IT! . ": l ' ' i >3 fa DIE HUNDERTJAHRIGE REPUBLIK. SOCIALB UN POLITISCHE ZUSTANDB IN DEN VEREINI&TEN STAATEN NORDAMERIKA'S. VON JOHN H. BECKER, MIT EINLEITUNG VON FRIEDRICH VON HELLWALD. AUGSBURG LAM PART & COM P. 1876 Rechte vorbehalten. 5-7 ? 3* Bancroft Librarf Inhalt. Seite. Einleitung von FriedrichvonHellwald . I Vorwort des Verfassers . . . . XLI Die gegenwartigen Arbeitsverhaltnisse in den Yereinigten Staaten 1 Die Unbestandigkeit der Arbeit und das vergleichsweise Sinken des'Lohnes 14 Die materiellen Zustande und die Ursachen der Verschlechterung 24 Die Corruption . . ' \. . . s . 63 Die Ausbeutung des Volkes durch die Ringwirthschaft .... 106 Die politischen Zustande im Siiden 122 Entwickelung der socialen Yerhaltnisse im Siiden 135 Negersitten und Weisse in den Siidstaaten 150 Ein Neger - Meeting 163 Die Zustande in Texas, Arkansas und Louisiana 170 Der Wahlmechantsmus . . 193 Die Wirkungen der Partei - Organisation 211 Die Irlander ' "..... 228 Yerbrecherthum und Rechtspflege 233 ^Die Steigerung der hauslichen Bediirfnisse und Lebensanspriiche 247 Die Er?iehung der Kinder in Haus und Schule . . . . , . . 266 Scite. Das eheliche Leben und die gegenseitige Stellung der Geschlechter 275 Die Temperanz-Bewegung und das religiose Leben in Amerika . 284 Die Ursachen der Corruption 300 Die ethnischen Verhaltnisse 304 Der miihelose Vermogens - Erwerb und seine Wirkungen .... 329 Die Folgen des Gleichheitsprincips 340 Die Unertraglichkeit der herrschenden Eigenthumsverbaltnisse : . 352 Muthmassungen uber die Zukunft 362 Einleitung, Vor Jahren hat es einem erhitzten Kopfe, dem Pariser Professor Eduard Laboulaye, der seither auch eine politische Rolle in seinera Yaterlande spielt, ge- fallen, in einem vielgelesenen Buche ,,Paris in Amerika," nordamerikanische und gallische Culturverhaltnisse ein- ander gegeniiber zu stellen, wobei erstere in dem strah- lenden Glanze des Lichtes der Freiheit, letztere hin- gegen in nachtliches Dunkel gehiillt erscheinen. Wenn ein Franzose nicht ausschliesslich fiir die eigene Heimath sich begeistert, so sind es gewiss die Yereinigten Staa- ten, fur die er zunachst in's Feuer geht, aus man- cherlei Griinden, worunter der Mangel an gesunder Kritik nicht die letzte Stelle einnimmt. Beklagenswerther 1st, dass das Laboulaye'sche Buch, in welchem alles Licht auf amierikanisener und alles Dunkel auf euro- paischer Seite zu finden, auch in Deutschland, wohin es durch Uebersetzungen rasch gelangte, zahlreiche An- hanger gewann, so dass es zeitlang wenigstens Mode ward, die Yorzuglichkeit der transatlantischen Republik nach jeder Richtung zu betonen. Wer irgendwie auf Bildung und aufgeklarten Sinn Anspruch erheben wollte, durfte nicht den leisesten Zweifel hegen, dass das junge ,,aufstrebende u Amerika dem 7 ,altersschwachen a Europa in jeglicher Hinsicht, besonders aber in politischen und wirthschaftlichen Institutionen weitaus tiberlegen sei und dasselbe in Balde iiberfhigelt haben werde. So redete II man sich in erne eigenartige Bewundenmg des nord- amerikanischen Staatswesens hinein und fand ein merk- wiirdiges Yergniigen daran , die heimatlichen Einrich- tungen in den Staub zu ziehen, sobald es sich um einen Yergleich derselben mit_ den amerikanischen handelte. Die grosse, raumliche Entfernung, welche uns vom west- lichen Continente trennt, trug trotz der mannigfachen und engen Beriihrungen, welche zumal zwischen Deutsch- land und den Yereinigten Staaten bestanden, wesentlich dazu bei, den Blick zu triiben und Yon den jenseitigen Zustanden unserer Phantasie ein Bild vorzugaukeln, welches in Wirklichkeit niemals Fleisch und Blut be- sessen. So nahm sich aus der Ferae die endliche Niederwerfung des Siidens nach yierjahrigem, hartnacki- gen Kampfe als eine gewaltige Heldenthat aus, deren segens- volle Folgen fiir das jugendliche transoceanische Gemein- wesen natiirlich liber jeder Anfechtung erhaben standen. Deutsche, welche wahrend ihres Aufenthaltes in Nord- amerika sich driiben zu einer politischen Bedeutung auf- geschwungen, kehrten zuriick und liessen es sich ange- legen sein, durch Wort und Schrift die hohe Meinung zu befestigen und zu vermehren, die sich yon Amerika ohnedies bei ihren Landsleuten festgesetzt hatte. Nahm man nun vollends gar ein amerikanisches Blatt, gleich- giiltig ob ein englisches oder deutsches, zur t Hand, so konnte man, und kann es noch bis zur Stunde, in jeder Spalte der wohlduftensten Selbstberaucherung begegnen, die es als selbstverstandlich ansieht, dass nur Amerika das Land der wahren Freiheit, der wahren Aufklarung sei, in welchem ein ,,menschenwiirdiges u Dasein moglich, wahrend sie die europaische Menschheit, diese elenden Fiirstenknechte, hochstens ob ihrer ungliicklichen Lage eines mitleidigen Achselzuckens werth erachtet. Die Ergebnisse der Jahre 1870 -- 1871 haben gliicklicherweise in Deutschland wenigstens zum Theile einen Umschwung in der Anschauung amerikanischer Dinge hervorgebracht. Die innere Geschichte der Republik Ill in dem jiingst abgelaufenen Decennium war gleichfalls darnach angethan, um selbst dem Blodesten die Augen iiber die Thatsache zu offnen, dass in den Yereinigten Staaten alle Mangel, woran Europa krankt und noch viele andere, woran Europa nicht krankt, zu Hause, dass das amerikanische Yolk wie jedes andere nebst vielen guten, treff lichen auch schlimme, einer gesunden Cultur- entwickelung nachtheilige Eigenschaften besitze, dass es weder in moralisch-sittlicher noch in intellectueller Be- ziehung die Culturnationen Europa's iiberrage, dass mit Einem Worte die Gesittung jenseits des grossen Wassers der unserigon nicht bios nicht iiberlegen sei, sondern, wie es auch in Anbetracht des culturhistorischen Alters der amerikanischen Freistaaten ganz natiirlich 1st, Alles in Allem genommen noch unendlich viel vom ,,alters- schwachen" Europa zu lernen habe. Allerdings hat es in Deutschland niemals an Mannern gefehlt, welche unberauscht von Laboulaye'schen Lobeshymnen, nuch- ternen Blickes die amerikanisehen Zustande priiften und zur klaren Einsicht dieses Thatbestandes gekommen waren, doch die Menge horte nicht auf sie. Zu dieser kleinen Phalanx darf sich auch wohl der Schreiber dieser Zeilen rechnen, der seit einer Reihe von Jahren bestrebt gewesen ist, tiber die socialen und politischen Yerhaltnisse in den Yereinigten Staaten Licht zu ver- breiten, soweit seine eigenen Krafte und Kenntnisse dies gestatteten. Es bedarf wohl kaum fur irgendwem, der mit der landlaufigen Sinnesart in Nordamerika ver- traut, der besonderen Yersicherung, dass jeder solcher Yersuch die Krebsschaden der yielbestaunten Republik bloszulegen, in Amerika selbst hochliches Missfallen, ja helle Entriistung hervorrief. Denn Niemand ist durch das ewige Selbstlob , iiber das wir im Deutschen ein trefFendes Spriichwort besitzen, mehr in Bewun- derung seiner selbst gewiegt und gelullt, Niemand gegen den leisesten Tadel empfindsamer, als der 7 ,freisinnige a Amerikaner, sei er nun englischer, deutscher oder son- IV stiger Abkunft. Nicht im mindesten war ich demnach iiberrascht, als ich nach einem Aufsatze fiber die gross- artigen Leistungen, zugleich aber auch iiber die Unbil- dung und Unwissenheit der nordamerikanischen Presse im Allgemeinen und der deutsch-amerikanischen insbe- sondere, aus alien Ecken und Enden der Union Zei- tungen mit vehementen personlichen Ausfallen gegen mich erhielt, worin mir Mittel zur Abhilfe fur ,,Dumm- heit" in jenem auserlesenen , feinen Style angeboten wurden, welcher die jenseitige Journalistik charakte- risirt. Ein glucklicher Zufall ftthrte mich spater mit dem Yerfasser des vorliegenden Buches zusammen, welches ich hiermit dem warmen Studium der deutschen Lese- welt empfohlen haben mochte. Auch amerikanischen Lesern konnte es nicht schaden, von dessen Inhalte Notiz zu nehmen. Ein siebzehnjahriger Aufenthalt des Yerfassers in alien Theilen der Union, seine genaue Kenntniss von Land und Leuten, sein Einblick in das Getriebe der politischen Staatsmaschine gepaart mit einer scharfen Beobachtungsgabe und einer eiseskalten Ruhe und Nuchternheit, sowohl in der Darstellung wie im Urtheile, wodurch allein Unparteilichkeit zu erreichen ist, liessen mich ihn sogleich fur vorzugsweise berufen er- kennen, seinen Landsleuten iiber amerikanische Dinge reinen Wein einzuschenken. Das im Jahre 1876 zu feiernde hundertjahrige Bestehen der nordamerikanischen Republik und die Yeranstaltung einer Weltausstellung in Philadelphia, wobei voraussichtlich des Lobes liber Amerika kein Ende sein wird, liessen es mir wun- schenswerth erscheinen, dass gerade um diese Zeit auch eine unerschrockene mannhafte Stimme sich vernehmen lasse und ftir die Wahrheit eintrete, welche zu vernehmen Europa ein unanfechtbares Anrecht hat. Auf rneinenWunsch, auf meine Bitte unterzog sich Herr Becker demnach der Ausarbeitung des vorliegenden Buches, in dem so zu sagen keine Zeile aus einer anderen Quelle als aus jener der personlichen Erfahrung des Autors geschopft ist. Ein solches Buch diirfte ich wohl mit Recht als die beste und biindigste Rechtfertigung meiner seit lange unverhohlen ausgedriickten Ansichten gegeniiber den bauerischen Angriffen der deutsch-amerikanischen Presse betrachten. Das Gemalde, welches bier entrollt wird, wirkt freilich ungemein erniichternd gegeniiber den opti- mistischen Schonfarbereien, wie sie amerikanischer Seits beliebt sind ; es stimmt daher nur wenig zu den Schliissen, welche kiirzlich Dr. Eduard Young, der Chef des sta- tistischen Bureaus zu Washington, in seinem dickleibigen Buche iiber Arbeit in Europa und Amerika ziehen zu diirfen meint. Ueber den Werth der statistisehen Erhebungen in Amerika ertheilt aber Herr Becker den nothigen Aufschluss, welcher iibrigens fur eingeweihte europaische Forscher langst kein Geheimniss mehr war. Jeder verniinftig und billig Denkende wird mir daher beistimmen, wenn ich kurz und trocken sage und ver- lange, dass, wer fiirderhin die alten Utopien iiber die amerikanische Superioritat noch glaubhaft an den Mann bringen will, in erster Linie und vor allem An- deren die Yerpflichtung habe, das Becker'sche Buch Punkt fur Punkt zu widerlegen. Hie Rho- duSj Me salta! Wer dies nicht vermag oder nicht will, der fordere nicht von uns, dass wir und mit uns alle Jene, welche sich fin- Amerika interessiren, ihre Meinung anders gestalten, als dies auf Grund der hier nieder- gelegten Beobachtungen moglich ist. Die Absicht weder des geehrten Yerfassers noch die meinige geht iibrigens darauf aus, muthwillig zu ver- kleinern oder herabzusetzen was wirklich Anerkennung verdient. Yielmehr sind wir die Ersten, bereitwillig zu bewundern und zu loben, was uns jenseits des Oceans der Bewunderung und des Lobes werth erscheint. Wenn nun die Summe des Riihmlichen in Amerika uns weit- aus geringer als den Meisten bediinkt, so mochte ich doch den freundlichen Leser vor dem Missverstandnisse VI warn en, als ob wir principielle Gegner der amerikanischen Institutionen waren. Ein Werk, welches sich zum Ziele setzt uberspannte Begriffe auf ihr richtiges Maass zuriick- zufuhren, muss naturgemass fast ausschliesslich jene Punkte zur Sprache bringen, an welchen die bisherige Ueberschatzung sich hauptsachlich geltend macht; wenig oder gar nicht konnen dagegen jene Momente in Be- tracht kommen, deren Auffassung keiner einschrankenden Modification bedarf. So wird ein Buch, wie das hier gebotene, immer einen Charakter tragen, welcher YOU den Gegnern als ein feindseliger denuncirt werden kann, wahrend in Wirklichkeit durchaus nichts Anderes als eine wahrheitsgemasse Richtigstellung der Thatsachen beabsichtigt ist. So z. B. wird wiederholt dargethan, dass die republikanische Regierungsform keineswegs, wie die Amerikaner sich einbilden und in beschrankter Ein- genommenheit behaupten, ein namhafter Fortschritt gegen die in Europa herrschende Monarchie sei, was unkritische und unklare Kopfe auch diesseits des Oceans gedanken- los nachbeten, sondern an sich weder besser noch schlechter, weder hoher noch tiefer stehe als diese. In- dem aber der Nimbus zerstort wird, zerstort werden muss, welcher die ,,Republik" noch in den Augen der glaubigen Menge umstrahlt und als begehrenswerthes Ziel erscheinen lasst, soil keineswegs, obwohl der Schein fast unvermeidlich ist, die Meinung erweckt wer- den, als ob etwa umgekehrt monarchischen Formen an sich vor republikanischen der Yorzug zu geben ware. Die Sphattenseiten treten von selbst und naturgemass in den nachstehenden Untersuchungen in den Yorder- grund, der Lichtseiten kann keine oder nur beilaufige Erwahnung geschehen. Damit werden jedoch, dies be- tone ich ausdrticklich, diese Lichtseiten weder verkleinert noch etwa gar gelaugnet. Eigentlich konnte ich hier meine einleitenden Be- trachtungen schliessen, zumal der geneigte Leser in der, dieser Einleitung folgenden Yorrede des Yerfassers in VII Form eines offenen Briefes an den vielgenannten Ex- senator Carl Schurz die Tendenz des Buches geniigend entwickelt finden wird, wenn ich nicht ira Nachstehenden noch einige Punkte erortern mochte, die, weil sie der Autor in seinem Buche unberiihrt gelassen hat, dasselbe in gewisser Hinsicht zu vervollstandigen, zu erganzen geeignet erscheinen. Der erste dieser Punkte betrifft die Presse und das Deutschthum in Nord- amerika. Die Yereinigten Staaten sind sicherlich das Land, wo gegenwartig die meisten Zeitungen existiren. Hier schrieb zwar im Jahre 1671 der Gouverneur der ersten englischen Niederlassung Folgendes: ,,Gott sei Dank , wir haben bei uns weder eine Freischule noch eine Druckerei und ich hofFe, dass in hundert Jahren auch noch nicht dergleichen hier existiren wird, denn der Unterricht hat die Ketzerei, die Secten und den Unge- horsam zur "Welt gebracht, und die Buchdruckerkunst alle diese Uebel und ausserdem noch die Angriffe auf die Regierungen fortgepflanzt und verbreitet." SeinWunsch hierin hat sich nicht erfullt, denn am 21. Dezember 1719 ward die erste Nummer der ,, Boston Gazette" und am 22. December desselben Jahres zu Philadelphia die erste des ,,American weekly Mercury" ausgegeben, nach- dem ein gewisser John Campbell, der Postmeister zu Boston, mit den ,,Boston News-Letter 4 ' bereits 1704 ( 19) vorgegangen war, einem Blatte, das zuerst in Folio, dann in Quart und zuletzt aus Mangel an Ab- nahme (seit 2. Mai 1715) in Octav gedruckt worden war. Den Namen einer wirklichen Zeitung mit alien Eigenschaften derselben verdienen aber erst der von James Franklin zu Boston (den 17. Juli 1721) gegriin- dete ,,Courier von Neuengland" und seines jtingeren Bruders Benjamin ,,Zeitung von Pennsylvanien' 4 (1729). Im Jahre 1740 gab es schon in Amerika 14 Journale, davon kamen 5 zu Boston und 2 zu New- York heraus und (seit 1739) eins in deutscher Sprache in German- VIII town in Pennsylvanien. Der Krieg gegen den Mutter- staat England beforderte nothwendigerweise das Auf- bliihen der politischen Zeitungen, weil sie natiirlich als Parteiorgane dienten, und so 1st ihreZahl denn bis auf den heutigen Tag jedes Jahr gestiegen. 1775 gab es in den Yereinigten Staaten nur 37 Zeitungen, mit Aus- nahme des ,, Advertiser" zu Philadelphia, der dreimal die "Woche erschien, sammtlich bios Wochenblatter, 1800 zahlte man deren schon 200, 1810 359, 1823 600, 1840 1631, 1850 2800, 1858 3754 und jetzt ist die Zahl 4000 voll geworden, von denen fast 460 taglich erscheinen. In Frankreieh kommt auf je 22,500 Einwohner eine Zeitung, in England auf 16,500, in Preussen auf 25,700, in Oesterreich auf 104,000, in den Yereinig- ten Staaten aber auf kaum 7000 Einwohner eine. Und dabei ist noch zu beriieksichtigen, dass die Blatter in Amerika der hoheren Herstellungskosten wegen eine viel grossere Auflage haben miissen, um bestehen zu konnen, als in anderen Landern. Nicht minder giinstig sind die Aussichten fiir dieZukunft, wenn man beriick- sichtigt, dass z. B. in den 40 Jahren vor 1866 die Zahl der Zeitungen in Amerika sich um 370 Proc. gesteigert hat, in Frankreieh um 234, in England um 252, in Oesterreich um 356 und in Preussen um 143 Pro cent. Was nun die Leistungen der amerikanischen Presse betrifft, so zeichnet sich dieselbe durch einen staunens- werthen Unternehmungsgeist vor jener aller anderen Lander, sogar Englands, geschweige denn Deutschlands auf das Yortheilhafteste aus. ,,In letzterem Lande" schreibtHerr Becker, ,,findet man die ISTachrichten hochst wichtiger Ereignisse oft erst nach Yerlauf mehrerer Tage bruchstuckweise in den Zeitungen. Wenn eine Zeitung in Amerika die Nachricht gleichwich tiger Ereig- nisse nicht in ebensovielen Stunden, nachdem sie sich zugetragen, und in beinahe vollstandigen telegraphischen IX Bericliten brachte, wiirde das Publikum glauben, sie befinde sich in totalem Bankerott, der es ihr unmoglich mache, telegraphische Depeschen zu bezahlen. Binnen Kurzem wiirde sie ihr Ansehen und ihr Lesepublikum total verlieren, denn letzteies verlangt von seiner Zei- tung, dass sie ihm stets das Neueste vorlege. So wurde z. B. die Nachricht von der Schlacht bei Sedan, die doch gewiss fiirDeutschland wichtiger, als fiir Amerika 7 von der,, New- York Tribune" am Morgen nach der Schlacht in einem ausgedehnten, spaltenlangen telegraphischen Berichte, der eine vollkommene Beschreibung der Be- gebenheiten auf dem Schlachtfelde lieferte, veroffentlicht, wahrend am namlichen Tage das Publikum Berlins von seinen Zeitungen mit einem Telegramme von einem Dutzend Worten abgespeist wurde. Der ,,New-York Herald" schickte auf seine Kosten und nur zu dem Zwecke, um sich Ansehen und damit seiner Zeitung eine weitere Yerbreitung und schliesslichen erhohten Gewinn zu verschaffen, den jetzt bekannt gewordenen Stanley in das Herz von Afrika, um den todtgeglaubten Livingstone aufzusuchen, was ihm auch gelang. Gegen- wartig befindet sich Stanley auf einer zweiten Ent- deckungsreise in jenem Welttheile, deren Kosten vom ,,New-York Herald" und ,,London Telegraph" gemeinsam getragen werden. Derselbe New- York Herald," dessen Lesepublikum zum grossen Theile im keltisch-katholischen Elemente der Bevolkerung zu suchen, und der desshalb mit den Ultramontanen liebaugelt, brachte im Herbste 1874, als der Arnim Fall in Berlin in Yorunter- suchung verhandelt wurde, iiber die Yerhandlung des vorhergehenden Tages einmal ein drei Spalten langes Telegrajnm in deutscher Sprache, natiirlich mit beige- gebener englischer Uebersetzung. Aehnliche Falle lassen sich von jeder angesehenen Zeitung berichten, und es unterliegt keinem Zweifel, dass die Manier, deren ver- schiedene deutsche Zeitungen schon dann und wann sich bedient haben, namlich Ausztige aus den telegra- n phischen Berichten der New- Yorker Zeitungen iiber Yorgange in Europa sich wieder hieher telegraphiren zu lassen, wenn dieselbe zurRegel erhoben wiirde, eine grossere Schnelligkeit in der Yerbreitung wichtiger Nachrichten unter das Publikum erzeugen wiirde, als die jetzt bestehende ist." Dagegen steht, unseres Dafurhaltens, die innere Einrichtung der amerikanischen Zeitungsblatter jener der Journale des Continents bedeutend nach. Abge- sehen namlich von ihrem zum Lesen hochst unbeque- men Riesenformat sind nicht wie z. B. in der ,,Times" die einzelnen Gegenstande geschieden und haben in je- derNummer ihren sieh stets gleichbleibendenPlatz, son- dern Alles steht unter einander; der eigentliche Leit- artikel ist immer sehr kurz und die nachsten Paragra- phen womoglich noch kiirzer, und dazwischen finden sich iiberall Annoncen zerstreut, am Anfange, in der Mitte und am Ende. Nachdem deutschamerikanische Blatter diese Schilderung, welche von dem englischen Theile der amerikanischen Presse gilt, auf sich bezogen und mich desshalb der tiefen Unwissenheit ziehen, so erlaube ich mir um jeder etwaigen falschlichen Unter- stellung vorzubeugen durch nachstehende Tabelle dem geneigten Leser von der Einrichtung und Anordnung einer amerikanischen Zeitung einen Begriff zu geben. Yor mir liegt eine kleine Auswahl folgender Blatter: The World," (New- York), ,,TheNew-YorkHerald," New- York Daily Tribune," Sacramento Daily Record-Union,^ ,,TheChicagoTimes," National Republican" (Washington), New-Haven Daily Palladium, " ,,The Daily Examiner " (San Francisco); ferner an deutschamerikanischen Journalen: die ,,Stidcalifornische Post" (Los Angeles), ,,West Branch Beobachter," (Williamsport), ,,California Journal" (San Francisco), ,,Treffdusia"( Washington), ,,Schnedderedengg," (New- York), der ,,Freidenker" (Milwaukee) und w Was- hingtoner Journal", welches Letztere hier zum Muster dienen soil. Der geneigte Leser denke sich einen Bo- XI gen von 86 Centimeter Lange und 57,5 Centimeter Breite einfach gefaltet, so dass daraus vier Seiten ent- stehen; jede dieser Seiten (yon 57,5 Centimeter Hohe und 43 Centimeter Breite) ist in sieben gleichbreite parallele Spalten (die Zahl derselben ist natiirlich nicht bei alien Zeitungen gleich) eingetheilt und gewahren etwa folgendes Bild: Washingtoner Journal, i- Seite- Samstag, 8. Mai 1875. d 1 o PH cu 3 o d 03 -CD 08 S-t 2 W S 2 03 Q) o o d d d d d d o o d d d d d d d d ^ d d S3 S3 1 03 O) P o pd CO 1 1 d ^ : o 1 ~ b 1 ,& 1 d 1 1 GO Oi 'cu bo P^ 'o H d I ^ o . ft 2 1 d IV. Seite. d S pi 2 -2 2 -2 03 S 2 2 2 s_ 2 ^ O 03 03 03 03 03 o 00 d CO d d OQ d d GO d 0) d ^3 ^ ^ ^ 13 S d d d d d d d d d M d o o i 1 g g d 1 d 1 d o d Annon d 1 1 d d d o d d XII Zweifelsohne wird die hier mitgetheilte Anordnung, welche noch als ein Muster von Einfachheit gelten kann, einem an die logisehe Ordnung unserer europaischen Journale gewohnten Leser complicirt und confus genug Yorkommen. Ein Wiener Correspondent der ,,Siidcali- fornischen Post" ergeht sich in einen Lobeserguss iiber die musterhafte Anordnung der Anzeigen in den ame- rikanischen Blattern, die Uebersichtlichkeit ist aber wohl nur fur die mit ihrem Journale schon vertrauten Leser vorhanden. Druck und Papier sind in der Regel gut und sogar die kleine Druekschrift ist gut lesbar; Beides gilt jedoch hauptsachlich nur yon den bedeutenderen Zeitungen und diesen wieder stehen die grossen euro- paischen Blatter Englands, Frankreich und selbst Deutsch- lands, namentlich aber Oesterreichs wohl in keiner Weise nach. Eine Nummer der ,,Neuen freien Presse" steht dem ,,Newyork Herald" oder der Tribune" weder an Papier noch in Reinheit des Satzes nach, ja liest sich wegen der gefalligeren Grosse der Typen selbst ange- nehmer als jene. Das erste deutsche Blatt, welches in Amerika erschien, war der 1797 gegrtindete ,,Adler u zu Reading (Pennsylvanien), d'ann folgte in demselben Staate die w Morgenrothe" zuHarrisburg 1799, der ,,Morgenstern" zu Lebanon 1806, der ,,Unabhangige Republikaner" in North- hampton seit 1810, der ,,Pennsylvanische Beobachter" in Lebanon seit 1817 etc. Erst in den dreissiger Jahren aber fing die deutsche Presse in Amerika an, Ausdeh- nung zu gewinnen. Yiele Blatter jener Periode sind aber wieder eingegangen, angeblich nicht aus Mangel an geistigen Kraften, sondern weil die Leserzahl, die deutsche Bevolkerung noch zu klein war. Bewunderer dieser Presse behaupten, die ,,Schnellpost," ,,die alte und die neue "Welt," ,,Pittsburger Adler," w das "West- land" seien Blatter gewesen, die keine deutsch-ameri- kanische Zeitschrift der Gegenwart an geistigem Gehalte erreichte, was allerdings nach den Proben, die wir liefern XIII werden, noch kein besonderes Compliment 1st. Gegen- wartig haben der Westen, der Stiden (die ehemaligen Sklavenstaaten) und die eigentlich alten Neuengland- staaten mit der compacten englisch redenden Bevol- kerung die Yerhaltnissmassig geringste Zahl deutscher Blatter ; im Westen und Siiden ist die Erscheinung der- selben verhaltnissmassig neu, in Alabama und Arkansas seit 1870, in Oregon seit 1865, in Siidcarolina seit 1860 etc. Ausser den politischen und Unterhaltungs- blattern bestehen 30 kirchliche Organe, 1 Schulzeitung, 1 Turnzeitung, 2 musikalische , 4 landwirthschaftliche und 3 Handelszeitungen. Wenn man die Fiille deut- schen Lebens und deutscher Intelligenz betrachtet, welche noch vor Kurzem nach den Yereinigten Staaten abfloss, (1872: 115,000 deutsche Einwanderer), so kann man diesen Zustand der deutschen Presse nur senr klaglich finden. Mit Ausnahme yielleicnt einiger New-Yorker Blatter, z. B. der Handelszeitung, reprasentirt sie nach Aussen gar nichfc. So sind trotz der Menge und Ttich- tigkeit der deutschen Aerzte in Amerika alle medicini- schen Zeitschriften englisch und ein Yersuch, eine deut- sche Zeitschrift zu griinden (durch Dr. W. Keller und Dr. H. Tiedemann 1850) ist gescheitert. Auch alle naturwissenschaftlichen Yereinsschriften sind ausschliess- lich englisch verfasst und in ihnen hat das Deutsche noch nicht einmal Gleichberechtigung erlangt, wie in den russischen, skandinayischen und hollandischen Yeroffent- lichungen der Art. Diess ist allerdings sehr erklarlich, wenn man den niedrigen Standpunkt in Betracht zieht, den die deutsche Presse Amerika's mit wenigen ehrenvollen Ausnahmen behauptet. Wie tief sie aber zuweilen unter den Ge- frierpunkt aller Bildung sinken kann, davon gibt auch das klaglichste Winkelblattchen in Deutschland keine Idee. So erscheint in Olney, im Westen der Yereinigten Staaten, eine Zeitung unter dem Namen Der Beobach- ter," welche eine ihrer Nummern mit folgendem Leitar- XIV tikel geschmiickt hat: ,,Eintritt in den politischen "Wahl- kampf. - - Mit nachster Nummer treten wir in den po- litischen Kampf der Demokratie. Die Fragen der De- mokraten sind die Fragen, die eines jeden Burgers in Amerika am Herzen liegt, ausgenommen die Bondhol- ders oder eine Art Zwingherren. Demokratische Re- construction meint, das grosse Gebot in Ausfuhrung zu bringen, namlich: ,,Liebe deinen Nachsten als dich selbst!" "Wir wollen unsere geschlagene Briider mit Barmherzigkeit entgegen gehen ; um Frieden dem Lande allerlei Yolkes Botschaft zu erhalten. Die finanz Frage 1st auch sehr nothwendig, welches ein jeder aussprechen muss, der taglich mit Angst und Kummer sein Leben zubringt, um sein Brod oder sogar sein Salz zu erwer- ben. Wenn man den jetzigen Zustand unseres Landes in Betracht zieht, so muss man beinahe in Schweiss- fieber gerathen. In diesem Monat hat sich die National- schuld vermehrt um eine Kleinigkeit von 53,000,000 Doll. Muss nicht ein Jeder mit Erstaunen auf die Zahl blicken, die wir Armen bezahlen mtissen. Die Politik ist noch nie von so grosser Wichtigkeit gewesen, wie in diesem Augenblicke; darum lasst uns alien Ernst daran wenden. Denn was soil das werden!" Ja frei- lich, was soil das werden, du Armer! ftigte mit Recht die ,,Kolnische Zeitung" hinzu, der wir diese Notiz entnehmen. Der in Cincinnati erscheinende ,,Yolksfreund" brachte noch folgende Probe der Freiheit, mit welcher manche deutsch-amerikanische Blatter die deutsche Sprache be- handeln : w Wir haben ein neues deutsches Blatt vor uns liegen, das irgendwo im Hinterwalde von Illinois erscheint und sich zwar nicht durch seinen Witz, wohl aber durch seine schone Sprache auszeichnet. An einer Stelle des Blattes zeigt der Redacteur den Tod des Herausgebers eines benachbarten englischen Blattes an und bricht dabei in das folgende riihrende Klagelied aus, das wir wortlich und buchstablich abdrucken: ^ XV traurigem Herzen geben wir die Nachricht unseres ge- schiedenen Freundes. Sein junges, bltihendes Leben musste auch dem prophezeienden Togesverkiindiger (Aus- zehrung) Raum geben, und seine kraftige Feder, die theuern Principien, sein vielbeliebtes Blatt, ,,muss trau- ern." Ja wohl, man ,,muss trauern." Sag an, o Un- glticklicher, was hat dir die arme deutsche Sprache ge- than, dass da sie so schandlich misshandelst ? Hier ist noch ein kostlicher Brocken aus der Localspalte : ,,Un- fall. Friedrich Jaggi, Sohn des Herrn Christian Jaggi, sen., treibte heute ein Gesparin von seines Yaters Ziegel- brennerei, indem die Esel ihm durchgingen und seinen Arm wahrscheinlich zerbrach." Es liegt die Yermuthung nahe, dass einer der Esel, die selbiger Christian treibte," sich in die Druckerei des Blattes verirrt und sich des Eedactionsstuhles bemachtigt habe." So sehen die allerdings sehr ,,bescheidenen" Tra- ger der Intelligenz, die Manner aus, denen die Erhal- tung der deutschen Sprache in der fernen Wildniss ob- liegt, fiir welche Karl Russ eine Lanze einlegen zu miissen glaubte. *) Dass alle diese kleinen Tagesblatter es niemals der Mtihe werth halten, den Namen eines Yerfassers anzugeben und lustig darauf los nachdrucken, versucht auch Karl Russ nicht zu beschonigen. Ob es sehr fiir die staatsmannische Begabung dieser deutschen Blatter spreche, dass sie meist der friiheren republika- nischen Partei angehorten, wollen wir einstweilen dahin gestellt sein lassen. Was uns sonst Herr Karl Russ iiber diese deutsche Journalistik mittheilt, klingt nicht sehr erbaulich ; er zahlt die wichtigsten deutschen Jour- nale auf und beginnt mit der New- Yorker Staatszei- tung," Absatz 16 17,000 Exemplare, die mit der deutschen Muttersprache ebenfalls auf gespanntem Fusse lebt. Yon wahrhafter Bedeutung und auch trefflich j ) Deutsche Zeitschriften in Nordamerika. (Magazin fur die Literatur des Auslandes 1870 Nr. 7.) XVI redigirt ist das New- Yorker Belletristische Journal." Seine Auflage betragt 135,000 Exemplare. Yon. den meisten iibrigen -Slattern raumt Herr Russ ein, dass sie sehr nachlassig redigirt seien. Manche von den in Amerika erscheinenden deut- schen Zeitungen haben ein recht kurzes Dasein, obwohl von Seiten der Herausgeber die grosste Anstrengung und den Lesern das Abonnement sehr leicht gemacht wird. Doeh ist dieser Umstand im Allgemeinen ohne Bedeutung, denn wird heute eine deutsche Zeitung in einem Stadtchen zu Grabe getragen, so wird schon morgen in einem anderen Stadtchen eine andere ge- boren und so geht diess hin und her. Wie man auf die kleineren deutschen Zeitungen oft abonniren kann, zeigen die nachstehenden Abonne- ments-Einladungen : Wir nehmen gute Kartoffeln, zu 50 Cts. den Bti- sehel, als Bezahlung fur den ,,Herold" an. Freunde kommt ungenirt und abonnirt. Die Redaction. (Nord-Jowa Herold.) Holz ! Es wird kalt und wir brauchen Holz. Gutes hartes Holz nehmen wir als Bezahlung fur unsere Zei- tung an. (Wise. Telegraph,) Es geht doch nichts iiber gutmuthige Seelen. Ge- stern Morgen machte zuerst ein Fasschen von Loschers Brauerei sein Erscheinen in der Officin. Herr SchifF- mann war der Menschenfreund , der es sandte. Moge sein guter Stern nie untergehen! Herr Bucher, der dachte, der Mensch lebt nicht bios vom Trinken. tiber- raschte uns mit verschiedenen Specimens seiner bekann- ten Wurstfabrication und von Zinn und Ihrigs Backerei zierte ein delicates Roggenbrod unseren Lunchtisch. Dank den freundlichen Gebern! Wo solche Krafte bildend walten, Da mag sich Gutes wohl gestalten. (Wise. Telegraph.) XVII Wir nehmen auch Speck zum Sauerkraut und an- dere Lebensmittel YOD Solchen, denen die Greenbacks zu kurz gewachsen sind. Kommt deutsche Freunde und besucht ims ! (P er Deutsche in Ohio.) l ) Die Billigkeit erfordert indess zu sagen, dass es um den Gehalt der englischen Journalistik in der grossen Republik um kein Haar besser bestellt ist, die Deut- schen von ihren englischen Collegen also kaum etwas lernen konnen. Hier sind freilich Missstande anderer Art ; man siindigt nicht gegen die Sprache, sondern den feinen Ton, den Anstand, die Moral. Wenn irgend- wo, so ist in Amerika das Zeifungswesen ein ,,Geschaft" und kein Mittel ist schlecht genug, wenn es nur die Tasche des Redacteurs zu ftillen vermag. Ein Beispiel soil an Stelle vieler zeigen, wie man im biederen Yankee- staate den Segen des freien Wortes zu Xutz und From- men des Yolkes ausztmiitzen versteht. Der in Phila- delphia erscheinende Ledger," das zweitverbreitetste aller amerikanischen Blatter (der Morning Herald" in New- York ist das erste), der stets fur ungemein ver- lasslich und ehrenhaft gegolten, brachte seinerzeit mit der Chiffre ,.A" seines wohlbekannten, von der Redac- tion immer als das non plus ultra aller Yertrauens- wurdigkeit ausgeschrieenen Correspondenten aus Washing- ton einen Bericht iiber Fragen, die President Johnson angeblich dem Attorney-General vorgelegt haben soil, beziiglich seines Yerhaltnisses zum Congress. Binnen wenigen Stunden war die betreffende Nachricht durch die ganze Union mit Hilfe des electrischen Telegraphen bis nach Canada und Europa geflogen (nur der ameri- kanische Siiden bekam sie nicht, da zufalligerweise eine Kabelstorung eingetreten war). Die Wirkung dieser auf einen Staatsstreich deutlich hinzielenden Fragen lasst sich leicht errathen, ein enormes Steigen des Goldes an l ) Nach der Frankfurter Zeitung" 1870. (C. A. K. Die deutsche Presse in Nordamerika). Ill XVIII alien Borsen der Union trat ein. Heute 1st nun con- statirt, dass diese ganze Nachricht, die so ziemlich durch alle Zeitungen des Erdkreises geflogen ist, einer nieder- trachtigen Speculation von Goldspeculanten ihr Entste- hen verdankte ! An der ganzen Geschichte war kein wahres Wort, der President hat dem Attorney-General nie derartige Fragen vorgelegt u. s. w. Der einmal angerichtete Schaden liess sich leider nicht mehr gut- machen ! Diess ist doch gewiss eine trefFliche Illustration zu dem Urtheile, welches der amerikanische Geistliche Dr. Witt Talmadge liber die Bedeutung der Presse fallte: ,,Ich erklare, dass ich die Zeitungen fur die grossartigen Werkzeuge ansehe, durch welche das Evangelium ge- predigt, Unwissenheit verbannt, Unterdrlickung abgesetzt, Yerbrechen ausgerottet, die Welt gehoben, der Himmel erfreut und Gott lobgepriesen wird. Im Gerassel der Druckerpresse hore ich die Stimme des allmachtigen Gottes, die alien todten Nationen der Erde verktindigt: ,,Lazarus, stehe auf!" und der zurtickweichenden Bran- dung der Finsterniss: ,,Es werde Licht! u Es ist wohl moglich, dass der verziickte Schwarmer diese schonen Worte darin zu horen vermeinte, indessen aber bleibt es noch ziemlich finster. Davon gibt eben der Ton, der in amerikanischen Blattern angeschlagen zu werden pflegt, den handgreif- lichsten Beweis. Besonders fein und anstandig ist der Ton der nordamerikanischen Presse im allgemeinen liberhaupt nicht; als es sich aber um die letzte Prasi- dentschaftswahl handelte, leistete sie an massiver Grb- heit das Menschenmogiiche. Man lasst an den Geg- nern auch nicht ein gutes Haar. Ein Grant-Blatt, Washington Chronicle," hatte gesagt, dass Greeley, als er erklarte, wahrend der Campagne von der Redaction der Tribune" fernbleiben zu wollen, sich schame ein Buchdrucker zu sein. Das nimmt die ,,Tribune" iibel, sie erklart den Menschen, welcher so etwas behauptet, XIX fiir den merkwtirdigsten und wundervollsten Esel. Ohren, wie er sie hat, bringen offenbar die Gerber in Yersu- chnng, welche Material suchen, um lederne Medaillen fiir die Grant-Partei zu pragen." Ein Grant-Blatt, der ,,Phonix," schreibt: ,,Herr Greeley tragt unter seinem zerkrempelten Hut einen alten Flachkopf, und sein Herz ist so dick wie ein Scheffelmaass. " Die Tribune" riihmt yon sich, dass sie politische Angele- genheiten .,gewissenhaft und in durchaus delicater Weise" erortere ! Solche Beispiele eleganter Schreibweise lassen sich in's Unzahlige vermehren. Als Muster lasseu wir eine Stelle aus dem zu Kentucky erscheinenden Crescent" folgen , welche vor mehreren Jahren in eben diesem Blatte zu lesen war. Dieses Blatt schrieb iiber den gewe- senen Bundesgeneral Brentiss Folgendes : ,,Zu Kairo in Illinois vegetirt gegenwartig ein Mensch, Namens Bren- tiss, der die Truppen commandirt; ein niedertrachtig ekelhafter Hund, ein verratherischer Schurke, ein noto- rischer Dieb, der fiinf Jahre im Zellengefangniss geses- sen und seine Haut mit Branntwein aus Cincinnati aus- gefiillt hat, den er aus Oeconomie fassweise sauft. Seine Krieger, mit denen Lincoln den Stiden unterdriicken will, sind sabelbeinige, holzbeschuhte, nach Sauerkraut riechende, wurstgestopfte Bastarde, Schufte und Kehl- ab Schneider." Auch die ,,Weserzeitung" liess sich einmal von ihrem New-Yorker Correspondenten schreiben : Die deut- sche Sprache ist, Gott sei es geklagt reich genug an Schimpfwortern , aber an die besondere Abart der englischen, die im amerikanischen Yankeelande gilt, reicht sie doch nicht hinan. Wenn eine Zeitung in Alabama den General Sheridan, unseren amerikanischen Murat, als ein w verhutzeltes Exemplar des Genus Mensch" be- zeichnet, der seinem angeborenen Beruf, Dreck zu karren, untreu, Soldat geworden und, wenn auch nur in einer Armee von lausigen Feiglingen und Spitzbuben zu hohem Range gestiegen" sei, so mochte wohl eine solche Probe genugen. In diesem Tone bleibt die demokratische Presse nicht hinter der republikanischen zurlick, wie nachste- hendes Beispiel beweist. Karl Schurz (1866 Chefre- dacteur der in Detroit erscheinenden ,,Post u ) hatte von der Thatsache Notiz genommen, dass das letzte ameri- kanische Nationalfest (4. Juli) im Siiden nur von den Negern gefeiert worden sei. Darauf erwidert der zu Fayetteville in Kentucky erscheinende Observer" wort- lich wie folgt: ,,Was geht das dich an, du plattkopfi- ger, lappohriger, biersaufender, knoblauchfressender, Ne- ger anbetender deutscher Ztichtling? Was weisst du denn tiberhaupt vom Siiden und vom 4. Juli? Wir haben unser Yaterland geliebt und den Jahrestag seiner Unabhangigkeit stets auf angemessene Weise gefeiert, bis es von mehreren Millionen auslandischer Spitzbuben und Kehlabschneidern , wie du , uberschwemmt ward, deren Stimmen von nordischen Demagogen fur eine Maass Lagerbier per Stuck aufgekauft wurden." Eine wahre Perle feinen Geschmacks ist aber fol- gende Redeblume, die wir in einem amerikanischen Blatte lasen ; dieses brachte nachstehenden Yergleich : ,,Das Gltick gleicht einem Schweine, dessen Schwanz beschmiert und schliipfrig ist. Yiele greifen danach, aber Wenige konnen es festhalten." Wie es mit der Bildung der amerikanischen Yolks- aufklarer beschaffen ist, lehren die angefuhrten Beispiele zur Geniige. Kein Wunder, w r enn die Yankeejournalisten sich auch im Publikum keiner besonderen Achtung er- freuen. Was in dieser Hinsicht in dem transatlantischen, uns so gerne als Muster gepriesenen Wunderlande moglich ist, zeigt nachstehender, einem Schreiben von Karl Schurz entnommener Beitrag: ,,Der Staatssecretar von Missouri, Herr Rodmann, kam eines schonen Tages in das Redactionsbureau meines Blattes und versetzte wegen eines Artikels dem Hilfsredacteur Herrn Schirach XXI ohne weitere Praliminarien etliche Faustschlage in's Ge- sicht. Herr Schirach, in der Metropole des Westens noch ein Neuling und unbekannt mit den Landessitten, wusste diese Demonstration anfangs nur ungeniigend zu wlirdigen; er ergriff dann aber ein Schiireisen und bear- beitete erfolgreich das Antlitz des Herrn Staatssecretars, das sicli bald rothlich farbte, bis zu meiner Ankunft 7 die endlich den Frieden herbeifiihrte. Die beiden Her- ren gaben sich schliesslich die Hande und schieden mit der grossten gegenseitigen Hochachtung. " Ebenso characteristisch ist Nachstehendes. Ein amerikanisches Journal sucht auf dem Wege der offent- lichen Anzeige einen Mitarbeiter in folgender Weise: ,,"Wir suchen einen Mann von starkem Muskelbau, wel- cher sich vor nichts scheut, namentlich nicht fiirchtet, Messerstiche zu geben oder zu empfangen. Derselbe hatte sich selbst sein Pferd, seinen Revolver und sein Bowiemesser zu besorgen." Und eine neue Zeitung in Boise City , Idaho , fuhrte sich beim Publicum in fol- gender Weise ein: ,,Gruss! Wir haben eine Zeitung gegriindet. Name: Capital Chronicle." Principien: Demokratisch bis iiber die Ohren. Zweck: Begriindung unserer Existenz. Office: Mainstreet, etwa 300 Yards hinter dem Overland-Hotel. Und wir wollen das Blatt in Schwung bringen oder untergehen." Was nun das Letztere, namlich das ,,Inschwung- bringen" betrifft, so verstehen dies , wie wir schon oben andeuteten, die amerikanischen Blatter allerdings ausge- zeichnet. Kein Mittel wird hiezu unversucht gelassen und das Reporterwesen hat in der Union vielleicht seine hochste Entwickelung erreicht. Wie 1 ausgezeichnet in ihrer Art man in europai- schen Journalistenkreisen die amerikanischen Zeitungs- reporter halt, dafiir liefert folgende in Deutschland cir- culirende Anecdote einen Beleg. Bei der Leichenfeier des General Baker, welche in dem Weissen Hause zu Washington celebrirt ward, kletterte der. Correspondent XXII eines New-Yorker Blattes, der keine Eintrittskarte mehr erhalten konnte, durch den Schornstein und gelangte auf diese Weise zuletzt in den grossen Tr#uersaal, und zwar dicht hinter den Geistlichen. Wahrend der Geist- liche das Gebet fur den Todten sprach, bemerkte unser Reporter eine Rolle Papier im Hute desselben. Diese ergreifen und damit fliehen, war das Werk eines Augen- blicks. Nachdem der Geistliche das Gebet beendet und die Predigt beginnen wollte, sab er nach derselben in seinen Hut und fand sie nicbt. Er musste nun, wohl oder iibel, aus dem Kopfe zu sprecben suchen, that es, bielt jedocb eine sehr schlechte Predigt zura grossen Erstaunen der Staatswiirdentrager, welche gegen- wartig waren. Wie gross aber war sein Erstaunen, als er am anderen Morgen seine Predigt, wie er sie ge- schrieben, nicht wie er sie gebalten, vom -Anfang bis zum Ende gedruckt im New- York Herald" fand. Natiirlich nehmen es die Journalberichterstatter mit der Wahrheit nicht immer auf das genaueste, wie aus einer anderen Geschichte hervorgeht, welche nicht mehr so wie die vorige in das Gebiet der Anecdote gehoren soil. General Lee hatte sich bei seinem letzten Besuche in Washington von vorne herein jedwedes Gesprach mit Zeitungscorrespondenten verbeten, weil diese die un- angenehme Gewohnheit haben, jedes Wort in ihren Blattern zu reproduciren. Lee brachte das Meisterstiick fertig, zwei Tage lang hielt er seine Thlire gegen ge- nannte Herren verschlossen. Aber er kannte sie schlecht; sie fiihlten sich gebeugt, aber nicht geschlagen und am dritten Tage brachten alle Zeitungen zu des Generals Ueberraschung ,,Gesprache mit General Lee." Das Hochste leistet aber sicherlich der -zwischen Louisville und New-Orleans verkehrende Dampfer Rich- mond," auf dem eine Zeitung, die Richmond Head Light" erscheint. Ein Redacteur und zw^ei Setzer sind an diesem, sicherlich einzig in seiner Art dastehenden Blatte, welches 3 4 Mai wahrend jeder Fahrt heraus- XXIII kommt, besehaftigt, Yorkommnisse des Stromlebens be- spricht, ausserdem aber von Hotelwirthen und anderen Geschaftsleuten yielfach zur Yerbreitung von Annoncen benutzt wird. Es 1st eine alte Wahrheit, dass nichts verletzender ist, nichts weniger verziehen wird, als die Wahrheit selbst. Darnach erklart sich leicht, dass die obigen Thatsachen, als ich sie zum ersten Male offentlich be- sprach, die betrefFenden Kreise jenseits des atlantischen Oceans auf das Schmerzlichste beriihrten. Wenigstens erhoben mehrere Blatter der Yereinigten Staaten daruber ein klagliches Geheul, welches immerhin belustigend genug ist und ich daher meinen Lesern um so weniger vorenthalten will, als die Art und Weise der von den deutschamerikanischen Journalisten begonnenen Polemik beredter denn alle Schilderungen die dortigen Zustande charakterisirt. Es mit kleinen Falschungen nicht allzu genau nehmend , begntigten sie sich , ohne auch nur eines der obigen Beispiele als unecht zu widerlegen, einfach zu sagen, meine Darstetlung sei nicht wahr, und kleideten diess in nachstehende , ebenso zierliche als von feinster Bildung zeugende Form, die ich dem mir giitigst unter Kreuzband zugesandten ,,Schnedde- redengg" vom 20. Juni 1874, einem vermuthlich hu- moristisch sein wollenden Blatte entnehme : ^Abhilfe fiir Unwissende. Friedrich Hellwald, Redacteur des in Stuttgart erscheinenden Ausland bezeichnet die deutsch- amerikanische Presse als ,,eine ganz jammerliche, ein- faltige und geistlose." Es geht ihm wie den meisten der Literaten in Deutschland, welche mehr von dem Manne im Monde wissen, als von den Deutschen in den Yereinigten Staaten. Um der Unkenntniss dieses Mannes abzuhelfen, sollten ihm verschiedene Exemplare deutsch-amerikanischer Zeitungen zugeschickt werden, und zwar gratis, da er wahrscheinlich, wenn nicht zu arm, doch zu filzig sein mochte, ein Paar Kreuzer aus- zugeben , um sich von seiner Ignoranz zu kuriren. XXIV ,,Schnedderedengg u wird damit den Anfang machen. AVer von den Herren Collegen thut mit?" Und wirklich, es fanden sich ein Paar Gutmiithige, die mitthaten und mir ihre Journale, natiirlich gratis, einsandten, woraus ich zu meiner grossen Erheiterung ersah, dass obige Hoflichkeit in fast wortlich identiscber Fassung in dem zu Williamsport erscheinenden ..AYest Brancb Beobachter" vom 10. Juni erschienen war, wor- aus sie .,Schnedderedengg" wahrscheinlich geschopft, nattirlicb obne Quellenangabe. Das von einem Werner Koch berausgegebene Washingtoner Journal" vom 6. Juni 1874 macbt die ebenso geistreicbe als anstandige Bemerkung iiber meinen Artikel, derselbe zeige ,,eine grenzenlose Dummheit und Unwissenheit iiber die arneri- kanische Presse." Ich glaube nicht, dass ich es nothig babe, diesen Auslassungen auch nur ein Jota binzuzu- fugen, und dem Publikum es getrost iiberlassen kann, sich iiber den in den Unionsstaaten iiblichen feinen Ton und das dadurch charakterisirte Bildungsniveau ein un- befangenes Urtheil seibst zu bilden. Soweit die Presse. Das deutsche ,,Wasbington Journal" bringt aber in der namlichen Nummer nocb einen anderen Artikel betitelt Corruption und Purifi- cation," worin der deutschen Presse der Rath ertheilt wird, vor ibrer eigenen Thiire zunachst den Schmutz wegzufegen und die Republik gewissermassen gegen den Yorwurf der Corruption in Schutz genommen wird. A\ r as nun den ersten Punkt anbelangt, so verhehle ich mir keineswegs die tiefen Schatten der europaischen Presse und kann daher der Ansicht des Washingtoner Gegners im Allgemeinen beistiinmen. Dagegen vermag ich-es in anderen Punkten nicht, zumal wenn er sich in der That verwundert, dass die Corruption in Amerika nicht noch grossere Dimensionen angenommen habe, als sie in der Wirklichkeit aufweist, wenn er die geringere Corruption in Europa einzig und allein der geringeren Betheiligung der Yolker an der XXV Politik zuschreibt, wenn er erklart, dass, um die vollige republikanische Freiheit zu geniessen, er gerne die po- litische Corruption Amerika's in den Kauf nehme und schliesslich darin den Yorzug der Republik vor der Monarchie erblickt, dass jede Corruption von den Argus- augen der freien Presse an's Tageslicht gezogen werde. Man konnte in aller Bescheidenheit darauf erwidern, dass die Corruption in Amerika gerade gross genug sei, um nicht dariiber zu staunen, dass sie nicht noch grosser sei; dass aus der Ansicht, die geringere Bethei- ligung am politischen Leben sei Schuld an der geringeren Corruption, mit logischer Consequenz die gefahrliche Lehre hervorgehe, die Corruption wachse mit der poli- tischen 'Freiheit der Yolker, von der man doch stets im Munde fiihrt, sie sei ein ,,sittlichender" Factor; dass es in solchem Falle in der That dann rein Geschmack- sache sei, ob man, um die voile republikanische Frei- heit zu geniessen, die Corruption mit in den Kauf, oder umgekehrt, die Unfreiheit in den Kauf nehmen wolle, um die Ehrlichkeit und die biirgerlichen Tugenden des Yolkes zu geniessen; endlich dass die ,,freie" Presse Amerika's ihre Yerdienste um die Purification denn doch etwas iiberschatzen konnte, da bekanntlich die Corruption gerade durch die Presse, namlich durch einen Theil derselben, der sich gleichfalls ,,frei" nennt, gefordert und ermoglicht ward und wird, die Unterscheidung zwi- schen freien" und ,,unfreien" Blattern, die ja doch alle sehr geschaftsmassig betrieben werden, eine sehr subjective sei; dass es auch monarchische Staaten gebe, wo die Pressfreiheit sich an die hochsten Wiirdentrager wagen darf (England, Holland, Belgien) und schliesslich immer noch die Frage offen bleibt, ob es denn ein Yor- theil sei, sich erst ein Bein abschlagen, um es sich dann wieder einrichten zu lassen, worauf doch allein die Phrase hinauslauft, die Presse heile die Wunden, die sie schlage. Alles dieses und noch viel mehr konnte man gegen IV XXVI das "Washingtoner Blatt einwenden ; ich will hier nur die Gelegenheit beniitzen, um den Irrthum zu zerstreuen, als wolle man sich in Europa iiber die Republik der Yereinigten Staaten lustig machen. Wenn die deutsche Presse bei uns endlich zur Besinmmg kommt und liber die wahren Zustande in Amerika ein fur den jungen Freistaat nicht immer giinstiges Licht verbreitet, so ge- schieht diess wohl nur, wie ich Eingangs dieser Einlei- tung auseinandersetzte, als Reaction gegen ein lange bei uns ausgeiibtes System, wonach die Yereinigten Staaten und ihre republikanisch - demokratischen Einrichtungen als nachahmenswerthes Muster gepriesen und in den Himmel erhoben warden. Niemand hegt wohl den Wunsch, das amerikanische System driiben geandert zu sehen, denn wenn nur die Amerikaner selbst damit zu- frieden sind, geht es schliesslich Andere nichts an; er- laubt wird es aber wohl sein, das zur Annahme so warm empfohlene System genauer zu priifen, ob es sich denn auch richtig bewahre. Und nicht so sehr, dass die Dinge in Europa besser, sondern dass sie nicht schlechter seien, als in Amerika, dass wir keine Ursache haben, uns nach amerikanischen Institutionen zu sehnen, das ging und geht noch in alien Punkten aus dieser Priifung hervor. Und zu solcher Ansicht bekennen sich wohl auch Deutsche, die jenseits des Weltmeeres ihren "Wohnsitz aufgeschlagen haben, wie das Urtheil des Herrn Becker beweist, welches der Leser auf S. 65 dieses Buches finden wird. Als ich diese Worte zum ersten Male im ,,Ausland" abdruckte, wussten die ame- rikanischen Zeitungen Herrn Becker keinen anderen Rath zu geben, als den, riickzuwandern, was er vorlau- % auch gethan hat. Jedenfalls liefert unser Gewahrs : mann den Beweis, dass solche Ansichten auch im freien Amerika selbst reifen konnen und zwar bei Jemandem, wo von ,,Unwissenheit' c keine Rede sein kann. Was Herr Becker iiber das amerikanische Erziehungswesen sagt, das gewisse Kreise nicht genug lobhudeln konnen, XXVII stimmt wenigstens haarscharf mit der Rede uberein, welche Professor White von der Cornell-Universitat vor einiger Zeit gehalten hat. Dieser Gelehrte stellt die amerikanischen hoheren Bildungsanstalten tief unter die deutschen und zeigte, dass die gesammte amerikanische Erziehung und Bildung auf nichts Anderes gerichtet sei, als auf Reichthum, Geld und Gewinn. Im Zusammen- liang hiermit bewies er durch die Statistik die interes- sante Thatsache, dass in den offentlichen Kor- pern, Gesetzgebungen und Aemtern die Zahl der literarisch gebildeten Manner von Jahr zu Jahr in auffallender Abnahme und gleichzeitig die offentliche Corruption in abschreckender Zunahme sei. (Allgemeine Zeitung vom 19. Juni 1874). In neuester Zeit haben franzosische Blatter die Ansicht zu begriin- den versucht, dass diese traurigen Yerhaltnisse Amerika's von der Zunahme des deutschen Elementes herrtihren. Einer solchen Meinung ist sicherlich auf das Entschie- denste entgegenzutreten, bemerken will ich nur, dass die Deutschen selbst es sind, welche den Franzosen diese Waffe in die Hand driicken, indem sie sich gerne als das vermoge seiner Bildung leitende, herrschende, ein- flussreichste Element darstellen lassen, obgleich sie es in der That noch nicht sind; dass die durchschnittliche Bildung auch des Deutschthums in den Yereinigten Staaten eiue noch massige sei, ist auch eingestanden in jenen literarischen Erorterungen, welche Herr E. Stei- ger in Newyork seinem Prospecte iiber das beabsich- tigte Arrangement popularwissenschaftlicher Yortrage beilegte. Solche Thatsachen kann man wohl in niich- ternem Tone besprechen, ohne desshalb in den Yerdacht einer feindseligen Stimmung gegen das Deutsch-Ameri- kanerthum zu gerathen. Ich glaube auch kaum, dass eine solche in Deutschland existire, wohl aber ; dass es sich um eine Abneigung gegen die von dem verbrtiderten deutschen Elemente Amerika's mit Yorliebe vertretenen Principien handelt, deren Nachahmung und Yerbreitung XXVIII Angesichts der in Amerika damit erzielten Resultate allerdings kaum erstrebenswerth scheint. Die Deutschen in Amerika nehmen es sehr libel, wenn man in Deutsch- land die Wahrheit iiber die amerikanischen Zustande sagt, allein dies kann sie nicht verwundern, wenn sie nur auf die Urtheile im eigenen Lande horen wollten. So sagt z. B. ein bedeutendes, sehr gemassigtes Blatt Newyorks, die TJrsachen des Ueberhandnehmens grauli- cher Yerbrechen seien zu suchen in dem allgemeinen sittlichen Yerfall, in der zunehmenden Arbeits- scheu, die so Yiele dem Yerbrechen in die Arme treibt, in der Trunksucht, die man durch unverniinftige Be- kampfung nur steigert, in der ein Proletarierthum schaf- fenden und vermehrenden wirthschaftlichen Entwickelung des Landes, in der Demoralisation des Familienlebens und der Yerschlechterung der Erziehung durch die Krankheiten der Zeit, in der Yerwahrlosung von Polizei und Justiz durch die politische Corruption u. s. w. Die Heilung des tiefsitzenden Uebels sei nur mittelst grosser politischer und socialer Umwalzungen zu hoffen. Ein amerikanischer Diplomat liess sich vor einigen Jahren in einer Tischrede dahin ver nehmen, dass man die Yereinigten Staaten als die dritte deutsche Gross- macht bezeichnen konne, und es fehlt nicht an Leuten, die diesem Ausspruch einen ernsten Hintergrund beizu- messen geneigt sind. Wir halten diess fur eine eitle Prahlerei. Unter den gegenwartigen driiben herrschenden Verhaltnissen miissten die Deutschen die Ehre entschie- den ablehnen, die Yereinigten Staaten unter die deut- schen Grossmachte zu zahlen; dazu miisste das deutsche Element factisch das iiberwiegende werden, was Manchen freilich bloss nur als eine Frage der Zeit gilt. Darin liegt jedoch der Irrthum. In Amerika geht vor l ) Newyorker Staatszeitung vom 23. Janner 1873. XXIX unseren Augen so zu sagen physisch und moralisch ein Umartungsprocess vor sich, es bildet sich eine neue Race. Alle Beobachter stimmen darin iiberein, dass der Nordamerikaner in seiner ganzen aussern Erschei- nung sich von seinen keltisch-germanischen Briidern in Europa in auffallender Weise unterscheide und sich mehr und mehr dem indianischen Typus nahere. Der Typus des Angelsachsen hat bereits eine bestimmte Yeranderung erlitten, welche ihn dem Eingebornen ver- ahnlicht. 2 ) Auch an andern europaischen Einwanderern hat eine Yeranderung an Farbe und Gresichtsztigen statt- gefunden. Selbst Carl Yogt will glauben, dass aus dem Chaos der in Amerika vor sich gehenden Racenmischungen eine neue Art in der Bildung begriffen ist. Und das von den englischen Einwanderern Gresagte gilt auch von den Deutschen in Amerika. Der Behauptung C. Yogis, wonach die deutschen Familien in Pennsylvanien ihren Typus rein, selbst die Ziige ihres Stammes beibehalten, 3 ) steht das Zeugniss Dr. Schiitz's entgegen, wonach die Deutschen in Pennsylvanien von ihren zunickgebliebenen Landsleuten ebenso verschieden sind, wie der Yankee vom Englander. Dazu kommt noch, dass die Deutschen in Amerika in uberraschend kurzer Frist geistig und sprachlich in dem dtirch das irische Blut verschlechter- ten Yankeetypus aufgehen, so zu sagen aufgeschliirft werden. Der rapide Yerfall der deutschen Sprache in Amerika ist iibrigens so allgemein bekannt, dass hier nicht naher darauf zuruckzukommen ist. Yon der nach den Angaben des letzten allgemei- nen Census vom Jahre 1870 vorhandenen Gesammtbe- volkerung pr. 38 % Millionen sind 32,989,437, rund 33 Millionen Eingeborne und 5,566,564 o'der rund 5 l /a 2 ) Carpenter, Varieties of Mankind. (Todds Cyclop, of Anat. p. 1330.) 3 ) C. Vogt, Vorlesungen iiber den Menschen. II. Bd. S. 236 237. XXX Millionen Eingewanderte oder gerade einer unter je 7. Yon den in Amerika Geborenen sind Yater und Mutter von 9,734,845 Kindern Auslander, 10,521,233 haben einen Auslander zum Yater und eine Amerikanerin zur Mutter und 10,105,626 haben eine auslandische Mutter und einen amerikanischen Yater. Nur 3 Millionen Amerikaner gibt es , deren beide Eltern ebenfalls in Amerika geboren worden sind. Die Einwanderer gruppiren sich dicht in den grossen Handelsplatzen, den Eabriks- und Bergwerksbezirken im Osten, folgen den Haupteisenbahnlinien durch die Binnenstaaten und verbreiten sich ziemlich gleichmassig uber die dichtbe- volkerten Theile des Westens, lieben jedoch augenschein- lich die Nahe grosser Seen oder Flu'sse. Sie lieben es nicht, sich in Gebirgsgegenden anzusiedeln und ziehen W alder den Prairien vor. Nach den Iren, die 1,858,827 Mann in den Yereinigten Staaten stark sind, haben die Deutschen unter den fremden Nationen in Amerika die grosste Anzahl, namlich 1,690,410 Seel en. Sie sind hauptsachlich in der Stadt, nicht dem Staate Newyork und dem mittleren New-Jersey zu finden und haben in ganz auffallender Weise die neuenglischen Staaten mit Ausnahme des westlichen Connecticuts vermieden. Die Hauptniederlassungen der Deutschen befinden sich zwi- schen dem Delaware und Susquehanna in Pennsylvanien auf beiden Seiten des Ohio urn Cincinnati herum, dem Michigansee entlang, auf dem westlichen Ufer des Mis- sissippi in der Nahe von Dubuque, rings um St. Louis und in Missouri. Die Englander, 550,904 Mann stark und die 74,533 Walliser wohnen grossentheils in New- york, Boston, Philadelphia und in den Eisen- und Koh- lendistricten. Eine interessante Zusammenstellung gibt der Censusbericht tiber die Beschaftigung der Ameri- kaner, Deutschen und Irlander in der Union. Yon den 5 Millionen Ackerbauern sind nur 250,000 Deutsche und 138,000 Iren. Unter 1 Million Dienstboten be- finden sich 42,000 Deutsche und 120,000 Iren, wah- XXXI rend drei Yiertel des Restes wohl Neger ausmachen. In Handel und Spedition sind 862,000 Personen be- schaftigt, davon 112,600 Deutsche und 119,000 Iren. Unter 43,000 Geistlichen gibt es nur 2745 Deutsche und etwa 1700 Iren. Journalisten werden 5286 ge- zahlfc, davon 314 Deutsche, 174 Iren von Geburt. Yon 120,000 Lehrern sind nur 3000 deutsch und gar nur 2000 irisch; dagegen finden sich unter 6500 Musikern 2400 Deutsche und 351 Iren. Unter 35,000 Wirthen gibt es 11,000 Deutsche und nur 4000 Iren; unter 14,000 Barkeepers (Buffetkellner) 3500 Deutsche, 1259 Iren. Handlungsdiener werden 229,000 gezahlt, dar- unter 16,000 Deutsche, 900 Iren. Unter 70,000 Wa- scherinnen befinden sich 2700 Deutsche und 11,500 Irinnen. Die Iren stellen 229,000 und die Deutschen 96,000 zu dem 1 Million starken Contingente der Tage- lohner und resp. 37,000 und 7800 zu den 154,000 Eisenbahnarbeitern. Wir konnen leider nicht umhin zu bemerken, dass die vorstehenden Ziffern insgesammt indess nur mit einer gewissen Yorsicht aufzunehmen sind, denn so wie der Schwindel und die Corruption fast alle Spharen des Geschaftslebens in den Yereinigten Staaten angefressen haben, so nistet sich der wissenschaftliche Schwindel, namlich die Oberflachlichkeit, wie es scheint, in manchen transoceanischen Leistungen ein, welche einen wissen- schaftlichen Werth beanspruchen. Wenn fiir irgend einen Wissenszweig die allerstrengste Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit conditio sine qua non sind, so gilt dies sicherlich von der Statistik. Nun hat seit jeher das statistische Bureau in Washington, die einzige authenti- sche Quelle fiir unsere Ziffern tiber Nordamerika, nach einem treffenden Ausspruch der ,,Kolnischen Zeitung" (1868) ,,sich bekanntlich durch besondere Zuverlassig- keit nicht ausgezeichnet," aber Aehnliches wie der Scandal der letzten Yolkszahlung fur 1870 scheint noch nicht xxxn vorgekommen zu sein. Es wird uns aus Boston ge- sehrieben, dass die Schleuderei und Lfiderlichkeit der mit der Yollziehung des Census beauftragten Beam- ten geradezu beispiellos gewesen sei, dass dieselben sich in vielen Fallen gar nicht die Mlihe einer eigenen Zah- lung gaben, sondern mit annahernden Schatzungen fiir einzelne Hauser, Familien u. dgl. begniigten, ja manche unsaubere Strasse in den grosseren Stadten nicht einmal betreten haben sollen. Wir unterdriicken die Auslassungen tiber die Art und Weise, wie einige dieser Herren, die durch solches Gebahren ersparte Zeit verwendet haben; unleugbar steht fest, dass sogleich nach der Veroffentlichung des Census die grossten Feh- ler und Irrthumer entdeckt wurden. Diese Thatsache konnte so wenig vertuscht werden, dass endlich die besseren und einflussreicheren Zeitungen auf eine Revi- sion drangen, die die Regierung denn auch bewilligen musste. So ist denn auch die seither bekannt gewor- dene revidirte ZifFer von 38,555,983 Kopfen *) nicht liber jeden Zweifel erhaben; wir wollen indess anneh- men, dass sie der Wirklichkeit ziemlich nahe kommen. Sie umfasst 33,586,989 Weisse, 4,880,009 Farbige, worunter sowohl Neger als Mischlinge zu verstehen sind, 25,731 Indianer und 63,254 Chinesen. Die Letzte- ren entfallen hauptsachlich auf Californien, dessen chi- nesische Bevolkerung in den letzten zehn Jahren um 14,347 gestiegen ist. Was die Indianerbevolkerung l ) Diese Ziffer ist dem officiellen ,,Bericht uber die Ein- wanderung in die Vereinigten Staaten," Washington 1872, 8., cntnommen. In einem Aufsatze der amerikanischen Zeitschrift : Atlantic Monthly vom October 1ST 3, der wohl die neueste offi- cielle Ziffer am so mehr beniitzen konnte, als sein Autor der Leiter des Census sclbst ist, ist diese mit 38,558,371 angegeben. Eine (K. L.) Correspondenz des ,,Schwabischen Merkur" aus Newyork, dat. 15. Marz 1873, setzt aber dieselbe gar nur mit 38,115,641 Seelen an. XXXIII angeht, so sind die Stamme in Alaska, welche auf 75,000 Mann geschatzt werden, sowie mehrere feindliche Indianerstamme in diesem Ausweise nicht mit eingeschlossen ; mit anderen Worten , iiber die Zahl der Indianer in den Yereinigten Staaten sind die Angaben des Census ungeniigend und un- brauchbar. Die Ziffern des Census von 1870 geben uns aber noch Anlass zu einer weitergehenden Betrachtung. Wir kennen namlich genug Leute diesseits des grossen Was- sers, welche in ihrer unerschiitterlichen Bewunderung des Amerikanerthums und durchdrungen von der Ueber- zeugung seiner kiinftigen Grosse , mit siegesgewisser Miene darauf hinweisen, dass kein Jahrhundert verstrei- chen werde, ehe die machtige Yankeerepublik an Ein- wohnerzahl dem himmlischen Reiche der blumigen Mitte gleich komme oder dasselbe gar iibertrefFe. Sie meinen einen ganz besonderen Trumpf auszuspielen, wenn sie es als ein Resultat wissenschaftlicher Beobachtungen und darauf beruhender Berechnung darstellen, dass um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts die Unions- Staaten 330,846,389 oder gar 497,246,365, also rund 500 Millionen Menschen zahlen werden. Bescheidenere Seelen begniigten sich bis an's Ende unseres jetzigen Jahrhunderts zu blicken, um fur das Jahr 1900 eine Bevolkerungsziffer - von 100 Millionen vorauszusagen. Es verlohnt sich also wohl der Muhe, den wissen- schaftlichen Werth dieser kiihnen Weissagungen ein wenig zu untersuchen, und wir dtirfen uns um so ungescheuter daran wagen, als wir dabei eine durch- aus unverfangliche Grundlage, die Arbeit eines Amerikaners, besitzen. Francis A. Walker, seltsamer- weise zugleich der Leiter des misslungenen letzten Census, ist die rara avis, welche dem Grossenwahn- sinn seiner Landsleute gegeniiber einmal kein Blatt vor den Mund nimmt und den mit angebiich wissen- V XXXIV schaftliclien Forschungen getriebenen Schwindel unver- holen blosslegt. *) Die hundert Millionen des Jahres 1900 spuken namlich nicht allein in den Kopfen europaischer Schwarmer, denen jedes Wort der Laboulaye'schen Phantasmagorien zum Evangelium wird, diese beten vielmehr nur glaubig nach, was die amerikanische Eitel- keit sich selber vorschwatzt. Bedenklicher ist es aber jedenfalls, vom wissenschaftlichen Standpunkte aus, dass die Quelle dieser Truggebilde zum Theile in den offi- ciellen Censusberichten der Yereinigten Staaten zu suchen 1st, welche mehr denn einmal solche Zukunfts- berechmmgen bis auf ein Menschenbruchtheil genau (100, 355, 801, d !) anzustellen wagten. Die bekannteste aller ahnlichen arithmetischen Prophezeiungen ist in- dess jene des Elkanah Watson, der 1815 die zehn- jahrigen Censusziffern von 1820 bis ^1900 voraus- bestimmte. Im Jahre 1854 unternahm dann De Bow, der Leiter des siebenten Census, dem schon eine sicherere Grundlage zu Gebote stand, das Gleiche fur die noch fehlenden Yolkszahlungen von I860 1900. Wir stellen ihre Ziffern mit jenen der effeetiven Censusergebnisse in nachstehender Tabelle zusammen : j ) Francis A. Walker. Our population in 1900. (Atlantic Monthly. Octobre 1873. S. 487495.) XXXV CO II - 10 iO | Bevolkerung nach D e Bow 1 CO OS CM O L "V ,, I rH^ f^" ' CO rH CM" co" o oc iO C C0~ I> co cr IT- C r- 02 GO iO CO GO t t CO GO CO rH O O co lO. iC O d S o d . . 00 CM IT~ co -H/I 1 1 CO O O rH 10 CO lO fcC d OQ d -+J "HH )O CO CO "^f CM t CO lO CO "^ CM rH CO CM CO ^ CO GO ^ CM GO a CO CO CO CM CO rH CO GO rH lO CO CO O CO lO CM lO T-I t- CO ^ co if CO if CM cr ^ PH | 05 rH rH CO rH CM CO CM CO 'rfH xO t- C IT- C r- .S d ^ ,n "S i o t :3 t CO O 1C ^t 1 CM OS ? S 5 ^ CO CO CO IT- CO CO CO CO CO CO *H CO o ,d > CO CO lO lO CO t CO CM CO t~ rH T^H Oi (~) f* rH CM CO _g eg o d lO rH ^JH O CO CO CM GO CM OS CO OS CO CM !> 3 1 T""H T^H ^5 CO "^1 iO 60 O 3 ^3 d TH O GO CO CO rH rH OS lO GO CO TH CM CO GO t CO CO CM rH rH CO CM IT- CM CO CO ^ OS "HjH lO O> <^ OS CM OS rH O CM rH OS CM CM CO CO CO IT CO CO CO ^ 10 (~) -^t LO 12 1 CO lO !