf fonflige Verdienfle kannte, wie er nun gegen Lange focht. Das Verdienfl Lange's lag anderswo, als in der philologifchen Genauigkeit, und noch hundert fchwere Schnitzer mehr hatten nichts daran geandert. Die Ueber- fetzung des Horaz war nach Inhalt und Form doch die befle deutfche jener Zeit, und keiner hatte wie Lange dem Publicum zu befferem Verflandnifs des Horazifchen Geifles die Wege gebahnt. Aber un- barmherzig fliefs Leffing den Gegner, ihn bei feinen Schwachen faffend, nieder. Lange hatte fich gegen ihn freilich fchmahlich benommen, und von diefem Gefichtspunkt aus war Leffing's vernichtende Ab- flrafung des eitlen Laublinger Paflors allerdings gerechtfertigt. Das damalige Publicum, welches Lange's Verdienfle im Auge hatte und fich um die, ihm wenigflens fo erfcheinenden Bagatellen der philo- logifchen Schnitzer, ob vertex mit Nacken oder Scheitel iiberfetzt fei u. f. w., wenig kiimmerte, fah feitdem fcheu auf Leffing als auf einen literarifchen Raufer gefahrlichfter Art. Beilaufig gefagt, war in Gottfched's Lager die Freude grofs, als man zwei Parthei-Feinde fich gegenfeitig angreifen fah; doch war fie Die Anakreontiker. 463 kurz. Der eine ging als ein fo fchrecklicher Sieger aus dem Kampfe hervor, dafs der alte Gegner nun um fo mehr von ihm zu furchten hatte. Lange, der Horazianer wurde fchon feit Mitte des funften Decen- niums in Schatten geflellt durch die freien Anakreontiker, durch eine Schule, in welcher die deutfche Jugend gleich in den erflen Regie- rungsjahren Friedrichs II. dem neuen Geifl einen heiteren Ausdruck verlieh. In dem durch die Kampfe der Wolfifchen Philofophen und der Pietiflen aufgeregten Halle entwickelte fich diefo Schule angeregt durch die aflhetifche Doctrin und die Lange-Pyrafche Vorfchule mit jugendlicher, frifcher, keeker, lachender Oppofition gegen den Pietis- mus. (Sam. Gotth. Lange war ein Sohn des beriihmten Pietiflen). Vier Studenten, Gleim aus dem Magdeburgifchen, Rudnik aus Danzig, Uz aus Ansbach und Gotz aus Worms, fchon nach ihrer Heimath genugfam zeigend, wie iiberall diefelbe Stromung wirkte, traten in Halle zufammen zu einem Kranzchen; alle von heiterem Temperament, leicht anzuregender Einbildungskraft und Lufl und fprachlichem Gefchick zum Verfificiren, alle aufgeweckte und herzens- gute Menfchen, Keiner freilich eine voile kiinfllerifche Perfonlichkeit. Von der Schule brachten fie Kenntnifs der Claffiker mit; eine poetifche Stromung ging jetzt iiber Horaz hinaus auf die griechifche Lyrik, auf die Nachahmung von Anakreon und Pindar; die Franzofen flanden auch hier voran; J. Bapt. Rouffeau gait fiir den modernen uniibertreff lichen Odendichter; er pflegte die heroifche Ode; aber be- fonders war durch die Schule Chaulieu's Anakreon ein Liebling ge- worden; in feine heitere Poefie und Lebensanfchauung hatten fich viele Geifler in den letzten pfaffifchen Zeiten Ludwigs XIV. gefliichtet; in den Zeiten der Regentfchaft hatte man keck und fchlupfrig weiter gedichtet. Gegen deutfches Pfaffenwefen erfchien Anakreon nicht minder werthvoll; die franzofifchen Anakreontiker gewannen auch bei uns in den hoheren Standen Einflufs. Bedarf es noch eines befonderen Anlaffes, um jene Richtung der deutfchen Studenten auf Anakreon zu erklaren, fo konnte man ver- muthen, dafs Gleim befonders in dem Haufe des Preufs. Geheimraths Reinhardt in Wernigerode von den franzofifchen Anakreontikern beeinflufst worden fei. «Diefer machte den Knaben zu feinem Tifch- gafle und las mit ihm die Claffiker der Griechen und Romer. Ein dem Knaben in die Hande gerathener Anakreon gab dazu Anlafs.» aGa Die Anakreontiker Sicher haben hier die franzofifchen Dichter mitgefpielt, die unfere deutfchen durch ihr ganzes Leben begleitet haben. Chapelle, Chaulieu, La Fare, Greffet u. A. find z, B. fiir Gleim, nachdem er langfl Tyr- taeus-Grenadier gewefen war, (1767 im Brief an J. G. Jacobi), noch immer: «das ganze Gefchlecht der frohlichen Mufen, diefe Gallifchen Dichter, die nur allein Genie zu haben fcheinen. » Gleim felbfl*) hat uns erzahlt, wie er in einem Biicherladen als hallefcher Student mit Uz bekannt geworden, als diefer fein Intereffe erregt, weil er Bodmers Gedanken liber die Beredfamkeit verlangt habe. Mit Rudnik aus Danzig und Gotz aus Worms bildeten dann beide ihr vierblattriges literarifches Kleeblatt. «Eines Tages waren die vier Freunde zufammen. Ein alter Student, Namens Jacob Pyra, hatte die Abficht reimlofe Verfe in Aufnahme zu bringen. Gleim war der Meinung, am beflen konne man durch Gedichte fcherzhaften Inhalts diefen Zweck erreichen. Seine Freunde gaben ihm Beifall und diefer den Anlafs zu feinem Verfuch in fcherzhaften Liedern. Auf dem deutfchen Parnaffe waren damals zwei Schulen, die Gottfchedifche zu Leipzig, die Bodmerfche zu Zurich. Uz, Gleim, Rudnik und Gotz hielten es mit der Letzteren. Ihr Lehrer Alexander Baumgarten, den fie ihren Xenophon nannten, erweckte mit feiner Differtation de nonnuUis ad poema pertinentibus die fchlafenden Geifter. » Gleim dichtete anakreontifche Lieder; die andem iiberfetzten Anakreon; jener trat 1744 mit feinen « fcherzhaften Liedern » auf; die Ueberfetzung erfchien 1746. [Rudnik flarb bald und kam nicht zu weiterer Geltung.] Der Erfolg war aufserordentlich. Seitdera begann fiir mehrere Decennien der anakreontifche poetifche Raufch und Schwindel in unferer Lyrik. Es hatte dabei wenig zu befagen, dafs die jungen Anfanger diefer Lyrik keine grofsen Geifter waren. Wie die Dinge lagen, half die Mittelmafsigkeit mehr, als fie fchadete, zur Anerkennung. Keine tiefere Philofophie befchwerte die jungen Hallenfer, bei denen eine tiefere, etwa fceptifche Philofophie, wie in Friedrich's 11. Poefie, fogleich ernflere Widerfacher erweckt hatte. Lleiter tandelten fie tiber die Wogen des Lebens. Ihre dichterifche Kraft war und blieb felbfl *) Gleims Leben von Wilh. Korte. Die Anakreontiker. 465 bei fpaterer, grofserer Durchbildung befchrankt, aber fie war doch in ihrer Weife echt und beruhte auf einem klaren, wohlwollenden Wefen und einer naiven, ftichhaltenden Ueberzeugung. Sie woUten nicht mehr vorflellen, als fie waren: heitere, lebensfrifche Junglinge. Wenn etwas falfch und angenommen, fo war es ihre Ueppigkeit allein; fie, die fo viel von Trinken und Kiiffen fangen, batten an der Blume des Weins und am Schauen rother Lippen fchon genug. Sie wollten Sanger der Grazie, keine plumpen Genufsmenfchen fein. Ihre Lehre ging leicht ein: es ill Freude auf der Welt! Geniefst die Freude! Lacht, trinkt und kiifst! Seid weife und anmuthig im Genufs! Flieht Rohheit! Bekranzt das Haupt und glaubt an alles Schone, Gute und Wahre! Kehrt euch nicht an die Dunkelmanner und Triibfalprediger, die euch Gott wie einen Tyrannen, der nur Zerknirfchung will, und die Welt wie ein triibfeliges Jammer- und Laflerthal fchildern! Das heiter, mit echter Jugendfrifche gegen Bonzenwefen und Lebensholzernheit ausgefprochen , *) in anmuthigen wohlklingenden Verfen, im franzofifch-griechifchen, artigen bon ton der Zeit — die grofste Wirkung war hervorgebracht! Welch ein Vorbild fiir die ahnlich gefinnte Jugend! Ein reines Wunder lag vor Augen. Eine entzuckende Poefie und fo leicht zu machen ! Wer nur etwas melodifche Verfe zu verfaffen , nur zu fcandiren verfland, konnte in diefer Weife fchnell anakreontifiren lernen. Ge- danken waren nicht nothig; keine tiefe Leidenfchaft brauchte durch- empfunden zu werden; keine Handlung war kiinfllerifch zu runden; keine Ideale vorher heranzubilden. Die Stimmung fich wohl zu fiihlen, mangelt Gottlob der Jugend meiftens nicht; konnte man diefe etwas harmonifch, franzofifch-claffifch , mafsvoU-heiter halten, dann konnte die Poefie beginnen, denn alles andere nothige Zugerath war gegeben: Gotter, Nymphen, Menfchen, Decorationen, Amor, Venus, Chloe, Aegle, Becher, Wein, Weintrauben, Weinlauben, Bander, Blumen, Schafchen, Taubchen, der bekannte Sperling, oder Nachtigallen u. f w. Jetzt begann in der Maffe die dilettantifche Anakreontifirerei und damit gab es bald des Gefchmacklofen , Lappifchen, Faden und Un- niitzen fo unendlich viel, dafs doch gliicklicher Weife auch Wider- *) Unfere Zeit hatte im Auftreten der frifchen Jugenddichter-Schule, in Wald- meifters Brautfahrt u. A. etwas Aehnliches; vor Allem in der Weisheit und den Liedem des Mirza-Schaffy (Fr. Bodenftedt's) deffen heitere Philofophie als Anti- Reaction wichtig ward. L cm eke, Gefchichte der deutfchen Dichtung. 30 466 Gotz. facher genug erflanden. Wichtig war diefe ganze Richtung, fo weit fie einen feinen und claffifch-reineren Ton begiinfligte, gegen den. Schwulfl und die Sentimentalitat ging, durch anmuthige Sinnlichkeit die alte rohere verdrangte, fur eine freiere Lebensanfchauung flritt und Barbarei hafste, die Sprache durch ihre metrifchen Verfuche bildete, durch ihr Streben nach muficalifchem Klang und leichtem Flufs verfchonte und auf eine tiefere Kenntnifs der Antike zufuhrte. Es ging mit den anakreontifchen Gedichten in der Poefie, wie in der bildenden Kunfl mit den gefchnittenen Steinen, fiir welche damals Modehebe herrfchte; von diefer, von Lippert's Sammlung ging es zu Winckelmann's Kunflgefchichte ; von jenen hinauf zu Gothe's Iphigenie. (Winckelmann fludirte feit 1738, alfo zur felben Zeit mit Gleim, Uz^ Gotz in Halle.) Die Stifter felbfl fuchten, jeder in feiner Art, nach ihren Halle'- fchen Anfangen weiter zu fchreiten. Der Getreuefle in feiner Richtung war Gotz*) (1721 — 81). Durch feinen Beruf als Prediger fiihlte er fich veranlafst feine dichterifche Thatigkeit als Anakreontiker zu verheimlichen. Um fo liebevoller ^pflegte er fiir fich feine Idealwelt. Bis auf Gothe hin hat Niemand wie Gotz den Ton der griechifchen,, fonnigen Heiterkeit getroffen, Niemand fich fo im Griechengeifl ein- gelebt. Er ifl allerdings zopfig-antik, franzofifch-claffifch ; er ifl oft unendlich fchwachlich, kleinlich-gefchmacklos, lappifch; ihm fehlt alles Grofse, Chara6lervolle, auch alles Voll-Schone, indem er iiber das Anmuthige und Reizende nirgends hinwegkommt. Aber ihn um- gaukeln doch auch oft wirkliche Amoretten, trotz der kleinen Zopfe niedlich genug; er fieht Nymphen und reizende Magdlein; zwar mit den Formen, dem Fleifch und den Gewandungen der gleichzeitigen franzofifchen antikifirenden Maler, aber fie fmd lebendig. Sind feine poetifchen Bilderchen wie zarte, blaffe Aquarelle, fein gepinfelt, fo geben fie doch Anfchauung. Hat er kein Mark, kein Knochengeriifl,. *) Joh. Nicol. Gotz, geb, 1721 in Worms, fludirte feit 1739 in Halle Theo- logic und unter Alex. Baumgarten, Meyer und Wolf Weltweisheit, ward Hauslehrer in Emden, fpater Hofmeifter und Schlofsprediger in Forbach in Lothringen, dann Feldprediger beim Regiment Royal AUemand, machte als folcher 1748 die Marfche und Gefechte in den Niederlanden mit. Dann ward er Pfarrer zu Hombach, 1754 Oberpfarrer in Meifenburg, dann in Winterburg und ftarb 1 78 1 als Superintendent des Oberamts Kirchberg. Gdtz. 467 fo hat er Zierlichkeit, Feinheit, Wohlklang in feiner Poefie. Der hiibfche Einfall, das Getandel, das leichte Gedicht, worin er das Anmuthige iiberall, bei Marot, Chaulieu, Guarini u. A., auffucht, das ifl fein Reich, was er mit klarem, melodifchem und rhythmifchem Ausdruck gut beherrfcht, dafs er auch heute noch darin erfreulich ifl. Was er anflrebt, kann uns fein Gedicht auf Hagedorn's Tod gedrangt fagen, vvenn wir eine wahrere Antikifirung noch hinzurechnen: Anmuth, Scherze, Phantafus, Harmonie, Empfindung und Natur, Gefchmack und Ebenmaafs. Schwulfl, Schulgelehrfamkeit und fteife Kunfl find ihm, der feine beflen Lebensjahre im Verkehr mit den hdheren Standen Frankreichs zubrachte und deffen' Poefie uns im Allgemeinen ein Bild von deren feinerem Treiben geben kann, verhafst. In der Verfification hat Gdtz ganz Bedeutendes geleiflet; er er- innert an Gdthe, fowohl im gereimten als metrifchen Gedicht. Der in der feinen- franzdfifchen Schule gebildete Dichter hielt fich fern vom majeflatifchen aber oft undeutlichen Schwung der Klopflock'fchen Dichtweife, wie von Ramler's Aneinanderpacken tdnender Worte. Mit weichem Fluffe, zuweilen freilich feiner ganzen Anlage nach zu weich, fliefst feine Form. Seine Gedichte wurden erfl nach feinem Tode durch Ramler, dem er fie dazu ubermacht, gefammelt herausgegeben (1785); fie waren vorher meifl einzeln erfchienen, hatten aber ihre Bewunderung gefunden und gewirkt. Das Gedicht: «die Madcheninfel» hatte man Friedrich d. Gr. vorgelegt, und es foil das einzige deutfche Gedicht gewefen fein, welches ihm fehr gut gefallen. In dem Fall Schade, dafs er kein befferes gefehen hat, denn der Inhalt — dafs ein Gefcheiterter auf einer menfchenleeren Infel Venus anfleht, aus feinen Steinen, gleich denen Deukalions und Pyrrha's, Madchen von herrlichem Reize entflehen zu laffen, liber welche er herrfchen will — ifl viel zu breit und fchwachlich behandelt. Gdtz kommt iiberhaupt in breite Gefchmacklofigkeit, wenn er eine langere, fich nacheinander ab- fpinnende Handlung erzahlen und liber das poetifche Bild und den fcherzenden, anmuthigen Einfall hinaus will. So z. B. in feinem Epithalamium flir den Herrn le Clerc. (Uebrigens nach Balde's 28. Ode gedichtet, wie Weflermeyer bemerkt.) Nach dem Erfcheinen von Gdtzen's Gedichten in Ramler's Aus- gabe folgte Gdthe's voile Renaiffance-Epoche. Gdthe gab mit dem Grofsen auch dem Kleinen, worin Gdtz fich auszeichnete, jene Voll- 30* 468 Uz. endung, welche den ganzen Gotz iiberflufrig machte und ihn in kurzer Zeit aus feiner Beriihmtheit in die Vergeffenheit bei den Lefern brachte. «Den fiifseften Dichter, den Sanger der Liebe!» nannte man ihn bei feinem Tode. Wenn wir die Worte eines Verehrers iiber den todten Uz citiren, fo fehen wir gleich, wie deffen Wage von dem- felben Ausgang andere als die Gotzen's geworden find. «Segen der deutfchen Mitwelt und Nachwelt iiber den Sanger der Weisheit! — ruft Uzen's Biograph Schlichtegroll. — Ewiges Andenken und ewige Dankbarkeit fei mit feinem ehrwtirdigen Namen! Auf feinem Grabe bliiht eine unverwelkliche Blume, eine Lilie aus den Gefilden des Himmels in die unfrige verpflanzt, feine Theodicee. Sie allein kann fchon Biirge der Unflerblichkeit feines Namens fein.» Uz*) (1720 — 96) hatte neben Anakreon und Horaz fchon auf der Univerfitat Pindar zum LiebUng erkoren. In Halle kam er mit feinen Freunden in die anakreontifche und jene epicuraifche Stromung, welche das Wefen der Gliickfeligkeit in ein maafsvoUes Vergniigen fetzt. An den Gottfched-Schweizer Streitigkeiten nahm er nur indire6l Antheil, indem auch er fich im rein metrifchen Verfe verfuchte; nach dem erflen, ihm fchwer gewordenen aber wohl gelungenen Verfuche blieb er dem Reim getreu. Mit der Zeit wuchs feine Vorliebe flir die Ode hoheren Stils; ihr wandte er fich nach bitteren Erfahrungen hinfichtlich der Anakreontik von all' den Phantafie-Gelagen und Phantafie-Schdnen und dem leichteren poetifchen Getandel mit Vor- liebe zu. Auch fiir die Uzifche Ode liegt das franzdfifche Vorbild nahe genug. In Frankreich war durch J. Bapt. Rouffeau die ahnliche Stromung aufgekommen. Rouffeau hatte an Racine's grofsartige dra- matifche Lyrik angekniipft und die «infpirirte Lyrik» cultivirt, mit David, Pindar und Horaz als Mullern. Glanzende, forgfam durch- gefeilte, erhabene Sprache, hohe Ideen — dies Alles mit den Licht- und Schattenfeiten einer Lyrik, die Infpiration abfolut vorausfetzt, lag als Mufter vor. Uz Reht im franzofifchen Ton feiner Zeit. Nur die franzofirt- *) Johann Peter Uz, gab. 1720 zu Ansbach, ging 1739 nach Halle, wo er Jurisprudenz und nebenher fehr eifrig fchone Wiffenfchaften fludirte. 1742 kehrte er nach Ansbach ziiriick und ward — lange als unbefoldeter Secretar — angeflellt; langfam diente er auf. Er ftarb 1796. Ueber Uz : Uz und Cronegk. Ein biographifcher Verfuch von Henrietta Feuerbach. Leipzig 1866. Vz 469 englifche, nicht die fpecififch-englifche Poefie liefs er aufserdem auf fich vvirken, z. B. Pope, Addifon als popularen Philofophen. Hatte er auch vvegen feiner freieren Anakreontik und feines metrifchen Be- miihens Anfangs fiir einen Gegner Gottfched's gegolten, fo zeigte fich doch bald, dafs er kein Anhanger der Schweizer war. Seinem franzofifch-claffifchen Gefchmack, der im leichten Lied, im moralifchen und im komifchen Gedicht, in den poetifchen Briefen und in den Oden iiberall hervortritt, allerdings in deutfcher Ver- arbeitung eines kleinfladtifchen Beamten und Biichergelehrten der Zopfzeit, fland Bodmer's volksmafsigere Breitfpurigkeit und Allerlei- intereffe fowie der Milton -Klopflockifche Schwung ganz entgegen. Seine Aufklarungsphilofophie der verniinftig-heiteren Art hatte mit orthodoxer oder myflifcher chrifllicher Eiferei keine Gemeinfchaft ; wegen feiner fcherzenden, oft finnlich-kecken Gedichte packte ihn deshalb auch der damals zelotifche junge Schvvarmer Wieland mit bosartigem Ueberfall und fuchte den guten, im Leben Alles weniger als kecken, frivolen Uz morderifch zu erwurgen. Uz, der doch damals fchon feine Theodicee gefchrieben hatte, wie er immer her- vorhebt, bekam einen nachhaltigen Schrecken liber diefen Angriff — Lampe der Hafe und der fromme Reinecke Fuchs fallen Einem un- willkiirlich ein. Ein Gliick fiir Uz, dafs es einen Magifler Leffmg mit feinem derben Knappen Nicolai gab, vor dem auch Seraphiker Wieland in der Schweiz heilfamen Refpe6l hatte. Uz nimmt als heiterer Dichter wie als philofophifcher Poet eine fehr wichtige Stellung in der Dichtung feiner Zeit ein. Er gehort v'^ mit Hagedorn, Gotz, Gleim u. A. zu den einflufsreichflen Erziehern des deutfchen Volks in Bezug auf Gefchmack. Die Zeit der Giinther- fchen Rohheit lag noch, das darf man nicht vergeffen, nahe. Das Derbe, Ungefchlachte wechfelte fchroff mit dem Frechen ab. Die Anakreontiker lehrten poetifch befferen Anfland: Zartheit, Grazie im Scherz und bei keckem, jugendlich-fmnlichen Geftihl. Uz, der fehr bald in alien feinen Gedichten liber die bios luflige Jugendempfindung zu einer, aus feiner Freuden-Philofophie fliefsenden Idealifirung fort- fchritt, gewann einen aufserordentlichen Einflufs. Seine Zeit flihlte fich bei ihm idealifch gehoben, nie durch Gemeinheiten und Plump- heiten geflort; in feinen fmnlichen Gedichten war er etwas locker im Sinn der Malerei und verirrte fich vom Antlitz gar gem zum Bufen feiner Schonen, doch ward er nie zum frechen Liiflling und wufste 470 Uz. durchgehends feinen Stoff wirklich reizend zu behandeln; in feinen ernfteren Gedichten zeigte er keine tiefe, aber eine aufrichtige und in ihrer Befchranktheit fichere Philofophie und fprach er bleibend- wahre fchatzbare Ueberzeugungen mit Mannesmuth aus. So als deutfcher Patriot; fo als religiofer Menfch. Auch ihn erregte Friedrichs II. Ruhm, und er fang fiir ihn und forgte, da ihm Untergang drohte ; doch iiber den fpecififch-preufsifchen Patriotismus, der in Gleim aufloderte, fiegte bei Uz der deutfche Patriotismus : «Wie lang zerfleifcht mit eigner Hand Germanien fein Eingeweide?" Strafend erhebt er fich gegen die Fiirflen, die im Krieg ihren Ruhm fuchen und ihre Volker verderben. Mit Schande, nicht mit Lorbeerkranzen, moge das Verhangnifs deffen Haupt kronen, der den Frieden brache. Hebt er im Todten-Lied fiir feinen Kleifl. hervor, dafs derfelbe den Tod fiir's Vaterland geftorben, fo preifl. er auch die Freiheit, die den Burger grofs gemacht und gottlichen Gefang erweckt habe, wahrend in dunkler Hohle feige Sclaverei liege und die kiihnen Schwingen unferer Seele und alle Luft zum wahren Ruhm lahme. Er befmgt den wahren Muth, den Weifen, der mit Gelaffenheit fein ihm beflimmtes Leiden trage, nicht die erkaufte, fo oft fiir lorbeerwerthen Heldenmuth gehaltene Wuth, die mit blindem Ungeftiim in fchauervollen Schlachten die drohende Gefahr verachte. Seine Philofophie der Freude preifl jene WoUufl, welche nicht der Pobel kennt, fondern welche Natur und Weisheit ehrt, der Weisheit Kind, die Konigin der Weifen, die mit heiterer Stirn, rofengefchmiickt, mit dem Blick voU reiner Lufl felbfl Lyaus bezahmt, um welche die Freude noch die gulden en Fliigel fchwingt, wenn auch das Gltick entflieht. *) In feiner bewunderten Theodicee, *) In feiner Ode an die Freude : Freude, Konigin der Weifen, Die mit Blumen um ihr Haupt, Dich mit giildner Leyer preifen Ruhig, wann die Bosheit fchnaubt — fingt er zum Schlufs : Hab ich meine kiihne Saiten Dein lautfchallend Lob gelehrt, Das vielleicht in fpaten Zeiten Ungeborne Nachwelt hort, Uz. 471 WO er mit fonnenrothem Angefichte zur Gottheit fliegt und Leibnitz ihm das Thor offnet, fand man erhabenflen Schwung und tieffle Weisheit vereint. Es ifl Lob der Weisheit Gottes: der kleinflen Fliege Gliick, Roms Gefchick und das Leben einer Sonne find gleich vorher beflimmt — das Thema von der beflen Welt wird gefungen. Die religiofen Gedichte beherrfcht gleichfalls der Gedanke an die Weisheit und Giite des Schopfers. Sie find dadurch chara6lerifirt, ■dafs der Dichter in Gott vertrauensvoU den «grofsen Menfchenfreund» fieht und fo ihn nennt. Befonders mufste es feiner Zeit zu Herzen gehn, wenn Uz nach dem fchrecklichen Erdbeben von Liffabon, das die damalige Chriflenheit mitten in den Philofophemen liber die befle Welt und Gottes Giite fo verzweiflungsvoU in Furcht und Zweifel aufflorte, ruhig die Leyer nahm und mit Ueberzeugung fang: Wenn auch die Erde bebe, miiffe auf feiner Stirn der gottliche Gedanke fchimmern, dafs Tugend gliicklich fei und feine Seele lebe auch unter ganzer Welten Triimmern. Da mufste man einen deutfchen Horaz bewundern, der das «impavidum ferient ruinae» mit dem chrifl- lichen Gottesglauben fo fchon zu vereinen mufste. In der That keine kleine That des einfamen deutfchen Poeten und Denkers! Es ifl fo fchwer, in kleinlichen, einengenden Verhaltniffen grofs denken! Wenn wir in diefer Beziehung unfere damaligen deutfchen Dichter gegen die Englander und Franzofen abwagen, miiffen wir unfere Talente wie auf der Decimalwage betrachten und danach multipliciren. Haller'fche Grofse meinte man mit Gleim's Schalkhaftigkeit in dem Hab icli den bebliimten Pfaden, Wo du wandelfl, nachgefpiirt, Und von fliirmifchen' Geftaden Einige zu dir