> OS CM l>- rH rH CO rH CO CM CO CO s 1 1 O O O O O O OS O rH CM CO ^ t- GO CO GO CO CO rH rH rH rH rH rH O O O O 10 co t- co CO GO CO CO rH rH rH rH C OS C GO O rH r- XXXVI Aus der Betrachtung dieser Ziffernreihen geht zu- nachst hervor, dass Watson's Berechnungen sich wah- rend toller fiinf Censusperioden , d. i. fiinfzig Jahre lang bis auf ein Procent in wunderbarer Uebereinstim- mung befinden. Wenn wir erwagen, dass die Ziffer fur 1840 nicht moglieh gewesen ware, wenn die Nulli- fication 1832, wie es mehr denn wahrscheinlich war, der Session vorangegangen ware; wenn wir bedenken, dass ohne den Misswachs der Kartoffeln 1846 47 die Ziffer fur 1850 falsch gewesen, dass endlich ohne der ganz von inneren Ursachen abhangigen grossartigen fremden, besonders deutschen Einwanderung in den ftinfziger Jahren (18501854) die Ziffer fiir I860 urn mehr denn eine Million zu hoch gewesen ware, so werden wir sicherlich keine allzugrosse- Meinung von Watson's statistischen Weissagungen gewinnen , die iibrigens eingestandenermassen auf der einfachen An- nahme beruhen, dass die anfangliche Steigerung der Bevolkerungszahl in ungeschwachten Verhaltnissen un- unterbrochen fortdauern wiirde. Watson wettete neun- mal auf Roth und ftinfmal kam wirklich Roth - in der That ein wunderbares Gluck. Zum sechsten Mai aber kam Roth nicht. Der Census von 1870 ist um 3,770,061 geringer als der Yoranschlag Watson's und gar um 4,255,355 geringer als jener De Bow's aus- gefallen. Da es gewiss Angesichts einer Bevolkerung von 38 l / 2 Millionen 1870 im hochsten Grade irrationell ware, an 100 Millionen fiir 1900 zu glauben, so ste- hen nach Herrn Walker der Speculation noch zwei Wege, zwei Annahmen offen. Man kann namlich vor- aussetzen, dass die Ursachen des jetzigen Zuriickbleibens der Bevolkerungsziffer ausnahmsweise gewesen seien, welche nicht allein sich in ihren Wirkungen erschopft, sondern auch deren Wiedereintritt im Laufe dieses Jahrhunderts im hochsten Grade unwahrscheinlich ist; in diesem Falle hatte man bloss das einmalige, sich XXXYII jetzt ergebende Minus in Betracht zu ziehen. Es ist aber andererseits auch die Annahme statthaft, dass die Ursachen des gegenwartigen Minus fort bestehen und auch in Zukunft eine grossere oder geringere Wirkung hervorbringen werden. Dann miissten auch diese fiir die drei nachsten Decaden beriicksichtigt werden. Wenden wir uns dem ersteren Falle zu. Nimmt man als Durchschnitt des Minus der effectiven Bevol- kerung im Jahre 1870 und den Yoranschlagen von Watson und J)e Bow rund 4 Milionen an, so ist es klar, dass es nicht gentigt, um diese Tier Millionen den Yoranschlag fiir 1900 zu reduciren, da ja diese jetzt fehlenden vier Millionen an der Beschaifung der Ge- sammtsumme im Jahre 1900 hatten Theil ~ nehmen sollen. Ueber Lebensdauer und Productivity dieser fehlenden vier Millionen Menschen lassen sich nun un- moglich Berechnungen anstellen. Denkt man sich aber den Abgang dieser vier Millionen an alle Altersclassen proportionell vertheilt, so wachst derselbe einer einfa- chen Regel de Tri zufolge auf zehn Millionen im Jahre 1900 an. Statt 100 Millionen nur mehr 90. Wiirde. das Minus nur die Greise oder die Kinder unter fiinf Jahre getroffen haben , so ware der Yerlust kein so erheblicher ; am schlimmsten dagegen, wenn die Alters- classe von 20 40 Jahren das -jetzige Minus zu tragen hatte; in diesem Falle hatten drei Generationen unter den Ursachen zu leiden, welche die Bevolkerung von 1870 decimirten. Es handelt sich nunmehr darum zu untersuchen, ob diese Ursachen wirklich solche waren, derer Wieder- kehr nicht 'zu erwarten steht und ob ihre Wirkungen auch vollkommen erschopft sind. Selbstverstandlich diirfen wir gewartigen, sofort als Ursache des Riick- -schrittes im Decenium I860 1870 den unheilvollen Secessionskrieg bezeichnen zu horen. Priifen wir die Sache indessen naher. XXXVIII Der officielle Censusbericht pro 1870 vom 21. November 1871 stellt sammtliche Verluste des Burger- krieges in ihrem weitesten Umfange zusammen und be- zifFert sie mit 1,765,000 Kopfen. Darin sind nicht nur die directen Verluste im Kriege, namlich Gefallene, an Wunden und Krankheiten Verstorbene, sondern auch der indirecte Ausfall in der Einwandererzahl und, man merke wohl, das durch die Sklavenemancipation verursachte Zuriickbleiben des farbigen Ele- ments inbegriffen. Nun kommt freilich iioch als nach- tragliche Folge des Krieges die Yerminderung in der Ziffer der Geburten hinzu. Herr Walker berechnet dieses Minus sehr reichlich auf drei Yiertelmillionen. Diess wiirde also die Gresammtverluste in Folge des Krieges auf ein Maximum von 2 1 / 2 Millionen erhohen, um welche die Bevolkerungszahl 1870 hatte geringer sein diirfen als die Voranschlage. Es eriibrigen also immer noch 1 V 2 Million, der en Abgang nothwendiger- weise anderen Ursachen als dem Secessionskriege zuge- schrieben werden muss. Herr Walker unternimmt es nun, semen Landsleuten und auch Anderen die Augen dariiber zu ofFnen, dass diese Ursachen andauernde, ja solche sind, die in der nachsten Zukunft mit noch ver- starkter Kraft sich geltend machen werden. War es schon von Watson kuhn, nach dem dritten Census eine Regel fur die Zukunft aufstellen zu woilen, so war es von De Bow, der nach dem siebenten Census schrieb, noch verwegener, den bisherigen Fortgang auch fur die Zukunft zu behaupten. Gerade das langjahrige Zu- trefFen der Watson'schen Progression war ein Argu- ment fur , nicht gegen eine demnachst eintretende Wendung. Und diese Wendung ist gekommen ; sie kam, als das Yolk der Yereinigten Staaten anfing, sich vom Feldbau zur Fabrikindustrie zu wenden, vom Lande in die Stadt zu ziehen, in prachtigen Hau- sern zu wohnen und fremden Sitten nachzuhangen. Je XXXIX mehr die Linie bodenbebauender Beschaftigung an die grossen Heideflachen heranzieht, je mehr die alten west- lichen Staaten sich dem Handel und der Industrie zu- wenden, je mehr die Handels- und Industrie-Emporien des Ostens sich verdichten, je mehr das Streben nach fashion und socialen Ceremoniel sich der gesammten Bevolkerung bemachtigt, je mehr Nahrung, Kleidung und Lebensweise kunstliche werden , je mehr das ab- scheuliche amerikanische Laster des boarding Kinder zu wahrer Last, Yerlegenheit (encumbrances} macht, je mehr die Entwurzelung der alten ehrbaren Institutionen der Familie sich yon Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf erstreckt, desto weniger kann es einem Zweifel unter- liegen, meint der verniinftige Amerikaner, dass wir den Procentsatz der amerikanischen Bevolkerung in Zukunft von Decennium zu Decenium sink en sehen werden. Die Ursachen Irierzu liegen in bisher nicht beachteten und erst seit Kurzem wirksam gewordenen socialen Kraften und Tendenzen des nationalen Lebens. Unter solchen Umstanden liegt auch nur eine annahernde Berechnung des Bevolkerungsstandes von 1900 ganz ausser dem Bereiche der Moglichkeit, Herr Walker ist aber ofFenbar der Meinung, dass sich die grosse Re- publik gliicklich schatzen darf, wenn sie es bis dahin auf siebzig Millionen Kopfe bringt. Darauf also reduciren sich bei niichterner Priifung die grosssprecherischen 300 Millionen des kommenden Jahrhunderts, die 100 Millionen am Abende des jetzi- gen. Obwohl bekanntlich eine Yerdoppelung der Yolks- menge in Russland erst in 66 Jahren zu erwarten, j ) so steht doch ein sehr besonnener Schriftsteller, Anatole Leroy - Beaulieu , dem wir eine gediegene griindliche Studie iiber Russland verdanken, 2 ) nicht an, fur dieses *) M. Block. L'Europe pol. et soc. S. 30. 2 ) Anatole Leroy Beaulieu. La Russie et les Russes. (Re- vue des deux Mondes voin 15, August, 15. September und 15. October 1873.) XL schon in zwanzig Jahren nach sehr massigen Schatzun- gen eine Bevolkerung von 100 Millionen zu progno- sticiren. In der Mitte des nachsten Jahrhunderts diirfte Russland Alles gestattet diess zu glauben 130150 Millionen Einwohner, davon neun Zehntel auf seinem europaischen Grebiete zahlen, 3 ) welches sich zu jenem der Yereinigten Staaten wie 88,298 zu 142,725 geographischen Quadratmeilen verhalt. '') Die an Fla- chenraum etwa anderthalb Mai so grossen, ihres raschen Populationswachsthumes wegen sprichwortlich gewordenen Yereinigten Staaten werden also beim Erwachen des neuen Jahrhunderts nicht einmal die Yolksmenge von Russland erreicht, geschweige denn fiinfzig Jahre spater das Reich der Mitte iibertrofFen haben. Cannstatt, im Januar 1876. Fried-i-ich. von Hellwald. 3 ) A. a. O. Revue des deux Mondes. 15. August 1873. S. 772. 4 ) DIesen Ziffern sind jene der Hiibner'schen ,,Statistisc"hen Tabellen" fur 1873 zu Grunde gelegt. Fur die Vereinigten Staa- ten geben sie 169,883 geographische Quadratmeilen, wovon wir Alaska mit 27,158 (nach Behm. Geogr. Jahrb. III. Bd. S. 79) als hier nicht in Betracht kommend, abgezogen haben. o r -W o r t, An den Ehrenwerthen Karl Schurz, Ex-Senator der Vercinigtcn Staaten von Nordaraerika. Werthgeschatzter Herr! ,,,,Tnnige Beziehungen freundschaftlicher Sympathie zwi- schen Deutschland und Amerika zu fordern, erscheint mir in staatsmannischer Beziehung als gesunde Politik und 1st mir als einem Amerikaner von deutscher Geburt ein Herzenswunsch, und Alles, was in irgend einer Weise einen Schatten auf diese internationals Freundschaft werfen kb'nnte, hat mich immer mit schmerzlicher Sorge erfullt. Ich nehme nicht Bezug auf die Moglichkeit eines grossen Interessenzwiespaltes zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland; denn, wohin immer das Auge auch blicken mag, kann es in beiden Landern keine In- teressen entdecken, die irgendwie in einen feindlichen Gegen- satz gebracht werden konnten. Vielmehr denke ich dabei an ein Vorurtheil, das die eine Nation in den Augen der andern herabsetzen konnte in Folge von verzerrten Auf- fassungen und einseitigen Kritiken!"" Das Vorstehende, nach einem vorliegenden Berichte (der New -York Tribune) bei Gelegenheit des zu Ihren Ehren am 8. Juni 1875 abgehaltenen Festmahles von Ihnen geaussert, wird gewiss den verdienten Beifall des gebildeten Publikums und jedes denkenden Menschen beider erwahnten Lander linden. Nicht nur ist es hochst unbillig. wenn Jemand seine Ansichten VI XLII iiber ein Land oder Volk auf Grund soldier ,,Vorurtheile" bil- det, sondern es liegt auch im Interesse beider betroffenen Nationen, dass ,,verzerrte Auffassungen und einseitige Kritiken" gebiihrend in das Licht der Wahrheit gestellt werden. Und wer immer das thut, gleichviel ob er als Staatsmann, wie Sie, dem offentlichen Leben naher steht oder nicht, erwirbt sich einen gerechten Anspruch auf die Dankbarkeit der also belehrten Volker. Nun ist es unzweifelhaft wahr, dass ,,das amerikanische Volk in der jtingsten Zeit Etwas an Ansehen in der offentlichen Meinung Europa's verloren hat." " Und wenn dieser Verlust, wie Sie behaupten, nur in Folge von ,,Vorurtheilen u eingetreten ist, so ware es sicherlich nicht unangemessen, wenn Sie dieser Behauptung den gebiihrenden Nachdruck dadurch verleihen wollten, dass Sie durch einfachen Hinweis auf unbestreitbare Thatsachen, welche den ,,verzerrten Auffassungen und einseitigen Kritiken" widersprechen, deren Nichtigkeit aufs Klarste an's Licht ziehen. Halten Sie es desshalb dem Schreiber dieses zu Gute, wenn er sein Erstaunen dariiber ausdriickt, dass die nachfolgenden Stellen Ihrer Rede, die darauf berechnet scheinen, derartige Vorurtheile anzugrei- fen, sich weniger mit der Erwahnung unwiderlegbarer That- sachen befassen, als vielmehr Behauptungen gleichsam als aner- kannte Wahrheiten aussprechen, die, weit davon entfernt, sogar in Amerika noch Ursache hitziger Parteistreitigkeiten und Ge- genstand zweifelhafter Experimente sind. Solche Behauptungen, die auf der Rednerbuhne vor einer Versammlung der Partei ausgesprochen, wohl mit Beifall begrusst werden wiirden, sind, nach der Ansicht des Schreibers, ganz und gar nicht geeignet, die Meinungen des denkenden europaischen Publikums zu be- einflussen oder umzugestalten , es sei denn , dass Sie , Herr Schurz, im Stande war en, deren Richtigkeit durch unanfecht- bare Beweise iiber alien Zweifel zu erheben. Um Ihnen Gelegenheit zu bieten, das zu thun, nimmt der Unterzeichnete sich die Freiheit, in Eolgendem verschiedene Stellen Ihrer Rede hervorzuheben ! Vorerst erlaubt er sich noch, Ihre Aufmerksamkeit auf die, der Eingangs erwahnten, nachstfolgende Stelle Ihrer Rede zu lenken, die also lautet: XLTII ,,,,Das Verschwinden jenes Gefuhls, das in so ubermach- tiger Weise eine auf Grund bemerkenswerther Errungenschaf- ten plotzlich erzwungene Bewunderung zur Folge hat; finanzielle Unternehmungen unsolider Natur, die in Ame- rika in Scene gesetzt und hier hochlichst gepriesen wurden und die mehr oder minder Unheil nach sich zogen; oder die Kenntniss der Corruption und der Betriigereien unse- res 6'ffentlichen Lebens . . . ."" Nun, mein Herr, wenn Sie zugeben, dass dies That- sacheu sind, glauben Sie nicht, dass solche Thatsachen allein hinreichen, die Einbusse an Achtung, die das amerikanische Volk in der jiingsten Zeit vor der offentlichen Meinung Euro- pa's erlitten, nicht nur zu erklaren, sondern sogar zu recht- fertigen? Oder mochten Sie behaupten, dass das denkende europaische Publikum solchen Thatsachen gegeniiber die Augen verschliessen und denselben keinen Einfluss auf sein Urtheil gestatten solle? Zur letzteren Auffassung scheinen die folgenden Stellen Ihrer Rede zu berechtigen, worin Sie sich des weiteren dariiber als iiber ein der amerikanischen Nation zugefiigtes Unrecht beklagen, dass Europa von den Enthiillungen amtlicher Betriigereien und Spitzbiibereien, die, wie Sie wohl nicht bestreiten werden, in letzter Zeit unge- wohnlich zahlreich vorgekommen, Notiz nehme ! Nun verlan- gen Sie etwa, dass das Publikum Europa's sich die Augen verbinde und die Ohren verstopfe, um von den amerikanischen Skandalen nichts zu gewahren? Aber Sie behaupten, dass, indem das Publikum diese Enthiillungen bemerkt, dasselbe nur die Schattenlinien der amerikanischen Zustande beobachte, ohne die Li'chtseiten in Betracht zu ziehen? Bitte, worauf stiitzt sich diese Behaup- tung? Sprachen Sie nicht eben vorher von einer ,,Bewunde- rung" und von dem ,,hochlichst gepriesen werden" amerikani- scher Zustande? Nun, gehort das zu den Schatten- oder zu den Lichtseiten des Gemaldes? Verlangen Sie von dem un- parteiischen Beobachter, dass er sich ein richtiges Bild da- durch mache, dass er nur die Lichtseiten in Erwagung ziehe, die zugehorigen Schatten aber unbeachtet lasse? Zur Verstarkung dieser Ihrer Stellung aber treten Sie mit einer Behauptung hervor, die nahere Beleuchtung verdient, XLIV da sie die seltene Eigenschaft besitzt, zugleich einzig in ihrer Art und doppelsinnig zu sein. Sie sagen: ,,,,Nur Corruption, die im Verborgenen wu- chert, kann eine todtliche Krankheit sein!"" Erlauben Sie mir, Herr Schurz, diese Ihre Behauptung als ganz und gar unrichtig hinzustellen und Sie zum thatsach- lichen Beweise derselben aufzufordern ! Weit davon entfernt, dass im Geheimen wuchernde Corruption (die mehr oder minder zu jeder Zeit und tiberall existirt und deren vollstan- dige Unterdriickung eine einfache Unmoglichkeit!) eine todtli- che Krankheit sei, wird Corruption erst dann zu einer solchen, wenn sie frech und unverschamt sich nicht mehr scheut, ihr vom Laster zerfressenes Angesicht im vollen Lichte des Tages zu enthiillen, wenn sie der offentlichen Meinung keck die Spitze bietet, sie einschiichtert und zu ihrenGunsten dienstbar macht! 1st das Letztere, wie Sie zuzugeben scheinen, in denVereinig- ten Staaten der Fall, so behaupte ich, dass dann die Verei- nigten Staaten todtkrank darniederliegen ! Und ich ware sehr neugierig zu erfahren, mit welchen geschichtlichen Beweisen Sie Ihre kiihne Behauptung, dass nur im Verborgenen wuchernde Corruption, von der kein Mensch etwas ge- wahr wird, eine todtliche Krankheit sein ko'nne, zu bewahrheiten gedenken ! ? ! Aber ich kann den Doppelsinn, der in dieser Phrase, in Verbindung mit den nachfolgenden Stellen Ihrer Rede liegt, nicht mit Stillschweigen iibergehen. Denn dieselbe enthillt nichts mehr und nichts weniger, als eine versteckte Andeutung, dass Corruption, die in den Vereinigten Staaten offen vom Tageslicht beleuchtet werde, in Europa und speciell in Deutsch- land, das gleich darauf namhaft gemacht wird, im Verbor- genen als eine todtliche Krankheit wuchere! Nun, Herr Schurz, wenn, wie Sie damit andeuten, Sie davon un- terrichtet sein sollten, dass in Deutschland und in andern Landern eine Corruption, die mit der in den Vereinigten Staaten bestehenden vergleichbar ist, im Verborgenen wuchere. so mochte es angemessen erscheinen, dem Publikum eine solche hochst wichtige Entdeckung nicht vorzuenthalten ! Ueberdies wiirden Sie schon um deswillen gut thun, der Welt die Griinde vorzulegen, die Sie zu einer solchen Behauptung bewegen, weil XLV dieselbe im Unterlassungsfalle als eine blosse Unterstellung aufgefasst werden kounte. Nachdem Sie auf diese Weise reclit kraftig Einspruch dagegen erhoben haben, dass irgend ein denkender Mensch, der sich ein wahres Bild der Zustande in den Vereinigten Staaten zusammenztistellen versucht, den dort zu bemerken- den Schatten in dasselbe hineintrage, gehen Sie sogleich da- rauf iiber, die Aufmerksamkeit auf die Lichtseiten dieser Zu- stande zu lenken. Es ist das eben nichts Neues, da es seit langen Jahren allgemeiner Brauch bei alien Jenen war, deren gliihende Beschreibungen die Bewunderung, von der Sie eben sprachen, erzwungen haben. Und ebensowenig ist es tadels- werth wenn Jemand die Lichtseiten eines Gemeinwesens, dem er als Burger angehort, mit Vorliebe herauskehrt. Nur muss dies, wenn es auf ein denkendes Publikum Eindruck machen soil, in der Weise geschehen, dass anerkannte Thatsachen zu diesem Zwecke herbeigezogen werden. Leider ist es wahr, dass Sie dieses unentbehrliche Erforderniss schleunigst ausser Acht liessen. Nachdem Sie demselben in einem Falle gerecht geworden, namlich, indem Sie von dem ,,Unternehmungs- geiste und der uniiberwindlichen (?) Energie" sprachen, die die Wildnisse eines ganzen Continents tiberwunden (es ware richtiger gewesen, zu sagen: iiberlaufen) hat, ergehen Sie sich in Behauptungen, von der schon oben erwahnten Art, zwar vollkommen fur eine Versammlung Hirer Parteifreunde geeignet, in einer Versammlung denkender, unparteiischer Manner aber schwerlich am Platze. Sie sagen z. B. : ,,Dieses Volk verstand Gesetze zu machen, die den Be- diirfnissen vieler verschiedener Nationalitaten vollkommen eut- sprachen." Nun T das ,,vollkommen Entsprechende" dieser Gesetze ist gerade Gegenstand des Experimentes, dessen Ausfall mindestens zweifelhaft ist! Und ferner ist es eine Thatsache, dass, weit davon entfernt, Gesetze den Bediirfnissen vieler verschiedener Nationalitaten anzupassen, man in Amerika nicht nur nicht daran gedacht hat, dies zu thun, sondern man sogar ein Prin- cip als einzig massgebend beobachtet hat, welches eine solche Anpassung geradezu verbietet! Dieses Princip, welches zu vertheidigen Sie sich ganz besonders zur Aufgabe gemacht, XLVI behauptet ohne Weiteres, dass eine Anerkennung der ,,Ver- schiedenheiten" der Nationalitaten durch das Gesetz nicht nur ungehorig, sondern sogar ein Verbrechen gegen die Menschheit, gegen die ,,Freiheit, Gleichheit und Briiderlichkeit" und gegen die ,,Humanitat" sei, und dass anstatt solche Gesetze zu maclien, es vielmehr die Pflicht jedes Menschen sei, etwa bestehende Gesetze solcher Art hinwegzuraumen , und die ,,ganzliche gesetzliche Gleichheit aller Menschen ohne Ruck sic ht auf Race, Nationalitat und vorherige Lage derselben" herzustellen. Es m5chte also scheinen, dass Hire obige Behauptung mit den Thatsachen ganz und gar im Widerspruche sich befindet! Eine ahnliche Behauptung, jedes Beweises ermangelnd, stellen Sie auf, wenn Sie sagen: ,,DiesesVolk hat bei der Losung politischer und socialer Fragen Erfolge gehabt . . !" Was sind das fiir Fragen, die so erfolgreich gelost wor- den sind? Etwa die Indianerfrage ? Oder die Negerfrage, von der sich allerdings manche Leute einbilden, dass sie ge- lost sei? Glauben Sie wirldich, dass diese .Losung ein Erfolg gewesen ? Wenn Sie das thun, ware es nicht gut der Welt zu zeigen, worin die Vortheile, die das gemeine Wohl durch diese Losung davongetragen, eigentlich bestehen? Sie fahren fort: ,,Dieses Volk opferte freiwillig fiir den Bestand der Ge- sammtnation und fiir die Ideen der Freiheit aller Menschen mit der vollkommenen Willfahrigkeit der wahren Vater- landsliebe das Blut seiner Sohne, und es schiittetc den Reichthum, der mit bitterer Miihe gewonnen war, in einem endlosen Strome aus . . " Sehr hiibsch gesagt, und sicher, den Beifall ihrer Partei- freunde zu gewinnen ! Aber erlauben Sie eiuem unparteiischen Menschen die Frage: Wer waren eigentlich die menschlichen Briider, deren Freiheit mit so grossen Opfern errungen ward ? Waren es die eigenen Sohne des Volkes? Vielleicht haben sogar Sie davon gehort, dass es eine Partei gibt, deren Zahl in den Vereinigten Staaten durchaus nicht unbetrachtlich ist, und die da behauptet, dass man die Freiheit nur fiir den Neger gewonnen, und dies auf Kosten der Freiheit, des Wohl- XLVII standes und des Gliickes einer dreifachen Anzahl, endlich auf Kosten des Lebens des vierten Theils der Anzahl weisser Menschen geschehen sei: Urn diese Verlaumdung zu wider- legen, wollen Sie nicht die Giite haben nachzuweisen, was die W e i s s e n des Landes durch i h r e Opfer gewonneri haben ? Oder glauben Sie nicht, dass gerechter Weise Vortheile denen zufallen sollten, die die Opfer brachten? Dies sind hochst interessante Fragen, deren Beantwortung das denkende Publi- kum Ihnen dankend in seiner Achtung vergelten wiirde. Worin bestehen und wie gross sind die bestimmten Vortheile, die das Menschengeschlecht diesen Opfern zu verdanken hat? Was die ,,Vaterlandsliebe" betrifft, so erlaube ich mir zu bemerken, dass Sie meines Wissens der erste Staatsmann sind, der auf einen Burgerkrieg als auf eine Bethatigung von Vaterlandsliebe blickt. Bis jetzt sind alle Geschichtsschreiber, Staatsmanner und Philosophen dariiber einig gewesen, dass ein solches Ereigniss an und fur sich den biindigsten Beweis liefere, dass Vaterlandsliebe von Parteigeist und Localpatriotis- mus in den Hintergrund gedrangt worden. Wenn diejenigen, die sich fiir Erhaltung des Gesammtvaterlandes schlugen, Sohne des Landes waren, so waren diejenigen, die sich fiir die Tren- nung schlugen, gewiss nicht weniger (thatsachlich sogar in we it grosserem Verhaltniss, da sich unter Ersteren viele, unter den Letzteren beinahe gar keine Fremden befanden) ,,S6hne des Landes!" Aber der Gegenstand der ,,Vaterlandsliebe" ist iiberhaupt der Art, dass ich Sie dariiber um Aufklarung angehen muss. An einer ganzen Anzahl Stellen Ihrer Eede ru'hmen Sie dieses Gefiihl! Sie sprechen von dem grossen nationalen Geiste Deutschlands, und von den Schlagen die derselbe gefiihrt hat, von der Grosse Deutschlands, von Ihrem ,,alten" und von Ihrem ,,neuen" Vaterlande!" Alles das setzt mich in Er- staunen! Denn sind Sie nicht ganz derselbe Mann, den ich so oft in bewegter Sprache iiber die Gleichheit und Briiderlich- keit aller Menschen, und iiber die Pflicht, diese ,,alle Menschen" gleicherweise zu lieben, habe sich ergehen horen ? Wie stimmt erkliiren Sie mir, die gleiche Lie be zu alien Menschen mit dern Vorzuge iiberein, den Sie vermittelst des Gefuhles der Vaterlandsliebe und der Nationalitat einem, oder in Ihrem XL VIII Falle, zweien bestimmten Landern und Volkern in Ihrem, alle Menschen in Liebe umfassenden Busen einraumen ? 1st nicht die ganze Erde Oder vielmehr die ganze Welt gleicherweise Ihr Vaterland? Sind nicht alle Menschen Ihre Brttder und Weltmitbiirger? Wie konnen Sie es mit Ihrem Gewissen ver- einbaren, sich iiber die Schlage zu freueii, die Ihre deutschen Briider ausgetheilt, und die Ihre gleichgeliebten menschlichen Briider, die franzosischen Weltbiirger, davongetragen ? Alles das sind fiir den Unterzeichneten geradezu Rathsel, fiir deren erfolgreiche Losung er Ihnen, Herr Schurz, gernDank schul- den wiirde! Er ist iibrigens iiberzeugt, dass es einem Staats- manne und Socialpolitiker Ihres Ranges ein Leichtes sein wird, nicht nur das Geheimniss dieses Rathsels, sondern alle hier geausserten Bedenken vollstandig in einer Weise aufzuklaren, die keinen weiteren Ein wand zulasst! Bereits seit einer Eeihe von Jahren hat sich bei dem Verfasser die, Ueberzeugung festgesetzt, welcher Sie in der Eingangs erwahnten Stelle Ausdruck gaben. namlich: dass ver- zerrte Auffassungen und einseitige Kritiken amerikanischer Zustiinde, die in der vergangenen Zeit, - so zu sagen, - modern waren, berichtigt zu werden verdienten. Denn das In- teresse der amerikanischen Nation, die allgemach ihre Kinder- schuhe ausgetreten und zur vollen Grosse des reiferen Alters herangewachsen war, einer Grosse, die die voile Unabhangig- keit der Bevolkerung der Vereinigten Staaten gegeniiber irgend welchen, etwa versuchten, Eingriffen und Einmischungen frem- der Machte unbedingt sicher stellte, verlangt, dass diese Na- tion endlich aus ihrer bisher eingenommenen Ausnahmestellung heraustrete und kiinftighin ihr Ansehen nicht mehr wie bis- lang zum grossen Theil auf blosse Annahmen und Versprech- ungen, sondern vielmehr, gerade wie das aller andern Volker, nur auf thatsachliche Leistungen und ihre wirkliche, sehr be- deutende Leistungsfahigkeit griindet. Um einen seinen schwachen ' Kraften entsprechenden Beitrag zur richtigen Wiirdigung nicht der eingebildeten, sondern der thatsachlichen Verhiiltnisse in der amerikanischen Republik zu liefern, ver- fasste der Unterzeichnete das Werk, dem dieser Brief als Vorwort dient. Wahrend dies der eigentliche Beweggrund ist, gaben XLIX mehrere Nebenursachen denAnstoss zur dermaligen Ausftihrung dieser Absicht. Einer davon mag in einer, auf verzerrter Auffassuug beruhenden einseitigen Schilderung der Verhaltnisse der Republik der Vereinigten Staaten gesucht werden, die in der Culturgeschichte des Herrn G. F r i e d r. K o 1 b zu finden ist. Dieses Werk kam dem Verfasser unter die Augen, als er im Winter 1873 auf 1874 sich die Langweile und Schmerzen eines hartniickigen Rheumatismus, den er sich als patriotischer Freiwilliger im Kampfe fiir das Menschenrecht der ,,schwarzen Briider" zugezogen, zu vertreiben suchte. Das Studium der obigen Culturgeschichte, die er als von einem beriihmten Statistiker, vermuthlich also eineni Manne der trockenen Thatsachen und nicht der lebendigen Phrase verfasst, mit grossen Erwartungen in die Hand nahm, berei- tete ihm leider eine vollstandige Enttauschung. Denn schon die ersten sieben bis acht Lieferungen zeigten zur Gentige, dass es dem Autor nicht darum zu thun war, die Geschichts- wissenschaft zu bereichern, sondern dass dieser Herr vielmehr die klar zu Tage tretende Absicht hatte, das Urtheil der Le- ser von vornherein zu bestimmen, natiirlich zu Gunsten der Ansichten, die er privatim fur die richtigen hielt. Kurz heraus zu sagen: Sein Werk war nicht, wie es zu sein vorgab, ein wissenschaftliches, das als solches mit individuellen Ansichten und Glaubensartikeln nichts weiter zu thun hat als von ihrem thatsachlichen Vorkommen Notiz zu nehmen, sondern eine un- ter dem Deckmantel der Wissenschaft abgefasste Vertheidi- gungsschrift gewisser Doktrinen, die von Herrn Kolb und der Partei, der auch Sie Herr Schurz angehoren, Principien genannt werden. Den Glauben, den der Culturgeschichtsschreiber Herr Kolb in seinem Werke verfocht, konnte man ungefahr in folgenden Worten zusammenfassen : ,,Dass die sogenannte Freiheit das grosste Gliick fur das Menschengeschlecht sei, und in Vergleich mit ihr jedes andere Element des Gliickes gar keine Beachtung verdiene, ja dass eigentlich die Freiheit allein schon an und fiir sich Gliick. Ferner dass diese Freiheit nur unter der sogenannten republi- kanischen Regierungsform gedeihen konne; demnach nur Na- tionen unter republikanischen Regierungsformen gliicklich sein konnten, alle anderen Volker ungliicklich und elend sein nuiss- VII ten,, und die republikanische Regierungsform, die eigentliche Form der Freiheit, die unfehlbare Eigenschaft besitze, jedes Volk, das sie annahme, glucklich zu machen." Urn diesen Glaubenssatz zu beweisen, lag ihm uatiirlich die Aufgabe ob, zu zeigen, dass alle republikanischen Volker im Gliicke, alle nicht-republikanischen dagegen im Elende ge- lebt hatten. Er loste diese Aufgabe auf sehr einfache Weise, die fur den Verfasser dieses den Vorzug der Neuheit nicht besass, da er sie in den Reden amerikanischerParteiversamm- lungen und in den Artikeln der Parteizeitungen bereits bis zum Ueberdruss studirt hatte. Diese Weise bestand namlich darin, in den Schilderungen ehemaliger und gegenwartiger Republiken regelmassig zu unterlassen, die Schattenseiten der Zustande hervorzuheben, dagegen in den Schilderungen nicht- republikanischer Staaten und Volker die umgekehrte Taktik zu befolgen, namlich die Schattenseiten in den Vordergrund und alle Lichtseiten in den kaum wahrnehmbaren Hintergrund zu riicken. Auf diese geistreiche Weise mag er denn auch die Richtig- keit seines Glaubensatzes zur Befriedigung seiner glaubigen Parteigenossen bewiesen haben. Aber nicht zur Befriedigung des Unterzeichneten ! Dieser sah sich veranlasst ein Paar Stun- den der Abfassung einer kurzen Kritik zu widmen, worin Eine Satzperiode geniigte um auf die in den Vereinigten Staaten offen zu Tage liegenden Schattenseiten hinzuweisen und da- mit das lichtglanzende Gemalde des Herrn Kolb zu berich- tigen. Dieser Satz nun, der getrennt von dem Reste der Kritik, im ,,Ausland" veroffentlicht wurde, und der auf Seite 65 des vorliegenden Werkes zu finden, gab einigen deutschen Zeitun- gen Amerika's Grund den Verfasser anzugreifen, weil (umlhre Worte, Herr Schurz, zu gebrauchen) ,,wenn ein Bild entworfen wird, in dem das Licht ausge- lassen, so wird, wenn auch jede einzelne Schattenlinie an und fiir sich richtig sein mag, der Gesammteindruck ein ganzlich falscher sein!" Die Bemerkung, an und fiir sich vollkommen wahr, passte eben um deswillen nicht auf den Verfasser, weil derselbe durch- aus nicht die Absicht hatte, ein vollstandiges Bild der Zustande LI der Vereinigten Staaten zu liefern, sondern nur die Kolb'schen Schildenragen (P. 477, 700, 701, Band II.) gebuhrend vervoll- standigen wollte. Die in dieser Episode geschilderte Erfahrung des Ver- fassers ist der Grund, warum er, als er Sie in Ihrer Eingangs erwahnten Rede gegen ,,verzerrte Auffassungen" und ,,einsei- tige Kritiken" zu Felde zielien sah, auf die Vermuthung kam es mochte wohl auch denjenigen Kritiken, die Sie dabei im Auge gehabt, die ehrliche Absicht unterliegen, eine friiher be- standene, nur rosig gefarbte Auffassung der Zustande in den Vereinigten Staaten wahrheitsgemass zu erganzen. Seit einem halben Jahrhundert oder sogar schon langer hat die Partei, der Sie angehoren, es sich zur regelmassigen Aufgabe gemacht, die Vorstellung zu verbreiten, dass in der amerikanischen Re- publik die vollkommene Losung der socialen Frage nicht nur gefunden, sondern bereits verwirklicht, die Verfassung und Regierungsform dieser Republik gewissermassen der endlich aufgefundene Stein der Weisen; endlich Armuth, Elend und Leid, wie es in den europaischen Staaten unzweifelhaft immer bestanden und besteht, in der grossen Republik unmoglich sei, da man, wenn dieselben drohend herannahen sollten, eben gar Nichts weiter zu thun hatte, als ihnen den besagten Stein der Weisen, auf welchem die feierliche Inschrift zu lesen: ,,dass alle Menschen das gleiche nattirliche Recht auf Freiheit und auf Gliick besassen," entgegenzuhalten, welch' billige und miih close Procedur vollkommen geniigen wtirde, jene unlieb- samen und ungebetenen Gaste vom Betreten des Gebietes der Vereinigten Staaten zuruckzuhalten u. s. w. Es ist eine der dringendsten Nothwendigkeiten der Ge- genwart geworden, dieses verzerrte, einseitigeund vorurtheils- volle Gemalde zu berichtigen oder zu beseitigen. Denn die Zeit naht nicht nur, sondern ist hereingebrochen, in welcher der besagte Stein der Weisen vollauf Gelegenheit hatte, seine gliickerhaltende und gliickspendende Kraft zu beweisen, wenn er sie besasse. Gegenwartig sieht es gerade so aus, als ob dieser unvergleichlichste aller Edelsteine ein recht gewohnlicher Kieselstein ware! - Die Berichtigung dieses Zerrbildes ist nicht nur im In- teresse der Massen der europaischen Bevolkerung geboten, LII welche, well man dasselbe ihnen bestandig vor Augen hielt, sogar mit solchen Zustanden und Uebeln unzufrieden waren, deren Beseitigung innerhalb der menschlichen Gesellschaft ein- fach erne Unmoglichkeit ; sondern ebensowohl im Interesse der grossen Masse der Bevolkerung der Vereinigten Staaten selbst. Denn die Letztere 1st durch den ihr eingeimpften Glauben an die unbedingte Wahrheit dieses Trugbildes zur Ueberzeu- gung gebracht worden, dass alle Uebel der menschlichen Gesell- schaft in der grossen Republik ganzlich und fiir immer besei- tigt worden seien; dass demnach weiter gar nichts zu thun tibrig bliebe, um in den Segnungen derFreiheit zu schwelgen, als sich eben dem siissen Nichtsthun des blossen Genusses be- sagter Segnungen hinzugeben. Im festen Vertrauen darauf war- fen sich die Amerikaner in den Schatten des glorreichen Freiheits- baumes, und erwarteten, dass ihnen wahrend sie angenehm traum- ten, die siissen Fruchte von selbst in den offenen Mund fallen mochten. Da begannen sie vor Kurzem auf einmal zu spiiren, dass die gliihende Sonne ganz unertraglich ihre versengenden Strahlen iiber sie ergiesse. Erstaunt rieben sie sich die Augen, blicken in die Hohe, und sehen so gut es eben im blendenden Sonnenlichte geht, -- was? Nichts Anderes als dass der dicht- belaubte, griinende, bluhende und fruchttragende Baum der Freiheit, unter dessen Schatten sie sich zum Genusse des ewigen Friedens und der anderen Fruchte der Freiheit nieder- gelegt, wie ein verdorrtes Besenreis seine Zweige in die Luft streckt und iiber und iiber von unzahlbaren gefrassigen Insek- ten, Raupen, Bohrwurmern und sonstigen Schmarotzern bedeckt ist, die auf s Eifrigste sogar die Holzsubstanz der trockenen Zweige und des Stammes selbst verzehren! Nun, der Schreiber dieses bekennt sich ohne Umschweife zu der Ansicht, dass wenn dieses Volk nicht den unbedingten Glauben an die innere Vortrefflichkeit und die unverwiistliche Kraft des Baumes der Freiheit gehegt hatte, es diesen recht wohl, allerdings mit etwas Aufmerksamkeit, unangenehmer Miihe und Arbeit, bis heute in recht gutem, bluhendem und fruchttragendem Zustande hatte erhalten konnen. Und er hat ferner die Ansicht, dass wenn dieses Volk seinen so hochge- schatzten Freiheitsbaum heute iiberhaupt noch erhalten will, es allerhochste Zeit sei, mit Aufbietung aller Krafte nicht nur LIII die sich mastenden Schmarotzer, sondern, was viel schwieriger, deren Eier und junge Brut zu vernichtenl Dass einsichtsvolle Amerikaner selbst die Gefahr, die drohend vor ihnen steht, zu bemerken anfangen, zeigt unter anderem, der im Text des Buches (Seite 8185 gegebene ein- leitende Abschnitt einer Brochure, die deren Verfasser einige Monate nach der Episode mit der sogenannten Culturgeschichte des Herrn Kolb dem Schreiber dieses zusandte. Die in diesem Abschnitte gegebene Schilderung amerikanischer Zustande, in ihren einzelnen Ziigen unbestreitbar richtig, gibt em viel wah- reres Bild der grossen Republik, als das (oben angedeutete) 1st, welches die glaubigen Bekenner der sogenannten ,,Princi- pien" zu verbreiten belieben. Nur kann Schreiber dieses mit dem Verfasser desselben nicht in dem Glauben ubereinstimmen, dass eine blosse Veranderung des Wahlmodus, die jener vor- schlagt, geniige, die vorhandenen Schaden und Uebel zu be- seitigen. Er ist leider schon seit einer Reihe von Jahren zur Ueberzeugung gelangt, dass die ,,Ursachen der Corruption" keine oberflachlichen, sondern sehr tiefliegende und die Wur- zeln des Freiheitsbaumes, die sogenannten ,,Principien," welche heut als maassgebende Richtschnur bei der Gruridung von Staatsgebauden im Gebrauche sind, selbst die junge Brut der Schmarotzer hegen und grossziehen, deren gefrassige Thatig- keit die Friichte der Freiheit vernichtet! In diesem Sinne versuchte der Schreiber schon im Som- mer 1874 seine Ansicht liber die ,,Ursachen der Corruption" in einigen kurzen Zeitungsartikeln darzulegen, fand aber- bei dem Versuche, dass der Gegenstand eine viel ausgedehntere Behandlung erfordere, als im Raume einiger Zeitungsartikel. Zu gleicher Zeit sah er ein, es werde sogar unmoglich sein, im freien Amerika auch nur eine Zeitschrift zu finden, die einer solchen, dem allgemeinen Vorurtheil schnurstracks in's Gesicht schlagenden Auffassung ihre Spalten offnen mochte. Dies bewog ihn, seine Auffassung der Zustande in dem vorliegenden Werke zusammenzustellen, in welcher Gestalt er sie dem Urtheile des denkenden Publikums unterbreitet, wobei er bemerkt, dass die Abfassung des Buches in den Winter 1874 auf 1875 fallt, auf welche Periode sich auch die hier mitgetheilten Schilderungen beziehen. Veranderungen, LIV die sich seither, jedoch nur in ganz unwesentlichen De- tails ergaben, konnten leider keine Beriicksichtigung mehr finden. Dass die grosse Mehrheit allenthalben und namentlich in den Vereinigten Staaten seine Auseinandersetzung nicht mit Wohl- gefallen aufnehmen wird, ist leider eine unvermeidliche Ge- wissheit. Denn urn der Wahrheit zum Siege zu verhelfen, ist es unumgangltch nothig, die der menschlichen Eitelkeit so ungemein schmeichelnden Wahngebilde unbarmlierzig zu zer- reissen und durch die Auffassung zu ersetzen, dass der Mensch eben ganz und gar weiter nichts ist, als ein mit einer iiber- legenen Gehirnentwickelung begabtes Geschopf, welches in aller und jeder Beziehung den geraeinen Naturgesetzen unter- worfen ist ! Wahrend demnach die grosse Masse den Ansichten des Verfassers Sympathie zu schenken vorlaufig nicht geneigt sein diirfte, gibt es in den Vereinigten Staaten eine andere Classe, deren active Feindschaft gegen die in diesem Werke darge- legte Auffassung zu erwarten steht. Es sind das diejenigen unternehmenden Leute, die es fiir die patriotische Pflicht jedes Vereinigten-Staaten Burgers erklaren, dem Auslande nur rosig- gefarbte Bilder vorzulegen und die Schattenseiten sorgfaltig zu verbergen, weil man hore und staune liber den Begriff von Ehrlichkeit, die sich in dieser Forderung ausspricht sonst der Credit der Vereinigten Staaten sinken roochte. Diese Leute verlangen alien Ernstes, dass ein Jeder gewissermaassen als Hochverrather erklart werde, der sich nicht dazu versteht, den Europaern eine einseitige Auffassung der Verhaltnisse bei- zubringen und jene damit in Stand zu setzen, die speculativen Credit- Geschafte, derien sie schon seit Jahren obliegen, auch fernerhin erfolgreich fortzusetzen ! Der Verfasser ist iibrigens uberzeugt, dass Sie, Herr Schurz, von den Beweggrlinden dieser Classe nicht beriihrt werden. Wenn Sie dennoch gegen die.Darlegung der Schatlen- seiten der Vereinigten-Staaten-Zustande protestiren, so glaubt er, dass der Grund nur darin zu suchen, dass es Ihnen, als Verfechter der ,,Principien" unangenehm ist, wenn Mangel und Uebel da entdeckt werden, wo den Versprechungen der ,,Prin- cipien" gemass keine zu finden sein sollten. Nun gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, dass es dem Verfasser dieses Werkes LV grade so angenehm ware, als es Itmen und alien Glaubigen dieser ,,Principien" nur sein kann, wenn deren vollstandige Richtigkeit als iiber alien Zweifel erhaben bewiesen wiirde. Denn er lebt gerade so gern in einer Welt, aus der alle Uebel durch blosse Proclamirung des Grundsatzes: Freibeit, Bildung und Woblstand fiir Alle," hinweggescbafft werden konnten, als Sie, und bedauert auf s Lebhafteste, dass diese wirklicb beste- bende Welt so ungemuthlicher Natur 1st, dass Uebel, Elend und Leid aller Art unter den Menschen eben nur durch fort- gesetzte, angestrengte und sehr unangenehme Thatigkeit der Arbeit und des Kampfes nicht iiberwunden, sondern nur eini- germassen in Schranken gebalten werden konnen. Er wiirde demnach unbeschreiblich gliicklicb und Ihnen zu ungemessenem Danke verpflichtet sein, wenn Sie ihm beweisen konnten, dass der Theil seiner in diesern Werke niedergelegten Ansichten, der den Versprecbungen Ihrer ,,Principien" widerspricbt, ledig- lich auf Missverstandniss und verzerrten Auffassungen beruhe. In der HoiFnung, dass Ihnen dies vollstandig gelingen werde, empfiehlt sich Ihnen zur Belehrung und Bekehrung! Im Juli 1875. Verfassei*. Die g-egreiTN Urtigen Arbeitsyerha'ltiiisse in deii Tereinigten Staateii. Seit einiger Zeit zeigt sich in dcm Personenverkehr zwischen den verschiedenen Hiifen Europa's, besonders Deutschlarids und Englands, und der Yereinigten Staaten Amerika's die auffallendc und bisher noch nie dagewesene Erscheinung, dass die Anzahl der von Amerika nach Europa reisenden Passagiere betrachtlich grosser ist, als jener, die den entgegengesetzten Weg nach dem gelobten Lande jenseits dcs Oceans einschlagen. Die grossen Schaaren der europiiischen Auswanderer, denen gegeniiber die ge- ringe Anzahl der von Amerika riickkehrenden Reisenden gar nicht in Betraobt kam, sind auifallend klein geworden> und obwohl die Zahl der Letzteren bedeutend zugenoramen hat, klagen dennoch die Beforderungsgesellschaften , denen hauptsachlich die Menge der Ersteren die Gewinnste abwarf , die sie in den letzten zehn Jahren in Stand setzten, die Anzahl ihrer grossen Damp fer zu verdreifachen, liber sehr, sehr flaue Zeiten. Bios die von Bremen aus fahrende Gesellschaft des ,.Xorddeutschen Lloyd" hat seit dem Herbste 1874 die Anzahl ihrer Fahrten so verringert, dass ungefahr 14 ihrer grossen Dampfschiffe an, den Werften Bremerhafen's unthatig liegen, und sogar die beschrankte Anzahl derer, die noch den Yerkehr vermitteln, fahren von Bremen nach New-York mit sehr schwacher Passagierliste. Fragt man nach dem Grunde dieser ganzlich unge- wohnten Erscheinung, so hort man einstimmig von alien Seiten den Ruf: ^Schlechte Zeiten in Amerika!" ,,Schlechte Zeiten in Amerika?" fragt verwundert Mancher, dcm all' die wunderbaren Geschichten von dem unersehb'pflichen Reichthume des neuen Eldorado's in den Ohren klingen. n Schlechte Zeiten in Amerika", dem Lande, das wie der Schulmeister den Kleinen lehrt, so gross ist, als beinahe ganz Europa zusammengeriommen, das von Fruchtbarkeit strotzt in dem Millionen und aber Millionen Acker unbebauten Landes nur des Pfluges warten, um reiche Ernten zu gcben, und in dem das wirkliche echte Gold und Silber, woraus man Dukaten, Tlialer.stiicke und alles sonstige Gold- und Silbergeld machen lassen kann, wenn man es nur ausgrabt und in die Miinze bringt, im Erdboden in Masse zu finden ist!! 1 Ja, lieber Leser, so unglaublich es auch erscheinen mag, es sind wirklich schlechte Zeiten in Amerika! Es ist wirklich wahr, dass in dem reichen Lande die Geschaftsleute allenthalben der Zukunft mit Sorgen und Bangen entgegensehen , ungewiss , ob sie ihnen Gelegenheit bieten werde , genug zu verdienen , den dro- henden Bankerott abzuwehren, wirldich wahr, dass die Fa- briken allerorts ganzlich oder theilweise stille stehen, da?s das Geklapper der Miihlen und der Klang der Hammer in den Eisen- werken verstummt ist, dass die schlanken Schornsteine, deren dicke Rauchwolken sonst die Umgegend in Schatten hiillten, dastehen, wie hohe Saulen, die von vergangener Pracht Zeugniss ablegen, dass in alien Stadten und Fabriksdistrikten Tausende und Zehntausende von Arbeitern miissig sind, und sich umsonst nach Beschaftigung und Verdienst umschauen! Ja, es ist wahr, dass ihnen Hunger und Noth in's Gesicht starren, wahr in demselben Amerika und zu derselben Zeit, als der Bauer des Westens sein Korn als Feuerungsmaterial verbrennt, weil schlechte Zeiten sind und er es nicht verkaufen kanri und deshalb auch nicht Geld genug iibrig hat, um Holz und Kohlen fur das Feuer auf seinem Heerde anzukaufen! Schlechte Zeiten in Amerika!" 90,000 Menschen sind in New- York gegenwartig ausser Arbeit und der Winter steht voi- der Thiire, sagt der New- York Herald", die verbreitetste Zeitung der Weltstadt am Hudsonflusse Anfangs November 1874. ,,Wir brauchen keine weiteren Arbeiter hier", schreibt der Superintendent der Chicago Hiilfs- und Unterstiitzungs-Gesellschaft, Trues dell, nach dem zweiten grossen Brande vom 14. Juli 1874, ,,-wir haben mehr als genug Leute, um alle etwa nb'thig werdende Arbeit zu thun. Es sind gegenwartig in der Mitte des Sommers, jener Periode, welche die meiste Beschaftigung zu bieten pflegt, 20,000 Menschen ohne Arbeit, wo von die Mehrheit wahrend des ganzen letzten "Winters oder Fruhjahres wenig oder gar nichts verdient hat, und wir strengen uns aufs Aeusserste an, um so Vieler von ihnen, als nur moglich, loszuwerden, damit wir im Stande seien, uns den nachsten Winter (1874 1875) durchzuschlagen, wenn andere Tausende , die jetzt auf kurze Zeit beschaftigt sind , uns um Hiilfe anzuflehen gezwungen sein werden!" So sieht es in New-York und Chicago aus, den beiden Stadten, die sich durch Ausdehnung des Handelsverkehrs und Unternehmungsgeist vor alien An- deren auszeichnen. Uud das Gleiche wird von alien Ecken und Enden des Landes berichtet. ,,120,000 Fabrikarbeiter in den Baumwollenfabriken Neuenglands, der grossen Fabrikgegencl der Yereinigten Staateri , wurden schon Anfangs Oktober 1874 auf 2 / 3 ihrer bisherigen Arbeitszeit beschrankt, weil die Fabrikbesitzer ihre Waaren nicht absetzen konnten. Ihr durchschnittlicher Lohn war bisher ungefahr 8 Dollars 75 Cents die Woche. Durch die Einschrankung wird sich ihr Verdienst wahrend des Winters auf ungefiihr 6 Dollars die Woche stellen." Von den sammtlichen Eisenhammern Pennsylvanien's , des Sitzes der Eisenindustrie in den Vereinigten Staaten , stehen mehr als die Halfte ganz still, und der Rest arbeitet nur auf halbe oder dreiviertel Zeit. Eine der sprechendsten Notizen aber ist die folgende, die wir wortlich dem New- Yorker Herald" entnehmen: r ,,Die christliche Manner- Verbriiderung New- York, den 14. November 1874. An den Herausgeber des Herald!" Wir haben ein nummerirtes Yerzeichniss von anstandigen Mannern, die Willens sind, wahrend des Winters fUr sehr ge- ringen Lohn zu arbeiten, und ebenso einer gross en Anzahl von Mannern, die den Winter liber nur fur ihre Kost ar- beiten wo Hen. Man wende sich an John Dooly, Nr. 134 Bowery. a " Gegen Mitte NoA r ember 1874 stellten die Schiffslader New- Yorks die Arbeit ein, weil die sammtlichen grossen, trarisatlanti- schen Dampferlinien sich vereinigt hatten, urn ihren Lohn auf ungefahr 2 / 3 des friiheren herabzusetzen. Sie erhielten fiir Arbeit am Tage vorher 40 Cents die Stunde, und sollte der Lohn fur diese Arbeit auf 30 Cents die Stunde herabgesetzt werden. Die Compagnien mietheten von der grossen Anzahl unbeschaftigt um herliegender Arbeiter ohne Schwierigkeit so viele, als sie be- nothigten, und die Arbeitseinstellung hatte sonach nur den Erfolg, die sich daran betheiligenden Arbeiter beschaftigungslos auf die Strasse zu treiben, wie dies das Resultat beinahe aller der zahl- reichen Strikes im Laufe des letzten Jahres war. Aber, wird mir hier eingeworfen, 30 Cents die Stunde ist ja ein ganz ausgezeichneter Lohn! Und irgend Jemand, der gut Rechnen gelernt hat, giebt sich sogleich die Miihe, mir vor- zurechnen, dass 30 Cents die Stunde 3 Dollars den Tag, 18 Dollars die Woche und genau 936 Dollars im Jahre ergaben, was doch ein ganz prachtiges Einkommen sei ! Gemach ! So schuell zahlt sich der Lohn in Amerika nicht zusammen! Und zwar aus dem einfachen Grunde nicht, weil der Schiffslader z. B. eben nur danii und wann, wenn gerade ein Schiff seine Ladung an der betreffen- den Werfte loscht oder einnimmt, mehrere Stunden lang beschaftigt ist; nach jeder solchen Beschaftigung muss er mitunter Tagelang, ja will ihm das Gluck nicht wohl, vielleicht eine Woche lang auf die nachste Gelegenheit, wieder so und so viele Stunden Arbeit zu thun, warten; bestaudige Arbeit, die ubrigens in diesem Geschafte schon ihrer ausserordentlichen Harte halber beinahe un- moglich ist, kcnnt er also gar nicht, und fiir ihn hat folgerecht der Tag nicht 10 und die Woche niclit 60 Arbeitsstundcn u. s. w., O , * sondern Letztere nur gerade so vicl, als er gliicldich genug ge- wesen, zu erhaschen, Thatsachlich stellte sicli der durchschnittliche Verdienet dieser Leute auf ungefahr 15 Dollars die Woche, und wird durch die Preisherabsetzung wohl auf 11 bis 12 Dollars verringert. Zieht man nun in Betracht, dass der Schiffslader ein Mann von ausserordentlicher Kbrperkraft und Gewandtheit sein muss, der vielleicht in ciner Stuiide, die er nach amerikanischem Gebrauche bei der Arbeit verbringt, reichlich so viel wirkliche, mit der grosstcn Korperanstrengung verbundene Arbeit liefern muss , als der Taglohner in einem gemiithlichen Bauerndorfe Deutsch- lands in einem ganzen Jahre, und der, um iiberhaupt im Stande zu .sein, diese Arbeit zu leisten, sich von der kraftigsten und entsprechend kostspieligen Fleischnahrung nahren muss , da er bei einfachen Kartoffeln nicht im Stande ware, auch nur 5 Minuten lang bei derselben auszuharren, so schwindet die be- trachtlich erscheinende Hohe seines Einkommens schon bedeutend. Noch mehr aber schrumpft sie (verglichen mit ihrem Werthe in einer Landgegcnd Deutschlands) zusamraen , wenn man bedenkt, dass in Amerika im Allgemeinen viele, in der Grossstadt New- York aber alle Lebcnsbedurfnis^e zu sehr theueren Preisen ge- kauft werden miissen. Dieser Unterschied zwischen dem Einkaufswerthe des Geldes ist ein Umstand, der bei einem Vergleiche zwischen den Vereinigten Staaten- und Europa gewb'lmlich von Allen denen , die nicht seine Tragweite aus eigener Anschauung kennen gelernt haben, ganzlich ausser Acht gelassen wird, Es ist iibrigens flir den Uneingeweihten schwer, die Griinde einzusehen, warum so viele Artikel in den Vereinigten Staaten theuerer sein sollten, als in Europa; besonders wenn dieselben, wie alle Brodstoffe und iiberhaupt wirkliche Lebensmittel, Gegenstande des Ausfuhrhandels sind und in Europa natiirlich zu ebenso billigem Preise verkauft werden , als die daselbst produzirten. Ein Englander , der die Vereinigten Staaten bereiste, driickt sich in einem Briefe, dessen Gegenstand die grossartigen Schlachthauser und der riesigc Viehhof Chicago's sind, folgendermassen aus: ,,"Was dem Frem- den , der die Viehhofe dieser Stadt (Chicago's) besucht, zuerst auffallt , ist der unerklarliche Unterschied , der zwischen den Kosten des Lebensunterhaltes und den Preisen der nothwcn- digen Lebensmittel in Amerika besteht. Ein durchschnittliches Stiick Riridvieh kann hier fur 25 Dollars gekauft werden, wahrend es in England nicht wenigei als 90 100 Dollars kosten wiirde. Ein Schwein ist fiir ungefahr 9 10 Dollars zu haben, oder im Kleinverkauf zu 8 bis 9 Cents das Pfund , was nur ein Drittel des englischen Preises ist. Dasselbe gilt von Broclstoffen und Ge- imiscn. Trotz alledem kostet das Leben hier drei- oder viermal so viel, als in England. Es muss offenbar in die ganze Ein- richtung der ge sells chaftlichen Verhaltnisse dieses Landes ein schneidender Grundfehler sich eingeschlichen haben. Aber auszu- finden, worm dieser besteht, ist eine viel leichtere und passendere Aufgabe ftir den Amerikaner, als fiir den Fremden!" Abgesehen davon, dass unser Englander den Unterschied um ein Betrachtliches vergrossert, sind seine Bemerkungen vollkommen riclitig und bei irgend welchen Lohnangaben muss , um dieselben ihrem waliren Werthe gemass zu schatzen, nie ausser Augen ge- lassen werden, dass im Einkaufe von Waaren, Lebensmitteln und alien sonstigen Lebensbedurfnissen der Dollar in Amerika nicht viel weiter langt , als etwa der rheinische oder suddeutsche Gulden in Deutschland. Die folgende Tabelle zeigt einige Preise der wichtigsten Lebensbediirfnisse , und giebt dadurch jedem Ein- zelnen Gelcgenheit , sie mit den Preisen derselben Artikel in seiner Heimath zu vergleichen. Es ist dabei zu bemerken, dass in den Ackerbaudistrikten des Westens die Preise der Nahrungsmittel, als Fleisch, Mehl u. s. w., besonders wenn dieselben so viel als inoglich aus erster Hand gekauft werden , zwar billiger sind , als hier angegeben, dass hingegen die Preise sammtlicher erdenklichen Fabrikate in diesen Gegenden um ein Bedeutendes theuerer sind, als die hier bemerkten. Es kostete im Kleinverkaufe im Jahre 1872: In Boston. In kleinen Stadten In Manchester in Massachusetts. England. Das Fass Mehl 9.50 12.00 8.72 Das Pfimd Kindfleisch .18 .20 .25 dto. Schweinefleisch .10 .12 .18 Das Bushel Kartoffeln 1.05 1.00 1.35 Das Dutzend Eier .30 .30 .26 Das Pfimd Thee .63 .75 .81 dto. Kaffee .40 .45 .36 Das Pfd. Zucker (br. Mclasse) .9 l / 2 .11 9 Die Tonne Kohlen 8.50 10. 4.08 Miethe pr. Woche (Raumlich- keiten fur klcine Familie) 4.96 1.85 1.32 Miethe pr. Woche (Raumlich- keiten fur grossere Familie besserer Art) 6.58 3.12 1.82 Herberge (Kost- u. Schlafstelle fur einen einzelnen Arbeiter) 6.00 5.25 Herberge (Kost- u. Schlafstelle fur ein Frauenzimmer 4.25 3.25 k Aus diesem Vergleiche , der sich sowohl ftir die Vcreinigtcn Staaten als fiir England auf Fabrikdistrikte bezieht , geht hervor, dass eigentliche Lebensmittel im Einkaufe von den Handlern ini Ganzen und Grossen nicht theuerer sind , als in England. Dagegen 1st Miethe in den grossen Stadten der Vereinigten Staaten bedeu- tend theuerer als in Europa. Ebenso Kleidungsstiicke, deren Preis sich zu jenem in London stellt, wie ungefahr 100 : 40. Es giebt allerdings in Amerika auch billige Kleidungsstiicke, aber dieselben sind aus sogenanntem Shoddy" hergestellt , einem Ma- terial, welches durch nochmalige Ueberarbeitung schon gebrauchter Zeugstoffe gewonncn wird, und nach einem Gebrauche von nur wenigen Wochen sich unaufhaltsam in seine Bestandtheile auf- lost. Ebenso ist der Preis aller andercn Fabrikate mindeste/is doppelt so theuer, als in Europa. Die in der obigen Tabelle angefiihrten Preise von Lebens- mitteln beziehen sich auf die Fabrikgegenclen von Massachusetts. In diesen Gegenden stellten sich die Lb'hne der Arbeiter in den Baumwollenmuhlen , die, wie wir weiter oben bemerkt haben, erst kiirzlich durch gemeinsamen Beschluss der Fabrikanten fiir den Winter 1874 1875 und zwar schon vom Oktober an, auf 2 / 3 der vollen Arbeitszeit beschrankt wurden, bei voller Arbeits- zeit auf 3 Dollars bis 8 Dollars 75 Cents die Woche, wahrend nur einige wenige, hauptsachlich geschickte Handwerker z. B. Maschinisten , 15 Dollars die Woche verdienten. Kann hieraus ungefahr auf die Lage der arbeitenden Klassen in den Neuenglandstaaten , in denen die Fabrikation von Baum- wollen- und Schuhwaaren ihren Hauptsitz hat, geschlosseii werden, so wird die nachfolgende Schilderung eines Correspondenten des New-Yorker Herald" aus der Kohlenbergwerksgegend Pennsyl- vaniens die Lage der arbeitenden Klasse dort bezeichnen. Penn- sylvanien ist der Hauptsitz der Kohlen- und Eisenproduktion der Union. In Folge der Einstellung beinahe sammtlicher Eisenbahii- bauten im W 7 esten liegt die Eisenindustrie fast ganzlich darnieder, und iiber die Halfte aller Hochofen haben ihre Feuer geloscht. Die Riickwirkung dieser Umstande wird folgendermaassen be- schrieben : r Die letzten Paar Wochen waren voll der schrecklichsten Auftritte; Manner, Weiber und Jiinglinge haben sich zu Privat- streitigkeiten und offenen Krawallen hinreissen lassen; Leute sind erschossen, erstochen und gekreuzigt worden. Derartiges geht nicht aus einer ' nur fiir den Augenblick schwierigen Lage hervor, diese Excesse sind vielmehr das Resultat einer langen Reihe von entweder wirklichen oder eingebildeten Krankungen , und sie kommen unfehlbar jedesmal dann zum Ausbruch, wenn die Massen des Volkes durch den Glauben, dass sie unbillig behandelt wer- den, zur Wuth gcreizt und durch die Qualen des Hungers zu wahnsinnigen Ausbriichen getrieben werden, Nimmt sich nun Je- mand die Miihe, die Griinde der schwierigen Lage, die hier gegenwartig existirt, aufzustobern , so findet er, dass ihre Wur- zeln \veit zuriickgehen 3 und diese Gewaltscenen und Mordthaten das natiirliche Ergebniss bestehender Uebel sind , die sich im Laufe langerer Jahre eingenistet haben. n Das Thai des Lackawannock-Flusses enthalt eine zu grosse, von den Kohlenbergwerkcn sich ernahrende Bevb'lkerung. Es gleicht einem kleinen Landchen, welches, ganzlich von jedemVer- kehre abgesclmitten , taglich, ja stiindlich mehr verzehrt als es hervorbringt. Es ist dann nur eine nothwendige Folge, dass Einige verhungern miissen, und dass, wenn sich Alle auf das Brod stiirzen, das im besten Falle nur die Halfte von ihnen siittigen kann , Viele hinfallen und erbarmungslos , ja sogar mit cinem Gefiihle befriedigter Rachsucht, unter den Fiissen der An- deren zertreten werden. Wenn alle Bergwerke im Thale des Wyoming und des Lackawannock in vollster Thatigkeit sich befanden , wiirden sie kaum im Stande sein , die Leute zu be- schaftigen , die um sie herum wohnen ; halt man nun fest , dass viele Bergwerke gar nicht bearbeitet werden, und alle anderen, mit einer einzigen Ausnahme , nur einen Theil der Zeit arbeiten, so kann man sich einen schwachen Begriff von der ungeheuren Anzahl miissig bleibender Manner bilden. ,,Wahrend ich auf dem Wege hierher war, hielt ich mich an mehreren Platzen auf, und meine Erkundigungen ergaben, dass iiber 8000 in den Wyoming- und Laekawannock-Thalern unbe- schaftigt sind. Es ntitzt nichts , hier die Augen zu schliessen, Thatsache ist: Diese 8000 Mann miissen gefiittert werden, oder : ein Hungriger kennt keine Gesetze. Wenn diese 8000 nicht irgendwie Arbeit erhalten, so ist es sicher, dass Tumulte, Schandthaten und Blutvergiessen den ganzen Winter fortdauern werden; und zwar nicht die verhaltnissmassig unbedeutenden Aus- briiche der letzten Paar Wochen, sondern ein Aufruhr, der die ganzen Wyoming- und Lackawannock-Gegenden umfassen wird , und den zu unterdriicken fur die gesammte Militarmacht des Staates (Pennsylvanien) eine schwierige Aufgabe sein diirfte. Gegenwartig verrichtete der mitternachtliche Meuchelmorder seine im Dunkel verborgene Arbeit. Armuth und Hunger haben ihn in einen Teufel verwandelt. Im besten Falle sind sie Menschen mit niedrigen Instinkten , mehr Thieren , als menschlichen Wesen ahnlich ; Elend starrt ihnen in das Angesicht, und vor ihnen steht der lange, kalte und schaurige Winter. Ich bin mir bewusst, die Lage der Dinge von einer neuen Seite zu betrachten , aber uberzeugt , dass meine Ansicht die richtige ist. Jn Kiirze sind die Verhaltnisse folgende : ,,8000 Mann sincl miissig; sie haben nicht genug Geld urn in ihren Wohnplatzen zu leben , und keines , um von dort fortzu- gehen; viele von ihnen sind arm, viele ganz und gar ohne Mittel. Was konnen sie anfangen? Ich schreibe alle Mord- und Schand- thaten dieser Thatsache zu. Wo man die grosste Arbeitsthatigkeit finclet , da findet man auch die friedlichsten Verhaltnisse. ,,Eine der grossten Kohlengewerkschafteii in der Nachbarschaft ist die sogenannte Delaware und Hudson" Compagnie. Sechzehn Meilen von hier ist die Stadt Carbondale (d. h. Kohlenthal), die mit ihren Umgebungen 12000 Einwohner zahlt. Ich war dort und habe die Lage der Dinge grlindlich imtersucht. Die Gruben der Gesellschaft sind an jedem Hiigel zwischen Carbondale und Plymouth zu findcn. Die Gesellschaft hat den crsteren Platz ge- griindet und zu dem gemacht , was er ist. Eine Besichtigung der ausgedehnten Besitzungen dieser Gesellschaft zeigt, dass sie sich beinahe iiber das ganze Gebiet der zwei Thaler hinausdehnen. Die Bergleute dieser Gesellschaft arbeiten nur auf ,,ein Viertel Zeit." Von den 12000 Seelen, die in der Nachbarschaft wohnen, sind nur 1500 beschaftigt, und diese sogar nur mit Unterbrechun- gen. Ich habe eben eine Rundreise durch alle Ortschaften ; welche diese Gesellschaft aufgebaut hat, vollendet. Ich habe Archibald, Oliphant, Providence, Pittstown, Plymouth und Nanticoke besucht. Jeder von diesen Orten war vor der Krisis ein lebhafter, ge- schaftiger und unternehmender Platz mit schmucken Laden, Schulen und Kirchen ausgestattet. Hire Blirger waren beschaftigt, ihre Laden mit Allem wohl versehen , ihre Schulen gut besucht und die Kirchen gefiillt. Jetzt stehen die Ladenbesitzer am Rande des Bankerotts viele von ihnen haben schon ihre Thliren ge- schlossen, ihre Schulen sind in grossem Maasse verlassen und sogar die Kirchen stehen leer. Manner und W r eiber, betrunken und ohne Scheu vor dem Gesetz, sind auf jeder Strasse zu sehen, ihre Blicke sind finster und ausweichend, und ein rohes ,,der Teu- fel hoi's" (hangdog) Aussehen stiert aus ihren Gesichtern. Von Natur sind sie beweglichen Temperaments , und Heben Scherz, und Vergniigen; jetzt aber ist ihnen unschuldige Unterhal- tung in jeder Gestalt abgeschnitten , sie haben nichts zu thun und sind bereit, auf jede Schandthaten und Verbrechen einzugehen. Sie sind nur selten daheim, denn das ,,Heim" ist fur sie ein Platz, in dem ihre Unthatigkeit ihnen vor Augen steht, und sie iiber ihre Armuth und ihr Elend griibeln miissen. j,Ich habe friiher einmal gesagt, dass Scranton eine scheme Stadt sei, und schon ist sie in der That; aber Scranton ist jetzt nicht , was es vor ein Paar Jahren war. Neulich wurden dort, wahrend einer Nacht 3 Mordthaten begangen, und Hunderte von miissigen Mannern und Weibern kann man in den Strassen 9 herumlungern selien. Die ,. Delaware, Lackawannock und West- liche Kohlengesellschaft" 1st es, die Scranton hauptsachlich Nahrung gibt. Hire . Gruben drangen sich an den Seiten der Berge in meilenweiter Umgebung; aber eine grosse Anzahl ihrer Bergleute sind unbeschaftigt , Andere arbeiten auf dreiviertel, andere auf halbe, und noch Andere nur auf viertel Zeit , im Ganzen nur genug , um die Maschinen laufend zu er- halten. Es sind auch noch Privatgrubenbesitzer hier, deren Arbeiter sich in derselben Lage befinden. Es gibt also hier, in dem Verkehrskreise dieser einen Stadt, Hunderte , nein Tausende von Mcnschen miissig, ohne jegliche Mittel, ihr tag- liches Brod zu kaufen. Und um ihre Lage noch mehr zu ver- schlechtern, haben die Backer den Preis des Mehles erhb'ht, und der Fleischer verlangt 20 Cents ftir das Pfund Rindfleisch. Wie ich friiher bemerkte, enthalt diese Gegend mehr Leute, als sie ernahren kann. Seit Jahren schon 1st die Bevolkerung zu gross gewesen. Man wirft natiirlich die Frage auf, warum nicht ein Theil dieser Leute diese Gegend verlassen , und dem bekannten Rathe des Herrn Greeley ,,Geht nach dem Westen" Folge leisten? Die Antwort lautet: sie konnen nicht! Und was sie daran hindert , ist der Umstand , dass eine grosse Mehrheit der Leute, die jetzt miissig sind und hungern, die Htitten besitzt, in denen sie wohnen ; Andere besitzen sie zur Halfte, und wieder Andere haben einen noch kleineren Bruchtheil des Kaufgeldes be- zahlt. Ein Mann mit freiem Besitzthume kann dasselbe in der gegenwartigen kritischen Lage nicht los werden, und cbensowenig kann der Theileigenthiimer seinen Antheil verkaufen, nicht einmal mit grossem Verluste. Jedermann besitzt Frau und Kinder. Er wiirde lieber sterben , als sein Haus in Stich lassen, das er nach langen Jahren der Arbeit und des Sparens ganz oder zum Theile erworben hat. Die Leute miissen also dableiben, und sie wollen leben! Ich habe versucht , eine getreue Schilderung von der Lage der ungeheuren Anzahl Menschen zu geben , die in diesen zwei Thalern unbeschaftigt sind und ihre Zeit mit nichts Anderem verbringen miissen , als sich iiber ihre Armuth zu kummern , und aufriihrerisch und verzweifelt in ihrem Elend zu werden. Krawalle stehen auf der Tagesordnung , und die w r enigen Leute , die in den Gruben arbeiten , sind gezwungen , bis an die Zahne bewaffnet nach und von der Arbeit zu gehen. Mordthaten sind haufig, und Diebstahl und thatliche Angriffe kommen jede Stunde vor. Es ist keine Aussicht auf Arbeit, und der lange Winter fangt eben erst an. Kein Zweifel, dass diese ganze Gegend hart am Rande ernes Auf- ruhrs steht, wie er in diesem Lande nie gesehen worden ist, ernes Aufruhrs, dem nur das gauze Land zuvorkommcn kann. Obwohl 2 10 der Augenblick des Schreckens noch nicht eingetreten, wird der- selbe doch siclierlicli kommen, und dann wird cin Schrei unter- driickten Leidens , durch nagenden Hunger verursacht, aus dieser Gegend erklingen und Brod verlangen, und wenn dieser Schrei keine Hiilfe bringtj werden 8000 menschliche Wesen , angetrieben von ihren zitternden Weibern und hungrigen Kindern, das Messer, die Pistole oder den Knuppel oder irgendeine Waffe in die Hand nehmen und ihre Nahrung , den biirgerlichen Gesetzen trotzend und ohne Scheu vor dem Opfer menschlicher Leben suclien. Die- ser Ausgang ist unvermeidlich , er muss eintr.eten , diese grosse Bevolkerung kann ohne Unterstiitzung nicht den Winter iiberleben. Die Thatsache offeiibart sich bereits jetzt durch die thatlichen Angriffe und Mordthaten, die schon vorgekommen sind. w ln diesem Briefe habe ich nur die allgemeine Lage der Dinge beschrieben. Ich hebe mir die Einzelheiten fur ein ander- mal auf. Ich bin in den Hiitten der Bergleute gewesen, die Wenige besuchen, die nicht gezwungen sind, es zu thun, und die Jeder gern so schnell als moglich verlasst. Ich bin auf dem Shanty Hugel gewesen (mit dem Ausdruckc Shanty bezeichnet man in Amerika eine Art Wohnung, wofiir der Ausdruck ,,Hutte" noch zu gut ware; man konnte es etwa mit r plundrige Bude" iibersetzen), ein abgesonderter Distrikt, der ungefahr eine Stein- wurfsweite von Scranton entfernt liegt , wo Tausende von Gruben- arbeitern ihr erbannliches Obdach haben, wo Hunderte keine Arbeit finden kb'nnen, und wo man Falle von Armuth und Elend sehen kann, die sogar das Herz desjenigen erweichen wiirden, der mit der vollen Erwartung hinkame , Noth und Entbehrung in ihren starksten Formen dort zu finden." Ich habe die vorhergehende , ausgedehnte Beschreibung um deswillen wiedergegeben , weil sie, obwohl ein wenig, aber nur unbedeutend iibertreibend , dennoch die Lage der arbeitenden Klassen in alien grossen Mittelpunkten des Handcls und der In- dustrie in treffender Weise schildert. Thatsache ist iibrigens, dass in den Bergwerksregionen Pennsylvaniens der Ruckschlag von der vorhergehenden Periode der spekulativen Bliithe der Eisenindustric bis zur gegenwartigen , beinahe vollstandigen Stockung derselbcn ganz besonders stark ist, und die dortigen Grubenarbeiter, meistens Iiiander oder ,,Welsche" (Leute aus dem Konigreich Wales) zu Gewaltthaten eben so leicht aufgelegt sind, wie sie in giinstigen Zeiten noch viel weniger sich der Sparsamkeit befleissigen, als sogar die Bevolkerung Amerika's es durchschnittlich thut. In den Eisen- und Kupferbergwerks -Gegenden am Lake Superior (Obern See) walten ahnliche Verhaltnisse. Nach einer langeren Arbeitseinstellung sahen schon im Friilijahre 1874 die dortigen Grubenarbeiter sich gozwungen , mit dem herabgesetzten 11 Lohne von 1 Dollar 35 Cents per Tag vorlieb zu nehmen und finden sogar bei diescm Lohne nur zum Theile Beschaftigung. Allein in Folge der Einstellung der Eisenbahnbauten , deren Wiederaufnahme in irgend welchem bedeutenden Maassstabe nicht sobald zu erwarten steht, da die Speknlation dem Bediirfniss weit vorausgeeilt war, sind ganze Arbeiterheere brodlos geworden. Ihre Arizahl ist schwer abzuschatzen , beziffert sich aber sowohl in den Staaten des Westens, in denen diese Eisenbahnbauten meistens vor sich gingen , als auch in den Eisen- und Kohlenbergwerks- distrikten, die die Riickwirkung der Einstellung dieser Bauten versplirten, allenthalben auf Zehntausende und aber Zehntausende, und diirfte in den ganzen Vereinigten Staaten sicher die Ziffer von einer Y-iertel Million , wenn nicht mehr 5 erreichen ; diese An- zahl Arbeiter ist nun darauf angewiesen , mit anderer Beschaftigung ihr Brod zu suchen, und die raeistens iiberschiissige Arbeiterbe- volkerung der grossen Stadte zu vermehren. In Chicago, wo 1872 der Lohn fur Maurer 5 bis 6, fur Zimmerleute 4 und fur Handlanger 2 l / 2 bis 2 3 / 4 Dollars per Tag betrug, war derselbe im Sommer 1874 nach einem beinahe garizlich beschaftigungslosen Winter fur Maurer auf 2 bis 2 1 / 2 Dollars, fur Zimmerleute auf l l /2 bis 2 und fur Handlanger auf 1 bis l i / 4 Dollars gesunken. Dabei war im Jahre 1872 beinahe bestandige Beschaftigung fur diese Handworker vorhanden, wah- rend sie im Jahre 1874 oft wochenlang miissig gehen mussten, ehe sie wieder Gelegenheit erhielten , ein Paar Wochen zu arbeiten. Allerdings waren in Chicago im Jahre 1872 die Lohne ausnahmsweise hoch. Aber auch in anderen Stadten ist eine ahnliche Reduktion eingetreten, und nur in einzelnen Fallen haben besonders stark organisirte Unions (Gewerksvereine) sich dem Herabsetzen des Lohnes bis neuerdings widersetzt, Aber der Erfolg der Unions hangt gerade vom Ausschlusse aller, nicht zu ihnen gehorigen fremden Arbeitern und Handwerkern ab und schneidet deshalb alien diesen, also z. B. auch dem fremden Ein- wanderer die Gelegenheit ab , den gleichen Lohn zu verdienen. Er ^muss ausserhalb der Unions Beschaftigung fur viel gerin- gcren Lohn such en , und sol>ald eine geniigende Anzahl soldier Leute da ist, w T ird es den Arbeitgebern durch die Verwendung der Letzteren eben moglich, den Widerstand der Unions und den bisher von ihnen behaupteten Preis zu brechen. Ira Allgemeinen lasst sich nach einer sorgfaltigen Uebersicht der Gesammtverhaltnisse behaupten, dass seit der im Herbste 1873 eingetretenen Krisis (bis Ende 1874) der Lohn der gesammten arbeitenden Klassen durchschnittlich im Verhaltniss von 10 zu 6 gcfallen ist, \vahrend zu gleicher Zeit sich eine Klasse ganzlich Beschaftigungsloser herausgebildet hat, und die Anzahl der nur 12 theilwcisc Beschaftigten in's Ungeheure gcstiegen ist, so dass heute \vohl nur eine ausnahmsweise giinstig gestcllte Minderheit sich noch voller, bestandiger Beschaftigung erfreut. Wir schliessen die in diesem Abschnitte gegebene Schilderung mit der Wiedergabe des folgenden Artikels clcr New-Yorker Tri- bune , einer der einflussreichsten imd am besten redigirtcn Zei- tungen des Landes : ,,Zur gegenwartigen Zeit (November 1874) haben die Kauf- leute, die Fabrikanten und die Landbevolkerung der Vereinigten Staaten einen harten Kampf zu kampfen, um sich zu behaupten, Sie miissen sich zur Wehr setzen gegen die Uebel , die aus einem Missbraucbe des Kredits und aus thoricht verwegener Spekulatioii hervorgegangen sind. Sie sind in Gefahr von der Entsittlicbung, die der Krieg hervorgebracbt hat , und die das unehiiiche Papier- geld steigert, von Schulden und von Steuern iiberwaltigt zu wer- den. Was konnten sie gewinnen , wenn sie ihre Augen schlossen, Angesichts der Gefahren, die sie umgeben? Sie sind in Feindes- land , und es ist ihre Sache , des Feindes Starke in Erfahrung zu bringen. Die Politik des ,,Puffens" (Lobpreisens) und falscher Vorspiegelungen , die vor zwei oder drei Jahren so gute Dienste leistete , genligt in diesen Zeiten nicht mehr. Seinerzeit war die- selbe ein Fluch fur das Land , gegenwartig ist sie eine Beleidigung. Die Wahrheit ist immer heilsam, und am meisten dann, wenn ein Land gleichsam als wenn es unter einer Schneedecke ver- borgen lage, mit den Ruinen lugncrischer und betriigerischer Unternehmungen iiberall bedeckt ist. Die Wahrheit aussprechen, ist nicht krakehlen. Wahrheit ist die Arznei, die wir brauchen. Konnte die quacksalbernde Liige immer erfolgreich sein , so wiirde das Land fortwahrend in schlechtere Lage gerathen. Und mit jeder moglichen Krankheit behaftet, zu leben , wiirde tausendmal schlimmer sein, als selbst der Tod. ,,Dem oberflachlichen Beobachter scheint es unerklarlich , dass Ackerbau, Handel, Fabriks- oder Verkehrswesen alle auf einmal krank darniederliegen sollten, und anscheinend keine Anzeichen einer Wiederherstellung vorhanden sind. Grosse Krafte sind je- doch an der Arbeit , um eine grosse Veranderung hervorzubringcn. Der Fortschritt zum Bessern ist durchaus nicht weniger wirksam, weil er sich nicht augenblicklich und auf der Oberflache zeigt. Das gegenwartige Leiden ist nur das Maas des Krankheitszustandes. Man liberlege nur die Grosse des Uebels in .der Anlage von 300 Millionen Dollars in Eisenbahncn wahrend der letzten 3 oder 4 Jahre, die dem ausgegebenen Capital keine Zinsen zahlen. Man vcrgegenwartige sich das niichste Glied in der Kette, die Eiseri- werke, die errichtet, und die Bergwerke, die angelegt wurden, um das Material fur dicse Eisenbahncn zu beschaffen und die jetzt 13 insgcsammt darniederliegcn. Man clenke an die Ortschaften und Stadtc, die sich bei dem Bau dieser Eisenbahnen mit Schulden beladen haben. Man erinnere sich der Borsenspieler, die ehedem den Ehrensitz an Tafeln eingenommen , an den en die Stimme des ,,Krakler's (Croaker)" nicbt gehb'rt wurde. Aber was brauchen wir mehr? 1st es nicht klar, dass eine solche Verscbwendung der erzeugenden Krafte , ein solches weites Abweichen von der wahren Bahn des Gewerbfleisses , eine solcbe Entsittlichung in alien Klassen der Gesellschaft, nicbt in einem Tage wieder gut gemacbt werden kann ? Gelien wir etwa heute zu Bette in der sichern Erwartung, dass wir des Morgens ohne irgend welcbe Spuren unserer langen Schlemmerei aufwacben werden? 1st ein Jeder ein ,,Krakler", der sich weigert, dies zu glauben ? Wir haben es als unsere Pflicht betrachtet, die wahre Lage der Dinge zu studiren und dariiber Bericht abzustatten, die voile Starke des Feindes zu erkunden, die Schwache unserer Posten kennen zu lernen, und die Stellungen zu bezeichnen, welche nicht vertheidigt werden konnen.. Vielleicht haben wir den Spekulanten damit keinen Gefallen gethan, und den Muth der Ueberhoffnungs- vollen abgekiihlt. Aber wir haben die Uebel nicht iibertrieben und in keinen stark eren Farben, als denen der Wirklichkeit dar- gestellt. In jedem Zweige, der sich mit dem Kaufe und Verkaufe oder mit der Erzeugung von Waaren beschaftigt , ist ein Stillstand eingetreten. Wir stehen wieder da , wo wir vor zwei oder drei Jahren standen. Beinahe Jedermann hat beschlossen oder ist ge- zwungen worden, weniger von den Waaren , von deren Fabrikation oder Verkauf sein Nachbar leben muss, zu kaufen oder zu ge- brauchen. In Folge dessen scheint eine allgemeine Ueberproduktion sogar betreffs der nothwendigsten Lebensbediirfnisse vorzuwalten. Dieser Zustand der Dinge ist seiner Natur gemass nur temporar. Aber man gewinnt nichts dadurch, dass man seine Starke oder Dauer unterschatzt. Das Beste ist es , die Erstere richtig aufzu- fassen und die Zweite geduldig abzuwarten. Wir gleichen einem Scbiffe, das von Eisbergen umgeben , und es ist geradezu Wahn- sinn , wenn Jemand vorgibt, er sehe nur klares Fahrwasser. Jeder Einzelne hat sein eigenes Geschaft, in dem er entweder unkluge Streiche begangen hat oder nicht. Aber ob das Eine oder das Andcre der Fall, er selbst versteht sein eigenes Geschaft besser, als sonst Jemand, und er selbst muss es so sorgsam leiten , als er kann. Die W T iederherstellung eines gesunden Tones in der Ge- schaftswelt hangt von der Klugheit, Geduld, Sparsamkeit und den anderen Tugenden der Einzelnen ab. Lasst uns also diese Tugenden iiben, und das Resultat kann nicht zweifelhaft sein. Kiihle Beob- achter haben die Folgen der entgegengesetzten Laster schon lange vorausgesehen. Wir haben das Vertrauen in den Charakter unserer 14 Geschaftsleute nicht verloren. Die Welt geht noch nicht ihrem Ende entgegen, well Spekulanten schlieslich aufgeweckt und einen Begriff von ihren Thorheiten bekommen haben. Auch ist die Aussicht nicht so hoffnungslos , dass die Wahrhcit geleugnet wer- den miisse. Es ist aber nothwendig, andere Arbeit zu thun, als fortwahrend iiber die n Krakler" zu schimpfen. Es hat keinen Einfluss auf das Wetter, wenn man Neptun verflucht , und die- jenigen, die sich im alten Rom hiermit beschaftigten, wenn "sie ein Schiff verloren hatten, erhohten dadurch nicht ihr Ansehen als Kaufleute." Die UnbcstSndigkeit der Arbeit und das yerg-leichsweise Sinken des Lohnes. Obschon die im vorgehenden Abschnitte gegebenen Schil- derungen wohl geniigen , Jedermann davon zu iiberzeugen, dass w r irklich .,schlechte Zeiten in Amerika" s.ind, ist es dennoch in- teressant, die Ansichten von Arbeitern selbst iiber diesen Gegen- stand zu vernehmen. Letztere haben vor dem Verfasser voraus, dass sie die Erwerbsverhaltnisse sowohl in Europa (England) als auch in den Vereinigten Staaten kennen , wahrend Schreiber dieses zwar die Verhaltnisse in den Vereinigten Staaten griindlich zu kennen glaubt, aber nicht in gleicher Weise in jenen Europa's bewandert ist, welches er schon in jugendlichem Alter verlassen hat. Von meinen Gewahrsleuten , alle beide altenglische Hand- werker, schreibt der Eine: ,,Mit einem Dollar in Chicago komme ich nicht weiter, als mit 33 Cents (!/ 3 Dollar in Yorkshire), wenn ich Miethe be- zahlen oder Kl eider und Lebensmittel einkaufen soil. Der Arbeiter in Yorkshire kauft von Amerika dahin verschifftes Mehl, Kiise, gepokeltes Schweinefleisch dort fiir denselben Betrag in Geld, den er fiir diese Artikel in Chicago ' bezahlen muss. Er kauft ameri- kanische Nab- und Mahmaschinen in England fiir den halben Preis , fiir den dieselben in den Vereinigten Staaten zu haben sind. Was die Lohne betrifft, so vergleichen sich dieselben, wie folgt : 15 Im Jalire 1872 erhielten in Amerika der Eisengiesser 2 Doll. 50 Cent. bis 3 , 25 der Schmied 2 , 50 bis 3 , 25 der Maschinist 2 , 50 bis 3 , 25 der Zimmermann 2 25 in England 5 shilling 6 pence 1 Doll. 45 Ct. 5 ,,6 = 1 45 5 3 = 1 38 5 6 = 1 45 w Hierbei ist zu bemerken, dass die Arbeitszeit in Chicago 10 Stunden im Tage betrug, in Yorkshire (England) aber nur 9 Stunden. Hausmiethe ist siebenmal so theuer, als in Yorkshire, und meine Wolmung kostet mich, im Voraus bezahlt , achtzehn Dollars im Monat. In Yorkshire kann ich dieselben Raumlichkeiten fiir 11 Schilling 5 Pence = 2 Dollar 75 Cents miethen. Die Wohnungen in Yorkshire haben Oefen und Ileerde; in Amerika ist der Miether gezwungen , sich seine eigenen Koch- und Stuben- ofen zu kaufen , die ihm zusammen ungefahr 40 Dollars kosten. Rindfleisch kostet 18 Cents dasPfund, in Yorkshire 20 Cents (in Berlin 1875 60 Pfennige ungefahr 15 Cents das Pfund). Aber das Fleisch in England ist vom Mastvieh, jenes in Chicago vom beinahe wilden Texasvieh , das einen bei \veitem geringeren Nahrungswerth besitzt. Milch 7, in Yorkshire 6 Cents das Quart und das Yorkshire Quart ist um ungefahr ein Drittel grosser, als das amerikanische. Das Glas Bier in Amerika 5 Cents , in Eng- land 2 Cents , und ist das Letztere bedeutend grosser. Zucker 13 Cents in Amerika, 11 Cents in England. Thee 1 Dollar 25 Cents, in England nur 84 Cents. ,,Kleider sind im Allgemeinen 3 bis 4mal so theuer, als in England. w lrdenes Geschirr ebenfalls. Ein Paar Stiefel, das in Chicago 11 Dollars kostet, ist in Yorkshire fiir 4 Dollar 50 Cents zu haben. Einen Hut, der mich in England 25 Cents neu gekostet hatte, liess ich hier waschen und pressen, wofiir ich 1 Dollar 25 Cents bezahlen musste. Gas kostet hier 4 Dollars 25 Cents das 1000 Kubikfuss , in England 90 Cents. Haarschneiden 25 Cents hier, in England 4 Cents. Rasiren 15 Cents hier gegen 2 Cents in England. Streichhb'lzer 5 Cents die Schachtel , in England 1 Cent. ,,Das Klima ist in England gemassigt und feucht. Hier in Chicago ist es haufigem und plotzlichem Wechsel unterworfen. Die Hitze im Sommer ist driickend , die Kalte im Winter schneidend. ,,Was endlich das Handwerk betrifft, so habe ich in Eng- land bestandige Beschaftigung , wahrend der letzten 3 Jahre zu 9 Stunden im Tag, wahrend ich hier 10 Stunden im Tag ar- 16 beiten muss , und sehr unregelmassig beschaftigt bin. Im Winter muss ich beinahe ganz still liegen , im Sommcr kommt es haufig vor, dass man 2 oder 3 Tage, ja mitunter eine Woche in der Arbeit einhalten muss. ,,Wahrend es in England gesellschaftliche und unterhaltende Vereine giebt , ist bier derartiges gar nicbt vorlianden. Ebenso- wenig existiren Arbeits- und TJnterstiitzungsgenossenschaften. Was endlich die offentlichen Unterhaltungen anbetrifft , so sind dieselbcn sehr theuer, und dabei so erbarmlich, dass ein wirkliches Yer- gniigen in ihrem Besuche gar nicbt zu finden ist." Ein anderer Englander scbreibt folgendermaassen : ,,In England arbeiten wir 51 Stunden die Woche, namlich 9 Stunden jeden Tag, und am Sonnabend (oder Samstag) nur 6 Stunden des Vormittags. Hier in Amerika miissen wir 60 Stun- den die Woche arbeiten. In England erhalten wir unseren Lohn jeden Samstag regelmassig ausbezahlt, Hier bezahlt der Meister von Zeit zu Zeit, wie es ihm grade passt. Wird in England ein Arbeiter entlassen, so ist der Arbeitgeber gesetzlich verpfliqhtet, ihm seinen Lohn auf der Stelle voll auszuzahlen , wahrend in Amerika in dieser Beziehung die grosste Willkiir herrscht, und der entlafesene Arbeiter oft wochenlang dem ihm schuldigen Lohn nachlaufen muss, und schliesslich noch gezwungen ist, die Gesetze in Anspruch zu nehmen. In letzterem Falle mag er nach Verlauf von mehreren Monaten sein Geld erhalten , wenn er sein Recht ganz unzweifelhaft und ohne Fehler in der Form nachweisen kann, doch muss er, bis er zu diesem Ziele gelangt, so bedeutende Auslagen fur Prozesskosten machen, dass es sich bei geringen Summen gar nicht bezahlt , klagbar zu werden. In England dagegen werden dem Arbeiter die Prozesskosten ersetzt. ,,Gute Handwerker werden in Amerika nicht gewiirdigt, da beinahe uberall nur auf die gelieferte Menge gesehen wird, die Qualitat der Arbeit dagegen keine Achtung geniesst. In Folge dessen entartet alle Handwerksarbeit , wird zur reinen Schundarbeit, und der Pfuscher, der letztere liefert, ist grade so gut angesehen, als der beste Handwerker!" So weit meine Gewahrsmanner. Zu ihren Angaben habe ich zu bemerken, dass der Erste der Beiden die Lage der Dinge zu Ungunsten Amerika's wohl etwas iibertreibt. Es ist Thatsache, dass Lebensmittel, wenn sie im moglichst natiirlichen Zustande von den Produzenten eingekauft werden, wenigstens im Westen der Vereinigten Staaten entschieden billiger sind, als in Europa. Sobald aber dieselben Lebensmittel, wie es in grosscn Stadtcn allgemein , erst aus dritter oder vierter Hand in die des Consu- menten libergehen, sind sie allerdings theuerer, als in Europa, weil aus spater zu beriihrenden Ursachen, der Aufschlag eines 17 jeden Zwischenhandlers driiben viel bedeutender 1st, als hiiben. Ebenso ist ein Vergleich der Miethspreise in einer Stadt wie Chi- cago mit denen eines Distriktes wie Yorkshire nicht ganz zutref- fend, und es miisste Chicago mindestens mit einer ebenbiirtigen Grossstadt , \vie etwa Liverpool oder Hamburg verglichen werden, in wclchem Falle sich dann allerdings noch ein kleiner Unterschied in den Miethspreisen zu Gunsten der Letzteren herausstellen wiirde. Meiner Erfahrung nach, stehen die Miethspreise gleicher Raum- lichkeiten in Berlin oder London denen in Chicago ungefahr gleich. Was endlich die in dem ersten Briefe angegebenen Lohn- satze betrifft , so erinnere ich an meine Bemerkung , dass dieselben seit dem Eintreten der Krisis um durchschnittlich ungefahr 40 Prozent gesunken sind, wahrend die Waarenpreise bis Ende 1874 noch keine entsprechende Verringerung zeigten. Die meiste Aufmerksamkeit verdient in den obigen Briefen aber der Punkt , in dem von der Unbestandigkeit der Beschafti- gung in Amerika die Rede ist. Diese Unbestandigkeit ist nicht nur in der vollen , in den Briefen angegebenen Ausdehnung vorhanden, sondern wird meiner Erfahrung nach, noch weit unterschatzt. Und sie erstreckt sich mehr oder minder auf alle Beschaftigungszweige. In Amerika ist eben jede Spur einer anderen Verbindung zwischen Arbeitgeber und Arbeiter geschwunden, als derjenigen, die dem einzigen Geschafte des Ankaufes der Arbeitsleistung des Letzteren durch Ersteren entspringt Der Arbeitgeber, der einen Mann beschaftigt, kiimmert sich in keiner Weise um dessen Umstande, Charakter und Stellung, sondern einzig und allein um den Betrag Arbeit, den derselbe oder vielmehr seine r Hande" (schon der Sprachgebrauch zeigt in der Anwendung des Wortes hand an Stelle des Wortes Arbeiter" diese Auffassung auf's scharfste an) in der zu bezahlendeii Arbeitszeit liefern. Daher wird in alien Verhaltnissen der Arbeiter, so bald kein weiterer Bedarf nach seiner Arbeitsleistung besteht, sofort und ohne die geringste vorhergehende Warming entlassen. Irgend ein festes Verhaltniss auf Kundigung besteht nicht , wiirde ubrigens auch schon um deswillen vollkommen werthlos sein, weil es dem, etwa unter einem auf eine gewisse Zeit abgeschlossenen Vertrage , arbeitenden freien Burger als ,,freiem" Manne jederzeit freisteht , ein solches Verhaltniss abzu- brechen. Von diesem Rechte wird er natiirlich immer dann Ge- brauch machen , wenn der Bruch des Vertrages fur inn vortheilhaft ist. Da untcr solchen Umstanden dem Arbeitgeber ein derartiger Vertrag niemals etwas niitzen kann , indem er dadurch seinen un- verantwortlichen Arbeiter nicht zu halten im Stande ist, wenn z. B, der Lohn steigt, so ist beinahe die letzte Spur aller auf Zeit abgeschlossenen Arbeitsvertrage verschwunden. 3 18 Die Anwendung dieses Grundsatzes der persbnlichen Freiheit hat jetzt bereits die Folge gehabt, dass ein 'regehnassiges ,,Er- lernen" eines Handwerkes oder sonstigen Geschaftes nur noch in hb'chst seltenen Fallen stattfindet, wahrend die ungeheure Mehrzahl der heranwachsenden Jugend einen Beschaftigungszweig nicht erlernt, sondern diese oder jene Kenntniss irgendeines Geschaftes oder einige im Handwerk gebrauchliche Handgriffe gelegentlich ,,aufpickt" wie der amerikanische Sprachgebrauch diesen Prozess hb'chst passend bezeichnet. Dass ein solches ,.Auf- picken" der in einem Geschaftszweige nbthigen Geschicklichkeit und Kenntnisse nur hochst selten in ihrem Berufe tiichtige Hand- werker oder Geschaftsleute hervorbringt, wahrend die weitaus grb'sste Mehrzahl sich zu Pfuschern entwickelt, liegt auf der Hand. Und eine weitere Folge ist, dass die Unmasse der in jedem Geschaft vorhandenen Pfuscher, will sie die Konkurrenz gegen die in clem betreffenden Berufe wirklich Gelibten bestehen, gezwungen ist, den Preis ihrer Pfuschartikel so niedrig zu stellen, dass gute Arbeit fiir denselben schlechterdings nicht geliefert werden kann; nur dadurch vermogen sie das meistentheils in der wirklichen Schatzung der Waare unerfahrene grosse Publikum zur Abnahme ihrer Artikel zu verleiten. Die weitere Entwickelung dieses der freien Arbeit natur- gemass entspringenden Prozesses, der ubrigens nicht nur in Amerika, sondern ebenso, nur langsamer, sich in alien anderen civilisirten Landern vollzieht, verdriingt in jedem Berufe wirklich gute und gediegene Arbeit durch untergeordnete Schleuderarbeit, namentlich durch solche , die sich das aussere Ansehen der werth- vollen Arbeit zu geben versteht. Und die Entwickelung der Kon- kurrenz bringt es welter mit sich, dass unter solchen Umstanden Muhe und Scharfsinn in einem Geschafte nicht sowohl zu dem Zwecke aufgeboten werden, gute Arbeit zu liefern, sondern sich vielmehr auschliesslich darauf richten, der so billig als moglich hergestellten Pfuscharbeit durch Aufputz den Anschein guter Ar- beit zu geben , und ihr dadurch sowie durch moglichst ausgedehntes Anpreisen (,,Puffen") den nothigen Absatz zu verschaffen. Hierauf beruht die ungehenre Ausdehmmg des Anzeigewesens , das iiberall immer mehr und mehr uberhand nimmt , in Amerika aber geradezu uberwuchert. Ein guter" Geschaftsmann ist gegenwiirtig nicht mehr jener, der gute Arbeit oder Waare zu liefern und zu er- zeugen versteht', sondern der gewandt und geriebeu (smart) genug ist, irgendwelche Arbeit an den zahlenden Kaufer zu bringen. Der Pfuscher, der Letzteres ,,los" hat, ist nicht nur, wie unser englischer Gewahrsmann sagt, ,,gerade so angesehen, wie der gute Handwerker", sondern steht bedeutend hb'her imWerth, und es gibt in den Vereinigten Staaten und vielleicht auch schon 19 and erw arts , mehr als einen reichen Mann, der sein Vermogen einzig und allein durcli geschickte Anpreisung und theueren \ r er- kauf beinahe ganzlich werthloser, hochst billig erzeugter Artikel gemacht hat; hierher gehoren z. B. die Fabrikanten einer Unzahl von Patentmeclizmen, die alle Uebel, an denen zu leiden das Menschengeschlecht nur im Stande sein mag , unfehlbar kuriren u. s. w. Unter solchen Umstanden 1st die Idee, dass der Ver- kaufswerth eines Gegenstandes in einem gewissen geraden Ver- haltnisse zu seinem Arbeitwerthe stehen miisse, bei den ,,Geschafts- leuten" ganzlich geschwunden, Als Endresultat des Systems der freien Konkurrenz ergiebt sich aus der hier auseinandergesetzten Verbindung von Ursache und Wirkung schliesslich , dass die Ar- beit an sich als das unwesentlichere Element verachtet wird, wah- rend man den Vertrieb der produzirten Waare als die wesentliche Kunst ansieht. Der Schlussstein dieses Systems ist dann die Ver- achtung des Arbeiters selbst, wie sie heutigen Tages in alien nicht rein ackerbautreibenden Gegenden der Vereinigten Staaten in dem Maasse Platz gegriffen hat, dass die ganze dort aufwach- sende Jugend Arbeit als eine Entwiirdigung betrachtet, und sich geradezu weigert, sich zu dem herabzulassen , was sie mit der tiefsten Verachtung menial labor zu nennen beliebt, d. h. zur wirklich mit den Hanclen anzupackenden und zu produzirenden Arbeit. Und ich stehe nicht an zu behaupten, dass diese Abneigung bei- nahe des ganzen eingeborenen Elementes gegen das Ergreifen sol- dier Beschaftigungszweige, die wirkliche Arbeit erfordern, einer der Hauptgriinde des Uebels ist, an clem die Vereinigten Staaten gegen\vartig krank darniederliegen. Dieses Uebel gewinnt dadurch immer grossere Ausdehnung, dass sein nachstes Ergebniss die Erzeugung eines in der Gegen- wart schon vollkommcn sichtbar zu Tage tretenden Kastengeistes ist, der das im ,,Land" (d. h. in Amerika) geborene Bevolkerungs- Element von aller Handarbeit auszuschliessen 'droht, und dieselbe einzig und allein cils die Bestimmung der eingewanderten Foreigners d. i. Fremden ansieht , wahrend die einzige des Eingeborenen wiirdige Stellung im Leben in dem besteht, was man genteel occupation noble Beschaftigung" zu nennen pflegt. Ein ahnlicher Kastengeist besteht nun zwar auch in Europa, hat aber daselbst, soweit er nicht durch die abgelebten, tragen Ueberreste des ehemaligen Feudaladel-Systems erzeugt ist, eine we- sentlich andere Basis, namlich die durch ,,Bildung" (allerdings muss diese in vorgeschriebener Weise n schulgerecht" sein) solche Stellungen und Aemter auszufiillen, deren Beschaftigungskreis wesentlich in geistigen Leistungen besteht. Diese Basis ist jedoch in Amerika durchaus nicht vorhanden , und zwar um deswillen nicht , weil die 20 oben geschilderte Verachtung der Arbeit sich nicht allein auf die physische Arbeit erstreckt, sondern ebensowohl, ja sogar noch weit mehr auf die geistige, denn bei den Produkten der physi- schen Arbeit ist das grosse Publikum immer noch besser im Stande, den Werth der gelieferten, und ware es auch nur anscheinend gute Schleuderarbeit, einigermassen zu schatzen, als bei den Pro- dukten des Geistes. Ist namlich auch jeder andere Maasstab des Vergleiches abhanden gekommen , so bleibt doch der fiir das Auge jederzeit wahrnehmbare der Quantltat und des ausseren Anscheines iibrig. Zur \Verthschatzung geistiger Arbeitsleistungen aber ist das Verstehen derselben unerlasslich , und es kann daher von dem grossen Publikum nur jene geistige Arbeit wirklich geschatzt wer- den , die sich nicht fiber dessen Bildungsgrad erhebt. Geistige Arbeit hat indess das Eigenthiimliche , dass, sollen ihre Produkte uberhaupt einen Werth haben, sie sich unbedingt iiber das Bildungs-Niveau des grossen Haufens erheben mlissen; deshalb kann geistige Arbeit an sich vom Publikum nie ihrem wahreii Werthe gemass gewiirdigt werden, und es geht hieraus folgerichtig die in Amerika schliesslich ubliche Werthschatzung geistiger Ar- beit hervor, die jener der physischen rollkommen entspricht: sie ist namlich nicht eine Wlirdigung der Arbeit an und fur sich, son- dern nur ihres ^Vertriebes." Der geistige Arbeiter an sich wird demnach ebenso verachtet , \vie der physische Arbeiter an sich, oder noch mehr, wegen des \veiterenUnterschiedes zwischen geistiger und physischer Arbeit , ' \vonach die Produkte der Letzteren einen Eigenthumswerth reprasentiren , der von Anderen eben nur durch wirklichen Kauf erworben werden kann. Das Produkt der geistigen Arbeit dagegen ist kein korperlich begrenztes Ding , und kann deshalb auch nicht als solches besessen werden. Sucht nun der geistige Arbeiter das Resultat seiner Arbeit zn verwerthen, so kann er dies natiirlich nur thun , wenn er es zum Kaufc anbietet , d. h. es zeigt und erklart. Hat er dies aber gethan , so ist der praktische Mann, der als richtiger ,, gut er Geschaftsmann" kein Geld fiir das ausgiebt, w r as er umsonst haben kann , oder vielmehr schon erhalten hat, natiirlich nicht so einfaltig, dem geistigen Arbeiter das Ergebniss seiner geistigen Arbeit zu bezahlen. Er behalt es einfach im Kopf, erspart sein Geld , geht hin , lasst die Anwendung auf seinen Namen ,.patentiren" und lacht den Tropf aus, der so dumm war, die Idee seiner gediegenen, neuen, wunderbaren Erfmdung geistig auszuarbeiten. Im besten Falle, wenn der Geschafts- mann namlich denkt, der betreffende ,,Gelehrte" sei vielleicht doch im Stande , noch andere Dinge auszuhecken , mit denen sich ein Geschaft machen liesse, und er sich ihn also fiir die Zukunft warm halten^will, gibt er ihm, soviel ihm eben beliebt. Der geistige Arbeiter, gezwungen das Dargebotene. anzunehmen, da er im 21 Weigenmgsfalle Gefahr lauft, gar nichts zu erhalten, ist gerade um so viel imgiinstiger gestellt als der physische Arbeiter, der, \venn ihm der gebotene Preis nicht behagt, einfach sein Arbeits- produkt aus den Handen des Kaufers nimmt, imd es solange Anderen anbietet, bis er" einen zusagenden, oder doch den besten Preis dafur erhalt. Es ist also betreffs der Hesultate geistiger wie phyaischer Arbeit \vesentlich die Fertigkeit, dieselben zu moglichst hohem Preise an den Mann zu bringen, die gewiirdigt wird. In dieser Fertigkeit bestelit das wahre Wesen der genteel occupation in den Vereinigten Staaten allgemach als die eirizige , des Eirge- bornen wiirdig geltende Beschaftigung. Und der gewinnreicbe Betrieb dieser Beschaftigung ist es , fiir welche man den Sprach- ausdruck des Geldraachens " erfunden hat. Der hier beschriebene Prozess geht seit langer Zeit in immer beschleunigterem Maasse vor sich. Seine natiirlicbe Folge war eine fortwahrend steigende, beute gerade in's Ungeheuere angewacbsene Vermehrung der Zahl derer, die von den angeblich genteelen Be- rufszweigen leben wollten. Zwei weitere Consequenzen ergeben sich daraus : Erstens stieg in alien hierher gehorigen Beschaftigungszweigen die Konkurrenz derart, class schon seit lange die >y genteelen' e Beschaftigurigszweige nur in jenen wenigen Fallen entsprechend bezahlt werclen , wo es vereinzelten Individuen gelingt, entweder durch ganz besondere Energie und Talent gepaart mit Gliick oder durch einflussreiche Verbindungen die Aufmerksamkeit der grosseii Masse auf sich zu ziehen, in welchem Falle sie allerdings im Stande sind, aus ihrem beriihmten, vielleicht auch beriichtigten Namen Geld zu machen. In alien gewohnlichen Stellungen aber, zu deren Ausfullung man einen bekannten oder beriihmten Namen nicht braucht, werden in Folge des erschrecklichen Ueberschusses an Stellmsuchern die Facher der genteel occupation in den Yercinigten Staaten viel weniger gut bezahlt, als die entsprechenden Posten in Europa , und Leute von europaischer Geburt , deren Bildung und Erziehung sie auf diese Facher hinweist, haben, da- sich ihnen als Foreigners nur eine ausserst geringe Moglichkeit darbietet, die enormen Schwierigkeiten im Schaffen eines Nameus zu iiberwinden , von alien Einwanderern unz\veifelhaft die aller- schlechtesten Aussichten. Es ist denn auch wohl bekannt, dass weitaus die Mehrzahl von ihnen zunachst in das Gewerbe der Barkeepers, Schenkkellner, hineingerath , um spater entweder als Kneipenwirthe und Wiukelpolitiker mit ganzlicher Aufopferung aller sogenannten Ehrbegriffc und Anspriiche eines gebildeten Geistes sich durchzuschlagen und eine Rolle zu spielen, oder auch 22 um als ganzlich verbummelte Subjekte schliesslich an den Folgen der Trunkenheit, worin sie ihre getliuschten Hoffnungen zu er- saufen versuchen , unterzugehen. Die zweite Folge der fortwahrenden Vermehrung dieser Menschenklasse ist die, dass im gleichen Verhaltniss zu ihrem Anw T achsen die Last ihrer Ernahrung schwerer und schwerer auf das arbeitende Yolk driickt. In der That ist der iuuner verzweifelter sich gestaltende Kampf urn's Dasein, der sowohl unter den sich zur genteel occupation drangenden Hunderttauscnden wiithet, als auch von ihrer Gesammtheit gegen das noch wirklich ar- beitende Volk gefuhrt wird, die eigentliche Grundursache der allgemeinen Demoralisation, deren verschiedene Phasen sowohl in der Corruption der Politik und des gesammten Regierungssystems als in der immer bodenloser, betrugerischer und (aus gesteigerter Desperation) verwegener werdenden Geschaftsspekulation der Pri- vaten sich' offenbaren. Wenn Jedermann auf alle und jede Weise versucht, nicht von den Erzeugnissen seiner (verachteten menial) Arbeit sich zu ernahren, sondern auf Kosten aller Anderen by his wits^ ,,von seiner Gescheidtheit" als Gentleman" flott zu leben, miissen natiirlich schliesslich jene, welche die Umstande zwingen, die, leider unentbehrliche , wirkliche Arbeit zu thun , die Zeche bezahlen. So kann bei dem Vorwalten dieser Geistesrichtung die fort- w^ahrende Yerschlechterung der Lage des wirklich arbeitenden Yolkes nicht Wunder nehmen. Dass diese Yerschlechterung nicht. erst neuerdings eingetreten, sondern schon seit langerer Zeit all- malig vor sich ging, wenn sie auch erst nach dem Platzen der Seifenblase der auf die Spitze getriebenen wilden Spekulation so recht offenbar wurde, hat David A. Well in seinen statistischen Angaben schon vor Jahren nachgewiesen. Wir entnehmen ihm nur das folgende Beispiel, indem er durch Gegeneinanderstellung der Kosten des Lebensunterhaltes einer Handwerkerfamilie in den Jahren 1860 und 1870, und durch Vergleich dieser Kosten mit dem Yerdienste des Mannes in denselben Jahren die sich ergebende Verschlechterung ihrer Lage nach\veist. Jahrlicher Yerbrauch einer Familie von 2 Erwachsenen und 2 Kindern, und die Kosten desselben in der Stadt New- York; Ouantitat Preis 1860. Preis 1870. VerkaUISartlkel: im Jahre: Einzeln: Im Jahre: Einzeln: Im Jahre: Cents Doll. Cents Cents . Doll. Cts. Rindfleisch 250 Pfd. 10'| 25.62'|, 20 50.- Hammelfleisch 100 9 9. 15 15.- Gep. Rindfleisch 100 7'|, 7.50 12 12.- Butter 70 18 1260 30 21. Reis 50 6 3.- 10 5.- Milch 200 Qu. 5 10.- 10 20, 23 Verkaufsartikel: QuantitM Preis 1860. im Jahre: Einzeln: Im Jahre: Preis 1870. Einzeln: Im Jahre: Cents Doll. Cents Cents Doll. Cts. Kaffee 20 Pfd. 20 4. 35 7. Thee 5 63 3.15 80 4.- Zucker 100 9* | t 9.50 13 13. Melasse (Syrup) 20 Gall. 50 10. 80 16. Kohlen 5 Tonn. 5.50 27.50 8 Doll. 40. Miethe fur 3 Zimmer 5 Dollars 60. 12 144. Total 1860: 181.87 ! | 2 . Total 1870: 347. Tagelohn der Handwerker in der Stadt New-York: 1860. 1870. Mobelsclireiner 1.75 2.75 Kiifer 165 2.75 Bauschreiner 1.75 3.00 Anstreicher 1.77 3.00 Schuhmacher 1.50 2.35 Schneider 1.66 2.50 Gerber 1.76 2.65 Blechschmied 1.75 2.75 Durchnitt 1.70 2.72 Die Zunahme im durchschnittlichen Kostenpreise der Lebens- raittel, deren eine Familie bedarf, betragt also in dem Jahrzehnt von 1860 bis 1870: 92 Prozent. Die Zunahme im taglichen Verdienste eines Handwerkers in denselben 10 Jahren betragt im Durchschnitt : 60 Prozent, Die Anzahl der Arbeitstage , deren Verdienst die angegebenen Handwerker zum Ankauf der Lebensmittel verwenden mussten, betrug fiir den im Jahre 1860 im Jahre 1870 Zunahme Tage Tage Tage Mobelschreiner 103 9 126 22 Kufer 110 126 16 Bauschreiner 103 9 115 1^ Maler ' 102 115 13 Schuhmacher ]21 147 26 Schneider l()9 138 29 Gerber 103 130 27 Zinnschmied 103 126 23 Die hier beispielsweise angefuhrten Handwerke driicken ziem- lich genau auch den Zustand aller iibrigen aus, da vermoge des im Wesen der Konkurrenz begriin'deten Gesetzes der Ausgleichung der Gesammtverdienst in alien Handwerken annahernd derselbe ist. Der scheinbare Unterschied im Tagelohn gleicht sich gewohnlich im Laufe des Jahre s vollkommen aus ; der hohere Lohn trifft bei- nahe immer jene Gewerbe, die "Wind und Wetter ausgesetzt, im Preien arbeiten mussen, und daher in der ungiinstigen Jahreszeit 24 eine grosse Anzalil Arbcitstage verlieren , liberdies auch wohl kraftigerer und demgemass kostspieligerer Nahrung bediirfen. Ein kleiner, wirklicher Unterschied stellt sich im Grossen und Ganzcn nur zu Gunsten jener Handwerke heraus, deren Betreibung eine bedeutende Korperkraft erfordert, oder die als weniger r genteel*' angesehen werden. Es ist bei dieser Tabelle noch besonders zu bemerken, dass sie das Jahr 1870 zum Vergleiche wahlt, ein Jahr, in dera noch Jedermann, der von schlechten Zeiten gesprochen hatte, als Thor veiiacht worden ware. Seit 1870 hat die vergleichweise Yer- schlechterung immer mehr und mehr zugenommen , bis endlich die eintretende Krisis die Hulle, worunter dieser Zustand so lange sich verbarg, hinweg, und das Wesenlose des eingebildeten, papiernen Reichthums an's Licht zog. Schliesslich ist noch zu erwahnen, dass die hier nachge- wiesene Preissteigerung hauptsachlich nur die eigentlichen Nahrungs- mittel betrifft, in denen sie noch unverhaltnissmassig gering war. Die Preissteigerung dieser 10 Jahre in alien sonstigen Bedurfnissen ist geradezu enorm, betragt wohl nie weniger als 100 Prozent, und steigt sehr oft bis zu 250 Prozent des Preises, den gleiche Artikel im Jahre I860 kosteten. Die materiellen /ustandc uud die Ursacheii der Verschlechteruiig 1 . Dass seit einer Reihe von Jahreii eine immer zunehmende Verschlechterung in der Lage der arbeitenden Klassen sowohl, als aller von deren Wohlbefinden abhangigen kleinen Geschafts- leute, dann auch der grossen Klasse der Ackerbauer vor sich gegangen, haben wir im vorhergehenden Abschnitte gezeigt. Yon grosstem Interesse ist es nun, die materiellen Griinde dieser Er- scheinung kennen zu lernen, namentlich in Erfahrung zu bringen, ob dieselben nur von voriibergeheiidem oder von dauerndem Ein- flusse und ob, ware Letzteres der Fall, sie ihre Wirkung in Zukunft noch vergrossern werden. Denn an und fiir sich waren die augenblicklich schlechten Zeiten wohl durchaus kein geniigender Grund, warum Klassen der Bevolkerung, die friiher ihre Lage durch Auswanderung nach den Yereinigten Staaten in der Regel 25 bedeutend verbesserten, niclit aucli fernerhin dieses Mittel im Auge behalten und zu seiner Anwendung schreiten sollten, sobald die gegenwiirtige Stockung im Arbeitsmarkte soweit aufgehoben ist, um ihnen die zur Erwerbung ihres Lebensunterhaltes unbcdingt nothige Beschaftigung zu gewahrleisten. Ist dagcgen die Verschlechterung in Folge nachhaltiger Griinde eingetreten , so wiirde ein Entschluss zur Auswanderung nur unter Beobaclitung der grossten Yorsiclit fiir Solche rathsam erscheinen, die etwa an vorausgegangenen und von gliicklichem Erfolge begiinstigten Verwandten einen Biickhalt besitzen, oder denen sonstige, aussergewohnlich giinstige Mittel und Wcge zu Gebote stehen, den gewiinschten Erfolg im fremden Lande zu erringen. Eine dauerndc Verschlecliterung konnte sowohl in Folge des Erloschens seither bestandener, aussergewohnlich giinstiger, wie auch in Folge des Eintretens neuerdings sich herausbildender un- giinstiger Umstande entstehen. Ob eine und welche dieser beiden, oder ob alle beiden Ursachen zugleich an den gegenwartig sich oftenbarenden Zustanden Schuld tragen , das zu untersuchen , soil unsere Aufgabe sein. Zwei Griinde waren es hauptsachlich , die von jeher als Empfehlung der grossen Republik augefiihrt wurden , und die Auswanderung anlockten: 1.) die weite Ausdelmung des Larides , dessen natiirliche Hilfsquellen unbeniitzt dalagen , und dessen Grund und Boden nur aufgenommen und bekannt zu werden brauchte, um einen reich- lichen Ertrag zu liefern ; 2.) die Vortheile des einfachen, billigen und ,,freien" Re- gierungssystems. Wir werden uns zuerst init dem ersten dieser beiden Vor- ziige zu befassen haben. Es ist wabr , dass nach dem Gesctze der Vereinigten Staaten ein Jeder das Recht hat, 160 Acker Regierungsland gegen Zahlung von Einschreibgebiihren in Besitz zu nehmen , und sobald er nur fiinf Jahre lang wirklich auf diesem Lande gesessen und es bcbaut hat , einen vollstandigen freien Besitztitel erhalt. So sagt das Gesetz, und es ist unbestreitbar , dass unter diesem, dem w Heim- statte"-Gesetz , und unter dem ihm vorhergehenden sogenannten squatter law ,,Ansiedler "-Gesetz, das ihm im Wesentlichen gleich war, Tausende und Hunderttausende von den Farmen Besitz er- grifFen, auf denen sie zu \vohlhabenden Leuten geworden. In der That, der grosste Theil des Landes in den heute sogenannten ,,westlichen" Staaten ist seit ungefahr dreissig oder hochstens vierzig Jahren auf diese Weise in die Hande von Privateigen- thiimern iibergegangen , von denen ein sehr grosser Theil einge- 4 26 wanderte Btirger und namentlich Deutsche sind. Aber es ist eben- so wahr , dass das Regierungsland in den westlichen Staaten Ohio, Indiana , Illinois , Michigan , Wisconsin bis auf verschwindend kleine Ausnahmen, die ausschliesslich aus werthlosen Sumpf- oder Berglandereien bestehen, vollstandig vcrgriffen ist, und class der Ansiedler, der heutigen Tages noch von den Bedingungen des obigen Gesetzes Gebrauch zu machen wimscht, in den Staaten des fernen Westens, \vie Kansas, Nebraska und Minnesota, oder gar in den Staaten am Stillen Meere wie Calif ornien und Oregon oder in den allerdings noch an Grosse und Meilenzahl ihres Ge- bietes sehr ausgedehnten , zwischen diesen beiden Gruppen von Staaten liegenden Tcrritorien der Vereinigten Staaten sich eine Heimath suchen muss. Nun sagt allerdings der letzte Census der Vereinigten Staa- ten, dass daselbst noch ungefahr 900 Millionen Acker Regierungs- land zu haben sind , und der mit der Beschaffenheit und dem Charakter dieser Gegenden iiicht Vertraute schliesst hieraus, dieser Schluss ist sogar unter der grossen Masse der Bevolkerung in den ostlichen Staaten der nordamerikanischen Republik ganz allgemein, dass diese Strecke Landes noch auf lange Jahre geniigen werde, jedem Ansiedler die Mb'glichkeit der Erwerbung einer Heimstatte zu gewahren. Dieser Glaube ist allerdings voll- kommen , ja sogar nur zu begrundet , und zwar aus der sehr triftigen Ursache, weil in diesen 900 Millionen Acker Landes Millionen und aber Millionen von Viertelssektionen (160 Acker enthaltende Stiicke, eine Sektion Land ist eine englische Meile im Geviert und enthalt 640 Acker Land) mit einbegriffen sind, die in Besitz zu nehmen auch noch nach sehr langen Jahren Niemand einfallen wird. Demi der Mann, der versuchen wiirde, auf seiner begehrten Heimstatte die zur Erwerbung des Besitztitels nothigen ftinf Jahre zuzubringen, mlisste namlich in dieser Zeit oder vielmehr in den ersten Paar Wochen , nachclem ihm die mitgebrachten Lebensmittel ausgegangen, einfach verhungern; das Land selbst ist kaum fahig, Prairiehunden , Prairiewolfen und Klapperschlangen eine kiimmer- liche Nahrung zu bieten (wenn diese Thiere sich mit sehr spar- samen Rationen begniigen sollten), geschweige denn geeignet , die dem Menschen erforderlichen Nahrungsmittol zu erzeugen. Urn diese biindige Behauptung zu bewahrheiten , bin ich gez wungen, eine allgemeine Beschreibung der ausgedehnten Gegenden zu liefern, wo rin diese so und so viele hundert Millionen Ackerland liegen, die noch fur Jeden, der verwegen genug ist, sie in Besitz zu nehmen, zu haben sind. Die ganze ausgedehnte Region zwischen dem Missouri im Osten , da, wo derselbe die Westgrenze der Staaten Jowa und Missouri bildet, und der Sierra Nevada, der Ostgrenze des Staates 27 Californien im Westen, ein Gebiet, das in der Richtung von Osten nach Westen ungefahr 350 , in der Richtung von Norden nach Siiden mindestens 200 geographische Meilen misst, also einen Flacheninhalt von ungeflihr 70,000 geographischen Quadratmeilen (gleich dem Siebenfachen des jetzigen im Jahre 1874 bestehenden deutschen Reiches) hat, tragt im Allgemeinen den Charakter eines von vielfachen, sich meist von Norden nach Siiden durch dasselbe hinziehenden Gebirgsketten, den sogenannten Felsengebirgen (Rocky Mountains) unterbrochenen, bctumlosen und diirren Steppenlandes. Dieses Steppenland erhebt sich von Osten und Siidosten, wo der Missouri-Fluss , die fruchtbaren Gegenden des jetzigen Indianer- Territoriums und des Staates Texas seine Grenzen bilden, in all- miiliger regelmassiger Ansteigung. Dieser Theil \vird die Plains und Ebenen genannt, weil der Boden hier oft so eben daliegt, wie eine Tischplatte , und nur von dem vollkommen runden Kreise des fernen Horizontes , bis zu wclchem weder Baum noch Strauch sich dem Auge zeigt , begrenzt wird. Im Westen , dort wo sich die ersten Ketten der Felsengebirge aus diesen Ebenen emporheben, ist die Hohe dieser Letzteren schon bis auf 6000 Fuss iiber den Meeresspiegcl gestiegen. Sowohl Denver, die Hauptstadt des Territoriums Colorado, als Cheyenne, die Stadt an der Ueberland- Eisenbahn am Fusse der Black Hills ,,Schwarzen Berge", liegen beide auf mehr als 6000 Fuss Seehohe. In seiner ganzen westlichen Halfte bis zur Sierra Nevada tragt das Land den allgemeinen Charakter einer von vielfachen Gebirgsziigen unterbrochenen Hoch- ebene, die von 4000 Fuss im Thale des grossen Salzsee's bis zu 7000 Fuss auf den Laramie-Ebenen und in der Gegend von Santa Fe, der Hauptstadt New-Mexico's und der iiltesten Stadt im Ge- biete der Vereinigten Staaten, sich erhebt. Auch diese Gegend behalt denselben Charakter eines baum- und strauchlosen , wiisten und diirren Steppenlandes bei, der sich in manchen Theilen bis zur vollkommenen Wiiste steigert, und nur dann und wann, wo ein zufalliger Fluss oder Bach ein durch die Gebirgs- ketten , die es begrenzen , besonders gut gegen die verheerende Gewalt der Winde geschiitztes Thai beriesclt, irgendwelche Baum- oder Strauchvegetation zeigt. In diesem ganzen ungeheurcn Ge- biete finden die atmospharischen Niederschlage in so unbedeutender Menge statt, dass gleich viel was seine sonstigen klimatischen und Bodeiibedingimgen sein mogen, schon aus diesem Grunde allein von Ackerbau nur da die Rede sein kann, W T O durch Fliisse und Biiche Gelegenheit zur Berieselung geboten ist. Aber Fliisse und Bache sind, da ihre einzigen Bezugsquellen die sehr geringen Schneeniederschlage auf den hoheren Ketten der Felsengebirge, iiberaus selten und leiclen durchaus nicht an iibergrossem Wasser- reichthum. Sie werden erst im hochsten Norden dieses Gebietes 28 hh'ufiger, wo das theilwcise dem hoheren Breitengrade, theihveise cler senkrechten Erhb'hung des Landes entpringende kalterc Klima die Ursache ilircs haufigeren Erscheinens ist , znglcich aber durch seine grossere Strenge jeden Ackerbau unmb'glich macht. In diesem ganzen grossen Gebiete ist Ackerbau demnach nur in jenem Theile des Siidens mbglich , wo die sparsame Wassermenge tier seltenen Fliisse zur Berieselung einer beschrankten Strecke Landes sich verwenden lasst. So haben z. B. die Mormonen in Utah im Thale des grossen Salzsee's, das niedriger liegt als das umgebende Land, die geschiitzten Thaler der Kultivation zugang- lich gemacht. Auf die namliche Weise zieht die sparsame Be- vblkerung von New-Mexico die wenigen Ackerbauprodukle , deren sie bedarf, nncl haben schon vor der Entdeckung Ainerika's die sogenannten Pueblo (d. h. in Ortschaften wohnenden) Tndianer Neu-Mexiko's und Arizona's den Boden kultivirt , wie es ihre iibrig gebliebenen Nachkommen z. B. die Pima's am Rio Gila in Arizona, die Moquis am Colorado Chiquito, die Navajoes u. s. w. noch heutigen Tages im beschrankten Maasse thun. Aber was auf solche Weise kultivirt wird, sincl eben nur spurliche Oasen in der ausgedehnten , diirren und w listen Steppe, und die Wassermenge reicht nicht hin, die Zahl dieser Oasen oder ihre Gebietsausdehnung wesentlich zu vergrb'ssern. Ein interessantes Beispiel hiervon liefert ein klirzlich zum Gegenstande ernes wahr- scheinlich jetzt noch in der Schwebe befmdlichcn Streites gewor- dener Fall. Im Jahre 1869 griindete cine in den Neuengland- staaten auschliesslich aus eingeborenen puritanischen Amerikanern bestehende Gesellschaft die Kolonie Greeley in -einer geschiitzten Lage an der Yerbindungseisenbahn zwischen Cheyenne und Denver am Fusse des b'stlichen Abhanges der P^elsengebirge. Sie Icgtcn Berieselungskanale an , bezogen das Wasser hierzu aus einem Caclie de la poudre genannten Bache, und gediehen so gut, als sich erwartcn liess. Einige Jahre darauf nun liessen sich anderc Ansiedler in dem Thale desselben Baches mehrerc Meilen aufwiirts .nieder. Auch sie legten natiirlich BeriesehmgskanaMe an, um ihr Land zu bewassern. Was geschah? Das zur Berieselung der Felder der Kolonie Greeley nothige Wasser blieb aus, die Be- rieselungskanale lagen trocken, und die Feldfruchte verdorrtcn, wcil die neuc Kolonie die beschrankte Wassermenge des Baches zur Berieselung ihrer Felder verbraucht hatte. Der Uebergang von dem ,,Prairie"- d. h. grasreicheri Ebenen- Charakter der nordwestlichen Staaten (Illinois und Jowa bcsonclers) in den Steppencharakter dieser Gegend ist ein allmaliger und es muss der Erfahrung iiberlassen bleiben, die Grenze festztisetzen, an welcher der nutzbringende Ackerbau unmbglich. Meine per- sonliche Kenntniss dieser Gegenden fiihrt mich zu der Ansicht, 29 da?p die wesentlich fortschreitende Welle der Ansiedlung diesc Grcnze im ganzen Nordwesten der Vereinigten Staaten (in den Staaten Minnesota , Nebraska und Kansas) be re its seit mehre- ren Jahren erreicht hat, ja dass dieselbe von Tausenden von Ansiedlern sclion iiberschritten ist. Diese Ueberschreitung racht sich urn so schneller und schwerer an den Betreffenden, als die trockenen Steppengegenden von einem anderen Uebel regelmassig , wenn auch mit perioclischen Unterbrecliungen heimgesncht werden, das den Ackerbau sogar an den ausnahmsweise giinstiger gelegenen Stellen sehr prekar macht, indem es die Ernten jederzeit mit der Wahr- scheinlichkeit ganzlicher Vernichtung bedroht. Dieses Uebel sind die Heuschr ecken, die diese Steppen in gewissen Jahren in dichten Wolken durchzichen , und mitunter vom Winde sogar weit in die feuchteren Ackerbaugegenden hineingetragen werden. Wo immer ihre Schwarme sich niederlassen , fressen sie Alles, was nur grii- nen mag, in der kurzen Zeit von wenigen Stunden bis auf den Stumpf kahl ab. Die unzahlbarcn Schwarme dieser Thiere bedecken das Land in ungeheurer Ausdehnung und sowohl 1863 als 1869 fand ich die Gegend von Omaha am Missouriflusse bis zum grossen Salzsee davon erfiillt. Ihre Yerheerungen sirid 1874 wieder so bedeutend gewesen, dass in Minnesota, Kansas, Ne- braska uncl sogar in Jowa viele Tausende ihre ganzen Ernte- aussichten zerstb'rt sahen, in die bitterste Nqth geriethen, und die Staatsbehorden gezwungen waren, sich ihrer anzunehmen und allgemcine Aufrufe zu ihrer Unterstiitzung an das Volk zu richten. Allcin in dem Staate Kansas, der eine Bevolkcrung von ungefahr 500,000 Einwohnern hat, betrng die Anzahl der Personen, die aus diesem Grunde wahrend des Winters 1874 1875 Unter- stiitzung erhielten, nach amtlichen Berichtcn nicht weniger als 32,614 und mbchte im ganzen Westen sich wohl mit 60,000 bis 70,000 Menschen beziffern. Um das Elend, dem diese Leute preisgegeben , gehb'rig zu wiirdigcn , muss man \\issen, was es heisst, cin solches neues Land zu besiedeln , namcntlich in diesen fernen westlichen Gegenden. Wahrend der letzten Jahre, besonders seit Yollendung der Ueber- land-Eisenbahn und verschiedener anderer Bahnen im Staate Kansas und Nebraska, schob sich die Grenze der Ansiedelungen sehr sclmcll nach Westen, und Einzelne der neuen Ansiedler sind bis iiber 200 Meilen westlich vom Missouri vorgedrungeri. Damit sind sie wohl schon iiber jene Grenze hinausgelangt , bis zu wel- cher die naturlichen Niederschlage einen gesicherten Ackerbau ohne Berieselung erlauben. Allerdings kann man sogar noch welter westlich ofters gereiftes Welschkorn sehen, aber stets nur in feuchten Jahren , wie im Durchschnitt nur Eins von Dreieii ist. In dieser Gegend findet sich, wie schon mitgetheilt, Holz 30 nur am Rande der Fliisse; Bauholz ist deshalb ausserordentlich selten und sehr theuer. Beinahe das einzige , vorhandene Holz ist Cottonwood eine Art Weide , und dieses , obzwar sehr zahe, besitzt das grosse Uebel, dass es , \venn zu Brettern und Bohlen als Bauholz verwendet, sich wirft, d. h. es verzieht sich auf kaum glaubliche Weise, welche die urspriinglichen Linien des betreffenden Brettes nur noch errathen lasst. Man ist daher ge- zwungen, es noch ganz griin zu verwenden und zu befestigen, um die Beibelialtung der erforderten Gestalt soviel als moglich zu erzwingen. Von diesem Material sind meistentheils die Hauser gebaut, und zwar der Art, dass auf ein sehr diinnes, leichtes, weniger Balken- als Stangengeriist die Bretter von oben nach unten aufgenagelt und die Fugen mit 2 Zoll breiten, diinnen Latten iiberdeckt werden. Das Dach wird mit Schindeln gedeckt. Sobald das Holz zu trockneii anfangt, verzieht es sich mit solcher Gewalt, dass es haufig sogar die Nagel ausreisst und alle Fugen \veit .offen stehen , so dass der Wind ungehindert hindurchpfeifen kann. Es giebt hiergegen kein anderes Mittel, als die Fugen von Zeit zu Zeit mit Lehm , oder, da dieser binnen Kurzem gewohn- lich wieder abfallt , mit alten Lumpen und dergleichen zu verstopfen. Meistens befindet sich nur Ein Raum in solchcn Hausern, und das Bett ist unter demDache, wohin eine Leiter fiihrt. Der einzige vorhandene Ofen , der Kochofen , muss das Haus erwarmen ; man besitzt weiter kein Brennmaterial als das Cottonwood und dann und wann etwas Ulmenholz. Was es heisst, im Winter hier zu wohnen , in dem der kalte W T ind mit einer in Europa ganz unbekannten Macht diese Ebenen im buchstablichen Sinne des W T ortes fegt, d. h. Alles nieder wirft und vor sich hertreibt, was nicht ganz besonders fest ist, vermag nur der zu beurtheilen , der die Gewalt eines Sturmes auf den Steppen kennen gelernt. Ira Herbste 1867 sah ich, wie der Wind einen Haufen gepresster Heuballen auseinanderjagte und die einzelnen Ballen , von denen jeder bei einem Inhalt von ungefahr 6 Kubikfuss und rechtwinklig eckiger Form ein Gewicht von 250 bis 300 Pfund hatte, mit einer Schnelligkeit vor sich hertrieb, dass ein Rennpferd denselben kaum zu folgen vermocht hatte. Ebendaselbst hatte ich im Winter 1867 1868 das Vergniigen, bei jedem Schneesturme in dem Schlafzimmer unseres Hauses von dem feinen, alle Ritzen und Fugen durchdringenden, mehlartigen Schnee dieser Gegend beim Erwaclien in der Hohe von mehreren Zoll bis zu anderthalb Fuss (in einem Falle) Alles, die Betten selbst naturlich nicht ausge- schlossen, bedeckt zu scheu. Zieht man nun in Erwagung , dass unser Haus von Brettern erbaut war, die auf der Union Pacific- Eisenbahn von Chicago, 1000 englische Meilen weit hergebracht waren, und sich nicht verziehen, wie das grime Cottonholz, so 31 kann man beurtheilen , was es heisst , ein Haus , wie eg die ersten Ansiedler auf den Ebenen gewohnlich besitzen , wohnlich und warm zu erhalten. Ausgenommen an ganz ruhigen schonen Wintertagen 1st hierzu die fortwahrende , angestrengte Arbeit ernes Mannes erforderlich. Und wenn den in der Regel klaren Tagen die Xacht folgt, tritt sogleich cine solche durehdringende Kalte ein , dass sowohl Mensch als Vieh deren Zunahme in dem Maasse, als die Soime sich dem Horizonte nahert, von .Augenblick zu Augenblick ,,fuhlt u , und ein Nebel von feinen, unsichtbaren, im Xu geformten Eisnadeln herniederfallt. Ein gehoriger Vorrath von Buffelfellen und Decken ist nothig, um den Menschen gegen die Alles durehdringende Kalte der klaren Nachte zu schiitzen. Theils um warmer zu sitzen, theils auch der grosseren Billigkeit halber schlagen Viele ihre erste Wohnstatte in einem sogenannten Dug-out auf. Ein Dug-out (von todig , graben, aus- gegraben) wird gewohnlich an der Sonnenseite einer Erhohung oder eines Abhanges angelegt, indem man in denselben hineingrabt und einen ebenen Platz herstellt, dessen Hinter- und Seitenwande der naturliche Boden (vorn etwa 6, hinten vielleicht 10 Fuss hoch) sind. Vorn wird eine Wand von Stangen und Brettern herge- stellt , und von demselben Material das Dach gemacht , das man mit der ausgeworfenen Erde ein bis zwei Fuss dick uberdeckt. In der hinteren Wand wird ein ,,Feuerplatz" angelegt. Ein sol- cher Dug-out ist entschieden das am biUigsten mit der wenigsten Mlihe und was besonders in Gewicht fallt, dem geringsten Auf- wande an Material herzustellende Winterquartier , und wird von den cliese Gegenden durchstreifenden einzelnen Jagern und Gold- suchern jedem Anderen vorgezogen. Auch um deswillen, weil ein Dug-out in richtiger Lage, der sich bios ungefahr 2 Fuss iiber das allgemeine Niveau des Landes erhebt, und oft nur an der aufsteigenden Rauchsaule uberhaupt w T ahrnehmbar ist, wenn er an jeder Wand mit einer Schiessscharte versehen und von 2, 3 oder 4 Mann , in solcher Zahl wohnen diese Jager gewohnlich zusammen , vertheidigt wird , eine selbst einem grossen Indianer- haufen gegeniiber beinahe uniiberwindliche Festung bildet. Wo hierzu geeigneter, sich dicht verfilzender Rasen vor- handen, baut der erste Ansiedler sein Haus auch von diesem Material. Eiri solches Haus ist schnell und billig herzustellen, warm im Winter und schutzt gegen den Wind. Es ist allerdings nicht leicht es reinzuhalten, denn von den an der inneren Seite der Wande trocknenden Rasenstuckeu lost sich fortwahrend die anhaftende Erde als Staub ab, steht aber trotz alledem durch- schnittlich zehn Jahre lang und eine Ausfiitterung der Wande im Innerii schiitzt die Raume gegen den grobsten Schmutz und giebt, 32 \venn sie, wie es oft geschieht, mit Papier-Tapeten beklebt 1st, denselben sogar ein ganz gutes Ansehen. Der neue Ansiedler in solclien Gcgenden liat , sogar \vcnn geniigender Proviant im Hause, im Winter vollauf zu thun, um nur Brennmaterial herbeizuscliaffcn. Dcnn die Paar Biiume, die vielleicht an dern Wasserlaufe seiner Nachbarschaft gestandcn haben, sind schnell verbraucht,' und er muss bald meilenweit dcm unentbehrlichen^Holze nachgehen, es fallen und nach Haus schlep- pen. Im Hause wird es dann niclit nur zur Belieizung verwcndct, sondern auch, um das nothige Wasser herbeizuschaffeii. Demi der kleine Bach ist meistens bis auf den Grund zugefroren, und Brunnen sind niclit vorlianden , da ihre Anlage mitunter selir vielc Arbeit erfordert. Ich erinnere micli eines Falles, dass ein Mann mit einer wahrliaft eisernen Au sdauer durcli theilweisen Felsgrund nicht weniger als 140 Fuss den Schacht hinuntertrieb , elic er Wasser erreiclite. In den ersten Jahren aber kann hiervon gar nicht die Rede sein, und man ist in der kalten Winterzeit be- mussigt, das nothige Wasser durch Schnielzen von Schnee oder Eis sich zu verschaffen. Sind die geschilderten Schwierigkeiten , mit denen der An- siedler in einem neuen Lande, wie es die westlichen Ebenen sind, zu kampfen hat, schon so gross, dass sich die Bevolkerung von Gegenden, die seit langer Zeit kultivirt sind, nur sehr schwer eine Vorstellung davon zu bilden im Stande sein diirfte, so iibersteigt die Noth dieser Leute alle Begriffe, wenn sie sogar der Nahrungsmittel entbehren. Namentlich in den letzten zwei Jahren ist die Zahl der neuen Ansiedler eine ungewb'hnlich grosse. Tausende von Leuten aus den Stadten und dem Osten rafften unter dem Drucke der sich fortwahrend verschlechternden Zeiten ihr Weniges zusammen und gingen auf die Ebenen hinaus, sich dort eine Heimstiitte zu griinden. Ihre Mittel reichten vielleicht gerade aus, um sich ein Hauschen der ges.childerten Sorte zu erbauen, ein Fuhrwerk nebst den unentbehrlichsten Ackergerathen zu beschaffen und einen Theil ihres Landes zu bestellen. Schon das Jahr 1873 zeichnete sich nicht durch eine aussergewohnliche Feuchtigkeit aus, und ihre Ernte war deshalb nicht eben reichlich. Im Jahre 1874 aber bestellten sie ihr Land auf's Neue. Als die Anpflanzungen so weit gediehen waren, dass das Getreide schon Aehren trieb und die Ernte binnen Kurzem bevorzustehen schien , verdunkelten auf einmal die heranziehenden Wolkeii der Heuschrecken die Sonne. In unzahlbaren Myriaden Helen sie auf Alles nieder, was da griinte und bliihte, in zwei, hb'chstens drei Tagen war jederHalm, jedes Blatt verschwunden, das an den Sommer erinnerte, und dem Aussehen der Felder nach schien der Winter uimiittelbar vor der 33 Thiire. Vcrzwciflung ergriff die Armen. All' ihre Miihe und Arbeit war vcrloren, und ini buchstablichcn Shine des Wortes starrtc dcr Hungcrtod ihnen in*a Angcsicht. Denn sic besassen niclit, wie iiltcre Lander in solchen Fallen, aufgestapeltc Vorrathe friiliercr Jahre, mit dcnen sie sicli bchclfcn konnteiij und Hire wenigcn Geldmittel waren langst erschopft. Ganzlich hilflos salien sie sich aussclilicsslich auf die Unterstutzungcn angcwiescn , die ihnen zuflicssen mochtcn. Der Aufruf zur Hilfe blieb allcrdings nicht ohne Erfolg, und die einlaufcndcn Untcrstutzungen in Geld, Proviant, Klcidern u. s. w. rcichtcn \volil aus, das Leben zu fristen. Denn es muss der amerikanischen Bevolkerung das Lob gespendet werden , dass sie bei dcrartigen Gelegenheiten stets offene.Hande hat, und in der Art, \vomit sie nicht nur reichlich, sondern, was beinahe noch wichtiger, schncll und ohne Zogern gibt, was sie nur cut- behren kann, unter alien Volkern uncrreicht dasteht, mancher civilisirten Nation zum Muster. Ein Fall, wie die Hungersnoth in Ostpreussen , von dem erst nach monatelangem Leiden und Hunger der Betreffenden auf die bedachtlichste Weise iibcrhaupt Xotiz genommen wurde, und in dem die Hilfe erst dann zur Ver- thcilung gelangte , nachdem die Sache in alien Instanzen von alien Seiten gehorig gepriift war, damit nur ja nicht ein Paar Kreuzer Jemand zufielen , der dieselben nicht durch cine entsprechende Portion Hungerleiden verdient hatte, ist in Amerika vorlaufig wenigstens noch nicht denkbar. Aber wenn die amerikanische Liberalitat auch ausreicht, die betroffencn 60,000 oder 70,000'Menschen vor dem wirklichcn Hungcrtode zu schiitzen, so kann sie doch die Ursachen der Noth nicht beseitigen, und ihrer Wiederkehr vorbeugen. Denn das- selbe, was in dicsem Jahre geschehen, kann in irgend einem fol- gcndcn Jahre sich wicdcrholen, und die Ernte in diesen Gegenden hiingt lediglich von dem Zufalle ab , der die Heuschreckenschwarme bald hierher, bald dorthin treibt, und sie das eine Jahr in nur geringer Zahl, das andere in ungeheucren Schw r armen erscheinen liisst. Man kann also kiihnlich bchaupten, dass der Mehrzahl dicser Leute kaum etwas Bcsscres iibrig bleibc, als ihre erwar- teten Hcimstatten wieder aufzugeben und in die altcren Ansied- limgen zuriickzukehren. Und im Lichte der gemachten Erfahrungen dtirftc die Aussicht, sich auf den Ebenen des fernen Westens Heimstattcn zu griinden, in Zukunft wohl nur Wenigcn noch ver- lockend dunkcn. Man darf iibrigens hieraus nicht schliesscn, dass dieses ganze tingeheucrc Gebiet vollkommen wcrthlos sei. Grosse Strecken desselben eignen sich vielmehr vortreiflich zu ciner ausgedelinten Yiehzucht, wie dieselbe heutigen Tages schon im Staate Texas, in 5 34 den Pampas der La Plata Staaten oder in den Kirgisensteppen betrieben wird. Aber diese Viehzucht muss nothwenclig eine no- madische sein, und die Heerdcn miissen im Wesentlicheii die Ziige der gegenwartig dort noch sich erhaltenden Biiffel, die noch vor wenigen Jahren in Heerden von Zehntausenden liber die Ebenen wanderten , wiederholen. Ehe dies aber moglich sein wird , miissen nicht nur die wilden Indianer ganzlich ausgerottet und geziihmt sein, sondern es muss auch betreffs dieser Landstrecken eine eigene Gesetzgebung geschaffen werden, die die Rechte der Heerdeneigen- thiimer feststellt, woriiber jedenfalls noch geraume Zeit vergehen wird. Bis dahin sind diese ausgedehnten Gegenden mit Ausnahme der zerstrcuten Bergwerksansiedlungen , oder der wenigen acker- bautreibenden Oasen, deren hauptsachlichsten die durch ihren be- sonderen religiosen Gesellschaftsverband zusammengehaltenen An- siedlungen der Monnonen sind, praktisch vollkommen werthlos. Die Gegenden an der Kiiste des Stillen Oceans habe ich in dieser Beschreibung nicht erwahnt. Betreffs ihrer bemerke ich zuerst, dass ihre Ausdehnung bei Weitem nicht so gross ist, als gewb'hnlich angenommen wird, indem der eben geschilderte wiiste Steppencharakter des Landes sich bis zur Sierra Nevada (und ihrer Fortsetzung im Staate Oregon und im Territorium Washing- ton) unverandert erhalt. Es bleibt also nur ein langgestreckter, im Durchschnitt ungefahr 30 geographische Meilen breiter Kiisten- strich zur Besiedelung iibrig. Aber sogar in der Siidhalfte dieses Kiistenstriches , d. h. in dem ganzen Theile des Staates Califor- nien, der siidlich von der Hauptstadt Sacramento oder von der Bucht von San Francisco liegt, setzt sich die grosse Trockenheit in dem Maasse fort, dass die Regemnasse oft in zwei bis drei aufeinanderfolgenden Jahren nicht bedeutend genug ist, urn irgend eine .Ernte hervorzubringen. Wahrend meiner Anw r esenheit in Californien verdorrte in jedem der drei aufeinanderfolgenden Jahre 1869, 1870 und 1871 die Saat in diesem Distrikte, und die Bauern hatten Miihe, Arbeit und Aussaat verloren. Um sichere Ernten zu erzielen , muss demnach auch hier zur Berieselung ge- griffen werden. Die wenigen Strecken aber, die zur Berieselung geeignet , sind sammt und senders schon in die Hande von Privat- eigenthiimern iibergegangen, und miissen von ihnen fiir sehr theu- ren Preis erworben werden. Dasselbe ist mit den guten Landereien des sehr gebirgigen nordlichen Californien's und des Staates Oregon der Fall, die sonst in klimatischer Beziehung sehr zu empfehlen sind. Es bleibt dem Ansiedler also nur noch das im hochsten Nor- den gelegene Territorium Washington iibrig. Dieses leidet wieder an ubermassigem Regen und ist mit so dichtem Urwalde bestanden, dass dessen Ausrodung sich wohl kaum lohnen mochte, namentlich, da der Boden eher sandig, als reich genanut zu werden verdient. 35 Im Ucbrigcn wird in Folgc von Umstanden, die ich gleich welter erklaren werde, alles daselbst imd an anderen Orten noch befindliche, brauchbare Regierungsland binnen Kurzem vollstandig vcrgriffen sein, so dass wir als Endresultat dieser Auseinander- setzung kurz und biindig erklaren kb'nnen , dass in den Vereinigten Staaten gegenwartig (im Winter 1874 1875) kein Ackerland mehr existirt, das dem Einwanderer oder Ansiedler zur Besitznahme nach dem Heim st attegesetz offen stande und zum Anbau geeignet ware. Wenn namlich hier und da noch etliche Strecken solchen Landes gefunden werden sollten, so haben der Kongress und die Regierung durch die grossartigen Landschenkungen , die seit im- gefiihr zehn Jahren an Eisenbahngesellschaften gemacht wurden, dafiir gesorgt, dass dasselbe nicht mehr in die Hande gemeiner Ansiedler fallen konne. Diese Schenkungen beziffern sich auf un- gefahr 300 Millionen Acker, d. h. auf einen Flachenraum, mehr als doppelt so gross, wie das gegenwartige deutsche Reich. Als Vorwand gait, das Land zu r ent\vickeln", und den Bau von Eisenbahnen zu befordern; aber man mochte wohl das Richtige trcffen, wenn man als die wahren Griinde dieser Schenkungen zweie ansieht, namlich erstens: vor Thorschluss den Rest alles noch aufzufindenden gut en Landes in die Hande von Spekulanten zu spielen, die die vertrauten Freunde der Mitglieder der Regie- rung und des Kongresses, und jedenfalls nach Kraften erkenntlich sind. Zu diesem Zwecbe ward vielen dieser Landschenkungen die Klausel beigefugt, dass die betreffenden Gesellschaften in ge- w r issen Fallen, z. B. wenn schon Ansiedler auf dem Lande, oder wenn zwei sich durchschneidende Bahnen dasselbe Land bean- spruchen miissten, und innerhalb der vorgeschriebenen Grenzen eine ausreichende Quantitat nicht vorhanden sei, das Recht haben sollten, die ihhen geschenkte Anzahl Acker durch Aufnahme irgend eines beliebigen Stiickes Regierungslandes vollzahlig zu machen, Da aber alle vorhandenen Stiicke guteu Landes bei Weitem nicht ausreichen, auch nur einen Theil der Landschenkungen zu be- friccligen , ^so erstreckt sich weitaus der grossere Antheil derselben auf vollkommen werthloses Terrain. Und als Grund der Ver- schenkung dieses Landes an die vertrauten Freunde und Eisenbahn- spekulanten kann nur der angesehen werden; dass es einer Eisen- bahnkompagnie, die so und so viele Millionen Acker Land besitzt (naturlich alles guter ausgezeichneter Weizenboden", wie der an der nordlichen Pacific-Eisenbahn , der nur der einen Unbequemlich- keit ausgesetzt ist, ungefahr zehn Monate im Jahre Winter, und was f iir einen , zu haben) sehr viel leichter wird , auf Grund sol- cher ausgezeichneten Sicherheit ihre Aktien auf dem Geldmarkte zu verwerthen, da die Mehrheit der Kaufer eben keine Idee da von 36 hat, dass so manclie Million Acker des betreffenden Landes nicht einmal flinf Thaler wirklichen Werth darstellt. Sie erfahren Letzteres vielmehr erst, wenn die betreffende landerreiche Eisen- bahn wegen unterlassener Zinsenzahlung endlich zum Banker ott ge- drangt und b'ffentlich versteigert wird. Das Heimstattegesetz kann also fiiglich als thatsachlich erloschen betrachtet werden. Jecler, der jetzt noch nach den Vereinigtcn Staaten auswandern will , mit der Absicht , sich da- selbst Landeigenthum zu erwerben, kann sich sogleich mit dem Geclanken vertraut machen, dass er jedenFuss, den er zu bcsitzen wiinscht, kaufen muss. Und zwar durchaus nicht zu sehr billigen Preisen. Es werden allerdings ungeheuere Strecken Landes in den schon besiedelten Staaten zum Verkauf feilgehalten , ja, man konnte sogar behaupten, dass in gewissem Sinne beinahe alles Land kauflich sei, denn bei clem Spekulationsgeiste der Bevolke- rung ist kaum Einer aus Tausenden zu find en , der bei elnem ihm annehmbar diinkenden Gebot nicht auf der Stelle bereit ware, sein Eigenthum , wie es steht und liegt , dem Kaufer j?u tiber- geben. Aber die ganze Landspekulation hat das Eigenthiimliche, dass derjenige Werth, der sich erst durch langjahrige Entwicke- lung der Gegend herausstellt, schon im Voraus, und zwar in dem Grade beansprucht wird , als ob die Entwickelung der Ictztcn zwanzig Jahren sich in clem gleichen Zeitraume in der Zuktmft regelmassig wiederholen miisste. Der Landverkaufer wird seinem Kunden mit der ernstesten Miene versichern , dass sein zu ver- kaufendes Stiick Land vor 10 oder 15 Jahren in der Wildm'ss lag, als er es zu l'/ 4 Dollars den Acker kaufte; dass jetzt die Gegend so und so viele Einwohner hatte, gerade zwanzig-, fiinfzig-, hundert- oder tausendmal soviel, als damals; dass der Fortschritt und die Zunahme der Bevolkerung nur noch die nachsten zwanzig Jahre in demselben Maasse vor sich zu gehen brauchte, um aus dem jetzigen Stadtchen eine Weltstadt zu machen, die London weit hinter sich lassen und wahrscheinlich der Mittelpunht des Weltalls sein wtirde und dass in Anbetracht dieser sicheren Zu- kunft sein per Acker erworbcnes Land gegeirwlirtig nur per Quaclratfuss , zu so und so viel Dollars per Fuss zu verkaufen sei. Und da es genug Leute gibt, die nicht Scharfsinn genug besitzen, um zu bemerken, dass das Verhaltniss der Vermehrung der Bevolkerung, welches die erste Besiedelung eines Landstriches ergab, eben ein ganz aussergewohnliches ist, das bei der ferneren Verdichtung ganz und gar nicht eingehalten werden kann; class ferner der zukiinftige Fortschritt des Landes eben nur durch die Arbeit der wirklichen Ansiedler erzeugt werden muss , und dass, wer den Preis bezahlte, welcher der zukunftigen Entwickelung entsprechen mochte , einfach das Arbeitsverdienst der bevorstehenden 37 Jahrc gegenwartig den Spckulanten schenkt, so gelingt es Letzteren nicht sclten, das Land zu einem von seinem eingebildeten , zu- kiinftigen \Yerthe wesentlich beeinflussten Preise zu verkaufen. Eine \veitere Fo]ge 1st, dass im Allgemeinen der Prcis des Landes in den Vereinigtcn Staaten ein ziemlich hoher, und allcnthalben grosse Strecken Landes zu finden sind, welche von Spekulanten gehalten werden, bis die durch die Arbeit ihrer Nachbarn erzeugte allgcmeine Preissteigerung der Bodenwerthe auch ihreni Stiicke Land, fiir dessen Entwicklung sie nicht das Geringste thun, den Preis gegeben hat, unter welchem zu verkaufen sie nicht geneigt sind, weil er ihnen ja mit der Zeit bezahlt werden muss. Haben iibrigens die Nachbarn des Spekulanten an alien Seiten ihr eigenes Land eingezaunt, so ist damit auch das Land des Spekulanten eingezaunt, und er im Stande, dasselbe auszuniitzen , indem er es verpachtet. Diese die Aussichten der Zukunft vorwegnehmende Speku- lation zeigt sich auch in der Thatsache, dass es in den Vereinigten Staaten kaum eine Stadt , gross oder klein, gibt, um welche heruni auf meilenweite Entfernung das Land nicht in Baustellen abgesteckt und ausgelegt ware. Sollten alle diese Baustellen einst wirklich mit Hausern bebaut und bewohnt werden, so miisste das Land eine Bevolkerung haben, deren Dichtigkeit die bevolkertsten Gcgenden Belgiens oder das chinesische Reich nur als wenig be- siedelte Einoden erscheincn lassen wiirde. Ich habe Stadtchen von 1500 Einwohnern gesehen , z. B. San Diego im siidlichen Californien, die inmitten eines Landstriches lagen, der bei kiihler Beobachtung und grosstmoglichster Ausniitzung aller vorhandenen naturlichen Hilfsquellen die Moglichkeit darzubieten schien, in ferner Zukunft, wenn namlich alle diese Hilfsquellen erst durch langjahrige hartc Arbeit der Ansiedler nutzbar gemacht scin wer- den, hochstens ungefahr 100,000 Menschen- zu ernahren; die un- vermeidliche Schaar der Landverkaufer hatte aber den Grund und Boden in einer Ausdehnung von drei deutschen Meilcn von Nor- den nach Siiden und zwci deutschen Meilen von Osten nach ^Vesten in lauter Baustellen von 25 bis 100 Fuss ausgelegt, und war beroit diesclben , (beilaufig bemerkt , zum grb'ssten Theile Land, das zum Acker- oder Gartenland ganzlich ungeeignct), an Jeden, der sie haben wollte, zu den sehr billigen Preisen von 100 bis 1500 Dollars das Stuck zu verkaufen. "Wurden diese Baustellen wirklich je mit einem Hause bebaut und wohnte in jedem Hausc eine Familie, so miisste die Stadt nicht weniger als ungefahr drei bis vier Millionen Einwohner haben. Um Chicago herum, das iibrigens seiner Lage nach die beste Aussicht hat, es w r irklich bis zu einer Million Einwohner oder mehr zu bringen, ist die gauze Gegend bis auf vier und fiinf deutsche Meilcn vom Rathhause aus in Baustellen ausgelegt, und 'die solchergestalt fiir die zukiinftige Stadt zum Bebauen fertig gehaltene Strecke kann kaum weniger als zwanzig bis dreissig gcographische Quadratmeilen betragen, in welchem Gebiete unge- fahr die Kleinigkeit von zwei Millionen Baustellen zu wahrcn Schleuderpreisen zu haben sind, wenn man namlich den geforderten Preis mit dem Preise einer Baustelle im Herzen Londons ver- gleicht. Ware man verwegen genug, dies nicht zu thun, so wiirde man nicht nur den Landverkaufer , sondern die gauze Be- volkerung der Stadt beleidigen, und hatte die Aussicht, wenn nicht Priigel zu kriegen, doch jedenfalls von der Presse als ein unverbesserlicher Croaker ,,Krakler", der die sichere Zukunft un- seres Weltmittelpunktes zu bezweifeln wagt, an den Pranger ge- stellt zu werdon. Die Beschaftigung des Landverkaufers (Real Estate Agent) ist iiberhaupt eine specinsch amerikanische , und besteht aus- schliesslich darin, durch die ausgedehnteste Anwendung aller nur erdenklichen Ueberredungskiinste, Prahlerei u. s. w. die Vorziige des zu verkaufenden Landes in's Licht zu stellen , und so den Preis in die Hohe zu treiben, Wer die beste Ueberredungsgabe besitzt und dem Kaufer die zu erwartenden Vorziige und Aus- sichten in den grellsten Farben vorzumalen versteht, tragt in diesem Geschafte naturlich den Sieg davon. Und da die grosse Mehrheit der Verkaufe nur zu dem Zwecke weiterer Spekulation abgeschlossen werden , indem der Kaufer das eben gekaufte Land dem Landagenten zum sofortigen "Wiederverkaufe naturlich zu er- hohtem Preise iiberlasst, so reduzirt sich diese Beschaftigung eben darauf , durch immer erhb'hte Vorspiegelungen den Preis des Landes fortwahrend mehr und inehr in die Hohe zu treiben. Der jedes- malige Verkaufer ,,macht" den Unterschied zwischen seinem Ein- kaufs- und seinem Verkauf spreise ; der Landagent ,,macht" seine Kommissionsgebuhren; das Land wird in Folge der Anstrengungen dieser niitzlichen Menschenklasse ohne irgcnd welche Arbeit immer mehr \verth, die Nation daher auf dem Papier immer reicher; und