geftihrt. Gottin, o fo fey, ich flehe, Deinem Dichter immer hold, Dafs er fchimmemd Gliick verfchmahe, Reich in fich auch ohne Gold. Dafs fein Leben zwar verborgen, Aber ohne Sclaverei, Ohne Flecken, ohne Sorgen Weifen Freunden theuer fei. 472 Uz. reiferen Uz vereint zu fehen. Die Corredtheit und Eleganz feiner Sprache gait feiner Zeit fiir claffifch. ') Die nachflfolgende Zeit erkannte die Befchrankung feines Talentes. In der Schilderung heiteren, erlaubten Vergniigens und der Um- fetzung delTelben Themas in philofophifche Betrachtung bewegte fich feine Dichtung. Von objecflivem Erfaffen der Menfchheit und Welt hatte er keine Ahnung und eine eigenthlimliche kraftige und reiche Perfonlichkeit war er nicht. So blieb er fchliefslich Lehrdichter mit der unausbleiblichen Eintonigkeit eines folchen, bei all' feinen, zwar nicht grofsen, doch wirklichen Verdienflen. Uz war mit feinen anakreontifchen Genoffen von Nutzen gegen die platten Profaiker, gegen die Schwarmer und gegen die fenti- mentalen Moraliflen; er behauptete fich gegen die Bodmer'fche Schule, neben Klopflock, gegen deffen Nachbeter und Nachaffer und neben der Gellert'fchen fpateren Weinerlichkeit. Er kam mit den erRen Richtungen in voriibergehenden, gegen Bodmer und Klopflock durch ihn felbfl provocirten Streit, der feiner Natur aber durchaus ent- gegenging und nach Bodmer's, Dufchen's und Wieland's Angriffen ihm fchnell verleidet war. Der fcharfe Menfchenverfland, Leffmg, und der gefunde Menfchen- verfland, Nicolai, wollten ihm in der Gegenflellung gegen die Schwarmer wohl und nahmen deshalb fiir ihn Parthei. Als mit Sturm und Drang geniale, weitfchauende, das Gewaltigfle dichterifch umfaffende Dichter auftraten, welche die bisherige franzofifche Erziehungs- dichtung aus unferer Poefie hinauszuwerfen anfingen und das Recht der Individualitat mit revolutionarer Hitze in Anfpruch nahmen und *) Uzen's Dichterruhm verbreitete fich iiber Deutfchlands Grenzen. Der Fiirft und die hoheren Stiinde von Ansbach, wo Uz amtirte und fein kargliches Junggefellenleben ftihrte, wufsten aber nichts von ihm. „Als Markgraf Alexander in den Jahren nach 1770 eine Reife nach Italien machte, wurde er ganz un- vermuthet mit dem grofsen deutfchen Dichter bekannt, der fchon fo lange fein Staatsdiener war. Papfl Ganganelli namlich freute fjch auch deshalb der Be- kanntfchaft mit dem Markgrafen, weil diefer das Gliick habe, einen der erflen Dichter, den grofsen Sanger Uz, den er felbfl; freilich nur in einer italienifchen Ueberfetzung lefen und bewundern kdnne, in feinem Lande zu befitzen. Erft hiedurch wurde der Markgraf aufmerkfam auf ihn, fo dafs er nach feiner Zuriick- kunft diefen ihm merkwiirdig gewordenen Mann fogleich zu fich kommen liefs, ihm feine Achtung bezeigte und ihn von nun an fo fehr als jeden feiner gebildeten Mitburger verehrte." (Schlichtegroll.) Das waren die gebildeten Fiirflen ! Uz und (He neue Zeit. 47? vertheidigten, da war es mit Uz vorbei. Mit dem Jahr 1767 hatte er feine eigentliche dichterifche Thatigkeit gefchloffen; die grofsen Leffing'fchen Handel und des jungen Herder's Auftreten beunruhigtea ihn fchon. Als es aber im nachflen Jahrzehnt immer wilder und genialifcher herging, da verfland er feine Zeit nicht mehr und ihn nicht die junge Zeit. Leffing, Wieland, fie flanden mit ihm auf demfelben Boden. Seinem friiheren Feinde Wieland konnte er, da derfelbe auf das franzofifch-finnlich-philofophifche Feld vom feraphi- fchen Gefild iiberging, mit herzlichem Antheil folgen, ihn fur einen unferer grofsten Genien, fiir lauter Einbildungskraft und unerfchopflich^ fiir die vornehmfte Stiitze und Vormauer des guten Gefchmacks in Deutfchland halten; bei Herder ging ihm das Verflandnifs allmalig aus. Die Spateren exiflirten fiir ihn nicht mehr.*) Vielen Mannern feiner Zeit ging es nicht anders. Der Poet Friedrich 11. urtheilte ebenfo. Selbll Leffmg wurde es fauer den neuen Richtungen zu folgen, und fein Geifl fetzte fich vielfach dawider. Uz fah das alte Chaos, die alte Plumpheit und Rohheit, die Zerfahrenheit der Em- pfindungen und trauriges Schwanken in der Auffaffung des Lebens zuriickkehren, fah die Nacht dunkeln, wo die Jugend in einem Gotz. und Werther das Morgenroth der Dichtung erblickte. Einen groben Bedienten auf die Biihne bringen, das war erlaubt und komifch^ aber gleich mit angetrunkenen Bauern und Reitersknechten eine Tragodie beginnen und in der Reichsfprache reden, die dem Frank- furter keine Miihe koflet, wie Weife liber Gotz von Berlichingen an Uz fchreibt — wo blieb der Dichter der Lieder an Chloe bei den Reden des tapferen Gotz und den Derbheiten der Knechte und der Bauern? Und der Dichter der Theodicee, der die Spotter nieder- fchlagen will, was hatte er zu thun unter Menfchen, die in diefer beflen Welt die Zahne zum Himmel bleckten wie Karl Moor, und die Baren des Nordlands wider dies morderifche Gefchlecht anhetzen und den Ocean vergiften mochten, dafs die Menfchheit den Tod aus alien Quellen faufe? Die philofophifche Dichtung von Uz erhielt fich, in ihrer weis- heitsvoUen Weihe bei den Freunden philofophifcher Dichtung geachtet,, bis Schiller die ganze altere Gedankendichtung antiquirte. ■*) H. Feuerbach a. a. O. : „In den Briefen unferes Uz ift Wieland und Herder vielfach genannt. Der Name Golhe und der Name Schiller kommt nicht darin vor." 474 Gleim. Der BekannteRe und Popularfle aus dem Hallenfer Kleeblatt wurde aber fein Stifter Gleim*), 1718 — 1803 eins von jenen guther- zigen, leichtlebigen poetifchen Gemiithern, die nie ganz das Kindliche, aber auch nicht das Kindifche verlernen; als Dichter einem jener freudig fingenden und beliebten Stubenvogel zu vergleichen, die uns oft peinigen, weil fie nie aufhoren und bei jedem andren Ton um fo lauter zu fmgen anheben. Gleim eroffnete den Reigen der Anakreontiker 1744 mit feinen: fcherzhaften Liedern; das Publicum hat ihm diefen frifchen, erfreuen- den Ton nicht vergeffen und ihm die Bereicherung und Fiille an Freude und behaglicher Lebenslufl flets gedankt. Heiterkeit mit An- fland, fliefsende Diction, leicht in Rhythmus und Vers und, was die Hauptfache, natiirliche Empfindung war da gegeben. Die unerfchopf- lich fcheinende Fiille der erfreuenden poetifchen Klange, welche feit- dem Gleim zu fmgen nicht miide ward, war bei einem deutfchen Poeten das Publicum nicht gewohnt und es priefs deshalb Gleim um fo hoher. Als feine Freunde mit einflimmten, kam man fich vor wie in einem poetifchen Friihling. Sanger der Freude und Liebe alliiberall. Dafs fo viele Sperlinge zwifchen den Finken, Lerchen und Nach- tigallen zwitfcherten , darauf kam es dem frohlichen Publicum nicht an. Gleim's Poefie kam aus einem harmonifch angelegten, gehobenen Gemiithe; Heiterkeit des Lebens in erhohter Empfindung, Freundfchaft, Seelengiite waren und blieben ihm fein Lebenlang die Hauptgiiter. Erfolg und Lebensflellung, befonders freilich die poetifch befchrankte Anlage liefsen ihn nicht dazu gelangen, in die fchone Phantafiewelt frei fich zu erheben und iiber Gemiithlichkeit und Grazie zu Idealen vorzudringen, aber was fich mit einer Verfchonerung der heiteren Tagesflimmungen und idealifirtem Ausdruck derfelben thun liefs in feiner Zeit, that er. Er war keine Nachtigall in der Lyrik, aber auch kein Sperling, wie er fich im Vergleich zu der Lerche Anakreon *) Joh. Wilh. Ludwig Gleim, geb. zu Ermslehen im Fiirftenthum Halbcr- ftadt 1 7 19, befuchte die Schule von Wemigerode, ftudirte feit 1738 in Halle Jurisprudenz, ward dann Hauslehrer in Potsdam, zog als Secretar des Prinzen Wil- helm von Brandenburg- Schwedt 1744 in den zweiten fchlefifchen Krieg. Kurze Zeit war er Stabsfecretar bei dem alten Leopold von Deffau; 1747 wurde er Secretar des Domcapitels zu Halberftadt und kam dadurch in die forgenfreiefte, behaglichfle Lebensflellung. Blindheit triibte die letzten Paar Jahre feines Lebens. Er flarb 1803. Gleim. 475 felbft nennt, fondern ein guter Harzer Fink. Viele feiner leichten Lieder find reizend, von echt poetifchem Schmelz. Sie mufsten hinreifsend wirken in einer Zeit, wo das Empfundene bisher fo oft rauh iind un- gefchickt in der Form war, die glatte Form fo oft keine Empfindung hinter fich hatte. Sieht man auf die Mannigfaltigkeit in der Gleim- fchen Lyrik, fo braucht er fich vor vielen unferer jetzigen Lyriker nicht zu fcheuen. Seine Fabeln — gefchrieben fiir den kleinen Prinzen von Preufsen — machten ihn weiter dem Publicum werth, welches, wie fchon bei Hagedorn bemerkt wurde, damals, wo es an flofifhaltigen kleinen Dichtungen noch fehlte, fchon flofflich an diefen lebendigen Bildern und gefchilderten Vorgangen feine Freude hatte und obendrein die alte, noch immer gangbare Lehre vom Nutzen der Poefie darin bethatigt fand. Wie unter alien Dichtungen Gleim's ifl. audi unter den Fabeln Vieles fchwach, ja lappifch; aber eine Reihe derfelben (z. B. der Lowe und der Fuchs, der Hengfl. und die Wespe, der gebahrende Berg, Greis und Tod, Grille und Ameife, Pferd und Efel u. f w.) leben erfreulicher Weife mit Liedern wie: Es laffen fich die todten Fiirflen balfamiren, der Pabfl lebt herrlich in der Welt u. A. noch heute. Gleim hatte poetifch eine richtige, wenn auch oft dilettantifch- nachlaffig gebrauchte Feinfiihligkeit, wie er mehrfach bewies. Nicht genug, dafs er zu der Anakreontik einen Hauptanftofs gegeben; feine Aufmerkfamkeit wurde auch auf das volksmafsige Lied und die roma- nifchen Romanzen gezogen, welche letztere er, fehr ungefchickt aller- dings, nachzubilden unternahm. Aber der Einfall felbft. hatte feinen Werth; die Ausfiihrung konnten Andere iibernehmen. Die Richtung auf das Volksmafsige, worin er fich an die Schweizer anlehnte und mit der popular en Richtung der Neuen-Leipziger begegnete, ftihrte ihn zu Beginn des fiebenjahrigen Krieges darauf, volksmafsige Lieder fiir feinen vergotterten Helden Friedrich II. zu fmgen. Er ward, im Stil der Zeit ausgedriickt, vom Anakreon zum Tyrtaeus. Wie wir fo haufig bei leichten Naturen fehen, dafs fie das Be- diirfnifs nach einem Schwergewicht empfinden und fich wohl in der feltfamflen Weife darauf capriciren, Ernfles und Gewichtiges zu leillen und als einen Hauptzug ihres Wefens hinzuflellen, fo fehen wir auch bei dem guten Gleim, dafs er den preufsifchen Patriotismus und Friedrich 11., fpater eine philofophifch-religiofe Weltanfchauung zum 4/6 Gleim. Gegenfland nimmt fiir feine Dichtung und in diefe dann fein Haupt- verdienfl fetzt. In einer Fabel erzahlt er von der Lerche und dem Adler. Der Adler, welcher gegen die Sonne fliegt, will die Lerche auf feinen Riicken nehmen, um fie hoher zu tragen; fie antwortet ihm, dafs fie hienieden an der Erde den Schopfer aller Dinge fmgen will; er moge nur zur Ehre Gottes in hohere Spharen fliegen. In Wirklichkeit konnte er es nicht laffen, fich Friedrich II. und in Hal- ladat fpater dem Mohammed (Koran) auf das Gefieder zu fetzen, wobei Lerche doch Lerche blieb. Gleim's «PreufsifcheKriegslieder von einemGrenadier» (feit 1758), die feiner Zeit hochbewunderten, von denen er hoffte, dafs fie fein poetifches Andenken nicht wurden untergehen laffen, find eine felt- fame Mifchung von Wahrheit der Empfindung, zopfiger Trockenheit und Bombafl. Man konnte fie ein verfificirtes Gepolter zu Ehren Friedrich's 11. nennen. Er poltert, wenn er lobt; er poltert, wo er tadelt. Leffmg, welcher Gleim als Kritiker unter feine Fliigel ge- nommen hatte und fortwahrend die Freundfchaft erhielt, fchrieb ihm eine Vorrede. Er fagt darin nicht, was er in den Briefen an Gleim fagt, dafs ihm bei verfchiedenen Stellen — freilich eines nicht auf- genommenen Gedichts — vor Entfetzen die Haare zu Berge geflan- den hatten. Der gutmiithige Gleim kannte, wie es gutmiithigen Eiferern geht, weder im Verherrlichen noch im Rafonniren und Ver- wunfchen Grenzen; die Zunge ging immer mit ihm durch. Die Gedichte geben meiflens eine durch poetifche Tiraden aufgeflutzte, trockene Erzahlung im derben, nach Volksmafsigkeit hafchenden Tone; man fieht, wie der Dichter fich felbfl aufblaft und, um Grofses zu fagen, grofse Worte macht. Waren die Grenadierlieder nicht durch ihren poetifchen Kunflwerth, fo waren fie doch flofflich von hoher Bedeutung"). Das politifche Lied war darin aus dem Epigramm und dem blofsen lyrifchen Gedicht herausgewachfen. Hinter dem Poltern, Prahlen, Knarren und Wettern falfcher Rauheit und einer unmoglichen Grenadier- Geflalt fland \virklic}ie Ueberzeugung und Begeifterung, und diefe wirkte und ziindete bei den Gleichgefinnten. Wie auch poetifch befchaften, diefe Lieder waren ein wirklicher Triumph fiir die Thaten Friedrichs. [Intereffant ifl, diefelben mit *) Man fehe Gothe in Wahrheit und Dichtung und Herder: Tyrtaeus und der Grenadier, wie zuvor fein : Anakreon und Gleim. Gleim. 477 denen der Freiheitskriege zu vergleichen; fo unendlich weit fie den letzteren auch nachflehen, in Einem hatten fie den meiflen derfelben zum Mufler dienen konnen: im epifch flraften Ton flatt der iiber- mafsigen Sentimentalilat, welche denn auch bekanntlich den Mannern der alten Schule in den Freiheitskriegen wenig behagte.j Gleims Petrarchifche Gedichte (1764), Gedichte nach den Minne- fangern (17 71), Walther von der Vogelweide u. f vv. find Gedichte, die er fang, weil Andere angeftimmt hatten und er nicht laffen konnte, immer in feiner Weife mit einzufallen; er mufste einmal Verfe machen, und wenn er nichts anders auf Handen hatte, brachte er die Profa feiner Freunde i^Leffing's Philotas, Klopflock's Tod Adams) in Verfe. Er nebelte fich poetifch in die Stimmung hinein, hatte dabei freilich nicht einmal die Geduld und Ueberwindung, ein Werk ordentlich zu lefen, fondern durchfloberte AUes nur, nicht des Inhalts fondern der Anregung wegen. Die Verfe floffen ihm immer. Seine angeregte Stimmung verwechfelte er dann mit jenem leidenfchaftlichen Drang des Kiinfllers, die Innenvvelt feiner Phantafie in Formen gegenfland- lich zu machen, und brachte feine Anempfindungen freudig zu Papier. Was er leicht, enthufiaflifch angeregt gab, wollte er dann, wie es alien wohlmeinenden dilettantifchen Enthufiaflen geht, ebenfo auf- genommen wiffen. Ein merkvviirdiges Beifpiel ifl fein rothes Buch oder Halladat (1774—81). Er hatte den Koran gelefen, fuhlte fich davon ergriffen und fchrieb die theofophifchen, nach dem orientalifchen ruhigen Verfenken der Seele in Gott flrebenden Gefange, die, neben einer allgemeinen Giite und vielem Gefuhlvollen und Richtigen, das Unglaubliche in Abgefchmacktheit, Profa und Gefiihlsdufel leiften.^) Da Gleim Halla- *) Gott ift die hochfte Giite (im dritten Theil ; hier ohne Versabtheilung der fiinffiifsigen Jamben gefchrieben) lautet : Gott, unfer Gott ifl gnadig! Seine Macht gebraucht er nicht, den Elephanten, der mit feinem Riiffel oder feinem Zahn, an einer Pfirfich oder Ananas, aus Leichtfinn oder auch aus einem Trieb, den wir nicht kennen, Schaden wirkte, ftracks dafiir zu ziichtigen; du Menfch! Gott ifl des Elephanten und der Ananas getreuer Vater, wie der Deinige; denn feine Macht ifl Gnade; Menfchen Macht und Gottes Macht ifl, wie der leichte Wind, der keine Flote tonen macht, und wie die Windesbraut, die Thiirme niederwirft und Maflen niederbri;ht; vereint, in Gottes Macht, ill. alle Macht der Konige der Erden, und der Menfchen und der Elephanten, und des iibrigen Erfchaffenen; Menfch, o Menfch! Deswegen wenn du deines Gottes Macht, die, wenn er will, den Elephanten ftracks 4/8 Gleim. dat fchreiben konnte, fo ifl es kein Wunder, dafs es auch Leute gab, die Halladat fchon fanden und Manche wirkliche Erbauung und An- regung daraus zogen.*) Er felbfl fah darin und in den Liedern des Grenadiers den Triumph feiner Poefie. Ueber feine weiteren Dichtungen oder vielmehr Verfificirungen bedarf es keines Worts. Munteres, Verflandiges wechfelt mit gereim- ten Einfallen aller Art, die leicht entflanden — als nachtliche Unter- haltung in fchlaflofen Stunden oder als regelmafsiges Morgenpenfum — ebenfoleicht wieder der Vergeffenheit anheimfielen. Komifch ifl oft, in eine Milbe, dich zu einem Machtigen der Erde, deinen grofsen Edda-Strom, der, unter taufend Briicken u. f. w. *) Gleims junger Schiitzling Heinfe fchrieb nach Lefung der „erflen Sura des neuen Korans": . . . der Sinn Gottes mufs fogar bei denen im Herzen er- wachen, die noch nicht mit ihm den fiifsen Schauer feiner Gegenwart empfunden haben, wenn fie dieie erhabene Befchreibung lefen, die wohl fchwerlich in irgend einem Koran der Welt fo fchon und ftark zu finden fein wird Hat Klop- flock mehr fagen konnen, mit feinem Bilde von taufend Sonnen, den Sinn Gottes im Herzen ? Nein, Genius Gleim, nichts mehr ! ... In einem andern Brief: Riih- render kann der Lowenzahmer Orpheus die Seeligkeit der guten Seelen nicht ge- fungcn haben. ... So lachend, fo reizend, fo anziehend hat noch kein Maler, vom Vater Homer an, das Gemalde der hauslichen Freuden gemalt u. f. w. Aehnlich die andern Freunde Gleim's. Der Graf Wilh. zu Schaumburg-Lippe-Biickeburg fchrieb (Korte a. a. O.): Im rothen Buch ifl zugleich Saamen und Frucht aller Wiffenfchaften zu finden. Die Gedichte „der Weg des Lebens" und „die Tugend" foUen den jungen Ge- miithern fofort durch Ausvvendiglernen und Proben von Ueberfetzungen eingedriickt werden. Das Gedicht „die Landfchaft" wird bei mir dem Geift der Landescultur einen neuen Schwung geben; vielleicht wird noch mancher ode Diflricft im Schaum- burg-Lippefchen dem verehrungswiirdigen Verfaffer des rothen Buches mehr Frucht- barkeit zu verdanken haben. Das Gedicht „die Landfchaft" lautet (in feinem erflen Drittel): Ich fleh auf dem Gebirge Nidalis und feh in lachende Gefilde; Gott! Wie fchon ift deine Welt! Hier aber ifl ein Theil von ihr durch Menfchenhande fchon! Hier hat der Pflug gefchnitten, hier der Sech gegraben, dort das Rebenmeffer viel der wil- den Ranken weggenommen , hier find Wiefen , dort find Garten , wie fo fchon ifl dicfe Landfchaft! Ueber einen Wald auf Heerden, Hiigel, Bache, weiterhin ein nnabfehlich Waizenfeld und dann ein Kranz von blaulichem Gebiifch, in dem das Auge willig fich verliert. Der Menfch hat diefen Theil verfchonert, hat gepfiiigt, gegraben, hat die Bache kiinftlich fo geleitet, dafs die Wiefen waffern und dem Auge wohlgefallen ! O, ihr thut, ihr Menfchen, thut den Willen Gottes, wenn mit eures Geifl's und eurer Hande Kraft aus unfruchtbaren Gegenden durch euch Ge- filde werden, Geifler Gottes fehn auf eure That und freuen fich. Gleim. 479 wie der gute fchwache Dichter fich an das Grofste heranwagt — ahnlich der Maus in feiner Fabel, welche es dem Lowen nachmachen will und flatt zu briillen zu pfeifen beginnt. Ihm begegnete es, fich, den alten Grenadier, wie er fich gem nannte, mit Friedrich d. Gr. und der grofsen Zeit, dariiber er feine Lieder angeflimmt hatte, zu identiliciren; fo tritt er in feinen Zeitgedichten gegen AUes auf, was ihm nicht nach Sinn geht, fo fchreibt er Briefe und Verfe, manch- mal dire6l an Konige und Feldherrn und Staatsmanner und Congreffe wie eine wirkliche grofse Dichtermacht — immer freilich der Aus- druck des wohlmeinenden, oft des gefunden Menfchenverflandes neben allem Barocken und Komifchen.*) Aehnlich in « Kraft und Schnelle des alten Peleus», wo er Goethe und Schiller wegen ihrer Xenien abkanzelt. Schlagen, fchimpfen, fchelten, fagt er darin, konne er ertragen, nur necken nicht. "^*) Unter feinen Gegengefchoffen, welche die mangelnde fpannende Kraft und Schnelle des achtundfiebzigjahrigen Peleus beweifen, ifl das fechsund- zwanzigfle intereffant, worin er um die verfchwundene Zeit klagt, *) An den Fiirften Kaunitz, der an eine Rebellion in Preufsen gedacht haben follte, dichtet er (Jan. 1770): Rebellion in unferm Lande ? Spart, rath ich euch, Herr Fiirft! all' cure Miih und Geld! Wir rebelliren nicht, wir Preufsen! Bei Verftande Sind wir Gottlob! Und war's die ganze weite Welt, Die ihn verlore, wir Verftandige, wir beten: Erhalt ihn uns der liebe Gott, Und mache, dafs wir nicht zu Tolpatfch, Hottentott Und Tartar wieder treten u. f. w. Das dritte Gedicht auf Alexander heifst: Als Alexander flarb, da legte feine Mutter Sich iiber feinen Sarg und fagte: lieber Sohn! Erob'rer! wo das Eis im Ofen friert, die Butter Im Keller fchmilzt, o du ! was hafl du nun davon ? Nun liegfl du da, bifl nichts, o du, du grofser Held! Und nichts ifl dir die ganze Welt! **) Die Xenien auf ihn lauteten : Frage : Melde mir auch, ob du Kunde vom aUen Peleus vernahmefl, Ob er noch weit geehrt in den Kalendern fich liefl? Antwort : Ach ihm mangelt leider die fpannende Kraft und Schnelle, Die einfl des G... herrliche Saiten belebt. 