da -doch schliesslich alle diese verschiedenen Gewinnste von Jemandcm bezahlt werden miissen, bezahlt eben irgend ein Ungllicks vogel , in der Regel ein ehrlicher Tolpel, der das Land wirklich mit der Absicht einer Besiedelung gekauft hat. Denn die Spekulanten leisten gewohnlich nur kleine Anzahlimgcn und lasseh, sobald sie merken, dass die Sache schief geht, ihre An- zahlung einfach im Stiche. Der ehrliche Narr dagegen, der seine ganzen Ersparnisse in seiner Baustelle angelegt hat und es sich nun auf dem erworbenen werthvollen Eigenthum wohl sein lassen wollte, sieht auf einmal das Hereinbrechen dessen, was man eine Krisis nennt , und wird gewahr, dass er nicht im Stande ist , den Rest 39 seiner Zahlungen zu machen, ebensowenig aber, sein werthvolles Gut fur einenPreis zu verkaufen, der auch nur diesen Rest decken wiirde. Folge: Er wird einfach hinausgeworfen und hat seine Ersparnisse verloren. Em Englander, der die Vereinigten Staaten bereiste, gibt in einem, im ,,Xew-York Herald" erschienenen Briefe folgende trcifcnde Schilderung der Grundeigenthums-Agenten : ,,Das Grundeigenthums - Geschaft besteht aus den Ab- machungen einer rein kimstlichen Spekulation, die beinahe ganz obne Kapital ausgefiihrt werden. Irgend Jemand, der wirkliche Arbeit nicht thun will und der nicht fahig ist, ein reelles Geschaft zu ftihren, wirft sich auf den Handel mit Grundeigenthum, uberredet sich selbst und seine Bekannten, dass ,,Millionen darin stecken", und lebt wie Colonel Sellers (der Held eines Theater- stuckes) von Riiben und kaltem Wasser, bis irgendein einfaltiger ncuer Ankommling seine Erscheinung macht, der um sein Geld, wie viel es immer sein moge, beschwindelt werden kann u. s. w. a Im Uebrigen mochten in Amerika wenige Landagenten die Naivitat besitzen, welche Sardou in seinem Stiicke Uncle Sam dem Herrn Samiel Tapplebot zuschreibt. Dieser theatralische Landagent kauft namlich einer Franzb'sin, die ihm vorher ein Stuck Sumpfland als reichen werthvollen Ackerboden abgenommen und baar (!) bezahlt hatte , dasselbe Land wieder ab aus kei- nem anderen Grunde , als weil diese Franzosin so uberaus gescheidt istj sich mit ihrem Kaufe zufriedenzustellen , und noch mehr von demselben Lande kaufen will. Ein Amerikaner, der in solchem Falle der gescheidten Franzosin nicht auf der Stelle ein weiteres Stuck Land, wenn auch halb auf Kredit ,,aufhangen" wiirde, mochte zum ,,Landagenten u schwerlich passen, Im Vorhergehenden habe ich gezeigt, dass der Vortheil, den Amerika bisher dem Einwanderer dargeboten, zu geringen Uiikosten Landeigeiithum zu erwerben, berelts erloschen ist. Die Wichtigkeit dieses Punktes ist nicht zu unterschatzen. Denn diese Moglichkeit stellte es in die Macht jedes einigermassen sparsamen Arbeiters, Landbesitzer, sein eigener Herr zu werden; sie zog viele Leute aus den grossen Stadten, in denen sie bisher als Handlanger bei Bauten und in almlicher Beschaftigung, oder auch als Handwerker gearbeitet und sich die nothigen Paar Thaler ge- spart batten, auf das Land hinaus. Der dadurch verursachte Abfluss von Arboitern nach den neuen Ansiedelungen schuf fort- wiihrend jene Liicken in der Arbeiterklasse der Stadte, die es allein ermoglichten , dass die neu nachriickenden Schaaren der Ein- wanderer sogleich oder binnen Kurzem lohnende Beschaftigung fanden. Mit dem Aufhoren dieses Abfluss es sind die Arbeit er natiirlich gezwungen, in den Orten zu bleiben, die ihnen Be- 40 schaftigung bictcn. Jcder Einzelnc aber , dcr in friihcrer Zeit mit 200 oder 300 erspartcn Dollars nach dcm Westcn gegangen \\ -are, um sich dort niedcrzulasscn , jetzt abcr auf scinem bisherigen Platze bleibt, schneidct natiirlich cincm ncucn Einwandcrcr die ihm untcr fruhercn Umstanden gcbotene Moglichkcit ab, cin loh- nendcs Untcrkommcn zu finden. Fiir die Deutschen ist dieser Umstand von um so grosscrer Wichtigkeit, als unter ihnen die Zahl Dcrer, die sich auf dem Landc ansiedelten, sehr bedeutend war. Namentlich betrifft dies die in so grosser Masse einwandcrnden landlichen Arbeitcr Nieder- deutschlands. Diese verrichtetcn in den ersten Jahren nach ihrer. Ankunft gewb'hnlich die schwere Arbeit in den Stadten, \vozu sic ihre durchschnittlich bedcutende Korperkraft und Ausdauer bo- sonders befahigte. Bei der ihnen eigenen Sparsamkeit batten sich diese Leute innerhalb zweier oder dreier Jahre gewohnlich genug erspart, um die Ansiedelung zu versuchen, und sie machteri dann von den Vortheilen des Heimstattegesetzes Gebrauch. Wohl Hun- derttausende von ihnen haben es durch zahen Fleiss heutigen Tages zu unabhangigen Bauerngutern in den westlichen Staaten gebracht. Indem diese Leute von jetzt an gezwungen sind, in den Stadten auszuharren , verschlechtert sich namentlich die Lage der Klasse, welcher sie angehb'ren, namlich der gewohnlichen Tagarbeiter. Wir beriihren nun eine zwcite wichtige Frage. Bisher sind die natlirlichen Reichthumer des Landes schlechthin ausgebeutet worden, so dass dieselben jetzt mit der grossten Schnelligkeit zu schwinden beginnen. Die Tragweite dieses Umstandes ist noch wenig in's Auge gefasst, ja beinahe noch nie erwahnt worden. Und dennoch liegt darin, meiner Ansicht nach. wenn nicht der einzige , doch sicher der hauptsachlichste Grund des hohen Lohnes, den Arbeiter aller Art bisher in Amerika verdienten. Ich mcine die erste Ausbeutung der im jungfraulichen Boden gleichsam als natiirlich.es Fett aufgestapelten Reichthumer; sie hat es moglich gemacht, Jahre lang hintereinander mit dem geringsten Aufwande an Miihe und Arbeit , lediglich sich darauf beschrankend , die Saat in den oberflachlich gelockerten Boden hineinzustreuen, und nach Verlauf der gehorigen Zeit die Ernte einzuheimsen , Ertrage bis zu. 50 und 60 Bushel Weizen per Acker nicht zu erzielen, - deiin von einer rationellen Landwirthschaft war kcine Rede, sondern zu gewinnen. Dies der Grund , warum der ganze Landbau in den Vereinigten Staaten beinahe ausnahmslos bis zur Stunde nichts ist, als ausschliesslicher Raubbau , warum die grosse Mchrheit der Bauern , die einzige Ausnahme bilden eben die sehr Wenigen , die die Kenntniss einer regelmassigen Landwirth- echaft ganz neuerdings von Europa mitgebracht haben 5 von 41 eincr anderen Bearbeitung des Bodens Nichts weiss , und nicht einmal im Stande 1st, dieselbe soweit einzufuhren, als sie sicli allgemach bezahlt machen wiirde. Es ist dies fcrner der Grund des im Vergleich mit Europa so erstaunlich gcringen Bedarfes an landlichen Arbeitern, der in den Vereinigten Staaten in grosserem Maasse eben nur wahrend der kurzen Erntezeit besteht. Deahalb drangen alle Arbeiter sich in den Stadten zusammen, weil sie eben nur dort einigermassen Aussicht auf anhaltencle Beschaftigung haben. Der Ackerbau da- gegen gibt ihnen nur wahrend sechs Wochen guten, wahrend einiger Wochen niedrigen Lohn, und verdammt sie den ganzen Rest des Jahres zum Stillliegen , natiirlich auf eigene Kosten. Ich horte diese Sachlage von einem nach Deutschland zuriickkeh- renden Landarbeiter biindig und drastisch in den Worten aus- driicken: ,,In Amerika -verdient man in der Erntezeit drei Dollars den Tag, im Friihjahr und Herbst muss man fiir sein Fressen arbeiten , und in den sechs Wintermonaten dem Bauer das Fressen theuer bezahlen." Ist also der Arbeiter gezwungen, sich der bestandigen Be- schaftigung halber in den Stadten aufzuhalten , so entsteht natiir- lich wahrend der kurzen Erntezeit in den Landgegenden ein drin- gendes Bediirfniss nach Arbeitern, in Folge dessen der Lohn in dieser Zeit bis auf die fiir europaische Verhaltnisse unglaubliche Hohe von 2 l / 2 bis 3, ja mitunter bis 4 Dollars den Tag steigt. Das Geriicht von der starken Nachfrage nach Arbeitern zu solchen Lohnen dringt bis Europa und verlockt dort Manchen zur Aus- wanderung, der sogleich den falschen Schluss zieht, dass er zu solchem Lohne im Jahre eine ganz bedeutende Summe verdienen musse. Moglicherweise trifft er dann dort zu einer Periode ein, in welcher ihm eine vier-, fiinf- oder sechsmonatliche , beinahe ganzliche Arbeitslosigkeit in's Gesicht starrt. Die diesen Verhaltnissen zu Grunde liegende Raubwirthschaft war und ist so lange die einzig mogliche, als ihr noch jung- fraulicher Boden in solcher Ausdehnung zu Gebote steht, dass der Ertrag dieser Landereien einen bestimmenden Einfluss auf den Preis der landwirthschaftlicheri Produkte ausiibt. Denn so lange dies der Fall, ist keine Moglichkeit durch den Versuch einer rationellen Bewirthschaftung solcher Landereien, die diesen Prozess schon durchgemacht und von ihm ausgesogen worden sind, Pro- dukte zu liefern, die mit jenen in Konkurrcnz treten konnen. Die rationelle Bewirthschaftung verlangt eben einen Aufwand an Ar- beit, sonstigen Kosten und Kenntnissen, der es unmoglich macht, ihre Produkte zu jenem Preise zu liefern, zu welchem der jung- frauliche Boden dieselben hervorzubringen im Stande ist. Denn es ist leicht einzusehen , dass die Differenz zwischen 6 42 dem Preise, den der Landwirth in Amerika und der in Europa, jeder fiir dieselben Produkte einstreicht, dem Unterschied der Transportkosten von beiden Erzeugungspliitzen nacli Liverpool entspricht, dessen Getreideborse bekanntermaassen den Preis fiir die ganze Welt feststellt. Wenn also der amerikanische Bauer, der einen geringeren Preis fiir seinen Weizen erhalt, dennoch ira Stande ist, wahrend der Ernte seinen Arbeitern drei Dollars im Tage zu bezahlen , so griindet sich diese Moglichkeit nur darauf, dass er eben alle Arbeitskraft und Kosten, die der Landwirth in Europa zur regiilaren Bearbeitung seiner Felder wahrend des Jahres verwenden muss , nicht benothigt , sondern sobald sein Ge- treide geschnitten, und, was auf der Stelle geschieht, gedroschen und in Sacke gcfasst ist, seine theuren Arbeiter sammt und son- ders sofort ablohnt, und erst bei der Ernte des nachsten Jahres wieder irgendwelche Ausgaben fur Arbeitskraft zu macheii ge- zwungen ist. , Nun ist aber der auf solche Weise nutzbar gernachte jung- frauliche Reichthum des Bodens in alien seit einiger Zeit besie- delten Staaten schon erschopft. Seine immer nach Yerlauf von zehn bis fiinfzehn, hochstens von zwanzig Jahren eintretende voll- kommene Erschopfung war bisher unter Anderem einer der we- sentlichsten Griinde , weshalb die Ansiedelungen immer weiter nach Westen sich verschoben und immer neuer jtmgfraulicher Bodenreichthum dem Aussaugungs-Prozesse unterworfen wurde. In den alteren Staaten, deren ausgesogener Boden schliesslich nicht mehr eintragen wollte , als ungefahr zehn Bushel Weizen per Acker, ward dagegen der Anbau der Stapelprodukte w r ie Weizen, Welschkorn und im Siiden Tabak, Baumwolle und Zucker allmalig als nicht mchr lohnend beinahe ganzlich aufge- geben, und der Bauer zieht nur noch die kleineren Nebenprodukte der Landwirthschaft , oder verlegt sich auf Viehzucht. In dem Maasse aber, als sich der Anbau der Hauptmasse der grossen Stapelprodukte nach Westen verschob, stiegen natiir- lich der immer weiteren Entfernung halber die Transportkosten nach Liverpool. Mit dem Steigen dieser sank der Preis des Weizens u. s- w. am Erzeugungsorte , und der Profit der Bauern wurde geringer. Gegenwartig hat nun der Aussaugeprozess des jungfraulichen Bodens bereits die Grenzen erreicht, die ich schon aus klimatischen Ursachen als jene des moglichcn Ackerbaues angab. Im gegenwartigen Augenblicke sind die Staaten Minnesota, Nebraska und Kansas und die pacifischen Staaten Californien und Oregon die Weizen produzirenden Lander der Union. Die jenen ersteren Dreien zunachst b'stlich angrenzenden Staaten Wisconsin, Jowa und der reiche Prairieboden von Illinois, sind schon soweit ausgebeutet, dass ihr durchsclmittlichcr Ertrag auf weniger, 43 stellenweisc sogar auf weit weniger, als zwanzig Bushel Weizen per Acker gesunken 1st. In welcher Weise der Bauer Amerika's die Landwirthschaft betreibt, wird das folgende Beispiel deutlich machen. Im Spat- sommer 1869 kam ich nach Woodstock , einem ungefahr 25 Meilen nordlich von Sacramento im Staate Calif ornien gelegenen Stadt- chen, oder nach europaischen Begriffen, Dorfe. Dieser Ort liegt inmitten der vom reichsten Alluvialboden gebildeten Tiefebenen des Sacramentothales , das sich nach alien Seiten hin in die weitc Feme erstreckt und im Westen Hebt sich ernpor im Strahlenglanze Sierra's feme , steile Hoh', Gezackt, gleich einer Spitzenfrans-e Am blauen Himmel, weiss wie Sclmee! Im Osten erstrecken sich die dunklei en , graubraunen Hohen der Coast Rancje, dcs Kiistengebirges Californiens. Der Boden des Thales ist so eben , gleichformig , dass er dem Dampfpfluge auch nicht das geringste Hinderniss darzubietcn scheint , und das ganze Land ringsumher lag in seiner staubgrauen Sommer- und Herbstfarbe, so weit das Auge reichte, ode und verlassen da, kein Mensch, nicht eirimal ein Stuck Yieh war zu sehen. Die Stadt ,selbst bestand aus einem oder zwei Gasthofen, mehreren Laden und Grobschmiedewerkstatten und einer Reihe nicht etwa von Bauerhofeii, sondern von Landhausern in dem in Amcrika gcbriiuchlichen Style , eine Art Mittelstufe zwischen einem Schweizerhauschen und einer eleganten Villa , iiberaus zierlich und in der inneren Einrichtung komfortabel. Dagegen waren landliche Wirthschaftsgebaude, besonders Scheuern gar nicht zu finden. Was mich aber am meistcn in Erstaunen setzte , war , dass hier inmitten eines landlichen Distriktes, dessen Boden ohne jede Diingung 50 Bushel Weizen per Acker eintrug, an alien Material- waarenhandlungen Schilder und Plakate mit Aufschriften , w y ie Chicago Butter, Chicago Bacon, d. h. Speck von Chicago, Chicago Eggs d. h. Eier von Chicago, Eastern Cheese d h. Kase aus dem Osten, worunter besonders nur der Staat New-York zu verstehen, angeschlagen \varen. Es war gewiss seltsam , dass solche Artikel , die doch Produkte der Landwirth- schaft , einem Landstadtchen , das beinahe in Sicht des Stillen Oceans lag, aus New- York 2300, oder aus Chicago 2400 eng- lische Meilen w r eit zugefiihrt w r erden sollten , und zwar durch die weiten wtisten Steppen- und Gebirgslander auf einer Ueber- land-Eisenbahn, dercn Fracht- und Passagepreise sich eben nicht durch Billigkeit auszeichneten. Erkundigungen stcllten indess die AYahrheit der Thatsache ganz unzweifelhaft fest, und ergaben als Grand dafiir, dass es fur die Bauern der Gegend unendlich viel 44 leichter sci , diese Sachcn aus dem Osten bezogcn , zu theuercn Preisen zu kaufen , als sie selbst zu erzeugcn, Denn im letzteren Falle miissten sie ihr gegenwartiges sehr bcqucmes und auch recht gut lohnendcs Wirthschaftssystem umandcrn. Jetzt brauchten sie weiter Nichts zu thun, als in der Regenzeit, sobald der Boden bis auf hinreichende Tiefe durchweicht ist, den Dampf- pflug uber ihr Land gehen zu lassen und sobald dies gescliehen, iiber die ganze Flache Weizen zu saen. Dann't ware ihre Friih- jahrsarbeit abgcschlossen. Ist der Weizen reif, so kommt die Erntemaschine mit ihrem vollstandigen Trupp Arbeiter, maht und drischt den Weizen, derselbe wird eingesackt, und die Sackc auf offenem Felde aufgestapelt. Der Bauer geht, sobald er glaubt, dass die Preise am Gunstigsten, nach San Francisco hinunter, verkauft auf der dortigen Getreideborse sein ganzes Getreide in Bausch und Bogen , lasst es an die Eiscnbahn fahren, wo es verladen wird , und erhalt sein Geld in einer Anweisung auf den Bankier seines Ortes. Jeder amerikanische Ort hat namlich seine ,,Bank." Hiermit ist die Jahresarbeit des Farmers vollendet und derselbe lebt von nun an gewissermassen als Rentier." W T as aber besonders wichtig, die Damen seiner Familie kommen mit der ganzen Landwirthschaft iiberhaupt nicht in Beriihrung, son- dcrn leben , wie es amerikanischen Damen eben zukommt und interessiren sich im hb'chsten Falle fiir die Kultur des Gartchens, in dessen Mitte ihre residence n Wohnhaus" gelegen. Es unterliegt nach angestellten Berechnungen keinem Zweifcl, dass diese Art der Landwirthschaft nicht nur bequem ist , sondern sich auch ausgezeichnet lohnt, so lange eben der Boden in jedem aufeinanderfolgenden Jahre fiinfzig Bushel Weizen per Acker hervorbringt. Deshalb ist diese Art der Landwirthschaft ganz allgemein , wenn auch nur in seltenen Fallen zu solch' einfacher Vollendung gediehen wie in dem reichen Alluvialboden der cali- fornischen Tiefebene, W T O der Landmann nicht einmal Scheunen zu errichten braucht , weil es im Sommer nicht regnet. Ehe die Regenzeit eintritt , ist sein Getreide entweder in den Speichern Vallejo's, eines San Francisco gegeniiber gelegenen Hafenstadtchens, oder schwimmt auf dem Wege nach Liverpool oder den Tropen- landern. Fangt aber der Ernteertrag an zu sinken , so sinkt natiiiiich auch der Profit der Bauern, wahrend die Arbeitskosten genau dieselben bleiben. So ist es denn jetzt schon sogar in den nord- westlichen Staaten zur allgemeinen Klage gekommen, dass sich der Ackerbau d. h. diese Raubwirthschaft nicht mehr rentire. Da nun dieselbe Ursache weiter fortwirkt, so muss unfehlbar die Bezahlung in Zukunft imrncr noch geringer werden. Die einzige Abhilfe oder Linderung des Uebels liegt entweder in der Erhohung 45 des Verkaufspreises des Getreides, welche nur durch HerabsetyAing der Transportkosten moglich ist, oder aber in der moglichst grosscn Beschrankung der Erzeugungskosten. Lctztcre ware nur durch Ilerabsctzung des Arbeitslohnes in der Erntezeit zu erreichen. Das gleiche Ziel wiirde auch zum Theil eine Vermin derung der Kosten des Lebensunterhaltes , also des Preises jenerWaaren, die man hauptsachlich einzukaufen gezwungen, erreiclien. Der gegen- wartige hohe Schutzzoll-Tarif erhoht in der That die Preise aller Manufakturwaaren um das Doppelte. Eine Abschaffung oder Herab- setzung desselben, welche die Konkurrenz des Auslandes zuliesse, vviirde offenbar die Ausgaben der Bauernklasse bedeutend ver- ringern. Fur die fernere Auswanderung ist hauptsachlich die nothwendige Herabsetzung der Arbeitslohne von Interesse. Da- gcgen sind die beiden anderen Punkte nicht nur von der grossten politischen Wichtigkeit, sondern beriihren auch die Interessen der Transport-Gesellschaften und der ganzen handeltreibenden und Fabrikwelt in sehr empfmdlicher Weise. Die Aussaugung des jungfraulichen Bodens ist nicht die einzige Art und Weise , in welcher die Ausbeutung der natiirlichen Reichthiimer vor sich geht. Alle anderen von der Natur gebotenen Mittcl, die schnell und mit verhaltnissmassig geringer Arbeit zu vcrwerthen sind, werden ebenso ausgentitzt. Besonders zu er- wahnen ist das Niederschlagen derWalder, die noch vor wenigen Jahrzehnten die nb'rdlichen Staaten solchermassen bedeckten, dass man sich einbildete , der Holzreichthum sei auf Jahrhunderte hinaus unerschopflich. Thatsachlich ist bereits heute dem Holzreichthum in sehr vielen Gegenden ein wirklicher Holzmangel gefolgt und die einzigen Holzdistriktc , die abgesehen von dem entlegenen Territorium Washington , noch von Belang sind , das nordliche Michigan und Wisconsin schrumpfen von Jahr zu Jahr so sicht- bar zusammen, dass ihre beinahe vollstandige Erschopfung binnen Kurzem zu erwarten ist. Ganz ungeheuer ist der Verbrauch von Holz zur Einzaunung von Feldern , um Saaten und Pflanzungen vor dem frei herumlaufenden Vieh zu schiitzen. Diese Zaune miissen eine gewisse Hohe und Starke haben , die meist ge- setzlich vorgeschrieben ist. Friiher, und in holzreichen Gegenden wohl dann und wann noch jetzt, \varen sammtliche Zaune , Riegel- zaune (Railfences^ d. h. sie bestanden aus ungefahr acht Fuss langen und fiinf bis sechs Zoll dicken Scheiten, die in der Form eines lateinischen W, bis zur Hohe von fiinf oder sechs Fuss einfach iibereinandergelegt wurden , und durch ihr eigenes Gcwicht einen starken Zaun bildeten. Die Bauern spalteten beim Ausroden des Waldes auf ihrem Lande diese Riegel nur mit der- Holzaxt, in dcren Handhabung sie noch vor wenigen Jahren eine ausser- ordentliche und so allgemeine Fertigkeit besassen, dass sogar 46 President Lincoln sich des Beinamens des rail splitter ,,Riegel- spalter" erfreute. Da die unterstcn Riegel fortwahrend fcucht liegen und verfaulen , so miisscn diese Zaune durchscbnittlich alle 15 Jahre erneuert werden , ausgenommen , wenn sie (in Gegenden von Tennessee, Kentucky u. s. w.) von dem nicht faulenden Cederholze gemacht sind. Bedenkt man nun, dass jede einzelne Farm in eine Reihe von Feldern eingetheilt ist, alle durch solche Zaune von einander getrennt, so kann man ermessen, wie enorm der Holzverbrauch fur diesen Zweck und zugleich, wie gross der allein in Zaunen angclegte Kapitahverth ist, Gegcnwartig ersetzt man diese Zaune durch Bretter odcr Latten , und in einigen Ge- genden, wie z, B. im Staate Nebraska und aucb in Californien u. a. m. , wo Holz sebr rar ist, hat man seit ungefahr sechs Jahren angefangen , die Eigenthiimer von Vieh gesetzlich zur Hu- tung desselben durch Hirten zu z\vingen, und dadurch den Acker- bau von der hochst kostspieligen Nothwencligkeit der Einzaunung aller Felder zu befreien. Ganz ungeheuer ist auch der Holzverbrauch seitcns der Eisenbahnen , sowohl fiir Schwellen wie als Brcnnmaterial , und endlich fiir die Errichtung von Holzhauser, die im Landbau heu- tigen Tages im ganzen Westen norh ganz allgemein , und selbst in den Stadten in Folge der grossen Brando erst neuerdings ein- geschrankt oder verboten worden sind. Solche Brando, wie die von Chicago, die ausschliesslich dem iibermassigen GebraucLe von Holz, sogar in den sogenannteii massiven Bauten zuzuschreiben sind, und die den Holzertrag ganzer Walder und vieler Jahrc in w r enigen Stundcn vernichten , sind beinahe in alien westlichcn Stadten zu erwarten , sobald die noch irrmer mehr oder minder zahlreichen leeren Baustcllen, zwischen den einzelnen Gcbaudcn, die bisher einen wirksamen Schutz gegen Feuersgefahr abgaben, ausgefiillt sein werden. Die riicksichtslose Ausrodung der Walder hat denn auch bereits die Trockenheit bedeutend vermehrt, wahrend der Wasser- reichthum aller Fliisse scit Menschengedenken ausserordentlich ab- genommen hat. Dadurch dehnen sich nicht nur die Grcnzen des grossen trockenen Inlandgebietes und mit ihm die Ziige der Heu- schrecken , deren grosstes Hinderniss die Walder zu sein scheincn, aus, sondern es stellten sich auch in den letzten Jahren beinahe regelmassig jene wolkenbruchartigen Niederschlage , die Eigenthum- lichkeit trockener Lander , ein , die zur Befruchturig Nichts bei- tragen, sondern eher die fruchtbare Ackerkrume hinwegspulcn und iiberhaupt iliren We^ mit Vcrwiistung bezeichnen. Die Ver- wiistung von Alleghany City, der westlichen Vorstadt des grossen Sitzes der Eisenerzeugung und Industrie, der Stadt Pittsburgh 47 vor kaum zwei Jahren ist als ein durchaus nicht vereinzelt da- stehendes Beispiel, nodi in Aller Gedachtniss. Auch die Metallreichthumer und Bergwerke haben den ober- flachlichen Abschopfungsprozess schon durchgemacht. In den ehe- mals reichen Goldminen Californiens , die in den fiinfziger Jahren nur bearbeitet wurden , wenn sie dem Manne eine Unze Gold ira Tag abwarfen (d. i. ungefahr 16 Dollars), folgten die Chinesen den Weissen und wuschen den schon gewaschenen Sand nochmals aus ; bereits seit mehreren Jahren wird er zum drittenmale , und zwar diesmal von Weissen durchgewaschen , die jetzt schon sehr zufrieden sind , wenn sie im Durchsclmitt eiuen und einen halben Dollar am Tag verdienen. Die verscbiedenen Quarzmiihlen in alien westlichen Bergwerksgegenden arbeiten beinahe ohne Aus- nahme ihre vor zehn bis fiinfzehn Jahren weggeworfenen tailings d. h. das zerstampfte und durchgewaschene Gestein noch einmal durch und finden den sich allerdings zum Theile auch in Folge einer verbesserten Amalgamationsmethode ergebenden Ertrag, der in friiherer Zeit verachtet wurde, jetzt der Miihe werth. Uebrigens ist der Golclreichthum Californiens durchaus nicht erschopft und in der beriihmten blue lead, der ,,blauen Ader", liegen noch ungezahlte Millionen oder richtiger Milliarden dieses Edelinetalles. Nur reichen die bisher zur Anwendung gekommenen Prozesse nicht mehr aus, um dieses Gold zu gewinnen. Gerade jetzt aber sucht man durch die Einfiihrung von sogenannfcen tunnel hydraulics zur profitablen Hebung dieser Schatze zu ge- langen, nachdem das System der eiiifachen Hydraulics sich schon seit mehreren Jahren nicht mehr rentiren will. Unter Hydraulics, was ich mit w Wasserkraftwasche" iibersetzen mochte, versteht man in dem Golddistrikte Californien eine Art und Weise der Bearbeitung , wodurch die ganze gold- haltige Quarzsandbank vermittelst eines, unter gewaltigem Drucke zusammengepressten Wasserstrahles weggewaschen und in einen naturlichen oder von Brettern hergestellten Kanal (sluices) hinein- gespiilt w r ird. In diesem setzt sich durch einen Schlemmprozess das schwarze Gold mit den grosseren Quarzstiicken zuerst zu Boden, wahrend der leichtere werthlose Sand hinweggeschwemmt wird. Aus dem Bodensatz wird von Zeit zu Zeit durch Amal- gamation das Gold gewonnen. Um dieses Abspiilsystem nun mit Erfolg anzuwenden, ist ein gewisser Fall in dem Abzugskanale , der nicht weniger als l / (0 oder hochstens A / 13 betragen darf, nothwendig. Soweit man diesen Fall durch moglichst besste Ausniitzung der naturlichen Bodengestaltung gewinnen konnte , hat man die_ goldhaltige Quarz- sandschicht der blauen Ader abgewaschen. Seit mehreren Jahren aber geniigt der naturliche Fall nicht mehr, d. h. man ist soweit 48 gegangen, als derselbe erlaubte; das System der einfachen Hy- draulics 1st damit unbrauchbar geworden, und die Blue Lead bleibt vorlaufig ungestort liegen. Die Blue Lead, die sich viele Meilen weit in der urige- fahren Richtung von Norden nach Siiden als eine machtige, noch zum weitaus geringsten Theile abgewaschene Quarzsandschicht am Abhange (in den foothills ,,Fusshugeln") der Sierra Nevada hin- zieht , ist das ehemalige Bett eines urweltlichen gewaltigen Stromes, der sich zwischen zwei hohen Gebirgen hinwalzte. Dicsc. Gebirge waren reich an goldhaltigem Quarzgestein , das im Laufe der Zeiten verwitterte und in das Bett des Stromes hinabgespult ward, wo es in Folge eines natiirlichen Schlemmprozesses liegen blieb. In Folge von Erdbeben u. s. w. verlor sich dieser Strom und Hess seine Ablagerungen in Gestalt der machtigen, oft Hunclerte von Fuss dicken Quarzsandschicht der blauen Ader zuriick. Diese wurde im Laufe der folgenden Zeitalter von den Erhebungen neuer Gebirgsziige vielfach durchbrochen und verschoben, und von Ge- rolle, Verwitterungsschlamm und organischem Erdreiche in ver- schiedener Dicke iiherdeckt. Aber um das in ihr enthaltene Gold auswaschen zu konnen, ist man genothigt, sich tiefere Abzugskanale zu schaffen, als die Natur darbietet, Zu diesem Zwecke fing man an , an passenden Stellen durch die Vorgebirge Tunnels zu bohren, so tief , dass sie einen zur Abwaschung des betreffenden Theiles der blauen Ader hinreichend geniigenden Fall erhalten. Die Anlage solcher Tunnels ist allerdings ein kostspieliges Unternehmen, das sehr bedeutende Kapitalien und jahrelange Arbeit erfordert. Aber der Ertrag ist sicher, denn der Goldreichthum der blauen Ader ist unzweifelhaft, und sobald ein solcher Tunnel fertig, braucht man nur die Miin- dung des Schlauches auf die vorliegende Erdbank zu richten und der Alles hinwegrefssende Wasserstrahl thut den Rest der Arbeit bis auf das cleaning up, das Amalgamiren und Herausnehmen des Goldes aus der Abzugsrinne, von selbst. Auf gleiche Weise, wie die anderen Schiitze der Natur, ist auch der ehedem grosse Wildreichthum des Landes ausgebeutct und zum grossten Theil bereits vernichtet worden. Es liegt mir feme , dies auf sentimentale Weise zu bedauern , da meiner Ansicht nach Hegung des Wildes den viel wichtigeren Interessen der Landwirthschaft nachtheilig ist. Aber die Vernichtung des Wildes ist in den Vereinigten Staaten mit solcher Riicksichtslosigkeit be- trieben worden, dass in den besiedelteren Gegenden grosseres Wild iiberhaupt nicht mehr existirt. Und sogar auf den Ebenen des fernen Westens geht seit der Erbauung der Ueberland-Eisen- bahn die Ausrottung der Biiffel mit solcher Schnelligkeit vor sich, dass die Jager dadurch sich um ihren eigenen Erwerb bringen. 49 Denn wahrend noch im Jahre 1867 der Preis eines Biiffelfells auf zwolf bis ftinfzehn Dollars stand , 1st in Folge der massenhaften Absclilacbtung diescr Thiere der P*eis dieser Felle in den Stadten des Ostens bis auf ungefahr drei Dollars gesunken , was schliessen liisstj dass der Jiiger fur die sehr bedeutenden Strapazen , Gefahren und Miihe der Btiffeljagd nicht mebr erhalt, als die unbedeutende Summe von 3 / 4 Dollar fur jedes Fell. Mit den Biiffeln sclrwinden natiirlich auch die Stiimme der wilden Indianer immer mehr und mehr zusammen, die in ihrer Existenz auf dieses Thier gewisser- maassen angewiesen sind. Aus der Gesammtheit der vorstehenden Betrachtungen ergibt sicb , dass die Periode der Geschichte der Vereinigten Staaten, die wir fiiglich als die der Besitzergreifung der natiirlichen, in diesem Gebiete aufgehauften Reichthiimer durch Privatpersonen be- zeiclinen konnen, ihrem scbleunigen Ende entgegengeht , wenn sie dasselbe nicbt scbon vollkommen erreicht hat. Der hinter uns liegende Zeitabschnitt gewahrte den Besitzergreifenden , die zum grossten Theile Natives ,,Eingeborne" waren, nicht nur die Mittel, aus den von der verscbwenderischen Fiille der Natur oft ohnc alle und jede Arbeit in ihre Hande fliessenden Reichthiimern hohcn Lohn an die eingewanderten Arbeiter zu zahlen, sondern machte es auch diesen selbst leicht, durch baldiges entschlossenes Zu- grcifen freies Eigenthum zu gewinnen, in welch' letzterern Um- stande die Hauptanziehungskraft des Landes weit mehr lag, als in den politischen Verhaltnissen , die Manche als Grund der Ein- wanderung betrachten , womit ich ubrigens nicht andeuten will, dass Letztere nicht einen wesentlichen Einfluss auf das Gedeihen eines Landes auszuiiben im Stande waren. Besonders sind landliche Arbeiter von dem durch den Ab- schluss dieser ersten Periode bedingten Wechsel betroffen. Die Zeit, in der ein wirklicher Bedarf nach der Einwanderung dieser Klasse existirte, ist gegenwartig schon vortiber, und eine bedeu- tende und andauernde Herabsetzung des Lohnes dieser Sorte Ar- beiter steht mit vollkommener Sicherheit zu erwarten. Es wird dem zukiinftigen Einwanderer schwerer werden , ein kleines Ka- pital zu ersparen, und zu gleicher Zeit ist die Moglichkeit voll- kommen geschwunden, dasselbe in der Weise nutzbringend anzu- legen, wie es seine vorausgegangenen Genossen gethan, namlich in der Aufnahme und Besiedelung einer Heimstatte. Haben es diese auf ihrer Heimstatte zu einem gewissen unabhangigen Wohl- stande gebracht, so hat der jetzt einwandernde Laiidarbeiter kaum noch eine andere Aussicht, als die, sich als Taglohner zu ernahren. Ein kurzer Blick auf die vergangene Entwickelung der Vereinigten Staaten liefert den besten Beweis von der Wichtigkeit, 7 50 welche die materiellcn Umstandc fur die Entfaltimg eines Landes und das Gedeihen seiner Bevolkerung besitzen und zeigt, dass dieselben einen bestimmenden Einfluss auf die politischen und socialen Verhaltnisse ausiiben. Wie bekannt, war zur Zeit des Unabhangigkeitskrieges vor nunmehr gerade hundert Jahren die Bevolkerung der Vereinigten Staaten wesentlich auf das Kiistengebiet des Atlantisclien Oceans beschrankt , wo ihr die See oder schiflbare Fliisse , wie der Hud- son, den Verkehr und Absatz ihrer Erzeugnisse . ermoglicliten. Einzelne Jager und Hinterwaldler nur streiften weiter nacli Westen, und fiihrten dort ein Leben, das, jenen der Indianer beinahe vollig ahnlich, zwar durch seine vollkommene Unabhangigkeit lockte, aber auch durch den notlrwendigen Verzicht auf alle Ge- niisse und Errungenschaften der Kultur abschreckte. Nur ganz allmalig drangen die w r eissen Ansiedelungen gegen Westen vor, als sich diesem Zuge auf einmal ein plotzlicher und grosser Aufschwung mittheilte , nicht etwa Dank der Einfiihrung der republikanischen Staatsforra , oder der Anerkennung der Frei- heits- und Gleichheitsprincipien , sondern lediglich in Folge zweier materieller Ursachen. Die Eine war die Erfindung und Ein- fiihrung de Cotton Gin, einer Vorrichtung, wodurch die bisher nur mit grosser Miihe zu reinigende Baumwolle auf leichte Weise von ihren Samenkornern 'befreit, und der bislang kaum rentirende Anbau dieses Produkts plb'tzlich ungemein lohnend wurde. Die Zweite dagegen war die Erfindung und Einfiihrung der Dampf- schifffahrt , die alle grosseren Strome , namentlich jene, die sich in den Golf von Mexico ergiessen, mit einem Schlage in bequeme, sichere und schnelle Verbindungsstrassen verwandelte, auf denen man weit in das Innere des Landes gelangen konnte. Ihnen folgte die Bevolkerung des Siidens, verbreitete sich uber ein grosses Gebiet in kurzer Frist , nahm all' die reichen Uferlandereien der siidlichen Fliisse in Besitz und kultivirte die Baunrwolle, die von Jahr zu Jahr reissenderen Absatz fand , und zum grossen Theile die friiheren Bekleidungsstofife der nordlichen Volker ver- drangte. Ueberall, soweit das Dampfboot gelangen konnte, bil- deten sich in raschester Folge neue Ansiedelungen, deren Bevol- kerung meist den siidlichen Staaten des Atlantisclien Oceans ent- stammte, und die einer Klasse von Arbeitern, die den Miasmen und Sumpffiebern der Flussniederungen widerstehen konnte, be- diirfend, den hierzu aufs Beste geeigneten Neger als Arbeitskraft mit sich fiihrte. Eine Anzahl neuer Staaten (Kentucky, Tennessee, Alabama, Louisiana, Mississippi und endlich Missouri und Arkansas) traten als Sklavenstaaten dem Unioiisverbande bei , und sogar die erste Besiedelung des Staates Illinois, sowie auch des Staates Indiania, 51 gehort dieser Dampfboot-Perio'le an , welche in die Mississippi- Ohio-Gegenden die namliclie siidliche Bevb'lkerung brachte. Die Siidstaaten erhoben sich zur iiberwaltigeiiden Macht, der die Lei- tung der politischen Geschicke beinahe ohne Widerstand in die Hande fiel, und wenn der afrikanische Sklavenhandel auch im Jahre 1810 aufhorte, so lag der Grand weniger in dem mach- tigen Einflusse der Principien der Humanitat, als darin, dass ein bedeutender Theil, namentlich der alteren Sklavenstaaten der von ihnen bctriebenen Sklavenzucht die afrikanische Konkurrenz aus dem Wege zu raumen , und den Sklavenmarkt der neuen Staaten mit ihrer menschlichen Waare monopolisiren Woflfej d. h. das Yerbot des Sklavenhandels entsprang genau demselben Principe, worauf der Schutzzoll beruht. Das natiirliche Fett der reicben Niederungen des Siidens wurde in Baumwolle und Geld umgesetzt und cine reiche, machtige , stolze, verschwenderisch bequeme und gastfreundschaf'tliche Aristokratie erhob sich in einer kurzen Reihe von Jahren zum iibermiithigen Selbstbewusstsein ihres Erfolges, auf den zuriickbleibenden Norden mit Geringschatzung herabsehend. Demi die Entwickelung des Nordens wahrend dieser ganzen Periode, im ersten Drittel unseres Jahrhunderts konnte dem Vor- anschreiten des Siidens gegeniiber kaum in Betracht kommen. Das Alleghany-Gebirge setzte den natiiiiichen Wasserwegen und dem Dampfboote eine Schranke, die nicht leicht zu uberwinden war und dem Verkehr und der Ausbreitung der Bevolkerung grossc Hindernisse bereitete. Wohl stellte der Staat New-York den wichtigen Erie-Kanal her, eine Verbindungsstrasse zwischen dem schiffbaren Hudsonfluss und dem System der westlichen See'n, aber diese Verbindung war fiir Dampfboote nicht benlitzbar und durch das Eis des Winters unterbrochen. So entstanden denn nur langsam einzelne Ansiedelungen an dem Uferrande der nordlichen See'n, worunter sich die Stadtchen Detroit , Milwaukee und spater Chicago hervorhoben. Aber im Wesentlichen beschrankte sich die Ansiedelung der ganzen nordwestlichen Staaten auf jene Gegenden , welche die Baumwollenplantagen des Siidens mit Welsch- korn , Waizen und Fleisch versorgen und mit ihnen durch Dampf- boote in Handelsverkehr stehen konnten , welcher Verkehr die Stadte Cincinnati, Louisville und St. Louis emporzuheben begann. Die eigentlichen Binnenlandereien des Nordwestens , die fruchtbaren ausgedehnten Prairien aber lagen vom Verkehr abgeschnitten , un- besiedelt da und wurden nur von wenigen weissen Abenteurern, Jagern und von wilden Indianerstammen durchstreift. Doch nicht mehr lange sollten diese Gebiete als Jagdgrund dienen, da eine werthvollere Verwendung ihrer Naturschatze um diese Zeit (in den dreissiger Jahren) wieder durch lediglich ma- terielle Ursachen sich ergab. Die Bevolkerung verschiedener Ge- 52 genden Etiropa's, besonders Grossbrittanniens , hattc sich namlich seit Einfiihrung der Dampfmaschine, dann seit der massenhaften Erzeugung der Baumwolle in den Siidstaaten und dem riesigen Aufschwunge der Baumwollen-Industrie so vermehrt, dass die ei- genen Brodfruchte dieser Lander nicht mehr hinreichten, ihre Be- volkerung zu ernahren , und in ihnen ein sicherer und zahlender Markt fiir die Friichte erwuchs, die zu erzeugen die Nordstaaten eine besondere Eignung besassen. Die zweite Ursache aber, die den Nordwesten dem Verkehre zugiinglich machte, war die Ein- fiihrung der Eisenbahnen, welche fiir dieses Gebiet leisteten, was die Dampfboote fiir den Siiden. Um die Verbindung mit Europa inniger zu machen , und den Absatz der Produkte dcs Westens zu befordern , fiel das Schutz- zollsystem , und die nun folgende Periode des Freihandels bedeckte das ganze nordwestliche Gebiet mit Eisenbahnen und Ansiedlern. Arbeitskrafte wurden begehrt, den reichen Boden zu brechen und zu kultiviren , und die Lohne , vor dieser Zeit durchaus nicht unge- wb'hnlich hoch , stiegen rasch so sehr , dass die Arbeitermassen Europa's in ununterbrochenem starken Strome dem Lande des hohen Lohnes und des billigen Bo dens zueilten. Die nb'rdlicheren Theile von Ohio , Indiana , Illinois , die neuen Staaten Michigan, Wisconsin und Jowa fiillten sich schnell mit einer Bevblkerung, der die Verwerthung der naturlichen Reichthumer ein ungewohn- lich gutes Einkommen in den Schoos warf, und aus dem bevol- kerten Gebiete wurden in kiirzester Zeit machtigc Staaten, die den Siiden um seine bis dahin unbestrittene Uebermacht besorgt werden liessen. Als die vorwarts drangende Welle der nordlichen Ansiedler sich endlich auf die Gebiete des ferneren Westens warf, hielt sich der Siiden fiir gezwungen, den Versuch zu machen, ihrer weiteren Ausbreitung einen Riegel vorzuschieben. Zu diesem Zwecke suchte er das westlich vom Staate Missouri gelegene Kansas als Sklaven- staat in Besitz zu nehmen. Aber die nordliche Bevblkerung war durchaus nicht Willens, sich diese Gebiete ohne Kampf nehmen oder sich iiberhaupt Schranken ziehen zu lassen. Und dieser Konflikt der Interessen zwischen der afrikanischen Sklaven-Arbeit des Siidens und der weissen freien Arbeit des Nordens war es, \velcher der republikanischen Partei das Leben gab. Free soil for free, labor ,,Freier Boden fur freie Arbeit w: , war der Grundsatz, der ihr Entstehen bezeichnete, und das Princip der Befreiung der Neger wurde erst in spaterer Entwickelung als W r affe gegen den stidlichen Feind in den Kampf hineingebracht , in welchem der Norden , dem Europa als Reserve zu Gebote stand , den entschei- denden , das ganze Arbeitssystem des Siidens und diesen selbst ruinirenden Sieg gewann. 53 Ging damit die Oberherrschaft vom Siiden an den Norden iiber, so gewann im Norden selbst der altere reichere und die Interessen scharfer im Auge behaltende Osten das unbedingte Uebergewicht iiber den Westen. Er verwerthete dasselbe durch Einfiihrung eines S chutzzollsy stems , das die Konkurrenz des Aus- landes beinahe ganz und gar ausschloss, und der Industrie des Ostens beinahe in jeder Beziehung ein unumschranktes Monopol in der ganzen Ausdehnung der Vereinigten Staaten sicherte. Wahrend die Erzeugnisse desWestens in ihrem Preise von dem europaischen Markte abhangen, regulirt sich der Preis aller Industrieerzeugnisse des Ostens nur in Einklang mit der ausserordentlichen Hdhe der Zblle, und das Resultat ist, dass der Bauer des Westens alle Artike] , deren er bedarf , zu ausserordentlich theuerem Preise kau- fen muss, wahrend er eben nur den gewohnlichen , vom Stande des Weltmarktes bestimmten Preis fiir Alles erhalt, was er selbst verkauft. Diese Ausbeutung der Ackerbauer des Westens zu Gunsten der Fabrikanten des Ostens ware unzweifelhaft schon langst als unertraglicher Druck empfunden worden, hatte nicht der reiche Ertrag des jungfraulichen Boclens den Bauer in Stand gesetzt, die kiinstlich in die Hb'he geschraubten Preise bisher ohne beson- ders fuhlbare Anstrengung zu zahlen. Denn der Reichthurn, der auf leichte Weise der Landbe- volkerung der neuen Staaten gleichsam zuwuchs, ist ganz enorm. Jeder Acker fruchtbaren Prairielandes ergibt in den ersten 15 Jahren seiner Kultur 200 bis 300 Bushel Weizen, die gleiche Arbeit auf altkultivirtem Lande nicht hervorzubringen im Stande ware. In jeder Heimstatte von 160 Acker guten Weizenbodens, wie es Zehn- und Hunderttausende auf den westlichen Prairien gibt, lag demnach anfanglich ein Schatz von ungefahr 40,000 Bushel Weizen, die zum geringsten Preise einen Werth von 20,000 Dollars darstellten. Gewiss genug , um die, allerdings nicht unbetrachtliche Arbeit der Einrichtung der Farm urid der Urbarmachung des Bodens sogar mit dem hochsten Lohne zu be- zahlen, und einen erklecklichen Ueberschuss zu belassen. Gabe es ein Mittel, den wirklichen Werthbetrag zu bestim- men, der den Vereinigten Staaten als Frucht der Ausbeutung der natiirlichen Reichthiimer seit einein Jahrhundert zugewachsen ist, so wiirde die Grosse desselben die Welt in Erstauncn setzen; den bisherigen materiellen Fortschritt und das Gecleihen der Be- vb'lkerung mochte man aber nicht nur aufhorcn mit Verwunderung zu betrachten^ sondern man wtirde sich im Gegentheile wundern, wo all' dieser Reichthum geblieben. Denn der Werth des wirklich vorhandenen Eigenthums ist nur ein geringer Bruchtheil desselben. Meiner Schatzung nach muss dieser Werth allein in den seit 54 40 Jahven besiedelten Staaten des Nordwestens gewiss nicht wcniger, wahrscheinlich aber viel mehr als die ungeheure Summe von zwanzig Milliarclen Dollars betragen. Rechnet man hierzu die Preissteigerung der nattirlichcn Bodenwerthe, die wohl mindestens die Halfte der obigen Summe betragt, so ergibt sich als Resultat, dass den ungefahr 12 Millionen der hier lebenden Bevb'lkerung seit der Besiedelung des Landes die Summe von mindestens 30 Milliarclen , d. h. jedem einzelnen Bewohner dieses Landstriches nicht weniger als 2,500 Dollars von der Natur gewissermaassen zum Geschenk gemacht worden sind. Eine solche Betrachtung 1st geeignet, das Wunder in der Entwickelung der Yereinigten Staaten verschwinden zu lassen. Dem Reichthume eines jung- fraulichen Bodens gegeniiber erscheineh die blendenden Goldschatze Californiens als armselige Lappalien. So lange die Bevolkerung des Westens von diesem Reich- 'thume zehrte , empfand sie den Druck des Schutzzollsystems, durch den ein bedeutender Theil dieses Reichthums dem Ostcn zufloss, nur wenig. Seitdem aber die Bodenertrage anfangen, auf ein der wirklichen Bearbeitung entsprechendes Maass herabzusinken , wer- den dem Bauern die hohen Preise der Waaren sehr empfindlich, und er ist geneigt die Principien des Schutzzollsy stems einer Re- vision zu unterziehen, die denselben durchaus nicht giinstig sein durfte. Ich bin zwar keineswegs Willens, Jenen ohne Weiteres beizustimmen , die ein Schutzzollsystem von vornherein fiir ver- werflich erklaren, weil dasselbe dem Principe der ,,Freiheit" \vider- strebe. Ich halte die Interesson des Landes fiir allein massgebend, und sollten diese wirklich einen Schutz der heimischen Industrie erfordern , so bin ich nicht im Stande einzusehen , warum das betreifende Volk seine Interessen eiriem sogenannten Principe opfern sollte. Es sind nun allerdings Falle denkbar, in denen das Ge- meinwohl einen Industrieschutz verlangt. Aber wenn auch der Grund^atz des Schutzes der heimischen Industrie claim und wann der Beachtung worth scin und den In- teressen eines Volkes entsprechen mag, so haften demselben cloch so mannigfache Uebel an, dass er nur in Fallen, in denen seine Nothwendigkeit klar und tiber alien Zwcifel erhaben dasteht, an- gewandt werden sollte. Die Schutzzollpartei der Vereinigten Staaten fiihrt als Haupt- grund der Aufrechterhaltimg desselben an, dass man den Konsu- inenten dem Produzenten so nahe wie moglich bringen miisse. Dies ist unzweifelhaft ein wlmschenswerthes , und ware, wcnn erreicht, fiir beide Parteien ein profitables Ziel. Es ist dagegen nur das Eine einzuwenden, dass die natiirlichen Umstande die Lokalitaten, in denen sowohl der Ackerbau, wie auch die Fabrik- 55 thatigkeit am Besten betrieben werden konnen, bestimmt haben. Fleisch wird gegenwartig in Texas produzirt, Weizen in Kansas, Nebraska und Minnesota, Baumwolle in den Golfstaaten, wah- rcnd die Eisenindustrie in Pennsylvanien bessere Bedingungen findet, als irgendwo in der Union. Kein Schutzzoll vermag an dieser Yertheilung etwas zu. andern. Anstatt sich den Sitzen der Industrie seit Einfiihnmg des Schutzzolles zu nahern, hat sich der Getreidebau in dem Maasse weiter und weiter da- von entfernt, als der altere Boden ausgesogen und neues, jung- frauliches Terrain gebrochen wurde, 1st dieses Argument dem- nach wirklich richtig, so ware seine logische Folge, dass jeder Staat, viclleicht gar jedes einzelne County undurchdringlichc Schutzzollschranken errichten mlisste , um Produzenten und Kon- sumenten auf demselben Flecke zusammenzuhalton. Auch wUrde die Abschaffung von Eisenbahnen, Kanalen und schiffbaren FllisBen diesem Zwecke sehr dienlich sein. Thatsachlich leiden alle ackerbautreibenden Gegenden der Vcreinigten Staaten an sammtlichen Uebeln des Freihandelssystems, namentlich an der Entfernung der Konsumenten von den Produ- zenten, die den "Werth ihrer Produkte bedeutend verringert, ohno die Vortheile desselben, namlich freie Konkurrenz und massige Preise der Manufakturwaaren zu geniessen. Sie leiden ferner unter alien Uebeln des Schutzzollsystems , namlich der Unsicher- heit aller kaufmannischen Geschafte, in Folge deren diese ge- zwungen sind, um sich gegen jederzeit mogliche Verluste zu ver- sichern, ihren Profitantheil wesehtlich zu erhb'hen, und dadurch die Waareii noch mehr zu vertheuern , als sie schon in Folge des Zolles sind, geniessen aber nicht einen einzigen Vortheil, da die geschiitzte heimische Industrie sich eben im Osten und nicht in den ackerbautreibenden Gegenden befmdet, und in diesen der Konkurrenz Jener halber auch nicht aufkommea kann. Kurz: 1st das Prinzip des Schutzzolls richtig, so verlangt das Interesse des Westens die Herstellung eines Schutzzolles gegen den Osten, ist das Prinzip des Freihandels richtig, so verlangt das Interesse des Westens diesen gebieterisch. Denn der Freihandel wiirde es ihm allerdings ermoglichen, noch auf langere Zeit im europaischen Markte seine Produkte zu verwerthen. Besonders wenn zu gleicher Zeit eine den Interessen der Landwirthschaft entsprechende Modifikation der inneren Steuern vor sich ginge, die es gestatten wiirde, das nicht zu transportirende, in Massen vorhandene Korn in Spiritus zur Ausfuhr nach Europa umziiwandeln , was gegenwartig ganz unmoglich. Erhoht schon der Schutzzoll die Preise aller Waaren ungemein, so werden die- selben noch weiter in die Hohe getrieben durch das im Werthe schwankende Papiergeld. 56 Jeder Kaufmann ist gezwungen , bei alien Geschaften auf die mb'glichen Schwankungen des Wertlies der als Geld umlau- fenden Papierscheine Rucksicht zu nehmen, und sich gegen et- waige Vcrlustc durcli erhb'hten Verkaufspreis seiner "Waaren zu sichern. Alle verschiedenen Geschaftszweigc , die den Getreidc- handel nnd den Verkauf der anderen landwirthschaftlichen Pro- clukte besorgen oder vermitteln, miissen dar>selbe thun und ihre Provisionen erhohen. Alle diese erhohten Betragc von dem sich gleich bleibenden Gesammtertrag in England abgezogen, lassen einen sehr verminderten Restbetrag fur den urspriinglichen Er- zeuger, den Bauern, iibrig. Die Schwankungen des Papiergeldes haben zum grossen Theile denselben Grund, der das Schutzzollsystem fortwahrenden Veriinderungen unterwirft. Der Werth desselben ist namlich ge- radezu den unsteten Launen einer stets wechselnden Gesetzgebung und Verwaltung unterworfen, die je nach Belieben plotzlich und unvorbereitet Quantitaten Gold oder Papiergeld auf den Markt zu werfen im Stande sind, und dadurch das zwischen diesen beiden bestehende Verhaltniss stb'ren. Namentlich das Finanzministerium der Vereinigten Staaten stelit beinahe fortwahrend in trautester Yerbindung mit den Spekulanten der New-Yorker Borse, die es sich zur Aufgabe machen, als Bulls und Bears den Preis des Goldes in die Hohe zu treiben oder sinken zu lassen , und mit diesem immerwahrenden Zwickmiihlspiele das Publikum auszubeuten. Treiben diese Ursachen den Preis aller Waaren, deren der Bauer bedarf, ganz enorm hinauf, und verraehren sie die Kosten seines Lebensunterhaltes entsprechend } so verringert der Transport dagegen den Werth seines Getreides und seiner Produkte in kaum glaublicher Weise. Wie bedeutend der dadurch hervorgerufene Preisunterschied ist, zeigen die folgenden Werthangaben , die den Preis ernes Stiickes Rindvieh in verschiedenen Staaten und ver- schiedenen Jahren angeben: Kuhe. Massachu- setts. Newyork. Virginia. Texas. Ohio. Illinois. Im Jahre Doll. Cts. Doll. Cts. Doll. Cts. Doll. Cts. Doll. Cts. Doll. Cts. 1867: 59 80 57 22 29 71 11 20 44 94 35 90 1868: 67 11 52- 54 28 11 16 29 43 07 36 62 1869: 67 50 54 14 28 76 9 12 43 00 38 11 1870: 57 00 54 11 30 04 10 67 44 77 37 02 1871: 59 16 48 51 29 09 12 83 45 09 37 68 1872: 39 87 39 53 24 93 14 12 37 36 33 77 1873: 41 16 34 00 23 68 13 50 32 18 30 45 1874: 45 00 30 50 22 00 15 25 28 57 30 03 57 c h s e n. Massachu- setts. Newyork. Virginia. Texas. Ohio. Illinois. Im Jahro Doll. Cts. Doll. Cts. Doll. Cts. Doll. Cts. Doll. Cts. Doll. Cts. 1867: 44 69 39 46 17 03 5 59 36 39 23 48 1868: 46 12 39 79 18 86 5 14 29 58 24 42 1869: 54 41 46 67 20 39 5 78 34 04 27 35 1870: 49 48 45 91 20 42 6 10 33 99 25 10 1871: 44 66 42 27 21 34 7 37 35 34 26 02 1872: 35 21 34 10 17 21 8 10 29 50 22 58 1873: 39 86 34 05 16 87 7 51 27 71 23 89 1874: 39 18 "28 88 17 20 8 09 26 30 24 03 Eine Kuh 1st also im Osien, im Staate Massachusetts drei- mal, im Staate Illinois (im Westen) zweimal so viel werth, als in dem, im fern en Sudwesten gelegenen, viehziichtenden Staate Texas. Ein Stuck Schlachtvieh hat in Massachusetts sogar den funffachen, in Illinois noch den dreifachen Werth , den es in Texas hat. Ein ahnliches Verhaltniss besteht bei alien Erzeugnissen des Ackcrbaues. Die hohe Wichtigkeit einer Regulirung der Trans- portkosten in einem den Bauern giinstigen Sinne hat nun schon scit mehreren Jahren Anlass zur Bildung von Bauern-Vereinen gegeben, die sich unter dem Namen der Grangers (Scheuerleute von grange Scheune) iiber den ganzen Westen sehr schnell verbreitet, und in mehreren Staaten, wie Wisconsin und Jowa sogar die Gesetzgebung schon eingenommen haben. Ihr Zweck ist, die Eisenbahn-Gesellschaften durch Gesetzes-Erlasse zu einer bcdentendcn Herabsetzung sammtlicher Frachtprcise zu veranlassen. Die Eisenbahn-Gesellschaften wollen sich natiirlich einer Verringerung ihrer Einnahmen, die bei sehr Vielen \vahrschcinlich sehr wenig oder gar keinen Reinertrag iibrig Hesse, nicht unter- werfen. Da sie aber einsehen, dass sie auf die Lange der Zeit nicht im Stande sein wiirden , die Staatsgesetzgebungen gegen den cinmuthigcn Willen der Bauern der westlichen Staaten zu beein- flussen, so nehmen sie ihre Zuflucht zur Nation alregierung, Sie bestreiten die Autoritat der einzelnen Staaten, die Verkehrswcge innerhalb ihrer Grenzen zu reguliren, oder ihre ,,kontraktlich", wie .sie sich ausdriicken, erworbeuen ,,Rechte" mit ihrem Privat- eigerithume, als welches sie die Eisenbahnen ansehen, in irgend einer Weise zu beschranken, und verlangen von der Bundes- regierung Schutz gegen die versuchte Vergewaltigung seitens der Einzelstaaten. In diesem Stadium befindet sich die Frage gegen - wartig, und der in ihr schlummernde Zwiespalt zwischen Central- regierung und Einzelstaaten wird in der Zukunft unzweifelhaft noch zu den wichtigsten Folgen flihren. 8 58 - Aber sollte auch es gelingen, clem Westen durch Einfiihrung eines Freihandelssystems , durch Herabsetzung des Arbeitslohnes und durch Reduzirung der Transportkosten eine wesentliche Er- leichterung zu verschaifen , so wiirde dies den Prozess der immcr weiteren Aussaugung des Bodens, der Verringerung des Ernte- ertrages und des Gewinnes eberi nur eine Zeit lang weniger fiihl- bar machen, aber durchaus nicht aufhalten. Und da eine erhb'hte Ertragsfahigkeit nur durch rationelle Landwirthschaft hergestellt werdeii, der Bauer des fernen Westens aber unmoglich sein durch rationelle Landwirthschaft erzeugtes Getreide zu demselben Preise in Liverpool niederlegen wie der Bauer Europa's es ebensowenig nach dem Osten selbst transportiren kann, weil durch rationelle Landwirthschaft auch der Bauer des Ostens, w^enigstens zum grossen Theile, fahig 'ist, Getreide zu produziren, und den Bedarf seiner Gegend zu versorgen (was ihm bis jetzt nur durch die Konkurrenz des billigen , auf reichem , jungfraulichen Boden erzeugten Getreides unmogiich gemacht wurde), so folgt hieraus, dass der Einfiihrung der rationellen Landwirthschaft das Aufhoren des Getreideexportes sowohl nach Europa wie nach dem Osten nothwendig vorangehen miisse. Sobald es demnach soweit ge- kommen, wiirde der Westen die beiden Markte, die ihm jetzt den grossten Theil seines Ernteertrages abgenommen, verlieren, und auf seinen eigenen Bedarf angewiesen sein. Tritt aber diese Periode ein, so ist die jetzt fur den Pflug in Anspruch genommene Strecke viel zu gross. Es muss ein Prozess der Koirtraktion vor sich gehen, der mindestens so lange wahren wird, bis durch eine allmalig heranwachsende grossere Eigenbevolkerung wieder ein erhohter Bedarf geschaffen wird. Jeder einzelne Bauer wiirde sich wahrscheinlich mit der besseren Bearbeitung desjenigen Theiles seiner Landereien befassen, den cr personlich bestellen konnte und den Rest brach liegen lassen oder als Viehweide beniitzen. Auf diese Weise wiirde er Ausgaben fur fremde Arbeitskraft ersparen. Der aus dieser Betrachtung sich ergebende Schluss ist, dass wahrend vorlaufig fiir langere Zeit keine grosse Nachfrage nach landlichen Arbeitern bestehen wird, sogar dann, wenn sie in spaterer Zeit sich wieder einstellen sollte, genug Arbeitskraft im Lande selbst durch die natiirliche Vermehrung seiner jetzigen Bevolkerung aufgewachsen sein wird, um jedes Bediirfniss nach Einwanderung von Aussen fiir immer zu beseitigen. Ich habe in dieser Auseinandersetzung nur die Verhaltnisse in den nb'rdlichen Staaten betrachtet, in welche sich bisher der Strom der Auswanderung ausschliesslich ergoss, und zwar aus dem Grunde, weil anzunehmen, dass diese Staaten auch in Zu- kunft das Hauptziel aller Auswanderung bleiben werden. Denn in 59 den beiden anderen Sektionen des Landes, im Siiden sowohl als an der Stillen Meereskiiste ist die gewohnliche Arbeit der Kon- kurrenz der Neger in der ersteren Gegend*, der der Chinesen in der zweiten ausgesetzt, und diirfte sich durch dicse Konkurrenz \vohl immer genugsam abgestossen fuhlen , urn eine halbwegs zahlreiche Einwandarung in diesc Theile der Vereinigten Staaten auch nur zu versucnen. Was die Neger in den siidlichen Staaten betrifft, so ist unbestrcitbar diese Menschenart den klimatischen Verhaltiiisssen bei Weitem besser angepasst, als die \veisse Race. Es ist nun allerdings Thatsache, dass der Neger als freie Person nicht eben besonders geneigt ist, sich irgendwie mit Arbeit zu plagen, und sich derselben eben nur insoweit unter- zieht, als ihn die Noth dazu zwingt. Insofern wiirde am Ende die Moglichkeit einer lohnenden Konkurrenz der weissen Arbeiter, wenigstens in denGegenden, die von den gelben und Sumpffiebern frei sind, nicht ganz ausgeschlossen sein. Aber es ist zu be- merken," dass in Folge des Racenantagonismus in diesen Gegenden die gewohnliche Lohnarbeit allgemein als des weissen Mannes fiir unwiirdig erachtet, und demnach der. Arbeiter als Mitglied einer verachteten Kaste angesehen wird. In dieser Stellung mochte sich jedoch der weisse Arbeiter umsoweniger wohl fuhlen, als er dabei nothwendig der nicht angenehmen naheren Beriihrung mit dein Neger ausgesetzt ist. Abgesehen davon, ist der Siiden jetzt in einem Zustande endloser Verwirrung, dass schon desshalb eine Einwandcrung dahin nicht rathsam erscheint. Yerschiedene Staa- ten niachen wohl Anstrengungen , die europaische Einwanclerung anzuziehen, aber nicht aus einem wirklichen Bediirfnisse nach weisser Arbeit, oder aus Rucksicht auf die guten Aussichten, die sich derselben darbieten nib'gen, sondern lediglich aus dem often eingestandenen Bestreben, die Stimmenzahl der Partei der weissen Manner zu vergrossern, und damit den Sieg liber die Negerpartei zu gewinnen. Thatsache ist, dass gegenwartig aus den meisten siidlichen Staaten eine starke Auswanderung des weissen Elementes nach Texas hin vor sich geht. Die Griinde die dieses, sonst eben nicht iibermassig auswanderungslustige Element der siidlichen Weissen zur Auswanderung treiben, diirften wohl als geniigend gelten, von Einwanderung abzurathen. Was dagegen die an der Kiiste des Stillen Oceans gelegenen Staaten Californien und Oregon betrifft, so ist dem weissen Ar- beiter kauni anzurathen , die Konkurrenz mit den chinesischen Kulis zu versuchen, die zwar nicht durch amerikanisches Gesetz, aber durch ihre eigene Sitte, an \velcher sic mit der grb'ssten Zahigkeit festhalten, gebundene Sklaven sind, gegenwartig fiir die unbcdeutende Summe von etwa vierzig Cents per Tag arbeiten und sobald die Konkurrenz grosser werden sollte, sicherlich fiir 60 noch viel weniger arbeiten werden. Derm ihre Bediirfnisslosigkeit setzt sie in Stand, von Lohnen zu existiren, die fiir die Bediirf- nisse des weissen Mamies ganz und gar unzureichend sind. Jene nahren sich ausschliesslich von in Wasser abgekochtem Reis , tra- gen keine anderen Kleider, als cine baumwollene Blouse und dergleichen Hosen, schlafen heerdenweise di<^tgedrangt in engen Raumen zusammen , und sind insgesammt uiiverheirathet , haben also nicht flir Frau und Familie zu sorgen. Ein Irrthum ware es , zu glauben , dass desbalb ihre Zahl abnehmen miisse. So lange mit der chinesischen Arbeit ein Geschaft zu machen ist, werden die in San Francisco bestehenden cbinesiscben Compagnien fortfahren, ibre Landsleute aus dem an menschlicber Waare un- erschopm'ch reichen China heriiber zu transportiren , und sie, so viel ihrer nur gebraucht werden , als Kulis zu verdingen. Diese Compagnien importircn allerdings auch Frauenzimmer , aber nur in sehr geringer Anzahl (etwa 5 Prozent der Zahl der Manner) und sie beniitzen dieselben ausschliesslich zum Zwecke der ekel- haftesten Prostitution. Die Konkurrenz der Chinesen hat den gewohnlichen weissen Arbeiter aus alien Beschaftigungen , die nicht eine bedeutende, energische Korperkraft verlangen, beinahe verdrangt. In der Fa- brikation von Zigarren, leichtem Schuhwefk, fertigen Klcidcrn und vielen anderen Fab rikszweigcn, endlich in der in Europa vom weiblichen Geschlechte ausschliesslich besorgten Wascherei und als manriliche ,,Dienstmadchcn" haben sie sich nahezu ein Monopol errungen. Es muss zugestanden werden , dass sie in der Gartenkultur Bedeutendes leisten und es an Miihe mil Sorgfalt nicht fehlen lassen, wie uberhaupt der Chinese ein fleissiger, auf seinen Vortheil bedachter, verschmitzter Bursche ist, der voll Trug steckt, das, was der Weisse Ehrlichkeit nennt, gar nicht zu kerinen scheint, und dessen Moralgrundsatze, beson- ders auch in geschlechtlicher Beziehung, von denen der weissen Race himmelweit verschieden sind. Dass er zu gleicher Zeit ein erbarmlicher Feigling, und als Ersatz dafur, rachsuchtig und wolliistig, ist bekannt. Fur die weissen Arbeiter hat die Konkurrenz dieser Men- schensorte zur Folge, dass Beschliftigung aller Art am Stillen Ocean noch viel unsicherer ist, als am Atlantischen Meere. Wenn mitunter der Handwerker und Arbeiter auch hohen Lohn verdient, so gcschieht dies nur in Folge eines augenblicklichen Bediirfnisses, und jcder solchen Periode folgt immer eine langere Zeit beinahe ganzlicher Arbeitslosigkeit. Die Anzahl der mit ihrem Biindcl auf den RUcken heimathlos umherirrenden , nach Beschaftigung suchen- dcn Arbeiter ist in Californien grosser, als in irgend einem Theile der Union , und diirfte kaum weniger als zehn Prozent der Ge- 61 sammtbe volkerung des Staates betragen. Unicr diesen TJmstandcn hat der Arbeiter dort kaum eine verlockendc Aussicht. Es gibt noch einen Grund , warum die Kosten dcs Lebens- unterhaltes in Amerika, bcsonders fur die Stadtbevolkerung, sehr viel hoher sind , als in Europa. Er ist nicht nur in den hohen allgcmeinen Steucrn , sondern auch in den hoben Lokals teuern, bcsonders aller bedeutenderen Handelsstiidte zu suchen. Jede gesonderte Verwaltung legt in den Vereinigten Staaten besondere Steuern auf, und ziebt dieselben besonders ein. Die Union selbst erbebt ihre Jahreseinnahmen ausschliesslich ini Wege der Einfuhrzolle und indirekten Steuern , die Staats- und Gemeinde- regierungen dagcgen die ihrigen dtirch Grund- und Vermb'gens- steuern. Ausserdem miissen einzelne Gewerbe, z. B, die Tabaks- fabrikation und der Verkauf geistiger Getranke an alle diese Instanzen Steuern bezablen. -Betreffs der nationalen Besteuerung ist nur nothig zu be- merken , dass dieselbe, die ungefiihr 300 Millionen Dollars betragt,- in den lefoten Jahren eine b estandige Zunahme zeigt. Die Aus- gabeii aller Zweige der Rcgierung stcigen ohne einen ersichtlichen Grund; in welcher Proportion, zeigen annahernd die Beitriige, welche die Marine und der Sceclienst in den letzten Jahren gekostet haben : 1871: 19,431,027 Dollars 1872: 21,249,810 . 