480 Gleim. wo's fo fchon auf unferem Helikon gewefen fei, wo Klopflock Homer und Uz Anakreon gerufen wurden, wo noch nicht Faunen mit Wolfs- geheul und Tiger - Ungefliim der Mufen Tanze florten, wo Apollo, nicht Priapus Gott gewefen fei, alle Sanger fich ihre Lieder vor- fangen, alle wie Briider fich liebten. — Gleim Ichlofs in der Haupt- fache poetifch mit dem von ihm vergotterten Herder ab. Die grofse, voile Poefie eines Goethe und Schiller war ihm nicht, wie feinem Freund Uz, ganz verfchloffen, aber er fand fich doch nicht mehr darin gehorig zurecht. Er trippelte aufsen daran herum. Mit Uz, Kleifl, dem geliebten und von ihm in den Hinmiel verfetzten Freund, mit Leffmg, mit Klopflock, dem gleich ihm jetzt greifen Dichter, der in der Ode «der Wein und das Waffer» fich und dem Freunde die Jugendzeiten fo wehmiithig-heiter in's Gedachtnifs rief — mit ihnen hatte er begonnen, gewirkt und Ruhm gehabt. Er, der noch in Gottfched's Herrfchaft zuriickreichte und an Opitzens Gedichten noch feine Freude gehabt hatte, hatte vermoge feiner weichen gefiigigen, jedem Eindruck nachgebenden und enthufiaftifchen Individualitat felbfl Sturm und Drang uberdauert und einzelne Richtungen mit feiner gewohnlichen Begeifterung aufgenommen; auch der volleren Claffik gegeniiber fiihlte er noch Verwandtfchaft von feiner franzofifchen Clafficitat her; er war einer von denen, die angfllich bemiiht find, nicht alt zu werden und ihre Zeit gleich den Jungeren zu verflehen, aber diefe jungeren Grofsen konnten doch fein Gemiith nicht mehr fo voll erfiillen, wie feine Jugendfreunde, die in feinem Herzen alle fpateren Grofsen, Goethe und Schiller und feine geliebten Jacobi und Heinfe und Jean Paul in den Schatten flellten. Bekannt ifl die Thatigkeit Gleims als freundfchaftlicher Forderer von Talenten. Es gilt dafiir einfach Goethes Wiirdigung in Wahrheit und Dichtung. «Aber eben ein folches Fdrdernifs junger Leute im literarifchen Thun und Treiben, eine Lufl, hoffnungsvolle, vom Gliick nicht begiinftigte Menfchen vorwarts zu bringen und ihnen den Weg zu erleichtern, hat einen deutfchen Mann verherrlicht, der in Abficht auf Wiirde, die er fich felbfl gab, wohl als der zweite, in Abficht aber auf lebendige Wirkung als der erfle genannt werden darf. Nie- mandem wird entgehen, dafs hier Gleim gemeint fei. Im Befitz einer zwar dunklen, aber eintraglichen Stelle, wohnhaft in einem wohl- gelegenen, nicht allzugrofsen, durch militarifche, biirgerliche , litera- rifche Betriebfamkeit belebten Orte, von wo die Einkiinfte einer Gleim. Gefsner. ^3 1 grofsen unci reichen Stiftung ausgingen, nicht ohne dafs ein Theil derfelben zum Vortheil des Platzes zuriickblieb, fiihlte er einen leb- haften productiven Trieb in llcii, der jedoch bei aiier Starke ilim nicht ganz geniigte; weswegen er fich einem andern, vielleiclit macli- tigern Triebe hingab, dem namlich, andere etwas hervorbringen zu niaclien. Beide Tliatigkeiten flochten fich wahrend feines ganzen langen Lebens unablaffig durclieinander. Er hatte ebenfowohl des Atliemholens entbehrt als des Dichtens und Schenkens und indem er bediirftigen Talenten aller Art tiber friihere oder fpatere Verlegen- lieiten liinaus und dadurch wirklich der Literatur zu Ehren lialf, gewann er ficli fo viele Freunde, Schuldner und Abhangige, dafs man ihm feine breite Poefie gerne gelten liefs, weil man ilim fiir die reichlichen Wohlthaten nichts zu ervviedern vermochte als Duldung feiner Gedichte. »*) Die Scala der Freunde Gleim's war eine lange; die hauptfach- lichflen kennen wir auch aufserlich aus feinem Freundestempel, in welchem er ihre Gemalde aufhing. In feinen Wohlthaten war er unerfchopflich ; feine Briefe find defs' Zeugnifs, zugleich mit der modifchen lappifchen Freundfchaftsfchwar- merei und oft gradezu verdriefslichen Kinderei. Er gab gern, reichlich und ward nicht miide zu helfen durch Geld, Verwendung und Be- muhung jeder Art. Oft wird 'Knem iibel zu Muth , wenn man die Schmeicheleien liefl, die er bekam und zum Leben nothwendig hatte, weil fie ihm fiets eine neue Anregung waren und ihm den Wein geiflig erfetzten, den er, der Weinfanger, felten und auch dann nur nippend trank; und doch, wenn man feine Gutmiithigkeit und Neidlofigkeit bedenkt, fo verfohnt man fich noch eher mit den grofsten Schmeicheleien, als mit dem Tone, in welchem Ramler feines Freundes und gutmiithigen Krittlers Kritik fiir immer zuriickfliefs. Was diefe Anakreontiker in Verfen und befonders im kleinen Gedicht und Lied ausfprachen, das bewegte im Ganzen auch Salomon Gefsner (1730 — 87}, den jungen Zuricher, der flatt an Buchhandel an Dichten und Zeichnen dachte und (1749) in Berlin fich fiir die Kunft entfchied. Gefsner ging von Brockes, den er als Knabe liebte *) In fpateren Jahren liefs er diefelben (lets auf eigene Koflen diucken und hatte auch dann noch ofter tragikomifche Scherereien mit den Buchhandlern. Lent eke, Gefchichte der deutfchen Dichtung. 3' 482 Gefsner. und der feiner Richtung auf die Natur willkommen gewefen war, zu Anakreon iiber. Wegen der Harten feines Versbaues hatte Ramler ihm gerathen eine harmonifche Profa zu fchreiben. Gefsner folgte dem Rath und begann nach dem noch fiir unumflofslich gehaltenen Grundfatz: Dichtung ifl redende Malerei — feine poetifchen Gemalde zu liefem. Anfangs war der Erfolg nicht grofs; aber das Lob, welches durch eine Ueberfetzung in's Franzofifche aus Paris iiber den Idyllen- dichter ertonte, machte ihn fchnell auch in Deutfchland hochberiihmt. Gefsner giebt kleine Gemalde, Idyllen in der fanften, zartlichen, affectirten franzofifch - griechifchen Manier. Aber innerhalb feiner Richtung ifl er ein wirklicher Poet, der in der Phantafie fieht und der wirklich zartlich empfindet. Idealifche Hirtenfcenen, fentimentale Gemiither in fchonen Gegenden, die wo moglich nach Claude Lorrain im Morgen- und Abendglanz gedacht find, das Weiche, Zartliche, die Kleinmalerei find feine Starke. Alles Scharfe, Characteriflifche, Individuelle id forgfaltig vermieden, fo wie das, was irgend gemein- natiirlich und niedrig im Stil der Zeit erachtet wurde, die deshalb in ihrer glatten und ubertriebenen Afife6lation an den griechifchen Idyl- lendichtern kein voiles Gefallen fand. Alle Gefsnerfchen Idyllen konn- ten ohne Weiteres fogleich fchaferlich von Herrn und Damen in Schafer-Phantafiecoftiimen nachgefpielt werden, was gliicklicher Weife bei Theokrit nicht der Fall fein kann. In Compofition und Form- gebung erflrebte Gefsner Einfachheit und Grazie und fuchte durch wenige wohlgewahlte Worter viel zu fagen; dies und feine fanfte, zarte, zartliche, das Liebreizende voranflellende Manier machte ihn zum Gegengewicht fowohl gegen die Gewaltfamkeit und die leiden- fchaftsflrebende Ueberladung der Seraphiker, als auch gegen die fcharfere, herbere, der Anmuth und des lichten Colorits entbehrende Poefie der kritifchen Schule. Wo Gefsner felber Leidenfchaft erflrebte, wild er gefuhlvoll iiberfchwanglich, weinerlich bis zum Lacherlichen. Dies beweifl fein Tod Abels, den er dichtete, uni Bodmers Ausfpruch zu widerlegen, dafs er, Gefsner, fich wohl nic'ht iiber die Idylle hinaus an die Epopoe wagen wiirde. Dadurch dafs er in Profa fchrieb, gab Gefsner den nachahmen- den Dilettanten grofsen Vorfchub, wie Gothe bemerkt. Die Art und Weife feiner landfchaftlichen Schilderung, namentlich der poetifchen Farbengebung wirkte iibrigens noch auf lange hin nach. 6. Die sogenannte preussische Schule. Die Anakreontik in der deutfchen Poefie war nur ein von den Franzofen heriibergenommenes Seiten-Pfropfreis, welches aber fo fchnell ins Griin fchofs, dafs es eine Zeit lang die Aufmerkfamkeit des erfreuten Publicums beinahe abforbirte und fie von dem noch immer als Hauptflamm der lyrifchen und dida6lifchen Dichtung geltenden Horaz-Wefen abzog. Noch merkte Niemand recht, was fich hier zweigte. Die Anakreontiker dichteten, wo fie pathetifcher und gedankenfchwerer fein wollten, horazifch. Die Horazverehrer tandelten auch wohl anakreontifch, oder es flellte fich das Verhaltnifs fo dar, dafs der jugendUche Dichter anakreontifirte, der gereiftere horazifirte, wie wir dies bei Uz fahen. Angebahnt aber war die Trennung nach griechifchen und romifchen Muflern, von denen die erflen immer entfchiedener zur Geltung gelangten, in der claffifchen Schule. Es hiefs dies fo viel, dafs die dichterifche Auffaffung eine naivere und naturfrifchere wurde; es bedeutete einen Umfchwung in der ganzen Lebensanfchauung, den Durchbruch einer reineren Schonheitsidee, neuen Idealismus, Ein- fchrankung einer einfeitigen Verflandesrichtung , die den esprit oder damals fogenannten Witz fiir den Schopfer der Poefie und beziehungs- weife der Kunfl anfah. Doch entwickelte fich diefe Wandlung nur allmalig. Die ro- mifche Schule fand noch, wie es gewohnlich geht, einige Haapt- vertreter, als fchon der Durchbruch zum neuen Geifl begann. Neben Hagedorn, den im franzofifchen Horazflil am frifcheflen dichtenden Poeten, fahen wir Lange in der dire6leren antiken Nach- ahmung fich flellen. In Berlin lebten zwei Geifler, die in gewiffer Aehnlichkeit das- 31* 484 Friedrich II. felbe wiederholten. Der Eiiie gehort freilich der franzofifchen, iiicht * der deutfchen Poefie an : Friedrich der Grofse. Friedrich 11. ifl der echte Dichter der romifch - franzofifchen Schule. Er fchrieb franzofifch; feine Dichtungen, Oden, Briefe, dida6lifchen Gedichte kamen langere Zeit nur vereinzelt zur Wirkung auf das grofse deutfche PubUcum. Als man fie fpater gefammelt und in Ueberfetzungen kennen lernte, war der Umfchwung in den poetifchen Anfchauungen fchon fo grofs, dafs fie keine befondere Wirkung mehr machen konnten, ja verhaltnifsmafsig viel zu wenig beachtet wurden. Was die Franzofen auch tiber Friedrichs Stil fagen mogen — und er felbfl kannte ihre Spottereien fehr gut*) — feine Gedichte find Spiegel feines eminenten Geifles; in all' der allegorifchen Rhetorik des franzofifch-horazifchen Stils welche Grofse, Scharfe und Fiille! in den Satiren, welche durchdringende Satire, die der Mann erbarmungslos iibt, der felbfl die Herbheit des Lebens bis auf die Hefen koflen mufste, der nur fich felbfl, feiner unbeug- famen Energie und geifligen Wachfamkeit und feinem rafllofen Fleifse Alles verdankte und der mit bitterem Holm auf die blickt, die es fich gern wohl fein laffen und den guten Ausgang ihrer Wiinfche und Plane vom Zufall oder der faulenzerifch erflehten Hlilfe der Gottheit erwarten. Auch die Dida6lik, z. B. das Lehrgedicht vom Kriege, wird gehoben durch die gewaltige Perfdnlichkeit, welche darin fpricht. Es ill nie abflra6le Lehre ; der individuellen, bedeuten- den Ztige und Ausbriiche der ungewdhnlichllen Gefmnung giebt es fo viele, dafs wir jeden Augenblick bald die voile Anfchauung vor *) „Deine Ergotzlichkeiten , o mein Geift, nehmen mich billig Wunder . . . Ich will dir noch mehr fagen, man fpricht, dafs du, die Thorheit voll zu machen, von der Reimfucht befeffen bift. Ja trotz des Apollo bift du Poet. Kannfl du das Scherzgedicht verlaugnen, worin du mit einem beifsenden Stil die ganze Erde beleidigt ? . . Die Feinheiten der franzofifchen Sprache find dir unbekannt und du fiindigft oft wider den Vaugelas und Olivet. O wenn Boileau noch lebte, vielleicht wiirde dein Name niemals den Cotin in feihen Verfen ablofen. Errothe wenigftens und fchame dich der Zeit, die eine folche Arbeit wegnimmt und lafs, ohne dir vergeblich den Kopf zu zerbrechen, die thorichte Belufligung eines witzigen Kopfes fahren. Aber du antwortefl mir, „dafs du als Freund der Harmonic und da dich wider deinen Willen der Gott des Genie fortreifst, frei deinem Ver- gniigen nachhangen kannft, wenn der ermiidete Konig die Mufe verftattet u. f. w." (Officidfe Ueberfetzung von 1760, herausgegeben, um einer ,,gefalfchten" fran- zofifchen Ausgabe entgegenzuwirken.) Friedrich II. 485 uns haben, bald gleichfam den Sprecher felbfl vor uns fehen, den unerfchiitterlichen , hochgeiftigen, fchwer nahbaren in feinem Stolz und feiner Ueberzeugung, in der Gluth und Eis zu wechfeln fcheint. Wir finden in den Gedichten den ganzen Mann wieder, feine Grofse, feine Scharfe und feine Ueberzeugungstreue, die in dem Aufklarungs- geifle keine Heuchelei kannte — die Meiflen denken wenig daran in diefer Beziehung einen gleichen Mafsflab anzulegen, als ob das unerfchiitterliche Beharren in einer Ueberzeugung nicht fo fchwer ware, wie in anderen. In Friedrich fehen wir den geiftigen Antipoden von Klopflock. Die Gefchicke feiner Jugend trieben ihn in das entgegengefetzte Extrem des Gedankenkreifes feines Vaters und wieder in den fran- zofifchen Geifl, gegen den Konig Friedrich Wilhelm in feiner Jugend die tieffle Erbitterung eingefogen hatte. Begeiflert wendete er fich den grofsen franzofifchen Geiflern der Epoche Ludwigs XTV. und der Gegenwart zu. An allem Biirgerlich-Religiofen der norddeutfchen Art feines Vaters hatte er grundlich den Gefchmack verloren. Dafs er in feiner Jugendzeit Heber an die Quelle ging, als in Gottfched, Schwabe, Triller, Lange, Gellert, auch Gleim und Genoffen fich vertiefte, dafs er Racine, Moli^re, Montesquieu und Voltaire, die franzofifchen Erzahler, Fabeldichter, Anakreontiker den deutfchen Nachhinkem vorzog, zumal ihm die Sprache jener von Kindheit an vertraut war, ifl ihm nur vom patriotifchen , nicht vom aflhetifchen Standpunkt aus zu verargen. Wenn er dann von deutfchen Kritikern horen mufste, «dafs Voltaire keinen Witz hat, aber dafs Bahr jeden Lefer entzticken mufs, dafs Euler's ganze Philofophie im Rechnen beflehe, dafs Maupertuis von den Gottern als ein Ruchlofer rede, und dafs Sack angenehm und Montesquieu weitlaufig fei, dafs Gottfched den Scepter auf dem Parnaffe fuhre», dann verkehrte fich ihm das Herz im Leibe, und der grofse, aber herbe Mann, der nicht lieben gelernt und fich angewohnt hatte, mit den Menfchen fo un- barmherzig und fchroff umzugehen, wie man mit ihm umgegangen war, der nicht durch Giite fondern durch Zwang und Scharfe Aende- rungen anzubahnen liebte, der verachtete und verfpottete ein Ge- fchlecht, welches fo urtheilte, flatt fich mit ihm einzulaffen, um es zu erziehen. Er fah es als aflhetifchen und kritifchen Pobel tief unter feinen Fiifsen. Nun kam die englifche Sentimentalitiit und Individualitatshatfchelei 486 Friedrich II. in der deutfchen Nachahmung. Friedrich fiihlte nicht die geringfle Neigung, den erhabenen Stil der romifch-franzofifchen Anfchauung gegen den biirgerlich, weinerlich, moralifch, zimperlich und kleinlich einfetzenden neuen Stil zu opfern. Er fah, wie fo viele, wie fail alle Anhanger der franzofifch infpirirten Zeit die Neuerung flir eine Verfchlechterung, fiir einen Riickfall in die Philiilerei und in fufslichen Aberglauben an. Klopflock's Schwachen in der Grofse, dann feine religiofe Richtung flanden dem grofsen Konig entgegen, der Scharfe und Klarheit liebte und die alten Anfchauungen der Religion fiir Feffeln des Geifles und fiir den barflen Aberglauben anfah und als folche verwarf. Ihm niufste der neue Geift der Klopflock'fchen Poefie als das dire6te Widerfpiel deffen erfcheinen, was er als hochfle Wahrheit erkannt und wonach er fich die Richtfchnur feines Lebens gemacht hatte. Vom Beginn des fiebenjahrigen Krieges an ging Friedrich feine kraftigflen Mannesjahre hindurch in der Thatigkeit als Soldat und Diplomat auf. Bei Beendigung des Krieges war fein Geifl unter der iibergrofsen Anflrengung fleifer, fchrofifer, einfeitiger geworden, nicht mehr geneigt, fich neuen Anfchauungen hinzugeben, die eine voile Umkehr verlangten. Wie foUte er, der Mann der llreng regeln- den Ideen, der dem Schematismus damit entgegenging, fich dem neuen Cultus der Individualitat zuwenden, die in die Willkiir von Sturm und Drang ausartete! Ganz analog feinem fonfligen Beftreben hatte er, wie die meiflen grofsen Aufklarer und Neuerer, fehr wenig Sinn fur das organifche Wachfen und Wachfen-laffen ; er troflete fich nicht damit, dafs Raupe, Puppe und Schmetterling, dafs Keim und entwickelte Pflanze fehr verfchieden ausfehen; er erblickte in der neuen Geiflesbewegung nur Riickfall. Ging es doch den deutfchen mit ihm geborenen Dichtern ebenfo. Geht es doch alien entfchieden nach einer Richtung vvirkenden Geiftern fo, die wenn fie die Friichte ihrer langjahrigen Arbeit zeitigen zu fehen hoffen, plotzlich neue Be- wegungen gewahren, welche gewohnlich im vollflen Gegenfatz zu dem bisher Erflrebten einfetzen und ja meiflens auch mit einer Benergelung Oder heftigen Angriffen gegen die feitherigen Ftihrer beginnen. Fiir Friedrichs Stellung zur deutfchen Poefie gilt kurz : in feiner Jugend hatte fein fcharfer, hochfliegender Geifl fiir die deutfche Literatur keine Achtung haben konnen. In feinem Mannesalter ging die neue Stromung feinem Wefen entgegen. Der bejahrtere, in fchweren Ramler. 487 Schickfalen friih manche Charadlerzuge des Alters annehmende Konig baute eine Mauer um fich, wie ahnlich ein Gothe fie um fich zu errichten fiir nothig hielt. Troflen wir uns, dafs Friedrich II. die neue grofse deutfche Dichtung dadurch moglich machte, dafs er die Welt init Staunen liber den Geifl eiiies Deutfchen und die Kraft und den Muth der Deutfchen erfiillte und diefe durch feine Preufsen fich wieder felbfl. achten und wiirdigen lehrte. Seltfame Fiigung, dafs der geiflig un- patriotifche Mann der von ihm verehrten franzofifchen Nation den Schlag beibringen mufste, der den Umfchwung im deutfchen Geifles- leben auch aufserlich feflflellte. Auf dem Felde von Rofsbach wurde der Refpe6l vor den Franzofen dem deutfchen Volk lacherlich gemacht. Miiller's Kanonen und Seidlitz' Ciiraffiere und Dragoner predigten dort den Deutfchen ein eigenthiimliches neues Evangelium. Der alte Philofoph von Sansfouci verfland dann freilich die Geifler nicht, die er durch Blut und Eifen erldd und an's TagesHcht gebracht hatte. Friedrich war ein romifch-franzofifcher Poet feiner Anfchauung nach. Das franzofifche Element fiel fort und das claffifch - romifche trat voran bei feinem Profeffor an der Kadettenfchule von Berlin, dem ihn verherrlichenden aber niemals von ihm beachteten Karl Wilhelm Ramler aus Colberg (1725 — 1798). Ramler gehort zu der Schule des Horaz, wie fie fich vor den Anakreontikern ge- bildet und in Lange ihren Hauptvertreter gefunden hatte. Er wurde im Waifenhaus zu Halle erzogen und fludirte dann dafelbfl. Mit feinen fludentifchen Zeitgenoffen, den Anakreontikern, trat er damals in kein Verhaltnifs. Seine Oden, metrifche Horaz -Ueberfetzungen und Cantaten verfchafften ihm poetifchen Ruf, allgemein literarifchen feine Ueberfetzung und Einleitung zu Batteux' Aeflhetik und feine kritifchen Leiflungen hinfichtlich der formellen Verskunfl, durch welche er fich einen in manchen Beziehungen eigenthiimlichen Namen machte. Ramler fchlofs fich in feinen Oden moglichfl genau an Horaz an, oft in direfler Nachdichtung geliebter Mufleroden. Kiirze, Schwergewicht, Scharfe und Eleganz des Ausdrucks war fein Abfehen. Mit KleilT. und Leffing nahm er dadurch, wie Gdthe hervorhebt, gegen die breitfpurige Di6tion der alteren Schulen und der meiflen fachfifchen Poeten den Kampf auf, den Haller und in feiner Art auch Hagedorn gefuhrt hatten. Seine Oden find zum Theil wirklich 488 Ramler. poetifch ; diejenigen von einfachem Inhalt gelungener als die nach Erhabenheit flrebenden, wo der eherne Donner, das donnernde Feuer des offnen Aetnafchlundes (der Kanone) u. dergl. eine HauptroUe zu fpielen haben imd der Dichter verfucht, feinem gepriefenen Helden Friedrich IT. das poetifche Monumentum acre perennius zu fetzen. Ramler ill ein Chara61:er in feiner Poefie, aber die Thaten Friedrichs in Oden zu faffen, fehlte es ihm weitaus an Geifl, fo dafs er nur die grofse Phrafe nach dem verllandesmafsigen Gedanken zu giefsen und zu feilen vermochte. Den grofsen Geilleszug der Friedrich- fchen Thaten kann man fo wenig aus ihm kennen lernen, wie man aus Horaz den grofsen Caefar oder die flaatsmannifchen Ideen des Auguflus zu wiirdigen vermag. Liefl man Ramler's Nanie an Naidens Wachtel oder fein Punfchlied: Achelous, Bacchus und Vertumnus, fo fieht man, dafs er auf folchem Gebiete Befferes hatte leiflen konnen. Seine poetifche Hauptliebhaberei war das Feilen der Gedichte, eine Kunfl, die im Uebermaafs angewandt alien originellen Ausdruck zerflort, von ihm leidenfchaftlich getibt, nicht bios an feinen eignen Dichtungen, fondern augh an denen feiner Freunde und fonfliger Dichter, berufen und unberufen. So viel er dabei formell niitzte, fo viel fchadete er der Frifche und Eigenthiimlichkeit der von ihm verbefferten Poefien. Leffmg allein vertraute bis zuletzt feinem Freunde gern feine Arbeiten zur Durchficht an; er war dann ficher, dafs bis zum unbedeutendflen Wortchen Alles durch die kritifche Sorgfamkeit Ramler's gepriift war, der wiederum zu viel Pietat hatte, um fo ungenirt, wie bei Anderen, einzugreifen. Wie fchon die Minna von Barnhelm, fo mufste auch noch den Nathan Ramler fur Leffmg durchfehen und feine Anmerkungen dazu machen; nur ausnahms- weife hat fich Leffmg feinen Verbefferungen widerfetzt. Dabei ifl freilich zu bertickfichtigen, dafs es ein Andres ifl, ein Drama auf Versfufse und Unklarheiten der Di6tion u. dergl. durchfehen oder ein lyrifch-fubje(5lives Gedicht kritifch behandeln und verandern, deffen Reiz im eigenthiimlichflen originalen Schmelz und Duft befleht. Ramler's fonflige poetifche Leiflungen verdienen nicht befonders hervorgehoben zu werden. Am bekannteflen ifl von feinen Cantaten der von Graun componirte Tod Jefu. Ramler's direfte poetifche Wirkfamkeit war keine grofse, weil er langfam producirte und feine Dichtungen vereinzelt herauskamen. Er fland in feiner beflen Manneszeit verghchen mit Klopflock, Leffmg und Wieland in den hinteren Reihen, Willamov. 489 ohne Wirkung auf die Maffen. Spiiter wurde er noch mehr zuriick- gedriingt und nun auch fein grofser mittelbarer durch die Ueber- fetzung des Batteux (i. Aufl. 1756) geiibter Einflufs aufgehoben. Doch behielt er die hohe metrifche Werthfchatzung, in welcher ihn Job. Heinr. Vofs erfl antiquirte. Verfuchte Ramler die horazifche Ode dire(5l zu verwerthen, fo wagte Job. GottHeb Willamov aus Morungen (1736 — 77) ficb an die Nacbdicbtung Pindar's. Warum nicbt grofse Stoffe in Pindar's Stil befmgen? Mit grofsem Scbwung, hoben Worten, einem Patbos, der felten die Erde riibrt, um deflo kraftvoller gleicb dem Adler des Zeus zur Sonne und zum Himmlifchen zu dringen! Und zwar nicbt in einer Verarbeitung, wie fie Klopflock iibte, fondem im directen Anfchlufs in Form und Gefiiblsweife! Willamov dicbtete Ditbyram- ben 1763. Die Kritik ftibrte ibm zu Gemiitb, dafs der Libalt von Dithyramben Baccbus und nicbt Siege und Siegestbaten feien. Darauf hat der Dicbter fur die zweite Auflage von 1766 «den Baccbus genauer in das Siijet gezogen und Alles auf ibn zuriickgefubrt, was ficb nur bat woUen dabin bringen laffen». Mit unbefangener Kiibn- heit, die allerdings barock und nicbt felten bocbkomifcb wird, bildet er ficb einen allgemeinen Rabmen: Lob des begeifternden Gottes Bacchus, und befmgt nun ihn, die Himmelsftiirmer, Siciliens Trennung von Italien, Atlantis, Bacchus in Indien, dann aber auch den Herr- mann, Sobiewski, Peter den Grofsen, Friedrich den Grofsen, Peter Feodorowitz und den Frieden. Die pedantifche Kritik in den Litera- turbriefen feffelte den Dicbter, flatt ibn zu befreien. Herder's Beur- tbeilung in den Fragmenten war ebenfalls eine ungerecbte und wenig fdrdernd fiir den fpeciellen Landsmann und Concurrenten in Peters- burg. Es verdient anerkannt zu werden, dafs Willamov bei alien Schwacben wirklichen Geifl zeigt, dafs er eine poetifche Nacbempfin- dung des Pindarifchen Schwungs und Rhythmus hat, wie er in jener Zeit doch nicbt gewohnlicb war. Auch in ibm lebte etwas von dem Geifl, der in Winckelmann fo grofsartig wirkte. Schon in der zweiten Auflage verfpricht er keine Dithyramben mehr zu dichten. Noch in der zweiten Auflage von Sulzer's Theorie des Schonen (1786) kann man nachlefen, was Sulzer, das Prototyp der langflieligen Kritik feiner Zeit, als Urtheil iiber die Dithyramben im Allgemeinen und Willamov's im Befondern bracbte, diefer Dicbt- art, die gefungen worden fei « wenn die Sanger gut betrunken waren' 490 Willamov. Karfchin. daher leicht zu urtheilen ifl, dafs fowohl das Gedicht als die Mufik etwas ausfchweifendes und wildes miiffe gehabt haben». Es heifst da: «Wir woUen nicht in Abrede feyn, dafs eine etwas ausgelaffene Freude bisweilen gute Wirkung auf Leib und Gemiith haben konne ( — audi eine Katharfis — ) und alfo das Horazifche «Dulce eft defipere in loco » gern unterfchreiben ; aber dazu find eben keine Dithyramben nothwendig». Mit der Anfchauung folchen Stils aber hatte Willamov in den fechziger Jahren natiirlich noch anders zu kampfen und namendich im nordoftlichen Deutfchland. Willamov's dialogifche Fabeln (1765) find recht nett und pracis. Was man fpater als Gnomen ausfprach, fprach man damals im Ge- wand einer fogenannten Fabel aus. Im Allgemeinen drang er fchon feiner Stofte wegen fehr wenig in die Menge. Die ihrer Zeit viel genannte Naturdichterin Anna Louife Kar- fchin, aus dem Schwibufer Kreife (1722 — 1791) mag hier zwifchen diefen fogenannten preufsifchen Dichtern eingereiht werden. Sie war ein poetifches Talent; das Kirchenlied und die Naturfchilderung des Brockes'fchen Stils mogen hauptfachlich in ihrer traurigen Jugendzeit auf fie gewirkt haben. Nach einer zweimaligen Verheirathung, erft mit einem Geizhals, dann mit einem Trunkenbold, wurde fie durch einen Gonner nach Berlin gezogen, wo fie durch ihr Improvifator- Talent, ihre Reimfertigkeit und eine willige Infpiration die grofste Aufmerkfamkeit erregte, nun aber auch durch Ramler und Sulzer u. A. an ihr gebildet wurde. Diefe Art Bildung kam denn freilich viel zu fpat und konnte nur fchadigend auf ihr naturaliftifches Talent wirken. Die Karfch hat Anfchauung, Schwung der Phantafie und Feuer, aber es ift nichts bei ihr durchgebildet. Sie kann Verwunderung erwecken iiber ihr Talent; ihre Werke konnen aber keinen weiteren Anfpruch machen unter den machtigen Zeitgenoffen, in deren Periode ihre Gedichte fielen (1764 herausgegeben durch Sulzer), die ihr zweitaufend Thaler eintrugen. Gleim nahm fich ihrer mit feinem gewohnten liebens- wurdigen Feuer eifrigft an, hatte dann freilich auch manche Un- bequemlichkeit der Protection zu dulden. S'ehr ungalant und die Dichterin verletzend benahm fich Friedrich II. gegen die Sangerin, die natiirlich auch feinen Ruhm befang: auf die Bitte um ein Haus- chen und forgenfreie Exiftenz fchickte er ihr zwei Thaler, die fie entriiftet mit einem Gedicht zuriickfchickte. Friedrich Wilhelm 11. gab ihr fpater ein kleines Haus. E. V. Kleifl. AQi Eine wichtige Stelle in der Vor-KlopRockifchen Dichtung nimmt ein Ewald von Kleifl; eine Vermittlung zvvifchen den Anakreontikern, Horazern, den Leipzigern und den Schweizern bahnt fich in ihm an, die freilich weit gegen die grofseren, die alten Partheien iiberfehen- den oder kraftiger zufammenfaffenden Nachfolger zuriicktritt. Ini Allgemeinen mag Kleifl hier deshalb feine Stelle finden, weil er im Grande die altere Langefchule, gleich Ramler, nur in eigen- thiimlicher Weife fortfetzt. Auch Lange fland bekanntlich fchon mit den Schweizern, die dann Kleifl um fo mehr fiir fich in Anfpruch nahmen, als diefer nun neben einem roniifch-neupreufsifch zu nennen- den Element die Englander auf fich vvirken liefs. Durch diefe kam die Verbindung mit jenen Leipzigern, die fich von Gottfched trennten und nun dem fentimentalen Individualismus fich zuneigten, durch den die Verbindung mit Klopflock moglich ward. Ewald von Kleifl (1715 — 1759), in Pommern geboren, fludirte in Konigsberg Jurisprudenz und Mathematik. Er war frifch als Knabe und ein lufliger Student. Vermogensverhaltniffe zwangen ihn des befferen Fortkommens wegen das Jus mit dem Degen zu ver- taufchen. Er trat 1736 in danifche, 1740 in preufsifche Dienfle. Den Studien, feinen Claffikern, befonders Virgil und Horaz blieb er getreu. Daneben warden Milton, Pope, Thomfon feine LiebUngs- dichter. Durch Gleim erwachte feine LuR, dichterifch thatig zu werden.*) *) Kleifl wurde in einem Duell am Arm, man fiirchtete todtlich, verwundet. Der Oberfl v. Schulz in Potsdam, bei dem Gleim damals Hauslehrer war, erzahlte dies von Kleifl als einem fehr braven Officier bei Tifche. Gleim ging zu dem ihm unbekannten Leidenden; Kleifl klagte iiber Langeweile und dafs er keine Biicher lefen konne in feiner Lage mit der fchweren Wunde. Gleim (fo erzahlt er felbfl) merkte , dafs der kranke Kriegsmann die Sprache der Mufen leiden konnte, verrieth fich ihm als den Verfaffer des Verfuchs in fcherzhaften Liedem und las ihm eins diefer Lieder vor: Tod, kannft du dich auch verliebenr Warum holfl du denn mein Madchen? Kannfl du nicht die Mutter holen, Denn die fieht dir doch noch ahnlich. Tod, was willft du mit dem Madchen ? Mit den Zahnen ohne Lippen Kannft du es ja doch nicht kiiffen ! Dariiber lachte der Verwundete, dafs ihm die Ader an der Hand aufi'prang, 492 E. V. Kleift. Er begann mit Anakreontik, doch konnte fie ihn nicht feffeln. Das Lachen und oberfliichliche Tandeln verging ihm bald. Ungliick- liche Liebe, ungliicklich wegen feiner Mittellofigkeit, machte den friiher fo heiter kecken Mann ernfl und zur Schvvermuth geneigt. Mit weichem Herzen, gefiihlvoll, idealifch flrebend, hatte er in rauhem Handwerk, wo Rauheit und Rohheit noch vielfach als Zeichen kriegerifcher Tugend gait, doppelt fchweren Stand.*) Da ihm mehr- fach das Gliick ungiinflig war, indem Krankheit und Commando ihn von einigen Hauptfchlachten fern hielten, und er aufser dem folda- tifchen und mannlichen Ehrgeiz auch noch durch die Gedanken an- geflachelt wurde, dafs er, der Dichter und fogenannte Schongeifl, ganz befonders durch riickfichtslofelle Tapferkeit fich auszuzeichnen und zu fichern habe gegen die Blicke rohen Muthes, fo wurde feine ernfle, wie Todes - fehnfiichtige Stimmung dadurch noch gefordert. Trofl in der Bitterkeit war ihm die Natur; fein Halt inmitten der Zweifel, die ihn zu Haller flellen, hohes Tugendflreben. Weichheit und Felligkeit zeigt fich feltfam verfchmolzen in ihm und feiner Dich- tung. Wahrend er durch weiche und melancholifche Auftaffung in worauf der herzugeholte Arzt erklarte, dies habe ihm das Leben gerettet, denn es fanden fich Spuren vom kalten Brande. Darauf gelobte der Kranke nun auch ein Dichter zu werden, „ward gefund und fcherzhafte Lieder waren die erflen Verfuche". Diefe Rettung und Anregung war Gleim's grofster Lebenstriumph ; Kleift war fein Freundfchaftsidol. *) Im Gedicht Geburtslied: Weh dir, dafs du geboren bifl — fagt er: Wenn du nicht, wie der Sturmwind, fprichft, Nicht faufft, wie da die Erde fauft, Wo fich das Meer in Strudel dreht : Wenn kein Erdbeben dir den Leib Zu riitteln fcheint, indem du ziirnft: So mangelt's dir an Heldenmuth. Und tanzeft du den Phrynen nicht Von weitem einen Reverenz: So mangelt's dir an grofser Welt. Wenn du nicht fpielfl und viel gewinnft. Bis der, mit dem du fpielfl, erwacht; Wenn W^ollufl unter Rofen nicht Dich in die geilen Anne fchlingt: So fehlt dir Witz ! fo fehlt dir Witz ! . . . Nichts, nichts als Thorheit wirfl du fehn Und Ungliick. E. V. Kleift. 493 feinen landfchaftlichen Schilderungen zu den Englandern hiniibertritt, herrfcht in andem Gedichten ein eigenthiimlicher preufsifch-romifcher, damals audi fpartanifch genannter, ernfl nach prunklofer Grofse, nach Lakonismus flrebender Geifl, der iiber das ethifche Ziel die Poefie kiimmerlich macht. Es war Kleifl nicht gegeben, *) fich frei in die ideale Welt auf- zufchwingen, und des Subjectiven fo lange fich zu entaufsern und es zu vergeffen. Er arbeitete, fich felbfl gegen fein Ideal hinan- zuringen — eine furchtbare Arbeit in ungiinfligen Verhaltniflen, welche die poetifchen Krafte in mancher Beziehung lahmt und auf- reibt. Es ifl ein ewiges Suchen nach « der Harmonie und dem Frieden, den er in der moralifchen Welt vermifst, » fi.att fich kiinfi.- lerifch das Gefiichte zu fchaffen. Diefe Befchranktheit und Schwache bewirkte, dafs er dort, wo er die naturliche Anfchauung verliert, matt wird und dafs er keinen grofseren Stofi' kiinfi-lerifch zu beherrfchen und zu beleben vermag. Schilderung eines gegenfi-andlichen Bildes aus der Natur und ethifche Abficht — das macht feine Starke aus. In feinem «Fruhling» (1749), welcher durchfchlagenden Erfolg hatte und ihn beim Publicum zu den beflen damaligen Dichtern flellte, lieferte er ein befchreibendes Gedicht von wirklich reizenden Einzelheiten. Es ifl eine Bilderreihe von landfchaftlichen Frlihlings- fcenen, untermifcht mit elegifchen und moralifchen Betrachtungen. Die Beobachtung ifl fcharf; die Auftaffung poetifch, der Ausdruck treftend und fchon, aber das Ganze bleibt eine mofaikartige Aneinan- derfetzung. Der Dichter gebrauchte felbfl den Ausdruck: er gehe auf die Bilderjagd. Hier fehen wir, wie er das Einzelne gefammelt und auf einen Faden, den eines Spaziergangs, gefammelt hat. Das ifl feine, naturlich nicht die kiinfllerifche Einheit, nicht ktinfllerifche Beherrfchung des Stofts, wie forgfam auch die Bearbeitung ifl. Als Form hatte er Hexameter mit einer Vorfchlagsfilbe gewahlt; fie zog ihn in den Ring des Gottfched-Schweizerifchen Streites, und Gottfched fchalt, die Schweizer, welche er als Werbeoffizier (1752) perfonlich kennen lernen follte, lobten ihn. Gottfched's Wort, dafs Gedichte, in denen keine Fabel ware, keine eigentlichen Gedichte genannt wer- den konnten — Leffing nahm das fpater in feiner Weife auf — *) Siehe Schiller: Ueber naive und fentimentalifche Dichtung. Doch wiirdigt Schiller nicht genug das Mannliche in der Kleiflifchen Dichtung. 494 E. V. Kleift. hiitte belehrend fiir Kleifl fein konnen. Schlimm fiel Kleiflens Ver- fuch eines epifchen Gedichtes « Ciffides und Paches » aus. Zwei makedonifche Krieger und Freunde vertheidigen mit kleiner Schaar gegen das Heer der Athener eine Burg und fallen in der Vertheidi- gung, indem fie durch ihren Widerfland und Tod das Verderben des Vaterlandes abwenden. Diirftig, langvveilig, mager und bis zum Un- ertraglichen froflig nennt Schiller das Gedicht und was die Poefie als folche betrifft hat er Recht. Anders freilich wird deffen Bedeu- tung vom allgemeinen Standpunkte aus zu wurdigen fein. Es war aufserlich gleich einem Monument in Sandflein von harten, zopfig- fleif antikifirenden Formen. Aber der Geifl in Ciffides und Paches, die floifche Grofse und Pflichttreue, die Freundfchaft, die Ehrliebe, freilich zur krankhaften Ehrfucht gefleigert, der unbeugfame Muth und die Aufopferung, Alles empfunden, Alles durch Leben und Tod des Dichters befiegelt, machen das Gedicht wichtig als Dichtung der Zeit Friedrichs 11. Kalt, ja froflig, wie Kleifl meiflens in feinen nach dem Erhabenen flrebenden Gedichten blieb, war er und fein poeti- fcher Ausdruck doch bedeutfam gegeniiber den Tandeleien der Anakreontik und der breiten empfindungsfiichtigen Schwarmerei der Seraphiker. — In feinen kleineren Poefien treten die Schwachen weniger vor. Zuweilen gelingt ihm die Einfachheit ohne iibermafsige Kalte, wenn auch in den beflen Gedichten, z. B. in Irin, eine gewiffe Steifheit und Oede nicht ganz befiegt ifl und er in andern fene- caifche Pompworte und Bilder zu feiner floifchen Strenge fiigt — niichternen Barockfl.il eben zeigend. Sein Wunfch fiir's Vaterland zu flerben, den er oft, befonders fchon noch in dem, im Todesjahr herausgegebenen « Ciffides und Paches » ausgefprochen hatte, follte leider nur zu friih und fchreck- lich erfullt werden. Mit uniibertrefflicher Bravour kampfte er in der fchauerlichen Schlacht von Kunersdorf, fiel wie ein Held und ftarb mit Ruhe eines qualvollen Todes. Durch Dichtung, Leben und Tod des preufsifchen Majors wurde die Dichtung und die preufsifche Armee in feiner Zeit erhoht. Soldatifches wirkte bei ihm nur mittelbar. Eine Bereicherung der Poefie, wie man fie hiitte durch den Offizier erwarten konnen, erfolgte nicht, weil Kleifl nicht aus dem militarifchen, fondern, gleich feinen gelehrten Freunden, aus gelehrtem Geifl. heraus dichtete, die Objectivitat nicht hatte, aus feinen Empfindungen herauszugehen und E. V. Kleift. 495 noch obendrein in der Uniform eine Art Neffusgewand verfpurte. Die Nobleffe feines Gemiiths hielt ihn peinlich im Idealifchen fefl; die grofse Kluft in jener Zeit zwifchen dem gemeinen Soldaten und dem Officier zu iiberfpringen und den Verfuch zu machen, das Sol- datenleben realiftifch zu vervverthen, dazu war er poetifch zu fchwach, auch durch feine Lebensflellung mehr gehindert als gefordert. Nicht- foldaten konnten eher idealifiren. Gleim verfuchte es, wie wir ge- fehen, in den Grenadierliedern; Leffmg, der beiderfeitige Freund, fiihrte es in der Minna von Barnhelm durch — eine unendlich wich- tige That. Ein trauriges Schickfal wird es immer fein, wenn Geifler fiir die WirkHchkeit fich zu ideahflifch fiihlen und ftir den Idealismus nicht genug Kraft und kiinillerifche Freiheit des Gemiithes befitzen. Auch Kleifl mufste fich zu lange in peinUchen Verhaltniffen und gedriickter Stellung abringen, als dafs er einen Nutzen hatte fchaffen konnen, deffen die deutfche Literatur fo dringend bediirftig war bei dem Ueberwiegen des Gelehrtenthums und des philiflrofen Elements. Seine Lebensauffaffung befchrankte noch mehr den freieren Schwung, den er durch Geburt und Stand hatte haben konnen. Wie vortheilhaft ware es fiir die deutfche Poefie damals gewefen, wenn ein kiihner Dichter aus vornehmerer Lebensflellung aufgetreten ware; felbfl libermiithiges Gebahren, ein riickfichtslofes Sichhinwegfetzen tiber das Gewohnliche in Sitte und Gefinnung ware niitzlich gewefen inmitten der (ibermafsig von den Ideen des biirgerlichen Elements jener Tage beherrfchten Literatur, dem man mancherlei Vorziige nachriihmen, aber auch fehr viele Befchranktheiten nachfagen mufs. Aber Friedrich d. Gr. fchrieb franzofifch. Die Paar Adlige, welche fich mit der deutfchen Dichtung befafsten, liefsen fich in die allgemeine Stromung der Zeitliteratur hineinziehen. Im AUgemeinen kaute man in den oberen Standen entweder mit halbem Verflandnifs die Franzofen wieder^) oder fland noch etwas unter dem Niveau des *) Die Anfichten der Franzofen und ihrer Nachbeter iiber die deutfchen Dichter characterifirt Joh. El. Schlegel's Citat in feiner Antwort auf Mauvillon's Urtheil, das leider bis in Klopflock's Zeit nicht fo fehr unrichtig war: ,,es fehlet euch an Witze! Von zarter Jugend an verwohnt fich der Verfland. Das Scherzen ift euch fremd, das Lacheln unbekannt. Ein ungefalznes Wort und grobes Luftigmachen Erfchiittert euren Bauch mit unermeffnem Lachen. 496 E. V. Kleift. gelehrten Biirgerthums. Alles in Allem hat kaum ein Volk eine fchwerfalligere Entwicklung in feiner Literatur durchgemacht, als das Deutfche von 1250 bis 1750 oder, wenn man will, bis 1787, dem Erfcheinen von Gothe's edel klarer, voll fchoner Iphigenie, der koniglichen Dichtung, die an Adel des Geifles und der Sprache dann einzig in der Weltliteratur daflehen follte. Aber welch' ein Ringen noch bis dahin! Dies hat der Dichter Geifl mit einem Fehl befleckt, Den des verwegnen Kiels gefchwoUne Pracht nicht deckt. So fehr er fich auch fchwingt, fo fmkt er immer wieder In den gewohnten Schlamm bekannter Siimpfe nieder. Und flets hangt euch was an, was nach dem Pobel fchmecket. Noch fiirchtet kein Poet, dafs ihn ein Kenner richtet. Man fragt nur, ob er reimt? man fragt nicht, ob er dichtetr Kein Land hab ich gefehn, das dickre Kopfe nahrt, Den Pindus fo entweiht, die Mufen fo entehrt. 7. Die Leipziger Schule. Wir fahen in Halle die Aeflhetiker, die Horazer und die Anakreon- tiker fich zu den Schweizern im Kampf gegen Gottfched neigen und fich, den Einflufs des Leipziger Dictators abfchiittelnd, conflituiren. Es ward fchon hervorgehoben, dafs eine Reihe tuchtiger Krafte urn Gottfched fich gefammelt hatte und, hauptfachlich auf die wirk- lich bedeutenden Gottfchedifchen Verdienfle um das Drama fufsend, fiir Leipzig eine eigenthiimliche Bluthezeit herautfiihrte. In den Jahren 1740 — 44 entfchied fich der Sieg fiir die Ideen der Schweizer, d. h. der Kritiker der freieren franzofifchen und italienifchen und befonders der neuen englifchen Schule. Die Begab- teflen unter den jungen Gottfchedianern zogen fich von Gottfched und Schwabe mehr und mehr zuriick, da jener fich in feinen Anfichten verfleifte. Sie nahmen fich zum Theil Hagedorn und Haller infoweit zum Mufler, dafs fie lieber produciren als flreiten wollten. Ein Theil wurde von den Anfichten der englifchen Wochen- fchriften ganz herumgebracht und ging auf das popular -gefiihlvolle Gebiet niit Bewufstfein iiber. 1744 fafsten mehrere bisherige Mitarbeiter Schwabe's den Ent- fchlufs, fich felbflandig zu machen. Dies gefchah durch Grlindung eines eignen Blattes: Neue Beitrage zum Vergniigen des Verflandes und Witzes. Nach dem angegebenen Druckort: « Bremen und Leipzig » hiefs man die Zeitfchrift kurz «Bremer Beitrage». Gartner, Rabener, Cramer, Schmid, Ad. Schlegel, Ebert, Zachariae waren die Hauptarbeiter, die den engeren Kern bildeten, der fich republicanifch regierte und fich vor der Herausgabe gegenfeitig kriti- firte. Joh. El. Schlegel, Gellert lieferten Beitrage. Hinzu traten mit folchen Gleim, Kleift, Ramler u. A. Levi eke, Gefchichte der deutfchen Dichtung. 32 498 Kaftner, Die Zeitfchrift flellte fich zwifchen Gottfched und die Schvveizer. Eine Verfohnung der gereinigten Anfichten Gottfched's und der eng- lifchen Wochenfchriften wurde hier deutfch-biirgerlich verfucht. Die englifche Sentimentalitat wirkte bald modificirend ein. Nicht alle friiheren Freunde folgten der neuen Fahne. So fchlofs fich ihr Abr. Gotth. Kaflner aus Leipzig (1719 — 1800) nicht an. Ein friih reifes Talent blieb er der Gottfchedifchen Schule und ihrer verilandesmafsigen Beflimmtheit um fo mehr getreu, als feine poetifche Begabung durchaus von feinem Witz, d. h. von feiner verflandes- mafsigen Scharfe abhangig war und nur epigrammatifch Bedeu- tung hatte. Kaflner, mit dreizehn Jahren Student der Rechtsgelehrfamkeit, Philofophie und Mathematik, wurde Horer Gottfched's und lieferte Beitrage zu Schwabe's Belufligungen des Verflandes und Witzes, wofur er von den Schweizern angegriffen wurde, diefe nun wieder verfpottete und fo mit in den Streit gezogen ward. Mit achtzehn Jahren ward er Magifler und mit zwanzig Jahren Docent an der Univerfitat. 1756 ging er als Profeffor der Mathematik und Phyfik nach Got- tingen, wo er hoch beruhmt bis an fein Ende wirkte. Ueber Haller, fagt er, habe er fich mit Gottfched veruneinigt. Er zog fich wie fafl alle iibrigen Leipziger Genoffen der Jugendzeit von diefem zuriick, ohne nun jedoch eine andere Geiflesrichtung zu nehmen. Er blieb, was Gottfched gewefen war, durch und durch ein Wolfianer im geifligen Leben. Seine Poefien haben bis auf die Epigramme keinen weiteren Werth. Als Spotter war Kaflner oft vor- trefflich. Er hat die ganze Literaturentwicklung von den Schweizern, den Anakreontikern und Odendichtern bis Gothe's Werther^) und weiter *) Z. B. Auf die Schweizer, Bodmer zu verfpotten: Seht die epifchen Zeilen, frei vom Maafse der Sylben, Frei vom Zwange des Reimes, hart wie Zyrchifche Verfe, Leer wie Meifsnifche Reinie; feht, der glyckliche Kynfller Fyllt mit romifchen Lettern, mit pythagorifchen yy Zum Ermyden des Lefers beffer zu nytzende Bogen. Gegen die Ellipfen der Seraphiker: Mein nur feraphifches Minchen, hoch oben in glycklichern Spharen, Mit Myriaden von Kyffen afthetifch atherifch umarmen. So toll erhaben Gewafch in reimlos ametrifchen Zeilen Seh' ich fiir Verfe nicht an, mir ift es rafende Profa. (Nach Swift.) Mylius. 4pg mit feinen gefalzenen Witzen und Schnaken begleitet, ohne dafs er jedoch irgend welche tiefere Geltung dadurch in der Poefie gewonnen hatte. Er zahlte zu den Witzigen, welche die Schwachen Anderer vortrefflich bemakeln, aber nichts belTer machen konnen. Er blieb in der Vor-Klopflockifchen Epoche (lehen, hielt fich freilich fiir den Mann, der iiber einen Klopflock, Gothe und Kant in feinem Urtheil hinausrage. So felbflbewufst er poetifch in Vers und Urtheil auftrat, fo war er doch mehr ein Spotter, als ein Dichter. Zu den Vor-Vierzigern der Gottfchedifchen Schule zahlt audi Chrifllob Mylius (1722 — 54), ein geiflreich-lottriger, cynifcher Poet und Gelehrter, der weder mit der Moral und Sentimentalitat der Bremer Beitragler noch mit der Weife der Anakreontiker zu fchaffen hatte und fich zwar von Gottfched lode, aber dann feine eignen Wege ging. Mylius, in feinem Each als Naturwiffenfchaftler viel verfprechend, als Dichter im alten Stil, auch urn's Erod fchreibend, ein Trabant des Bayle'fchen Geifles, als Freigeifl verrufen, machte fich befonders durch feine Wochenfchrift «der Freigeifl » (1745) den Namen, der an ihm kleben blieb. Er ward fpater Bekannter des jungen Leffnig, der in einer ahnlichen Stromung fland und nach Mylius Tode deffen Werke herausgab, aber mit einer Vorrede, in welcher des Verflor- Dir Gott der Dichtung mufs ichs klagen Sprach Hermann: Schonaich darf es wagen Und fingt ein fchlupfrig Lied von mir. Sei ruhig, hat ApoU gefprochen, Der Frevel id bereits gerochen, Denn Gottfched kronet ihn dafiir. Bardenton, Knittelvers, Minneklingklang, Both'ng'ftamm'l, Mordgefchicht, Hexengefang, Hat man in jetzigen Zeiten fo gem: Bibel und Glauben verlangt man modern. Ueber Leffings Abhandlung: Der Griechen Tod, das war ein Genius Doch der die Zahne bleckt, mit feiner Senfe droht, Das Mordgeripp ill unfrer Dichter Tod, Ein bofer Criticus. Wenn Grandifon eine Marionette ifl, fo ift Werther nichts als ein Speiteufel, der praffelt, dampft und zerplatzt mit Geftank, ohne was andres gethan zu haben, als dafs er etliche Jungen ergolzt. 