1873: 23,521,257 1874: 30,932,587 Da in den letzten Jahren die Zolleinnahmen von 216,370,287 fur das Jahr 1871 1872 auf 163,103,834 Doll, fur 1873 1874 gefallen sind , so hat man sich in der letzten Session des Congresses (im Winter 1874 1875) veranlasst "gesehen , nachdem man schon vorher 2 -i Millionen Dollars Papiergeld auf s Neue ausgegeben, die 'inneren Steuern um ungefahr 30 Millionen Dollars zu erhb'hen, \\ T as dem Volke, dessen Einkommen sich in der jiiiigsten Zcit \vesentlich vermindert hat, natiirlich doppelt empfindlich sein muss. Die Staatssteuern sind in den nordlichen Staaten verhaltniss- massig noch am geringsten. Ebenso sind die Steuern der land- lichen Gemeinden [towns) nicht allzuhoch. Dagegen leiden die grossen Stadte unter einem enormen Steuerdrucke. Die Stadt New-York, deren Bevolkerung 900,000 Einwohner bctragt, bringt einen jahrlichen stadtischen Steuer- betrag von iiber 30 Millionen Dollars auf. Trolzdem vermehrt sich die Schuld dieser Stadt jahrlich noch um ungefahr 10 Mill. Dollars. Der wesentliche Grund dieser ' hohen Besteuerung liegt in der Verwaltungscorruption , die sich in der nationalen Regierung und in jener der grossen Stadte am meisten eingeschlichen. Ein 62 anderer Grund aber ist matericller Natur, namlich die allzu grosse rliumliche Ausdehnung der Stadte , zum Theile Ergebniss dcr Spe- kulation, deren Natur ich schon friiher andeutete. In meilenweiter Ausdehnung um den, wenn ich so sngen darf, Kern einer sich bildenden Stadt, ist das Land in Strassen und Baustellen ausgelegt, Hier und da nur steht an alien diesen Strassen ein vereinzeltes Haus. Aber alle Eigenthiimer und Spe- kulanten, welchen die Baustellen in den Zukunftsstrassen zugehoren, drangen die Stadtbehb'rden fortwahrend, die Strassen zu pflastern, Wasserleitungen , Abzugskanale , Gasleitungen , kurz, alle mod erne n Verbesscrungen in ihnen anzulegen. Alle diese Arbeiten wtirden, wenn auf die ehrlichste und sparsamste Weise ausgefuhrt, ein ungeheures Geld kosten , und die Ausgaben amerikanischer Stadte betrachtlich hoher stellen, als die gleichbevolkerter Stadte in Europa, welche auf einen Bruchtheil des Raumes, den Jene ein- nchmcn, sich beschranken, und also nur offentliche Arbeiten in so viel geringerem Maasse vorzunehmen und in Stand zu halten branch en. Aber alle diese Arbeiten werden anstatt auf die billigste, auf die kostspieligste Weise ausgefuhrt, wobei natiirlich ,,mehr zu machen" ist. So kommt es denn, dass die Verbesserungen an einer Strasse haufig ebensoviel, mitunter noch mchr kosten, als das Eigenthum an dieser Strasse zum Zwecke wirklicher Be- niitzung werth ist. In Stadten, die nicht auf einer vollkommen ebenen Boden- flache liegen, wird die Kostspieligkeit noch dadurch gesteigert, dass die Anlage der Strassen ohne jede Rucksicht auf die Terrain- Verhaltnisse geschieht. Der amerikanische Ingenieur zerbricht sich beim ,,Auslegen" eines Stadtplanes nicht im Geringsten den Kopf. Gleichviel wie Boden, natiirliche Umstande oder Umgebung , er legt eine Reihe von Strassen an, die genau von Norden nach Siiden laufen, und eine andere von Osten nach Westen, die jene im rechten Winkel durchschneiden. Ich habe Stadte gesehen, wie z. B. Kansas City, im Staate Missouri, und San Francisco im Staate California , worin die in Folge dieser Strassenplane noth- wendig gewordenen Anlagen Millionen und aber Millionen schon gekostet haben und noch kosten werden, wahrend durch Riick- sichtnahme auf Terrainhindernisse der grosste Thcil dieser Aus- gaben zu ersparen gewesen ware, ohne dass der Verkehr auch nur im Geringsten gelitten hatte. Denn das blosse rechtwinklige Strasscnsystem ist gar nicht einmal dasjenige , welches den Ver- kehrserfordernissen am Besten entspricht. Ein solches erfordcrt vielmehr auch Diagonalstrassen. In den volk- und verkehrsroichen Stadten Amerika's beginnt man jetzt dies einzusehen, und fangt nun an, mit einem Kostenaufwande von Millionen solche Diagonal- 63 strasscn durchzubrechen , die man in dcr ersten Anlage umsonst hatte haben konnen. Alle diese Umstande erhohen die stadtische Besteuerung, und daher sind auch Miethen enorm theuer. Noch theurer aber werden Letztere durcli die Unbestandigkeit und das Neue der amerikanischen Verhaltnisse insofern, als, alle Gebaude nur auf eine durchschnitfrliche Dauer von zehn bis fiinfzehn Jahren bc- rechuet sind. Eine Folge hiervon ist, dass die Jahresmietbe einen bedeutenden Theil des Baukapitals selbst, etwa 6 bis 7 Prozent desselben, zuriickerstatten muss. Rechnet man hierzu die wegen der feuergefahrlichen Bauart hohen Versicherungssummen, so wird man begreifen, warum in alien amerikanischen Stadten Miethen durchschnittlich drei- bis vicrmal so theuer, als in gleich grossen Stadten Europa's. Der hohe Preis der. Miethen wirkt natiirlich auf alle Ge- schafte ein, und der Gewinn des Handelsmannes , des Fabrikanten, kurz eines Jeden, der Raumlichkeiten in einer Stadt beniitzt, muss um so viel erhoht werden. Alle Waaren werden also entsprechend theurer, und das Schlussergebniss ist eine ganz enorme Kost- spieligkeit aller Lebensbediirfnisse mit alleiniger Ausnahme der- jenigen, die man selbst von den Bauern aus crster Hand kaufen kann. Die Corruption. Aus der oberflachlichen Betrachtung des Umstandes, dass die Vereinigten Staaten ein im .Verhaltnisse zu ihrer Ausdehnung diinnbevolkertcs Land sind, entspringt gewohnlich die Meinung, dass dieselben noch auf lange Zeitraume hinaus leicht im Stande sein werden, einer unbegrenzten Anzahl Einwanderer Spielraum zu gewinnreicher Eritfaltung ihrer Thatigkeit zu gewahrcn. Diese Ansicht lauft darauf hinaus, dass ein diinnbevolkertes Land dem Arbeiter an und fur sich bessere Aussichten biete, als ein dicht- bevolkertes. Um das Irrige dieser Meinung zu erkennen, geniigt es, auf die zahlreichen Lander hinzuweisen, die wie die Tiirkei, Russland, Spanien in nachster Nachbarschaft der dichtbevolkerten Staaten Europa's liegen, an natlirlicher Fruchtbarkeit und klima- tischen Vortheilen Letztere zum Theil weit ubertreffen, und in 64 denen dennoch die arbeitcnde Klasse sich viel schlechter befindet, als im dichtbevolkerten Belgien, England, dem grosseren Theile von Deutschland u. s. w. Es folgt daraus, dass, welch en Ein- fluss auch imraer die grossere oder geringere Dichtigkeit der Be- volkerung auf deren Wohlbefinden ausiiben moge, Letzteres den- noch von anderen Umstanden oft in grosserem Maase, als von dem Reichthurae der naturlichen Hilfsquellen und' der Ausdehnung des Landes beeinflusst wird. Obenan steht sicherlich die Art und Weise der Staatsverwaltung. Unter schlechter Verwaltung sehen wir eine diinne Bevolkerung in reich, ja vcrschwenderisch von der Natur ausgestatteten Gebieten , wie in den spanischen Repu- bliken Stid- und Mittelamerika's in Armuth leben, w ah rend unter einer guten Verwaltung arme Lander, wie z. B. Norddeutschland, dennoch eine bedeutende Bevolkerung in verhaltnissmassigem Wohl- stande zu ernahren fahig sind. Der Werth eines ausgedehnten Gebietes und natiirlicher Hilfsquellen wird also erst durch die Giite der Staats- Verwaltung verwendbar, und die von der terri- torialcn Ausdehnung der Vereinigten Staaten abgeleitete Empfeh- lung der Auswanclerung dahin hat demnach erst dann Anspruch auf Beachtung, w r enn geniigende Griinde zu der Voraussetzung vorliegen , dass die Verwaltung der Republik gut genug sei, uni die giinstigste Verwendung der gegebenen Hilfsquellen seitens der Bevolkerung zu ennoglichen. Eine vorurtheilsfreie Anerkennung dieser Thatsache zwungt uns, den Werth des gegenwartigen Regierungssystems der grossen Republik zu untersuchen. Ich unternehme allerdings damit eine Aufgabe, deren Versuch allein in den Augen einer gegenwartig in den meisten civilisirten Landern verbreiteten Anschauung , wie sie namentlich in der Presse der Vereinigten Staaten selbst allgemein vertreten ist , als Versiindigung erscheint. Es ist dies jene An- schauung, die es als unbedingte Pflicht eines Jed en hinstellt, der nicht als ,,Verbrecher 1 ' an den ,,heiligsten Giitern der Menschheit", dem , ; Fortschritte", den allgemeinen Menschenrechten" und, wie alle die sonst gebrauchlichen Lieblingsworte dieser Glaubens- richtung lauten , gelten will, es fiir eine ,,selbstverstandliche" Wahrheit zu halten, dass die init dem Namen Republik" be- zeichncte Staatsform ein an und fiir sich vollkommenes Heilmittel gegen alle Uebel sei, an denen das Menschengeschlecht jemals gelitten hat, oder je leiden wird. Zu erklaren, warum und wes- halb die ,,Menschheit" diesen Glauben hegen miisse , halt diese Partei fiir ganzlich uberfliissig, und die Anwendung der Lehre des gemeinen Menschenverstandes: ,,An ihren Friichten sollt ihr sie erkennen!", eine vergleichsweise Wiirdigung des Werthes ihrer Lieblingsstaatsform mit Anderen, die sie doch, wenn sie von der unbedingten, allgemeinen Richtigkeit des sogenaimten republikani- 05 schen Princips so fest uberzeugt ware, als sie vorgibt, heratis- fordern sollte, halt sie fur eine abscheulich boswillige Anmassung eines vorweg gegen diese Staatsform eingcnommenen Menschen. Den Ungliicklichen , der sich erdreistet, eine solche Kritik auszu- iiben, sucht sie nicht zu widerlegen, indem sie die Falschheit seiner Anschauimgen an's Licht stellt, sondern sie zieht es vor, ihn, sowcit es in ihrer Macht steht, durch personliche Angriffe stumm zu macben. Zu dieser Betracbtung werde ich durch fol- genden Passus veranlasst, den ich der in Chicago erscheinenden Union" entnehme : ,,,,Ein Chicago er Urtheil! Ein Herr H. Becker in Chicago schickt an Ilerrn von Hellwald, Redakteur des n Ausland", folgendes unmaassgebliche Urtheil liber Amerika, welches denn doch den Pessimismus allzu- sehr iibertreibt. Wir begreifen nicht, wie es Herr Becker fertig bringt, in diesem schrecklichen Lande noch zu leben. Ruckwanclern, Herr Becker, Ruckwandern! ^Eine Musterrepublik , in der nach noch nicht einmal hun- dertjahrigem Bestehen schon zu einer Unmb'glichkeit geworden, einen ehrlichen Menschen in irgend ein Amt zu bringen , - dessen eine Halfte sich seitdem und in Folge des zum Besten des Principiensystemes " gefuhrten Krieges mit grosster Schnelligkeit haitisch-mexikanischen Zustanden nahert, in dessen anderer Halfte die Lage der arbeitenden Klassen sich mit einer in alien civilisirten Landern unerhb'rten Rapiditat verschlechtert , und in dem sich in Folge dessen ein Proletariat entwickelt, bereit die Hunnen- tmd Vandalenhorden zu liefern, von denen Macaulay schon die Ver- nichtung aller etwa bestehenden Civilisation zu erwarten sich be- rechtigt fiihlte , ein Land , in dem die ehrliche Arbeit allgemein als Dummheit verachtet wird, in dem die bodenloseste , betrii- gerische Spekulation die Beschaftigung der smarteren ,,Stande" bildet und ihr Geistesleben ausfiillt , in dem die ausgedehnteste Plunderung des Volkes durch die schrankenloseste Habgier der Geldarisiokratie von der in alien ihren Verwaltungszweigen und Beamten erkauftcn Regierungsmaschine auf jede nur denkbare Weise unterstiitzt wird , in dem in Folge dessen jede etwa vor- handene bessere Gelegenheit zum Verdienst von Monopolen in aitsschliesslichen Bcsitz genommen ist, in dem im etwa noch ehrlich gebliebenen Theile des Volkes eine vollstandige Rathlosig- keit herrscht, wie und ob der allgemeinen Faulniss auch nur der geringste Damm entgegengesetzt werden konne, ein Land, in dem die Bildung als uberflussig verachtet und freche, unter der oberflachlichen Politur Pariser Moden verhullte Rohheit sich iiberall in den Vordergrund driingt, ein Land, dessen manchmal ge- ruhmtes Erziehungssystem eine mechanisch, papageienhaft ab- 9 66 gerichtete Jugend hervorbringt , die zu jedem wahren Denkprocesse beinahe ganz und gar unfahig zu sein scheirit, und iiberdies es auch fiir Dummheit halt , irgendwelche Kenntnisse zu erwerben, als gerade jene, die sie in dem Job, in dem sie zunachst be- schaftigt zu sein erwarten , in baares Geld umsetzen konnen, ein Land, in dem eine freie Presse existirt, die keinen ,,freien" Gedanken zu aussern wagt, so dass jeder geistige Fortschritt nur durch Importation seiner Ideen von Europa sich verbreiten kann, ein solches Land ist \venig geeignet, einem voranstrebenden Yolke als Vorbild und Muster zu dienen , passt abor vortrefflich zur Studie fur den Kulturhistoriker , urn an diesem lebondigen Beispiele die Ursachen des Zerfalls der Republiken (und Reiche) zu ergriinden."" Man sollte denken, wenn einc Zeitung eine ihr offenbar so auffallige Stelle, wie die vorhergehende, von der Union", dem ,,Ausland" entnommen, abdruckt, wurde sie die darin entbaltenen Behauptungen mit einigen kritischen Bemerkungen begleiten , in denen sie das Unwahre oder nach ihrer Meinung Uebertriebene darlegt. Wenigstens wiirde jede Zeitung, die ein verniinftig urtbeilendes Lesepublikum zu iiberzeugen sucht, etwas Derartiges versucben, es sei denn, die betreffenden Behauptungen waren so offenbar falsch, dass Jeder in den Zustanden Bewanderte, deren Unwahr- heit sogleich einseheri miisste. Inwieweit Letzteres der Fall, wer- den vvir dem Leser sogleich durch zahlreiche Anfiihrungen der Auslassungen von Leuten darthun, von denen viele im republi- kanischen Amerika sogar als hervorragende Grossen gelten. Vor- laufig aber wollen wir uns noch mit der Chicago-Union beschaf- tigen und es klar machen , warum gerade diese Zeitung sich be- sonders veranlasst fiihlte, durch einen personlichen Seitenhieb auf den Verfasser des obigen Urtheils sich auszuzeichnen, wahrend andere, besser redigirte und einflussreichere Journale ein weises Stillschweigen iiber eine Stelle beobachteten , die so sehr die Auf- merksamkeit des Publikums auf sich gezogen, dass ich sie in offentlichen Lesesalen, in denen das ,,Aiisland" auflag , rcgel- massig angestrichen fand. Der Grund dieses Stillschweigens liegt einfach darin , dass sie nicht im Stande sind, auch nur ein Wort des obigen Passus zu widerlegen, wahrend Stellung und Ansehen dieser Blatter eine solche Widerlegung gebieterisch verlangt batten. Die Chicago- Union hingegen ist als Zeitung eine Erscheinung , wie sie passen- der zur Illustration der Zustande in den Vereinigten Staaten kaum gefunden werden kann. Stellung und Ansehen hat sie nicht zu verlieren, da sie einzig und allein zu dem Zwecke besteht, einen gewissen Procentsatz Brandscliatzung von Allen zu erhcben , die sich in Chicago entweder in einem stadtischen Amte oder ver- 67 mittelst eines stadtischen Kontraktes an der bffentlichen Krippe zu masten gedenken. Im Uebrigen halte ich es dennoch fur wahrscheinlich, class die Eedakteure der Union" ihre Kritik iiber die angezogene Stelle dem Publikum in etwas ausgedehnterer Form vorgelegt haben wiirden, wenn die Besetzung der redaktionellen Stellcn bei dieser Zeitung nicht nach demselben Grundsatze vor sich ginge, wie bei so vielen anderen Slattern des freien Landes, namlich nach jenem, dass irgendein verkommener Scbneidergesell, der Fertigkeit im Hantiren der Seheere besitzt und sich nach gcnteeler Beschaftigung sehnt, einem Kandid^ten, der einen halbwegs leserlichen Aufsatz zu schreiben im Stande , jedesmal um deswillen vorgezogen wird , weil es immerhin wahrscheinlich, dass Letzterer hb'heren Lohn beanspruchen werde, als der Erstere, und weil es ja unendlich viel praktischer und billiger ist, und viel weniger Miihe macht, die Spalten der Zeitung mit Ausschnitten gestohlenen Lesestoffes zu fiillen, als selbst sich den Kopf beim Abfassen von Artikeln zu zerbrechen. Es geniigt, als Illustration hierzu die Thatsache, dass ungefahr zur selben Zeit, als obiger Passus in der Union erschien, einer der Rcdakteure erst in den letzten Jahren es mit sehr grosser Miihe so weit gebracht hatte, seinen eigenen Namen zu malen. Weder Freund noch Feind hatten ihn je inVerdacht, irgendeinen Geclanken erzeugt zu haben, eine Eigenschaft , die ihm gestattete, vermoge einer ausserordentlich sprudelnden inhaltsleeren Schwatzhaftigkeit sich einem ausgedehn- ten Kreise souveraner Burger aufzudrangen und als Mordpolitiker Einfluss zu gewinnen. Was nun die ,,Union" bctrifft, so ist der Charakter dieser Publikation zu lehrrcich, um nicht noch langer dabei zu ver- weilen. Die Union" ist namlich ein in Chicago erscheinerides "Winkelblatt, dessen Leserkreis meistens aus Schenkwirthen und orthodoxglaubigen Katholiken besteht. Dieses Winkelblatt war, wie schon oft vorher, kiirzlich wieder einmal total bankerott. Der Haupteigenthiimer der in Chicago erscheinenden Illinois Staatszeitung'', des im Nordwesten der Vereinigten Staaten ein- flussreichsten deutschen Blattes , das in Chicago und Umgegend bei dem deutschen Publikum beinahe ein ausschliessliches Monopol be- sitzt, und vernioge dieses Einflusses die sehr bedeutende deutsche Stimmenzahl der Stadt und des County nahezu unbedingt kontrolirt, besizt in Folge dessen seit langen Jahren einen ahnlichen maass- gebenden Einfluss auf die Yerwaltung der Stadt, wie ihn seiner- zeit Tweed in New- York hatte. Wie bedeutend dieser Einfluss ist, geht daraus hervor, dass bei der Herb stwahl des Jahres 1872, obwohl sammtliche englische Zeitungen die sogenannte Law and Order ,,Gesetz- und Ordnungs-Partei " unterstiitzten , die wesentlich aus dem amerikanischen Elemente der Bevolkerung bestehend, beabsichtigte , deren besondere Anschauungeii auch hinsichtlich der sogenanntcn Tempera nzfrage zur Geltung zu bringen , es dennoch der nur von der Illinois Staatszeitung" und einigen kleineren deutschen Blattern imterstiitzten Yolkspartei gelang , mit der , un- ier einer abgegcbenen Stimmenzahl A-on ungefahr 47000, unge- "heuren Mehrheit von nahezu 12000 Stimmen den Sieg zu erringen. Der Herausgeber der ,,Illinois Staatszeitung" nun, vermoge dieses Einflusses in Chicago die Eolle splelend, die man in amerikani- schen Stadten mit dem Titel Boss (etwa ,,Meister") belegt, und die wesentlich in dem kontrolirenden Einflusse auf die Verwaltung der betreffenden Stadt, also z. B. bci Vergebung der Stadtamter und stadtischen Kontrakte oder sonstiger Unternebmungen , bei denen Etwas zu r machen' ( ist , besteht, fiihlte kurze Zeit vor jener Wahl die Nothwendigkeit einer mit der Haltung seiner Zei- tung unzufriedenen Opposition innerhalb der deutscben Bevolkerung die Spitze soweit abzubrecben , um den erfolgreicben Aufschwung eines Oppositionsblattes , das damals unter dem Namen der ,,freien Presse" versucht wurde , zu hindern. Deshalb kaufte er die bankerotte Union" unter der Hand. Da er selbst aber na- ttirlich nicbt als Eigentbiimer des beabsicbtigten gesinnungstreuen Oppositionsblattes vor die Oeffentlichkeit treten konnte, scbob er als Hauptredakteur und angeblicben Eigentbiimer einen journalisti- schen Abenteurer vor, der es im Secessionskriege zur Obersten- stelle in einem Negerregimente und demgemliss natiirlich zum Titel General" gebracht hatte; gleichzeitig vcrwandelte er die Union in ein Aktienunternebmcn mit einem Griindungskapitale von 30,000 Dollars., Die Wiedererstattung seiner nicht eben bedeu- tenden Geldanlagen sicherte er gegen irgendwelcbe Spekulation des unternehmenden Generals" und Haupteigentbiimers dadurch, dass er eine Hypothek in obigem Betrage auf das Blatt nabm. Um nun clieser Hypothek einen Werth zu verleihen , musste die Aktiengesellschaft unter dem Presidium des journalistischen Gene- rals natiirlich zahlungsfahig gcmacht werden. Eine Kleinigkeit fur den r Boss" einer amerikanischen Stadt von 300,000 Einwoh- nern ! Der General wurde zunachst als Kandidat fur das Amt eines County Clerk (eines Registrators der Akten des Krcisgerichts und der Kreisverwaltung) aufgestcllt, und bei der oben erwahnten Wahl natiirlich gewahlt. Gleichzeitig Hess sich dieser Stratege die Gelegenheit nicht critschliipfen , an die verschiedenen Patrioten, die der Stadt in an- deren, eintraglichen Aemtern niitzlich sein wollten, und sich des- halb entweder bei der Wahl um die Kandidatur, die natiirlich der ,,Boss" bestimmen konnte oder nach der Wahl um irgendeine der unteren Stellen bewarben, wobei wiederum die giinstige Em- pfehlung des ^Boss" massgebend blieb, die werthvollen Aktien 69 seines gliinzenden Zeitungsunternehmens in Quantitaten zu ver- kaufen, die dem Werthe dessen, was in dem gewunschten Amte r gemacht" werden konnte, angemessen \varen. So weit gut! Aber damit war unser General nicht zufrieden. Einige Zeit vor- her hatte eine konstituirende Yersammlung des Staates Illinois die Unverschamtheit gehabt, das Gehalt der Stelle, zu der er erwahlt war, auf jahrlich 3,500 Dollars festzusetzen , und zu verordnen, dass die Sporteln , die ehedem in die Taschen des Amtsinhabers fielen, an den Schatz des County abzufiihren seien. Unser stra- tegischer Journalist sah aber 3,500 Dollars als eine viel zu ge- ringe Yergiitung fiir die werthvollen Leistungen seines Genies in einer solchen Stelle an, zumal er die letzten 10 Jahre auf der Jagd nach einem derartigen Ruhekissen zugebracht und dabei sehr oft von magerer Kost gelebt hatte. Er legt demnach dem Rathe der Supervisoreu oder Kreisabgeordneten , denen die kontrolirende Direktion uber die Ausgaben des County zusteht, eine von wahr- haft ausserordeiitlicher Erfindungsgabe zeugende Auseinandersetzung vor, \vorin er haarklein beweist, dass die konstituirende Yer- sammlung, als sie das Gehalt seines Amtes auf 3,500 Dollars festsetzte, beabsichtigt hatte, ihm einmal 3,500 Dollars im Jahre als Clerk der Countyverwaltung und ein andermal 3,500 Dollars als Clerk des Countygerichts zu geben. Dieses unerhort geniale Argument hatte auch sicher den gewunschten Erfolg gehabt , wenn nicht das verbreitetste der englischen Oppositionsblatter (die Chi- cago Times, darob Larm geschlagen, und aus der originellen Ent- deckung die weit ere Folgerung gezogen hatte, dass man nach demselben Principe jedes Amt in so und so riele verschiedcne Thatigkeitszweige zerlegen konne, und, wenn man jeden dieser Zweige mit dem vollen Gehalte bezahlen wollte, am Ende gar der unerschopfliche Reichthum der grossen Republik Amerika nicht mehr zur Bczahlung der Beam ten- Gehalte ausreichen mochte. Diese bb'swillige Auseinandersetzung veranlasste den weisen Rath der Supervisoren, so gerne sie auch an dem gewiirischten Zu- schlage ihre Provifiionsgebiihren verdient batten, iiber die Rich- tigkeit des Argumentes die Kopfe zu schiitteln. Aber Geschaft ist Geschaft, und unser Stratege verlegte sofort seinen Angriff auf eine andere Seite; er anderte namlich seiuen Operationsplan dahin, dass er dem Supervisorenrathe eine Liste der von ihm be- nb'thigten Hilfsschreiber zur Bestatigung vorlegte. Die Gesammt- gchalter der in dieser Liste aufgcf iihrten , opferbereiten Pcrsonen beliefen sich auf 37,000 Dollars, wahrend im abgelaufenen Jahre die Bureauarbeit fur 17,000 Dollars gethan war. Aber in Amerika ist es eine Siinde zu bezweifeln ^ dass ,,unsere Stadt" ganz riesig und ungeheuer wachst; der Supervisorenrath sah also in der um mehr als 100 Procent erhb'hten Berechnung der Bureaukosten des 70 County Clerk Arntes nnr einen neuen Beweis fiir die glorreiche, unwiderlegliche und noch nie dagewesene Entwickelung der Stadt, und beeilte sich dieselbe zu votircn. Dass die betreffenden Herren fur diesen Beschluss etwa Inhaber von Aktien der Chicago Union geworden waren, 1st um deswillen zu bezweifeln, weil diese Aktien eben nur Papier sind, dessen Honorirung in courantem Geld sehr problematisch. Die dadurch offen gelassene Llicke in der Reilie der Aktieninhaber wimle jecloch durch die sich mit ausserordentlicher Begeisterung darauf stiirzenden , bei der gen- teelen Bureauarbeit angestellten Schreiber wieder vollstandig ausgefullt. Dass dies ganz und gar frciwillig und ohnc jede Be- einflussung seitens des kommandirenden Generals und County- Clerks geschah , bezeugten mehrere dieser Herrn Schreiber in be- schwornen Angaben, als das oben erwahnte boswillige Oppositions- blatt sich zu behaupten erdreistete, sie seien nur deshalb ange- stellt word en , well sie eben diesc Aktien gekauft hatten , und batten iibcrhaupt im Bureau welter Nichts zu thun, als ein Paar Stunden lang mussig auf den Stuhlen zu sitzen und dabei eiiie gewisse Quantitat vom County geliefertes Papier zu ferncrem Gebraucli untauglich zu machen. Letztere Angabe ist jedenfalls insofem unrichtig, als einige dieser Herren sich gelegentlich damit be- schaftigen, mittelst der vom County gelieferten Scheere aus andern Zeitungen jene Auschnitte zu machen , womit die Spalten der Union gefiillt werden. Dass sie dabei den oben angezogenen Aus- schnitt aus dem ,,Ausland" gemacht hatten, ist ganz und gar un- wahrscheinlich, da die Lekture eines derartigen Blattes dem geistigen Kaliber dieser Leute vollig unangemessen ist, und es erklart sich die Aufnahme desselben wahrscheinlich am bcsten daraus , dass er im Redaktionszimmer der Zeitung des ,,Boss" Aufsehen erregte. Da man sich dort einer Widerlegung, die mindestens ungemein schwicrig ware, nicht gewachsen fiihlte, wurde der Passus dem Oppositionsblatte mit der Weisung zuge- sandt, dem Verfasser mit einem personlichen Seitenhieb zu Leibe zu gehen. Und also geschah' s ! Uebrigens muss noch bemerkt werden, dass der Herausgeber der ,, Chicago Union", seitdem er County Clerk geworden, seine Wurde durchaus nicht so weit herabsetzte, die betreffenden Aktien persb'nlich an seine Schreiber zu verkaufen. Dies bcsorgte viel- mehr der Eingangs erwahnte schriftgelehrte Redakteur, der zu diesem Zwecke (und weil die freiwillige Dienstfertigkeit der Bureauschreiber die von ihm bisher geleistete Arbeit mehr als geniigend ersetzte), aus dem Redaktionspersonale ausschied, und den Vertrieb der Aktien des Unternehmens besorgte. Die vorhergehende , durchaus getreue und nothigenfalls mit Namen und Daten zu belegende Schildsrung des Charakters der 71 Chicago Union wird dazu beitragen , dem Leser ein ungefahres Bild des Getricbes, das in der amerikanischen Politik gang und gabe, zu bieten. Um aber zu zeigen, dass die, in der im ,,Aus- land" seinerzeit abgedruckten Stelle entbaltenen Ansichteri nicht aus blosser Makelsucht hervorgehen, sondern aucb von anderen Leuten getheilt werden, erscheint es angemessen, vorerst eine kurze Anzahl von Bemerkungen , die hier und da von wohlbekannten amerikanischen Personlichkeiten gemacht worden, einzuschalten. Bayard Taylor, einer der bedeutendsten amerikanischen Schriftsteller nnd Dichter, besonders mit der deutschen Literattir sehr vertraut, und durch eine Uebersetzung des Faust u riihmlichst bekannt , driickte sich in einer Anrede an die Delta-Kappa-Epsilon- Gesellschaft , eirien gelehrten Verein , am 15. Oktober 1874 in der Stadt Charlottesville t Virginien, folgendermaassen aus: ,,Ich will das, was viele Andere empfinden , aber noch nicht auszusprechen wagen , hier offentlich verkiinden, dass die pfiffige, listige, auf Schleichw-egen wandelnde Gescheidtheit gegen- wartig sich bestrebt, die friihere Ehrlichkeit aus alien Geschiiften zu verdrangen ; dass eine Gleichgiltigkeit gegen alle Angelegenheiten von offentlichem Interesse jene ganze grosse Klasse von Leuten ergriffen hat, die ehemals aus Stolz und PflichtgefUhl das Ihrige gethan; dass eine abgeflachte, Alles zum Zerrbilde machende Geistesrichtung (a flat buffoonery) die besten Erzeugnisse unserer Literatur durchweht; dassLeute, die aus der Politik ein selbstisches und schacherndes Geschaft machen, jetzt in den Sitzen zu finden sind, die ehedem Staatsmanner einnahmen. Ich finde, dass die Guten den Muth verlieren, und selbst Viele, die Ansehen und Einfluss besitzen, geneigt sind, mlissig zuzusehen, und auch das f'chlimmste iiber sich ergehen zu lassen , was nur kommen mag. In den wenigen Wochen , die seit meiner Ruckkehr von Europa verflossen sind, bin ich gezwungen worden, in Scham zu versin- ken, als ich so Viele privatim ihre ganzliche Hoffnungslosigkeit ausdriicken horte, und den Mangel jenes Muthes wahrnahm, ohne den kein Volk frei und gebildet sein kann." James Parton, einer der bekanntesten der in Amerika so beliebten professionellen Vorleser, hielt im November 1874 eine Vorlesung, betitelt Our scandalous politics ,,Unsere schmachvollen Verwaltungsverhaltnisse. " Nach einem kurzgefassten Berichte des New -York Herald" driickte cr sich in seiner Vorlesung in Plimp- ton Hall zu New- York aus wie folgt: ,,Wahrend der Weltausstellung in Philadelphia zur Feier des hundertjahrigen Bestehens der Republik , solle man bei Haarlem (einer nordlich gelegenen Vorstadt New-York's) einen grossen Bretterzaun errichten , und in demselben dem Publikum unter An- derem zeigen : 72 w Ein Miethshans, sieben Stock werke hoch und 40 Fuss breit, in dem 64 Familien leben, von denon einige noch Kost- ganger haben. Daneben einen Stall gleich denen in der 5. Avenue", (dem eleganten Quartier der feinen Gesellschaft New-Yorks) dessen Ausstattung von Rosen- und Wallnussholz hergestellt, und an dessen Wanden prachtvolle silberbescblagene Geschirre aufgebangt waren;" w Einen Muster-Pfer Jeeisenbahnwagen , fiir 20 Passagiere gebaiit, in den 75 hineingepackt werden, eine schweissgahrende Masse Menscbenfleisch vorstellend , von zwei keucbenden Pferden gezogcn, dessen Kutscher mit trotziger Frechheit Henry Bergh J ) verflucht, wahrend der Condukteur seine Ladung verstaut , und das dabei gemachte Kleingeld in seine- Privattasche schiebt;" r l)ie gesetzgebende Versammlung des Staates Siid-Carolina wabrend einer Sitzung;" ,,Die des Staates New-York desgleicben ; " ,,Das Modell eines neuen Rathhauses, mit einigen von den Holzstiiblen darin , die der Stadt 411 Dollars, schreibe Vierhundert und Eilf Dollars das Stuck gekostet baben", (wie es beim Bau des neuen Rathhauses der Stadt New-York thatsachlich passirt ist); ,,Ein geschichtliches Gemiilde, die Riickkehr des Oakes Ames zu seinen Wahlern darstellend ; " *) ,,Ein Panorama von Wall-Strasse , wahrend der ersteii Tage der Krisis." 3 ) ,,Eine innere Ansicht eines stadtischen Caucus;" 4 ) ,,Eiu Bildniss des ,,ehrbaren" Herrn Mor'issey in seinem Sitze in dem Hause des Reprasentanten zu Washington, daneben 1) den wohlbekannten Praaidenten des New-Yorker Antithierqualer - Vereins, der seine Sympathie fiir die leidende Thierwelt iibrigeiis in sehr ostensibler Weiae zur Schau tragt. 2) Oakes Ames , der leitende President der Eisenbahn-Geaellschaft beim Baue der TJeberlandbahn, der den nothigen Ankauf der n Stimmen" im Congresse in hiJchst geschaftamassiger Weise besorgte, wurde bei seiner Riickkehr von seinen Wahlern, er war namlich auch Congressmitglied, mit Triumphbogen und sonstigen schmeichel- haften Ehrenbezeugungen offentlich empfangen. g) Wall-Strasse ist in New-York, was Lombard-Strasse in London, der Hauptplatz aller grossen Geld-Geschafte , zu gleicher Zeit der Hauptplatz des Borsenspiela. 4) wobei ,,Geschafte" in ungefahr der Art gemacht werden, wie ich sie oben bei Gelegenheit der Schilderung des Charakters der Chicago Union beispielsweiae aus- einandergesetzt , d. h. die Profite der Staatsverwultung werden bei verschlosaenen Thiireu an die intereasirten Politiker vertheilt. 73 eine innere Ansicht seines Spielhauses zu Saratoga um 2 Uhr Morgens," *) ,,Photographien der intelligenten Geschwornen, die keine Zeitungen lesen, und sich keine Meinung gebildet haben; u 2 ) ,,Eine solche Ausstellung," sagte Mr. Par ton, ,,wurde allerdings nicht unserem Stolze schmeicheln. Aber dennoch mb'chte sie heilsam sein. Sie \viirde die Frage hervorrufen: Ob iiberhaupt Etwas da ist, wiirdig, in ciner Jubelfeier verherrlicht zu werden? Was wir auch selbst dariiber denken mogen, es ist fur die iibrigo Menscbheit durchaus nicht klar, dass die Einrichtungen Amerika's die Probe nur eines einzigen Jahrhunderts init Erfolg bestanden haben. Ich glaube, die Bankiers Europa's wiirden heutigen Tages einer jeden der grossen Nationen eine Anleihe von hundert Millionen unter leichteren Bedingungen vorschiessen, als den Vereinigten Staaten." ,,Es scheint wirklich, als ob die Politiker und die Ver- brecher des Landes eine und dieselbe Biirgerschaft seien , die nur in zwei Abtheilungen getheilt ist, wo von die Einen darin sind) die Anderen draussen, namlich die Ersten in den Aemtern, die Zweiten ausser denselben, Diese in den Gefangnissen , Jene ausserhalb. (Beifall des Publikums!) Und es besteht auch eine Art geheimnissvoller Verbindung zwischen diesen beiden Ab- theilungen, vermoge welcher sie miteinander Verkehr haben. Tweed (der ,,Boss u von New-York) wurde einraal von einem Zeitungsberichterstatter besucht, der ihn bat, ihm die zu einer Lebensbeschreibung des Ringhauptlings nothigen Daten zu liefern. Seine Antwort war ungefahr ftlgende: ,,Geld machen ist mein Grundsatz. Schreiben Sie das! Ich habe meine Au- gen weit offen auf Alles gerichtet, was mir in den Wurf kommen mag, dann stecke ich meinen Arm 1) Morissey, der sich als Faustkampfer einen Namen gemacht, wurde natiirlich von seinen auf solche Leistungen stolzen irlandischen Mitbiirgern als ihr grosser Mann" angesehen und regelmiissig als wiirdiger Vertretw in den Congress gewahlt , wo er seine Winter zubringt. Wahrend des Sommers macht er Geschafte und sammelt Reich- thlimer in Saratoga, dem Badeorte der eleganten Welt, wo er der Besitzer und Halter des grossartigsten Farospiel-Etablissements in den Vereinigten Staaten ist. Solche Bind die aVolksvertreter", die sich die n freien" Burger selbst \\ahlen. 2) Ein Mensch, der sich iiber einen Fall n eine Meinung gebildet" hat, ist nach den Gesetzen der Vereinigten Staaten als Geschworner unzu]assig. In Folge dieser Ein- richtung , deren urspriinglicher Zweck der gewesen , einen unparteiischen Wahrspruch zu sichern, iat es dahin gekommen , dass bei jedem wichtigercn Falle , der natiirlich als solcher sogleich in den Zeitungen besprochen wird, jeder Mensch, der iiberhaupt Zei- tungen liest, d. h. jeder Mensch, der irgendwelche Intelligenz besitzt, oder Antheil an den offentlichen Angelegenheiten nimmt, von der Geschwornenbank ausgeschlossen ist ? und es werden dann zur Erledigung solcher Falle ganzlich theilnahmlose und bornirte Menschen aus alien moglichen Winkeln zusammengelesen, um als die einzigen Burger, die aich noch keine Meinung gebildet haben u , die Stcllen der G each women auszufullen. 10 74 hinein soweit cr reicht, und ziehe die Hand heraus mit soviel als ich fassen und festhalten kann. Ich halte zu meinen Freunden. Das bin ich!" So hat sich Tweed selbst naturgetreu beschrieben " ,,Wir miissen nicht vergessen, dass, nachdem es bewiesen, dass Tweed ein glanzender Spitzbube war, nachdem Niemand diese Thatsache langer bezweifelte , er dennoch wieder mit einer Mehr- heit von mehreren Tausend Stimmen zum Senator von New-York erwahlt ward. Dasselbe geschah mit Genet (einem anderen Matador des New-Yorker Ringes.) ,,Ich sah Feuerwerke ihm zu Ehren veranstaltet von dem Fenster meines Schlafzimmers aus, und ich lauschte den Klangen der Musik, und ich bezweifle ob sein erwiesenermaassen schlechter Charakter ihm in einem, Tau- sende von Stimmgebern zahlenden Distrikte auch nur hundert Stimmen kostete. Wenu Tweed heute freigelassen w T Urde, konnte er bei der nachsten stadtischen Wahl entweder sich selbst oder irgend einen Strohmann mit einer betrachtlichen Mehrheit zum Biirgermeister von New-York erwahlen lassen. Das von den Schnapskneipen beherrschte Element allein wurde ihm dreissig- tausend Stimmen geben. Und er weiss ganz genau , wo und wie diese Stimmen zu finden sind," ,,Ich brauche diesen Gegenstand kaum weiter auszufiihren. Wir alle wissen , dass in neuerer Zeit unsere politischen Ver- haltnisse sich in der Richtung bin entwickeln, dass immer schlechtere Menschen in die hohen Aemter gelangen. Manner, die bestechen und sich bestechen lassen, sprechen ganz offen dariiber, ohne auch nur Schamrothe zu zeigen." ,,Die Stadte New-York und Philadelphia werden von den Schnapskneipen und der Verbrecherklasse regiert. Man sehe das Resultat : Die Regierenden sind korrupt, schwelgerisch , sitten- los und anmassend , die Massen des Volkes aber haben noch nicht einmal eine Wohnung gross genug, um eine anstandige und tu- gendhafte Lebensweise auch nur zu ermoglichen. " Man sieht , die hier angefiihrten Ansichten des Herrn Parton sind durchaus nicht so sehr von jenen verschieden, die der an der Spitze dieses Kapitels angezogene Passus aus dem ,,Ausland" enthalt. In einer am 27. Oktober 1874 vor einer Massenversammlung im Cooper-Institut zu New-York gehaltenen Rede sagte Herr Parker, der Gouverneur des Staates New- Jersey: ,,Keine von den Nationen , die als civilisirt angesehen wer- den , ist in einer so traurigen Lage , wie die unsere gegenwartig in vieler Hinsicht. In einem Drittel der Staaten sind die Massen des Volkes in ganzliche Armuth versunken. Die wohlerzogenen und gebildeten Klassen sowohl, als die niederen, entbehren der 75 gewb'hnlichsten Bequemlichkeiten des Lebens und leiden Mangel. Die Regierungen dieser Staaten sind so tief verschuldet, dass es beinahe unmoglich erscheint, sich je aus den Schulden herauszu- arbeiten. Man schatzt den Betrag der in Siiden seit dem Kriege gemachten Staatsschulden auf beinahe 200 Millionen Dollars. Ein Theil dieser Schuld ist zweifelsohne betriigerischerweise kontrahirt worden, aber der grosste Theil ist von den gesetzlichen Behb'rden gemacht, und bildet einen Pfandbrief auf die Hilfsquellen der Bevolkerung. Diese ungeheuere Schuld \vird nicht durch irgend- welche Verbesserungen aufgewogen, denn die Masse des so er- langten Geldes ward vergeudet oder gestohlen. Die Staats- und die ortliche Besteuerung sind so enorm, dass in verschie denen Gegenden bei den gegenwartigen Prei- sen der Grundbesitz nicht fiir den Betrag der riick- standigen S teuern verkauf t werden kann. ,,Trotz alledem konnen einige Staaten nicht Geld genug auf- bringen, um die Zinsen ihrer offentlichen Schulden zu bezahlen. Leute von Bildung und Einsehen und Solche, die Vermogen be- sitzen, sind im Allgemeinen von den Aemtern ausgeschlossen, und konnen an der Verwaltung der offentlichen Angelegenheiten keinen Theil nehmen. Die Staats- sowohl als die Gemeindeverwaltungen sind in den Handen der corrupten und unwissenden Klasse. Fremde, ohne Charakter und ohne Eigenthum, die nach dem Kriege den Siiden wie eine Heerde Heuschrecken uberzogen, um dort zu ver- schlingen, was sie finden konnten, die auf die durchtriebenste Weise sich die Neigung der unwissenden Schwarzen zu erringen wussten , haben , unterstiitzt von der Centralregierung in Washing- ton, von dem Lande Besitz genommen und halten die weisse Bevolkerung dort in einer Abhangigkeit , die in einzelnen ihrer Ziige schlimmer ist , als die Sklaverei vor dem Kriege. Die Weis- sen sind nicht nur in ihrem Besitzstande ruinirt, sie haben auch thatsachlich in Folge der Schreckensherrschaft , welche jene, die im Amt sind , mit Unterstiiztung der Bundestruppen ausiiben , nicht einmal eine Stimme in der Verwaltung. Wenn sie, von Ver- zweiflung getrieben, don Versuch unternehmen, am Stimmkasten das Joch ihrer Despoten abzuschiitteln, erlaubt man den Gewahlten nicht ihre Aemter einzunehmen , und Usurpatoren treten sie mit verzehnfachter Anmassung unter die Fusse. Das Resultat ist, dass in einem Lande von ungeheuren Hilfsquellen und iippigster Fruchtbarkeit ein verarmtes Volk lebt, nicht allein, was seinen Besitz betrifft, vollstandig, sondern beinahe in gleichem Maasse in seinem Muthe und Vertrauen gebrochen, und dem nur die einzige Hoffnung bleibt, dass der Norden sich endlich doch noch ent- schliessen werde, Abhilfe zu bringen, ,,Es ist nur die Wahrheit, dass in keinem Theile der ci- 70 vilisirten Erde eine Regierung besteht, die so tyrannisch verfahrt, wie gegenwartig in einigen Staaten dieses gepriesenen Landes der Freiheit, und ich glaube, dass diese Tyrannei , diese Missverwaltung in spateren Jahren als das grosste politische Yerbrechen des neun- zehnten Jahrhunderts an den Pranger gestellt werden wird. ,,Wir wollen uns jetzt von diesem traurigen Gemalde ab- \venden und die Verhaltnisse der anderen Theile der Union in Kiirze in's Auge fassen. Wie ein gelahmtes Glied die Gesundheit und Kraft des ganzen Korpers schwacht, so miissen wir erwarten, dass in einem Lande, dessen einer Theil hilflos und krank dar- niederliegt, auch andere Theile von dem Uebel beriihrt Y)ter- den. Die Anzahl amerikanischer Schiffe ist innerhalb einer kurzen Reihe von Jahren auf weniger denn ein Drittel ihrer friiheren Zahl gesunken, wahrend der Tonnengehalt der Britischen Han- delsmarine, friiher geringer als der unsere, sich mohr als ver- doppelte. Im Norden bleiben die Waaren der Kaufleute in den Laden liegen, weil keine Kunden sich dafiir finden. Fabriken sind geschlossen oder arbeiten nur auf halbe Zeit; Arbeiter sind miissig und konnen sogar zu Hungerlohnen keine Arbeit erhalten. Die Steuern sind dermassen angewachsen und das Grundeigenthum ist in den letzten Paar Jahren so sehr im Werthe gefallen, dass in Fallen gezwungenen Verkaufes der Eigenthumer nicht mehr als die Halfte des friiheren Preises erhalten kann , und der Mann , der sich in guten Vermogensverhaltnissen wahnte, erkennt, er sei bankerott, und ist genothigt, in seinem Alter, vielleicht mit Fa- milie belastet, auf's Neue von vorne anzufangen. Der vollstandige Ruin des Siidens und die Armuth seiner Bevolkerung haben die Handels- und Fabrikswelt des Nordens einer ausgedehnten Kund- schaft beraubt. Stadt und Staat New- Jersey leiden unter dieser Ursache vielleicht am meisten, aber zu gleicher Zeit fiihlen alle Theile des Landes die Folgen der grossen Geschaftsstockung. Beinahe zehn Jahre sind verflossen, seitdem der Krieg zu Ende, und doch wird die Lage taglich schlimmer. Wir haben keine Seuchen gehabt, die Ernten sind wahrend der ganzen Zeit reich- lich ausgefallen, und dennoch seufzt der Bauer, der Kaufmann, der Fabrikant, der Handwerker und der Arbeiter, alle auf gleiche Weise, unter dem vernichtenden Drucke von dem, was man ,,schlechte Zeiten" nennt." Francis Kern an, ein friiherer Gouverneur des Staates New-York, neuerdings in den Vereinigten Staaten Senat gewahlt, ein Mann, der sogar, was bei einem amerikanischen Politiker sehr selten, von der Gegenpartei als unbescholtener Charakter gilt, driickte sich in der namlichen Massenversammlung in ganz gleicher Weise aus und fiigte hinzu: ,,Wir haben hier von der Vorsehung Alles erhalten, was 77 nothig, um uns zu einem gliicklichen Volke zu machen, wir haben eine ausserordentlich gute Ernte gehabt, und haben gegen- wartig einen prachtigen Herbst, dennoch finden wir, dass grosse Schaaren von Mannern in dieser Stadt Noth leiden, weil ihre ehrliche Arbeit keinen Lohn finden kann , um sie und ihre Familien zu unterhalten. Mitburger, ihr sollt erklaren, wer diesen Zustand hervorgebracht , sollt erforschen, was diese iible Lage verursacht hat, und wenn ihr die Ursachen entdeckt habt, ist es eure Pflicht, das geeignete Hilfsmittel anzuwenden. Icb glaube, dass die Yerwaltung des Landes wahrend der Paar letzten Jahre viel dazu beigetragen, diese traurige und beklagenswerthe Lage hervorzubringen. Unser entwerthetes , uneinlb'sbares und im Werthe schwankendes Papiergeld spielt im Staatskb'rper eine ahnliche Rolle, wie verdorbenes Blut im menschlichen Korper! Ist das Blut unrein, so wird der ganze Korper krank, und auf gleiche Weise werden in der Welt des Handels und Verkehrs alle Organe erkranken und alle Thatigkeit erschlaffen. Dieses Land besitzt genug natiirlichen Reichthum und das Volk hat Steuern genug bezahlt , um den Kredit desselben auf gleiche Stufe mit dem irgend eines anderen Landes auf der Erde zu heben! Warum haben wir also keine Hartgeldzahlungen? Man hat uns fortwahrende Ver- sprechungen gegeben, dass dieselben wieder aufgenommen werden sollten, und wir sahen fortwahrend, wie diese Versprechen ge- brochen wurden. Seit Jahren sind zur Erreichung dieses Zieles keine Schritte unternommen worden. Wir wissen sogar Alle, dass man trotz dieser Yersprechen das im Umlauf befindliche Papiergeld neuerdings erst um vierundzwanzig Millionen Dollars vermehrt hat. Wahrend man uns fortwahrend die bundigsten Zusicherungen gegeben, in unsere offentliche Verwaltung Ein- schrankungen einzufiihren, kann Niemand bestreiten, dass wir noch nie solche Verschwendung und Vergeudung der offentlichen Gelder mit angesehen haben , als walu*end der letzten zwei Jahre der Grant'schen Regierung! Diese Dinge tragen zu der geschaft- lichen Unsicherheit, dem Darniederliegen unserer Industrie und zu dem ganzen traurigen Zustande des Geschaftslebens bei , der gegen- wartig uberall in diesem Lande besteht." Wir konnten mit ahnlichen Auslassungen Bande fullen, halten jedoch das Obige fiir geniigend, um den Leser zu iiber- zeugen, dass gerechter Grund vorhanden ist, bescheidene Zweifel an der Vortrefflichkeit der Verwaltung der fortwahrend als un- iibertroffenes Muster und Vorbild aufgestellten grossen Repubh'k zu hegen. Allerdings stammen die meisten derartigen Aeusserungen, ausgenommen hiervon ist der oben gegebene Abriss der Vor- lesung des Herrn Parton und die angefiihrte Aeusserung Taylors, von professionellen Politikern her, und sind von diesen 78 Herren lediglich zu dem Zwecke gemaclit, um die Gcgcnpartci herabzusetzen und selbst an die b'ffentliche Krippe zu gelangen. Aber dies beraubt die angcfiihrten Thatsachen ihres niederschmet- ternden Gewichtes nicht. Im Gegentheil ist die crbarmliche Cha- rakterlosigkeit der Politiker, die vor den Wahlen dem Yolke Abstellnng aller bestehenden Uebel mit der uberzeugendsten Mieno versprechen, nach der Wahl aber nichts Eiligeres zu thun wissen, als alle die durch die Corruption geschaffenen und bislang von der Gegenpartei beniitzten Mittel und Wege der Pliinderung des offentlichen Schatzes noch moglichst zu erweitern und auszubeuten, ein Uebel, das zu den angefiihrten noch hinzutritt. Der Charakter einer Wahl wird in treffender Weise, obwohl in schaurigem Versbau in der folgenden, dem New-Yorker Kladderadatsch ent- nommenen Schilderung beleuchtet: Scene aus Faust! Pcrsonen : Mephisto, ala Faust verkleidet. Der S chiller. Schtiler. Ich komme, weltberiihmter Mann, Und fleh' um Euren Rath Euch an. Entschuldigt meine dummen Fragen, Wollt' giitigen Bescheid mir sagen! Ich bin in arger Noth: seht, hier Hab ich mein letztes ,,Biirgerpapier", Nun, mocht' ich fiir tucht'ge Kandidaten Gern stimmen dabei sollt Ihr mir rathen! Fur mich ist Alles so ode und wirre, Ich werd' oft an mir selber irre, Hor' ich die Namen so vieler Parteien; Darum sollt Ihr mein Fiihrer sein ! Wahr ist's ich erkenne es jetzt zumal Wer's Wahlrecht hat, hat auch die Qual. Ich sehe ihrer viele Kandidaten, Tammany- und Reform-Demokraten , Irische, Deutsche und Amerikaner, Sodann die Partei der Republikaner, Von alledem wird mir so dumm, Als ging mir ein Miihlrad im Kopfe herum, Und deshalb mftcht ich Euch fragen eben: Wem soil ich meine Stimme geben? Mephisto. Mein Freund, mit Freuden bin ich bereit In dieser grossen Verlegenheit Mit meinem Rath dir beizuspringen. Wir habeu da vor alien Dingen Die zweifach gespalt'ne Demokratie, Jefferson nennt den Ihren sie Glorreicher gab es noch keine Partei. 79 Schiiler. So meint Ihr also , das Beste sei Ich schwore zur demokrat'schen Partei? Me phis to. Begehe keine Eselei! Friiher war sie im Dienste der Sklaverei, Jetzt aber ist der Sklave frei. S chiiler. Betracht ich die Fuhrer, die sie lenken Fallt es mir schwer, etwas Boses zu denken. Mephisto. Sie sind lauter ,,ehrenwerthe" Manner, . Jedoch mehr fur den Laien , als fur den Kenner ! Schiiler. Soil ich's denn mit den Republikanern wagen? Mephisto. Hor' auf mit deinen dummen Fragen! Schiiler. Herr, ich vermag Euch nicht zu fassen, Was soil ich thun , was soil ich lassen ? Zu wem soil ich schworen, mit wem soil ich geh'n ? Zu wessen Fahne soil ich steh'n! 0, sagt es offen heraus und frei: , Wo ist die wiirdigste Partei? zogert nicht lange, gebt mir kund: Welche ist dem Prinzip nach gesundV Mephisto. (In ein Hohngeliichter der Holle ausbrechend). Princip? Was sagtest du, junger Fant? Das kennt man nicht in diesem Land. Praktisch vor Allem sind die Leute: Hier dreht es sich einzig um die Beute. Die hier angezogene ,, Scene aus Faust" gewahrt ein treues Bild der Rathlosigkeit aller Jener, die noch nicht ganz und gar zum Stimmvieh herabgesunken. Der urtheilslose oder verkommene Pobel dagegen lasst sich durch Verabreichung einiger Glaser Bier oder Brandy, wie auch durch plumpe Schmeichelei mittelst der zum Ekel abgedroschenen sogenannten spread eagle Phrasen und des Gangelbandes der sogenannten ,,Principien" gewinnen. Diese Phrasen und Principien, das stehende Redekapttal der Polfliker gewohnlichen Schlages, mit monotoner Beharrlichkeit in alien denkbaren Variationen ohne jedwede Spur irgend einer neuen originellen Idee vorgetragen, lauten in kurzgefasstem Texte mit 80 dessen erfolgreichem Memoriren der Volksredner seine Reife fiir die staatsmannische Laufbahn crreicht, etwa wie folgt: Wie alien ,,freien Biirgera" bekannt und iibrigens ganz ,,selbstverstandlich", ist die Republik die einzige, eines ,,Menschen" wiirdige Staatsform, und besitzt die sichere Eigenschaft, allge- meines GlUck zu verbreiten; die Vereinigtcn Staaten sind die grosste Republik, die je existirt hat und je existiren wird, ja sie ist eigentlich unbegrenzt, und der fortwahrende Schirm , Schutz und Zufluchtsort aller in anderen Landern, wie ganz natiirlich, von Tyrannen schmahlich unterdruckten Sklaven, die nur auf ihren geheiligten Kiisten zu landen brauchten, um sogleich intelli- gente ,,freie Burger" zu werden; wie wiederum selbstverstand- lich, ist diese Republik zweifelsohne das wiedergefundene Paradies; und wenn nicht alle Burger desselben zur Zeit die Segnungen paradiesischen Gluckes geniessen, so liegt dies nur an den ganz erbarmlichen, der Gegenpartei angehorigen Schuften, die dermalen in den Aemtern sitzen ; sobald aber die souveranen Burger in ihrer unfehlbaren Weisheit sich erheben, und ihn / den Redner und seine Partei in besagte Aemter einsetzen, wiirden alle moglichen oder ertraumten Geniisse des Gluckes und Wohlstandes fiir ,,Alle" sich in wahrer Fiillc iiber das Land ergiessen. Schliesslich ist es kaum der Mtihe werth , zu erwahnen , da es jeder glorreiche Sohn dieser Republik im Herzen eingeschrieben trage, dass alle anderen un- gliicklichen Sklavenvolker , die in den vier Winkeln der Welt noch ihr kummerliches Dasein fristen, sobald sie nur soweit f ortgeschritten , um die hoheren Grundsatze der n Freiheit und Gleichheit" zu begreifen, sich gliicklich schatzen wiirden, unter die sich ausbreitenden [spreading) Fittige des amerikanischen Adlers (eagle deshalb spread eagle), die dann unausbleiblich das ganze "Weltall beschatten wiirden, aufgenommen zu werden." Auf das Wiederkauen der hier mitgetheilten Satze beschrankt sich fast alle oratorische Weisheit in Amerika. Die einzige Ab- wechslung besteht in der Detailauffuhrung der Spitzbubereien, welche die eben im Amte befindlichen Diener des Volkes be- gangen, wobei als unumstosslicher Grundsatz gilt, nur solche Falle von Corruption anzufiihren, die den Gegnern sich in die Schuhe schieben lassen; dagegen wird jeder ahnliche Fall, lage er noch so klar und offen zu Tago, den ein Parteigenosse veriibt, entweder todtgeschwiegen oder, geht das nicht, mindestens als ein nur der Gutherzigkeit , dem noblen Vertrauen und den besten Absichten entsprungenes ,,Versehen" eines braven Kameraden beschonigt, Die in alien denkenden Klassen herrschende Rathlosigkeit riihrt grosstentheils davon her, dass in vergangener Zeit, als 81 materielle Ursachen ein voranschreitendes Gedeihen der Bevolke- rung veranlassten , jene Phrasen wirklich fiir baare Miinze genom- meu wurden. Heute aber beginnt der Glaube daran gerade des- halb zu wanken, well eben die in diesen Satzen enthaltenen Verheissungen nicht mehr eintreffen wollen, vielmehr ist die That- sache eines rapiden Riickganges sogar den blodesten Augen offenbar. Alle ehrsamen Patrioteu , die noch vor wenigen Jahren darauf geschworen hatten, dass die praktische Anerkennung dieser Glaubenssatze die gewiinschte ,,briideiiiche Gliickseligkeit" noth- wendig nach sich ziehen miisse, reiben sich nun verwundert die Augen , glotzen sich mit naivem Erstaunen liber die immer mehr iiberhandnehmende Verschlechterung an, und, da es ihnen doch schlieslich dammert, dass dieselbe kein Traum oder, \vie sie bis- her geglaubt, nur eine vorlibergehende Erscheinung sei, sehen sie ihr Vertrauen auf die Unfehlbarkeit jener Dogmen erschiittert. In diesem Stadium befindet sich gegenwartig weitaus die Mehrheit der urtheilsfahigeren Bevolkerung der Vereinigten Staaten. Und es bricht sich, allerdings noch sehr vereinzelt, bereits die Er- kenntniss Bahn , es mochten am Ende doch vielleicht in dem Prin- cipiensysteme selbst Fehler enthalten sein, welchen die um sich greifende Corruption wenigstens zum Theile zur Last zu legen sei. Ein solches Beispiel haben wir bereits in dem oben angeftihrten Yortrage des Herrn Parton dem Leser vorgefiihrt. Ein zweites gibt uns nachfolgender Auszug einer Brochure, betitelt } ,The Com- monwealth reconstructed" (Der neue Aufbau des Gemeinwesens), deren Yerfasser Dr. C. C. Clark in Oswego, , im Staate New- York an Scharfe des Urtheils die ungeheure Mehrheit der ameri- kanischen ,,Staatsmanner" weit iibertrifft. Wahrend Jene erst seit der im Herbst 1873 eingetretenen Krisis merkten , es sei Etwas im Staatswesen faul, wurden die folgenden Bemerkungen schon im Friihjahre 1872 (in Oswego) gedruckt. Allerdings hegen so- wohl Mr. Parton als auch Dr. Clark die Hoffnung, durch eine blosse formelle Aenderung des Wahlmodus den Zustand der Dinge zu reformiren, eine Erwartung, die zu theilen ich mich leider nicht berechtigt fiihle. Doch horen wir unseren Autor: ,,Einsichtige Amerikaner stimmen darin iiberein, dass der gegenwartige Zustand der oft'entlichen Angelegenheiten dieses Landes gerechten Grund zu grosser Unzufriedenheit und banger Erwartung gibt. Rechtschaffenheit und Tiichtigkeit sind heutzu- tage bei der Verwaltung des Staates beinahe unbekannte Eigen- schaften und Kauflichkeit und Unfahigkeit haben statt jener Platz gegriffen. Wir werden von organisirten Banden von Politikern regiert. Das Yolk ist in Wahrheit ohne Stimmc und Einfluss. Seine Interessen werden entweder nicht verstanden, vernachlassigt oder geopfert. Privatvortheil ist die grosse bewegende Kraft un- 11 82 seres offentlichen Lebens geworden. Unsere gesetzgebenden Ver- sammlungen siiid unfiihig und corrupt, unsere vollziehenden Beam- ten nur zu oft unthatig und kauflich, sogar unser Richterstand 1st nicht immer fiber jeden Verdacht erhaben. Unsere Gesetzgebung, die staatliche sowohl als die nationale, ist ein Wirrwarr, den Leistungen einer einsichtigen Staatskunst ganz und gar unahnlich. Nirgends die geringste Garantie fur die Wahrung offentlicher In- teressen. Die Rechnungsablage ist ein Gauklerspiel (trick) ge- worden, Veraatwortlichkeit ein Trugbild fsham , und Unter- suchungen eine tauschende Form (farce,). Die ungezahlte Menge von Untersuchungen iiber die Amtsfiihrung der Beamten in jedem Theile des Landes, womit man seit einiger Zeit die Neugierde des Publikums unterhalt, kann als sicherer Maassstab der \veiten Ausdehnung verbrecherischer Gebahrung betrachtet werden, wah- rend die Straflosigkeit der Verbrecher ein Anzeichen des Verfalles der staatlichen Gerechtigkeit ist. Alle Anker , wo ran derGlaube des Yolkes an die Republik gekettet war, reissen aus ihrem Bette los , und tiefes Bangen ergreift jeden intelligenten Mann, der sich fur die Gefahren und Hoffnungen des Landes theilnehmend interessirt. ,,Diese triibe Anscbauung der Dinge wird von Tag zu Tag dusterer. Niemand wird behaupten, dass die Verwaltung gegen- wartig so rein sei, als vor dreissig Jahren. Einen Theil dieses Zuwachses an Kauflichkeit und Betriigerei erfabren wir aus den Zeitungen, die mit deren Schilderungen angefiillt sind, aber bei Weitem der grossie Theil tritt niemals an's Tageslicht; denn, das Volk und den offentlichen Schatz unter gesetzlicher Form und ge- schtitzt vom Mantel amtlicher Gewalt zu berauben , ohne Gefahr der Entdeckung, ist heutigen Tages zur Kunst geworden. ,,Das Sinken der Fiihigkeit, die dem offentlichen Dienste sich zu Gebote stellt, ist, obwohl weniger beachtet, grosser als der Verfall der Biirgertugend. So hoch wie Washington, Adams und Jefferson, nm einige bemerkenswerthe Beispiele anzu- fiihren, als Staatsmanner iiber unser letztes halbes Dutzend Pra- sidenten sich erhoben, wie Alexander Hamilton in der Finanz- wirthschaft uber Bout well erhaben stand, wie der Verfasser des Gesetzes, das den Nordwesten der Freiheit widmete, iiber den Urheber des Wiclerrufs des Missouri- Yertrages emporragte, eben so hoch stand an Einsicht und weisem Sachverstandnisse die b'ffentliche Verwaltung des Staatswesens in den friihesten Zeiten der Republik, im Vergleiche zu der Stellung, die diese jetzt einnimmt. Die Kenritniss des Wesens der Gesetzgebung in ihren verschiedenen Zweigen macht bei uns nicht nur keinen Fortschritt, wie derselbe bei alien Wissenschaften in der neueren Zeit gewohnlich, sondern sie scheint im graden Gegentheil in vieler Beziehung im wirklichen 83 Rtickschritte begriffen zu sein. Nirgendwo wird jene systematische Ordnung. in itir gefunden, die ein Charakterzug jedes wohlgeleite- ten Geschaftes sein sollte. In dieser Beziehung fallt ein Vergleich unserer Gesetzgebung mit der jeder Regierung im nbrdlichen Europa hochst ungunstig fur die Erstere atfs. ,,Wahrend die Wohlthaten, die aus einer guten Yerwaltung sich ergeben sollten, nicht den geringsten Zuwachs zeigen, ver- mehren sich die Lasten des Burgers in fast jeder Hinsicht fort- wahrend und auf's schnellste. Schulden und Steuern sind derartig gestiegen, dass in vielen Staaten und Stadten alles Zutrauen ver- loren gegangen ist, und die Confiskation des Privateigenthum be- vorzustehen scheint. Die Erzeugnisse der Arbeit nehmen ihren Wcg auf verschiedene indirekte Weise durch die Hande der Staats- verwaltung, um schlieslich in den Besitz der Mussigganger , Be- triiger und anmassender Menschen zu gelangen. Diese Ver- brechen und Versiindigungen kann keine Partei der anderen in die Schuhe schieben, da beide in gleicher Wcise daran Theil haben. Mittlerweile \vird das Volk in fortwahrender, unruhiger Bewegurig erhalten, und seine Aufmerksamkeit durch poli^ische Fragen in Anspruch genommen , die keine nutzbringenden Resultate liefern. Ihre Discussion bildet den grossten Theil des Lesestoffs des Volkes. Derselben Schule entspricht die Stimniung der offent- lichen Sittlichkeit. So geschieht es, dass die Entsittlichung , die den tonangebenden Kreisen entstromt, durch tausend Kanale sich fiber das Land ergiesst , dass sie unsere jungen . Manner verdirbt, unsere gesellschaftlichen und geschaftlichen Schichten befleckt, und bis zu den Grundquellen der ^Sitten und Jugend durchdringt. An- standige und einsichtsvolle Leute bemiihen sich, das politische Feld zu meiden, und das b'ffentliche Leben, das in einera gehb'rig aufgebauten Gesellschaftszustande einen grossen Theil der begabtesten Talente im Staate in Anspruch nehmen sollte, wird wesentlich den Geistern iiberlassen , die sich durch einen niedern Grad von Intel- ligenz und unzuverlassigen Charakter auszeichnen. .,Die Unzufriedenheit des Publikums mit diesem Zustande der Dinge wiirde bis zum Aeuss^rsten gehen und zweifelsohne auf sprechendere Weise, als es Worte vermogen, ausgedriickt werden, wussten wir nicht, dass die Regierung und die Art der Verwaltung nur unsere eigene Schb'pfung sind, dass wir allein die Schuld an diesen Fehlern tragen. Kbnnten wir den Tadel fiir die schlechte Leitung der bffentlichen Angelegenheiten des Staates New-York zum Beispiel auf irgendeine mit Vorrechten ausgestattete Klasse oder auf einen erblichen Monarchen werfen, wiirden wir uns sclrweiiich so ruhig verhalten, wie wir es jetzt thun. ,,Wenn durch einen Vergleich der Leistungen 84 unserer Regierung mit jenen Anderer der von uns erzielte Erfolg z u wiirdigen 1st, w i r d die Neben- ein anderstellung mindestens einen Zweifel an der Ueberlegenheit unseres Systems erregen, wenn die- selbe die gemischten RSgierungssysteme der briti- schen und deutschen Nationen, unserer Stammver- wandten in Euro pa, dem unseren an die Seite stellt. Diese Volkerschaften sind sicbeiiich nicht weniger unabhangig in der Welt und nicht weniger geachtet, als wir. Die natiirlichen Rechte des Menschen auf Leben , Eigenthum , freie Rede und freie Religion, sind dort in grade so wirksamer Weise beschiitzt, als hier. Diese Regierungssysteme sind bei weitem billiger als die unsern, obwohl wir in Folge unserer abgeschlossenen Lage die ungeheuren Ausgaben fur Militarwesen sparen, denen sie ausgesetzt sind. Einwanderer, die von Europa hierher kommen, sind min- destens grade so gut unterrichtet , als der durchschnittliche ameri- kariische Burger. Die Verworfenheit , Nachlassigkeit und Unfahig- keit unserer stadtischen Regierungen , die Unwissenheit und die betrugerische Handlungsweise sehr vieler ' unserer Staatsgesetzge - bungftn , die verwirrte Politik des Congresses und der schmahliche Einfluss, den die Lobby *) uberall besitzt, besteht im nb'rdlichen Europa nicbt einmal annahernd in dem Maasse, wie hier, und hat kaum seines Gleichen in der civilisirten Welt. In keinem Einzelfalle zeichnet sich unsere offentliche Politik durch Weisheit aus. Die Abschaffung der Sklaverei, die England in seinen Co- lonien durch Kauf los wurde , und die Russland durch einen Feder- strich beseitigtej kostete uns Zehn- und Hunderttausende von Menschenleben. Wiirden wir die ^bessinische Frage oder den Aufstand der Sepoys so etrag, von 300 bis 450 Millionen Dollars, in einer derartigen Lage sich befindet. Hierin sind die grossen Ueberlandbahnen, die lauptsachlich den Vereinigten Staaten-Schatz selbst um beilaufig 53 Millionen gepliindert haben, nicht mit einbegriffen. Ueberhaupt ist es in den meisten Eisenb^thnverwaltungen, r ie in anderen Aktien-Gesellschaften dahin gekommen, dass der Haufen der gewohnlichen Aktienbesitzer der Clique gegen- iber, welche die geschaftliche Leitung in Handen hat, beinahe janzlich wehiios dasteht. Und wenn die leitenden Cliquen nicht immer so riicksichtslos mit den Aktieninhabern umspringen, wie es Jim Fisk und Jay Gould mit der New-York- und Erie- 120 Eisenbahn gethan, so liegt der Unterschied doch mehr in der Art der Pliinderung als in deren Wesen. In der Regel bestreben sicli nur jene Verwaltungen , ihre Aktionare zufrieden zu stellen, die auf eine zukiinftige Ausgabe von Aktien oder auf Anleihen Riicksicht nehmen. Aber in jedem einzelnen Falle bietet das an- gefiihrte Contraktsystem den Verwaltungen die Mittel , die Aktionare nach Belieben zu pliindern. Und so lange die offentliche Meinimg auf eolche Weise erworbene Vermogen eben so se'hr respektirt wie die Friichte ehrlicher Arbeit , ist eine Abhilfe gar nicht denk- bar. Denn keine Form und kein System .von Gesetzen und Vor- schriften kann gegen solche Betriigereien Schutz gewahren, wenn Alle, welchen deren Vollziehung obliegt, sobald sie nur unter- einander bekannt geworden, eineii vertrauten Bund eingehen, zum Zweck mittelst Umgehung der Gesetze Alles zu ,,machen", was gemacht werden kann. In die gleiche Kategorie gehoren die Berg w r erkssch win- dele i en, die im fernen Westen noch durch das beliebte ,,Salzen" eine andere Phase darbieten. Unter ,,Salzen u versteht man namlich ein mehr oder minder geschicktes Einstreuen von werthvollem Erze oder Edelmetall In eine sonst werthlose Grube , um dieselbe gemass der sich aus einer oberflaehlichen Untersuchung ergebenden Werthschatzung zu verkaufen. Mehrere Silberminen im Utah- Territorium sind auf diese Weise beruhmt geworden, darunter die Emma-Mine, deren Aktien besonders in England reissenden Absatz fanden, weil der Gesandte der Republik am Hofe von St. James, Robert Schenk sich ihre Empfehlung hb'chlichst angelegen sein liess. Bei einem in Detroit verhandelten Processe stellte sich der folgende modus procedendi heraus: Der Kaufer einer dieser Minen, ein Capitalist Namens Ward, hatte Sachverstandigo zur Priifung nach Utah geschickt. Diese durchforschten die Gange und Schachte des betreffenden Berg- werks, und brachen hier und da einzelne Stiicke Erz los, um sie auf. ihren Silbergehalt zu priifen. Auf die freundliche Einladung ihrer Begleiter steckten sie dieses Erz in Sacke, die sie an ver- schiedenen Stellen liegen liessen , um sie erst bei ihrer Ruckkehr mitnehmen zu lassen. Hatten sie sich herabgelassen , sich selbst damit zu beschweren, so ware dem Herrn Ward wahrscheinlich eine Million Dollars erspart geblieben. Denn sobald Jene den Sacken den Riicken gewandt, wurden die Erzproben sofort gegen bereit gehaltenes, ungewb'hnlich reiches Silbererz umgetauscht. Jene nahmen, als sie aus der Mine wieder an's Tageslicht Iraten, ihr Sacke mit den Proben an sich, analysirten sie, fanden einen erstaunlich reichen Silbergehalt und berichteten demgemass. Herr Ward hatte nichts Eiligeres zu thun, als die Mine zu dem gefor- 121 derten Preise anzukaufen, und kam erst spater zu der Erkenntniss, dass Etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein miisse. Die Entdeckung der grossartigen Diamantenfelder in den noch ganzlich imbekannten rauhen Wildnissen des westlichen Colorado war ebenfalls ein solches ira grb'ssten Style angelegtes Unternehmen, das seinen Griindern hochst wahrscheinlich Millionen eingetragen hatte ? ware nicht zufallig an die Oeffentlichkeit ge- langt, dass kurze Zeit vorher bei Handlern in London und Paris selir bedeutende Ankaufe roher Edelsteiue gemacht worden seien. Das Publikum, durch seinen ,,Reinfall" bei Gelegenheit der Emma Mine gewitzigt, ward scheu, und die Unternehmer mussten sich anstatt der erwarteten Millionen, mit den bis da-bin erzielten Hun- derttausenden begiitigen. Es ermiidet, aus der beinabe unbegrenzten Anzahl vorlic- gender Corruption sfiille noch weitere Einzelnheiten hier anzufuhren, zumal als an und fur sich eine Reihe einzelner Schwind elf alle immer noch kein Beweis eines wirklichen Verfalles der betreffenden Nation bildet. Es gehen und gingen besonders in den letzten Jahren ahnliche Schwindeleien wohl in vielen Landern Europa's vor sich. Aber was nicht iiberall gefunden werden kann, ist die ganzliche Unfiihigkeit - gleichviel aus welchen Griinden - der Behorden , die Schwindler zur Verantwortung zu ziehen , und den Betrogenen Recht und Entschadigung zu verschaffen, es ist die ganzliche Ohnmacht des Publikums, auf die ihre Pfliclit verletzen- den Behorden irgend welchen na^hhaltigen moralischen Druck auszuiiben; es ist das ganzliche Schwinden der Idee, dass der- artige Betriigereien auf den Schwincller Schande oder Schmach haufen, kurz, es ist die ganzliche Zerstorung aller Schranken, die sich der Corruption und ihrem ferneren Umsichgreifen entgegen- zustellen geeignet sind. Dieser Zustand spricht sich darin aus, dass der erfolgreiche Gauner sich einer Achtung erfreut, die im direkten Verhaltnisse zu dem von ihm ergatterten Capitale steht, einer Achtung, die eben so gross wie jene die dem gleich wohlha- benden und grosser als die, welche dem armeren, ehrlicheri Mamie gezollt wird. Make money, honestly, if you can, lut moke it anyluw l ) ,,Mache Geld, ehrlich, wenn du kannst, aber versaume nicht es auf irgend eine Weise zu machen!" ist der Grundsatz, der alle moralischen Principien , alle Begriffe von Ehrlichkeit und Recht ersetzt und iiber den Haufen geworfen hat. Und geachtet wird nur, wer in dessen Anwendung erfolgreich ist. 1) Eine Variante dieses Spruches kl-idet sich in die Empfehlung cines Vaters an seinen Sohn: Make money, my son; make it honestly if you can; if not, make mo>ie.y, tny son. 16 122 Die politischen Zustftnde im Siiden. Wcnn in eincm friiheren Abschnitte davon die Rede war, dass die eine HaJfte des Landes sich seit dem und wohl auch in Folge des zum Besten der Principien gefiihrten Krieges mit grosster Schnelligkeit haitisch-mexikanischen Zustanden nahqre, eine fiir sehr Viele hochst unliebsame Bemerkung so hat sofort Jedermann , sogar Jene, die sich getroffen fiihlten, erkannt, welche Halfte des Landes gemeint ist. Es 1st dies jener Theil des Ver- einigten Staaten-Gebietes , in dem das ,,Ausschneiden des Krebs- iibels der Negersklaverei" durch die Anwendung roher Gewalt be- werkstelligt , unser bisher unterdriickter afrikanischer Mitbruder zum ,,Gleichberechtigten u und ,,freien Burger" der Republik erhoben ward, und dieser ,,Fortschritt von gewaltiger Grosse" nunmebr seine Friichte zu tragen beginnt. Diese Friichte sind die nam- lichen wie in den britisch-westindischen Colonien, wo ehemals reiche , bliihende und productive Lander der Verarmung preisgegeben sind, die namlichen wie in Mexico und den meisten spanisch- indanischen Republiken Mittel- und Siidamerika's, wo fortwahrende Anarchic und Biirgerkriege an der Tagesordnung sind, die nam- lichen endlich wie auf Hai'ti, der ehemaligen Perle der Antillen, wo in einem von der Natur mit alien Reizen der Tropen in ver- schwenderischer Fiille ausgestattetem Lande jeder Rest von Cultur, wie die Weissen sie geschaffen, vernichtet wurde, urn der freien und vollen Entfaltung echt afrikanischer Sitten und Gesellschafts- zustande Platz zii machen. Ueber diese Resultate konnen jedoch nur jene Philanthropen in Erstaunen gerathen, welche in der Ein- bildung leben, die Natur werde auf ihr einfaches Geheiss sich beeilen, den Unterschied zwischen Schwarz und Weiss zu beseitigen. Bietet schon die Schilderung der allgemeinen Verwaltungs- zustande das Bild grenzenloser Verwirrung dar, so werden diese doch noch von den Zustanden in Schatten gestellt, worunter gegenwartig der von Natur so gesegnete Siiden seufzt. Ist auch im Norden die Beamten-Verantwortlichkeit beinahe zur Mythe ge- worden, so beherrscht doch die dortigen Politiker immer noch eine gewisse Furcht, ihr Amtstermin mochte, im Falle sie es gar zu arg trieben, ein schnelleres Ende finden, als ihnen lieb. Ja, bei ganz besonders frecher Verletzung des Volksinteresses konnte wohl das Volk selbst sich erheben und an dem betref- 123 fenden Uebelthater unmittelbare Vergeltung auszuiiben versuchen. Diese heilsame Furcht halt sie immerhin in gewissen Schranken, die allerdings in verschiedenen Gegenden sich fortwahrend weiter ausdehnen. In den Lokalverwaltungen kleinerer Landgemeinden, wo jeder Nachbar den Nachbar kennt, geniigen sie, um eine ge- wisse Ehrlichkeit aufrecht zu erhalten; in grb'sseren Stadten da- gegen sind sie schou sehr hinfallig, und in New-York z. B., wo die irische Bevolkerung allein numerisch hinreicht, um ihre Haupt- linge beinahe immer wieder zu erwahlen, sind sie ganzlich ge- schwunden. Jede Spur dieser Schranken scheint hiugegen gefallen in dem eroberten Slid en, Unter dem Schutze der Bundesmacht nehmen dort die Beamten nicht nur gar keine Rucksicht auf die Interessen, Wiinsche und Ansichten der unterworfenen Rebellen, sondern fassen im Gegentheil die leiseste Gesinnungsausserung als Wider- spanstigkeit auf, die sie durch erhohte Pliinderung bestrafen. Muss im Norden der Kandidat fiir ein Amt die Reputation we- nigstens eines nicht ganz und gar vollendeten Schurken haben, so kommt es in den Siidstaaten bios darauf an , Ueberredungsgabe zu besitzen, um sich der Negerbevolkerung als ein von auf- richtigster Bruderliebe fiir seine schwarzen Mitmenschen und tiefstem Abscheu gegen die ehemaligen Sklavenhalter und deren Freunde (d. h. gegen die dort lebenden Weissen insgesammt) er- fiillter Vorkampfer ihrer (der Neger) Freiheit vorzustellen und an- zuempfehlen. Gelingt dies, so ist die Erwiihlung ziemlich sicher. Dieses Geschaft des Fraternisirens mit dem rohen, unwissenden und schmierigen Neger, der dem Weissen instinctiv mindestens unangenehm ist, erheischt aber eine derartige Ueberwindung aller natiirlichen Regungen des Ekels und Abscheu's, dass sich sogar untcr der hungrigen Meute der Stellenjager nur sehr wenige, vollig abgestumpfte Individuen dazu hergeben , zumal sie in Folge ihrer Stellung von jedem Umgange mit den Weissen ganz und gar abgeschnitten sind. Wahrscheinlich werden die modernen Gleichheitsfanatiker iiber die gesammte weisse Bevolkerung des Siidens ob dieses Negerhasses den Stab brechen und sie als moralische Ungeheuer darstellen, deren Kopf unter der Guillotine der Humanitat zu fallen verdiente. So viel steht indess fest , dass die Folgen dieser Racen- Antipathie erst dann aus der Welt zu schaffen sein werden, wenn ihre Ursache verschwunden ist, mit andern Worten, wenn es im Siiden keine Farbigen oder keine Weissen mehr gibt. Letztere bezeigen vorlaung noch keine Lust, sich von dem Scharfrichter der Humanitatsidee abschlachten zu lassen, ohne sich geho'rig zur Wehre zu setzen, und damit ist eben der Conflict gegeben, worin schliesslich , wie in jedem anderen Kampfe nicht was die eine 124 oder die andere Partei als ,,Recht" ansieht , sondcrn dcr Starkcre den Sieg davontragen wird. Eine der Waffen in diesem Kampfe urn's Dasein 1st nun der sociale Ostracismus, den die wcisse Be- volkerung des Siidens gegen Solche ausiibt , denen es (ob aus wahrem Glauben an die Gleichberechtigung oder aus blosser Pltinderungssucht , ist gleich) beliebt, sich zu den Schildtragern und Anfiihrern der farbigen Bevolkerung zu machen. Wer diesem Ostracismus und seinen Unbehaglichkeiten dennoch trotzt, muss also entweder durch die Starke seines ,,Humanitats"-Fanatis- mus oder seine Gier nach Beute dazu bewogen werden. Mogen solche Leute das Eine oder das Andere, d. h. mogen sie ganz besonders auf Eaub und Pliinderung erpichte, heuchlerische Schurken oder fanatische Gleichheitsapostel sein, in beiden Fallen ist es unausbleiblich , dass sie von tiefem Hasse gegen die sie verach- tende weisse Bevolkerung erftillt sind. Und eine naturliche Folge hiervon ist es wiederum, dass sie jede Gelegenheit, die weisse Bevolkerung mit ausnehmencler Niedertrachtigkeit zu behandeln, mit der rachsiichtigen Wollust des Hasses ergreifen und ausbeuten. Kein Gefiihl der Furcht vermag ihren Ausschreitungen in dieser Hinsicht Ztigel anzulegen, da auf jedes Anzeichen einer Missbilli- gung ihrer Amtsfiihrting sofort die Bundestruppen herbeieilen, um die noch unter der Asche glimmende Gluth der Rebellion durch Zubodentreten der moralisclien Ungehcuer, dencn der Zufall eine weisse Haut gegeben, zu ersticken. Welche Klasse unter den Kandidaten fiir die von den Negern zu vergebenden Aemter am zablreichsten , ob die extremen Fana- tiker oder die beutegierigsten Abenteurer, mogc folgende ausfiihr- liche und offenbar Sachkenntniss verrathende, dem ,,New-York Herald" entnommene Schilderung einiger Magnaten der Regierung, die den Staat Stid-Carolina gegenwartig begliickt , andeuten: Columbia, S. C., Oktob. 13, 1874. . . . . Hier ist die Haupfstaclt des Staates, in der am Ende des letzten Krieges die Arm ec des General Sherman iiber achtzig Hausergevierte und mehr als 1300 Wohnhauser niederbrannte. Sie ist wieder aus dem Boden emporgewachsen , doch mit einer verschieclenen Einwohnerschaft. Die sehr breite Hauptstrassc Main Street, die gleich alien anderen Strassen dieser Stadt jenen Washington's an Breite sich gleichstellt, ist glanzcnder aufgcbaut als vorher .... ,,Hier steht die Universitat von Siid-Carolina , gegriindet im Jahre 1801, in der beinahe alle Gouverneure und bedeutenden Manner des Staates erzogen worden. Ihre Mauern sehen fast besser aus, als eheclem, aber der lebencle Inhalt des Gebliucles besteht nahezu ausschliesslich aus Negern. Ein eiserncs Geschick hat eine Institution, die 27000 Dollars jahrlich aus dem offent- 125 lichen Schatze bczieht, dazu verdammt, Jcdem, der an seine Thiiren klopft , dieselbe zu offnen. A Is die Gesetzgebung der neuen Zeit sie den Negern b'ffneten, entbrannten die alten Lehrer, arm wie sie waren, in Unwillen ob ihres verletzten Kastens tolzes. Sie rissen, wie Richter Mr. Grath, das Gewand ihrer Wiirde von ihremKorper, und gingen hinweg von dem schiitzen- den Dache der Alma Mater, aber nichtsdestoweniger stromte die neue , maliagonifarbene Generation hmein. Jetzt sind in der obersten Klasse zwei Schiiler, und in de r ganzen Schule ungefahr ein Himdert; die darunter befindlichen Weissen sind hauptsachlich Sanclhugler" und die Sohne der Lehrer. (,,Sandhiigler a werden jene Weissen genannt, die in den entfernten, gebirgigen Gegenden Sud-Carolina's auf dem Grund und Boden sich ansassig gemacht, der fiir die Plantagen-Kultur zu arm ist.) ,,An der Hauptstrasse, nahe dem grossen, neuen Rathhause mit seinen noch unvollendeten Kuppeln, ist ein hohes Backstein- Gebaude, mit einem Thiirmchen, welches den Namen Parker's hall tragt. Es kostet wahrscheinlich 30,000 Dollars, und die Burger lesen den Namen gcwohnlich Parker's haul (Parker's Fang.) Dieser Bursche Parker, der gegenwartig vorgibt mittellos zu sein, war Eines der drei Mitglieder des Schatzamtsrathes. Seine Genossen waren Scott und Chamberlaine, Wie die Mehr- heit der Burschen seines Schlages, ist er von Massachusetts, und dieser. Staat theilt mit Pennsylvania und Siid-Carolina die Ehre der Geburtsort des wiirdigen Trio zu sein. Parker war zur Zeit seiner Ernennung Besitzer einer Schnapskneipe in Charleston unl einer von den Dreien, welche die Notencirkulation der alten Staatsbank von Siidcarolina zu revidiren batten, als man erfahren wollte, wie viele Schuldscheine auszugeben waren, um jene einzulosen. Ein gewisser Terry, der ebenfalls hier in einem schonen Hause lebt, brachte im Verein mit den Spekulanten Marsch und Parsons die ausstehenden Noten in seinen Besitz und verklagte darauf den Staat auf voile Bezahlung. Parker zahlte aus einer halben Million, der Total- summe der jemals ausgegebenen Noten, Eine und eine Viertel Million heraus. Darauf gaben er und seine Gesellschaft alsStaats- bevollmiichtigte anstatt fur 500'OQO, wie sich gehort hatte, oder fur 1,258,000 wie die falsche Zahlung angab, fur 1,590,000 Dollars Staatsschuldscheine aus. Das heisst, sie berechneten den Unter- nchmern, welche die Noten zusammengebracht batten, eine Provision von 200 Procent fiir ihre Dienste beim Einlosen, und liessen den Staat die ganze Summe bezahlen. Crews, einer der edlen Drei, denen das Z^hlen der Noten oblag, stahl fUr 30,000 Dollars Scheme , und hinterlegte sie bei einer Bank als Deckung einer 126 Anleihe, die er kontrahirte. Einbrecher beraubten die Bank, und stahlen die namlichen Banknoten. Und als die Bank Herrn Crews spater auf Ruckzahlung des Anlehens klagte, wandte er ein , er sei zur Bezahlung nicht verpflichtet , weil er diese (von ihm ge- stohlenen) Noten als Kaution hinterlegt hatte. Job Stevenson, ein Congressmitglied von Ohio, suchte diese Sache in den Hallen der nationalen Gesetzgebung zu beschonigen. Als Parker" iiach Columbia kam, besass er nicht Geld genug, ura seine Kost zu bezahlen, und sein Anzug war schmierig und abgerissen. ,,Der gegenwartige Siidcarolina-Ring besteht aus Sam Melton, einem Eingebornen des Staates ; aus D. M. Chamb erlain e, seinem Geschiiftscompagnon als Rechtsanwalt, und dem gescheidtesten Kopf der Gesellschaft ; aus dem Vereinigten Staaten Senator Patterson, der den Ring bei der Centralregierung vertritt; aus Hardy Solo in on, einem Hebraer, der als Bankier und Geld- mann, und aus Puffer, der als Lobbyist fungirt , ferner aus Whittemore, Meister in der Gesetzgebung, und aus Leslie, dem Burschen fiir Alles. ,,Sam Melton, gegenwartig Generalanwalt des Staates, war ein armer Weisser aus Siidcarolina, Einer von drei Briidern, die sammtlich in der Rebellenarmee dienten, und Einer der Wenigen aus dieser Armee, die nach Ende des Krieges politische Renegaten wurden. Seine Ausbildung empfing er an hiesiger Universitat. Er hatte den Rang eines Obersten und diente in der Generaladjutantur des confb'derirten Kriegsministeriums zu Richmond, wo er wegen seiner Energie grossen Einfluss besass. Man klagt ihn nicht an, Schlimmeres gethan zu haben, als mitunter die Interessen des Staates nicht recht zu vertheidigen, wie z. B. in dem Falle mit dem Hause Morton, Bliss und Co. Diese besassen ungesetz- lich ausgegebene Staatsschuldscheine ; die fiir ihre Ausgabe vor- geschriebene Zeit war namlich langst abgelaufen, Als die Bankiers klagbar wurden, unterliess es Melton, diesen Einwand zu erheben, und das Obergericht befahl, dass der Betrag der Schuldscheinc durch Steuern erhoben und bezahlt werden sollte. Da die Gesetz- gebung vorher dem Staatsrechnungsfiihrer anbefohlen hatte, die besagten Schuldscheine nicht anzuerkennen , so gab die Entschei- dung des obersten Gerichtshofes Grund zur Vermuthnng, die Richter seien bestocheii gewesen. Tim Hurley, der Hauptling der Lobby , behauptete geradezu der alte Moses. (Oberrich- ter des obersten Gerichtshofes und Yater des Gouverneurs Moses) hatte 5000 Dollars erhalten, um sein Urtheil giinstig zu stimmen. ,,Melton war vordem Richter, und in der ]Vprdaffaire ver- wickelt, wobei der junge C aid well, der Schwager des Vereinigten 127 Staaten Senators Robertsons, das Leben einbiisste. Melton hatte namlich. geaussert, ein anderer Rebell, Montgomery sei ein Corruptionist. Dieser erwiderte, dass er Melton noch zu viel Ehre anthue, wenn er ihn nur einen Liigner und Hallunken nenne. Bald darauf traf Melton Montgomery in einem Restaurant und griff ihn mit Scblagen an. Einer von Montgomery's Freunden, Namens T upper, zog seinen Revolver, schoss und traf Caldwell, der zufalligerweise in Begleitung Melton's sich b'efand. Bei der- selben Gelegenheit wurde noch ein anderer Pflanzer, Morgan, in den Riicken geschossen. ,,Dies der einzige Kampf, der sich unter den Politikern zu- getragen hat, mit Ausnahme des Falles in dem R. B. Elliott einen Irischen Politiker mit der Reitpeitsche ziichtigte, weil dieser brieflich seine Frau zu einem Rendez-vous eingeladen hatte. ., Dieser Konig Congo, Elliott, wohrit in einem schonen, weissen, von Blumengelandern umgebenen und mit einem Man- sardendache versehenen Landhauschen, (Cottage) im besten Viertel der Stadt. Er hat eineri hubschen Platz, und sein Hof ist ange- fiillt mit griinen Reben und Ranken, Magnolias und anderen Schmuck- pflanzen. Er ist einer der gebildetsten Neger im Lande, zugleich ein Mensch der vollstandig und auf die kaltbliitigste Weise kauflich ist. Jedermann gibt zu, dass er Talent besitze, und er verstcht ausgezeichnet, sogar aus dem Stegreife, zu sprechen. Aber er ist extravagant, ohne achten Charakterstolz, obwohl von iiber- massiger Eitelkeit. Wenn er gegenwartig nicht an Stelle Patterson's im Vereinigten Staaten Senate sitzt, so hat dies seinen Grund darin, dass er im Stande gewesen, dem Letzteren Bestechlich- keit nachzuweisen, und ihn dadurch zwang, ihm seine Aussichten im Wahlkampfe fur eine gute, runde Summe abzukaufen. Er hasst ubrigens von Herzen die Weissen ihrer friiheren Oberherrschaft halber, und ware der gefahrlichste Neger in Amerika, vermochte er die voile Gunst seiner schwarzen W abler zu erwerben, deren Sklaverei er nie getheilt hat. Denn, weil in Massachusetts geboren, war Elliott stets frei; er erhielt auf der Schule zu Eton, eine so ausgezeichnete Erziehung, wie wenige Weisse. Spater studirte er die Rechtswissenschaft. Er ist von reinepi afrikanischen Blute, ganz dunkler Hautfarbe, hat einen schlurfenden Gang, ist eitel auf seine Kleidung, nicht zutraulich, und besitzt den eigenthumlichen Eigendunkel der Bostoner. Chamberlaine hat ihn zum Vorsitzen- den des Centralwahlausschusses gemacht, in welcher Stellung er sich als ein ziemlich guter Organisator bewahrte. Er steckt tief in Schulden, und sein Haus ist auf den Namen seiner Frau ein- getragen. Diese glanzte ehemals in Columbia als eine niedliche, rosig angehauchte, halbe Mulattin unter dem Namen Nany Fat. Seitdem die lockeren Verbindungen der Sklavenzeit aufgehort, ist 128 sie eine ziemlich gute Hausfrau geworden, abgesehen von einigen gelegentlichen kleinen Eifersuchtsanfallen, die jedoch auf Gegen- seitigkeit berulien. ,,Der Hafenzolleinnehmer Worthington zu Charleston 1st jener Bundes-Beamte, der beharrlich seinen Einfluss zu Gunsten des Ringes geltend macht. Worthington" sagte der fruhere Gouvemeur Scott zu mir, ist ein politischer Aasgeier, der seine Raubziige iiber 'dieses ganze Land ausdehnt. Ein geborener Marylander, zog er nach Californien, das Vigilanz-Comite von San Francisco aber jagte Leute seines Schlages fort, und er ging nach Nevada, dem Auswurfsgebiete Calif ornien's. Dort ward er Kumpan des alten Jim Nye, und als diesen der Einfluss der Central Pacific Eisenbahncompagnie in den Vereinigten Staaten Senat ge- schickt, um dort Handlangerdienste fiir sie zu verrichten, ver- schaff'te er seinem Freunde Worthington die Wiirde eines Gesandten bei der Argentinischen Republik. Wieder zuriickgekehrt und ohne einen Heller in derTasche, traf er in Cincinnati mit Hoge zusaminen, der jetzt Oberrechnungsfuhrer ist, und bat denselben, ihn als Compagnon in seine Rechtsanwaltsfirma aufzunehmen, Sie zogen beide hieher. Als Patterson nach Aas lustern, in seinem Geier- fluge hieher kam , fand Worthington an ihm den einzigen Mann , dem er ein wiirdiger und niitzlicher Genosse sein konnte, und als Jener Vereinigter Staaten Senator fiir Siidcarolina wurde, machte er durch seinen Einfluss auf den Prasidenten seinen Kameraden zum Zolleinnehmer des Hafens von Charleston. In dieser Stellung arbeitet er m-it Bo wen und Butz zusammen, erregt den Abscheu und Zorn der Burger, und macht aus der republikanischen Partei eine Bande des Schreckens. ,,Einer der erfolgreichsten Abenteurer im Staate ist Nagle, der irgendwo in den armen Gebirgsgegenden Nord-Carolina's ge- boren, hieher kam und zum Staats Rechnungsfiihrer (Comptroller^ gewahlt ward. Drei verschiedene Wohnungen zeigt man in Co- lumbia, die er nach einander inne hatte, die erste eine kleine, hohlenartige Hiitte , worin seine Frau in eigener Person Wasche wusch. Nagle's zweite Wohnung und erstes Besitzthum war ein gelbes Frame Cottage (ein von Brettern gebautes Wohnhaus in halblandlichen Villenstyle) das ungefahr 4000 Dollars gekostet haben mag. Jetzt ist er Inhaber des prachtigen Hauses und der Parkanlagen des frliheren confoderirten Generals Blanton Duncan, desselben Hauses, welches Sherman als Hauptqu artier beniitzte, Dort lebt der spitzbiibische Hinterwaldler in nobler Manier, ausgenommen, wenn er mitunter, von dem aufheiternden fliissigen Extrakte des Kornes erregt, in kriegerische und blut- diirstige Stimmung gerath, und, wie vor Kurzem, zum Zielc seiner Schiessiibungen das Haus seines Nachbars erwahlt. Uebrigcns wird 129 Nagle'a, durch Raub und Diebstahl erworbener Reichthum wohl nur von kurzer Dauer sein, da er denselben zu vertrauensvoll in den Staatsschuldscheinen angelegt hat, die gar keinen Marktwerth mehr haben und kaum je \vieder erlangen durften. ^Nagle betheiligte sich mit Patterson, dem gegenwartigen Vereinigten Staaten Senator und dem oben erwahnten Parker an dem Fusionsunternehmen der Columbia and Greenville" mit der ,,Blue Ridge" Eisenbahn. Diese Babnen, das projektirte Ver- bindtmgsglied zwischen Ost Tennessee und der Hauptstadt von Slid Carolina, siud von ungemeiner Wichtigkeit insofern, als sie in Zukunft eine direkte Verbindung zwischen dem Hafen von Charleston und den jenseits der Alleghany Gebirge (in dieser Ge- gend die blaue Kette ,,blue ridge" genannt) gelegenen Staaten des Westens herstellen sollen. Sie erstrecken sich von Columbia nach Greenville 141 (englische) Meilen und von dort 30 Meilen weiter bis nach Walhulle, nahe an der Grenze Nord-Carolina's. Diese Bahn sollte ein Theil von Tom Scott's (des Pennsylvania Eisen- bahnkb'nigs) grossem, den ganzen Suden umfassenden Eisenbahn- monopolsystem werden, und diese Absicht fiihrte John Patterson in den Staat, um als Fiihrer der Lobby die Gesetzgebung zu diesem Ende zu beeinflussen. Patterson sah sich die Lage der Dinge an, gelangte aber bald zu dem Entschlusse, seinem Herrn und Meister, Scott, untreu zu werden und auf eigene Faust staats- mannische Geschafte zu unternehmen. Als alter, in Harrisburg (der Staatshauptstadt von Pennsylvanien) zurVollendung ausgebildeter Lobbyist, kannte er alle Schliche und Kniffe seines Berufes; Er- fahrung und Selbstkenntniss verschafften ihm die Ueberzeugung, dass bei den Politikern iiberhaupt keine Ehrlichkeit zu finden sei. So organisirte er denn die einflussreichsten, auf dem Schlachtfelde anwesenden Machte -zu einer engen Yerbruderung mit folgendem Plan: in erster Linie suchten sie einen wesentlichen Theil der in Privathanden befindlichen Aktien dieser Eisenbahnen an sich zu bringen, dann wollten sie sich, Dank ihrem Einflusse in der Gesetzgebung, der dem Staate gehb'rigen .Aktien bemachtigen, und sobald auf solche Weise eine Mehrheit sammtlicher Aktien in ihren Besitz, die ganze Verwaltung der Bahnen umstiirzen, um schliesslich der absichtlich zu Grunde gerichteten Bahn mit Staats- hiilfe wieder auf die Beine zu helfen. n So gingen sie denn an's Werk. Zuerst vertheilten sie die erhoffte Beute, gerade als ob sie sie schon hatten , unter sich in Antheilen von je 20000 Dollars, und brachten in diesem Verhalt- nisse das vorerst nothige Geld auf. Damit kauften sie die un- gemein entwertheten Aktien auf. Aber ihr Plan blieb nicht ganz verborgen, und es gelang ihnen nicht, die Mehrzahl der Aktien an sich zu bringen, Sie machten desshalb ein Gesetz, welches sechs 17 130 Personen , die Weissen Nagle , Parker , Chamberlaine und Scott dann die Neger Rainayund Whipper als Auscliuss ermachtigte, die dem Staate gehb'rigen Aktien entweder offentlich oder unter der Hand zu verkaufen. Von diesem Ausschusse kauftensie durch, Vermittelung ihres New-Yorker Bankiers, H. H. Kingston, ernes Schulkameraden von Chamberlaine , fiir mehrere hundertausend Dollars Aktien, zu 2,75 Dollars per Stuck. Die Aktie rcprasen- tirte einen Nominalwerth von fiinfzig Dollars und gait im Verkehre 5 Dollars. Als sie solchergestalt die Mehrheit der Aktien besassen, veranlassten sie die gesetzgebende Versammlung , auf eine Hypo- thek von 6 Millionen, die zur Sicherung eines Anlehens von vier Millionen auf der Bahn haftete, Namens des Staates Verzicht zu leisten. Nun wurde natiirlich alles, was disponibel, bei Seite ge- bracht oder Privatglaubigern als Sicherheit verschrieben. Die Eisenbahn machte Bankerott, und dae Anlehen.des Staates Siid- Carolina im Betrage von vier Millionen war endgiiltig getilgt. ,,Aber damit war das Spiel nicht zu Ende. Patterson und Co. erhielten nunmehr von der Gesetzgebung Erlaubniss (um der Bahn wieder auf die Beine zu helfen) fur 1,800,000 Dollars Schuld- anweisungen auf kurze Zahlungsfrist auszugeben, welche so weit ging die Legislatur in ihrem gliihenden Interesse fiir Handel und Verkehr bei Bezablung der Staatssteuern zu vollem Nenn- werthe angenommen werden sollten. Das Publikum ging auch richtig in die Falle und war im besten Zuge, init diesen An- weisungen seine Staatssteuern zii bezahlen, als das Obergericht den ganzen Vorgang fiir betriigerisch erklarte. Dieser Urtheils- spruch nothigte die Steuerzaliler ihre Steuern in gutem Gelde zu entrichten, und iiberliess ihnen die Schuldanweisungen der Columbia und Greenville Eisenbahn zu beliebiger Verwendung. w Auf diese sinnreiche und schone Weise machte der King ein ganz nettes Geschaftchen. Denn die schwarzen Mitbriider in der Gesetzgebung waren nicht eben gar zu theuer in der Taxirung ihrer Stimme bei jedem der nb'thigen Gesetze. Und zum Lohne fiir die verschiedenen Provisionen und Gratificationen, die sie Patterson und Co. verdankten, machten sie ihn zu ihrem Vertreter im Vereinigten Staaten Senate. Dort sitzt er noch gegenwartig und vertheilt mit dem Prasidenten gemeinschaftlich die Bundes- amter, die im Staate Siid-Carolina zu vergeben sind , an seine gctreuen Gehilfen und Gesinnungsgenossen. Whipper, Eines der sechs Mitglieder jenes Ausschusses , ist ein nordlicher Neger, der mit diesen und ahnlichen Geschaften als Staatsgesetzgeber 70,000 Dollars gemacht hatte. Eines schonen Tages jedoch gerieth er in die Gesellschaft eines im Staate eiri- heimischen Negers Namens Minort, der ihn iiberredete, mit ihm in ein Restaurant zu gehen und ein kleines Kartenspiel zu 131 machen. Die Beiden spielten wirklich die ganze Nacht, und als der nachste Morgen graute, waren die Baustellen, Hauser, Aktien, und das baare Geld des ..Ehrenwerthen" Herrn Whipper das Eigen- thum seines farbigen Mitbruders. ,,Der gliickliche Herr Minort ist nun natiirlich ein selir ach- tungswerther Gentleman und benutzt gegenwartig sein wohl- erworbenes Ansehen, um selbst als Candidat fiir den Staatssenat in der Stadt Columbia aufzutreten. Sein Gegner, ein gewisser Beverly Nash, ebenfalls ein echter Afrikaner, ist eines der zahl- reichen urwiichsigen Genies der eingebornen schwarzen Partei, und fiihig, eine auf sein Publikum kraftig einwirkende Rede zti halten. Gross und stramm gewacbsen, pflegte er in friiheren Zeiten in den Gasthausern als Stiefehvichser zu glaiizen. Sein besonderes Talent besteht in kraftigen Redewendungen und in Karrikatur. ,,DerPreis, wofiir die Vertreter" des ,,Volkes" ihre Stimmen verkaufen, steht hier niedriger, clenn sonstwo in den Vereinigten Staaten. Der obenerwahnte Compagnon des Zolleinnehmers Worth- ington, Iloge, gegenwartig Rechnungsfiihrer (Comptroller) des Staates , candidirt jetzt im dritten Distrikte fiir den nationalen Congress. Es wird mir von glaubwiirdiger Seite versichert, dass er seine Nomination als solcher von der Convention fur nur 500 Dollars erkaufte. Im zweiten Distrikt ist der Advokat Butz Congresscandidat, ein Spiessgeselle Worthingtons , und der nam- liche Patron, der in Washington wegen Verleitung von Schulkindern zur Unzucht processirt wurde. Drei andere Congresscandidaten sind rohe, giinzlich ungebildete Neger, Namens Beamine, Smalls und Ransier. Der einzige Candidat der weissen Partei, der cine entfernte Aussicht auf Erwahlung haben mag, ist der ehemalige confoderirte Generalmajor Kershaw, der im fiinften Distrikte lauft." Hiermit schliesst der Correspondent des ,,Newyork Herald" seine interessante Schilderung der edlen Briiderschaft , die sich vom Fette und Fleische des zu Boden getretenen Staates miistet. Er hat iibrigens sein Thema durchaus nicht erschopft. Gar nicht erwahnt ist z. B. Seine Excellenz der wiirdige Gouverneur des Staates, der sich im Schlamm jeder Art von Corruption mit solcher AVollust herumwalzte , dass sogar man hore und staune die eben gezeichnete Bande sich seiner schamte, und ihrn im vor- jiihrigen Herbste die Wiederernennung zum Gouverneur verweigerte. Dieser wiirdige Herr Moses zeichnete sich durch eine riihreude Nachstenliebe aus, die er bekundete, indem er die verurtheilten Verbrecher jeglicher Sorte begnadigte. Der Erzeuger dieses Aus- bundes von Menschenfreundlichkeit , Moses senior, ist Oberrichter des hochsten Gerichtshofes im Staate, und ein Correspondent der ,,Newyork Tribune" berichtet iiber ihn: ,,dass er in jedem Streit- 132 falle das Recht immer auf der Seite zu finden vermag, auf welcher sein Sohn personliches Interesse hat." Da in Siid-Carolina das Negerelement ungefahr drei Funftel der Bevolkerung, und somit eine nicht zu iiberwaltigende Mehr- heit bildet, so fiihlt sich die Rauberbande in ihrer Herrschaft ganz sicher, und pliindert nach Herzenslust, so lange noch Etwas zu pliindern da ist. Allerdings schwindet der Werth des Eigen- thums auf's Schnellste, und sank derselbe seit 1860 auf ein Yiertel herab. Die amtlichen Angaben des Vermogenstandes, die fur das Jahr 1860 einen Steuerwerth von 490,000,000 Dollars auswiesen, der jetzt auf 480,000,000 gefallen sei, sind jedoch um deswillen ganz unzuverlassig, weil hier, wie iiberall in den Vereinigten Staaten die Steuerschatzungen nicht auf allgemein giiltigen , un- wandelbaren Grundsatzen beruhen, sondern in jedem Staate, jeder Gemeinde und zu jeder verschiedenen Zeit lediglich das Belieben der betreffenden Behb'rde den Modus dafiir feststellt. Ist" eine sparsarae Verwaltung am Ruder, so fallt diese Schiitzung gewb'hn- lich niedrig aus, was den Steuerdruck erleichtert, ohne den ge- setzlichen Procentsatz der Besteuerung herabsetzen zu miissen. Umgekehrt steigert eine verschwenderische Verwaltung, damit der Procentsatz der von ihr auferlegten Besteuerung nicht all zu auf- fallig erscheine, die Schatzung des Eigenthums nach Bedarf. Bis zum Anfange des Krieges waren die Steuern im Allgem einen sehr "gering, und lag kein wesentlicher Grund vor, andere als sehr massige Vermogensschatzungen vorzunehmen. Meistens betrug sie, wie ich aus peiteonlicher Erfahrung weiss, kaum mehr als ein Viertel oder ein Drittel des wahren Werthes; gegenwartig aber ist in den unterworfenen Staaten dee Siidens, die Vermogensein- schiitzung bedeutend hoher als der wahre Werth der Grundstiicke. Thatsache ist, dass nicht bios in Siid-Carolina, sondern in den meisten Siid-Staaten, sogar in den ostlichen Counties von Vir- ginien, Plantagen, deren Durchschnittspreis vor dem Kriege von 10 bis 15 Dollars per Acker betrug, gegenwartig zu mitunter lacherlich niedrigen Preisen, in nicht wenigen Fallen zu 25 Cents ( Eine deutsche Reichsmark) per Acker, dem Publikum an- geboten werden, ohne dafiir Kaufer zu iinden, so dass die Be- sitzer solcher Landereien oft ihr ganzes liegendes Eigenthum im Stiche gelassen haben. Der Betrag solches verlassenen Grund- eigenthums, das wegen Nichtbezahlung von Steuern zum offent- lichen Verkaufe kommt, ist ganz enorm ; und der Ertrag der Steuerverkaufe, deckt sehr haufig nicht die riickstandigen Steuern. Folgendes Beispiel mag dieses Verhaltniss verdeutlichen, ob- gleich es sich nicht auf Siid-Carolina, sondern auf den Staat Louisiana bezieht. Aber der Unterschied zwischen beiden Staaten ist nur der, dass die weisse Bevolkerung Siid-Carolina 1 s schon 133 lange *Zeit jede Hoffnungauf eine Aenderung der Zustande aufgege- ben hat, wahrend die relativ etwas zahlreicheren Weissen Louisiana's es noch der Miihe werth halten, sich wenigsteiis versuchsweise gegen die ganzlich e Unterdriickung und Auspliinderung zur Wehr zu setzen. In den Landgemeinden Louisiana's, Parishes (Pfarreien) genannt, ist die sogenannte police jury der gesetzgebende Korper der Gemeindeverwaltung, der die namliche Funktion dort erfiillt, wie z. B. der Magistrat oder die Stadtverordneten einer deutschen Stadt. In den meisten Parishes nun bestehen diese police juries beinahe ausschliesslich aus ganzlich unwissenden Negern, die unfahig zu schreiben und zu lesen, des Rechnens gar nicht zu erwahnen, in der Regel nicht fur einen Cent Eigenthum besitzen. Diese lassen sich gewb'hnlich von einem jener charakter- losen Abenteurer leiten, die durch Schmuggelei und Fraternisiren Einfluss und Ansehen bei der Negerbevblkerung errungen, und zum Dank dafiir von ihr in ein Amt erwahlt worden sind. Nach dem Staatsgesetze nun hat die Gemeinde das Recht, einen gerade so grossen Betrag an Gemeindesteuern zu erheben als die Staats- steuern ausmachen. Letztere betrugen noch kurzlich 20 pro Mille (2 Procent) vom Schatzungswerthe des Eigenthums. Die Gemeinde- steuern \viirden demnach den Betrag der vom Grundeigenthum jahrlich zu bezahlenden Steuern auf die nicht unerhebliche Ziffer von 4 Procent erhohen. In diesen 4 Procent ist nicht Ein Cent der an die Centralregierung der Vereinigten Staaten zu zahlenden Steuern enthalten. Da in Europa immer noch viele Leute der Meinung zu sein scheinen, das ungefahr 300 Millionen Dollars betragende Budget der Bundesregierung gebe die Totalsumme der von dem Volke der Vereinigten Staaten bezahlten Steuern an, so ist es nbthig, zu bemerken, dass die nationale Besteuerung eben nur ein Theil der Gesammtsteuerlast ist. In Louisiana hatte sich tibrigens die Kellogg-Regierung das Verdienst erworben, die Steuern von 20 auf 14 V 2 vom Tausend herabgesetzt zu haben , was sie zu Wege brachte , indem sie das Eigenthum ungefahr doppelt so hoch als friiher einschatzen Hess. Die Police Jury hatte also das Recht, fiir Gemeindezwecke eben- falls 14 j / 2 vom Tausend zu erheben. Aber Police Juries bekiim- mern sich heutigen Tages , namentlich im eroberten Suden, eben so wenig um die Gesetze, wie die Staatsregierungen sich um die Verfassungen kummern. Deshalb konnte die Ungeheuerlichkeit vorkommen, dass im Parish von Natchitoches der Grundbesitz mit nicht weniger als 79 vom Tausend besteuert ist, Es gibt in dieser Gegend viele vormals reiche und ausgezeichnet rentirende Zuckerplantagen, aber sehr , viele sind jetzt ganzlich verlassen und alle wie leicht begreiflich iiber die Massen imWerthe gesunken. Folgendes ist die Steuerrechnung eines Eigeuthiimers dieser Gemeinde : 134 ,,Einschatzungswerth. des Eigenthums (ungefahr dem Doppclten des gegenwartig zu erwartenden Verkaufspreises gleich): Doll. 11,615. Staatssteuern 14 l / 2 vom Tausend Dollars 168.28 Eine Special-Gemeindesteuer 40 vom Tausend 464,20 Gemeindesteuer 20 vom Tausend 232.10 Schulsteuer 2 l / 2 vom Tausend 29.02 ,,Kearney a -Steuer 2 vom Tausend 23.21 Diese Anzeige und Berechnung ,, .25 Summa Dollars 917.06." Die Eigenthiimer von Natchitoches , denen solche Steuer- zettel zugeschickt wurden, versammelten eich und verlangten die Resignation der Plunderer, welche die Gemeindeamter inue batten. Natiirlich wurden sie fur diesen Widerstand gegeii die gesetzliclien Behorden als Banditen und Rebellen angesehen , und die Bundes- Regierung legte auf Kosten des Bundesscliatzes Truppen in alle Gegenden , \vo es auf ahnliche Weise zugeht. Praktisch heisst dies ungefahr die weissen Grundbesitzer sammt und senders rui- nircn und aus den betreflenden Gegenden fortjagen. Alles fiir den schwarzen Bruder und ad majorem humanitatis (jloriam I Einer der reichsten Grundbesitzer New-Orleans bezeicbnet seine Lage mit folgenden Worten: ,,Im letzten Jahre (1873) nahm ich 26,000 Dollars fur Miethe ein, und meine Steuern betrugen 15,000 Dollars, in diesem Jahre (1874, inzwischen war die all- gemeine Krisis zum Ausbruch gekommen) betragt mein Einkommen nur 14,000, und meine Steuern 16,000 Dollars, - 2000 mehr als mein Einkommen." Die in Louisiana obwaltenden Verhaltnisse verdienen eine nahere Betrachtung, doch mag vorerst eine allgemeine Schilderung der socialen Yerhaltnisse des Siidens , wie sie sich seit dcm Kriege entwickelten , am Platze sein. 135 Entwicklung- der socialen TerhHltnisse im Sttden. Wie ganz unvermeidlich , hatte der Krieg die wirthschaft- lichen Verhaltnisse der sogenannten ,,Baumwollen-Staaten" total iiber den Haufen geworfen. Die mit Truppendurchzugen unaus- weichlich verbundenen Verwiistungen batten auf weite Strecken bin alles Land, besonders aber die Gebaude, Scheunen , Fenze u. dgl. zu Grunde gerichtet. Davon iiberzeugte icli mich mit eigenen Augen, als icb im Jahre 1863 mit der Rosenkranz- schen Armee durch die namlichen Gegenden des sudlichen Tennessee marschirte, die ich ein Jahr zuvor mit der Division des General Mitchell durchstreift hatte. Von Nashville, der Hauptstadt Tennessee's, bis Stevenson, einem Stadtchen in Nord- Alabama, waren in dieser Frist alle Wohnhauser und Wirthschaftsgebaude vom Boden verschwunden ; nur hier und da legte ein geschwarzter, vereinsamt stehen gebliebener Schornstein von deren einstiger Existenz Zeugniss ab. Ja selbst ganze Ortschaften ereilte das namliche Schicksal , so z. B. das anmuthige , freundliche Stadtchen Lavergne, 15 engl, Meilen sudb'stlich von Nashville, am Wege nach Murfreesboro und Chattanooga. Mit dem 24. Illinois Frei- willigen Regimente kam ich eine Zeit lang in diesen Ort zu lie- gen, dessen Einwohner, obwohl durchaus siidstaatlich gesinnt, also ,,Rebellen u , uns Eindringlinge aus dem Norden dennoch wohl- wollend und dienstfertig behandelten. Vier Monate spater kamen wir an die Stelle zuriick, wo dieses netfce Stadtchen gestanden, fanden aber nur mehr ein wiistes Ruinenfeld vor, welches Scha- kalen und Prairiewolfen zum Aufenthalte diente. Ueberall aber wo der Krieg tobte, insbesondere im b'stlichen Yirginien, in dem bliihenden Shenandoah-Thale , in der ganzen Ausdehnung des Sherman'schen Marsches durch Georgia, am unteren Mississippi und in den Grenzgebieten der Staaten Tennessee und .Mississippi begegnen wir den namlichen Jammerscenen. Zehntausende und aber Zehntausende, die alle bisher in einer gewisseri Behaglichkeit gelebt , sehen ihre Habe zerstb'rt , sich selbst der Noth und dem Elende prcisgegeben , ja endlich zur Fluent gezwungen. 1st es auch unniitz hieriiber sentimentale Klagelieder anzustimmen , denn Krieg ist ebeii Krieg , und wer diesen etwa mit Glace-Hand- schuhen fiihren will, weiss nicht was er verlangt, so geben wir doch jenen, welche, wie die Verfasserin von Uncle Tom's Hutte, 186 ihre Sympathien den dann und wann roll und brutal behan- delten Negersklaven schenken , zu bedenken , dass auch die Gegenpartei, die sklavenhaltenden Weissen, welche verwandt- schaftlich uns clenn doch viel naher stehen, als die schwarzen Briider , gelitten und geduldet haben , und ihnen folglich ein ge- wisser Antheil an der allgemein menscliliclien Sympathie sogar Jener gebiihrt , in deren Augen Nationalgefiihl und Racenbewusst- sein engherzige Vorurtheile sind! Oder sollten nur erdichtete, in Romanen dem humanen Publikum mundgerecht gemachte Leiden einen Anspruch auf Mitgefiihl begriinden? Indess, die Zerstorung an Eigenthum war weit weniger wichtig, als die Auflosung des ganzen, bisherigen Arbeitssystems, welche die gesammten wirthschaftlichen Verhaltnisse in wiistester Unordnung zuriickliess. Denn die Erfahrung lehrt , dass immer und uberall, wo die wirthschaftlichen Verhaltnisse eines Volkes und damit seine Erzeugungskraft unversehrt bleiben, die schwersten Verluste an angesammeltem Eigenthume lejcht und schnell, oft in wcnigen Jahren, iiberwunden werden. Es geschieht dies einfach durch Anspannung jener Krafte, die im normalen Verhaltnisse miissig geblieben, wenn nicht gar lediglich mit Aufzehrung der erzeugten Werthe beschaftigt gewesen waren. Dies gilt beilaufig gesagt, nicht nur von Verlusten an Eigenthume, sondern auch an Menschenleben. Jeder Krieg, der die gesunden, erzeugenden Krafte einer Nation nicht libermassig vernichtet , hat eine Periode erhohter Erzeugung zur Folge, die in kurzer Frist die Verluste an Menschen, wie an Eigenthum vollkommen ausgleicht. Ja, fast scheint es, als fanden durch die Zerstorung im Kriege, die sonst zur Unthatigkeit gezwungenen , latenten Krafte eines Volkes erst den nothwendigen Raum zur Entfaltung ihrer Thatigkeit. In die- sem Lichte betrachtet, wird die Lehre von der unbedingten Schadlichkeit der Kriege mindestens sehr problematisch. Aber durchaus nicht problematisch ist es> dass dort, wo die Erzeugungskrafte des Volkes durch Abschlachtung einer un- verhaltnissmassigen Anzahl seiner tlichtigen Manner wie durch ganzliche Zerriittung und Zerstorung der wirthschaftlichen Ver- haltnisse empfindlich geschadigt sind , die Wohlfahrt des betreffen- den Landes einen Schlag erleidet, von dem sie nur sehr langsam sich erholt und dies nur dann, wenn sie wahrend einer langen Periode gegen schadliche Einwirkung fremder , feindlicher Einfliisse geschiitzt bleibt. In diesem traurigen Falle der beinahe ganzlichen Vernichtung seiner Erzeugungskrafte , und einer fortwiihrenden feindlichen Einmischung befindet sich gegenwartig das Volk des Siidens der Vereinigten Staaten. Der Suden setzte den Widerstand so lange fort, bis er durch wirklichen Mangel an wehrfahigen Leuten nicht mehr im 137 Stande war, seine Armee in geniigender Starke jenen des Nor- dens gegeniiberzustellen. Seine Wehrkraft war zu Ende des Krie- ges vollstandig erschb'pft. In den meisten Baumwollenstaaten war die ungeheure Anzahl von ungefahr 15 Procent der Bevolkerung in die Armee getreten. Man hat nicht so ganz Unrecht von der wundervollen Kraftentwickelung und den kolossalen Leistungen im Burgerkriege zu sprechen. Nur beschrankte sich diese Kraftent- wickelung durchaus nicht auf die ,,Union", sondern war in der ,,Confoderation" noch grosser. Denn der Union stand unmittelbar ein Rekrutirungsbezirk mit einer Bevolkerung von ungefahr 23 Millionen Menschen zu Gebote, und ausserdem bediente sie sich der nach Tausenden zahlenden Einwandererschaaren nicht nur zu militarischen Zwecken , sondern auch zum Ersatze der wirthschaft- lichen Liicken, welche die Aushebungen gerissen. Der Stiden da- gegen zog seinen ganzen Bedarf an Mannschaften aus einer Be- volkerung von ungefahr sieben Millionen, und die Organisation seiner Arbeitskrafte , Anfangs allerdings eine Quelle der Kraft, verwandelte sich bald unter dem direkten Einflusse der feindlichen Armeen in eine Quelle der Schwache. Unter solchen Umstanden ist die Leistung der Confoderirten , die im Laufe der vier Kriegs- jahre wohl eine Million Mann in's Feld stellten, in der That eine kolossale. Denn wie trefflich auch die Heeresorganisation des deutschen Reiches gegenwartig sei, kaum diirfte es einer gleichen Leistung fahig sein , es musste dazu nicht weniger als sechs Millionen Mann in den Kampf schicken. Fast scheint es, als ob das ,,Freiheitsbewusstsein { ' eines Volkes zur Bedingung einer der- artigen Leistungsfahigkeit gehore, und unter alien Umstanden ist es sicher, dass sie nur bei einem Volke moglich, dessen Manner insgesammt die gemeinsame Sache als ihr eigenes, personliches Interesse auffassen. Da weitaus die Mehrheit der weissen Be- volkerung des Siidens nur ein indirektes Interesse an der Sklaverei besass , (die Gesammtzahl der Sklavenhalter mit ihren Familien be- trug kaum eine Million) so legt die Aufopferung der iibrigen sechs Millionen Weissen beredtes Zeugniss ab von der ausserordentlichen Macht des Racenstolzes. Dieser war in Wahrheit das einzige Gefiihl, das die sieben Millionen siidlicher Weissen verband , wahrend der ganzen Dauer des Krieges zusammenhielt und sie willig, mit unbestreitbar verwegener Tapferkeit dem Tode entgegentrieb. Denn ihre Verluste waren, wie jene der Unions- Armee, enorm, und diirftcn sich wohl auf nicht weniger als eine halbe Million Menschen beziffern. Auf dem blutgetrankten Boden gar manchen Schlachtfeldes blieben bis zu 30, ja 40 Procent der Streiter todt oder verwundet liegen. Zwar gibt der amtliche Be- richt den Verlust der Unionstruppen nur auf ungefahr 280,000 Mann an. Da ich in meiner militarischen Laufbahn mit der An- 18 138 fertigung der Berichte beschaftigt war, woraus die obige Zahl in der Generaladjutantur zu Washington durch blosses Addiren der einzelnen Posten gewonnen wurde , so weiss ich, dass in dieser Ziffer die viel grossere Anzalil derer nicht inbegriffen ist, die unter die Riibrik discharged for disability ,,wegen Unfahigkeit entlassen" fallen. Von der grossen Anzahl dieser sind, wenn der Truppenantheil , dem ich selbst angehorte, als Beispiel gelten darf, nach ihrer Entlassung sicherlich ebensoviel mit Tode abge- gangen, als auf dem Schlachtfelde fielen oder in den Hospitalern starben. Deshalb glaube ich der Wahrheit ziemlich nahe zu kom- men, wenn ich den vollen, durch den Krieg verursachten Verlust auf das Doppelte der amtlichen Ziffer veranschlage, d. h. auf etwa 600,000 Mann fur den Norden mid nahezu eine halbe Million fur den Siiden. Kolossal , wie dieser Verlust fiir eine Bevolkerung von nur sieben Million en ist (im Verhaltniss ungefahr 40mal so gross , als jener Deutschlands im Kriege gegen Frankreich), ware er wohl im Laufe einiger Jahre, spatestens in einer Generation vollkommen iiberwunden worden, hatte nicht der Krieg die vollstandige Zer- stb'rung aller Arbeitsverhaltnisse und obendrein in den meisten Sudstaaten die Herrschaft eines fremden und feindlichen Elementes zur Folge gehabt. Schon wahrend der letzten Jahre des Krieges war dieMehr- heit der noch riistigen Neger ihren Herren und damit derSpbare ihrer Arbeitsthatigkeit entlaufen, um sich in die Lager undMilitarposten der nordlichen Truppen zu drangen. Dort wurden sie zu alien mb'g- lichen Dienstleistungen benutzt und gefiittert. In der ersten Zeit namentlich wurden sie gewohnlich in den Kiichen als Gehilfen des weissen Koches angestellt. JDa sie zum eigentlichen Kochen nicht zu gebrauchen, und ihnen auch die Vorrathe nicht anvertraut werden konnten, so beschrankte sich ihre Thatigkeit wesentlich auf Holz- und Wassertragen. Dies thaten sie, wenn durch fort- wahrendes Zureden angestachelt , nothdiirftig, so lange sie noch einigermassen fremd waren. Sobald sie aber anfingen sich heimisch zu fiihlen, was bei ihrer kindischen Zutraulichkeit eben nur ein Paar Tage wahrte, wurden sie in der Besorgung ihrer Arbeit immcr lassiger. Allen Schelt- und Schimpfworten ihres Vorge- setzten, des Koches, setzten sie eincn gleichgiltigen, nonchalanten, ewig guten und grinsenden Humor entgegen, und erhoben sich zur Arbeit erst dann, wenn ein energischer Druck auf sie aus- geiibt wurde. Das regelmassig sehr bald eintretende Resultat war, dass der Koch erklarte, es sei fiir ihn weniger muhsam die betreffende Arbeit selbst zu thun, als seine Gehilfen dazu anzu- halten. Da wir die Kerle von unseren Rationen doch nicht aus 139 purer Menschenliebe zum Faullenzen ernahren wollten, versuchten wir auf jede denkbare, ,,menschonwurdige" Weise, sie zur Arbeit zu bewegen. Sie liessen sich schelten und schimpfen, verzogen dabei die Miene zu einem freundlichen Grinsen, blieben lustig und guter Dinge, sangen und tanzten, lagen auf dem Rucken in voller Lange, liessen sich dieSonne in den offensteheiidenRachen hinein- scheinen und die Fliegen schaarenweis auf dem fettglanzenden Gesiclit und der Zunge herumkriechen, ohne je die Hand zu riihren, kurz waren gliicklich und liessen die Dinge gehen, wie sie eben wollten, arbeiteten aber nur dann , wenn man sie an der Wolle oder den Ohren zur Arbeit hinzog. Wir machten wohl mitunter den Yersuch, sie durch Entzielmng von Essen zum Arbeiten zu zwingen. Der Erfolg war aber sehr mangelhaft. Demi erstens besitzen diese schwarzen Briider eine erstaunliche Fahigkeitzuhungern , zweitens eine ebenso erstaunliche Fahigkeit, eine gewaltige Quan- titat Nahrungsmittel auf einmal zu verschlingen , so dass, wenn einer von ihnen im vollkommen ausgehungerten Zustande sicb frei- willig meldete, um einen Eimer Wasser herbeizuschaffen und sich damit eine Mahlzeit zu verdienen, er alsbald anfing, seinen Magen bis zur aussersten Grenze seiner Dehnbarkeit mit allem vorhan- clenen essbarem Material der Kiiche auszufiillen. Auf die Quali- tat dies muss man ihnen lassen kommt es ihnen dabei nicht im Geringsten an, im Gegentheil, halbverfaultes Fleisch und halbverschimmeltes Brod schien ihnen, war nur die Menge geniigend , gerade so lieb. Hatte sich einer solchergestalt den Magen vollgepfropft, so war er auf ein Paar Tage gesattigt und liess sich natiirlich sobald nicht wieder sehen. Ihre gleichfalls sehr erstaunliche Nachstenliebe ausserte sich zudem darin, dass Jeder, der unseren Kiichenvorrathen zu nahe kam, seinen Mit- briidern alles zuschob, was er eben erreichen und bei Seite bringen konnte. So kamen wir bald zur Ueberzeugung, dass das Pressions- mittel des Aushungerns eben nicht besonders praktisch sei. Da es uns, als Kriegern im Heere der ,,Menschengleichheit" nun nicht ziemte, unsere Mitmenschen, mit dem einzigen wirksamen Mittel, das wohl hier und da angcwandt wurde, namlich mit Priigeln, systematisch zur Arbeit zu treiben, sahen wir uns schliesslich genothigt, die ganze Gesellschaft schwarzer Mitbriider zum Teufel zu jagen, und neue, eben von den Plantagen kommende Re- kruten zu nehmen, die in der ersten Zeit wieder einigermassen ertraglich arbeiteteu. Wurden diese wieder heimisch und allzu zutraulich, was ungefiihr alle 6 bis 8 Wochen geschah, so musste. der namliche Process wiederholt werden. Uebrigens war dieser Vcrkehr mit unsern afrikanischen Mitbriidern nicht von sehr langer Dauer. Denn in der letzten Zeit hatte die Unions-Armee, beinahe ohne Ausnahme die Kerle so satt, dass nur hier und da ein Ein- 140 zelner als Stiefelwichser fungirte. Ich kenne Butzende von Leuten, die als jugendlich enthusiastische Anhanger der Menschengleichheit in den Krieg gingen, und die, nachdem sie ihre sein sollenden Briider so recht in ihrer wahren, unverhiillten Natur kennen ge- lernt, kaum je anders von ihnen sprachen, als mit der, allerdings etwas zu stark en Bezeichnung : schmierige, stinkige Affen." So entsteht und wachst d ie Racen abneigung bei naherer Bekanntschaft, und ich wage ohne Scheu zu behaupten, dass es nicht moglich sein diirfte, auch nur einen uninteressirten und aufrichtigen Menschen aufzufmden, der den Neger im freien Yer- kehr, wo er seiner Natur keine Gew r alt anthut, hat kennen lernen, ohne diese Abneigung zu theilen. Bald stellte sich die Nothwendigkeit lieraus, die ungeheure Zahl zugelaufener Neger, irgendwo unterzubringen. Zu diesem Zweck errichtete die Regierung Lager. Zunachst gewohnlich dort, wo grossere Befestigungs- und Belagerungsarbeiten im Gange waren, und die Neger hierzu, soweit als thunlich, verwendet werden konnten. Mit der Zeit aber nahm die Zahl der Fliicht- linge immer mehr zu, und in den letzten Jahren war beinahe bei jedem Stadtchen oder bei jeder Stadt, in der eine Unionsbesatzung lag, ein solches Lager von davongelaufenen Negern, die nach der amtlichen Verkiindigung der Abschaffung der S?laverei nunmehr den Namen freedmen (Befreite) erhielten, Um deren Verpflegung die allgemach zu einer bedeutenden Last geworden, zu regeln, wurde nun eine besondere Behb'rde, das freedmen' s bureau geschaffen, und an dessen Spitze der weniger in militarischer Hin- sicht, als im Beten und Singen ausgezeichnete fromnie Christ, damals General , seines Berufes aber eigentlich Methodistenprediger O. O. How r ard gestellt. Dieser organisirte das Freedmen' s Bureau nach dem Principe der achten christlichen Bruder- und Menschen- liebe, d, h. er fiitterte die Neger, liess sie mit Arbeit unbehelligt, verlangte als Entschadigung dafiir nur, dass sie regelmassig den Gebetversammlungen beiwohnten, und liess naturlich aus dem un- erschopflichen Schatze der unermesslich reichen grossen Republik die Kosten nebst landesUblichen Provisionen u. s. w. bezahlen. Ein solches Leben behagte den afrikanischen Mitbiirgern naturlich ganz ungemein, und \vare es ihnen w T ahrlich nicht darauf ange- kommen, wenn der Krieg und die Ration en des christlichen Freed- men's Bureau ewig gewahrt hatten. Es behagte glcicherweise den Beamten des Freedmen's Bureau, denen die langste Dauer ihrer Gnaden und Rationen spendenden Herrlichkeit die liebste war. Aber die letzten Rebellenarmeen streckten die Waffen, die Oberheriiichkeit des Bundes ward allerorten anerkannt, und, da man doch schlechterdings nicht das Princip aufstellen konnte, dass es die Pflicht des Vereinigten Staaten Yolkes sei, seine schwarzen 141 Mitbrtider fur immer mit Rationen und Kleidern zu versehen, sah man sich wohl odcr libel gezwungen, an die Abschaffung des Freedmen's Bureau zu schreiten. Mittlerweile befand man sich den Siidstaaten gegeniiber in einer eigenthiimlichen Lage. Die republikanischen Staatsmanner in Washington hatten stets betheuert, dass nicht das Yolk und die Staaten des Siidens sich im Aufstande gegen die Union be- fanden, sondern nur eine Anzahl einzelner moralischer Ungeheuer, die in Folge angeborner Verderbtheit und Racendiinkels die guten schwarzen Briider nicht als ihresgleichen ansahen. Jetzt nach Beendigung des Krieges wussten sie nicht, wie sie sich drehen und \venden sollten, um sich den Folgen dieser feierlich und amtlich in den ,,Plattformen" der Partei aufgestellten Lehre zu entziehen. Dei in, waren die Staaten wirklich nie aus dem Bunde getreten, sondern nur durch cine Handvoll Bosewichter an der Inanspruch- nahme und Vollziehung ihrerRechte verhindert worden, so konnten diese ihnen zweifelsohne nach beendetem Kriege nicht mehr ver- weigert werden. Man wusste aber nur zu genau, dass diese siidlichen Staaten ihre Dankbarkeit gegen die republikanische Partei fiir die angebliche Befreiung von jenen ,,moralischen Un- geheuern" keineswegs durch Wahlen in republikanischem Sinne an den Tag legen, vielmehr demokratische Senatoren und Abge- ordnete nach Washington senden wiirden. Dies hatte am Ende die Oberherrschaft der republikanischen Partei in's Wanken ge- bracht; ja leicht mb'glich, dass bei der 1868 bevorstehenden Prasidentenwahl der demokratische Candidat auf den Thron erhoben werden mochte. Denn die Politiker hatten nicht vergessen, dass bei der Prasidentenwahl im Jahre 1860, der letzten Wahl an welcher das ganze Volk theilgenommen, es in dem Lande, in dem der Grundsatz, dass die Mehrheit regieren musse, als die Quintessenz alles ,,Heiligen" gilt, es nicht die Mehrheit gewesen, die Li n coin aufdenPrasi dent en- stuhl und die republikanische Partei zur Herr- schaft brachte, sondern eine betrachtliche Minder- he it. Seit jeuer Zeit, dies wussten die Politiker genau, hatten nur sehr Wenige ihre Ansichten geandert. Aber hatten sie diese Herrschaft nicht eben in einem \ier- jahrigen morderischen Ringen mit den Waffen in der Hand er- obert und waren sie nicht gegenwartig im Vollbesitze der Macht ? Sollten sie, denen die Gewalt zu Gebote stand, auf die Fortdauer ihrer Oberhoheit nach dem jeweiligen Ergebnisse der Stimmen- ziihlung verzichten, und sich der ganz und gar geschlagenen und in der That machtlosen Gegenpartei unterwerfen ? Eine solche Zumuthung mag Jenen plausibel erscheinen, die ein unbedingtcs, kindlich naives Yertrauen in die Uuveiietzlichkeit papierner Ge- 142 setzesformen und des darin proklamirten ,,Rechtes" hegen, aber sie 1st noch nie, so lange Menschen ,,Menschen" sind und in Ge- sellschaft zusammenleben, in Erfiillung gegangen. Die Folge e ines Krieges ist immer und jederzeit die Herrschaft der siegreichen Partei gewesen und wird es bleiben, bis die Naturges etze, denen das ,,Mensch" genannte Wesen unterworfen, sich geandert haben werden. Aber was war zu thun! Zwei Wege standen offen! Der eine war ehrlich mit der Wahrheit herauszutreton und ohne weiteres zu erklaren , dass die Rebellion den staatlichen Verband der. friiheren Union gelost , und der durch. den Krieg geschaffene Rechtsboden der eines politischen Verbandes der Nordstaaten seK, die in ihrem Interesse, um den Territorialbestand des friiheren Reiches aufrecht zu erhalten, die confb'derirten sudlichen Staaten unterjocht und erobert hatten; dass die Letzteren demnach als unterworfene Gebiete keinen Anspruch auf Selbstregierung erhebeii konnten, sondern nach Belieben und im Einklang mit den Interessen der siegreichen Nordstaaten verwaltet werden wiirden. Dieser Weg hatte zur festen, gesetzlichen Regelung der Verhaltnisse in den sudlichen Gebieten gefuhrt. Doch dieser Weg schlug den Principien in's Gesicht. Konnte die Partei, die von allgemeiner Briiderlichkeit und Menschenfreund- lichkeit triefte, eingestehen, das Volk des Siidens erobert und unterjocht zu haben? Gewiss nicht, wenigstens so lange nicht, als noch andere Mittel die Oberherrschaft sichern konnten. Nur keine Erb'rterung der selbstverstandlichen Principien, kein Riitteln an der Heiligkeit derselben ! Also musste der andere Weg eingeschlagen werden! Und man that es um so lieber, als in dessen Windungen und Kriim- mungen das eigentliche Kunsthandwerk des amerikanischen Poli- tikers liegt, der dabei die beste Gelegenheit findet im Triiben zu fischen und seine Beute ungesehen bei Seite zu schaffen. Es ist der W 7 eg der Expediency d. h. der augenblicklich zum gewiinsch- ten Ziele fuhrenden Mittelchen! W^as war's denn weiter? Die Sachen mussten eben so ,,gefixt" (d. h. auf solche Weise geleitet und arrangirt) werden, dass das Wahlergebniss unter alien Um- standen dem Interesse der herrschenden Partei entsprach. Und in solchem Fixen der Wahlen war man ja grundlich bewandert. Daher an's Werk, Bald ergab sich, dass zu diesem Behufe man sich zuerst eines Elementes versichern miisse, welches in uner- schiitterlicher Loyalitat durch dick und diinn mit den Machthabern gehe. Unter den, nach bestehenden Gesetzen das Stimmrecht be- sitzenden Bewohnern des Sudens aber war ein solches Element schlechterdings nicht vorhanden. Auf sie war demnach nicht zu rechnen. Doch, hatte man nicht in den ganzlich hlilflosen, rationenver- 143 zehrenden Miindeln des Freedmen's Bureau, ein so unbedingt loyales, zuverlassiges, und was noch besser, abhangiges Element, wie es sich ein fixender Musterpolitiker in seinen siissesten Traumen nicht besser vorstellen konnte? Man bescbloss daher ohne langes Besinnen ihnen das Stimmrecht zu verleihen. Die Ertheilung des Stimmrechtes an die eben der Sklaverei entzogenen, unwissenden und rohen Neger war indess eine Mass- regel, die selbst bei begeisterten Anhangern der Freiheit und Gleichheit Anstoss erregte. Soga.r diese erkannten, dass grade jene Eigenschaften , urn derentwilleu der Politiker der Verleihung des Stimmrechtos an die Neger besonders geneigt war, namlich ihre Hilflosigkeit, Abhangigkeit und Unwissenheit , ihre Besitzer zur Ausiibung dieses Rechtes nicht befahigten, Mindestens mussten diese Leute soweit erzogen werden, um die iiblen Ein- fliisse der Sklaverei abzustreifen. Diesem Volksbewusstsein zu geniigen, beschloss man denn, die Neger zu erziehen. Das Freedmen's Bureau eignete sich dazu ganz prachtig. Es wurde in eine grossartige Erziehungsanstalt umgewandelt. Jede seiner iiber den ganzen Siiden verbreiteten Stationen erhielt eine Schule, und sein Vorsteher, der christliche General O. O. Howard errichtete in der Bundeshauptstadt sogar eine Universitat, um die Genies der schwarzen Brudermasse zu Gelehrten und Staatsmannern herauszubilden. Zu diesem erhabenen Denkmal allgemeiner Menschenliebe beniitzte er, wie sich's gebiihrt, Stein e , bedeutend besser und dauerhafter wie Granit, namlich die von einem guten Freunde neu erfun-denen und fabrizirten Patent- steine, ewig und unverwiistlich t wie die Principien selbst, deren Vertreter der wiirdige General. Der Quark fiel zwar zusammen, ehe er fertig geworden, doch , was thut das? ,,Alle Menschen sind ja gleich", und ,,Irren ist menschlich" ; folglich hat ein Be- amter der nordamerikanischen Republik gewiss auch das gleiche Menschenrecht zu irren, wenn ihm beliebt. Gewiss ist nur die- ser Irrthum des christlichen Generals Schuld, dass unsere schwar- zcn Mitbriider heute noch nicht an der Spitze der Civilisation marschiren. Wer mb'chte wenigstens daran zweifeln, wenn er die Berichte iiber die erstaunlichen Talente liest , welche die Zoglinge des Freedmen's Bureau allenthalben entfalteten ? Hunderttausende dieser begabten Race lernten in viel kiirzerer Zeit schreiben , lesen, rechnen und, wer weiss, was sonst noch? als ein gewohnliches weisses Menschenkirid braucht, um die ersten Paar Buchstaben des Alphubetes sich einzupragen! Alte grauhaarige Urgrossvater, die in ihrem ganzen Leben unter dem verruchten Joche der Sklaven- halter kaum gelernt hatten, ein Stuck Papier von einem Pfannen- kuchen zu unterscheiden , begriffen in w-enigen Unterrichtsstunden die gesammte Elementarwissenschaft , und die jiingeren Leute nun 144 gar wussten in kurzer Zeit viel melir als die unterrichteten sclwol-ma am' s (Schulmamsellen) selbstf Natiirlich mussten Men- schen , in welchen soldi' fabelhafte Geistesanlugen schltimmerten, auch zur Ausiibung dcr Biirgerrcchte vollauf berechtigt erscheinen. Nachdem es seine Pflicht erfiillt und den Negern die nothi- gen ,,Kenntnisse" eingetrichtert hatte, ward das Freedmen's Bureau endlich aufgelioben. Seine friiheren Beamten schwangen sich zu Politikern auf. Ausser jener zusammengebrochenen Universitat hinterliess es noch ein anderes Yermachtniss , die freednian's lank, eine Depositen- und Sparbank, gegriindet, um den Negern Ge- legenheit zu geben , ihre Ersparnisse an einem Platze niederzulegen, wo dieselben niclit von ,,moralisclien Ungeheuern", sondern von frommen Christen und humanen Bruderherzen verwaltet wurden. Solche Schwarze, die noch von ihrer Plantagenzeit her an Ar- beit gewohntj sich Etwas eriibrigten, was ntir sehr ausnahmsweise, bei der jiingeren Generation aber beinahe gar nicht mehr vor- kommt, legten denn auch wirklich in der Bank ihre Ersparnisse an. Als jedoch die Einlagen nicht mehr recht fliessen wollten, schloss die menschenfreundliche Bank ihre Thiiren, erklarte sich bankerott, und der Fleiss und die Sparsamkeit der vertrauungsvollen Neger hatte die gebiihrende Belohnung gefunden. - Vorlaufig indess ware Alles recht glatt abgegangen, hatte nicht der durch Lincoln's Ermordung auf den Prasidentenstuhl erhobene Andrew Johnson Neigung gezeigt, die Bande der Parteidisciplin zu durchbrechen, und den Siiden nach seinen eigenen Ansichten zu rekonstruiren. Da dieser Mann als siidlicher Weisser ein gewisses Interesse fiir das Land seiner Geburt und Verstand- ntes fiir die wirklichen Bediirfnisse des Siidens zeigte, schienen seine Ansichten iiber Rekonstruktion der siegenden Partei, welche die Friichte ihres Sieges geniessen wollte, durchaus nicht ange- messen. Hieraus entsprang das im schliesslichen impeachment (Anklage auf Verletzung der amtlichen Pflichten) gipfelnde Miss- verstandniss zwischen Prasidenten und Congress. Um dies deutlich zu machen, mussen wir die ganze Stellung der siidlichen, weissen Unionisten, deren Vertreter Andrew John- son , auseinandersetzen. Wie schon friiher bemerkt , hatte weitaus die Mehrheit der siidlichen Weissen durchaus kein unmittelbares Interesse an dem Bestehen der Sklaverei; ja ich behaupte gerade- zu , dass , soweit es sich bios um die materiellen Interessen handelt, Niemand so sehr unter den ublen Wirkungen der Sklaverei zu leiden hatte , als die nicht sklavenhaltende weisse Bevolkerung des Siidens. Denn die Sklaverei mit ihrem ganzen wirthschaftlichen System bildete eine Klasse heran, die den ganzen reichen Humusboden der siidlichen Gegenden zum Anbau der Stapelprodukte in grossen, gewohnlich viele Tausend Acker umfassenden Plantagen in Besitz 145 nahm. Wer die Mittel zum Ankauf und zur Bewirthschaftung einer solchon Plantage nicht besass , musste sich mit den werth- loseren , gebirgigen Strecken Landes , die sich zur Cultur der ein- triiglichen Stapelprodukte nicht eigneten , begniigen. Wahrend nun den Plantageiibesitzern bald das Gold Europa's in Fiille in den Schoss floss , konnte der arme Sandhiigler in den entlegenen Theilen des Landes sich nur auf die Arbeit seiner eigenen Hande verlassen und kaum den nothigen Lebensunterhalt gewinnen. Die Kluft zwischen ihm , der in der Wildniss lebte, und dem reichen Plan- tagenbesitzer in der fetten Thalniedcrung ward taglich grosser und bildete sich zu einem regelrechten Standesunterschiede aus, indem der Letztere sich und seinen Kindern bald eine , dem armen Weissen unerreichbare Bildung verschaft'te. Die Einfiihrung eines Yolksschulsystems , wie es in den Nordstaaten allenthalben bestand, verhinderte theils die Isolirung dieser Sandhiigler, theils die Ab- neigung des grossen Pflanzers Steuern fur Volksschulen zu ent- richten , die seine Kinder doch nicht besuchten , denn diese gingen auf die besten hoheren und Hochschulcn des Landes , wenn nicht gar Europa's. Die Unwissenheit dieser oft in waldiger Gebirgseinsamkeit lebenden Menschen war denn auch so gross, dass ich haufig im Kriege erwachsene altliche Manner traf, die weder die Enffernung, noch auch nur den Namen der nachsten ,,Stadt ;< kannten. Doch darf man hieraus nicht schliessen, dass diese Leute sich etwa jn ihrer Lage ungllicklich gefiihlt hatten, Im Gegentheile, so gross wie ihre Unwissenheit und Unkenntniss der ihrem buchstiiblichen Gesichtskreise entriickten Aussenwelt, war auch ihre Bediirfniss- losigkeit und die beinahe absolute IT nabhangigkeit , deren sie sich in ihrem Waldwinkel erfreuten. Ein kleines Feld mit Wclschkorn und Bohnen , ein Paar wild umherlaufende Schweine , dann und wann eine Kuh, eine Blockhiitte mit einer, hochstens zvvei be- schrankten Raumlichkeiten war Alles, wessen eine Familie be- durfte. In der inneren Eiurichtung nimmt der gewaltig grosse ,,Feuerplatz u eine wichtige Stelle ein; er ist zur Aufnahme ganzer Holzblocke berechnet und aus mit Lehm beworfenen Zweigen er- baut. An Utensilien finden wir einen Kochtopf, die skiltet (eine gusseiserne, zum Backen des Gornbreadj Welschkornkuchen, be- stimmte Backpfanne mit gut schliessendcm Deckel), einen oder zwei rohgezimmerte Stiihle, einen dergleichen Tisch und ein Paar Bettstellen, endlich die unentbehrliche kurze Thonpfeife oder Schnupftabaksdose nebst der schweren , langen Jagdbiichse, in deren Handhabung jeder Mann bewandert war. Gebratener Speck und Welschkornbrod , ausnahmsweise ein Gericht Bohnen, Mush (ein Brei von Welschkornmehl) und "Wildbraten bildeten die ein- zige Xahrung. In physischer Hinsicht ist diese weisse Hinter- 19 146 waldler-Bevolkerung des Siidens ohne Zweifel die kriiftigste, ge- sundeste und am priichtigsten entwickelte der ganzen eingeborenen Weissen der Vereinigten Staaten , und namentlich der Yankee ver- mag sich nicht im Entferntesten damit zu vergleichen. Die Manner sind im Durchschnitt wohl sechs (englische) Fuss gross, dabei kraftig, ausdauernd und von beinahe stoischer Gleichgiltig- keit gegen Entbehrungen und Strapazen. Sie bildeten das unbc- streitbar vortreffliche Material der siidlichen Armeen. Die Frauen dagegen sind rosig, voll ausgebildet, im Verhaltniss cbensogut gewachsen , als die Manner und zeigen noch keine Spur von dem kranklichen , schwachlichen , fahlen Aussehen , das besonders den Amerikanern der nb'rdlichen Staaten eigen. Mit einem Worte, sie sind, Manner wie Weiber, ein Mensclienschlag , der sich in physiscber Vollkommenheit kiibnlich den Besten an die Seite stellen darf. Unter solchen Verhaltnissen batten diese siidlichen Weissen kaum ein Verstandniss fiir ferner liegende Interessen. Mit ibren Nachbarn in den reichen Niederungen kamen sie meist nur bei Wablen oder Gerichtssitzungen zusammen. Und bei solchen Gele- genheiten bemiihte sich der siidliche Gentleman aufs Eifrigste den guten Willen und die Stimme des trotzigen Sandluiglers durch freien, ungenirten Verkehr auf dem Fusse vollkommener ausserer Gleichheit zu gewinnen , was ihm in der Regel auch gelang. Anderer socialer Verkehr zwischen diesen beiden Klassen bestand dagegen nur hochst selten , da das Thor des grossen Herrenhauses sich in ver- schwenderischer Gastfreundschaft nur dem Standesgenossen bffnete. Blieb nun solchergestalt das Verhaltniss zwischen beiden Klassen der siidlichen Weissen ein leidlich gutes, so war dagegen die Stellung des Negers zu jeder derselben eine grundverschiedene. Der Neger bemerkte sehr wohl den weiten socialen Unterschied zwischen den Giisten in Masters Hause und den hinten am Rande der Plantage dann und wann durch den Busch schleichenden armen Weissen. Mit der seiner Race eigen thiimlichen , pfauenartigen Eitelkeit empfand er als zugehoriger Theil der glanzenden Gesell- schaft im Herrenhause , die ihm wohl mitunter eine Delikatesse vom Teller, eine sonstige Gabe oder auch einen Fusstritt vembreichte, eiiien selbstbewussten Stolz. Sich weit uber den armen Weissen erhaben diinkend, gewahrte es ihm besondere Genugthuung , Letz- teren, wenn immer ohne Gefahr thunlich, die Geringschatzung zu zeigen, die er fiir das poor wldte trash (das arme, weisse Ge- sindel) empfand. Dass dadurch die tiefe Verachtung des armen, aber auf seine Freiheit stolzen Weissen gegen den von der Sklaren- peitsche zur Arbeit getriebenen Neger sich zum ingrimmigen Hassc steigerte, war unausbleiblich. Und w r enn er als Sklavenaufseher oder in ahnlicher Stellung Gclegenheit fand, dem Neger diesen 147 Hass entgelten zu lassen , nahm er dieselbe wohl nicht ungern wahr , \vie er auch jederzeit mit dem grossten Ycrgniigen bereit war, dem Plantagenbcsitzer auf einer Jagd nach entsprungenen Sklaven Gesellschaft oder , wenn man will (denn nie wurde es anders, als hochstens help, Beistand genannt) Dienste zu leisten. Eine solche Sklaven jagd gewahrte ihm eine hochst willkommene Abwechslung , besonders , da sie wohl jedesmal mit einem Zech- gelage (spree} auf Kosten des Pflanzcrs schloss , trug aber na- tiirlicli auch dazu her, den Hass zwischen beiden Racen zu steigern. Als daher die siidlichen Weissen zum erstenmale die Lehre von der Gleichheit der Schwarzen und Weissen vernahmeri, klang sie ihnen vollig absurd und unerhort; Abscheu und Hass erfiillten sic gcgen die Yerbreiter einer solchen Ansicht und trieben sie willig in den Krieg. Denn den Yankee achteten sie als Gegner eben nicht besonders , war er doch nieist nur als pedlar, Hausirer in ihr Land gekommen, an dem sie Wehrhaftigkeit und Wahr- haftigkeit , in den Augen des siidlichen Hinterwaldlers die hochsten Tugeiiden des Mannes, vermissten. Dieser Verachtung entsprang jene Ueberschatzung siidlicher Kraft, in deren Folge der Krieg beim ersten Yorwande beinahe an den Haaren herbeigezogen wurde, und die sich z. B. in Siidcarolina in der Redensart ausserte: houtlt Carolina can whip the world. (Siidcarolina kann die ganze Welt hauen.) Die hier entwickelten Verhaltnisse erlitten indess eine Modi- fication in einzelnen Gegenden, hauptsachlich in dem ganzen zu- sammenhangenden Gebirgsdistrikt der eigentlichen Alleghany- und Cumberland-Gebirge. Dieser zieht sich an den Grenzen der Staaten Yirginia und den beiden Carolina's im Osten und Kentucky und Tennessee im Westen hin und umfasst die w r estlichen Theile der ersteren drei atlantischeri und die 6'stlichen Theile der beiden zum Mississippi-Becken gehorigen Staaten Tennessee und Kentucky. In diesem ganzen Gebiete waren, theils seiner gebirgigen Natur und Boden-Beschaffenheit, theils seiner klimatischen und Yerkehrs- Verhaltnisse halber eigentliche grosse Plantagen gar nicht vor- handen, und demgemass die Anzahl der als Sklaven gehaltenen oder dort befindlichen Neger eine sehr beschrankte. Eine eigent- liche Klasse grosser Besitzer gab es daher in diesen Gegenden gar nicht. Ihr nordlichster Theil, nameritlich das zum Gebiete des Ohio - Flusses gehorige Westvirginien , war im Yerkehre mit den angrenzenden freien Staaten viel inniger verbunden , als mit dem Siiden, trennte sich demgemass gleich im Beginne des Krieges als Staat Westvirginien von seinem bisherigen politischen Yerbande ab , und schloss sich in jeder Beziehung den Nordstaaten an. Die siidlicher gelegenen Gegenden dieses Distriktes dagegen 148 zwischen dem Restc clcr siidlichen Bevolkerung gleichsam einge- keilt, standcn in Handels- und Geschaftsverkehr mit derselben. In eincm grossen Theile dieses Gebietes, besonders im Grenzgebiete der eigentlichen Plantagendistrikte , lebte nun die eben beschriebene Klasse der siidlichen Weissen in beinahe den namlichen \vie die gescliilderten Verhaltnisse ; diese veranderten sich jedoch einigermassen mit der grosseren Entfernung von den Plantagendistrikten. Die Bevolkerung, dem direkten Einflusse der Gentlemen nicht ausgesetzt, sah sich bei Wahlen gezwungen, Leute ihrer eigenen Klasse in die Aemter einzusetzen , wodurch sich naturgemass eine grb'ssere Rucksichtnahme und eine bessere Auffassung ihrer eigenen Interessen herausbildete ; auch war sie nicht mehr, wie in den Plantagendistrikten, lediglich auf wilde und werthlose Landereien beschrankt , sondern vielmehr im Stande, auch die besseren Landereien in Besitz zu nehmen, deren Ertrag zu erhohtem Wohlstande verhalf. Erhohter Wohlstand erhoht aber durchschnittlich die Fahigkeit , seine Interessen besser zu be- greifen und zu vertheidigcn. Das eigentliche Centrum dieser Ge- birgsgegend ist das grosse Thai von Osttennessee , dessen im Ganzen fruchtbarer Boden einer dichteren Bevolkerung von freien Bauern Gelegenheit gab, sich als eine besondere Klasse zu fiihlen. Die Interessen dieser Leute stimmten in vielfacher Beziehung mit jenen der sklavenhaltenden Aristokratie in den Plantagendistrikten des Sudens umsoweniger uberein, als die Pflanzeraristokratie ihre Uebermacht in den Staatslegislaturen dazu beniitzte, die Staats- mittel vorzugsweise fiir die lokalen Interessen ihrer Distrikte aus- zubeuten. Diese Vernachlassigung ward in Osttennessee und den angrenzenden Gegenden lebhaft empfunden. Als nun flic Sklavenhalter durch Auflosen der Union dem Andringen des Nordens Schranken ziehen wollten, konnten die Bewohner jener Gegenden dieses Beginnen durchaus nicht billigen. Zwar theilten sie die Ansichten sammtlicher siidlichen Weissen in Bezug auf den Neger, und verabscheuten eben so wie Jene die Abolitionisten, aber eine Auflosung der Union lag umsoweniger in ihrem Interesse, als in dem neuzugriindenden Siidreiche die Pflanzeraristokratie das unbedingte Uebergewicht besitzen musste, und demnach die Interessen der nicht vorzugsweise auf Sklaven- arbeit angewiesenen Gegenden sicherlich hintanstellen wiirde. Sie befanden sich also bei Ausbruch des Krieges in einem Dilemma, aus dem sie keinen Ausweg wussten. Auf Seiten des Sudens mochten sie sich nicht stellen , weil dieser die Union, die sie zu erhalten wiinschten, zertriimmern wollte. Auf Seite des Nordens mochten sie ebensowenig treten, weil dieser fiir die ver- abscheuten Lehren des Abolitionismus, der allein an dem ganzen Conflikte Schuld sei, in's Feld zog. So klammerten sic aich an 149 die Hoffnung eines versohnenden Ausgleichs noch zu eincr Zeit, als schon die Schlachtfelder von dem Blute der Erschlagenen trief'ten. Endlich wurden sie von beiden kampfenden Parteien mit Gewalt gezwungen, sich der Einen oder der Anderen anzu- schliessen. Dass die Siidlichen zucrst grade in diesen Gcgenden mit der Zwangsaushebung begonnen , trug wohl nicht wenig dazu bei, die Mehrhcit der Bevolkerung, namentlich Osttennessee's, den Nordlichen in die Arme zu treiben. Die den siidjlichen Rekru- tirungskommando's entronnenen Fliichtlinge traten gewo'hnlich als Freiwillige in die Unionsarmee, schon weil sie unter den obwal- tenden Verhaltnissen kaum Besseres zu thun wussten. Der hervorragende Reprasentant dieser stidlichen Unionisten, speciell derer seiner Heimath Ost-Tennessee, war nun Andrew Johnson, der schon vor dem Kriege als Leiter der der Rebellen- Aristokratie gegeniiberstehenden Partei in Tennessee gait ; dazu mochte wohl nicht wenig beigetragen haben, dass er, ein selbst- gemachter Mann und urspriinglich ein Schneider, von den stan- desstolzen Gentlemen nicht ganz als Ihresgleichen angesehen wurde. Nachdem er einmal Partei ergriffen, leistete er durch seinen sehr bedeutenden Einfluss in seinem Heimathstaate der Union sehr wichtige Dienste ihm war bei dem Ruckzuge der Buell'schen Armee im Herbste 1862 hauptsachlich die Behauptung von Nash- ville , der Hauptstadt Tennessee's , zu verdanken. Bei der Prasi- dentenwahl im Jahre 1864, als die Lage der Dinge immer noch sehr schwierig schien, suchte man durch seine Nomination die Unionisten des Siidens an die republikanische Partei zu fesseln. Die Ermordung Lincoln's nun setzte diesen Mann in den Prasidentenstuhl , und bot ihm Gelegenheit auf die Entwickelung der Yerhaltnisse im Sinne der siidlichen Unionisten einzuwirken. Dieser Anschaunng geniigte die im Kriege faktisch vollzogene und rechtlich anerkannte Abschaffung der Sklaverei vollkommen; sie erstrebte eine Reorganisation der Sudstaaten , die den siidlichen Weissen ausschliesslich die Regierung in die Hande legte , die hervorragenderen Theilnehmer an der Rebellion aber davon aus- schloss. Diese Massregel ware geeignet gewesen , der Unionspartei einen bedeutenden Einfluss auf die armen siidlichen , die Majoritat bildendcn Weissen zu gewiihren, deren Interessen mit denen der eigentlichen Unionisten im Wesentlichen identisch waren ; ferner dem Neger zwar die Freiheit zu gewahrleisten , und dadurch der Wiedererhebung der alten Sklavenh alter- Aristokratie einen Riegel vorzuschieben , aber durchaus nicht dem ihrer Meinung nach hierzu vollkommen unfahigen Neger das Stimmrecht und damit einen Einfluss auf die Regierung anzuvertrauen. In diesera Sinne wurde denn auch Anfangs unter dem di- rekten Einflusse Andrew Johnson's die Rekonstruktion begonnen, 150 und machte die besten Fortschritte. Mein personlicher Aufenthalt am unteren Mississippi (1865 1866) setzte mich in den Stand, zu beobachten , dass die Weissen allenthalben mit Ernst und gutem Willen an die Arbeit gingen , die Verwiistungen des Krieges wieder zu ersetzen und die erlittenen Verluste auszugleichen. Als Architekt bei Bauten beschaftigt, kam ich fast ausschliesslich mit gewesenen und kurz vorher aus dem Kriege zuriickgekehrten Re- bellen in Bejiihrung, und ich fand sie Alle ohne Ausnahme "Willens, die Entscheidung des Schwertes als endgiltig, die Skla- verei fiir immer abgescliafft anzusehen , und ihre ganze Energie dem Aufbau und der Wiederherstellung der zerriitteten Vermogens- verhaltnisse zu widmen. Yiele von ihnen waren reich gewesen, beinahe Alle hatten vor dem Kriege in bequemen Verhaltnissen gclebt. Jetzt war die Mehrzahl geradezu arm, aber ohne Murren schickten sie sich- mit der, beilaufig gesagt, beinahe alien Amerikanern eigenen Leichtigkeit in die Bedingungen ihrer neuen Lage , und fingen wieder von vorne an. Und der natiirliche Reich- thum des Landes gab guten Grund zu der Hoffnung, dass in wenigen Jahren die wesentlichsten Verluste des Krieges ersetzt, und wenn auch' nicht der friihere Reichthum, doch ein gewisscr gegen wirkliche Noth schiitzender Wohlstand wieder hergestellt sein wiirde. Negersitten und Weisse in den Sudstaaten. Nur eine dunkle Wolke triibte die Aussieht. -Die Neger waren zu Tausenden und Zehntausendcn allenthalben in die Stadte gestromt, und hatten das Land, das ihrer Arbeitskraft mehr denn je bedurfte, verodet zuriickgelassen. Alle alten Hauser, Neben- gebaude und namentlich die Baracken aus der Kriegszeit waren von den Schwarzen erfiillt. Heerdenweise zusammengepfercht ohne jegliche Riicksieht auf Reinlichkeit und Gesundheit, von dem, was der Weisse als Moral betrachtet, gar nicht zu reden lebten sie dort von den Rationen des Freedmen's Bureau und Allera was sie sonst erhaschen konnten. Krankheiten, z. B. die Kratze, waren ganz allgemein unter ihnen, und Pocken, Dysenteric, Scharlach brachten dem Tode eine reichliche Ernte. Nur hin- 151 und wieder liess sich Einer dieser Menge zur Arbeit bewegen, um nach kurzer Zeit das Yerdienst auf die tollste und unsiimigste Weise durchzuschlagen. Solch em roher Plantagen-Neger setzte einen besonderen Stolz clarein, in den Kleiderladen des nachsten Juden zu wandern, sich dort mit einem neuen Anzug nach Pariser Mode, Lackstiefeln mit hohen Haken, Spazierstocke, einer gold- ahnlichen dicken Uhrkette, einem Cylinderhute u. dgl. m. zu ver- sehon, und \vie ein Pfau herausstaffirt als swell (aufgeblahter Stutzer) durch die Strassen zu stolziren, den Neid und die Be- vvunderung seiner Stammesgenossen erregend, Der namliche Bursche kroch dann , nacjidem er Abends gejohlt, getanzt und das Leben genossen, wie es eben nur ein Neger kann, mit seinem neuen cleganten Anzuge in irgend eine alte Baracke, die seit ihrer Er- bauung nie gescheuert Oder gekehrt worden war und von Unge- ziefer aller Art \vimmelte, und streckte sich dort im Gedrange seiner Genossen auf den Boden oder wo er sonst Platz fand. Zwang ihn am andern Morgen das Knurren des Magens sich zu erheben, und hatte er ausnahmsweise nach gehoriger Fiitterung noch Geld ubrig, so schlenderte er mit stolzem Selbstbewusstsein in die Bude des nachsten Friseurs. Dort liess er sich mit herab- lassender Gonnermiene im bequemen Polstersessel nieder und be- fahl, die Wolle, die seinon Schadel bedeckte, in weiche, wellige Locken zu verwandeln. Mit Hilfe einer gewaltigen Quantitat ziihen, ranzigen Fettes , das sich unter dem durchdringenden Dufte eines ,,Parfiims" verbarg, wurcle die struppige, widerwillige Kopf- bedeckung zusammen und festgeklebt, und Bruder Sambo sucht nun entweder aus alien Taschen die zur Bezahlung nothigen Cents zusammen, oder er wird hinausgeworfen ; jedenfalls aber tritt er auf's Neue die feierliche Promenade an, wobei er in Geberden und Mienenspiel seinen ehemaligen Master es nicht nur gleich zu thun, sondern ihn noch zu iiberbieten trachtet. War endlich alles Geld verprasst und der Hunger zu em- pfindlich, so begab er sich in den shop (kleiner Laden) des nachsten pfandleihenden Hebraers, und vertauschte seinen Pariser Anzug gegen ein CostUm alter Lumpen und ein Paar Bits l ) baaren Geldes. Waren diese endlich auch dahin, und fand er wirklich nichts mehr zu essen, so liess er sich wohl herab, mit zeitweiliger Beiseitesetzung seiner Wiirde als freier Mann, an die Arbeit zu gehen, um sobalcl er ein Paar Dollars verdient dasselbe Spiel von Xeuem zu beginnen. 