32* CQO Mylius. Joh. Elias Schlegel. benen literarifcheis und poetifches Wirken fo fcharf, ja vernichtend beurtheilt wurde, als ob Leffing fich durch diefe Kritik einen iiblen Einflufs des Freundes fiir immer vom Halfe zu fchaffen gefucht habe. (Mylius ftarb in London, von wo er auf Koflen wiffenfchaftlicher Freunde eine Reife nach America unternehmen wollte.) Der Grofste der Gottfchedifchen Schule, der auch nur aufserlich dem neuen Leipziger Kreife angehort, war Johann Elias Schlegel*), (1718 — 49) ein bedeutendes, energifches Talent, der unter gUnfligeren Aufpicien und bei langerem Leben unferer Literatur grofseren und dauernden Nutzen hatte bringen konnen. Schlegel war mit den Kaflner, Zachariae u. A. eines der Jugend- Genies jener Zeit, der Stolz der Gottfchedianer, auf deffen friih- zeitigen Verlufl feine Freunde und die Anhanger feiner Richtung noch mit Wehklagen blickten, als langfl Leffmg dem deutfchen Schaufpiel eine andere Richtung gegeben hatte. An fich haben feine Werke fo gut wie keinen Werth mehr. Fafst man dagegen die Zeit in's Auge, in welcher er fchrieb, die Schranken, durch welche er fich Bahn zu machen fuchte und Bahn machte, und fieht man mehr auf das, was er wollte und von Schritt zu Schritt auch mehr erlangte, als auf das, was er bei feinem friihen Tode fchon erreicht hatte, dann mufs man ihn zu den hochbedeutenden Talenten flellen. Schlegel, der junge Zachariae, der junge Gellert, Rabener fmd die Glanzpunkte des Gottfchedifchen Leipzig. Schlegel hatte zum Fuhrer Gottfched's Poetik, als er, entzundet von den griechifchen Dramen, als Schiiler in Pforta Trauerfpiele zu dichten begann. Charactergrofse war es, was er wie nirgends in den neueren franzofifchen Tragddien bei den Alten fand. Und mit dem Durchdrungenfein von diefer bedeutenden Einficht, mit diefer ihn be- geiflernden und tragenden Idee fetzte er an, und fie hielt er auch fed. 1737 dichtete er nach Euripides' Iphigenie in Tauris feine Iphi- genie, genannt Orefl und Pylades (friiher: die Gefchwifler in Taurien. Das Stiick ward in Leipzig 1739 aufgefiihrt, wahrend er noch Schiiler *) Joh. Elias Schlegel aiis Meifsen, geb. 17 18, ein beriihmter Schiiler zu Schulpforta, dichtete dort fchon durch Euripides angeregt Tragodien. Seit 1739 fludirte er in Leipzig. 1743 ging er als Secretar eines Bekannten nach Kopen- hagen, erhielt 1748 durch Holbergs Verwendung eine Profeffur in Soroe, die ihn eilder der Sorgen und tibermafsigen Arbeiten nicht iiberhob; er (larb 1749. J. E. Schlegel. 50I in Pforta war). Im felben Jahr oDido»*). Daneben dichtete er an der mehrfach umgearbeiteten, nach Euripides und Seneca behandelten Tragodie «die Trojanerinnen». Wie er die Alten auffafste, zeigt fol- gende, ziir Belehrung feiner Briider gefchriebene Stelle, wahrfcheinlich aus der Zeit, wo er am Arminius arbeitete: «Der grofste Vorzug derfelben (der Alten) befleht in der Ein- richtung der Fabel. Die franzofifchen Romanverwirrungen herrfchen audi in ihren Tragodien, und diefe letzteren fcheinen ein Zufammen- hang von lauter Liebeserklarungen zu fein, welches die Zuflucht einer ziemlich niichternen Einbildungskraft ifl. Denn nichts ift leichter, als eine Schone vom Anfange bis zum Ende graufam fein zu laffen oder den zartlichen Herzen fonfl ein Hindernifs in den Weg zu legen. Hieriiber wird der Character ganz vergeffen und die Helden haben fafl keinen andern, als diefen dafs fie verliebt fmd und eine Scene um die andere den Zufchauern etwas vorwinfeln. Auf dem fran- zofifchen Theater ifl dies nunmehr zur Nothwendigkeit geworden. Aber wir thun den Deutfchen einen fchlechten Dienfl, wenn wir fie zu Weibern machen und ihnen Leute als Mufler der Helden vor- flellen wollen, deren Leben an dem Blicke ihrer Geliebten als an einem Faden hangt. » — — Gegen das Uebermafs der Intrigue fagt er, die Alten preifend: «In unferen neuen Stticken aber findet man oft nichts als In- triguen wider einander angefponnen, und das darum, weil wir glauben, dafs es die Staatsklugheit grofser Herrn fo erfordere. In der That ifl unfere Schaubiihne noch zur Zeit eine fchlechte Schule guter Sitten, wie fie doch eigentlich fein foil. Denn das ifl. nicht genug, dafs Unflathereien daraus verbannt find; Liebesverwirrungen, Intriguen der Helden und die Spriiche der Opernmoral, wovon auch die Tra- godien voll find, find eben fo gefahrlich. «Noch einen Vorzug haben die Alten, der aber zu unferen Zeiten nicht nachzuahmen fleht. Die Griechen waren ein freies Volk. Sie hatten die hohen Gedanken von den Konigen nicht, die wir haben. Es ift uns heut zu Tage unertraglich, einen Helden reden zu horen, *) Die Stiicke wurden fpater iiberarbeitet. Man mufs bei Schlegel eine doppelte Wirkung annehmen, die erfte als die unmittelbare; die zweite, wohl nicht ganz unbedeutende folgte zwolf [ahre nach feinem Tode, als fein Bruder J. H. Schlegel feit 1761 die gefammelten Werke heraiisgab. CQ2 J. E. Schlegel. wie die andern Leute reden, Er mufs aufserordentlich reden und erzahlen. Daher haben vvir diefe Einfalt im Erzahlen nicht beibehalteii; fondern wir laffen unferc Helden fall nicht, wie Menfchen, reden, weil wir unferc Konige felten fehen, und alfo nichts von ihnen denken, als was aufserordentlich ifl. » In diefem Geifl begann er i 740 das Drama Arminius. Er wich von der aflhetifchen Schablone ab und entfchlofs fich, nach den Worten feines Bruders Johann Heinrich, «aus feinem Gefiihl und aus der Erfahrung bemerkend, dafs diejenigen Trauerfpiele mehr intereffiren und flarker auf die Gemiither wirken, deren Stoff in der Gefchichte des Volkes Hegt, flir welches man dichtet», zu einem heroifchen Drama aus der vaterlandifchen Gefchichte. So trat Armin oder « Herrmann » aus dem Roman auf die Biihne. Leider mifsgluckte Schlegel's Verfuch. Die Chara6leranlage jfeiner Per- fonen hat Grofse. Thusnelda, Armin und feine Mutter Adelheid fmd Perfonen mit Gefinnungen wirklich hohen Stils. Thusnelda erkliirt gegen den romerfreundlichen, fie gleichfalls liebenden Bruder Armin's Flavins, dafs fie den Mann verachten mtiffe, der nur durch Liebe zu ihr zur Pflicht gegen fein Vaterland getrieben wiirde. Aehnlich fpricht Adelheid, da es fich um Vater lands- und Mutterliebe handelt. Armin flellt liber die Liebe noch die Ehre des Vaterlandes und Volkes, woriiber Thusnelda jauchzt: man werde nach ihm einfl. ihre Tugend meffen und fie grofs nennen, da fie ein folches Herz befeffen habe. Von der Chara6terbehandlung aus konnte das Stiick hohes Lob beanfpruchen. Aber durch die fehlerhafte Compofition gingen alle Vorziige verloren und das Werk konnte nicht durchgreifen. Schlegel halt noch die franzofifchen Ordnungen fefl. Dazu mufs nun das Stiick in dem heiligen Hain fpielen, in delTen Nahe die Teutoburger Schlacht ausgefochten wird. Der Dichter verfucht, da- durch gebunden, nun zwar ganz richtig, wie ihn Corneille lehren konnte, den feelifchen Confli6l zur Hauptfache zu machen, aber die Aufgabe zur Befriedigung durchzufiihren vermochte er natiirlich nicht. Die Handlung kommt nirgend in Flufs ; die Erziihlung der Schlacht, die Thatfachen, die hineingebracht werden foUen, fprengen das Drama, deffen Rahmen dafiir viel zu klein war. Die Bewunderung der Freunde, die das Gute fahen und das Fehlerhafte iiberfahen oder nicht einfahen, war grofs. Gottfched felbfl nahm fich gegen die iibermafsige Bewunderung des Herrmann der friiheren Stiicke J. E. Schlegel. 503 Schlegel's an, was Schlegel, deffen Liebling fein Herrmann war, argerte unci zu den Worten bewog: AUer Vorzug, den es (das Drama die Trojanerinnen und Dido, welches Gottfched zuhochfl flellte) vor dem Herrmann hat, fleckt in der Materie des Stucks. Ich will aufser- dem eher fechs Trojanerinnen als einen Herrmann verfertigen.» Er hatte darin Recht. Die claffifchen Stiicke lagen dramatifch zugerichtet vor. Fiir neue Dramen war dies erfl zu fchafifen, und Schlegel fuchte nach den dramatifchen Gefetzen der Entwicklung dafiir. Unfre heutigen dramatifchen Autoren konnen den Beweis liefern, dafs ein folches Suchen ein fehr miihfeliges fein kann. Intereffant ifl Schlegel's noch in Leipzig gedichteter Entwurf: Lucretia. Er woUte gegen eine Lucretia von Koppe, dem Taffo- Ueberfetzer beweifen, dafs diefer Stoff fich biihnengerecht und wiirdig behandeln liefse. Der Entwurf ift in durchgangig gedrungener Profa gefchrieben, zum Theil in fchlagender Kurze. Sextus Tarquinius ifl fhakefpearifch kiihn entworfen. *) (Seit 1741 begann die Shakefpeare- Frage auch fiir Deutfchland wichtiger zu werden.) In der profaifchen Faffung lag ein grofses Moment der Ent- wicklung. Schlegel felbft. hielt freilich den Vers fefl und vertheidigte ihn auch fiir das Luflfpiel, trotzdem er feine bekannteflen Luflfpiele in Profa fchrieb. Die kiinfllerifche Form zog den Kiinfller an. *) Wie Sextus fiirlllich-frech und zuverfichtlich der entehrten Lucretia fich naht und fie auffordert, in dem Jammer und der Strenge iiber ein Ungliick nach- zulaffen, welclies Taufende fich wiinfchen wiirden, zumal doch keine Klage niitze, fagt fein Bruder Lucius : Sextus, ich bitte dich, verfchone fie. Du wirft fie tddten, wo du ihr noch ein Wort fagfl;. Sextus: Aber fiehfl du nicht, dafs fie unleidlich id? Lucius: Ihr Schmerz ift allzu neu, als dafs fie fich anders bezeigen konnte. Sextus: Ich habe ihre Liebe zwingen konnen, follte ich nicht auch ihren Schmerz bandigen? Vorher ift feine Entfchuldigung gewefen: „Ich liebte, ich fehnte mich, darum mufste ich geniefsen." Wie er die Mutter der Lucretia kommen fieht, fagt er: Ich fchwore, dafs Lucretia ihre ganze Verwandtfchaft verfammeln lafst, meine That bekannt zu machen. Glaube mir Lucius, fo betriibt fie fcheint, fo macht fie fich eine Ehre daraus. Sie wird doppelte Gelegenheit finden, fich zu riihmen; erftlich dafs ich fie geliebt habe und fiir's andere, dafs fie mir wider- ftanden hat. 504 J- E. Schlegel. Das kurze Luflfpiel: «die fliimme Schonheit» *) fiir die Kopenhagener Biihneund: «diedrei Philofophen» (hoheres Luftfpiel, Entwurf geblieben; Perfonen: Dionys von Syracus, Arete, feine Gemahlin, Cleone feine Gebieterin, Phryne und die drei Philofophen Plato, Ariflipp und Diogenes!) find in Verfen und zwar in gereimten Alexandrinern gedichtet. Aber fchon in Leipzig hatte er einen Verfiich gemacht, fich vom gereimten Alexandriner zu lofen. Die wentfiihrte Dofe», ein StUck, welches er als Student fchrieb, aber fpater verwarf, obvvohl es grofsen Erfolg bei der Auffiihrung gehabt hatte, hat zum Vers- maafs den fechsfiifsigen Jambus mit der Cafur nach der fiinften Silbe. Das gleiche Versmaafs war einer proje6lirten Tragikomodie: «Abdolonimus» beflimmt. In einem fpateren Vorfpiel : die «Langeweile», liefs er den Alexandriner mit kiirzeren Jamben wechfeln. Dafs er in der Form weiterarbeitete, zeigt fein letztes, nach dem «Canut» unter- nommenes Werk. «Canut» (1746') gait mit Recht fiir Schlegel's beftes Drama. Jugend- verfuche florten ihn dabei nicht. Der Aufenthalt in Kopenhagen hatte ihn auf nordifche Stoffe gewiefen. Eine Chara6lerbehandlung und Leiden- fchaft geht durch das Stuck, dafs man an den Cid von Corneille erinnert wird. Der ruhigen, milden Grofse des Canut id die un- gebandigte und nicht zu bandigende Kraft und der wilde Trotz, Freiheitsfinn und Ehrgeiz des nordifchen Reckenthums in Ulfo ent- gegengeflellt. Eflrithe, Canut's Schwefler, ifl durch Lift und Liige Ulfo's von Canut ihrem Geliebten entriffen und zur Heirath mit Ulfo gezwungen. Wie fie jetzt fiir den ihr aufgedrungenen wilden Gatten einfteht und zwifchen ihrem koniglichen Bruder, ihrem nach der Konigsherrfchaft ftrebenden Mann und ihrem friiheren Geliebten fich abringt, ift hoch dramatifch. In Ulfo dringt der Dichter bis zu einem, an Hagen von Tronje erinnernden Chara6ter hinan. In dem profaifchen, unvollendeten Entwurf «Gothrica» ift der- felbe hochftrebende Zug zu preifen : ein edler Frauencharadler kampft in koniglicher Weife mit der brutalen Kriegerwillkiir des Hothar und der in Runhilde gegen fie gerichteten pfaffifchen (heidnifchen) Liige und Gewalt. Schlegel bietet in diefem Streben und in der Anlage fiir das *) Leffing: Hamburgifche Dramaturgic Nr. 13. J. E. Schlegel. 505 Grofse die Parallele zu Hallers Dichtung. Hart an der Grenze der Sentimentalitatsepoche (lellt er im Drama bedeutende, von keiner Blaflfe der Gedanken angekrankelte Chara6lere auf, fefl, ftarrmiithig oder von ficherem Ernfl. Wie Leffing in feinen fpateren Jahren iiber Gothe's Werther wegen der fchadlichen Sentimentalitat murrte, ahnlich hatte Schlegel, falls er es erlebt, iiber Leffmg's Mifs Sara Sampfon und das biirger- lich-fentimentale Riihrfluck murren konnen. Unfere Literatur war ein fchwacher Ausdruck ihrer Zeit, aber wie Haller, fo ifl doch auch Schlegel ein Zeugnifs jenes Geifles und jenes Gefchlechtes, welches z. B. unter Friedrich d. Gr. im fleifen Dreffurmarfch Heldenthaten in Sieg und Mifsgefchick voll- brachte, wie fie alien je gefchehenen Thaten an die Seite geflellt werden konnen; der grofse Zug in den Geiftern, der damals durch ganz Europa fo bedeutende Herrfchergeifler erzeugte, geht auch durch Johann Elias Schlegel's Dramen. Schlegel hat freilich einen Gottfched zum Lehrer, zur Biihne die damalige fich erfl entwickelnde Leipziger Btihne gehabt! Sein Leben ifl kurz gewefen, feine Begabung durch Sorge und Ueberanflrengung noch verklimmert worden. Aber Grofses (leckte in ihm. Dafs er bei der Art feiner literarifchen Erziehung gleich an Shakefpeare fo herantreten konnte, wie er dies (1741) in feiner \ Schrift that: Vergleichung Shakefpeare's und Andreas Gryph's, bei Gelegenheit des Streites, der fich wegen der Ueberfetzung von Shake- fpeare's Julius Cafar durch Herrn v. Borck entfpann, zeigt feine merk- wurdige Empfanglichkeit und Selbflandigkeit bei aller jugendlichen Unfertigkeit und Verwegenheit, in welcher er, der Jiingling, fich an den grofsen Shakefpeare als Beurtheiler heranmachte. Hierin liefs er fich von Gottfched und den Franzofen verfiihren. Sehen wir aber die Vergleichung, deren Titel fo albern-gefchmacklos erfcheint, naher an, fo zeigt fich, dafs er Shakefpeare's Grofse nach mehreren und wichtigen Beziehungen wenn nicht ganz verflanden, fo doch ahnend erfafst hat. Kein Schimpfen, wie Gottfched kurz vorher bei eben diefer Arbeit von Borck in demfelben Blatt gethan. Nirgends albemes Raifonnement. Wohl bringt er die alten Vorwiirfe, dem Englander fehle die Regelmafsigkeit und er gebe gleich feinen Landsleuten mehr Nachahmungen von Perfonen als Nachahmungen einer gewiffen (d. h. einzigen beftimmten) Handlung, aber er erkennt Shakefpeare's 506 J- E- Schlegel. Starke der Chara6leriflik, namentlich den hohen Vorzug in den «ver- wegenen Zugen», dadurch er die Chara6lere, und zwar meiftens fo fein durch die Ausfagen Anderer zeichne, dafs fafl nichts hinzuzufetzen fei. Ueberdies habe Shakefpeare noch den gefchichtlichen Chara6ter feiner Perfonen treu bewahrt, was man fo felten bei Andern finde. Er erkennt die tiefe Menfchenkenntnifs ; nur iiber die Einmifchung des Niedern kann er fich, der Ariflotelifchen Lehre getreu, nicht beruhigen. Schwulfl flort ihn zuweilen bei Shakefpeare, wie bei Gryph. Letzterer ifl in der kurzen, abgeriffenen Beurtheilung nur ein Anhangfel; nirgends flellte er ihn ernflUch neben Shakefpeare. JugendHcher Patriotismus , auch einen deutfchen Dramatiker zu nennen, hat ihn augenfcheinHch geleitet. Durch beffere Ueberfetzung fuchte er fich an Shakefpeare heranzuarbeiten, den er auch nicht mehr aufser Augen gelaffen und von welchem er fichtUch in der Chara6leriflik zu lernen fich beflrebt hat._ Auch im Luflfpiel fchuf Schlegel wie in der Tragodie das Belle unter feinen Zeitgenoffen, innerhalb feiner Sphare. Mit Recht ward «der Triumph der guten Frauen» als das befte deutfche Original-Luflfpiel jener Tage geriihmt. *) Hatte der Dichter den letzten Adi gut zu iiberwinden vermocht, fo mtifste man das Stiick hdchlichfl anerkennen. Die Perfonen fmd durchgangig ausgezeichnet chara6lerifirt : der frivole allerdings ge- wohnliche Don Juanismus im Mann der Hilaria mit feiner Maxime: doch wer frech ifl und verwegen — , der kleinlich-tyrannifche Mann der Juliane, befonders Hilaria und Juliane. Wie Hilaria, als Mann verkleidet, ihren untreuen Gatten in der Courmacherei bei Juliane durch weiblich-zartere und doch in ihrer Art fo kecke Nebenbuhler- fchaft ausflicht, ifl. ergotzlich. Juliane felbfl ifl. fo edel aufgefafst und ihr Bild tritt fo aus den angegebenen ZUgen hervor, dafs fie zu Schlegel's gelungenflen Figuren gehort: eine wirkliche Dame, die mit ihrem getreuen Kammerkatzchen in ihrer Art eine Vorlauferin ftir zwei unferer beflen deutfchen Luflfpielfiguren war. Leider ifl der Schlufs des Stiickes ganz verfehlt. Die nothwendige Siihnung bleibt aus; die beiden Manner erfcheinen, da fie nicht durch rechte Lauterung gehoben werden, als ganz gewohnliche, ja gemeine Gefellen ^) Leffing : Haniburgifche Dramaturgic Nr. 52 J. E. Schlegel. 507 — bcmerkenswerth genug fiir die fchlimme, aufserliche Moral der Zeit, dafs ein folcher Schlufs moglich war. Ueber Schlegel's Luflfpiel «der gefchaftige Mufsigganger» war fchon die nachflfolgende Zeit einig, dafs es zu breit fei und fich zu fehr im Gewbhnlichen bewege. Schlegel arbeitete neben feiner journaliftifchen Thatigkeit als Herausgeber des «Fremden» in Kopenhagen eifrig fiir das Drama weiter und zwar in den letzten Jahren nach Grundfatzen, die ihn weit von den Gottfchedifchen Wegen und den Abfichten feiner Jugend- zeit abfiihrten und grofse Fortfchritte fiir unfer Drama hoffen liefsen. Aus dem Schreiben von Errichtung eines Theaters in Kopen- hagen, und wGedanken zur Aufnahme des danifchen Theaters"*) (1747) fehen wir feine Fortfchritte in der Auffaffung. Jede Nation foil fich ihrem Chara6ler gemafs ihr Drama bilden. Beifpiel find die Englander und Franzofen, deren Theater, jedes in feiner Art, fchon ifl und doch dem Andern nicht gefallt. Ergotzen und lehren foil das Drama. Dann aber gewahrt es einem Volke diefelben Dienfle, die ein Spiegel einem Frauenzimmer gewahrt. Befonders folle auch das feinere Luflfpiel gepflegt werden. Die Sitten der Nation haben befonders die Wahl der Chara6tere zu beflimmen, doch folle man auch fremde Nationen zuweilen wahlen «um die Chara6tere, bei denen man fonfl zu eingefchrankt fein wiirde, mit deflo grofserer Freiheit auszubilden. » Ueber die Chara6lerfchilderung u. f. w. fpricht er vortreiflich. Ueber die Einheit von Ort und Zeit fagt er jetzt: «Die Wahrheit zu geflehen, beobachten die Englander, die fich keiner Einheit des Ortes riihmen, diefelbe grofsentheils viel beffer als die Franzofen, die fich damit viel wiffen, dafs fie die Regeln des Arifloteles fo genau beobachten. Darauf kommt gerade am allerwenigflen an, dafs das Gemalde der Scenen nicht verandert wird. Am beflen wiirde oft der franzofifche Verfaffer gethan haben, an Statt der Worte: der Schauplatz ifl ein Saal in Climenens Haufe, unter das Verzeichnifs feiner Perfonen zu fetzen : der Schauplatz ifl auf dem Theater. Oder *) Schlegel's Werke III. Band. Doch ifl hervorzuheben , dafs diefe beiden Auflatze von dem Herausgeber aus der Handfchrift gedruckt worden find „und fcheinen nicht fowohl dem Druck beflimmt gewefen zu fein, als in einer blofsen Abfchrift einigen Beforderem und Liebhabem der danifchen Schaubiihne mit- g-etheilt zu werden." 5o8 J- E. Schlegel. im Ernfle zu reden, es wiirde weit beffer gevvefen fein, wenn der Verfaffer, nach dem Gebrauche der Englander, die Scene aus dem Haufe des Einen in das Haus eines Andern verlegt und alfo den Zufchauer feinem Helden nachgeflihrt hatte; als dafs er feinem Helden die Miihe macht, den Zufchauern zu gefallen, an einen Platz zu kommen, wo er nichts zu thun hat.» Eben fo intereffant fiir das wachfende Verflandnifs in diefer Zeit id Schlegel's mit grdfster Sorgfalt begonnene Bearbeitung oder viel- mehr gekiirzte Ueberfetzung von Congreve's «Braut in Trauer». Leider hat Schlegel das Stiick nur fragmentarifch bis in den 2. A(5l gebracht. Das Wichligfle dabei war, dafs er es in funffufsigen freieren Jamben (d. h. nicht durchaus mit flrenger Beobachtung der Cafur nach der zweiten Hebung) iiberfetzte. Wie Schade, dafs ihn der Tod an der Vollendung und Herausgabe diefer x\rbeit hinderte und wir nicht fchon 1749 ein Drama in guten, freien, reimlofen funffufsigen Jamben bekamen. ') In der Lyrik dichtete Schlegel in fchmiegfamer Form manches ganz Hiibfche, doch ward er darin nicht von Bedeutung. Intereffant ifl fein epifcher Verfuch: «Heinrich der Lowe.» Er zeigt uns den Unterfchied zwifchen einem Talent und einem, allerdings durch die Zeit geforderten Genie, wenn wir ihn mit Klop- flock's drei erflen Gefangen der Meffiade vergleichen. Schlegel hatte Glover, Klopflock hatte Milton vor Augen, der Grofse den Grofsen. *) Wie ihm die Form gelang, mag der Anfang zeigen : Almeria : Wo ifl denn nun der Saiten Zauberkraft ? Man fagt, Miifik riihrt auch die wild'flen Herzen, Macht Eichen biegfam und die Felfen weich, Und wirkt Gefiihl in Dingen, die nicht fiihlen. Was bin denn ich ? Bin ich denn tauber noch Als Holz und Stein, dafs mein zu machtig Leid Kein fiifser Klang in Schlummer wi.egen kann. Leonora : Kann denn dein Schmerz nicht eine Stun^le fchweigen ? Da im Triumph dein Vater wiederkommt, Da hinter ihm die Konigin der Mohren Gefeffelt folgt , da alles fich erfreut ? Almeria: Was id um mich, das mich nicht weinen hiefse? Ift nicht dies Schlofs ein Kerker? Dies Gemach, Wo ich der Sieger ftolzen Zug ervvarte, Und meines Vaters Knie umfaffen foil — u. f \v. J. E. Schlegel. 509 Klopflock, allerdings durch die Zeit begiinfligt, indem feine, wenn auch nur wenige Jahre fpater fallende Entwicklung in den Sieg der Schweizer und den Triumph Milton's iiber Gottfched's Lehren fiel, Klopflock findet gleich den richtigen Ausgangspunkt. Seine Meffiade fetzt durch und durch dichterifch frei und grofsartig ein. Vor feinen geifligen Blicken fieht er die Welt, die er fchildert. Schlegel arbeitet fich in feinem Lowen an der poetifirten und nach der alten Theorie des Epos aufgeflutzten Gefchichte ab. Er erhitzt feine Phantafie ; er fiihrt die Allegoric ein : er lafst Schaaren des Himmels auftreten: Grofsmuth, Huld, Frommigkeit, Treue, Ge- laffenheit, Muth u. f. w. Auf dem Thron fitzt der hohe Geifl der Majeflat. Klugheit, Rachgier, Blutdurfl, Hochmuth u. f. w. (lehen den Tugenden gegeniiber. Beide Partheien flreiten fich erft am Thron der Majeflat und wirken dann auf die handelnden Perfonen. Statt Gotter Gliederpuppen-A6lus. Jede poetifch-fmnliche Anfchauung wird damit todt gefchlagen, Geifl und Handlung auseinandergeriffen und den Perfonen alle wahre Leidenfchaft geraubt. Der Dichter qualt fich nun ab, den Stoff zu beleben: Ritt nach Goslar, Ueberredungs- verfuch Friedrich Barbaroffa's u. f. w. Alles nattirlich umfonfl. Er fiihlte das felbft. Mit aller Miihe brachte er das Werk nicht vorwarts. Er hatte zwei Bticher fertig, als die drei erflen Gefange Klopflock's erfchienen. Unmuthig iiber fich felbfl brach er mit poetifchem Zorn die Arbeit ab. *) In der Bluthe der Jahre, aus rafllofem Streben raffte den Dichter der Tod hinweg. Mehrere Talente folgten noch feinen Bahnen, aber weder Cronegk, noch Weifse, noch Brawe vermochten, wie es zu einem gedeihlichen Fortfchritte nothwendig gewefen ware, dort zu beginnen, wo Schlegel feine letzten, allerdings nicht einmal bekannten und erfl 1761 durch den Druck verofifentlichten Verfuche hatte liegen laffen miiffen. *) Er fchlofs den zweiten Gefang, fchildemd, wie Heinrich der Lowe feiue Entfchliiffe hin und her walzt: Wie theils aus Eiferfucht, theils Schatze zu erjagen, Ein Maler fich erhitzt, ein Meifterfliick zu wagen, Den Strich oft felbft zerftdrt, den er mit Kunft gethan, Und neue Wege fucht, fich der Natur zu nah'n; Und zomig, dafs er fich fo lang umfonft befleifset, Zuletzt den feuchten Schwamm in fein Gemalde fchmeifset. 510 J- E. Schlegel. Aller Kampf fiir das hohe Drama in der Kunftform der alten Weife war umfonft. Ein radicaler Umfchwung trat ein. Das biirger- liche, realiRifche Drama in Pro fa fiegte, fiegte befonders durch Leflmg feit deffen Mifs Sara Sampfon, allerdings auch wieder nur auf den Anflofs der Nationen hin, von denen die Deutfchen damals in ihrem Geiflesleben abhjingig waren. Jahrzehnte follten noch vergehen, bis man gegen den jetzt fiegen- den Realismus wieder zu dem Idealismus und deffen Formen feine Zuflucht nahm und bis jene Renaiffance gelang, welche dem Dichter der Zopfzeit vorgefchwebt hatte , als er auf der Schule feine Iphigenie dichtete und liber die Nationalbiihne mit Bezug auf das hohere eng- lifche Drama nachfann. Den funffufsigen Jambus feiner letzten Arbeit aber follte vor Allen Leffmg fpater durch den Nathan einbiirgern. Von Bedeutung wurden Herrmann, Canut und Gothrica fiir die vaterlandifche , nordifch-germanifche Richtung in der deutfchen Poefie. Es war noch immer die feit Opitz beftehende Stromung, jetzt wieder im Herrmann, wie in friiherer Zeit und anderen Formen in Lohenflein's Arminius, wie einige Decennien fpater in Klopflock's Hermanns- Schlacht auftauchend. Sie hatte das Verdienfl der Mahnung. Canut gab einen befonderen Impuls; er ging tiber die claffifche Schulleier hinaus in die Gefchichte des nordifchen Mittelalters , ein Verfuch fich an altnordifche Chara6lere wieder hinanzufiihlen. Kopenhagen hatte das Verdienfl, dem Dichter diefe und die Anregung zu « Gothrica » gegeben zu haben, wobei dem Dramatiker noch Hamlet und Macbeth vorfchweben konnte. In Kopenhagen war das Intereffe fiir die alt- nordifche Vergangenheit fchon lebendig. Seit dem popularen Ge- fchmack fiir das vaterlandifche Alterthum, der mit den englifchen Wochenfchriftflellern Kraft und Nachdruck erhalten, hatte in der bedeutenden danifchen Hauptfladt, dem Mittelpunkt eines Volks oder vielniehr zweier Volksflamme, der Danen und Norweger, fich ein kraftig patriotifcher Geifl in der Literatur geregt, ein erfreulicher, anderer Art als in den Refidenzen und Hauptfladten der deutfchen Flirflen. In Kopenhagen war es, wo, Schlegel folgend, Gerflenberg und Klopflock Anregungen gefunden haben, die wichtig werden follten. Dort, wo Holberg ihm als Dramatiker vorgearbeitet, hatte Schlegel auch den erflen Gedanken zu einer Nationalbiihne faffen und iiber die blofse Phrafe hinaus heben konnen. Dort war Nationaleifer und Glaube an fich und Freude am eignen Wefen. Eine tiichtige danifche J. E. Schlegel. 5II Biihne ifl daraus entflanden, und nicht aus blindem Zufall haben fich fpater in Kopenhagen zwei bahnbrechende Genien der bildenden Kunft. entfaltet. Bei feinen gefchichtlichen Arbeiten und Planen mannigfachcr Art, auf welche ihn feine Stellung als Profeffor wies, hatte Schlegel fich Ziele gefleckt, die auch nach diefer Seite hin den richtigen Blick und den Fortfchritt bekunden. Er woUte, wie er an Bodmer fchreibt, zur Forderung des Ge- fchmacks eine gute und lebhafte Schreibart in die Wiffenfchaften bringen, welche beide nirgends ofter als in Deutfchland getrennt waren und doch niemals getrennt fein foUten. Guter Stil, befferer als der des Herrn von Blinau, tieferes Eindringen in die Charactere und in die Urfachen der Dinge, und Einblicke in die Culturgefchichte foUten das Intereffe fiir Gefchichte beim deutfchen Publicum er- wecken. Was ihm vorgefchwebt, was er gewollt hat, Grofses grofs zu fallen, das flellt Johann Elias Schlegel fo hoch und macht ihn fo werth. Er ifl unter feinen Genoffen der Falk, ein Hochflieger von edler Art. Er kann uns, wenn wir auf, fein Wollen eingehen, erklaren, wie eine Reihe tiichtiger Manner an den Ideen, deren Vor- kampfer er war, feflhielten, auf die anakreontifchen Verfeleien mit Achfelzucken fahen und den Sieg des Gefuhls iiber die Willensrich- tung im Drama, des Genre-Drama's iiber die Tragddien hohen Stils, iiberhaupt der geftihlsiiberfchwanglichen, fentimentalen Dichtweife iiber die moglichfl klar gezeichnete, ideal -heroifche als ein Sinken echter Poefie betrachteten. Wenden wir uns zu der Schaar junger Manner zuriick, die mit Schlegel zu Anfang des fiinften Jahrzehnts in Leipzig wirkten, anfang- lich als Gottfcheds Knappen und zum Stolz feiner Schule, die dann aber gleich Schlegel fich von dem einfeitigen, halsflarrigen Lehrmeifler losloflen. ^ Leipzig briiflete fich damals ein Klein -Paris zu fein. Es war flolz auf feine Fiihrung in der deutfchen Literatur. Und in feiner Weife nicht mit Unrecht. Keine Frage: bei Gottfched war Energie und felbfl zopfige Begeiflerung, die leider, wie flets in folchen Kopfen, zur einfeitigen Starrheit und Bornirtheit fuhrte. Der Kreis, der fich um ihn in Leipzig fammelte, beweifl es. Es war ein literarifches Leben und Treiben, welches fiir die r 1 2 Leipzig um 1 740. damaligen Verhaltniffe Refpedl einflofst, ein Zopf- Sturm und Drang, eine allerdings — gegen die grofse folgende — noch geringe, flache, nicht gewaltig fich brechende Flutwelle. Man nehme Gottfched, in fo weit feine Arbeiten werthvoll waren, feine heitere, gewandte, den damaligen Geifleskreis ziemlich beherr- fchende Frau, die Leipziger Biihne in ihrem lebendigen Zufammen- hang mit der Wiffenfchaft und mit Dichtern, die fich als Bahnbrecher des neuen Stils anfehen. Friihreife Geifler treten auf; Kaflner in feiner Art ein Wunderknabe im Wiffen. Die Dramen des Schulpforta- Gymnafiaflen Schlegel werden mit Beifall aufgefUhrt; dann kommt der Dichter-Jiingling um als Student die Univerfitat zu beziehen, lludirt fleifsig und fchreibt hochgefchatzte Buhnenftticke, gliihend fiir fein poetifches Wirken, fich fafl verzehrend, als der Vater bittet, wegen der Studien vom Poetifiren abzuflehen. Der junge Rabener tritt als Satiriker auf, er, den man heute noch als einen der beflen feiert, fcharf die Schaden und Gebrechen der Zeit angreifend. Der anmuthig humoriflifche Gellert, damals noch das Gegentheil eines Hypochonder in feinen Werken, findet neben feiner Arbeit an Bayle und als Er- zieher Zeit, durch Schafer- und Luflfpiele, Gedichte und humo- riflifche Erzahlungen und Fabeln das Publicum zu entzucken. Zacha- riae fchreibt mit achtzehn Jahren ein komifches Heldengedicht, welches man fiir das befle deutfche erklart. Vorher und daneben Geflalten wie die der Mylius und Roft, die regfamen Umtriebler nach Art Schwabe's. Die Mittelgruppe der Cramer, Gartner, Ad. Schlegel und Genolfen tritt hinzu. Zu ihnen gefellt fich der junge Klopflock; es kommen flud. Leffmg und Weifse, um mit den Schaufpielern zu kneipen und Buhnenftiicke zu fchreiben, flatt auf den Collegienbanken zu fitzen — Alles dies innerhalb des einen Decenniums, indeffen der Kampf mit den Schweizern und mit Pyra die Gemiither erregt und in Halle fich eine felbflandige Schule frei und frohlich zu geflalten fucht. Ohne Zweifel eine Reihe bedeutender Krafte. Nehmen wir aber Klopflock und Leffing aus, wie wenig ifl. von dem erfiillt worden, was man zu Anfang hatte hoffen kdnnen! Nur Klopflock, der iiberdies nur aufserlich dem Leipziger Kreife angehort, und Leffing haben fich durchgerungen ; Letzterer hatte fich von Anfang an in mancherlei Gegenfatz geftellt, wenngleich er der Grundrichtung nach feine poetifche Lehrzeit nie ganz zu iiberwinden vermochte. Ueble Lage der deutfchen Dichter. c j 7 Es ift. eigentlich ein fchrecklicher Anblick, zu fehen, wie durch Noth unci Miihfal hindurch ein Leffing und Winckelmann, letzterer durch Hunger, Dienflbarkeit und Schlimmeres, ihren Genius retten — der unausbleiblichen Schadigung, die auch fie in mancher Beziehung dabei leiden mufsten, nicht zu gedenken, wie diejenigen aber, welche folche Leiden der Selbflandigkeit wie Leffing oder folche moralifche Wagniffe wie Winckelmann nicht auf fich nehmen, zwar aufser- lich weniger leiden, aber dafiir innerlich mehr und mehr flocken und, flatt fich zu entfalten, in der Bliithe vertrocknen: diefelben Manner, die mit ihrer Begabung etwa in die literarifchen Kreife von Paris und London geflellt, andere Erfolge, anderen Nutzen gebracht hatten. Man kann mit Recht liber die deutfchen Dichter diefer Zeit ein Wehe rufen, wie fie fich abringen. Falfche Principien auf Schritt und Tritt. Ein kleinliches Leben um fie herum. Die wackerrten Talente dadurch von vornherein halb lahm gelegt. Jiinglingsmuth und Begabung fiihren fie zur poetifchen Kunfl; nach Paar Jahren des Studentenlebens die Wahl des Berufs : hier ein freies , ' in den Augen der Zeit nach den Giintherfchen Antecedentien betrachtetes unfeliges Leben, welches nicht einmal aufserlich ficher flellt, fondern ein Kummerbrod giebt und den Mattgewordenen fchliefslich doch zu Kreuz kriechen und unter's Joch fich ducken lehrt, denn es ifl keine Stadt vorhanden, wo ein Schriftfleller als folcher fich entfprechend vorwarts bringen konnte; auf der andern Seite der gewohnliche Train: ein Amt, mei- flens auf Jahre hinaus zum halben Verhungern, wie bei Uz, Gellert u. A., aufserlich und innerlich hemmend, Zeit raubend, die Krafte abnutzend, den Schwung lahmend und die Freiheit des Gedankens und der Per- fonlichkeit durch flete Riickficht auf das Decorum der Stellung feffelnd — es war durchgehends eine HoUe. Geifler, die in England und Frankreich kiihn vorgedrungen waren, wurden in folchen miferablen Verhaltniffen miirbe oder flockig, lahm und zahm.*) Neben Schlegel waren Rabener und Gellert die bedeutendflen diefes alteren Leipziger Kreifes. Beide gingen aus Gottfched's Schule hervor, fchrieben Anfangs fiir Schwabe's Belufligungen und gingen *) Auch das Rein-Aeufserliche des V'erdienftes der Dichter kommt hiebei in Betracht. Gellert's Verleger wurde durch Gellert ein reicher Mann; der Dichter kam nicht iiber die mittelmafsigften Verhaltniffe. Die Spitzbiiberei des Nachdrucks war nicht bios erlaubt, fondern noch lange an manchen Orten begunftigt. Die Schriftfleller wurden dadurch natiirlich am fchwerflen getroffen. Leincke, Gefchichk der deutfchen Dichtung. 33 514 Rabener. dann zu den Bremer Beitragen, welche Rabener mit griinden half. Sie waren die popularflen Schriftfteller der ganzen Schule und wurden es fiir ganz Deutfchland. Rabener*) ( 1 714 — 7 i)erwarbfich den Ruf, der befle deutfche Satiri- ker, der Satiriker als folcher zu fein. Mit Vorliebe hat Gothe ihn ge- riihmt*'), wobei er gegen Liscow, den perfonlichen Satiriker, nichtgerecht ifl. « Rabener, wohl erzogen, unter gutem Schulunterricht aufgewachfen, von heiterer und keineswegs leidenfchaftlicher oder gehaffiger Natur, ergriff die allgemeine Satire. Sein Tadel der fogenannten Lafler und Thorheiten entfpringt aus reinen Abfichten des ruhigen Menfchen- verflandes und aus einem beflimmten fittHchen Begriff, wie die Welt fein follte. Die Riige der Fehler und Mangel ifl harmlos und heiter und damit felbfl die geringe Kiihnheit feiner Schriften entfchuldigt werde, fo wird vorausgefetzt, dafs die Befferung der Thoren durch's Lacherliche kein fruchtlofes Unternehmen fei. » Die Satire fleckte diefer Zeit, wie frtiher fchon bemerkt, im Blut. Die Uebergangszeit zu neuen Stufen gebart fie. Gegen das Alte oder gegen das Neue wird fie gerichtet, oft fo, dafs der junge Satiriker das Alte bekampft, der neuen Entwicklung dann aber eben fo feind- lich entgegen tritt. Rabener war ein geborener Satiriker. Mit fcharfem Blick fiir das practifche Leben, mit kraftigem Rechtsgefiihl und tuchtiger Bil- dung hob er fich liber feine Zeit; feine Menfchenkenntnifs liefs ihn die Schwachen der Menfchen bald erfchauen. — Die Menfchenkennt- nifs diefer ganzen Leipziger Schule ifl. nicht gering; Gottfched's Be- mtihungen fiir das Drama, der Antheil am Luflfpiel und an der Satire haben dabei eingewirkt; in eigentlich lyrifchen Schulen pflegt diefelbe immer fchwach zu fein. — Mit treffendem Witze griff er die Ge- brechen und Lafter in jenen Spharen an, welche er durch Studium und Praxis genau kannte. Was dem Ernft noch bei fchwerfter Strafe und Lebensgefahr verboten war, das vermochte der Scherz, indem er fortwahrend fchrie. *) Gottl. Wilh. Rabener, geb. 1714 zu Wachau bei Leipzig, auf der Schule zu Meifsen mit Gartner und Gellert zufammen, fludirte feit 1734 Jurisprudenz in Leipzig. Seit 1741 war er Steuerrevifor in Leipzig; 1753 kam er nach Dresden, wo er Steuerrath ward. Seit 1767 krankelte er und ftarb 1771. **) Wahrheit und Dichtung. 7. Buch; und: Ueber deutfche Literature Wir- kungen in Deutfchland in der zweiten Halfte des vorigen Jahrhunderts. Rabener. 515 es fei ja nur Spafs, und jeder Scherz fei halb niirrifch und fomit vor dem Gefetz nicht zurechnungsfiihig. Zu alien Zeiten finden wir die entfprechenden Erzahlungen, dafs Reformatoren fich narrifch geflellt haben, urn ihre Befferungen nur erft unter die Menge bringen zu diirfen. Rabener gewann durch feine Satire einen aufserordentlichen Ein- flufs. Einer Verhohnung und Geifselung, wie er fie den gelehrten Pedanten, dummen, brutalen Landjunkern, beflechbaren Richtem, er- barmlichen Geifllichen, elenden Reimern, Kleider- und Mode- und alien moglichen fonfligen Narren angedeihen liefs, konnte auch ein fiebenhautiger Schild der Dummheit und des fchlechten Schlendrians nicht widerflehen ; die Satire fchlug hindurch. Seine Anleitung zur Beflechung oder die Briefe wegen Befetzung einer Informator- und Pfarrflelle haben, wohin fie drangen, einen Einflufs geiibt, wie kaum in anderer Form moglich gewefen ware. Ein Satz von Rabener wirkte oft mehr als hundert gelehrte Abhandlungen*) oder Predigten. Und imrner konnte der Eine iiber den Andern lachen: der Mann liber die wegen ihrer weiblichen Schwachen verfpottete Frau, der Pedantifche iiber den Dummen, der Dumme iiber den Schurken, der Schurke iiber den Groben und fo fort. Als ein lachender Philofoph der Aufklarung, ohne Groll und Gift und andere revoltirende Bitter- keit leuchtete Rabener mit feiner Laterne iiberall hin in die dunklen Winkel, wo der Kehricht des biirgerlichen Lebens angefammelt lag, hob an hundert Ecken die alien fchmutzigen Autoritatsvorhange auf und zeigte, was dahinter fleckte, meiflens in nicht feiner, namlich in derfelben wiederkehrenden directen Ironie, die aber, da fie auch nicht fiir ein feines Publicum berechnet war, beffere Wirkung fiir den Augenblick that, als wenn fie feiner gewefen ware. Nach diefen Richtungen hin ifl Rabener als niitzlicher Aufklarer des deutfchen Mittelflandes durch den Witz nicht hoch genug zu *) Z. B. aus feinem Beitrag zum deutfchen Wdrterbuch: Fahel: eine Fabel ifl ordentlicher Weife und befonders nach dem Begriff einiger Neueren ein folches Gedicht, iiber welchem der Name eines Thiers oder fond eines Dings fteht, das noch etwas dummer ift als der Verfaffer. Deiit/ck: ifl ein Schimpfwort. Die P"ran- zofen fprechen: Er hat den Fehler, dafs er ein Deutfcher ifl. Deutfche Kedlich- kdt: ift ein verbum obfoletum oder hochflens nur ein Provinzialwort. Siehe hievon mit mehrem des Panzirollus Abhandlung von denen Sachen, welche bei uns ver- loren gegangen find u. f. w. 33* 5i6 Rabener. preifen und in fo weit ifl fein Verdienfl. ein unvergefsliches in der deutfchen Literatur durch Talent, wie durch Wirkung. Es klebten ihm aber dafiir auch die Fehler feiner Zeit und feiner Schule an. Was ihn als fpottenden Erzieher feines Gefchlechts fo wichtig macht, fchadigte ihn als Poeten fiir die Dauer. Er hat nicht die freie dichterifche Wahrheit zum Ziel, fondern fein Wirken ifl durch die Tendenz der Lehre und Befferung beflimmt. Durch fie ifl er gebunden; aus ihr folgen feine Befchrankungen. Ein Geifl. wie Rabener accordirte mit feinem Talent, wie weit er gehen konne, um zu wirken und doch nicht die Linie zu iiber- fchreiten, wo man ihn perfonlich zur Rechenfchaft ziehen konute. Das angflliche Moralgefiihl waltete in ihm, dafs er ja nicht kranken wolle. Er war als Poet doch wieder ein Mann ohne Leidenfchaft einer feurigen Idee und fomit ein Mann der Vorficht und der Furcht- famkeit. Perfonlicher Muth aber ifl. ein Haupterfordernifs des grofsen Satirikers. Furcht, Bequemlichkeit, Verflandigkeit, mangelnder Leicht- fmn, oder was nun Alles zufammen kam, machten Rabener zum Philifl.er; fie trieben ihn an, «die Thoren aus den Palafl.en und Anti- chambern als zu gefahrlich zu fcheuen». Er vermied aus Ueberzeugung und Gutmiithigkeit die perfonliche Satire. Ein unperfonlich getroffener Narr oder Laflerhafter konne in fich gehn und fich beffern; ein durch die perfonliche Satire vemichteter Gegner habe keine Moglichkeit, fich der Brandmarkung wieder zu entziehen. Richtig! Der Satiriker ifl. ein erbarmlicher Ehr-Todfchlager, der einen harmlofen Schwachen anfallt; aber jene Narren, Schufte und Laflerhaften, welche fich kein Gewiffen daraus machen, Andere zu kranken und niederzudriicken oder todtlich zu fchadigen, gegen fie foil der wahre Satiriker als ein Retter der gefcha- digten Menfchheit auftreten und fie mit feinen Waffen auch als ein Ritter ohne Furcht und Tadel bekampfen. Wer da fich feig zeigt, kann nie auf voile Grofse Anfpruch machen. Rabener befchrankt fich darauf, die Thorheiten und Fehler der mittleren Stande unperfonlich zu geifseln. Wenn man feine Argumente dafiir hort, verliert man an Achtung fiir ihn. Er fl.eckt fich hinter die Niitzlichkeit, dafs er die hohen Tropfe und Laflerhaften nicht angriffe. Und doch florirten damals die Driicker und Blutfauger, die ihre Albernheiten auch noch ver- gottem liefsen. Rabener. 517 wViele gehen in ihrem Eifer, das Lacherliche der Menfchen 7A\ zeigen, gar zu weit und verfchonen keinen Stand. Es ifl wahr, es giebt in alien Standen Thoren; aber die Klugheit erfordert, dafs man nicht alle tadle; ich werde fonfl durch meine Ueberzeugung mehr fchaden, als ich durch meine billigRen Abfichten nutzen kann. Der Verwegenheit derer Nvill ich gar nicht gedenken, welche mit ihrem Frevel bis an die Thore der Fiirflen dringen und die Auffiihrung der Obern verhafst oder gar lacherlich machen wollen. 1(1 es nicht ein innerlicher Hochmuth, dafs fie in ihrem Winkel fcharfer zu fehen glauben, als diejenigen, welche den Zufammenhang des Ganzen vor Augen haben, fo id es doch ein iibereilter Eifer, der fich mit nichts entfchuldigen lafst. Sie haben felbfl. noch nicht gelernt, gute Unter- thanen zu fein; wie konnen wir von ihnen erwarten, dafs fie uns die Pflichten eines vernlinftigen Burgers lehren foUen. » Rabener hat nach diefen feinen Worten, ob mit Lufl oder Un- luil, gehandelt und hat das Gute und Ueble, was daraus folgte, geamtet. Er ifl unbehelligter Staatsbeamter im Leben geblieben und hat feinen Nachruhm gekiirzt und fich von den Grofsen feines Fachs ausgefchloffen. Er ifl ein echter Zogling feiner Schule darin, wie er in der Mittelmafsigkeit des Lebens, damit denn auch fchliefslich in der des Dichtens bleibt. Wie im Stoff, fo in der Auffaffung. Nirgends reifst Rabener uns mit fich hinauf zu den Hohen, hinab in die Tiefen des Lebens. So vortrefflich, ja uniibertrefiflich er oft in feinen Kreifen ifl, fo wird der Gefammteindruck fchliefslich philiflros und ermiidend, weil er uns zu viel in der baren gemeinen Philiflerfphare und der fchalen Alltaglichkeit umtreibt. Wenn, mit Schiller zu reden, die Satire foweit in die Poefie gehort, als fie den Widerfpruch zwifchen dem Yerfpotteten und dem Ideal klar macht, fo mufs man Rabener zwar zugeflehen, dafs er den Abfland des Schlechten und Guten fehr deutlich zeigt, aber bekennen, dafs fein eignes Ideal nur zu hSufig ein fehr gewohnliches ifl. Sehen wir feinen augenblicklichen Einflufs durch feine Niitzlich- keitstheorie und feine lehrhafte Tendenz gefleigert, fo denfelben da- durch fiir die Folge gefchadigt. Rabener hatte der deutfche Fielding werden konnen hinfichtlich feiner poetifchen Kraft, Geftalten zu fchaffen. Mit wie wenigen Strichen und doch wie characteriflifch entwirft er z. B. den Gutsherm, den Obriflen, den Profeffor und die Bewerberfchaar, das Kammermadchen, die Pfarrerwittwe, den ver- 5l8 Rabener. fofifenen Feldkaplan der Kriegszeit und den verfoffenen Kiifter. AUe diefe Perfonen leben. Er hatte verfuchen konnen, bei richtiger Ent- wicklung verfuchen mliffen, einen deutlchen komifchen Roman zu fchaffen; er kam nicht dazu; ficherlich, weil die Riickficht auf den unmittelbaren Nutzen feiner Satire ihn hinderte, indem er fich damit zufrieden gab. Aus feiner lehrhaften Abficht, die das freie Spiel der Phantafie ihn ftir unniitzer halten liefs, flammt auch jene oft fo unerquickliche Breite und die Gleichgiiltigkeit gegen feinere Gefiihle; oft lafst er den erfreuenden Witz und Humor ganz einfach bei Seite, um nur mit der nackten und hafslichen Wirklichkeit zu wirken. Wenn in Liscow mehr der freie Geifl. und Lebemann fpottet, fo fehen vvir in Rabener den Juriflen und biirgerlich tiichtigen Gefchafts- niann bei der Satire vorwalten, der, durch Erfahrung mit alien Ge- brechen und Schaden der von ihm gezeichneten Schichten genau bekannt, diefelben aufdeckt, um abzufchrecken, wobei denn das ideale, das poetifche Element haufig zu kurz kommt. Menfch und Schriftfleller waren iibrigens bei ihm eins; es ift. das poetifch freilich noch kein Lob an fich, weil es oft nur ausfagt, dafs der Dichter nicht die Fiifse vom Boden der Wirklichkeit bringen und fich nicht recht erheben konnte oder dafs er feine Perfonlichkeit in irgend einer Weife: fromm, moralifch, genialifch etc., feiner Dich- tung gleich zu machen fucht, wie dies z. B. Gellert, Klopllock nach der Jugendzeit, Stiirmer und Dranger, Romantiker, Jungdeutfche u. A. thaten. Intereffant fmd dafiir von Rabener zwei Briefe: der mit Recht beriihmte iiber das Bombardement von Dresden an Ferber und fein Brief an Weifse, der den erflen Schlaganfall meldet. In jenem zeigt Rabener mitten unter den grofsten Schrecken in trefflicher Darflellung die gleiche humoriflifch-fatirifche Laune, wie in der Wohlbehabigkeit. Zur Kennzeichnung der Zeit gehort, dafs der durch Abfchrift ver- breitete Bericht alsbald das Gefchrei der Heulfrommen und pedan- tifchen Biedermanner erregte, die dem Satiriker nachfchrien, dafs nur ein hartes, unempfindliches Herz bei einer fo traurigen Gelegenheit noch das Lacherliche bemerken und dartiber fpotten konne. Der Krankenbericht zeigt noch mehr den Philofophen: als ihn der Schlag auf der einen Seite gelahmt hat, findet Rabener doch den Scherz uber fich felbft, fobald er fich nur wieder etwas regen kann*). *) Brief an Weifse 1767: ,,Kuiz es war eine Hemiplegie, Ich habe noch Stubenaireft, befinde mich aber ziemlich beffer. Wenn die Holoplegie kommt — Rabeuer. Gellert. 