1) ,,Bits" ein Bischen wird im Suden und Westen der Vereinigten Staaten im gev.ohnlicheD Lebea sehr haufig zur Bezeichnung des seit langer Zeit nicht mehr geprag'.en achten Theiles des amerikanischen oder spanischen Dollars gebraucht. Im Norden heisst dieser Betrng gewohnlich sliilling. Sein Werth in Geld iibersteigt um eine Klein igkeit den einer halben deutschen Reichsmark. 152 Wohl etwas anders, aber nicht um ein Haar besser als der gewohnliche Plantagenneger, war der als Bedienter, Aufwarter, Haussklave, Barbier, Stiefelwichser und in ahnlichen Geschiifts- zweigen in den Stadten heimischer gewordene Farbige. Auf jenen, den ^Niyger" sahen sie, in der Regel Bastarde, mit der unsag- lichsten Verachtung herab. Den Beweis ihrer eigenen Gleich- berechtigung mit den Weissen suchten sie dagegen in der Nach- ahmung jener Klassen, die den auffalligsten Luxus trieben. Fur die wahren, ieh mochte sagen, inneren und hiiuslichen Bediirlmsse der Civilisation zeigten sie nicht das geringste Verstandniss, da- fiir ahmten sie mit wain-haft zwerchfellerschiitternder Grandezza den aussern Flitterglanz , die steifesten Hoflichkeitsformen und Ceremonien der exclusivsten Aristokratie nach. Die Tugenden des rein en Negers, uamlich eine gewisse, gerade OfFenheit und tappige Ehrlichkeit, ein unverwiistlich guter naiver Humor, ein stoischer Gleichmuth im Ertragen von Leiden und Elend, und eine ungemessene ,,communistische" Liberalitat, welche vorhan- dene Vorrathe heute mit Anderen theilt und morgen der Ent- behrung sich ohne Murren unterwirft, sind diesen Leu ten ganzlich abhanden gekommen, nur die iiblen Seiten des Negercharakters sind in vollstem Maasse geblieben: aufbrausende, in vernunftloser, blinder Wuth ausbrechende, animalische Leidenschaitlichkeit ; un- empfindliche, rohe, bis zur wildesten Grausamkeit sich steigernde Gleichgiiltigkeit gegen das Leiden Anderer; endlich auf die Zu- kunft bedachtlose, nur dem augenblicklichen Genusse frohnende Sorglosigkeit. Dazu gesellen sich bei den Farbigen alle blendend lakirten Laster der Civilisation: grenzenlose Sucht isach Aufwand, gepaart mit kindischer Eitelkeit, ganzlicher Mangel an Ehrlichkeit und Zuverlassigkeit, maaslose Dreistigkeit und Arroganz, endlich griindliche Verachtung der Arbeit, die ihnen als entwiirdigend und entehrend gilt. Den charakteristischen Zug dieser farbigen Bas- tarde bildet jedoch ihre wahrhaft emporende Geringschatzung aller Jener, gleichviel ob schwarz oder woiss, die es ihnen an ausseren Aufwand nicht gleich thun. Die ,,Freiheit und Gleichheit" , die ,,Menschenrechte" einer solchen Bevolkerung nicht zu verletzen und sie dennoch zur noth- wendigen Bewirthschaftung zu verwenden, war das Problem, das mit seiner schwierigen, wenn nicht unmoglichen Losung die Aus- eichten der siidlichen Weissen triibte und bald schiichterne Versuche veranlasste, dem unheilvollen Treiben der Neger in den Stadten hier und da einen schwachen Damm entgegenzusetzen. Man trachtete in verschiedenen Gegenden durch polizeiliche Verordnungen und durch eocialen Druck die Neger in ihrer Freiheit soweit einzuschranken, als nothig um am Lande die unentbehrlichen Arbeitskrafte auf langere Dauer durch contraktliche Verpflichtungen festzuhalten. 153 Doch diese Versuche gewahrten sofort den Politikern der siegreichen Partei, die von Washington aus die Entwickelung der Dinge in den Siidstaaten und den Erfolg der Rekonstruktionspolitik Andrew Johnson's auf's Scharfste verfolgten , den willkommenen Vorwand um ihrer Oberherrschaft liber die eroberten Staaten eine gesetzliche, mit den Principien der Humanitat in vollem Einklange benndliche Basis zu geben. Diese Versuche \varen ja es ist dies unbestreitbar, offenbare Verletzung der heiligen Grund- satze der Freiheit und Gleichheit, fur die man eben einen vier- jShrigen, morderischen Krieg gefiihrt hatte. Und waren die Siid- lichen schon jetzt, kaum ein Jahr nach Beendigung des Krieges, noch unter den Augen der Bundestruppen, kuhn genug die Frei- heit der schwarzen Briider zu bedriicken, so waren sie \vohl uii- laugbar noch die namlichen ,,moralischen Ungeheuer" wie zuvor, und warteten wohl nur auf die ganzliche Zuriickziehung der Bundestruppen, um den Neger wieder gesetzlich in Bande zu schlagen, denen die Sklaverei so ahnlich, wie ein Ei dem Anderen. So lautete der Appell der Republikaner an das Gefiihl des nord lichen Volkes. Unbestreitbar war er streng logisch. Denri es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, dass der sich selbst uberlassene, jeder ferneren, fremden Einmischung enthobene Siiden, im gebieterischen Interesse seiner wirthschaftlichen Verhaltnisse in demMaasseals sich allmahlig dieNotlnvendtgkeit weiterer Gesetzes- schranken herausstellen musste, letztere ebenso lange aufgerichtet hatte, bis sie ausreichten, um den Neger zu verlassiger, dauernder Arbeit zu zwingen. Dass sich auf diese Weise allmahlig ein System der w Peonie", wie in den freien spanischen Republiken, in fester gesetzlicher Form herausgebildet hatte, ein System welches unlaugbar den Principien der Menschengleichheit ebensowenig ent- spricht, als die Sclaverei, ist jedem Volkerkundigen klar. Eine Erorterung der wirthschaftlichen Zustande und Noth- wendigkeiten war indess an sich schon ein Verbrechen gegen den Geist des Principiensystems und unter den damaligen Yerhaltnissen unmoglich. Desshalb blieben vollig unbeachtet die Berichte des Obergeneral der Bundesarmeen, General Grant, sowie des deut- schen Bundessenators Schurz, gewiss eines treuen und zuver- verlassigeri Kampen des Principiensystems , beide von Andrew Johnson zur Berichterstattung uach dem Siiden geschickt; sie sprachen sich einstimmig dahin aus y dass die sich vollziehende Reorganisation des Siidens Alles sei, was man mit Riicksicht auf die obwaltenden Verhaltnisse nur verlangen diirfe. Den Politikern lag jedoch iiberhaupt gar nichts daran die Verhaltnisse zu beriicksichtigen, sondern nur die Oberherrschaft ihrer Partei iiber den unterjochten Siiden und damit uber die Union zu sichern. 20 154 Daher stellte man das Verlangen nach Garantien fiir die Sicherung der Gleichberechtigung der schwarzen Briiderscliaft und die beste und biindigste Garantie war naturlich die Verleihung des vollen mit Ausiibung des Stimmrcchtes verbimdenen Biirgerrechtes an das talentvolle und lernbegierige Negervolk. Den Siidstaaten ward demnach bedeutet, eine Anerkennung ihrer Rekonstruktion werde durch den Congress und die Central- regierung nur dann stattfinden, \venn sie den Negern das Stimm- recht in ihrer Verfassung zuerkennen und demgemass ihre Wahlen vornehmen wiirden. Andrew Johnson selbst, dem eine derartige Revision seines Rekonstruktionswerkes nicht behagte, wurde unter einem an den Haaren herbeigezogenen Vorwande in Anklagestand versetzt. Zwar gelang es nicht ihn zu verurtheilen und aus dem Amte zu werfen, wie es der Plan der Republikaner gewesen, weil ein halb Dutzend in alterthumlichen Ansichten befangene republi- kanische Senatoren noch dem Wahne huldigten, dass sie ihr Urtheil dem wahren Thatbestand gemass, und nicht wie es die Partei anbefohlen, abzugeben verpflichtet seien. Aber Johnson's Einfluss war gebrochen, da General Grant, dessen Befehlen die sammtlichen Bundestruppen, also die wirkliche organisirte Macht gehorchte, sich grade um diese Zeit mit Sack und Pack der echten republikanischen Parteiverbindung anschloss, gegen die er sich bis- her als alter Demokrat sehr lau verhalten hatte. Riicksichtslos setzte er sich fortan iiber alle Befehle und Erlasse des Priisidenten hinweg, und gebrauchte die Bundestruppen nur im Einklange mit dem Congresse d. i. der republikanischen Partei. So wurden die Siidstaaten gezwungen, das Negerstimmrecht in ihren Verfassungen anzuerkennen und ihre neue Laufbahn unter Verwaltungs-Behorden anzutreten, die unter dem Drucke der Bundesregierung, von der Negerbevolkerung gewahlt, allenthalben der republikanischen Partei angehorten, Ueberrumpelung und Druck auf die Legislaturen der nordlichen Staaten schmuggelte auch in die Bundesverfassung die Anerkennung des Negerstimm- rechts ein, welches bei einer unmittelbaren Volksabstimmung nie eine Mehrheit erhalten hatte. So war der Z week vorlaufig erreicht, die Republikaner befanden sich in beinahe alien Staaten im Voll- besitze der Macht, und General Grant erhielt 1868 fur seinen Anschluss den zuvor bedungenen Lohn in der Prasidentenwiirde. Diese Vorgange versetzten aber zugleich den Unionisten des Sudens einen Schlag in's Gesicht, der allmahlig und in dem Maasse, als sie dessen Folgen zu fiihlen begannen, zu ihrer Trennung von der republikanischen Partei, der sie seit dem Krlege .sich angeschlossen / und zu ihrer Wiedervereinigung mit den Weissen des Sudens fiihren musste. Sobald die von alien Seiten in's Land gestiirzten Politiker, gewohnlich Menschen von anriichigstem Charakter , in 155 ihrem Amte heimisch geworden und ihre ,,Ringe" geschlossen batten, begannen sie natiirlich, sich fiir ihre Miihe und die innere Demiitbigung, die das Fraternisiren mit dem Neger ihnen aufer- legte, durch die willklirlichste Pliinderung der offentlicben Kassen unter alien Vorwanden zu entschadigen. Dies zwang die siidlichen Weissen, wovon Viele und zwar die besten " Elemente bei den ersten Wahlen es verschmaht batten, an der Seite des widerlichen, neuen Yotanten zu den Stimmkasten zu gehen, aus ihrer Zuruck- baltung hervorzutreten und sicb, so gut sie konnten , gegen die Negerherrschaft und die glanzenden SchnappsacklerfOar^e^^a^/er^zur Wehr zu setzen. Ein Theil iiberwand seinen Widerwillen und nahm in Gesellschaft der Letzeren an den 6'ffentlichen Angelegenheiten Theil, um den moglichsten Eirifluss auf ihre Interessen auszuiiben. Andere hingegen, sei es dass sie die Hoffnung auf eine friedliche Regu- lirung der Dinge aufgegeben batten, sei es dass sie leidenscbaft- licber, riicksichtsloser, unwissender, und desshalb mehr zu Ge-^ waltthaten hinneigten, scblossen sicb in geheimen Verbindungen zusammen, und suchten durch Selbsthilfe die Gegenpartei fiir ihre Uebergriife zu bestrafen und einzuschiichtern. Fiir solche Selbsthilfe lag im Siiden genau die namliche Nothwendigkeit vor , wie im fernen Westen fiir die Ausiibung der Lynchjustiz durch das Yolk oder zeitweilig organisirte Yigilanz- ausschiisse. Denn begreiflicherweise zeigten die von den Negern gewahlten Behorden keinen besonderen Eifer, Gesetzesverletzungen ihrer Parteigeuossen, von deren gutem Willeu die Fortdauer ihrer Amtsthatigkeit abhing, zu bestrafen. Falls eine That nicht den moralischen Unwillen der Neger selbst erregte, sahen sie in deren Bestrafung zuverlassig eine ihrer Race zugefiigte Krankung. Der moralische Sinn des Negers ist aber von dem unsrigen so sehr verscbieden, dass man beinahe an dessen Existenz iiberhaupt zwei- feln mb'chte. Gewiss ist, dass er z. B. eine Scheu vor Aneig- nung fremden Eigenthums nur in hb'chst geringem Maasse empfindet. Grosse Diebstahle, deren Plan Kopfzerbrechen, deren Ausfiihrung Miihe und Arbeit erfordert, sind allerdings der that- und denkfaulen Natur des Negers zuwider ; desto mehr ergiebt er sich haufigen kleinen Gelegenheitsdiebstahlen ; was seine Sinne reizt nimmt er ohne den geringsten Skrupel. Diese Gewohnheit bestarkt ihii auch in seiner Faulheit, denn so lange er die nb'thigen Nahrungs- mittel auf solchem Wege erwerben kann, denkt er nicht daran zu arbeiten. Weit empfindlicher beriihrt indess die moralische Auf- fassung der Weissen die Neigung des Negers, seinen geschlecht- lichen Regungen gewaltsame Befriedigung zu verschaffen. Nur barbarisch strenge Strafen vermogen ihn von der sofortigen Be- friedigung seiner fleischlichen Geliiste an der Person seiner Be- gierde zuriickzuhalten. So lange diese sich Damen ihrer eigenen 158 Race zuwenden, \vird davon wenig Wesens gemacht, weil beidc Geschlechter diese Leidenschaft in gleichem Maasse theilen , und demnach einander Nichts vorzuwerfen haben. Ihre geschlechtliche Moral kennt aber nicht, was wir mit den Worten Keuschheit, Jungfraulichkeit und eheliche Treue als Erfordernisse der Sittlich- keit ansehen. Wenn nun der Neger einen solchen Ausbruch wilden Geschlechtstriebes gewaltsam an einem "Weibe weisser Race zu stillen sucht, dann ist es gewiss nicht erstaunlich, wenn die Gemuthlicheit der Weissen ein Ende hat. So lange diese die Ziigel unbestritten in den Handen batten, fanden diese wilden animali- schen Triebe der Schwarzen darin eine Schranke, dass man jeden Fall von Nothzucht unnachsichtlich und prompt mit dem Tod,e bestrafte. Seitdem jedoch der Neger selbst auf die Handhabung der Justiz einen bestimmenden Einfluss austibt, sind nicht nur die dies- beziiglichen Strafgesetze und damit die Todesstrafe fiir dieses Verbrechen (in den meisten Staaten) gefallen, sondern sogar der Vollzug der gesetzlich noch bestehenden Strafe ist nicht gesichert und die Furcht vor derselben keinesfalls geniigend, die wilden Triebe der Schwarzen in Schranken zu halten. Da nun der Weisse in dieser Beziehung schlechterdings keinen Spass v.ersteht, so ist er eben gezwungen, die Ahndung solcher Angriffe selbst in die Hand zu nehmen, und den Negern die nothige Achtung vor dem weiblichem Geschlechte dtirch Furcht und Schrecken einzu- flossen. Leider sind nur barbarische Gewaltthaten solchen Ein- druck hervorzubringen fahig, und diese geben dann Anlass zu Repressalien, Ausschreitungen und Ungesetzlichkeiten aller Art; schliesslich wird gar militarische Einmischung nothwendig. Noch weit schlimmere Folgen hat die zu despotischer Will- kiir sich steigernde, brutale Arroganz des Negers, wenn er in eine befehlende Stellung, zu Amt, Wiirde und Einfluss gelangt. Von einem Sinne fiir Pflichterfiillung oder einem Verstandniss der Gesetze ist bei ihm auch nicht die Spur. Seine Brutalitat ent- springt einfach eitler Selbstilberhebung ; er diinkt sich nicht bios liber das Publikum, sondern auch iiber die Gesetze erhaben, den Launen seiner Willkiir sollen die Untergebenen mit kriechender Gefiigigkeit sich unterwerfen, die Gesetze, die er ohnehin nicht kennt und kennen zu lernen sich auch nicht bemiiht, setzt er einfach bei Seite und erlaubt sich alle Ausschreitungen, die ihm . jeweils seine Launen oder, was schliinmer, seine Interessen, oder, was am schlimmsten, seine ungezugelten Leidenschaften eingcben. Kurz : jeder Neger in amtlicher Stellung, mag er Constabler, Polizist oder Vereinigter Staaten Senator sein, geberdet sich wie ein turkischer Pascha. Natiirlich sucht sich die weisse Bevolkerung des Siidens gegen eine solche Verwaltungsmanier zur Wehre zu setzen und W T O moglich auch zu rachen. 157* Ein erst kiirzlich vorgekommener Fall solcherPaschawillkiir sei- tens eines Xegerbeamten illustrirt das Gesagte rechtdeutlich, Vicksburg am unteren Mississippi ist die Haupthandelsstadt des vorwiegend land- lichen Staates Mississippi, in welchem das Negerelement eine un- bedingte Mehrheit besitzt, die natiirlich die Aemter an eine Bande von Schnappsacklern ausgeliefert hat. In Warren County worm Yicksburg liegt, war nun im Herbste 1874 ein Neger, Namens Crosby, zu dem wichtigen 1 Amte eines Sheriffs erw r ahlt worden. Das Gesetz schreibt nun vor, dass der Erwahlte vor dem Rathe der Supervisoren (der Abgeordneten) des betreffenden County zu crscheinen und dort die nothigen Biirgschaften und den Amtseid zu leisten habe. Nach Erfiillung dieser Formalitaten wird er von dem Supervisorenrathe in sein Amt eingefiihrt. Aber Herr Crosby hatte kaum von seiner Wahl vernommen, als der souveranste Paschastolz sein Ilcrz zu schwellen begann. Es fiel ihm demnach gar nicht ein, sich nach Erfiillung der gesetzlichen Formalitaten vom Rathe der Supervisoren in sein Amt einfiihren zu lassen, son- dern er begab sich sogleich, von seinen Getreuen umgeben, in hochsteigener Person in das Amtslokal, um darin ohne Umschweife als unumschrankter Gebieter zu hausen. Die Behorden forderten ihn wiederholt auf, dem Gesetze zu genugen, Herr Crosby that nichts derglcichen, Schliesslich sahen sich jene zu einer injunction d. h. einen gerichtlichen Einhaltsbefehl gegen ihn gezwungen, dem er aber als blossen Wisch Papier ebenso wenig Beachtung schenkte. Es blieb also der Stadtbehorde nichts iibrig als ein posse Comifafus d. h. ein Biirgeraufgebot zu erlassen und Herrn Crosby sammt seinen Trabanten aus dem Amtslokale hinauszuwerfen. Zugleich schrieb sie, wcil durch sein Gebahren Herr Crosby die Sheriffs- stelle verwirkt hatte, eine neue Spezialwahl aus, wozu sie das Gesetz des Staates berechtigte. Herr Crosby sah in diesem Ver- fahren, sowohl eine schmahliche Beleidigung seiner Wiirde, als eine schnb'de Yerletzung des Menschenrechtes, der Freiheit und Gleichheit des afrikanischen Stammes. Gegen solche Vergewalti- gung rief er daher zunachst die in der Umgebung Yicksburg's bcfindlichen Neger zur Hiilfe, welche in hellen Haufen zur Un- terstiitzung ihres Stammesgenossen gegen die Stadt zogen. Die Nachricht von dem Anzuge der dunklen Sturmcolonnen zwang natiirlich die Weissen an ihre Vertheidigung zu denken. Sie zogen daher den Negern enigegen und zersprengten sie in alle Winde. Naturl-ich ging ,es nicht ohne ein Paar Todte und Yer- wundete ab, wobei selbstverstandlich der Yerlust der Schwarzen zu dem der Weissen sich wie Zehn zu Eins verhalt. Untcr dem Eindruck der Niederlage seiner Hiilfstruppen ver- fliichtigte sich der souverane Paschaubermuth des Herrn Crosby, und machte einer kriechenden Unterwurfigkeit Platz. Er leistete 160 publikaner aber des Schutzes , d. h. des Druck's der Bundestruppen, cleren Anzahl eine sehr geringe ist. Obendrein musste man sich hiiten, den bereits sich erhebenden Argwohn des Volkes im Nor- den nicht zu erregen, sonst konnte man in den Nordstaaten leicht mehr verlieren, als im Siiden zu gewinnen war. Es mussten daher jene Wahlausschiisse, die besonders der Bundestruppen zu bediirfen glaubten, weil in ihren Bezirken der Ausgang der Wahl zweifelhaft, der Centralregierung stichhaltige Griinde angeben, welche die Truppen-Dislocirung dabin rechtfertigen konnten. Solche Griinde zu linden, war nun nicht sonderlich schwierig. Denn bei der brutalen Gesetzesverachtung der regie- renden Neger und dem reizbaren Racenstolze der Weissen fehlte es nicht an gewaltsamen Verbrechen und Gesetzesverletzungen aller Art. Was leichter, als aus der Unmasse solcher Falle jene zu sammeln, in denen (bei oberflachlicher Beobachtung wenigstens) die Weissen der angreifende Theil gewesen. Und hob man aus diesen Fallen noch ganz besonders solche heraus, wo sich die Angreifer einer ungewb'hnlichen Brutalitat schuldig ge- macht, verbreitete man diese mit alien haarstraubenden Einzeln- heiten einseitig gefarbt durch die Parteipresse unter dem Volke des Nordens, so konnte man kaum verfehlen, Letzterem die Ueberzeugung beizubringen, die Weissen des Siidens waren immer noch die namlichen moralischen Ungeheuer wie ehedem, die weit entfernt , die Resultate des Krieges , namlich die Gleichstellung der schwarzen Briider, freudig anzuerkennen , vielmehr aufs Eifrigste jede Gelegenheit beniitzen, die armen, unschuldigen Neger zu ver- folgen, sie mittelst ausgesuchter Schandthaten in fortwahrender Todesangst zu erhalton, und durch Schrecken und Furcht ihrer gesetzlichen Freiheit und Gleichheit zu berauben, namentlich aber sie an der freien Ausiibung ihres Stimmrechtes zu hindern. Was diesen Behauptungen noch mehr Effekt gibt , war, dass sie bis auf einen Punkt die Wahrheit sagten. Unbestreit- bar ist das Vorkommen der Gewaltthaten , unbestreitbar die Er- bitterung der Weissen, unbestreitbar ihr Verlangen, diesem Zu- stande ein Ende zu machen, indem sie das Negerelemeat der Herrschaft beraubten. Was falsch, ist nur, dass der Neger an dem bestehenden Zustande der Dinge unschuldig , der Weisse dagegen schuldig und ein verkommenes, moralisches Ungeheuer sei. Die Wahrheit ist vielmehr, dass der Eine gleich schuldig oder unschuldig ist, wie der Andere, dass die Gewalt- und Grauelthaten eben nur der Unertraglichkeit der Verhaltnisse na- turgemass entspringen, und diese in erster Linie auf das Prin- cipiensystem selbst zuriickfallen , welches durch ein Machtgebot versucht, in gleiche Rechtsformen einzuzwangen , was die Natur selbst ungleich gemacht hat. 161 Aber die Republikaner konnten doch niclit die Falschheit des Principiensystems einraumen und damit gewissermassen den Reifen sprengen, der ihre verschiedenen , ohnehin schon ziemlich centrifugalcn Elements noch zusamraenhielt. Das Gesetz der Logik zwang sre vielmehr, auf dem betretenen Wege fortzuschreiten, alle Grauel und Schandthaten im Siiden lediglich den Weissen aufzubiirden , und zum Schutze und zur Aufmunterung der Neger, sowie zur Einschiichterung der verwegenen weissen Raufbolde die Bundestruppen zu verwenden, soweit dieselben eben ausreichten. So gcscbah es auch bei jeder Wahl. Sowie ein Wahlkampf herannahte, wimmelten die republikanischen Zeitungen von Be- richten iiber die haarstraubendsten Vorkommnisse in eincr Art geschildert, dass man wirklich an ein wahres Schreckensregiment glauben musste, worunter die Neger im Siiden zu seufzen hatten. Wie systematisch die republikanischen Politiker den Norden gegen die Weissen des Siidens aufzustacheln suchten , zeigt auf 's Scharfste folgender Fall, der auf die Vorbereitungen zu dem im Jahre 1876 bevorstehenden Prasidentenwahlka'mpfe Bezug hat. Die republikanische Partei ist namlich in neuerer Zeit, und wie der Ausfall der Wa.hlen im Hcrbste 1874 zeigt, mit gutem Grunde, um die Fortdauer ihrer Herrschaft ernstlich besorgt. Die bisher beliebtcn Phrasen und Appelle an das Volk wollten nicht mehr so recht ziehen, da der Norden allgemach des ganzen, an- scheinend unlosbaren Wirrwarrs im Siiden miide wird, im Ge- heimen den Xeger vom Grunde der Seele dahin wiinscht, wo der Pfeffer wachst, und iiberdies meint, dass seine eigenen Interessen eine Beriicksichtigung erheischen, die ihnen nicht zu Theil wird, so lange die Reorganisation des Siidens das wesentliche Element der nationalen Politik bildet. Die politischen Fiihrer kamen zur Ueberzeugung, dass es einer starkeren Aufstachelung bediirfe, um die ermattete Theilnahme des Volkes wieder zur Begeisterung fur die gleichen Menschenrechte und den unterdriickten schwarzen Bruder aufzuregen. Deshalb beschloss man im Herbste 1874 in Chattanooga, im Staate Tennessee, eine Parteiconvention der re- publikanischen Politiker des Siidens abzuhalten. Welche Zwecke diese Versammlung verfolgte, erhellt aus folgender Stelle eines Briefes, welch er bei Erb'ffnung der Convention gleichsam als Riohtschnur fiir die zu behandelnden Geschafte verleseii ward. Er kam von dem Sekretiir des republikanischen congressionellen Centralausschusses in Washington, einem gewissen ,,Ehrenwerthen" J. M. Edmunds, der als Belohnung fur die wichtigen Dienste, die er der republikanischen Partei in dieser Stellung leistet, dem Vaterlande zugleich in dem Amte des Postmeisters der Bundes- hauptstadt Washington dient. Wir bemerken noch, dass dem Ausschusse, dessen Sekretar Herr Edmunds ist, die Oberleitung 21 160 publikaner aber desSchutzes, d. "h. des Druck's der Bundestruppen, deren Anzahl eine sehr geringe ist. Obendrein musste man sich huten, den bereits sich erhebenden Argwolm des Volkes im Nor- den nicht zu erregen, sonst konnte man in den Nordstaaten Icicht mehr verlieren, als im Siiden zu gewinnen war. Es musstcn daher jene Wahlausschiisse, die besonders der Bundestruppen zu bediirfen glaubten, weil in ihren Bezirken der Ausgang der Wahl zweifelhaft, der Centralregierung stichhaltlge Griinde angeben, welche die Truppen-Dislocirung dahin rechtfertigen konnten. Solche Grrunde zu finden, war nun nicht sonderlich schwierig. Denn bei der brutalen Gesetzesverachtung der regie- renden Neger und dem reizbaren Racenstolze der Weissen fehlte es nicht an gewaltsamen Verbrechen und Gesetzesverletzungen aller Art. Was leichter, als aus der Unmasse solcher Falle jene zu sammelu, in denen (bei oberflachlicher Beobachtung wenigstens) die Weissen der angreifende Theil gewesen. Und hob man aus diesen Fallen noch ganz besonders solche heraus , wo sich die Angreifer einer ungewohnlichen Brutalitat schuldig ge- macht, verbreitete man diese mit alien haarstraubenden Einzeln- heiten einseitig gefarbt durch die Parteipresse unter dem Volke des NordenSj so konnte man kaum verfehlen, Letzterem die Ueberzeugung beizubringen, die Weissen des Siidens waren immer noch die namlichen moralischen Ungeheuer wie ehedem, die weit entfernt , die Resultate des Krieges , namlich die Gleichstellung der schwarzen Briider, freudig anzuerkennen , vielmehr aufs Eifrigste jede Gelegenheit beniitzen , die armen , unschuldigen Neger zu ver- folgen, sie mittelst ausgesuchter Schandthaten in fortwahrender Todesangst zu erhalten, und durch Schrecken und Furcht ihrer gesetzlichen Freiheit und Gleichheit zu berauben, namentlich aber sie an der freien Ausiibung ihres Stimmrechtes zu hindern. Was diesen Behauptungen noch mehr Effekt gibt , war, dass sie bis auf einen Punkt die Wahrheit sagten. Unbestreit- bar ist das Vorkommen der Gewaltthaten , unbestreitbar die Er- bitterung der Weissen, unbestreitbar ihr Verlangen, diesem Zu- stande ein Ende zu machen, indem sie das Negerelemeat der Herrschaft beraubten. Was falsch, ist nur, dass der Neger an dem bestehenden Zustande der Dinge unschuldig, der Weisse dagegen schuldig und ein verkommenes, moralisches Ungeheuer sei. Die Wahrheit ist vielmehr, dass der Eine gleich schuldig oder unschuldig ist, wie der Andere, dass die Gewalt- und Grauelthaten eben nur der Unertraglichkeit der Verhaltnisse na- turgemass entspringen, und diese in erster Linie auf das Prin- cipiensystem selbst zuriickfallen , welches durch ein Machtgebot versucht, in gleiche Rechtsformen einzuzwangen , was die Natur selbst ungleich gemacht hat. lei Aber die Republikaner konnten doch niclit die Falschheit des Principiensystems einraumen und damit gewissermassen den Reifen sprengen, der ihre verschiedenen , ohnehin schon ziemlich centrifugalcn Elemente noch zusamraenhielt. Das Gesetz der Logik zwang sfe vielmehr, auf dem betretenen Wege fortzuschreiten, alle Griiuel und Schandthaten im Siiden lediglich den Weissen aufzubiirden , und zum Schutze und zur Aufmunterung der Neger, sowie zur Einschiichterung der verwegenen weissen Raufbolde die Bundestruppen zu verwenden, soweit dieselben eben ausreichten. So gcschah es auch bei jeder Wahl. Sowie ein Wahlkampf herannahte, wimmelten die republikanisclien Zeitungen von Be- richten liber die haarstraubendsten Vorkommnisse in einer Art geschilclert, dass man wirklich an ein wahres Schreckensregiment glauben musste, worunter die Neger im Siiden zu seufzen batten. Wie systematisch die republikanisclien Politiker den Norden gegen die Weissen des Siiclens aufzustacheln suchten , zeigt auf's Scharfste folgender Fall, der auf die Vorbereitungen zu dem im Jahre 1876 bevorstchenden Prasidentenwablka'mpfe Bezug hat. Die republikanische Partei ist namlich in neuerer Zeit, und wie der Awsfall der Wahlen im Herbste 18 74 zeigt, mit gutem Grunde, um die Fortdauer ihrer Herrschaft ernstlich besorgt. Die bisher beliebtcn Phrasen und Appelle an das Volk wollten nicht mehr so recht ziehen, da der Norden allgemach des ganzen, an- scheinend unlosbaren Wirrwarrs im Siiden miide wird, im Ge- heimen den Neger vom Grunde der Seele dahin wiinscht, wo der Pfeffer wachst, und iiberdies meint, dass seine eigenen Interessen eine Beriicksicbtigung erheischen, die ihneu nicht zu Theil wird, so lange die Reorganisation des Siidens das wesentliche Element der nationalen Politik bildet. Die politischen Fiihrer kamen zur Ueberzeugung, dass es einer stiirkeren Aufstachelung bediirfe, um die ermattete Theilnahme des Volkes wieder zur Begeisterung fur die gleichen Menschenrechte und den unterdriickten schwarzen Brucler aufzuregen. Deshalb beschloss man im Herbste 1874 in Chattanooga, im Staate Tennessee, eine Parteiconvention der re- publikanischen Politiker des Siidens abzuhalten. Welche Zwecke diese Versammlung verfolgte, erhellt aus folgender Stelle eines Briefes, welch er bei Eroffnung der Convention gleichsam als Richtschnur flir die zu behandelnden Geschafte verlesen ward. Er kam von dem Sekretar des republikanischen congressionellen Centralausschusses in Washington, einem gewissen ,,Ehrenwerthen" J. M. Edmunds, der als Belohnung fiir die wichtigen Dienste, die er der republikanischen Partei in dieser Stellung leistet, dem Vaterlande zugleich in dem Amte des Postmeisters der Bundes- hauptstadt Washington dient. Wir bemerken noch, dass dem Ausschusse, dessen Sekretar Herr Edmunds ist, die Oberleitung 21 162 der gesammten republikanischen Parteiorganisation des Landes ob- liegt. Die Stelle lautet folgendermassen : Grauelthaten von jeder Sorte sollten auf's Sorgfaltigste berichtet werden, gleichviel ob dieselben bis zu Verbrechen sich entwickelten oder bei blosser Einschiichterung stehen geblieben sind. Der Geist und die Tendenz aller Handlungen der gesetzgebenden, vollziehenden und richterlichen Beamten sollten der Untersuchung unterworfen werden. Alles, was in der Richtung auf Unordnung, Gesetzlosigkeit und Unterdriickung hinzielt , sollte grimdlich in Betracht gezogen werden." Die beiden letzten Satze klingen ganz hiibsch, und waren auch ganz empfehlenswerth , wenn sie sich an wirklich unparteiische Leute richteten. Da sich von den Mitgliedern der Convention jedoch nur das schnurgerade Gegentheil darthun lasst , so fallen die schonen Satze in sich selbst zusammen, und als Zweck der Convention bleibt nur die Abfassung eines recht ausfiihrlichen Berichts iiber Grauelthaten aller Sorten im Lichte republikanischer Parteifarbung iibrig. Dies zu thun , fand die Convention nun freilich nicht gerathen, und ging unverrichteter Sache nach Hause, nachdem der inzwischen bekannt gewordene Ausfall der Herbst- wahlen in den nordlichen Staaten sie iiberzeugt hatte, dass die Stromung in der offentlichen Meinung ihr nicht sonderlich giinstig sei. Aber bis zu welchen Liigen und Uebertreibungen die repu- blikanischen Politiker schon geschritten sind, zeigt ein Bericht, den ein gewisser Charles Hays, ein ehrenwerthes " Mitglied des nationalen Congresses wahrend des Wahlkampfes 1874 in der nordlichen republikanischen Presse verb'ffentlicht hat. Darin zahlte er eine grosse Reihe haarstraubender Mordthaten auf als das Ergebniss eines vorbedachten Planes, womit die Weissen die systematische Einschiichterung der Neger bezweckten. Die New- York Tribune" liess es sich angel egen sein, durch eine eingehende Untersuchung den Thatbestand an's Licht zu ziehen. Sie entsandte auf ihre Kosten, ein Beispiel des Unternehmungsgeistes , der die amerikanischen Zeitungen auszeicbnet , einen ihrer zuver- lassigsten Berichterstattcr nach dem Distrikte des ,,Ehrenvverthen" Herrn Hays im westlichen Alabama, wo die erwahnten Mord- thaten sich zugetragen haben sollten. Nach einer griindHchen Nachforschung , deren Einzelnheiten in einer Reihe von spalten- langen Artikeln der New-York Tribune" (vom November 1874) zu finden , kam derselbe zu folgendem Schlusse, den ich mit sei- nen eigenen Worten wiedergebe : ,,Man wird hieraus ersehen, dass, mit Ausnahme der beiden Ermordungen von Billings und Jvy in Sumter County, jeder einzelne von mir bislang untersuchte Fall von jenen, deren Mr. Hays in seinem Briefe erwahnt , und ich habe mehr als drei 163 Viertel aller erwahnten Falle untersucht, sich als absolut un- wahr herausgestellt hat, und Mr. Hays meistens wusste, dass seine Angaben unwahr seien , als er sie niederschrieb. Gesetzt, irgend ein Mitglied des Congresses und Vertreter eines Distrikts im Westen, welcher nach Einwanderung und Anlage fremden Kapitals verlangt, mochte ein solches Biindel Liigen iiber seine Wahlen in die Welt schicken , damit die Leute scheu machen, den Prasidenten beeinflussen, Truppen hinzuschicken , um Ordnung zu halten, wo keine Unordnung existirt, kurz, mochte durch Verlaumdungen seinen Distrikt in schlechten Ruf bringen, die Geschaftsaussichten und Verbindungen der Bewohner schadigen, welche Behandlung diirfte ein solcher Mann wohl erwarten, wenn er in seine Heimath zuriickkehrte ? Wiirde irgend Jemand die Leute tadeln oder als Rebellen brandmarken und als Ku-Klux hinstellen , wenn sie diesen Mann in Acht und Bann thaten ? Z. L. W." Mehrere andere der grossen Zeitungen New-York's schickten ebenfalls Correspondenten nach dem Staate Alabama , um sich liber den Werth der Hays' schen Mordsgeschichten zu unterrichten. Uebereinstimmend berichteten alle Correspondenten, dass die Hays- schen Mordthaten mit Ausnahme der erwahnten zwei auf purer Erfindung beruhten, und selbst bei diesen ein organisirter poli- tischer Einfluss nicht im Entferntesten nachzuweisen sei. Ein Negrer-Meetingr. Nichts vermag uns in die Denkweise der amerikanischen Neger besser einzuf iihren , als das Beobachten ihres Thun und Treibens bei einer jener Massenversammlungen , wo die Schwarzen ganz unter sich sind und ihren Gefuhlen und Meinungen vollig die Ztigel schiessen lassen. Ich entnehme daher einem amerikani- schen Blatte die interessante Schilderung eines solchen Neger- Meetings, welches in Snowdown stattfand. Dieses Stadtchen liegt etwa 15 Meilen von Montgomery, der Hauptstadt des Staates Alabama. Der Weg nach Snowdown fiihrt iiber den einst so uppigen Boden der Prairie. Jetzt liegt eine Pflanzung nach der andern 164 wiist und verodet da; keine Zaune, keine Hecken, keine Grenz- linien mehr, herumstreifendes Vieli klettert in den Ruiuen der Gebaude, die vormals gliickliche Familien beherbergten. Bermuda- Gras bedeckt die ehemaligen Ackerf elder , und Unkraut wachst uberall in dichter Fiille. Der Weg kann als Muster fiir alle iibrigen in Alabama gelten. Er ist rauh, von Wasserlaufen zer- rissen und gefahrlich. Die Briicken sind niedergebrochen und verfaulen. Unglticksfalle kommen dabei haufig vor. Snowdown , ein Oertchen , wie sie dem Siiden eigen , besteht aus einem grossen Landladen fiir Alles , zwei Wohnhausern und einem Grobschmiedsschuppen. Drei Wege kreuzen sich vor dem Laden und einige Pflanzerhauser liegen in der Umgegend. Als \vir ankamen , war es beinahe finster und die Neger begannen eben sich zu versammeln. Jene, die aus weiterer Feme ka- men, ritten auf Pferden oder Mauleseln. Nur Wenige waren ge- horig gekleidet, die Meisten trugen Lumpen in wunderbarster Zusammenstellung. Viele waren noch bedeckt mit frischgepfliickter Baumwolle. Einige batten keine Schuhe, andere keine Kopfbe- deckung, und nocb andere besassen nur ein zcrrissenes Flanell- hemd und zerlumpte, baumwollene Hosen. Dagegen waren die Frauenzimmer alle gut und sogar kostspielig gekleidet. Einige jiingere Fraulein trugen einen coquetten Anzug von fern en Wollen- stoffen nach der neuesten Mode, und eine oder zwei junge Damen, die sich etwas abgesondert hielten, hatten seidene Westen. Sie fanden indess oifenbar keine Gnade vor ihrenGenossinnen, welche durch die Ausrufe aufgeblasene Nigger" ihren empb'rten Gefuhlen Luft machten und laut andeuteten, dass ,,sie auf keinem guten Wege zu diesen Kleidern gekommen waren." Als ein Paar Hundert Plantagenarbeiter sich versammelt hatten und es Abend geworden, kam ein grosser Wagen mit ciner Neger- Musikbande und eine Anzahl Negerpolitiker an. Der Wagen , unter einem prachtigen Eichenbaum gezogen , sollte als Rednerbiihne dienen. Wahrend dieser Vorbereitungen spielte die Musikbande eine lebhafte Weise in gutem Takte, (der Neger be- sitzt entschieden musikalisches Talent und viele der rohesten Plantagenarbeiter handhaben den Banjo, eine Art Guitarre, mit Geschick) und die jiingeren Manner und Frauenzimmer fingen an im Takte herumzuspringen , bald auf einem, bald auf dem anderen Fuss. Doch tanzten sie nie paarweise. Um eine Gruppe von vier jungen Mulattenmadchen sammelte sich ein Haufen Zuschauer und beobachtete ihre Bewegungen mit ostensible!' Zufriedenheit. Die Mulattiimeri hielten sich bei den Handen und schwangcn zu gleicher Zeit den Korper in verschiedenen anmuthigen Windungen von einer Seite zur anderen. Alle Zuschauer in der Runde schlu- gen den Takt mit Handen und Fussen, und stiessen, als das 165 Tempo der Musik schneller und aufregender wurde, alle Augen- blicke Ausrufe aus, wie: ,,Das sind dieMiidels, die tanzen konnen!" ,,Sind das nicht die rechten? Gewiss!" w Wirf den Fuss hoher hinauf, Sue!" ,,Macht den Staub fliegen, Zuckerpuppchen!" u. dgl. in. Pie Musik wurde immer lebhafter , der Tanz der Madchen schneller und schneller, endlich stimmten sie einen wilden Gesang an, dessen Stropheneridungen die Zuschauer als Chor wiederholten. Danii ward der Tanz immer wilder und ausge- lassener. Die schwarzen Augen der Madchen gliihten durch die Dunkelheit. Man sah ihre weissen Zahne hinter den dicken, rothen , feuchten Lippen glanzen , und mit rasch fliegendem Athem f'lihrten sie unter dem rasenden Beifallsgeschrei der aufgeregten Xeger ihren Gesang und ihre wilde Schaustellung zu Ende. Mittlerweile war eine Anzahl weisser Politiker eingetroffen. Sie bestellten sofort Schnaps fur All' und Jeden (the crowd], den zu trinken Niemand sich weigerte. Ein altes Weib liess sich ihren Antheil in einen Zinnbecher fiillen, kaufte sich eine Buchse Sardinen und Sodakrackers (eine Art runder Zwiebacke), hockte sich auf einen Zaun und theilte den Umstehenden mit, dass ,,sie fur eine gute, die ganze Nacht wahrende, vergniigte und lebhafte Unterhaltung fix und fertig sei" (was ^agoin in for a good nights 'musement."J Xachdem die Manner alle ihren Theil gemeinen Branntweins erhalten, wurde die Versammlung von Ein em der Montgomery- IS T eger zur Ordnung gerufen, und drei oder vier Schwarze und eben so viele Weisse stiegen in den Wagen, wo sie sicli auf den Sitzen niederliesson, Ein Neger, zum Vorsitzenden ernannt, er- offnete mit grossem Aufwande wiirdevoller Ceremonie die Ver- sammlung. Der erste Sprecher war ein wohlerzogener Schwarzer , der friiher in Boston (im Staate Massachusetts) gelebt hatte. Er hielt eine sehr gute Rede, und gab den Negern den Rath, treulich zu arbeiten, zu lernen, w r ie sie ihre Pflicht als freie Manner zu er- fullen hatten, und gute ehrliche Leute in die Aemter zu wahlen, Diese Ansprache fand aber eine sehr kiihle Aufnahme. Als nachster Sprecher stellte sich der ,,Ehrenwerthe" Herr Asa Barber vor, ein Vollblutneger, der fiir seine Reden Bezahlung empfangt. ,,Nigger", hob er an, w ihr seid diesem County, diesem Staate, diesem ganzen siidlichen Lande das, w T as Knochen, Sehnen und Muskeln dem menschlichen Korper sind. Ihr habt Rechte, die Euch von den himmlischen Heerschaaren geschenkt wurden. Ihr seid Eure ,eigenen Herren und Meister, und braucht Euch von keinen Menschen Etwas gefallen zu lassen." ,,Gottsei dafiir gedankt* rief das alte Weib, die auf dem Zaune sass und ihre Sardinen verzehrte. Der Redner fuhr fort: er sei auch einmal Sklave ge- 166 wesen, babe die Qualen des Hungers, des Durstes und der Kalte ertragen, friih und spat gearbeitet, um einen miissig gebenden Herrn zu fiittern. ,,So 1st es!" warf em betrunkencr Neger bier ein. Barber fuhr fort. ,,Jawohl meine Freunde, Alles, was ein Sklave nur erdulden kann, babe icb erduldet; Alles, was die menschliche Natur ertragen kann, babe ich ertragen ; und mancbmal dachte icb, ich miisste unter der Last zusammensinken. Aber der Herr des Himmels kam zur Hiilfe in seiner Macbt und seinem Glanze und seiner Kraft, und mit den himmlischen Heerscbaaren stieg er herab auf diese Erde. Er brach die Ketten des Negers und ich bin frei. k: Dies sprach Herr Barber in einem einfachen, ernsthaf- ten Ton, der jede schwa^ze Brust in der Menge zu entflammen schien. Ein alter Mann rief aus: ,,ja Scbatz, du bist frei, und icb bin frei. Lasst es uns verkiinden und Jedem melden, lasst uns diesen immerwahrenden Genuss in vollen Ziigen trinken!" ,,Segne es Gott, dass wir frei sind, " riefen die Weiber aus, die Manner wiederholten den Ruf, und das Ecbo der Walder w r arf ihn zuriick. Die allgemeine Aufregung hinderte eine geraume Zeit den Redner zu sprechen, und der Vorsitzende musste mehrmals durcb Klopfen zur Ordnung auffordern. Barber sagte den Negern ferner, er ware erfreut zu sehen, dass sie die Segnungen der Frei- heit zu schatzen wussten, hoffe aber sie wiirden nicht glauben, dass sie ohne weitere Anstrengung frei bleiben wiirden. Gott batte die republikanische Partei aufgestellt um ihre Ketten zu brechen, und dieser gebiihre ihre -voile Dankbarkeit. Ja noch mehr, ihre Freiheit beruhe nur auf dieser Partei, denn gelangen die Demo- kraten jemals zur Gewalt, sicherlich wiirden si die Neger in einen Zustand, der noch schlimmer ist als die Sklaverei, versetzen. Da rief ein grosser, schlanker, gut aussehender Neger aus der Mitte der Zuschauer: ,,Was sagst du da?" Barber w r iederholte seine Behauptung, worauf Jener mit Heftigkeit ausrief: ,,du liigst, du betriigst meine Race." Eine ungeheure Aufregung entstand auf der Stelle. ,,Das ist ein demokratischer Nigger", schrieen sogleich ein halbes Dutzend Kehlen. ,,Ein Renegat, der seiner Farbe un- treu! u ,,Ganz gewiss!'' johlten wieder Andere, Die Weiber kreisch- teii: ,,Haut ihn, schlagt ihn todt, schlagt den Teufelsdemokrat todt!" Der Neger, ein tapferer Bursche, fbrderte sie aber heraus und sagte, sie waren einHaufenbemitleidenswerther, betrogenerKrea- turen ; Asa Barber und seinesgleichcn schwatze ihnen Liigen vor, um ihre Stimmen zu erhalten, ihre alten Herren seien ihre besten Freunde. Das regte den Volkshaufen nur noch mehr auf. Die Weiber schrieen vonNeuem: Schlagt den Demokraten todt!" und hatte sicb nicht ein Herr Mr. Lee, ein wohlbekannter weisser Pflanzer, der bei den Farbigen sehr in Ansehen steht, in's Mittel gelegt, ware es ihm w r ohl libel gegangen. So zwang man ihn die 167 Versammhmg zu verlassen. Die wenigen Schwarzen, die das ,,de- mokratische Ticket stimmen", werden namlich als Verrather an ihrer Race betrachtet. Die anderen Neger sprechen und v'erkehren nicht mit ihnen, und in ein Paar Fallen ward ihnen iibel mitgespielt, Nach der Entfernung des ,,demokratischen Nigger", konnte Barber in seiner Rede fortfahren. Die \veissen Pflanzer, sagte er, wiiren Spitzbuben und Schurken, sie niitzten die Arbeit der Schwarzen aus, ohne dafiir entsprechend zu bezahlen. Das Land gehore von Rechtswegen dem Arbeiter und nicht den faulen Kerlen, die nichts fiir seine Bebauung thiiten. Er schloss, indem er ihnen Allen be- fahl, falls ihnen ihre Freiheit lieb ware, am Wahltage an die Stimmkasten zu gehen und fiir ,,Massa Robinson" als Steuerer- heber und alle anderen republikanischen Candidaten zu stimmen, Indem er sich an die Weiber wandte, verlangte er sie sollten Alles, was in ihrer Macht stande thun, um ihre Manner ab- zuhalten, mit den Weissen zu stimmen. " Wenn irgend ein Nigger- renegat das thut, rief er aus, ,,so koche keine von Euch ihm ein Mahl, oder wasche ihm ein Hemd!" Hierauf erwiderte das alte Weib, die unter dem Baume auf dem Zaune sass: ,,Ein Hemd waschen! die Nase wiirde ich ihm in Blut waschen" Der nachste Redner war der friihere Congressreprasentant Buckley, ein Weisser, Candiclat fiir die erb- und vormundschaft- liche Richterstelle in diesem County. Er beschrankte sich haupt- sachlich auf die Erorterung der biirgerlichen Rechte. und brachte in versteckter Weise Alles vor, was den Negern Hass und Ab- neigung gegen die Weissen einflossen konnte. Dann verbreitete er sich des Weiteren iiber die Strapatzen und Leiden, die, wie er behauptete, die Neger zu erdulden hatten, weil sie nicht in die- selben Eisenbahnwagen mit den Weissen zugelassen wiirdeii, und versicherte, dass all' ihre Klagen aufhoren sollten, wenn sie nur das republikanische Ticket stimmten. Der Styl des Herrn Buckley, weil nicht theatralisch genug, behagte den Negern nicht; er musste daher wiederholt um Ruhe bitten. Ein Neger, Namens Gilmore, Candidat fiir die Gesetzgebung, folgte dem Ex-Congressmanne. Er sprach davon, wie er in den Tagen der Sklaverei gelitten, und behauptete, sein Riicken sei noch wund von den erhaltenen Pcit- schenhieben. ,,Du musst ein verd t bb'ser Nigger gewesen sein", unterbrach ihn Einer aus dem Haufen. Allgemeines Gelachter. Nun kam Herr Gilmore auf das Antheilsystem zu sprechen, welches gegenwartig auf der Mehrheit der Pflanzungen des Staates herrscht, und behauptete die Neger wiirden ohneAusnahme um ihren Ernte^- antheil beschwindelt, Die Schwarzen, sagte er, waren ganz und gar in der Gewalt der Pflanzer. Sie kb'nnten nicht schreiben und lesen, und ist das Jahr herum, miissten sie sich, anstatt mit dem verdienten Gelde, mit der Versicherung begniigen, dass sie nichta 1G8 zu fordern batten; dies bewiesen dieZiffern die docb nicbt liigen konnen. Um seiner Bebauptung mebr Nachdruck zu verleihen, trug er folgenden Vers vor, den der Neger jederzcit mit lantern Beifall aufnimmt : ,,Null ist Null, 'ne Zabl 'ne Zalil, Alles gehort clem weissen Mann, Dem Nigger bleibt nur der Arbeit Q-.ial!" Nacb Schluss der Gilmore'scben Rede wurden nocli mchrcre andere Neger aufgerufen, alle sprachen im namlichen Sinne, und die Versammlung dauerte bis 2 Uhr Morgens. Wahrend der Nacht ward Schnaps sowohl an Manner wie Weibcr in imbc- schranktem Maasse vertheilt, und mehrere der Letzteren betranken sich so sehr, dass man sie nach Hause transportiren musste. Am nachsten Morgen war keiuer fahig oder geneigt an die Arbeit zu gehen, und die Baumwolle an den Stauden im Felde, musste fiir diesen Tag ungepfliickt bleiben." 1 ) Vorgebende Schilderung gibt auf's*Treffendste und Wahrheits- getreuste den impulsiven, leicbt erregten und intoleranten Charakter des Negers wieder, bestatigt aber auch die allgemeine Wahrnebmung, dass der natiirliche Racenhass und das Misstrauen gegen den Weissen, von der republikanischen Partei seit Jahren genahrt, an- fangt seine ( Frucbt bereits in der Weise zu tragen, dass der Neger sogar v$n den weissen Schnappsacklern Nicbts mebr wissen will. Ja noch mehr, er misstraut selbst aljen den ehemals freien und im Norden erzogenen Negern, die er als ,,aufgeblasen" und mit Recht von weissen Einfliissen angesteqkt ansiebt. Die ein- flussreichsten Leiter der siidlichen Neger sind schon jetzt Manner, wie Herr Asa Barber, die selbst nur gewb'hnliche ehemaliche Plantagensklaven gewesen, und sich vor ibren Genossen durch eine urwiichsige, in der Regel sowohl physiscbe wie geistige Kraft auszeichnen. Diese Leute sind von demEinflusse der weissen Bildung ganz und gar unberiihrt, und gerade hierin liegt ihre Starke, ein kurioser Commentar zu der humanen Doktrin, dass die niederen, uncivilisirten Racen durch ,,Belehrung" in den Kreis der hb'heren Civilisation als freie und gleiche Mitglieder eingefiihrt werden. Die nackte Thatsache ist, dass es alien diesen Racen, wenn seitens der Weissen kein Druck auf sie ausgeiibt wird, nicht nur nicht einfallt, sich belehren zu lassen, sondern sich auf's Ernstlichste bemiihen, alle etwa empfangenen civilisatorischen 1) Eine solche Arbeitseinstellung schadigt die Pflanzer auf das Empfindlichgte. Die reifen Baumwollenballcn springen namlich in einem ganxen Felde beinahe immer zu glcicher Zeit auf, und der Werth des ganzen Ernteertrages h'angt davon ab , dasa die Baumwolle, wenn dieser Zeitpunkt eingetreten, auf der Stelle und so schnell als moglich ,,gepickt" werde. In jedem Augenblicke, der verloren wird, treibt der Wind die in den Fruchtballen ganz locker liegende reife Baumwolle und mit ihr den Profit der Pflanzung hinweg. 100 Einfliisse, moglichst schnell wieder loszuwerden. Erst dann fiihlen sic selbst sich frei, d. h. im Stande, den ureigenen Instinkten und Trieben ihrer Xattir ungehindert freien Lauf zu lassen, Aus diesem Grunde langweilen sie 'die Tiraden der weissen Schnapp- sackler, sogar wenn sie ihnen in plumpster Weise Honig urns Maul schraieren ; desshalb lasst die Aufforderung des in Boston gebildcten d. h. in der europaischen Civilisation abgcrichteten Xegers sie vollkommen kiihl. Denn dieselbe kommt ihnen fremd- artig vor, und was jener von ,,Arbeiten, Pflichtthun und Ehrlich- sein" vorredet, verstehen sie entweder gar niclit, oder was sie unter diesen Worten sich denken, erinnert sie nicht an die ,,Frei- heit", sondern an die ,,Sklaverei" der vergangenen Tage, in der sie, wenn sie -arbeiten, ihrc Pflicht thun und ehrlich sein wollten, sich ja vollkommen wohl befanden und ein viel sorgloseres Le- ben fuhrten, als jetzt. ,,Frei" sein heisst fiir sie: nicht arbeiten, sich um Xichts kiimmern, und dem Herrn vertrauen, der die Lilien auf dem Felde kleidet und die Vogel unter dem Himmel ernahrt, die weder saen noch ernten, und der durch Yermitte- lung der von ihm aufgestellten republikanischeri Partei sie schon im siissen Nichtstlum, durch allabendliches Musiciren und Tanzen unterbrochen, erhalten werde. In ihrem Hasse gegen ihrc ehe- maligcn Herrn driickt sich eigentlich nur ihr Abscheu vor der Arbeit, zu der jene sie trieben, aus. Diese ihre innersten Gefiihle aber weiss nur der zu erregen, der sie selbst getheilt, wie ein Asa Barber. Ein soldier Redner spricht zu ihrem Herzen, ihn verstehen sie und ihm folgen sie. Das sich bereits offenbarende Resultat dieser immer voll- kommener werdenden Emancipation des afrikanischenRaceninstink- tes ist, dass die Schnappsiickler selbst immer mehr bei Seite ge- worfen und durch echte, von der weissen Bildung nicht einmal iibertunchte, ehemalige Plantagenneger ersetzt wcrden. Aus solchen besteht die Mehrheit der Siidcarolina Legislating ein grosser Theil derer von Mississippi und Louisiana, und uberall wo das Neger- element miichtig genug, seine Candidaten durchzusctzen , haben diese SorteLeutc bei weitem die beste Aussicht, gewahlt zu werden. .Dem ,,Freihcitsgefuhle" des Negers ist sogar das w Antheil- system". zuwider, welches doch in den civilisirtesten Landern Europa's als die menschenwurdigste und dem freien Arbeitcr giinstigste Form der Arbeit angesehen wird. Allerdings gehort dazu eine Bevolkerung, die nicht nur zu rechnen, sondern auch hauszuhalten weiss. Der stfrglose Neger lebt aber in den Tag hinein und entnimmt was er braucht von seinem Herrn und Arbeit- gebc-r, um das Anschwellen seiner Rechnung kiimmert er sich nicht, findet aber freilich am Jahresschlusse, dass das Resultat seiner Jahresarbeit gleich Null ist. 22 170 Die ZustSinde in Texas, Arkansas und Louisiana. Der sich immer scharfer zuspitzende Racenconflict liatte na- turgemass die Einigung der Weisscn unter sich zur Folge. Wohl boten die Republikaner alle Mittel der Ueberredung , Beeinflussung und Einschiichterung auf, es gelang ihnen dennoch nicht, ihrc Herrschaft in jenen Staaten aufrecht zu erhalten, wo die Weissen eiri unbedingtes numerisches Uebergewicht besassen. Sclion 1872 batten sie von den unterworfeneii und recon- struirtcn Staaten vier, namlich Virginia, Nord-Carolina, Tennessee und Georgia an die weisse Partei verloren. In Texas, Ar- kansas und Louisiana dagegen beanspruchten beide Parteien den Sieg, wahrend in Siid-Carolina , Florida, Alabama und Mississippi die Republikaner sich ohne ernstliche Anfechtung behaupteten. Die bestrittene Wahlentscheidung regulirte sich am schnellsten und mit der wenigsten Schwierigkeit in dcm Staate Texas, der x in vielfacher Beziehung eine Ausnahmestellung cinnimmt. Der friihere republikanische Gouverneur D a v i s behauptete seine Wieder- wahl und suchte derngemass im Amte zu verbleiben. Die demo- kratische Mehrheit in der Legislatur aber erkannte als Wahl- Resultat die Erwahlung des demokratischen Candidaten an und forderte Herrn Davis auf, die Amtswohnung zu raumen und die Bureaux seinem Nachfolger zu iibergeben. Herr Davis weigertc sich natiirlich und appellirte an den Schutz des Bundcs. Doch die Gesetzgebung von Texas versammelte ohne Zogern ein posse Gomitatus (ein Aufgebot von Biirgern), liess dasselbe zum State house marschiren, Herrn Davis an die Luft setzen und setzte ihren Candidaten als Gouverneur ein. Herr Davis spie Feuer und Flammen iiber diese Vergewaltigung und rief Prasidenten Grant und das ganze Volk der Vereinigten Staaten um Hilfe an. Diese hattcn sie ihm auch gerne gewahrt, aber sie hatten mit Niederhaltung der weissen Partei in Arkansas und Louisiana, die Hande so voll, dass sie nicht wagten, gleichzeitig noch mit dem Staate Texas anzubinden, den untcr die republikanische Herrschaft gewaltsam zu bringen jedenfalls ein sehr schwieriges Unternehmen gewesen ware. Texas erfreut sich namlich, wie schon erwiihnt, einer Aus- nahmestellung. Dieser Staat ist nicht nur von den Verheerungen des Krieges so gut wie verschont geblieben, sondern die Kriegs- zeit brachte ihm in materieller Beziehung eher Nutzen als Schaden. 171 Em grosser Theil des Ausfuhrhandels der ganzen Confederation nahm den Weg nach Texas zu dem mexikanischen Hafen Mata- moras am Rio grande, weil von hier aus der Verschiffung kein Hinderniss im Wege stand. Dorthin ging die in Texas selbst gezogcne Baumwolle, deren Anbau die hohen, in Folge des Krieges eingetretenen Preise ungemein steigerten. Deshalb genoss Texas schon wahrend des Krieges guter Zeiten , und die Bevb'lke- rung wuchs durch die Einwanderung Yieler, die den Kriegswirren in ihren Heimathstaaten entgehen wollten. Auch nach dem Kriege zogen noch viele ruinirte Weisse nach Texas, um in diesem weiten, noch jungfraulichen Gebiete wieder von vorn anzufaugen. Diese Einwanderung wuchs in dem Maasse, als in den verschie- denen Staaten die Negerherrschaft sich festsetzte und beschleu- nigte die Entwickelung des Landes, dessen Hauptprodukte, Baum- wolle in den heissen, feuchten Kiistengegenden und Flussniederun- gen gezogen, und Rindvieh , in den weiten Steppen des Innern in ungeheuren Heerden beinahe wild aufwachsend , stets einen lohnenden Markt fanden. Ueberdies besassen hier die Weissen von Anfang an eine entschiedene Mehrheit. Zwar mussten auch sie nach beendetem Kriege sich die Einrichtung eines republikani- schen Schnappsackler-Regimentes als Friedensbedingung gefallen lassen , doch war von einer Negerherrschaft nie die Rede ; auch wiirden die riicksichtslos verwegenen Sitten der texanischen ,,Grenz"- Bevolkcrung die Anmassungen eines schwarzhautigen Amtsinhabers noch weniger ruhig hingenommen haben als die Weissen der an- deren Siidstaaten. In einem solchen Staate einen - republikanischen Gouverneur gegen den beinahe einmiithigen "Willen der Weissen im Amte zu behaupten, hatte eine grossere Armee erfordert, als dem Prasidenten Grant und der republikanischen Partei zu Gebote stand; des- halb zog man vor, die Protestationen des Hrn. Davis nicht zu beachten. Dieser Ehrenmann musste sich folglich mit den bisher verdienten Provisionen er unterzeichnete kein Gesetz iiber Eisenbahnen, keinen Freibrief, keine Concession, ohne an- standigen Lohn fur seine Unterschrift zufrieden geben und sich in den Ruhestand zuruckziehen. Anders verhielt sich die Sache in Arkansas. Hier war nicht nur die Negerbevb'lkerung starker, sondern auch durch die dem Staate als Bedingung seiner Zulassung aufgedrungene Ver- fassung ein grosserer Theil der Weissen als Rebellen ganzlich cntrechtet. Unter solchen Umstanden wurde unter dem moralischen Drucke der Bundesregierung der Wahlstreit vorlaufig dahin erledigfc, dass der republikanische Candidat Baxter als Gouverneur aner- kannt und eingesetzt , die Anspriiche des Gegencandidaten Brooks dagegen von den zustandigen Gerichtsbehorden rechtlich vollig un- 172 begrlindet erklart warden. Dabei sollte es jedoch nicht bleibcn. Die Republikaner batten namlich, was ihrien nocb nie passirt war, in der Person ihres Gouverneurs sich griindlich geirrt. Denn als nacb seiner Amtseinsetzung sich der landeslibliche Ring bildete, stellte sich heraus , dass Gouverneur Baxter den ihm zugemutheten Gesetzesvorlagen seine Unterschrift verweigerte. So etwas war schon so lange nicht mehr dagewesen , dass die wiirdigen Gesetz- geber und Ringmitglieder , die Vereinigten Staaten-Senatoren von Arkansas, Clayton und Powell an der Spitze, sich zuerst in die Lage der Dinge gar nicht finden konnten. Hatten sie eirie Zweidrittel-Mehrheit in der Staatsgesetzgebung gehabt, ware ihre 1 Verlegenheit nicht gross gewesen. Sie waren dann mit Herrn Baxter eirifach so verfahren, wie seinerzeit der Congress mit dem Prasidenten Johnson. Aber eine solche Mehrheit batten sie sich nicht angeschafft, weil sie sich im Besitze der Gouverneurstelle wahnten und die Anzahl Jener, die am Profit theilnehmen, nicht unniitz vermehren wollten; sie sahen sich also in einem .,Fix"; Herrn Baxter zu einer Sinnesanderung zu bewegen , blieb erfolglos und verliessen sie ihn fest iiberzeugt, derselbe sei entweder ein Narr oder von der Gegenpartei gekauft worden. Aber was thun ! Sic konnten doch eines solchen Narren halber die Hande nicht miissig in den Schooss legen, und die Zeit, als sie im Rohre sassen , verstreichen lassen , ohne Pfeifen zu schneiden. In dieser Yerlegenheit gedachten sie des Herrn Brooks, Baxter's Gegenoandidaten. Allerdings gehorte dieser nicht zu ihrer Partei, und batten sie selbst bei der Wahl ihn fiir rechtmassig geschlagen erklart, doch solche Entscheidungen liessen sich eben so gut wieder umwerfen, war man nur der Zustimmung der Bundesregierung und des Herrn Brooks gewiss. Letztere war bald gewonnen , denn Herr Brooks zeigte sich vollkommen bereit, auch als verkappter republikanischer Gouverneur dem Vaterlande, seinem Staate und hauptsachlich der Partei d. h. dem Ring zu dienen , wenn er nur in das Amt gelangen und seine Spesen ziehen konnte. Die Senatoren Clayton und Powell unternahmen es, die Sache in Washington zu bereinigen. Port wollte man zwar den Parteigenossen gern aus der Noth helfen und den Rene- gaten Baxter, der sich unterstand, im Interesse der weisscn Be- volkerung seiu Amt zu verwalten , daraus wie sich's gebiihrt hinauswerfen , aber man musste doch irgendwelchen Grund haben, die rechtsgiltig getroffenen richterlichen Entscheidungen wieder einer Revision zu unterziehen. Die offentliche Meinuug war ja in jiingster Zeit so misstrauisch und ungerecht gegen die grossen Manner der Nation geworden ! Clayton und Genossen zerbrachen sich lange die Kopfe nach einem solchen Grund. Da fiel ihnen plotzlich ein , dass es so 173 Etvvas gabe, was man ein fait accompli nenne. Ein Staatsstreich sollte Herrn Baxter den Laufpass geben. Man rekrutirte alsbald einc Anzahl weisser urid farbiger Bummler, bevvaffnete sie , und eines schonen Morgens riickte Herr Brooks mit seinem Heere in Little Rock, der Hauptstadt des Staates Arkansas ein, bemach- tigte sich des State house und Capitol's ohne Kampf und erliess so fort eine Proklamation , worm er seinen getreuen Unterthanen mittheilte, dass er von dem ihrn rechtmassiger Weise zustehenden Throne endlich Besitz ergriffen habe, aucli, dass alle loyalen Biirger ihm zu gehorchen und, was die Hauptsache, die Steuern sowohl die noch falligen, als die schon an den Usurpator bezabl- ten, piinktlich und ohne Verzug in seine Kriegskasse abzuliefern hatten. AVer iibrigens dieser Proklamation nicht sofort Folge leiste , der ware natiirlich ein Rebell u. s. w. u. s. w. Als die guten Burger von Little Rock erwachten und ihre Laden offnetcn , erblickten sie mit Erstaunen die wunderliche A mice ihres neuen Herrn und Gebieters. L'nterdessen hatte Herr Baxter gleichfalls die Mare von dem siegreichen Einzuge seines Gegners vernommen und berathschlagte mit seinen Anhangern , was zu thun sei. Die Hitzigeren wollten sogleich zum Capitol marschiren, dasselbe stiirmen , die Brooks'sche Armee in alle Winde jagen, urid Jeden, den man erwischte, Herrn Brooks mit eingeschlossen , iiber die Klihge springen lassen. Die Bedachtigeren dagegen wussten wohl , wer eigentlich hinter der Brooks'schen Armee als Reserve stand und suchten daher die Sache so zu leiten, dass der Regierung in Washington jeder Yorvvand genommen werde, im Interesse der Humanitat zu Gun- sten des republikanischen Ringes einzuschreiten. Man begnligte sich also aus der rasch herbeieilenden weissen und ordnungslie- benden Bevb'lkerung der Stadt und Umgebung eine Miliz zu bil- den und durch Besetzung der Stadt Herrn Brooks auf das Capi- tol zu beschranken. Etliche zwischen beiden Parteien gewechselte Schiisse hatten keine wesentlichen Verluste zur Folge. Beide Thcile suchten nunmehr durch Zuziige vom Lande sich moglichst zu verstarken, doch zeigte sich bald, dass Baxter weit mehr und kriegstiichtigercn Zuzug erhielt , als Brooks. Dieser drangte des- halb seine Fre'unde am Sitze der Bundesregierung. Weil aber die Thatsache eines Staatsstreiches wohl geschaffen, aber nicht vollcndet, sah sich die republikanische Partei zu ihrem Bedauern nicht in der Lage, den Genossen ihre voile Unterstiitzung zu ge- wahren. Indess schickte Herr Grant eine Abtheilung Bundes- truppen von Memphis nach Little Rock, die bei ihrer Ankunft Position zwischen den beiden feindlichen Heeren nahmen. Fur ein civilisirtes und geordnetes Land gewiss ein hubsches Culturbild! 174 Die Sache hatte unterdessen die Aufmerksamkeit der Presse im Norden erregt, und die offentliche Meinung begann sich so stark gegen den Staatsstreich auszusprechen, dass President Grant es fiir gerathen hielt, seinen Einfluss nicht zu Gunsten des Herrn Brooks geltend zu machen. So sah sich denn dieser schliesslich gezwungen, das eroberte Capitol wieder zu raumen, und seine Armee, soweit dieselbe nicbt schon auseinander gelaufen, aufzu- losen. Er selbst zog sich vorlaufig in's Privatleben zuriick, in dem er so lange verblieb, bis er erst vor ganz kurzer Zeit (im Marz 1875) vom Prasidenten Grant als Belohnung seiner Dienste zum Postmeister in Little Rock, dem Schauplatze seines Feld- zuges, ernannt wurde. Aerger iiber diese Niederlage erfiillte die Herzen der Re- publikaner von Arkansas. Und als in der Novemberwahl 1874 das Ticket der weissen Partei Sieger blieb, protestirten sie wieder- um einmiithig, dass dieses Resultat nur durch Einschiicliterung der farbigen Stimmgeber zu Stande gekommen, und verlangten das Einschreiten der Bundesregierung abermals. President Grant der im Interesse seiner Wiederwahl im Jahre 1876 den Staat republi- kanisch zu sehen wiinschte, war diesmal geneigt ihrem Nothschrei Gehor zu schenken. Er sandte eine Botschaft an den Congress, um dessen Zustimmung zu dem beabsichtigten Einschreiten zu er- langen, wobei er als Vorwand angab, die Legislatur und der neue Gouverneur von Arkansas hatten die bisherige Verfassung geandert und dadurch einer bedeutenden Anzahl weisser Stimmgeber, die bis dahin entrechtet gewesen, das Stimmrecht wieder verliehen, was fiir die Zukunft allerdings eine Mehrheit der republikanischen Partei ein fiir allemal unmoglich machen wiircle. Der Congress sah sich aber nicht in der Lage dem Plane des Prasidenten*) 1) Der gegenwartige Inhabcr der Prasidcntenwiirde, den ein neuer deutscher Culturhistoriker als ,,Staatsmann und Gelehrten (? ! !)" lobpreist, legte bei diesen Ar- kansaswirren den Beweis seiner Fahigkeit in den folgenden Aktenstiicken nieder, die um deswillen merkwiirdig, weil er in dem. Einen ungefahr das Gegentheil von dem be- hauptet, was er in dem Anderen sagt: In May, 1874. In February, 1875. By the President of the United States To the Senate of the United States: of America A Proclamation. Where- Herewith I have the honor to send, as , Certain turbulent and disorderly per- in accorda nce with the resolution of the sons pretending that Eiisha Baxter, the Sena t e of the 3d inst.', all the information present Executive of Arkansas, was not in my poS3 e 8 sion not heretofore furnished elected, have combined together with force re lative to affairs in the State of Ar- and arms to resist his authority as such kansas. Executive, and other authorities of said l will venture to express the opinion State; and, that a]1 the testimony shows that in the Whereas, Said Eiisha Baxter has been election of 1872, Joseph Brooks was law- declared duly elected by the General Ass- fully elected Governor of that State; that embly of said State, as provided in the he has been unlawfully deprived of the Constitution thereof, and has for a long possession of his office since that time ; 175 beizustimmen, weil dcr Umscliwung der Gesinnung, der sich im Yolk des Nordens bei der Herbstwahl 1874 kund gab, einem grossen Theile der republikanischen Politiker den Muth zu einem solchen Vorgehen geraubt hatte. Zeigt sclion die vorhergebende Auseinandersetzung, dass die Verwaltungsbehorden ihre Autoritat nicht mebr dem Willen der Stimmgeber, in freier Wabl unter gesetzlicher Form ausgedriickt, verdanken, sondern lediglicb der Macht, womit sie ihren Anspriichen Geltung zu verschaffen vermochten, so gewahrt der Staat Louisiana ein Bild cbroniscber Anarcbie, wie es sicher nirgends in der Welt existirt. Eine gehorig gewahlte Gesetzgebung besteht seit mehreren Jahren nicht mehr und als Gouverneur herfscbt soweit es ihm moglich cm Menscb, der nicht einmal auf Grund einer Stimmen- ziihlung sein Amt erlangt hat. Die Ursache hiefiir liegt darin, dass der republikanischen Partei an der Herrschaft in Louisiana mehr als an der irgend eines anderen Staates gelegen ist , denn von alien ist Louisiana die werthvollste Kriegsbeute. Das frucht- period been exercising the functions of said office, into which he was inducted according to the Constitution and laws of said State, and ought by its .citizens to be considered the lawful Executive thereof; and, Whereas, The said Elisha Baxter un- der Section 4 of Article IV, of the Con- stitution of the United States, and the laws passed in pursuance thereof, has heretofore made application to me to pro- tect said State and the citizens thereof against domestic violence ; now, therefore, I, Ulysses S. Grant, President of the United States, do hereby make proclama- tion and command all turbulent and dis- orderly persons to disperse and retire peaceably to their respective abodes with- in ten days from this date, and hereafter submit themselves to the lawful authority of the said Executive and other constitut- ed authorities of said State, and I invoke the aid and cooperation of all good citiz- ens to uphold law and preserve the public peace. Done at the City of Washington, this 15th day of May, in the year of our Lord 1874, and of the Independence of the Unit- ed States the 98th. (Signed) U. S. GRANT. By the President: . HAMITHON FISH, Secretary of State. that in 1874 the Constitution of the State was by violence, intimidation, and revolu- tionary proceedings overthrown , and a new Constitution adopted, and a new State Government established. These proceed- ings if permitted to stand practically ig- nore all the rights of minorities in all the States. Also, what is there to prevent each of the States recently readmitted to Feder- al relations on certain conditions from changing their pledges if this action in Arkansas is aquiesced in ? I respectfully submit whether a precedent so dangerous to the stability of State Government, if not of the National Government also, should be recognized by Congress. I earnestly ask that Congress will take definite action in the matter to relieve the Executive from acting upon the quest- ions which should be decided by the le- gislative branch of the Government. S. S. GRANT. Executive Mansion, Feb. 8. 