519 In (liliflifcher Hinficht wirkte Rabener durch feinen oft ganz vortrefflichen Stil ungemein. So nimmt er fiir feine Zeit eine fehr bedeutende Stellung ein als Aufkliirer, iR in unferer Literatur immer wichtig wegen feines Witzes, hat aber aus den angegebenen Griinden zu einer dauernden Geltung es nicht gebracht. Er hat nicht gewagt! nicht die Kraft gehabt zu wagen! Und die Gottfchedifche Lehre konnte er nicht abfchiitteln. Ihm ahnUch fein Freund, der als Erzieher feiner Zeit und als Moralifl noch einen weit hoheren Ruf gewann: bei aller Ehrbarkeit, Frommigkeit, Niitzlichkeit u. f. w. ein rechter Beweis fiir die poetifche Mittelmafsigkeit der Schule und wie die Zeit geneigt war, das dichte- rifche Element zu erflicken. Auch er mit Rabener zum Vergleich gegen Englander und Franzofen dienlich, um die deutfchen Verhaltniffe zu kennzeichnen. Halten wir Rabener gegen einen Addifon, Swift oder Voltaire; Gellert etwa gegen einen Fenelon! Die Kleinlichkeit und Schulmeiflerei in Deutfchland bedarf keines weiteren Wortes. Gellert*) (1715 — 69) hatte in feiner Jugend durch langvveiligen Schulunterricht eine derartige Anregung bekommen, dafs er — ■ auch heuti- gen Tages noch nicht felten — Horaz, Virgil und Homer keinen fonder- lichen Gefchmack abgewann und Giinther, Neukirch und ahnliche Dichter zu feinen Muflem wahlte. Seine Jugendfreunde Gartner und Rabener wirkten dann befreiender auf ihn. Spater kam mit befferem Verfland- nifs der Klaffiker das Studium der franzofifchen und englifchen Adieu, mein Herzens-Weifse, ich empfehle mich Ihnen, Ihrer beften Frau und riirer kleinen bande joyeufe zu gutem Andenken! Adieu Spargel, Auflern, Lerchen und Witz! Was meinen Sie, foil daraus werden? Der erfte Schritt zum Grabe ware alfo gethan. Wann kommt der zweite? Wie Gott will" u. f. w. *) Chrift. Fiirchtegott Gellert, geb. 1715 (17 16 oder 171 7 ?) zu Hainichen im fachfifchen Erzgebirge, kam 1729 auf die Ftirflenfchule zu Meifsen, ging 1734 nach Leipzig, wo er Theologie fludirte. 1738 kehrte er in feine Vaterftadt zuriick. Schwachlichkeit und unficheres Gedachtnifs fchreckten ihn von der Laufbahn eines Predigers ab; 1739 nahm er eine Stelle als Erzieher an; 1741 ging er als Privat- gelehrter wieder nach Leipzig, wo er zu Gottfched und Schwabe in nahere Be- ziehung trat und z. B. an Gottfcheds Ueberfetzung des Bayle mitarbeitete und in Schwabe's Belufligungen feine bald fo gem gefehenen Aufiatze lieferte. Spater hielt er fich zu den Bremer Beitragen, deren beliebtefter Schriftfleller er ward. 1744 habilitirte er fich und las mit aufserordentlichem Beifall iiber Moral und fchone Wiffenfchaften. 1751 ward er aufserordentlicher Profeffor. Hypochondrie nahm leider gegen Ende feines Lebens immer mehr zu. Er flarb 1769. 520 Gellert. Sprache und Litcratur hinzu, um ihm einen Blick flir jene Natiir- lichkeit der Darflellung und jene mittelmafsige, aber feRe Einficht in die fogenannte fchone Literatur zu geben, die ihn fo auszeichneten und einen Hauptruhm fiir ihn ausmachten. Wir haben bei Gellert ilreng den jiingeren und alteren Mann zu fcheiden. Der jiingere war der Mitarbeiter an Gottfched's Ueberfetzung des Bayle und nicht der Moralprediger, war der Lehrer des Kiiffens und Tandelns und nicht der weinerliche Praeceptor der Ehrbarkeit und Frommigkeit, war der Vertheidiger von Mufik und Dichtkunfl, Liebe und Wein und nicht der fromme Sanger frommer Kirchenlieder, war der Spotter, deffen Witz die Kirchenglaubigen fiirchteten, und nicht die hochgeehrte hypochondre Frommigkeit. Wie heiter waren die erflen Dichtungen Gellert's, den fich fein von ihm bewunderter Freund Elias Schlegel zum Mufler nahm fiir den Frohfmn der Lyrik*). *) Ode an Gellert (1740 ?). Schlegel fragt klagend, ob das dramatifche Streben die Lyra verftimme und wendet fich dann an feinen Freund Gellert: Enge Zeilen, bange Reime, Sagt, wo find die edlen Traiime, Die vorhin den Geifl erfiillt? Von Entziicken ohne Schranken, Von lebendigen Gedanken Seid ihr ein erflorbnes Bild. Gellert fprich, was dich entreifset, Wenn dein Geifl dich fingen heifset, Und den kiihnen Flug erhoht. Stets bereit, dafs fie dich leite, Steht die Dichtkunft dir zur Seite, Wie man bei Geliebten fteht. Wie in Rom zu Veftens Ehren Ew.ig Feuer zu ernahren, Flaccus Zeit bemlihet war; So ernahrt in dir die Liebe Unverlofchlich heifse Triebe Auf der Dichtkunfl Brandaltar. > Nie vergangliches Entziicken Lafst dein Geift im Singen blicken, Deine Gluth verzehrt fich nicht! Wirdfie fchwacher, brennt fie nieder, So entflammt ujid flaikt fie wieder Deiner Schonen Strahl und Licht. Gellert. 521 Mit zwolf Liedertexten auf Menuette und Polonaifen, fiir Freun- dinnen gedichtet, trat er 1 743 auf, die frei und frohlich Freundfchaft, Liebe, Wein, freien Sinn und Freiheit preifen. Schaferfpiele folgten, in denen er mit grofser Frifche und herzgewinnender Anmuth diefe Stimmung fortfetzte. Zartlichkeit, leichte Schmerzen und leichte Tiicken der Liebe wufste Niemand befler als er zu fchildern — zu manchem Kopffchiitteln und Selbflvorwurf des alteren Mannes, der bei nothwendigen Auflagen mit abkiihlender Pedanterei im Vorwort diefe Erzeugniffe feiner Jugendzeit herauszugeben pflegte. Kiiffe « ach mehr, als taufendmal! », Zanken, Tandeln*) lehrte er feine ungewandten Zeitgenoffen noch beffer als Hagedorn, der fein Muller war. Von leichten frohlichen Liedern und Schaferdramen ging er, den Anregungen der Gottfchedifchen Dramatik folgend, zum Luflfpiel liber. In der «Betfch\vefler» (1745) geifselte er die lieblofe Frommelei und Heuchelei mit einer Scharfe, dafs geiflliche Genoffen fich unangenehm bertihrt ftihlten, und eine Recenfion ihm vorwarf, «der gemeine Mann wiirde nicht wiffen, ob man die Betfchwefter oder den Konig David lacherlich machen wolle». So dumm die Recenfion war, fo war die Beflirchtung nicht ganz ungereimt, dafs Gellert feinen Humor und feine witzige Beobachtung noch ganz anders gegen das fo vielfach wunde oder hohle Wefen des damaligen religiofen Lebens richten konne. Noch konnte Niemand die weitere Entwicklung des Dichters ahnen, die das umgekehrte Verbal tiiifs von Wieland zeigen follte. Gellert, der Vemiinftig - Glaubige der Aufklarungszeit, humoriflifch, zum Scherz und Spott geneigt, fland noch langere Zeit auf dem Scheidepfade, bis er, in gewiffer Hinficht Haller'n ahnlich, fich fefl an den Glauben klammerte, um fo fefler, weil ihm die Zweifel keine Ruhe liefsen. Zwei Geifler wohnten auch in feiner Brull. Wer weifs, ob nicht Gellert unfer damaliger Moliere geworden ware, wenn ihn fein Schickfal flatt auf den Leipziger Univerfitatskatheder etwa neben feinen Freund Joh. El. Schlegel an eine grofsere Biihne geflihrt hatte; *) Doris: Das Tandeln? Was ift das? Dies hab ich nie gehort. Galathee: Es ift nun fo etwas, Man ftreichelt fich die Hand, man kneipt fich in die Backen, Man fchiittelt fich am Kinn und klopft fich in den Nacken — Doris: Dies habt ihr auch gethan? Galathee: Ja, das verfteht fich fchon. (Das Band. 1744.) 522 Gellert. feine Luftfpiele zahlen zu den beflen jener Zeit; die Sicherheit und Scharfe darin, die Geifselung fchwacher und unvviirdiger Charactere ift hochfl beachtenswerth. Neben feinen dramatifchen Stucken, die ihn von der heiteren Seite beim Publicum eingefiihrt hatten und an denen er in diefer erflen Periode riiflig fortfchaffte, gewannen feine Fabeln und Er- zahlungen (feit 1746 gefaramelt; einzeln in den Blattern Schwabe's und den Bremer Beitragen vorher fchon erfchienen) ihni das Herz des Volkes *). Sie wurden bald die Lieblingslectiire der Deutfchen. Es braucht auf frliher Gefagtes nur hingewiefen zu werden, vvie diefe kleinen Erzahlungen, kurz, biindig, mit Witz und Laune behandelt, obendrein noch mit dem moralifchen Zopf dran ausftaffirt, eine Zeit vergniigten, in der das Stoffbediirfnifs mit Zunahme der Lecture ein aufserordentliches war und welche neben den Gefangbiichern und Lehrgedichten nach dem Greifbaren des Lebens mit Recht fich fehnte. Wie kamen die Gellertfchen Fabeln und Erzahlungen dem Bediirfnifs entgegen! Und wie trefflich — dies mufs man anerkennen — hatte der Dichter diefe Lafontainifche Art zu verarbeiten und eigenartig zu machen gewufst! Wie konnte man lachen und lernen! Wie ver- flandlich Alles! Wie drollig**), wie farcaflifch und ftir die verntinftige Aufklarung einflehend ! Das langweilige Lehren und Moralifiren der fpateren Periode tritt hier noch zuriick. Die Moral ftir die Poefie, die wir in der Fabel von der Spinne und der Henne und Biene finden, fleht noch *) 1746 gab er eine Abhandlung heraus: Nachricht und Exempeln von alten deutfchen Fabeln. Im Stil der Zeit fieht er diefelben im Ganzen als ungefchliffene Demanten an. Er erganzt Morhof und lobt befonders auch Burkhard Waldis. **) Z. B. die Art wie der Dichter das „parturiunt montes'' nachahmt , im: Greis, der fchUefst: O Ruhm, dring in der Nachwelt Ohren, Du Ruhm, den fich mein Greis erwarb! Hort, Zeiten, hort's! Er ward geboren, Er lebte, nahm ein Weib und ftavb. Oder im Selbftmord : O Jiingling, lern aus der Gefchichte u. f. w. mit dem Schlufs : Er reifst den Degen aus der Scheide. Und — o was kann verwegner fein? Kurz, er befieht die Spitz und Schneide Und fleckt ihn langfam wieder ein. Gellert. 523 nicht fo abfolut voran, fondern Frau Nachtigall zeigt (Nachtigall und Lerche), wie man fingen foil, fo lang man feurig ifl und wie man uiit Meiflerflucken fich den Eingang in die Ewigkeit offnen foil. Auch im «Band» mid in « Silvia » hatte Gellert die Frage, was die Poefie niitze und lehre, noch nicht fo viel gekiimmert; in Erzahlun- gen, wie in der Gefchichte vom Hut und andern herrfcht die Freude an der Sache felbfl. vor. Es war kein Wunder, dafs Gellert ein fo grofses Gliick mit diefen Erzahlungen hatte und dafs diefelben bis in die niederen Stande hineindrangen und auch diefe durch ihren Humor, ihre Lebenswahrheit und ihre Moral entzuckten *). Was diefe Moral felbfl anbelangt, fo ifl fie fiir uns oft verwunderfam genug und nach jetzigen Begriffen durchaus nicht immer fein. Gellert zeigt darin kein tieferes Gefiihl, als der ganzen Zeit, befonders der theologifchen INIoral eigen war. Um eins herauszuheben, fo find die Spafse liber die Frauen, befonders liber die Wittwen draflifch genug, wie denn die Stellung zum weiblichen Gefchlecht liberhaupt eine fiir uns fonder- bare und der wahren Liebe nur zu oft entbehrende war: das Ver- flandige verdriingt das Herkommlich-Buchflabenmafsige auch in der Ehe, aber wie zopfig nlichtern! Man fehe nur, wie Gellert den Herrn *) Ein Bauer fiihr einen Wagen Brennholz vor feine Thiir mit der Bitte daffelbe als Beweis feiner Erkenntlichkeit fiir das Vergniigen, welches ihm die Fabeln gemacht hatten, anzunehmen. — Eine andere Scene mag Gellert felbfl erzahlen (Brief an Kerflen vom 25. Oct. 1748): „Unlangfl komme ich zu meiaem Buchbinder. Indem ich mit ihm rede, tritt ein Holzbauer, der bei ihm bekannt ill, herein und langt aus feinem Kober, in dam ein guter Vorrath von Butter und Kfife und Brod war, meine Fabeln ungebunden hervor. Da hng er in feiner Sprache an, bingt mir das Buch fein fefl und fchien ein. Chriftoph, fprach mein Buchbinder, wo habt ihr denn das Buch bekommen ? — Wo vver ich's hergekreit han, ich ha mir's gekoft. Unfer Schulmefter und der Schulze han fich bald fcheckigt iiber dem Buche gelacht. Es flieht recht fpafshaft Zeug drinn, mer mdcht narrifch dreber weren. Ich ha en klen Jungen, der fchun fchmuck lefen kann, dem will ich's gahn, er full mir Abends bei der Pfeife Tuback, wenn ich vom Feld komm, draus vurlefen, fo geh ich kaum mih in die Schenk. Er war noch Jung der Herr, der's in Druck hat ausgiehn laffen; ich woUte was abbrechen, aber er fate, es ware nich angers, als 20 Grofchen, die ha ich ihm auch gegahn. Er hatte noch vel Biicher, das Biicherfchreiben mufsm recht von der Hand gehn. — Ihr Narr, fprach mein Buchbinder, der Mann, wo ihr das Buch gekauft habt, hat's nicht gefchrieben, er handelt nur damit." — Der Buchbinder fagt dann dem Bauern, dafs der danebenflehende Mann der Verfaffer fei, worauf der Bauer Gellert freundlich auf die Achfel klopft und ihn ermahnt, mehr folch fchnackiges Zeug zu fchreiben. 524 Gellert. Simon, den contracftlichen Brautigam von Chriflianchen fich Lorchen zur Frau wahlen lafst, um dann doch wieder von Lorchen fich Chriflianchen zufuhren zu laffen. Das Non plus ultra liefert Gellert dann in dem Roman*): Leben der Schwedifchen Grafin von G... *) Diefe Erzahlung von der fchwedifchen Grafin gehort zu den merkwiirdig- ften Biichern fiir die Sittenauftaffung jener Zeit. Im zweiten Bande derfelben ift die Auffaffung der englifchen Moraliften fchon vorwiegend , aber auch er hat des Intereffanten und Verwimderlichen genug. Die Erzahlung behandelt die ConflicTie einer unbewufsten Bigamie. Die Heldin heirathet einen Schwedifchen Grafen. Ein Prinz ftellt ihr nach und bewirkt , dais der Gi^af in dem Feldzug gegen Rufsland an einen gefahrlichen Poflen commandirt wird, wobei er fchwer verwundet und hinterdrein vom Kriegsgericht wegen angeblicher Feigheit zum Tode verurtheilt wird. Die Ruffen iiberfallen das Lager und fchleppen den Grafen in die Ge- fangenfchaft und nach Sibirien. Man halt ihn in feiner Heimath fiir todt. Er ift von feinem Vater ganz nach den Grundfatzen des jeune pere in Eugen Sue erzogen; um ihn vor Ausfchweifungen zu bewahren, hatte fein Vater dem Jiingling geftattet, eine GeHebte, Caroline, auf feiner Reife mitzunehmen, die er auch geheirathet hatte, wenn der Hof ihm erlaubt hatte, die Btirgerliche zu heirathen. Die Grafin trifi't diefe friihere Geliebte, nimmt deren Sohn vom Grafen zu fich und erzieht ihn. Sie verheirathet fich, da fie ihren Mann fiir todt halt, mit deffen treuem Freunde R. und geht mit demfelben nach Holland. In Holland entfiihrt der herangewach- fene Sohn des Grafen ein Madchen , Mariane aus dem Klofter, und heirathet fie. Seine Mutter Caroline kommt zu ihm. Jetzt aber ftellt fich heraus, dafs der Jiing- ling in Blutfchande lebt, indem feine angebetete Mariane feine Schwefter ift. Er geht zur Armee , und wird hier von einem Freund , der fich in die reizende Frau verliebt hatte, vergiftet. Diefer mordei-ifche Freund kommt, bewirbt fich um Mariane und heirathet fie, wird dann aber krank und gemiithsleidend und gefleht fein Verbrechen. Alle meinen, er wiirde fterben. „Wir kamen zu ihm. Wir mufsten ihn als einen Morder haffen, doch die allgemeine Menfchenliebe verband uns auch zum Mitleiden. Er war ruhiger, als zuvor, und bat uns mit taufend Thranen um Vergebung. Er verficherte uns, wenn er leben bliebe, dafs er uns nicht zum Ent- fetzen vor den Augen herumgehen, fondern fich den entlegenften Ort zu feinem Aufenthalte und der Reue iiber feine Schandthat ausfuchen wolle." (!) Er reifl ab, um wieder in den Krieg zu gehen. Mariane ift zur Ader gelaffen, lockert die Binden und ftirbt. Die Grafin lebt mit ihrem Mann R. zufammen, als plotzlich ihr todt geglaubter erfter Mann erfcheint und feine ^Frau verheirathet findet. R. mufs zurtickftehen und fteht ruhig und freundlich zuriick. Der Graf wird wieder der Gemahl. R. (worin Gellert augenfcheinlich eigene Ziige fchildert) mufs bei ihnen bleiben. Caroline, des Grafen friihere Geliebte, lebt auch mit ihnen — alle in grofster Eintracht. Im zweiten Theil wird hauptfachlich eine Schilderung von dem Leben des Grafen in Sibirien gegeben. In ihm beginnt die Anglomanie mit der Characte- riflik des edlen Steeley. Bemerkenswerth ift, dafs ein Jude der Hauptwohlthiiter Gellert. 525 (feit 1746;, der, namentlich im erllen Theil, noch voll in die Zeit fallt, vvelche wir bei Gellert die fchriftflellerifche nennen konnen, wo er durch Collegarbeit und Kranklichkeit und feinen gewonnenen Ruhm noch nicht fo lehrhaft und moralifch fauerfufslich geworden war, wo er fcherzend (im Anfang des letzten citirten Briefes) fchreibt, dafs ein rechter deutfcher Autor keine Oder- oder Michaelismeffe vorbeilaffen miifle, ohne etwas herauszugeben, wenn es auch nur ein Romanchen oder ein iiberfetzter Katechismus ware. Der Spedlator beflimmt bis gegen 1748 Gellert's erzahlende Weife und Auffaflung. Saurin's, des beriihmten Kanzelredners Werke haben daneben den grofsten Einflufs. Dann aber konimt die Wirkung der Richardfon'fchen Romane iiber ihn mit der ganzen breiten, weichen, moralifirenden Schonfeligkeit. Stete Kranklichkeit driickte aufserdem den mit Arbeit iiberladenen Docenten und Dichter, dem fiir feine dichterifchen Beflrebungen das Schlimmfle begegnete: dafs er der moralifche Lehrer und Erzieher in den Augen der Welt und feinen eignen geworden war und jetzt die Poefie befonders als Dienerin des moralifchen Gefiihls betrachtete. Jetzt fank er mehr und mehr in die alte Auffaffung von der Poefie zuriick, «dem, der nicht viel Verfland befitzt, die Wahrheit durch ein Bild zu fagen.» In manchem religiofen Lied gelang ihm zwar noch mehr, als feine Theorie verfprach, aber feine dichterifche Entwicklung war ab- gefchnitten; der Dichter, der fiir Scherzhaftes und Anmuthiges, auch fiir Satire fo manche Begabung gehabt hatte, ging in dem Moraliflen und Profeffor und hypochondren Glaubigen verloren. Das Geflalten liefs nach. Lehren gait ihm fortan mehr. «Wenn die Sprache der Poefie vorziiglich gefchickt ifl, die Einbildungskraft zu beleben, den Verfland auf eine angenehme Weife zu befchaftigen und dem Ge- diichtniffe die x\rbeit zu erleichtern; wenn fie gefchickt ifl, das Herz in Bewegung zu fetzen und die Empfindungen der Freude, der Liebe, der Bewunderung, des Mitleidens, des Schmerzes zu erwecken oder ifl und die Juden alle als getieu gefchildert werden. In der Liebe eines wilden Kofackenmadchens ninimt die Gefchichte einen ganz hiibfchen Anlauf, auch in der Characterifirung eines alten luftigen englifchen Biedermanns, des Vaters von Steeley mit dem Wahlfpruch: fromm und vergniigt. Sie fchliefst damit, dafs der Graf flirbt und die Grafin dem Prinzen, der ihr friiher nachgeflellt, einen Korb giebt, aber bekennt, dafs fie R. wieder geheirathet hatte, wenn er nicht auch geftor- ben ware. 526 Gellert. zu unterhalten: fo ift es unflreitig eine grofse Pflicht der Dichter, diefe Kraft der Poefie vomehmlich den Wahrheiten und Empfindungen der Religion zn widmen. Da iiberdies der Gefang eine grofse Gewalt iiber unfere Herzen hat und von gewiffen Empfindungen ein ebenfo natiirlicher Ausdruck ifl, als es die Mienen und Geberden des Gefichts find: fo follte man der Religion befonders diejenige Art der Poefie heiligen, die gefungen werden kann. Ich habe in den nachflehen- den Oden und Liedern diefe Pflicht zu erflillen gefucht. Habe ich fie mit dem gehorigen Fleifse und zugleich mit Gliicke ausgeiibt; find diefe Gefange, oder doch nur einige derfelben, gefchickt, die Erbauung der Lefer zu befordern, den Gefchmack an der Religion zu vermehren und Herzen in fromme Empfindungen zu fetzen, fo foil mich der gliickliche Erfolg meines Unternehmens mehr erfreuen, als wenn ich mir den Ruhm des grofsten Heldendichters, des beredetflen Weltweifen aller Nationen, erfiegt hatte. Scaliger fagt von einer gewiffen Ode des Horaz, dafs er lieber der Verfaffer derfelben als Konig in Arragonien fein mdchte. Ich weifs alte Kirchengefange, die ich mit ihren Melodien lieber verfertigt haben mochte, als alle Oden des Pindar's und Horaz. »*) Der Stil, welchen Gellert fiir das geiflliche Lied fucht, ifl bezeichnend: «allgemeine Deutlichkeit, die den Verfland nahrt, ohne ihm Ekel zu erwecken; eine Deutlich- keit, die nicht von dem Matten und Leeren, fondern von dem Richtigen entfleht. Es mufs eine gewiffe Starke des Ausdrucks in den geifllichen Gefangen herrfchen, die nicht fowohl die Pracht und der Schmuck der Poefie als die Sprache der Empfindung und die gewohnliche Sprache des denkenden Verflandes ifl. Nicht das Bilderreiche, nicht das Hohe und Prachtige der Figuren ifl das, was fich gut fingen und leicht in Empfindung verwandeln lafst. Die Einbildungskraft wird oft fo fehr davon erfiillt, dafs das Herz nichts empfangt.» Hier fieht man einfach die Stellung Gellert's gegen die Klopflockifche gewaltige Poefie. Bei dem Heldendichter, dem Welt- weifen, Horaz und Pindar kann man getroft an damalige deutfche Dichter denken, etwa an Klopflock, Leffing, Gleim, Kleifl u. f w. — Manner, welche Gellert fo wenig wie Wieland, Gerflenberg, Gefsner, wenigflens zu Gothe's Zeit, niemals in feinen Vorlefungen *) Vorrede zu den geifllichen Oden und Liedern, 1757. Gellert. 527 weder im Guten noch im Bofen nannte. *) Den Zbgling der alten Leipziger Schule konnte er nicht verleugnen. Die geifllichen Oden und Lieder (lellten Gellert's Ruhm bei den frommen Gemiithern noch hoher und flempelten ihn zu dem frommen Dichter, als welcher er neben dem Moraliflen bis auf den heutigen Tag feine Geltung und in mehreren Liedern feine kirchliche VVirkung hat. Darin ifl und bleibt er ein echter Sohn der Aufklarung, dafs die Moral in ihnen dem Dogma vorgeht; alle chrillhchen Confeffionen konnten fie deshalb mit Erbauung lefen und preifen; die KathoHken priefen fie wie die Proteflanten. Mehrere find auch poetifch anzuerkennen, als gefiihlt und innig, veil Warme und Zuverficht. Durchgangig ifl freilich nicht viel anderes dartiber zu fagen, als dafs fie bei fliefsendem Ausdruck und frommem, aus redlichem Herzen kommendem Inhalt gewohnlich find. Oft verflacht der Dichter in der frommen Giite, docirt moralifch, anflatt poetifch zu fein, prUft und ermahnt fich felbfl. als Examinator, anflatt tief quell ende rehgiofe Innigkeit und Erhebung durch die Poefie zu offenbaren. Es waltet, mit einem Wort, die der Zeit fo wohlgefallige niichterne Erbaulichkeit darin. Neues bringt er nicht. Diefe geifl- lichen Dichtungen hoben bei den Maffen feinen Ruhm auf den Hdhepunkt. **) Seine moralifchen Lehr-Gedichte dagegen (1754) waren wirkungslos geblieben. In fliliflifcher Beziehung hatte Gellert durch das Beifpiel feines klaren, fliefsenden Stils in den Gedichten und Luflfpielen gewirkt. Lehrend griff er feit 1751 ein durch feine Abhandlung von dem Gefchmack in Briefen mit Anhang eigener Briefe. Seine Wirfamkeit durch eine weitverbreitete Correfpondenz, worin *) Gothe: Ueber den Werth einiger deutfcher Dichter. 1771. Recenfion. **) Hoch und Niedrig fchatzte und ehrte oder verehrte den frommen Profeffor. Leider ift eine Iblche Verehrung, wie Gellert fie vielfach, vor Allen bei Frauen fand, mehr wohlthuend als forderlich, und nur zu oft dem Kiinfller fchadlich. Die Hochachtung, welche Gellert erwarb, fprach fich in der verfchiedenflen , damals bei einem Dichter noch befonders auffalligen Weife aus. Bekannt ift Friedrichs II. Unterredung mit Gellert. Prinz Heinrich von Preufsen fchenkte dem Dichter ein ruhiges Reitpferd, feine Schecke. Der Kurfiirft fchickte ihm fpater ein Reitpferd mit Sammtfattel und golddurchwirkter Schabracke. Der beriihmte Laudon liefs dem Geftorbenen ein Denkmal auf feinem Gute errichten u. f. w. 528 Gellert. er der deutfche Gewiffensrath ward, dann durch feine zahlreich befuchten moralifch-aflhetifchen Vorlefungen id hier nicht naher darzuthun. Gellert hat einen grofsen moralifchen Einflufs, befonders auf die gebildeten Mittelflande ausgeiibt, deffen Werth hier nicht verkiimmert werden foil. Das aber darf nicht ubergangen werden, dafs fein fpaterer Einflufs auch fchweren Schaden brachte. Der hyflerifche Mann, der er etwa feit 1750 durch feine Kranklichkeit, feine Lebensart u. f. w. immer mehr ward,') brachte wie kein Anderer in Deutfchland die marklofe Schonfeligkeit, die moralifche Riihrungsempfindelei und weinerlich fromme Selbflbetrachtung und Demuth zur Geltung, die bis auf den heutigen Tag in unferen Mittelklaffen fleckt. Die moralifche Empfindelei Richardfon's, in der Art ihrer Tugendhaftigkeit oft fo fchrecklich philiflros, kam, nicht zum wenigflen durch Gellert, bei uns Deutfchen zu noch grofserer Wirkung, als in England felbfl. Der Chara6ler unferer Mittelklaffen erhielt damals, Extrem gegen Extrem, diefen Stich in's Sentimentale, der heut wohl fur urdeutfch gilt, es in der Form aber durchaus nicht ifl. Gellert war, wie gefagt, dazu angelegt, unfer Luflfpieldichter zu werden, der Nebenmann feines nach dem Lorbeer des hohen Dramas flrebenden Freundes Joh. El. Schlegel. Ihn wie den Freund haben die Sorgen und Arbeiten des Docenten erfafst. Das academifche Leben zog ihn mehr und mehr in fich hinein. Den Ehrgeiz, von der Biihne aus der poetifche Lehrmeifler der Nation zu werden, lofle der Ehrgeiz des Katheders ab. Vorlefungen, Stunden, Uebungen, Corre6luren, empfindfame und lehrhafte Correfpondenzen nahmen feine Zeit und Arbeitskraft in Anfpruch. Seine Thatigkeit diefer Art machte ihn beriihmt; er ward ein Wunder der Moral und Frommig- keitj und nun hatte jener Ruhm fiir ihn keinen Reiz mehr, den er einll in neckifcher Anmuth, in Humor und in draflifchen Geilaltungen *) Leffing fiihlte fich durch den weinerlichen M^ann wenig angezogen. Ah er ihn euift befuchte „und in einem chriftlichen Trdfler lefen fand, gab er ihm auf das Freundfchaftlichfte zu veidehen, dafs folche Lecture fiir ihn nicht fei und er fich mit ganz andern Dingen aufheitem foUte. Gellert fuhr wider feine Gewohnheit dariiber auf, mit den Worten: Storen Sie mich nicht in meinem Glauben, dem einzigen Trofl in meiner Krankheit. Leffing empfahl fich darauf mit guter Manier und wiinfchte in feinem Herzen, dafs die Aerzte mit ihm gliick- licher fein mochten." Zachariae. 529 der Jugendzeiten gefucht hatte. War der Taufch fiir die Nation wirklich ein fo guter? Hatte er auf den friiheren Wegen, falls er die Kraft gehabt hatte, auf ihnen weiterzufchreiten, wie er an- gefangen, nicht noch mehr fiir fein Volk erreichen konnen, als er fpater mit all' feiner Moral iind Frommigkeit vermocht hat? Joh. El. Schlegel, Rabener und Gellert waren die Hiiupter unter den jiingeren Gottfchedianern. Zu ihnen flellte fich durch fein erfles Gedicht ruhmvoll Fr. Wilh. Zachariae aus Frankenhaufen (1726 — 77), eins der frlihreifflen poetifchen Talente, welche wir befitzen. Mit 18 Jahren veroffentlichte Zachariae in Schwabe's Belufligungen das komifche Heldengedicht : «der Renommifle.» Das deutfche Studenten- leben und der Widerflreit zwifchen dem Bier vertilgenden, Nachtwachter priigelnden, Degen wetzenden Raufbold von Jena und dem petit- niaitre-Studenten von Leipzig giebt den Stoff, der mit einer fiir die Jugend des Dichters ganz erflaunlichen Scharfe der Beobachtung, Lebhaftigkeit und Keckheit, mit herrlichflem Humor und grofser Fertigkeit behandelt wird. Selbfl die burleske Cotter -Mafchinerie thut oftmals ihre beabfichtigte burleske Wirkung. Pope's «Locken- raub» hatte das Vorbild gegeben. Zachariae liefs dem Renommiflen mehrere ahnliche komifche Dichturgen folgen, die alle des Anmuthigen und Scherzhaften genug haben, aber nicht an das Jugendwerk reichen, auch nicht den gleichen Erfolg hatten. Es war doch ein poetifcher Gliicksfall, der ihn bei jenem gefuhrt hatte: Zachariae fand einen ahnlichen Stofif nicht wieder und wufste fich keinen zurecht zu legen. Im Renommiflen ifl die Compofition gut. Eine gefchlofTene Handlung, zwei fcharfe Gegenfatze, wie fie das fludentifche Leben und das der Univerfitats- fladte bewegen, dargeflellt in draflifcher Weife in Raufbold und Sylvan und ihren Genoffen, ein grofserer Hintergrund, realiflifch- lebendig durch die Schilderung des Lebens und der Sitten in Leipzig und Jena; das Ganze fehr fcherzhaft, und dabei nicht bios ein Spafs, eine komifche Ausgeburt des Augenblicks, fondern eine natunvahre Chara6leriflik und Poetifirung fehr wichtiger Verhaltniffe. In den fpateren Dichtungen: Verwandlungen, Schnupftuch, Phaeton, Lagofiade, Murner in der Holle — fehlen diefe Vorzlige der Com- pofition ; es find Erzahlungen in Verfen. Die Verwandlungen und das Schnupftuch (in Alexandrinern gedichtet) haben im Einzelnen manches Drollige. Der Phaeton ifl fchon in Hexametem gedichtet. Er beginnt Lemcke, Ge/chichte dtr dcut/chen Dichhing. 34 530 Zachariae. fehr hiibfch; es ifl eine Schilderung eines vornehmen deutfchen Guts- befitzer-Lebens , wie wir fie in der Weife kaum wieder befitzen. Der Pferdeflall wird jeden Pferdeliebhaber entziicken. Die junge muthige Grafin Diana will fahren und die beiden feurigen Hengfle felbfl fich auswahlen und ziigeln. Ihr Liebhaber, Baron Fritz, darf endlich wenigflens neben ihr fitzen. Bis dahin ifl die Behandlung trefflich. Die Hauptfcene dagegen, wo die Pferde, durch eine Sirene am Waffer erfchreckt, durchgehen, Diana fie nicht mehr halten kann, Fritz die Ziigel ergreift, aber ein Rad ablauft, Diana in's Waffer fallt und von Fritz gerettet wird, ifl fchwacher. Trotz der vor- trefflichen poetifchen Ziige ifl der Phaeton viel zu leicht nach Idee und Ausfiihrung, um dem Renommiflen die Wage halten zu konnen. So geht es auch mit dem gleichfalls hiibfchen Murner in der Holle (gleichfalls in Hexametern). Die parodifche Lagofiade (in Profa, ahnlich wie die Schlacht in Tom Jones), die Winter -Jagd des auf- gefloberten Hafen, der in den Bach fallt und vom Wurf des Knittels getroffen wird, ifl fehr hiibfch und drollig, aber eben auch nur eine hiibfche Skizze. Das Ungliick dabei war, dafs der Dichter, der gerne Grofseres wieder mit feineni treff lichen Talent geleiflet hatte, nicht wufste, wie er es anfangen follte. Man fieht das mit wahreni Jammer auch an feinen weiteren poetifchen Unternehmungen. Es geht ihm, wie Joh. El. Schlegel mit feinem Epos. Es fehlt die kUnfllerifche Ein- ficht in die Gefetze des Epos, in deffen Anlage und Aufbau! Als ob jede Begebenheit, falls fie hiibfch oder bedeutend ifl, ohne Weiteres durch ihre Einkleidung in Verfe nun auch ein poetifches Kunflwerk ergeben miifste! Zachariae hat fich abgequalt, Klopflock nachzukommen, das ideale Gebiet zu betreten und ein ernfles und grofses Epos zu liefern. In den vier Stufen des weiblichen Alters, «den Tageszeiten», «der Schopfung der Holle» fehen wir ihn Milton und den Englandern nachdichten, fo poetifch befchrankt wie feine Genoffen der Gott- fchedifchen Schule, die meinen, dafs man ficlf grofse Dichtung einfach ausdenken konne, ohne grofse Ideale vor der Seele zu haben. 1766 verfuchte er, der Zeit darin in mancher Beziehung vorgreifend, ein grofses gefchichtliches Epos: «Cortes», zu liefern. Es ifl verfificirte, willkurlich gezierte Erzahlung, kein Epos. Das Intereffante an Cortes, wie auch noch an einigen fpateren Verfuchen ifl, dafs Zachariae Zachariae. Andere Dichter der Bremer Beitrage. c-^i feine Phantafie in die femen Lander zii richten begann und deiitlich das Bewufstfein wieder zeigt, dafs man aus den Schranken, in die man fich gefperrt, hinausbrechen miiffe. Was im Innern nicht moglich ift, wird gewohnlich im Aeufseren verfucht; Unruhe, die in der eignen Brufl und Phantafie keine Befriedigung findet, fehnt fich hinaus in die Zeit oder den Raum, in die Weite und Feme. Neues, An- deres wenigflens wird begehrt. Es zeigt der Cortes jetzt fchon, was der bekanntere Niitzlichkeits-Campe in feinem Robinfon und feiner Entdeckung von Amerika fo vortrefflich darthut. Irgendwo will die Phantafie hinaus und, wenn Robinfon zum echten Vertreter der niichternen Aufklarungstheorie werden mufs, fo wird er dies doch auf einer femen Infel, wo Lama's und Papageien heimifch find und Cannibalen anlanden. In der Entdeckung von Amerika hat Campe denfelben Stoff wie Zachariae aufgenommen, aus deffen Braunfchweig- fchem Kreis er hervorging. Zachariae gehort mit Rabener, Gartner, Cramer, Ad. Schlegel, Schmid und Ebert zu den Griindern der Bremer Beitrage. Johann Elias Schlegel, Gellert, Kleifl, Gleim, Ramler u. A. betheiligten fich. Gifeke und Klopflock traten hinzu. Durch den grofsen Klopflock und die neuen Ideen und Richtungen, welche er brachte, wurde diefer Bund der Uebergangszeit und der Vermittlung zwifchen dem franzofifchen und englifchen, dem alten und neuen Wefen antiquirt und von innen heraus gefprengt. Gartner, Cramer, Ad. Schlegel, Arnold Schmid, Ebert, Gifeke*) *) Zachariae, geb. 1726, wurde 1748 Lehrer am Carolinum in Braun- fchweig, 1761 Profeffor dafelbft, ftarb 1777. Gartner aus Freiberg, geb. 1712, fludirt in Leipzig, 1748 Profeffor am Carolinum in Braunfchweig, f 1 791- Er war fo zu fagen der technifche Leiter der Bremer Beitrage. Joh. Andr. Cramer aus dem Erzgebirge, geb. 1723, ftudirt Theologie in Leipzig, 1748 Dorfprediger, 1750 Hofprediger in Quedlinburg, 1754 in Kopen- hagen, 1765 Profeffor theol. an der dortigen Univerfitat, 1 77 1 Superintendent in Liibeck, 1774 Profeffor in Kiel, 1784 Kanzler und Curator der dortigen Univerfitat, t 1788. Joh. Ad. Schlegel, Bruder von Johann Elias, aus Meifsen, geb. 1721, Zogling von Schulpforta, fludirte feit 1741 Theologie in Leipzig, ward 1751 Lehrer in Schulpforta, 1754 Prediger in Zerbft, 1759 Pfarrer in Hannover. Er ftarb 1 793. Er ifl der Vater von Aug. Wilh. und Friedrich Schlegel. Arnold Schmid aus Liineburg, 1716 — 89, ftudirte Theologie, ward 1746 Recftor in Liineburg, 1760 Profeffor am Carolinum in Braunfchweig. 34* C22 Dichter der Bremer Beitrage. u. f. w. find alle tuchtige, wurdige and in ihrer Art verdienftvoUe Manner, die fich als Lehrer, Prediger, Schriftfteller u. f. w. hervorthaten. Keiner von ihnen ifl. ein Dichter im tieferen Sinne des Worts, wenn fie auch alle Gedichte geliefert haben. Es ift. das bravfle biir- gerliche Mittelraafs der Auf klarungszeit , wie es fo nach Licht und Schatten nur Deutfchland zeigen konnte. Befangene Tugend deut- fcher Art, und poetifch die alte fachfifche Schule ifl die Grundlage. Sie find zurechtgellutzt nach dem Gottfchedifch-Franzofifchen Stil ; als folche helfen fie nach beften Kraften in Poefie und Profa das deutfche Publicum ergotzen und erziehen. Mit Fleifs, Verfland, Gemiith und Witz und Biederkeit arbeiten fie redlich in den Belufligungen des Verflandes und Witzes. Dann kommt der Principienflreit Uber das AVefen der Dichtung und die Erkenntnifs, dafs die Schweizer und deren Lehrmeifler, die Englander, nicht unrecht haben. Das biirger- lich-populare Element der neuen englifchen Schriftfteller libt auf die wackeren, deutfch - biirgerlichen Geifter feine unwiderftehliche An- ziehungskraft und fiegt immer entfchiedener iiber das gelehrt-hohfche und den franzofifchen Stil der Gottfched- Schule. Sie trennen fich von Gottfched und Schwabe und fchriftftellern als ein rechtes Centrum innerhalb der Partheien weiter, im Ganzen der Profa und der Religion zugewandt, alien Extremen abhold, fchone Verftandigkeit fiir das Hdchfte erachtend. So vermitteln fie zwifchen Gottfchedianern und Bodmerianern, altfachfifcher Schule und Anakreontikern , Franzofen- und Englanderfreunden. Joh. Elias Schlegel, Gellert und Rabener find ihre Grofsen, doch reichen fie Gleim, Kleift und Ramler die Hand. Die Mitglieder der Bremer Beitrage fuhrten in diefer Geiftes- weife ein wenn nicht glorreiches, fo doch gemiithlich verdienftvolles literarifches Leben, als fie die Mitgliedfchaft des ftudiofus Klopftock gewannen. Cramer hatte, durch die Mefszeit aus feinem gewohnlichen Zimmer verdrangt, ein Zimmer bezogen, in dem er die im Nachbar- zimmer gepflogenen Gefprache uberhoren konnte, die ihn intereffirten, Joh. Arnold Ebert aus Hamburg, 1723 — 95, feit 1748 Lehrer, 1753 Pro feffor am CaroHnum in Braunfchweig. Nic. Ditr. Gifeke aus Giinz in Ungarn, 1724 — 65, verlebte feine Kindheit in Hamburg, ftudirte feit 1745 in Leipzig, 1748 Hauslehrer in Hannover und Erzieher des jungen Jerufalem, 1753 Prediger, 1754 Hofprediger in Quedlinburg, 1764 Superintendent in Sondershaufen. Dichter der Bremer Beitrage. 555 weil diefelben fich fo haufig um Poefie drehten. Er hatte erfahren, dafs dafelbfl. zwei Studenten, Schmidt und Klopflock, wohnten. Er macht mit ihnen Bekanntfchaft. Schmidt ifl mit den bisherigen poetifchen Leiflungen der Deutfchen nicht zufrieden und preift die Grofse der engUfchen Dichter. Auf Cramer's Einwurfe erkliirt er, Deutfchland befitze fchon den Dichter, der es jerheben wtirde, eilt, da Cramer naturUch dariiber erflaunt id, an den Wafchkoffer und nimnit triumphirend daraus ein Manufcript; fein Stubenburfche Klopflock will es ihm wegnehmen, aber Schmidt beginnt zu lefen, jedoch fo ungeniigend, dafs Klopftock es ihm nun wirklich entreifst, um es dem erflaunten Cramer felbfl vorzutragen. Es ifl ein Epos in Hexametern, die Meffiade! Klopflock wurde Mitglied der Bremer Beitrage. 1748 erfchienen in dem Blatte die drei erften Gefange des Meffias. Die alte Leyer war damit abgethan. Gartner und Arnold Schmid machten fich weiterhin in der Poefie nicht fonderlich bemerklich. Ad. Schlegel fand befonders durch feine Geifllichen Gefange (1766) in entfprechenden Kreifen hohe An- erkennung. Seine Ueberfetzung des Batteux (1752) mit Anmerkungen hatte feinen Ruf als Aeflhetiker begriindet. Cramer trat in feinen geifllichen Oden und Liedern in Klopflock's Fufstapfen. Er flrebte nach Auffchwung und Wtirde, wurde aber von dem jtingeren Dichter und Freund in Schatten geflellt. (Wie Leffmg bei Gelegenheit mit ihm umfprang und feinen Oberhofprediger-Hochmuth dampfte, ifl in den Leffing'fchen Recenfionen liber den Nordifchen Auffeher und bei der Befprechung der Klopflock'fchen Genialitat zu lefen.) Ebert wurde einflufsreich durch feine Ueberfetzung von Young's Nachtgedanken (1754). Gifeke's gefammelte Gedichte wurden nach feinem Tode von Gartner herausgegeben. So intereffant es nun auch ifl, die Entwicklungen folcher Manner innerhalb ihrer befchrankten Kreife der poetifchen Auffaffung zu verfolgen, fo gehort diefes doch nur in eine fpeciellere Unterfuchung. Fiir die grofsen Entwicklungen der deutfchen Poefie kommen fie neben Klopftock, Leffing und Wieland nur noch beilaufig in Betracht. Noch ein Geifl der alteren Leipziger Schule, der fich Ubrigens von allem Coterie-Wefen fern hielt, fei fchon hier genannt: Magnus Gottfried Lichtwer aus Wurzen (1719 — 1783). Lichtwer (feit 1747 534 Lichtwer. Klopftock. Beginn einer neuen Zeit. Decent der Jurisprudenz in Wittenberg, fpater ohne Umgang mit Gleim in Halberfladt lebend, wo er als Regierungsrath flarb) fchrieb 1748 feine Fabeln und Erzahlungen in Gellert'fcher Manier. Diefelben wurden erfl durch Gottfched's Lob allmalig beachtet, dann fehr beliebt. (Ramler machte fich zum grofsen und gerechten Aerger des Verfaffers daran, eine dritte nach feinem Gefchmack gebefferte und geanderte Ausgabe davon zu veranllalten.) Hier fei nur angefiihrt, dafs der ewig junge «kleine Toffel» dazu gehort. In ihm find die Vorziige und ifl die Art Licht\ver's characteriflifch erkennbar. Weitere Bedeutung bekam Lichtwer nicht; fein Lehrgedicht «das Recht der Vernunft" (1758) verhallte wirkungslos wie die Lehrgedichte noch fo mancher Zeitgenoffen. Es trat zu diefen Mannern ein Anderer, ein grofser Genius: Klopflock. Die Anhanger deutfcher Dichtung batten feit 1740 froh- lockt; welche Geifler hatten fich geregt, wie viel Neues war begon- nen! Die neuen Theorien der Schweizer, Hagedorn, die Hallenfer, die Leipziger Dramatiker, die Mitglieder der Bremer Beitrage, fie gehoren nach ihren bleibenden Entwicklungen den wenigen Jahren von 1740 — 1748 an. 1748 erfchienen in den Bremer Beitragen die erflen Gefange des Meffias. Damit begann eine neue Zeit. Neben Klopflock erhoben fich Leffing und Wieland! Das deutfche Volk trat mit ihnen ein in die grofse Periode feiner Dichtung. Von demselben Verfasser ist erschienen: POPULARE AESTHETIK VON Dr. carl LEMCKE, A. O. PROFESSOR AN DER UNIVERSITAT ZU HEIDELBERG. MIT ILLUSTRATIONEN. DRITTE STARK VERMEHRTE UND VERBESSERTE AUFLAGE. Leipzig 1870. VERLAG VON E. A. SEE MANN. Preis brock. 2 Tlilr. 21 Sgr.; eleg. gebunden 3 Thlr. 3 Sgr. Im Jahre 1865 zum erften Male erfcliienen, hat dies Werk diirch seinen Erfolg das Urtheil eines Kritikers in den «Recensionen liber bildende Kunst» bestatigt, der schon bei dem Erscheinen der ersten Lieferungen ausrief: «kurz, wenn uns nicht Alles triigt, so ist Herrn Lemcke der schon von so Manchem versuchte Wurf gelungen, uns eine populare Aesthetik im vol! en Sinne des Wortes zu verschaffen.» Jede Auflage hat den Werth des Werkes gesteigert, welches nach grossen Vorbildern des Alterthums und unserer grossen deutschen Literaturepoche anstrebt, die Ergebnisse der asthetischen Forschungen und Anschauungen in klarer und kraftiger, anregender Weise alien Gebildeten zuganglich zu machen. Einer der jiingsten Kritiker fagt dariiber : „Dass es heute bereits in 3. Auflage vorliegt, beweist einerseits, dass es einem Bediirfniss des Publikums entsprach, andererseits, dass der Verfasser seine Aufgabe mil Geschick zu losen verstanden ; und ein Vergleich dieser dritten mil der ersten Auflage (die zweite liegt iins nicht vor) zeigt, class er nicht miissig gewesen, sondem im Bewusslsein des Ernstes seiner Aiifgabe weiter gearbeitet und die Er- gebnisse seinem Werke einverleibt hat. Das Buch ist ein pop u la res Werk im hasten Sinne desWortes. Es fesselt durch die Frische und den leben- digen Schwung seiner Darstellungsweise; aber es opfert an keiner Stelle der Po- pularitat die wissenschaftliche Griindlichkeit auf." Auch andere Nationen haben es zu wtirdigen verstanden, indem sie es iibersetzten, wie durch O. W. Alund 1868 in der schwedischen Literatur geschehen, oder es ausschrieben, wie z. B. Herr J. van Vloten in seiner hollandischen «Aesthetika of leer van den kunst- smaak» gethan. toon 1861. lamBurg, loftmann & ^ninpe, freis I* 2 ^^^^ Jugendgedichte, frisch, frei und frohlich, in denen sich der Dichter mit Vorliebe auf den Boden der volksthiimlichen Lyrik stellte. Singvogelweisen nannte sie ein Kritiker. Componisten wie Abt, Brahms, Rubinstein u. A., besonders aber R. von Hornstein haben viele der Lieder componirt, ein Beweis, dass sie das sind, wofiir sie sich geben. E. A. S. Druck von C Grumbach in Leipzig. V/- SS SatToN DEPARlMbNl ^g_^^^7__^^ Library LOANTlRiODT" HOME USE 12 Renewals and recharges may be made 4 days pr.m to due date. DUEASiTAMPEDlEl^ RCCQVED B O.RCULATiO PORMNO.DD6,60.,1/B3 BERKELEY, CA 94720 ,. LD9-30m-12,'76(T2555s8)4185- -S-87 GENERAL LIBRARY - U.C. BERKELEY ^^ B0DD721flaM