1875. 176 bare Delta des Mississippi enthalt nicht nur die rentabelsten Zucker- und Baumwollenplantagen, es liegt aucli hier New-Orleans, der grosste Stapel- und Handelsplatz des unterenMississippi-Thales, welches den Kaufleuten der ehedem reichen und bliihenden Stadt Tribut zahlen muss. Wer hier herrscht und New- Orleans mit Steuern und Auflagen brandschatzen kann, macht seine Procente an den Produkten und dem Handel eines 'grossen, fruchtbaren Theiles der Vereinigten Staaten. Wie ein mittelalterlicher Raub- ritter ist der Herrscher von New-Orleans im Stande, von Allem was auf der grossen Wasserstrasse des Mississippi hinauf- und hinabschwimmt, beinahe nach Belieben sich eine Abgabe an- zueignen, Desshalb war hier derKampf um die Herrschaft ganz be- sonders erbittert. Die unter Johnson vorgenommene Reconstruktion war schon ziemlich weit gediehen und fing an fur das Wieder- aufbliihen des Landes die besten Fruchte zu tragen, als der Con- gress sie im Frlihjahre 1867 iiber den Haufen warf. Dariiber herrschte in New-Orleans heftige Erbitterung, welche bei dem reizbaren Bltite der theilweise creolischen d. i. franzosisch-romani- schen Bevolkerung zu gewaltthlitigen Ausbriichen fiihrte. Die Con- vention namlich, die 1868 die Wiinsche des Congresses und der republikanischen Partei ausfiihrte und die rechtlose Unterjochung der Weissen aussprach und feststellte, w r urde von Volkshaufen an hell em Tage angegriffen und zersprengt, wobei eine Menge Per- sonen hauptsachlich Farbige, (nach republikanischen Angaben nicht weniger als 360) das Leben einbiisstcn. Dieser Ausbruch blinder, leidenschaftlicher Wuth veranlasste natlirlich die Bundesregierung zu energischem Einschreiten zu Gunsten ihrer Partei, welche ihr Joch um so riicksichtsloser und driickender dem Staate auferlegte. President Grant, der kurz darauf in's Amt kam, die Augen auf die main chance (die beste Gelegenheit Etwas zu machen) stets offen hat und sich durch eine riihrende Verwandtenliebe auszeichnet, ernannte seinen theuren Schwager Casey zum Hafen- zolleinnehmer in der reichen Stadt New-Orleans, mit der ange- nehmen Pflicht von jedem einlaufenden Schiffe den gebiihrenden Waarenzoll zu erheben. Herr Casey erkannte aber sogleich, dass die Einfuhr nicht so wichtig als die Ausfuhr. Da jedoch Aus- fuhrzb'lle nicht so hoch als Einfuhrzolle sind, so bildete Herr Casey sofort aus den Zollhausbeamten Uncle Sam's das Gros eines ,,Ringes", dem sich die in Louisiana herrschenden Politiker anschliessen mussten. Man begluckte den Staat und die Stadt auf jegliche, fur den .,Ring" vortheilhafte Weise, wobei die Einwohner keinen anderen Schaden erlitten, als dass Steuern und Unkosten wuchsen. So verbot das Schlachthausgesetz jedem Fleischer, sein Vieh an einem anderen Orte zu todten, als in dem Schlachthause der betreffenden priviligirten Gesellschaft. Fiir die Beniitzung hatte 177 er per Rind nur die lumpige Summe von 5 Dollars nebat der Haut, dem Kopfe und den iibrigen Abf alien des Thieres zu ent- richten. Auf gleiche Weise regulirte man was sich sonst reguliren liess, und machte, was gomacht werden konnte. Die weissen Steuerzahler waren zwar nicht damit zufrieden, aber sie mussten schweigen, denn sie waren Rebcllen, murrten sie, so war es ja ein klarer Beweis, dass die Pfliclit obliege, solchen Trotz zu brechen. So erhielt der Ring seine Herrschaft bis zur Prasi- dentenwahl des Jahres 1872, bei welchera Anlasse die Weissen die grossten Anstrengungen machten , die Ringherrschaft des Prasidentenschwagers und der verbiindeten Neger abzuschiitteln. Wer bei der Wahl siegte, ist heutigen Tages noch unaufgeklart. Denn zu einer Stimmenzahlung in gesetzmassiger Form kam es seit jener Zeit noch nicht. Beide Parteien beanspruchten natiirlich den Sieg. Das Returning Board d. h. die Behorde, an welche die Wahlberichte und die verschlossenen Stimmkasten der einzel- nen Distrikte einzuschicken sind, w r ar zufallig nicht vollzahlig. Anstatt fiinf waren in Fol^e von Resignationen u. s. w. nur drei Mitglieder vorhanden, und von diesen die Mehrheit den Weissen geneigt. In der behufs Wahlpriifung zusammeiitretenden Legis- latur schienen auf Grnnd vorlaufiger, von den einzelnen Wahl- bezirken ausgestellten Wahlbescheinigungen die Weissen die Mehr- heit zu erhalten. Organisirte sich nun die Gesetzgebung und ergaben, wie nicht unwahrscheinlich, die Berichte wirklich eine Mehrheit fur die Weissen, so hatte diese in die Herrschaft des Staatcs eingesetzt werden miissen. Mehr als alles Andere spricht fur diese Wahrscheinlichkeit, dass die republikanischen Politiker gerade so handelten als ob der Ausfall der Wahlen gegen sie entschieden. Denn waren sie vom Gegentheile iiberzeugt gewesen, so batten sie gewiss der Zahlung keine Hindernisse in den Weg gelegt, sondern nur auf eine, jede Falschung ausschliessende Prii- fung des Wahlergebnisses gedrungen. Die Republikaner zogen indess vor, es zu einer Organi- sation der Gesetzgebung und einer regelrechten Stimmenzahlung nicht kommen zu lassen. Obwohl ihnen ein Paar Stimmen zur Mehrheit in der Gesetzgebui g fehltcn, waren sie doch stark ge- nug um eine Sitzung beschlussunfahig zu machen. Hierauf bauten sie ihren Plan, Der zolleinnehmencle Schwager des Prasidenten hatte namlich ein Vereinigten Staaten Dampfboot unter seinem Commando. Als die gesetzgebende \ 7 ersammlung sich nun organi- siren wollte, erliess Herr Casey eine fretmdschaftliche Einladung an alle republikanischen Mitglieder, ihm auf den Zollhausdampf- boote einen Besuch abzustatten und an einer festlichen Mahlzeit theilzunehmen. Die ,,ehrenwerthen" Gesetzgeber beeilten sich, dieser P^inladung zu entsprechen, und als sie an Bord waren, fuhr 23 178 Schwager Casey xnit der ganzen Gesellschaft den Strom hinab, und liess die Louisiana Legislatur in nicht beschlussfahiger Zahl zuriick. Die versammelten "Weisen, als pie das Ausbleiben ihrer sammtlichen republikanischen Collegen merkten, sandten den Sergeant at arms aus um dieselben, wie das Gesetz vorschreibt , her'beizu- schaffen. Natiirlich vergebens. Da untcr solchen Umstiinden keine Aussicht bestand je eine beschlussfahige Anzahl zusammenzubrin- gen, so gebot die Nothwendigkeit offenbur den anwesenden Mit- gliedern die Organisation der Legislatur in die Hand zu nebmen. Sie priiften demnach die Wahlberichte und erklarten auf Grund derselben die Candidaten der weissen Partei, namlich den Gouver- neur M. Euery und den Lieutenant- oder Vicegouverneur Penn fur recbtsgliltig erwahlt und in ihr Amt eingesetzt. Aber bis zur wirklichen Einsetzung durfte man es nicht kommen lassen ! Dass sich die Legislatur unterfange in einer nicht beschlussfahigen Anzahl iiberhaupt Beschliisse zu f ass en, war ja ungesetzlich und eine Vergewaltigung der Partei. Grund genug zum gesetzlichen Eiuschreiten der Bundesgewalt. Der Bun- desrichter Durell musste die Rechte der republikanischen Partei schiitzen, indem er um Mitternacht in seiner Privatwohnung kurzer Hand decretirte, dass die Versammlung der weissen Legislatur- mitglieder und ihre Beschliisse durchaus ungesetzlich seien. Die Bundesbehorden erhielten daher den Auftrag, die Ausfiihrung die- ser Beschliisse und fernere Sitzungen nicht zu dulden. Mittlerweile \varen die Republikaner von ihrer Vergniigungs- partie zuriickgekehrt und gingen als Vertreter des wahren Volkea von Louisiana ihrer Pflicht gemass an's Werk, das Wahlergeb- niss festzustellen, die neue Regierung einzusetzen, und sich als die einzig echte und unfehlbare Legislatur des, Staates zu organisiren. Zwar batten sie keine Wahlergebnisse in den Handen, aber sie liessen sich von jedem Wahldistrikt eine Anzahl Zeugnisse einzelner In- dividuen einschicken, die da beschworen, dass Herr So und So in dem betreffenden Distrikte ervvahlt worden sei, oder unbedingt hatte erwahlt werden miissen, wenn die Weissen nicht die un- schuldigen schwarzen Briider eingeschiichtert hiitten. Da in der Meinung der wiirdigen Versammlung die Wahrhaftigkeit dieser Zeugnisse selbstverstandlich war, so erklarte sie alle diese ver- schiedenen Herrn So und So fiir gesetzlich erwahlt. Nach Been- digung dieses Geschaftes fand sich, dass alle republikanischen Candidaten fiir die Staatsamter erwahlt waren und die Partei iiber eine bedeutende Mehrheit in beiden Hausern der Gesetzgebung verfiige. Der solchergestalt erwahlte Gouverneur Kellogg und die republikanischen Behorden iiberhaupt traten also die Yerwaltung 179 ihrer Aemter an. Gouverneur Enery und die Beamten seiner Partei thaten zwar desgleichen, und der Staat Louisiana hatte der Welt das erhebende Schauspiel zweier Regierungen dargeboten, waren nicht die Vereinigten Staaten Behorden dem Befehle des Richters Durell gemass eingeschritten , um wie sich's gebiihrt die nichtrepublikanische Gesellschaft an der Ausiibung von Amtshand- lungen zu verhinclern. So war diese Wahlangelegenheit denn vor- laufig' geschlichtet, das Recht hatte triumphirt, und wer nicht ge- horchte, nun der war eben ein Rebell. Die Gemassregelten appellirten zwar nach Washington. Der Herr President erklarte aber bescheiden, dass es ihm nicht zustehe einen richterlichen Befehl wie den Seiner Ehren des Richters Du- rell bei Seite zu setzen. Der Congress dagegen brauchte zur reiflichen Erwagiing solcher kitzlichen Frage lange Zeit; bis zur endgiiltigen Entscheidung bleibt naturlich, da man doch eine Re- gierung haben muss, der status quo bestehen, und wird von Herrn Grant und den Bundestruppen aufrecht erhalten. Der Status quo ist aber die Regierung des Gouverneurs Kellogg, Und so regiert derselbe noch heute nach Herzenslust. Allerdings nicht ohne jede Unterbrechung ! Denn die unzu- friedenen Weissen meinten die Frage wiirde bios desshalb nicht erledigt, weil der Status quo die Herrschaft der republikanischen Partei bedeute. Sie machten desshalb den Yersuch den Status quo einmal zu ihren Gunsten zu andern. Am 14. September 1874 vepsammelten sich ungefahr 12000 weisse Burger in den Strassen New-Orleans, ordneten sich mit der den Amerikanern eigenen Leichtigkeit, und marschirten unter der Fiihrung ihres Vicegouverneurs Penn nach dem Stafe house und der Gouveriieurswohnung. Herr Kellogg von dem bevorstehen- den Besuche unterrichtet, gab seiner Polizei Befehl, die Leute auseinander zu treiben. Das Polizeicorps marschirte w r ohl den Burgern entgegen, aber das Zersprengen ging in umgekehrter Weise vor sich. Yicegouverneur Penn forderte die Polizei auf der Biir- gerdeputation aus dem W r ege zu gehen. Als bald darauf Kugel pfifFen erinnerte sich die . schwarze Mehrheit des Kellogg'schen Polizeikorps plotzlich an weit wichtigere unaufschiebbare Geschafte weit im Riicken ihrer gegenwartigen Stellung, wesshalb sie Ge- wehre, Patrontaschen u. s, w. wegwarf, und mit unglaublichem Schnelllaufertalent davonstiirmte. In dieser fatalen Lage gednchte Herr Kellogg des gastlichen Charakters, den der prasidentliche Sch wager schon so oft an den Tag- gelegt, und hielt es fiir angemessen demselben ohne Yerzug in dem Bundeszollgebaude einen Besuch abzustatten. Er that dies so eilig, dass er sogar vergass sein Wechselbuch mitzunehmen, die Belege der verschiedenen Anweisungen enthaltend, die er von 180 Zeit zu Zeit den hervorragenden republikanischen Cougressniit- gliedern zugesandt hatte. Uebrigens dachten an jenem Tage noch eine Menge anderer hervorragender politischer Grossen gerade so \vie Kellogg, und Herr Casey sah sich genothigt in den Mail era des von den Bundesfruppen beschutzten Zollhauses beinahe die namliche Gesellschaft wieder zu bewirthen, die er in dem Aus- fluge auf dem Vater der S.trome entfiihrt hatte. Die ganze Begebenheit wickelte sich ubrigeiis in kaum einer Stunde ab, Yicegouverneur .Penn nahm Besitz von der Amts- wohnung, und von alien Tneilcn des Staates laiigten Zustimmungs- adressen an, mit der Meldung dass im Laufe des namlichen oder folgenden Tages fast iiberall die von Kellogg eingesetzten Behor- den sich ohne Widerstand zuruckgezogen batten, dagegon die im Herbste 1872 von den Weissen gewahlten Beamten eingesetzt seien, und dass im ganzen Staat wie auch in der Stadt New- Orleans selbst Alles in bester Ordnung. Zu Blutvergiessen war es nach Zersprengung der Kellogg'schen Polizei in der Stadt sowie im ganzen Staate nicht mehr gekommen. Die vollendete Thatsache des Umschwunges wurde den Bundesbehorden in Washington als neu bestehender Status quo angezeigt. Diese rieben sich ob der unerwarteten Erscheinuug verbliifft die Augen und wussten anfangs nicht wie sie sich ver- halten sollten. Aber Herr Grant war nicht der Mann, die Freunde seines Schwagers so ohne Weiteres aus ihren sauer verdienteri Stellungen werfen zu lassen. Und die republikanische Partei konnte nicht zugeben, dass jetzt wo die Wahl vor der Thiir, die Weissen in Louisiana ihnen das Heft aus den Handen winden, und sich einen beaufsichtigenden oder gar einen massgebenden Einfluss auf die Wahl und was noch wichtiger auf die nachherigc Stimmenzahlung sicherten, was ganz sicher das endgiiltige Auf- horen der republikanischen Herrschaft im Staate zur Folge haben musste. Demgemass verweigerte President Grant dem neuen status quo seine Zustimmung, und beorderte sammtliche in Siiden dispo- nible Truppen nach New-Orleans, wo sie Herrn Kellogg aus seinem Zufluchtsorte, dem Zollhause, wieder in die Goiiverneurs- wohnung geleiteten. Penn zog sich ohne Widerstand zuriick, die Kellogg'schen Behorden wurden wieder eingesetzt, und unter dem unparteiischen Schutze des iiber den ganzen Staat zerstrcuten Bundesmilitars erholten sich dieNeger wieder von ihr.er Angst und rafften sich auf zu dem heldenmiithigen Entschlusse, bei der No- vemberwahl gehoiig das republikanische Ticket zu stimmen. Zum grossen Erstaunen und Missbehagen der republikanischen Politikcr aber batten die Weissen sogar jetzt noch die Dreistig- keitj am Stimmkasten zu erscheinen und eine sehr lastige Auf- 181 sicht auszuiiben. Diese Einschrankung ihrer ,,Rechte auf Freiheit und Gluckscligkeit" wurde von der republikanischen Partei um so scliwerer empfunden, als in Folge dessen das Resultat wiederum, \vie sie es auffasste, zweifelhaft wurde, d. h. die vorlaufige Stimmenzahlung in den einzelnen Wahldistrikten ergab abermals fiir die weisse Partei eine Mehrheit in der Gesetzgebung. Dieses unangenehme Wahlergebniss nothigte die Republikaner die Einsetzung einer Verwaltung wiederum unmoglich zu machen. Die republikanischen Mitglieder der Gesetzgebung weigerten sich abermals, an den Sitzungen in Gesellschaft ihrer in der Majoritat befindlichen Gegner Theil zu nehmen. Doch brauchten sie diesmal nicht, sich von Schwager Casey entfiihren zu lassen, stand ihnen doch in der Stadt und im Staate bedeutende Truppenmacht zu Gebote , welch e President Grant dem Gouverneur Kellogg zur be- liebigeii Verfiigung gestellt hatte. Sobald demnach sich heraus- stellte, class die Weissen eine Mehrheit von fiinf Stimmen besassen, organisirten sie auf der Stelle eine eigene Versammlung und er- klarten, dass die Mehrheit der Weissen nur Einschuchterung und Wahlbetrug zu danken , dass desshalb jene Versammlung nicht die Gesetzgebung von Louisiana sei, und die fiinf Mitglieder, welche die bestrittenen Sitze eingenommen , in der Halle der Gesetzgebung Nichts zu suchen batten. Gouverneur Kellogg befahl sofort den Bundestruppen einzuschreiten. Diese nahmen jene ftinf Mitglieder einfach beim Kragen und warfen sie ohne weitere Ceremonie auf die Strasse, Nach Abgang dieser Fiinf war aber das, Haus be- schlussunfahig. Als der General de Frobriand, der Comman- dant der Bundestruppen noch obendrein anting, die Beamten der Gesetzgebung mittelst Militarbefehl zti ernennen, verliessen natiir- lich alle Weissen die Versammlung. Jetzt kamen die Republikaner, die sich bis dahin im Hintergrunde gehalten, wieder zuna Vor- schein und organisirten sich , obwohl ebensowenig in beschluss- fahiger Anzahl, Doch ihnen machte dies nicht die geringste Schwierigkeit. Sie, die 53 Kopfe stark waren , erklarten einfach, class sie 55 seien, die zur Beschlussfahigkeit nothwendige Zahl. So war die Oberherrschaft wieder einmal gercttet. .Urn iibrigcns jeden Widerstand im Keime zu ersticken , erschien kurz nach diesen Vorgangen der Oberbefehlshaber der Bundestruppen im Westen auf dem Kriegsschauplatze , schlug in New-Orleans sein Hauptquartier auf und berichtete wenige Tage nach seiner Ankunft in einem hochst denkwiirdigen Aktenstiick , dass die Weissen von Louisiana und der Paar angrenzenden Ortschaften, Gegenden und Staaten insgesammt und ohne Ausnahmo. nichts- wiirdige Banditen (wbrtlicher Ausdruck) seien, denen er, sobald ein Anlass sich dazu biete, mit Vergnligcn die Kopfe zurecht setzen wiirde. Unter dem kraftigen Schutze seiner Bajo- 182 nette ware die Herrschaft der Republikaner wohl unangefochten geblieben , hatte niclit die offentliche Meinung im Norden an dier son Vorgangen Aergerniss genommen. Auf den schweigsamen Herrn Prasidenten machte dies allerdings nicht den mindesten Eindruck. Aber etliche Mitglieder des Congresses wurden be- denklich. Und zwar gerade die Besseren, wahrend jene ,,Ehren- werthen", welche das Volk schon bei der Herbstwahl 1874 fiber Bord geworfen und die deimoch schon wiedererwahlt waren, oder auf Wiederwahlung hofften, in der Erwartung, dass der President ibnen eine Anstellung verleihe, vollstandig bereit waren, mit ihm clurch Dick und Dunn zu gehen. Sie sanktionirtcn dem- nach das Vorgehen des Prasidenten, und passirten in rascber Folge vor Ende ihrer congressionellen Laufbahn Massregeln, gegcn die sich, wie sie wussten, das Volk bei der letzten Herbstwahl unzweideutig ausgesprochen, wie z. B. die sogenannte Civil liiyltts Bill } die jeden Neger berechtigt, seine Gesellschaft jedem anderen freien Burger ohne "Weiteres, aufzuzw r ingen , und Letzterem im Falle des Widerstandes Schadenersatz und Strafe auferlegt, dann eine Force Bill, die clem Prasidenten das Recht gibt, ohne Weiteres lediglich seinem persb'nlichen Ermessen gemass in irgend einem Staate einzuschreiten, die Habeas Corpus Akte zu suspen- diren und eine Militarherrschaft auszuiiben. Sie genebmigten diese Gesetze um deswillen in solcher Eile, weil sie wussten, dass das neue Reprasentantenhaus , dessen Dienstzeit am 4. Marz 1875 be- gann, alien diesen Gesetzen seine Zustimmung nicht nur nicht geben wiirde , sondern ihnen geradezu feindlich gesinnt sei. Herr Grant belohiite denn auch seine Getreuen sogleich mit alien er- ledigten Aemtern. In ihnen kb'nnen diese Herren sich fur das in der Wahl des letzten Herbstes kundgegebene Misstrauen des Volkes trosten. Uebrigens waren die Weissen der Louisiana - Legislatur durchaus nicht Willens, sich der summarischen Bajonettwahlent- scheidung zu unterwerfen. Sie organisirten sich mit den gewalt- sam entfernten Mitgliedern als die rechtmassig erwahlte Gesetz- gebung. Seither hat ein Ausschuss des Congresses von funf Mit- gliedern der zur Untersuchung der ganzen Sachlage nach New- Orleans geschickt worden war, seinen Bericht erstattet. Zugleich hat ein Mitglied dieses Ausschusses, der republikanischen Partei angehorig, Herr Wheeler einen Ausgleich vorgeschlagen , der Herrn Kellogg als Gouverneur im Amte belasst , dagegcn Herrn Peiin, den Oberbefehlshaber der Weissen in dem Umsturze des 14. September als Vicegouverneur einsetzt, den Republikanern in dem Staatssenate, den Weissen dagegen im Reprasentantenhause und in der joint session (der gemeinsamen Sitzung beider Hauser im Falle des Nichtubereinstimmens , wobei einfache Stimmenmehr- 183 heit entscheidet) eine Mehrheit gibt. Welches immer Jer momentane praktische Werth eines solches Ausgleichs sein moge , es ist leicht einzusehen , dass derselbe nicht die bestehenden Gesetzes- und Yerfassungsformen zur Geltung bringt, sondern die, den gegen- wartigen Machtverhaltnissen entsprechenden Erfolge der gesetzlosen Anarchic in' einem Waffenstillstande zu versb'hnen strebt, der iiaturgcmass nur so lange von Dauer sein kann, bis sich die Machtverhaltnisse eben wieder andern. Der Bericbt des obenerwahnten congressionellen Ausschusses zeigt die gegenwartigen Ansichten der beiden grossen Parteien des Landes, und ich fiihre ihn dessHalb auszugsweise als einen wichtigen Beitrag zum Verstandniss der gegenwartigen Verhaltnisse der Siidstaaten an. Bemerkenswerth ist, dass dieser Ausschuss eins timmig empfahl, die von Sheridan ciitfernten fiinf Mitglieder der Gesetzgebung Louisiana's mochten zu ihren Sitzen berechtigt erklart \verden. Die Minoritat des Ausschusses, die Herren H o a r , Wheeler und Frye, alle der extremen republikanischen Partei an- gehorig, sagen unter Anderem: ,,In verschiedenen Staaten des Siidens bestehen gegen- wartig Verhaltnisse, die nicht allein die Wohlfahrt dieser Staaten schadigen , sondern die im grossen Maasse den Frieden und die Sicherheit des ganzen Landes mit Gefahren bedrohen. . . . Beide Parteien stiramen darin liberein, dass jene Partei, die gegenwartig nicht regiert, in Wirklichkeit die starkere ist. Es ist einzig und allein die nationale Bunclesregierung, die den Gouverneur, die Gesetzgebung, einen grossen Theil der Gemeindebehorden und so- gar die richterlichen Behb'rden von Louisiana auch nur fiir eine Stunde im Amte erhalt. Hire Gegner sind bereit und im Stande, von der ganzen Staatsverwaltung auf der Stelle Besitz zu nehmen, sobald die nationale Regierung sich nicht mehr einmischt. *) Man behauptet sogar, dass ein ahnlicher Zustand in verschiedenen an- deren siidlichen Staaten besteht. Unserer Ansicht gemass birgt eine solche Lage der Dinge die grosste Gefahr fiir das ganze Land in sich. Dass das Yolk irgend eines Staates nicht Willens oder nicht im Stande sein sollte , durch friedliche und gesetzliche Mittel das Ergebniss seiner Wahleu festzustellen , und dass der President gezwungen sein sollte, die Kriegsmacht des Bundes zu gebrauchen, um einem Biirgerkriege vorzubeugen, ist an und fiir sich ein schreckliches Ungliick. Aber das Uebel geht viel weiter. Von 1) Dieses Gcttandniss illustrirt merkwiirdig jene n Volkssouveranitiit K , die angeblich das alleinige Fundament der republikanischen Staatsform bilden soil. Government depends on the consent of the governed, ^Regierungen hangen von der Zustiinmung der Regierten ab", sagt die amerikanische Unabhangigkeits-Erklarung. Das war gut gegen England zu gebrauchen, aber im eigenen Land: fl Ja, Bauar, das ist ganz was Anderes!" 184 den Wahlen in Louisiana, wie in alien anderen Staaten, hangt das Recht von Senatoren und Reprasentanten im Congresse ab, die bei der Abfassung von Gesetzen fur das gauze Land bc- schaftigt sind. Ebenso hangt von ihnen die Wahl von Prasidenten- wahlmannern ab, und auf die Stimme clieser mag es bei der Entscheidung Uber die Anspriiche der Prasidentschaftscandiclaten selbst ankommen. Keine Partei in den Vereinigten Staaten wiirtle aber Willens sein, sich dem Ergebniss einer Wahl zu unterwerfen, die durch die Stimmen von auf solche Art gewahlten Wahlman- nern entschieden wurde. Unserer Ansicht nach bcfindcn wir uns in grosster Gefahr, dass diese storenden Elemente auf die nachste Prasidentenwahl dermassen einwirken, dass der wirkliche Ausdruck des Volkswillens zweifelhaft wird. Tritt dies ein, claim muss ein Appell an *clie Gewalt, wie in Louisiana geschehen, das ganze Land dem Biirgerkriege preisgeben. . . . Die Bevolkerung der Rebellenstaaten bestand zum grossen Theile aus zwei Klassen, einer herrschenden Race von Sklavenhaltern nebst Solchen , die die Sklaverei billigten und aufrecht erhielten, und einer uuter- worfenen Race von Sklaven. Die herrschende Klasse steht, was Muth, Feuer und Gastfreundlichkeit Detrifft, unter den Nationen der Erde uniibertroffen da. Diese Leute passten dazu, iiber Ihres- gleichen zu herrschen. . , . Andererseits waren sie herrschsiichtig, ungeduldig und ungestiim, trotzig gegen jedcn Zwang, nicht Willens sich einer Regierung, die sich nicht selbst beherrschen konnten, zu unterwerfen, leicht zu Zorn und Wuth gereizt, und in diesem Zustande sow T ohl als Indivicluen wie als Gesammtheit grausam und rucksichtslos. Sie hatten nie gelernt, die Menschen- rechte zu achten oder den freien Ausdruck von Ansichten, die ihren eigenen widersprachen , zu dulden. Dieses Volk war es, das an der Rebellion theilnahm und von dem man verlangte, es solle unter einer ueuen . Ordnung der Dinge leben , welch e nicht eine Aenderung im Charakter und Ansichten , sondern die Gewalt der Waffen herbcigefuhrt 'hatte. . , . Der Neger war in der Regel unterwurng, geduldig, lernfahig und dankbar. (?) Sein Zutrauen war leicht gewonnen. Furcht vor den Weissen und Fiigsamkeit hatten ihm Jahrhunderte der Sklaverei beigebracht. Die Tug en- den der Massigkeit, der Ehrlichkeit, der Achtung vor Gerechtigkei t so w ohl in priv aten wie in offent- lichen Ding en waren ihm von seinen Hoherstehenden { ) 1) Hoherstehend ,,superior." In diesem Satxe offenbart sich eine merkwiJrdige Logik. So lange von ,,llechten" die Rede, heisst es immer ,,-die Menschcn sind glcich, folglich mussen sie gleiche Ilechte haben!" Sind aber Lasten, Burden und Pflichten zu tragen, so sagen diese Logiker: ,,Du, Weisser, bist hoherstebend ,,superior", folglich hast du die Pflicht, den Noger zu erziehen und ihm Dienste zu leisten." 1st es ein Wunder, \venn der Hoherstehende mit einer solchen Gleichheit unzufrieden ist und sich gegen dieselbe zur Wehr setzt? 185 me beigebracht worden, und es war nicht wahrsclieialich, dass er in di eser Beziehung als Muster gelt en konnte und sehr streng sein wiirde, sic von denen, die er als seine Freunde ansah, zu verlangen. ... Nach dem Census von 1870 betrug im Staate Louisiana die Anzahl der Manner liber 21 Jab re : Weisse 87,066, Farbige 87,121, Sumraa 174,187. Die ganze farbige Bevolkerung iiber 21> Jahre, die nicht lesen und schreiben konnte, betrug 157,049. Wenn die Hali'te davon Weiber waren, so batten wir von den 87,121 farbigen Stimm- berechtigten 78,524, die nicht schreiben und lesen konnten. Solche Schaaren ungebildeter Stimmgeber mussen nothwendig in bedeu- tendem Maasse blinde Werkzeuge in den Handen Ande rer sein, die ihre Leidenschaften oder ihre Furcht zu ihren Gunsten zu wenden wissen. . . . Zeugnisse von beiden Seiten weisen un- bestreitbar nach, dass Mordthaten so ganz gewohnliche Begeben- heiten waren, dass sie auf intelligente Leute kaum mehr Eindruck machten, und dies nicht nur in den Stadten, sondern auch in den Landgeraeinden , dass in vielen Theilen des Staates politische Hitze und Hass sich bis zur Gluth gesteigert , dass in der Regel Todtschlag, Mord und Angriffe auf das Leben gar keine gericht- liche Strafe mehr fanden , endlich dass die Weissen gewohnlich vollstandig bewaffnet gingen. Dem Berichte der Mehrheit dieses Ausschusses entnehme ich Folgendes: ,,Die republikanische Partei besass seit lange die Controlle iiber die gesammte Staatsverwaltung. Das letzte Verzeichniss der Stimmgeber zeigt einen Ueberschuss der farbigen Stimmgeber iiber die Weissen, 90,781 Farbige gegen 76,823 Weisse. . . . Dieses Register war unrichtig und ubertrieb die wahre Anzahl der far- bigen Stimmgeber. Es lag ganz und gar in den Handen der Kellogg'schen Beamten. . . . Es gibt nur drei Gemeinden, wo die republikanischen Supervisoren sich iiber eine falsche Stimmen registrirung beschweren. Andererseits b e w e i s e n die Conser- vativen, dass in New-Orleans allein 5200 Falle betriigerischer Registrirung vorgekommeu sind. . . . Der Census von 1870 weist 87,076 Weisse und 86,993 Farbige im Alter von iiber 21 Jahren aus, Nichts berechtigt zur Annahme, dass sich dieses Verhaltniss zu Gunsten der Farbigen geandert habe. Trotz alledem uber- steigen nach dem Register die Farbigen diese Zahl um beinahe 4000, wahrend die Weissen um mehr als 10,000 dagegen zuriickbleiben. ,,Die Gesammtzahl der registrirten Wahler betrug 167,604. Von diesen gaben ihre Stimmen ab 146,523. Diess Verhaltniss der abgegebenen zu den registrirten Stimmen ist grosser als in irgend einem nordlichen Staate. In einem ackerbauireibenden 3 nur 24 186 diinn besiedelten Staate, wo oft eine becleutende Wegstrecke bis zum nachsten Stimmplatze zuriickzulegen 1st, kann man nicht an- nehmen, dass eine grossere Proportion der registrirten Schwarzen freiwillig zu den Stimmkasten gegangen ware, als gewohnlich bei anderen Wahlen im Norden und im Siiden, zumal unter der Regierung , fiir die sie stimmen sollten , die Wohlfahrt des Staates, ihr Lohn und der Werth ihrer Ernteantbeile bestiindig gesunken war. . . . Die Beweisaufnahme zeigt nicht, dass die Farbigen unter einer allgemeinen Einschiichterung zu leiden hatten, und wo eine solclie vor sicli ging, geschah es eher im Intercsse der Re- publikaner, als der Consorvativen. Die Bundestruppen nabmen fortwahrend Arretirungen vor bis zur Wabl, aber nicht nachher. Die Aufsicht liber die Wahl und die Wahlberichte hatten die Kellogg'schen Beamten. Ihnen zufolge erzielten die Conservativen im Unterhause eine Mehrheit von 29. Und nur aus 3 Gemeinden liefen Proteste ein. . . . Die Kellogg' sche Partei war, um das Vorkommen von Wahlbeeinflussungen darzuthun, nicht im Stande, dem Untersuchungsausschusse im gonzen Staate mehr als ein halbes Dutzend unabhangiger Zeugen vorzufiihren , d. h. solche Personen, die nicht Aemterinhaber oder Anhjinger von solchen waren. .,Der Ausschuss findet kerne Beweise dafiir, dass Kellogg je- mals gewiihlt worden. Dass er die Regierung auf Grund ernes ungiltigen und betrugerischen (gerichtlichen) Befehls mit Hilfe der Bundestruppen an sich riss, sollte immer gegen ihn zeugen. Als ihm das Volk, angestachelt durch die Missbrauche seiner Ver- waltung, das angemasste Amt abgenommen, setzte ihn die Macht des Buncles wiecler ein. Hinter gesetzliche Formen sich verschan- zend , suchte er bei der letzten Wahl den Willen des Volkes iiber 'den H&ufen za werfen und bcrief zu diesem Zwecke die Bundes- truppen, urn die gesetzgebende Versammlung auseinnnderzutreiben. ,,Hiesse der Congress eine solche schnmhliche i:nd driickende Usurpation gut, er wurde dad'urch einen Pracedenzfall schaffen, wonach unter allenthalben leicht aufFindbaren Vorwanden jede Staatsregierung gestiirzt und der Volkswille bei Seite geschoben werden konnte, wahrend Betrug und Gewalt regieren und die republikanischen Formen bis zur Zerstorimg der Freiheit verzerrt werden w T iirden. ,,Die Ansicht dieser Mitglieder d es Auss chuss es ist, dass nichts weiter in Louisiana Noth thue, als die Bundestruppen zuftic kzuziehen und das Yolk des Staates sich selbst zu iiberlassen." Diese Ansicht ist jedonfalls richtig, nur ist dabei zu be- merken, dass Ruhe und Frieden in Louisiana die Oberherrschaft der weissen und die Unterordnung der farbigen Race zur Basis hatten. Dies zu dulden oder gar selbst herbeizuftihren , kann man 187 aber den Republikanern nicht zumuthen ; diese wollen naturgemass die Friiehte ihres Sieges geniessen , und konnen dies nur durch ihre Oberherrschaft , welche ihrerseits des Negerelementes nicht cntbehren kann. Dass die Negerherrschaft mit ihrer bru- talen Gcsetzesverachtung die ,,Gans todtschlagt, die die.goldenen Eicr legt", ist unleugbar. Die republikanisclie Partei beweist durcli ihre Verwaltung des Siidens schlagend, dass das Princip dcr .,Gleichheit : ', in der Thcorie die Basis aller Freiheit und Gluckseligkeit, in der Praxis zur argsten Despotic und Anarchie imd zum vollkommenen Ruin Aller fuhrt, der dann allerdings eine gewisse ,,Gleichheit" herstelit. A Vie weit der Despotismus sich unter sogenannten republi- kauisclion Gesetzesforraen entwickelt hat , zeigt der Vorwand, unter dein alle nicht zu Gunsten der Republikaner lautenden Wahl- ergehnisse angefochten und womoglich annullirt werden. Dieser Vorwand ist immer die angebliche Einschiichterung der Neger durch die Weissen. Die jetzigen Gesetze der Vereinigten Staaten ermachtigen jcden Bunclesmarschall ,' jcden Weissen, der irgendwie und sei es durch Ueberredungsversuche , also durch Ausiibung seines Rechtes der freien Rede, einen Neger der republikanischen Partei ab wen dig zu machen trachtet , ohne Weiteres zu verhaften und gefesselt vor das nachste oft Hunderte von Meilen entfernte Bundesgericht zu transportiren , wo ihm die Verurtheilung zu ein Paar Jahren Zuchthaus wegen Einschiichterung desNegers, zu dem er gesprochen, als angenchme Aussicht winkt Solcher Art ist die Freiheit beschaffen, die gegenwartig in der freien Republik zur besseren Durchfiihrung der Grundsatze der Freiheit besteht. Nichts ist klarer als dass, wenn wirklich der Neger, dort wo er die Mehrheit bildet, wo alle Behorden und Bearnten seiner Partei angehoren und an alien Stimmkasten Truppen zu seinem Schutze aufgestellt sind, dennoch nicht wagt nach seinem freien Ermessen zu stimmen, er eben ganz und gar nicht aus dem Stoffe besteht, woraus freie Miinner gemacht sind. Ein solcher Feigling \vird immer Sklave der Macht sein, die ihn zum Stimmkasten treibt, und im Princip ist es ganz gleichgliltig, ob diese Macht die der siidlichen AVeissen oder die der Republikaner, \velche ge- genwiirtig sich als die allein berechtigten Eigenthiimer der Neger- stimmen betrachten. Diesem Eigenthumsrechte iiber die Negerstimmen , welches die republikanische Partei beansprucht und ausubt, entspringt that- sachlich die ganze Theilnahme fiir das afrikanische Element, wo- durch Letzteres dermalen in politischer Hinsicht zum relaliv ein- flussreichsten Bevolkerungselemente der Vereinigten Staaten ge- worden. Dieses ignoranteste, roheste, kaum 4 Millionen zahlende Xegerelement besitzt im Congresse der Vereinigten Staaten eine 188 direkteVertretung, gegen die jene der ungefahr doppelt so starken deutschen Bevb'lkerung gar nicht in Betracht kommt ! Seine indirekte Vertretung durch Schnappsakler und sein indirekter, le- diglich und immer zu Gunsten der Corruption ausgetibter Einfluss ist noch ungeheuer viel grosser. Man wiirde kaum fehlgreifen mit der Behauptung, dass die beiden genannten Element e auf die allgemeine Verwaltung einen Einfluss ausiiben, der im umgekehrton Verhaltnisse zu ihrer Auzahl und Bildung steht. Und der Grimd ist durchaus nicht- verborgen. Gerade weil der Xeger unwissend, ein blindes Wcrkzeug, ohne Ehrlichkeit und Achtung vor Ge- rechtigkeit ist, besitzt er dieson ungeheuren Einfluss, wahrend der Deutsche, gerade weil er der erwahnten politischen ,. Tugenden" baar, einen im Yerhaltniss kaum fuhlbaren Einfluss ausiibt. Der Erste, das blinde Werkzeug, ist fur die Politiker, die sich durch Ehrlichkeit undGerechtigkeit nicht in ihrer ,.Freiheit" beschrankt fiihlen mogen, zu gebrauchen, mit dem Zweiten wissen sie nichts anzufangen. Der starkste und unwiderleglichste Beweis aber, dass nicht der ,,moralischen Abscheulichkeit" der Weissen, sondern nur der durch die Bundesregierung aufrecht erhaltenen Negerherrschaft die unlaugbar vorkommenden Schand-und Gewaltthaten zurLast fallen, liegt darin, dass solche sich beinahe ausschliesslich auf jene Ge- biete beschranken, wo die Negerherrschaft besteht. Wo dagegen wie in Georgia, in Virginia und anderen Sudstaaten die Weissen regieren sind solche Grauel seltene Ausnahmen. Und wahrend in den gesetzloscn Negerstaaten solche Yerbrechen beinahe nie vor die Gerichte gezogen und bestraft werden, bemuht man sich in den von Weissen regierten Gegenden die Thater zur Rechenschaft zu ziehen. Damit soil nicht gelaugnet werden, dass eine Haupt- ursache dieser Gewaltthaten in der Auffassung 'des siidlichen Weissen liegt, der es eben als eine brennende Schmach empfindet von Negern regiert zu werden, eine Schmach , die er wo der Anlass sich bietet, gewaltsam racht. Bedarf es einer weiteren Ausfiihrung der irateriellen Folgen solcher socialen Zustande? Die Zerstorungen des Krieges, die giinzliche Zerrlittung des Arbeitssystems und die unbestreitbare sorglose Faulheit des Nogers ; die klimatipchen Ursachen und der Racenhass, die es unmoglich machen weisse Arbeit in den eigent- lichen Baumwollenstaaten einzufiihren; die schrankenlose Pliinde- rung des Yolkes durch ganzlich unverantwortliche Beamte auf alle und jede Art, und der sich daraus ergebcnde Steuerdruck, der oft den Ertrag des Eigenthums ubersteigt; die allgemeine Un- sicherheit und Gesetzlosigkeit konnten keine andere Folge haben als die Zerriittung aller Geschafte und die beinahe giinzliche Ent- werthung alles Eigenthums, 189 Die folgende, einem neuerdings in New-York erschienenen amerikanischen Werke n T/?e great Soutli, a record of journeys in the Southern States by Edward King" entnommene Stelle schildert die Zustande in New-Orleans und in Louisiana in nicht im Geringsten iibertriebenen Farben : ,,Viele Grundbesitzer aus der Nachbarschaft des erzbischoflichen Palastes sind seit dem Kriege nach Frankreich gezogen und thun Nichts zum Besten der Stadt, in der sie ihr Vermogen erwarben. Einst trug ihnen die Miethe ihrer solid gebauten Hauser Summen die in Francs ausgedriickt colossal waren, Jetzt erhalten die Eigenthumer beinahe gar Nichts, und die Hauser stehenzum gross- ten Theil leer. Mit dem Zusammenbruche der Sklaverei und der Einflihrung der Reconstruktion wurden die politischen und socialen Yerhaltnisse so griindlich geandert, dass alle Anhanger des ancien regime die iiberhaupt entfliehen konnten, sicli davon machten. Ein angesehener historisclier Schriftsteller von alter } hb'chst anstandiger creolischer Abknnft, erzahlte mir, dass er unter seiner ganzen, sehr ausgedehnten Bekanntschaffc niclit Eine Person wiisste, die dem Staate nicht dem Riicken kehren wiirde, wenn sie nur die Mittel hatte. ,,Die Geleise, in denen sich die Gesellschaft in Louisiana und in New-Orleans friiher bewegte, sind derart verschoben dass dem daran Gewohnten sogar der blosse Aufenthalt im Staate zuwider ist. -,,Seit dem letzten Kriege" sagtc mir der gedachte Herr, ,,scheinen 500 Jahre iiber dieses Gemeinwesen hingegangen zu sein. Das Italien des Augustus ist dem Italien von heute eben so ahnlich, als das Louisiana -von heutc dem Louisiana^ vor dem Kriege. Der Geist der friiher die den Siiden auszeichnende grosse ungemessene Gastfreundschaft aufrecht erhielt, ist gebrochen. Jetzt miissten dieselben Pflanzer von Speck und Welschkorn leben. Die Meisten sind aus ihrer Heimath verschwunden, und ich kenne personlich gebildete und fein erzogene Damen, die vor dem Kriege ein riesiges Einkommen besassen, jetzt aber ihr tagliches Brod mit Waschen verdienen. Das Elend und die Verzweiflung die in hun- derten von Fallen vorhanden, iibersteigen jede Vorstellung. ,,Viele herrliche Plantagen sind ganzlich verlassen, die Neger bleiben nicht, sondern stromen in die Stadte oder (wcnn sie aus- nahmsweise fleissiger sind) bearbeiten ein Stuck Land, das sie selbst erworben." Mein Gewahrsmann glaubt nicht, class der freie Neger so viel Arbeit fur sich selbst leiste, als friiher fur seinen Herrn. Er meint, dass das gegenwartige Arbeitssystem die Pflan- zer auf's Schrecklichste zu Boden driicke. Mit Nutzen kb'nne der Neger zur Feldarbeit nur verwendet werden, wenn er filr einen Ernteantheil arbeite, in welchem Falle die Pflanzer ihnen das Land, die Werkzeuge, die Pferde und Maulesel liefern und die 190 Nahrung vorschiessen miissten. Fur seine eigene Person \viirde er keinen Neger verwenden, sogar nicht fur ganz geringen Lolin, er glaube nicht, dass mit demselbon Gewinn zu erzielen sei. Er denkt, dass die Entmuthigung in Louisiana viel der Schwierigkeit in Beschaffung des nothwendigcn Kapitals zuzuschreiben sei. Er kennt Falle wo zelin- oder zwanzigtausend Dollars geniigen , be- deutende Wasserkrafte nutzbar zu maclien,' odcr Landereien zu cultiviren, die eirien Reinertrag von Hunderttausenden abzuwerfen fiihig. Er habe ' selbst wiederholt Leute aus dem Norden zur Kapitalanlage aufgefordert, - aber diese zeigten sich dazu nicht ge- neigt und erklarten dass sie, so lange die bestehenden politischen Zustande sich nicht zum Besseren iinderten, sich dazu nicht ent- schliessen konnten. Er hob mit grossem Nachdruck hervor, das Yolk des Nordens wtirde seiner Meinung nach ciner gctrcuen Dar- legung der gegenwartigen Zustande Louisiana's keinen Glauben schenken. Sogar die Eingebornen des Siidens waren kaum im Stande, sich dieselben klar zu machen, und man konnte dies also nicht von Fremden, die an eine andere Leberis- und Denkweise gewb'hnt, erwarten. Er glaubt der Neger sei von Xatur freund- schaftlich, gemuthlich und generos, aber nur bis zu einem gewissen Grade fur die Civilisation geeignet; er besitze gar kcin morali^ sches Bewusstsein, und sei wie natiirlich in der Regel un\vissend. Nicht einer von hundert konne im Durchschnitt seinen Namen schreiben; und in einer einzigen Gesetzgebung des Staates hatten einmal fiinf und ftinfzig gesessen, die weder lesen noch schreiben konnten. In der letzten Le- gislatur sass kaum Ein einziger halbwegs fahiger Farbiger. Die weisse Bevb'lkerun'g Louisiana's sehe auf die Neger- herrschaft mit solchem Schreck, dass sie viel lieber irgend einen anderen Despotismus annehmen wiirde. Ein militarischer Gewalt- haber ware bei weitem vorzuziehen , in jede Lage wiirden sich die Leute gern begeben um der Schmach zu entrinnen, der sie heute unterworfen. Der jetzige Zustand demoralisire Jedermann. Niemand arbeite mit Energie, jeder stecke in Schulden. Es gebe in der ganzen Stadt New-Orleans nicht em einziges Stuck Eigen- thum, in dem er gegenwartig Kapital anlcgen mochte, obgleich man fiir fiinf bis zehntausend Dollars Grundstiicke und Gebaude kaufen kann, die in normalen A r erhaltnissen fiinfzigtaiisend Dollars werth sein miissten. Es wiirde nicht lohnen jetzt zu kaufen, da die Steuern ganz enorm. Die Mehrheit der grossen Pflanzungen sind nur der maasslossen Besteuerung halber verlassen worden. Nur jene die mit den wirklichen Ursachen der triiben Lage ver- traut, konnen sich einen Begriff von der obwaltenden tiefen Yer- zweiflung machen. 191 Dieser traurige Zustand waltet in clem grossten Theile des Siidens vor, und *iur da 1st eine Wendung zum Besseren be- merkbar, wo das weisse Element wieder zur Herrschaft ge- langte. Bios Texas bildet, wie schon erwahnt, eine Ausnahme, und dahin walzt sich desshalb der Strom der Auswanderung, die aus den Negerstaaten den besseren und tiichtigeren Theil der Weissen allmahlig hinwegzieht. Dies mb'chte, falls die Republi- kaner in gewissen Staaten ihre Oberherrschaft noch lange be- haupten, am Ende zu deren vollstandigen jVfrikanisirung fiihren. Eine solche colossale Trennung der beiden Eacen wiirde gewiss das Racenproblem auf die beste Weise losen, stande nicht zu befiircbtei), dass die Mehrheit der Neger, die denn schliesslich doch gezwungen sind, sich durcb Arbeit zu ernahren, die Folgen der Anarchic gerade so fiihlen miissen, als die Weissen selbst, und demnach schliesslich gezwungen sein werden, aus den von der Herrschaft ihrer eigenen Race begliickten Gebieten davon zu laufen. Da tibrigens auch Alabama in der Herbstwahl 1874 das Negerregiment abgeworfen, so existiren nur noch vier Staaten, in denen das Element der farbigen Mitbriider sich der Herrschaft erfreut, namlich S lid-Carolina und Mississippi, wo das numerische Uebergewicht der Neger am starksten, Louisiana und das sehr diinn bevolkerte, beinahe tropische Florida. In letzterem Staate ist seit dem Kriege eine Einwanderung nordlicher Weisser einge- stromt, die gegenwartig schon die Herrschaft mit den Farbigen theilen urid dieselbe ohne Zweifel binnen Kurzem vollstandig an sich reissen werden. In dem Maasse als es den bereits jetzt von Weissen wieder beherrschten Staaten des Siidens und der Baum- wollenzone, namlich Georgia, Alabama, dem Kiistenlande von Texas, Arkansas und vielleicht Theilen von Tennessee, Nord-Carolina und Ost-Virginia, gelingen wird die Herrschaft der weissen Race gegen fernere Einmischung 'des Nordens zu sichern, und in dem Maasse als sie die dem freien Neger fehlende, aber wirthschaftlich uner- lassliche Bestandigkeit und Zuverlassigkeit dnrch den Druck der Gesetze zu erzwingen vermogen, gehen diese Staaten einem neuen Aufschwunge entgegen, der ihnen bald gestatten wird durch Ver-r werthung der natiiiiichen, unerschopflichen Bodenreichthumer die Yerluste und Folgen des Krieges zu verschmerzen und sich zu neuem Wohlstande emporzuschwii)gen, In alien anderen Gegenden der friiheren Sklavenstaaten je- doch, in denen Negerarbeit an und fiir sich nie profitabel gewesen und die Sklaverei grossentheils nur zum Zwecke der Sklavenzucht bestand, wird der Neger allmahlig, wie es schon gegenwartig in grossem Maasse geschehen, der weissen Arbeit das Feld raumen, und entweder in die Baumwollengegenden, die seiner Arbeit bediirf en, 192 auswandern, oder was wohl bei der Mehrheit der Fall sein diirftc, sich in die grosseren Stadte drangen, dort mit der sittenlosen Hefe des Volkes vermcngen und nach und nach durch Ueberschuss der Todesfalle liber die Geburten aussterben. Denn das ist wesentlich das Ziel, dem die ganze freie Neger- bevolkerung in den nordlichen Staaten zustrebt. Nur ausserst Wenige lialten sich in den Landgemeinden auf oder sind in den Stadten mit wirklicher nutzbringender Arbeit beschaftigt, die Meisten suchen oglichst wenig anstrengende Beschaftigung. Halb Schmarotzer halb Bummler stehen sie meist in Verbindung und vertrautem Ver- kehr mit der Prostitution und der Verbrecherklasse, mit der sie gemeinschaftlich in fast jeder Stadt ein bestimmtes, moralisch und materiell schmutziges und stinkendes Quartier bewohnen. Es lasst sich ohne Umschweife behaupten, dass die Kosten, die sie iiberall den Stadtgemeinden und der Zuchthausverwaltung verursachon, weitaus betrachtlicher sind, als der Nutzen den sie sogar nach der Schatzung ihrer humansten Freunde dem Gemeindewohl zu bringen vermb'gen. Je schneller sie dahinsterben, desto eher hat der Nor- den Aussicht auf Befreiung von einem moralischen Schmutzfleck. Es eriibrigt noch kurz anzudeuten , dass ein Zustand, wie der im Siiden bestehende, nicht ohne materielle und mo- ralische Riickwirkung auf den Norden bleiben kann. Der Ruin und das Darniederliegen eines grossen , bliihenden Theiles des Landes muss selbstverstandlich den Handelsinteressen bedeutenden Schaden zufiigen, der sich darin auf's Sprechendste ausdriickt, dass seit 1860 diejenigen grosseren Stadte des Nordens, die wie St. Louis, Cincinnati, Louisville u. s. w. an der Grenz- scheide liegen und deren Geschaf'tsverbindungen zum grossen Theil sich nach dem Siiden hin ausdehnen, auffallend in ihrem Fort- schreiten gegen nordlicher gelegene Stadte , deren Verkehr mit dem Siiden unwesentlich , wie namentlich Chicago, zuriickgeblieben sind. Yor dem Kriege gingen , sobald der Winter anbrach , Tau- sende von Handwerkern und Arbeitern, namentlich solchor Ge- schaftszweige, welche der Frost zum Stillliegen verdammt, den Mississippi hinunter und fanden in den Stadten und auf den Pflanzungen des Siideris lohnende Beschaftigung; sie deckte nicht nur die Unkosten der Reise, sondern erlaubte ihnen sogar im be- ginnenden Friihjahre .mit einem hiibschen Summchen ersparten Geldes in ihre nordliche Heimath wieder zuruckzukehren. Seit 'der Herrschaft der republikanischen Menschenfreunde im Stiden hat diese AVanderung ganzlich aufgehort, und jene Tausende schwellen die jeden Winter beschaftigungslosen Haufen der nordlichen Stadte in gefahrdrohenden Dimensionen an. Aber noch viel schadlicher als die materielleri Verluste sind die moralischen Folgen des Schnappsacklerregimentes. Demi alle 193 von den Negern in den Congress gewahlten Reprasentanten weisser und schwarzer Hatitfarbe sind sich vollkoinmen der Thatsache be- wusst, dass die Dauer ihrer Herrschaft einzig und alleiii von der Unterstiitzung der jetzigen Verwaltung abhangt. Sie sind daher gezwungen servile und stets bereite Diener der Administration zu sein, und miissen jede, auch die corrupteste Parteimaassregel riicksichtslos unterstiitzen. Es 1st nicht anzunehmen , dass diese Dienstbarkeit einer solchen Sorte Yolksvertreter , \vie sie die repu- blikanische Partei des Siidens nach Washington entsendet, beson- ders schwer fallt. Wenigstens haben sie stets eifrigst zu Gunsten jeglicher Art Corruption gearbeitet. Alle Falle von grossartigen Betriigereien, die ich in friiheren Kapiteln angedeutet, und die ungezahlte Menge anderer, fanden ihre eifrigsten Fiirsprecher , aber nie einen Gegner in den Reihen dieser siidlichen Schnappsiickler. Es lasst sich kiihnlich behaupten, dass viele von diesen Schwin- deleien nie moglich gewesen, ja manche nie versucht worden waren, hatte nicht die lauernde Brigade der Schnappsackler , die nahezu ein Drittel sammtlicher Mitglieder der beiden Hauser des Congresses umfasste , mit Freuden jedem nahenden Lobbyagenten die beutegierigen Hande entgegengestreckt. Das Volk dea Nordens erntet den Lohn seiner Begeisterung fiir die Gleichberechtigung der schwarzen Briider, indem die von den Schwarzen gewahlten Yolksvertreter bereit sind, mit Jedem zu theilen, dessen Gehirn irgend einen Plan zur Beraubung des Yolkes in gesetzlicher Form ausgeheckt hat. Welche unmittelbare Gefahr eines allgemeinen Burgerkrieges darin liegt, dass bei einer nationalen Wahl die Stimme dieser corrupten Negerstaaten als entscheidend in's Gewicht fallen wiirde, brauche ich nicht anzufiihren, da selbst die republikanischen Mit- glieder des Louisiana Unterstiitzungsausschusses in ihrem Berichte diese Gefahr hervorgehoben haben. Der Wahlmeclianismus. Wie Freiheit, Gleichheit und Bruderlichkeit in den Ver- einigten Staaten sich in Theorie und in Praxis zu einander ver- halten, lasst sich am deutlichsten an den Wahlumtrieben studiren, wie sie von der durchgebildeten Partei-Organisation in Scene gesetzt werden. Letztere ist es, welche im Laufe weniger Generationen zur Alles beherrschenden Macht herangewachsen ist. 25 _i94_ Die Spiegelfechterei mit der angeblichen Herrscliaft der Majoritat, wie sie sich aus dem allgemeinen Stimmrecht ergeben soil, dient nur dazu die schrankenlose Tyrannei einer vollig verantwortungs- losen, sehr geringen Minderheit fest zu begriinden. Wo immer Regierungsformen auf der Grundlage eines mehr odqr minder allgemeinen Stiramrechtes bestehen, ist eine Organi- sation der widerstrebende Interessen vertretenden Parteien unver- meidlich, denn sie gewahrt den Parteien, organisationslosen Gcgnern gegeniiber, die Uebermacht eines wohl disciplinirten und organi- sirten Heeres. Die Abgabe seiner Stimme oder des Stimmzettels am Wahl- tage ist die einzige thatsachliche Verbindung zwischen dem freien Wahlbiirger und der ganzen Yerwaltung des Landes. Um welches Amt es sich auch handle, niemals wird die Stimme des Einzelnen die Besetzung entscheiden, sondern nur eine Anzahl von Stimmen wird iiberhaupt zur Geltung kommen, wenn sie sich auf eine gewisse Person concentrirt. Hieraus ergiebt sich die Nothwendig- keit Candidaten aufzustellen, Damit aber ein Candidat Aussicht auf Erwahlung habe, muss er nicht nur auftreten, sondern gleich bei seinem Auftreten der Unterstutzung einer gewichtigen Anzahl Stimmen sicher sein. Denn nur dann ist es wahrscheinlich, dass auch Anderc sich bewogen fiihlen werden, ihm ihre Stimmen zu geben und dadurch vielleicht die Mehrheit zu sichern. Geht nun die Wahl in einem kleinen Wahlbezirke unter einer nur geringen Anzahl von Wahlern vor sich, so geniigt in der Regel personliche Bekanntschaft und der darauf begriindete Einfluss, um den Candidaten wie die einzelnen Stimmgeber von dem Grad der Wahrscheinlichkeit fiir die Erwahlung des Betreften- den zu unterrichten. Ist diese Wahrscheinlichkeit gering, so wer- den sich nur Wenige geneigt finden, ihre Stimmen zu seinen Gun- sten wirkungslos wegzuwerfen. Denn thaten sie dies, so konnten sie sich damit wesentlich sohaden, weil moglicherweise gerade jencr Candidat eine Mehrheit erlialten konnte , der ihren luteressen am feindlichsten gegenubersteht , wahrend die Anzahl der ihrem Liebling zugewendeten Stimmen vielleicht gentigt hatte, einen an- deren, minder feindlichen Candidaten zu erwahlen. Es ergiebt sich also als Regel, dass die Stimmgeber ihre Stimmen jenem Candi- daten zuwenden werden , der zugleich ihre Ansichten und Interessen am bestcn vcrtritt und dessen Erwahlung am wahrsclxeinlichsten ist. Innerhalb eines Verkehrskreises, worin personliche Bekannt- schaft allgemein, wird die Bcurtheilung, die Erwahlung welches Candidaten wahrscheinlich sei, auch dem personlichen Ermessen Uberlassen bleiben. Ueberschreitet aber der Wahldistrikt diese Grenzen, so andert sich die Sache wesentlich. Jeder Candidat wird der grossen Mehrheit der Wahler unbekannt sein , und Letz- 195 tere konnen demnach auf Grund ihrer eigenen personlichen Kennt- niss eben so wenig eine Meinung uber ihn selbst haben , wie iiber die \Vahrscheinlichkeit seiner Erwahlung. Eine Meinung hieriiber sich zu bilden , sind sie aber gezwungen , wenn sie iiberhaupt ihre Stinime zweckmassig abgeben \vollen ; in Folge dessen miissen sie aus zweiter Hand Erkundigungen einziehen, um sich ihre Meinung zu bilden. Die Aussichten eines Candidaten bessern sich aber in dem Maasse, als den Wahlern vollstandigere Gelegenheit geboten wird, Erkundigungen liber ihn einzuziehen , imd sich eine giinstige Meinung iiber ihn zu bilden. Es wird demnach im Interesse des Candidaten sowohl als der Ideenrichtung , die er vertritt, liegen, ihn dem Publikum in so vortheilhaftem Lichte als nur mb'glich zu zeigen. Dieser Zweck wird durch die Wahl- bearbeitung erreicht. Sobald es so weit gekommen , kann die Entdeckung nicht mehr lange ausbleiben, dass jede der beiden Hauptparteien im Wahlkampfe dann die besten Sieges-Aussichten hat , wenn sie nur Einen Candidaten ,in's Feld stellt. Verthcilt sich die Stimmenzahl der Gegenpartei auf Mehrere, so ist der einigen Partei der Sieg beinahe sicher. Dies zwingt die Gegenpartei sofort zum gleichen Manover. Und hiermit waren wir bei dem angelangt, was man im Parteigetriebe ,,regulare" Candidaten nennt. Soweit liesse sich gegen die ganze Entwickelung vom Stand- punkte des Grundsatzes , ., dass die Mehrheit herrschen miisse " , durchaus nichts einwenden. Zwar ist die Freiheit des einzelnen Burgers sich nach Belieben seine Beamten zu wahlen , schon wesentlich beschrankt , da derselbe den Candidaten , der seine Interessen nur in geringerem Maasse vertritt, wahlen muss, doch dem Candidaten, der die Ansichten der Mehrheit, wenn auch nur annaherungsweise vertritt, ist der Sieg gesichert. Nun aber entwickelt sich eine Phase , die systematisch die Minderheit zum Siege fiihrt , namlich die Bestimmung des ,.regularen" Candidaten bei jeder der " beiden Hauptparteien , die allein in Betracht kommen. Denn kleinere Parteien sind ganzlich ohnmachtig, finden keine Yertretung ihrer Interessen und miissen sich daher der einen oder der anderen grosseren Partei anschliessen. Eine billige und gerechte Losung der Frage, wie dieser Parteicandidat zu ernennen sei? ist es ge- wiss, wenn er von den stimmberechtigten Wahlern der Partei selbst ausgewahlt wird. Aber wie dies thun ? Hier stehen wir genau vor der namlichen Schwierigkeit, wie zuvor. Die einzelnen Wahler sind ebeiisowenig personlich mit den Leuten, die Candidaten werden wollen, bekannt, und wissen ebensowenig, welcher von ihnen Aussicht hat, der Mehr- heit der Partei als Candidat genehm zu sein, als sie wussten 196 wer die meiste Chance besitze, gewiihlt zu werden. Und diese Schwierigkeit in einer Weise zu heben, dass die vielgeriihmte theoretische Freiheit des Burgers, sich selbst zu regieren, seine Beamten selbst zu wahlen, seine Gesetze sich durch selbstgewahlte Yertreter selbst zu geben, zur Wahrheit werde, ist bis jetzt praktisch noch nicht gelungen. Der freie Burger befindet sich da gleich beim ersten Schritte in Ausiibung seines Selbstbe- stimmungsrechtes in einem unlosbaren Dilemma, das seine freie Wahl zu Nichte macht. Sobald es iiber den Kreis seiner per- sonlichen Bekanntschaft hinausgeht, weiss er schlechterdings nicht, wen er wahlen soil. Er sieht sich also gezwungen, da er eben nicht anders kann, schliesslich Jemanden auf s Gerathewohl ein blindes Vertrauen zu schenken, und seinen Souveranitatsantheil an denselben als Vertreter zu iibertragen. Dieser Zustand hat eine nicht zu unterschatzende wichtige Folge. Die grosse Mehrheit namlich die von den beabsichtigten Candidaten insgesammt nur TomHorensagen weiss, verhalt sich ihrer Auswahl gegeniiber gariz gleichgiiltig und erlahmt in ihrem Interesse fur dieselbe. Eine weitere Folge ist dann, dass sich nur die Candidaten in spe selbst nebst ihren personlichen Anhangern um die Ernenmmg des regu- laren Parteicandidaten bekiimmern. Es lasst sich nun durchaus nicht behaupten, der in den Vereinigten Staaten gegenwartig beliebte Modus , die Candidaten auszuwahlen, sei an und fur sich schlecht. Seine Friichte sind wohl nicht ausgezeichneter Art, doch mb'chte dies weniger an der Form der Aufstellung von Candidaten liegen, denn diese gewahrt den Burgern wirklich die vollkommene Mb'glichkeit, ihre Vorliebe fiir Diesen oder Jenen, frei auszusprechen ; sondern der Fehler Hegt unzweifelhaft tiefer und hauptsachlich in Einklang mit dem eben Vorhergesagten darin, dass werkeine Meinung hat, eben keine abgeben kann. Die Auswahl der Candidaten geschieht namlich durch so- genannte Pri mar wahlen und Parteiconventionen. Zur Primarwahl w r erden alle Burger der betreffenden Partei eingeladen. In jedem kleineren Wahldistrikte wird der Starke seiner Stimmenzahl entsprechend, eine gewisse Anzahl Abgeord- neter zur Parteiconvention erwahlt, die dort die Candidaten fiir die bevorstehende Wahl festzustellen haben. Gegen diese Einrichtung lasst sich vom theoretischen Stand- punkte gewiss nicht das Mindeste einwenden. Wie aber gestaltet sich die Sache in der Praxis? Von vornherein nimmt die Mehrheit an den Primar- oder Urwahlen gar nicht Antheil, weil sie eben keinen der Candidaten vorzieht oder auch nur kennt, und weil sie wahnt, falls wirklich ihre Partei einen missliebigen Candidaten aufstellt, bei der wirk- 197 lichen Wahl gegen oder doch wenigstens nicht fiir ihn stimmen zu konnen. Sie bedenken nicht, dass, ist es wirklich zur Auf- stellung eines ihnen missliebigen Candidaten gekommen, sie durch den Ausdruck ihrer Missbilligung entweder direkt oder indirekt den Candidaten der Gegenpartei erwahlen helfen, der ihnen am Ende noch weit weniger zusagt, wie Jener. Die Minderheit aber betheiligt sich an den Primarwahlen, und eine gewisse Anzahl dieser Urwahler mochte sicherlich mit bestem Willen die besten Candidaten auserwahlen. Sie haben viel- leicht einen oder den anderen ehrlichen Mann und passenden De- legaten im Sinne. Sie kommen zum Stimmkasten. Hier eilen ihnen eine Anzahl Leute sogleich mit gedruckten Delegatenlisten entgegen, stecken ihnen dieselben in die Hand und lassen sich die warmste Empfehlung der Leute ihrer Liste angelegen sein. Der Urwahler iiberfliegt die iiberreichten Listen und findet darauf eine Anzahl Namen; manche darunter kennt er uberhaupt nicht, andere gehb'ren in ihrer Sphare ganz braven, brauchbaren Menschen an, die sich aber weder durch Verstandesscharfe noch durch Willens- kraft auszeichnen ; endlich umfasst eine dritte Katcgorie Namen von Leuten, die zwar viel gewitzter und energischer als Jene, dercn Ehrlichkeit und Charakter aber ziemlich zweifelhaft anriichig sind. Was thun ? Gern mochten die Urwahler fiir die wirklich guten, tuchtigen und auch nicht leicht hinters Licht zu 'fiilirenden Mit- biirger stimmen, an die sie in petto gedacht, und sie schicken sich desshalb an, einige Namen der Liste zu streichen. Noch da- mit beschaftigt sehen sie andere souverane Burger an den Stimm- kasten gehen und dort stimmen. Da sind Arbeiter die von Anderen hereingeschleppt, beinahe ausnahmslos den empfohlenen Wahl- zettel fast ohne Prttfung, sicher aber ohne Aenderung der Namens- liste in den Stimmkasten stecken. Dann kommen Herumlungerer, Strolche und Vagabunden, die in der Kneipe aufgesucht und nach Bezahlung eines freien Trunkes fiir Alle hierhergeschleppt wurden, um einen bestimmten Wahlzettel in den Kasten zu stecken. Wohl sieht der Urwahler auch hier und da einen ehrlichen Menschen, der wie er den Wahlzettel priift und dessen Miene nicht vollige Zufriedenheit mit demselben ausdruckt, Aber dies sind nur ganz vereinzelte Ausnahmen; und sollte er w r irklich mit ihnen sich Jju verstandigen versuchen, so ist doch das Erzielen eines Einveiv stiindnisses sehr zweifelhaft. Ueberdies ist cs klar, dass selbst claim an einen Erfolg doch nicht zu denken, da die grosse Mehr- zahl aller Wahlzettel unverandert in die Urne wandern, und die vollstandige Liste des Einen oder des Andern demnach gewahlt werden muss. Um schliesslich ein Ende zu machen und den un- unterbrochenen Belastigungen der Zettelvertreiber zu entgehen, steckt er seinen Wahlzettel auch in den Kasten und geht mit dem 198 Bewusstsein nach Hause, das Beste gethan zu haben, was die Umstande zu thun gestatteten. Wie er, handeln alle ehrlichen Leute, die tiberhaupt den Primarwahlen sich nahern; die Mehrheit aber ergreift ein geheimer Ekel an der Gesellschaft, der sie dort ausgesetzt warcn, und ein gewisser Aerger ilber die Freiheit, einen fertiggemachten Wahlzettel in die Urne zu stecken; sie kommen daher gewohnlich zu dem Entschlusse sich in Zukunft nicht mehr um die Wahl zu kiimmern, und auf sie passt das Wort des Cultur- historikers Kolb: ,,Die ruhigen Burger denken nur an sich, und wahnen in ihrer Kurzsichtigkeit am besten durchzukommen, wenn sie sich von Politik und iiberhaupt von allem demjenigen fernhalten, was den jeweiligen professionellen Politikern zu thun beliebt. Sie ahnen nicht, diese guten Burger, dass gerade darin ein Verzicht liegt auf jede persb'nliche wie sachliche Sicherheit." (Cultur- geschichte B. II. S. 546 zweite Auflage.) Aber je weniger sich die ruhigen und guten Burger fur die Urwahlen interessiren, desto mehr thun dies die seiii wollenden Candidaten mit ihrem persoiilichen Anhange. Diese Leute sind bei den Primarwahlen beschaftigt wie die Bienen, sie sind es, welche die gedruckten Wahlzettel bereit halten und an jcden Herannahenden vertheilen lassen ; sie sind es, die in alien Kneipen, in alien Strassen und in alien Schlupfwinkoln des Gesindels herumstreifen, die dem von der Arbeit miide heimkehrenden Arbeiter sich in den Weg stellen, ihn in das nachste Bierhaus zerren, dort Bruderschaft mit ihm trinken, ihn schliesslich zum Stimmkasten schleppen oder wenn's sein muss fahren, und ihn bewegen ihren Wahl- zettel, den ganzen Zettel wie er gedruckt 1st, zu stimmen. Sie scheuen weder Kosten noch Miihe, und sie sind es, sie allein, die bei dieser Wahl wirklich arbeiten. Sie sind es, die nicht blind- lings wie die ruhigen Burger darauf vertrauen, dass das ,,Recht-' und die ,,gute Sache" siegen miissen; nein, dieser Naivitat sind sie schon langst entwachsen; sie wissen, dass die Mehrheit der im Stimmkasten benndlichen Wahlzettel die beste Aussicht hat zu siegen, und setzen desshalb Alles daran, so viel von ihren Zetteln als nur immer moglich in die Urne hineinstopfen zu lassen. Ihre Mtihe, Arbeit und Anstrengung wird vom Siege be- lohnt. Ihre Abgeordnetenlisten sind erwahlt, und fort geht es zur Pa rteicon vention. - Diese tritt zusammen. Sie besteht beinahe ausschliesslich aus zwci Klassen Abgeordneter. Die erste Klasse, die wohl die Mehr- heit bilden mag, sind jene ehrsamen Spiessbiirger, d. h. Leute die innerhalb ihres engen Verkehrskreises durch die hausbackenen Tugenden, alltaglichen Fleiss, bestandige Gewohnheiten , Verstan- desgaben, die zum Betriebe ihres Geschaftes und Handwerkes 199 gerade ausreichen, und die durchsclinittliche , landesubliche Moral sich eine gewisse Geltung als gute Burger erworben haben, die aber mit dem Leben und Tre'iben der Welt liber ihren eugern Gesichtskreis liinaus ganz und gar unbekannt und demzufolge ge- neigt sind, den Scheiu fiir Wahrheit, Redensarten und Ver- sprechungen fiir baare Miinze zu nehmen. Leute dieser Art und aus gleichem Wahlbezirk kennen sich wohl untereinander, aber sind den Spiessbiirgern der anderen Bezirke ganzlich fremd; sie drangen sich desshalb im Sitzungssaale gewohnlich, scheuen Schafen gleich, in so viele Gruppen zusammen, als Original wahl- bezirke sind, und betrachten das Treiben und Drangen vor ihnen halb mit angstlichem Misstrauen, halb mit Erstaunen und Ver- wunderung, harrend der Dinge die da kommen sollen. Denn sie sind ganz unfahig selbst die Initiative zu ergreifen, miissen dem- nach nothgedrungen sich schieben lassen. Und die Leute, die das Schieben als ihre Aufgabe ansehen, sind in voller Zahl anwesend. Sie stehen nicht in angstlichen Gruppen zusammengedrangt und sperren den Mund auf; nein, sie bringen Leben und Bewegung in die ganze Versammlung, fliegen von einer Gruppe zur andern, schiitteln Jedem auf s Freundlichste die Hande und erkundigen sich theilnehmend nach dem Wohlergehen ihres Freundes, seiner lieben Frau Gemahlin und seiner hoffnungsvollen Kinderschaar, bewundern sein Geschaftstalent, preisen seinen Scharfsinn und seine Ehrlichkeit, warnen ihn gewissen Drahtziehern, die im Saale herumlaufen und fiir ihre anriichigen Candidaten Stimmen zu wer- ben suchen, bei Leibe nicht zu trauen, und empfehlen ihm schliess- lich dringend, wenn er wirklich ganz sicher und mit gutem Ge- wissen nach Hause gehen wolle, den Candidaten, die auf dieser Liste standen, die ganz ausgezeichnete Manner seien und deren Freundschaft und Gunst sogar einem biederen Geschaftsmanne nicht ohne Werth sei, seine Stimme zu geben. Der ehrliche Spiessbiirger, auf diese Weise binnen Kurzem von einer ganzen Menge Herrn begriisst und in fliessender Rede unterrichtet und belehrt, \veiss zuletzt nicht mehr wo ihm der Kopf steht. Die Candidaten der verschiedenen Listen keunt er der uberwiegenden Mehrzahl nach nur vom Horensagen oder von ganz oberflachlicher Beriihrung, meistena nur von der so eben erfolgten mit hb'flichen und vertraulichen Komplimenten gespickten personlichen Vorstellung. Unterdessen wird die Sitzung eroffnet und die Versammlung zur Ordnung gerufen. Man wahlt einen Vorsitzcr, Secretar, mehrere Stimmenzahler und verschiedene andere Beamte, die bei der Sitzung Functionen zu erfiillen haben; dem ehrlichen Burger bleibt dabei weiter Nichts iibrig als sich bei den ihm zunachst Sitzenden zu erkundigen, ob er auf die vorgeschlagenen Namen mit Ja oder 200' Nein antworten solle. Endlich ist die Versammlung organisirt, dcr erwahlte Vorsitzer iibernimmt sein Amt und halt sogleich eine Rede, worin er von dem allgemeinen Wohle der Menschheit, der Nation und des Vaterlandes, von Freiheit und Recht, von der Wiclitigkeit der bevorstehenden Wahl und von dem Patriotismus und der Intelligenz der anwesenden Abgeordneten, die ihm die Ehre angethan ihn zum Vorsitzer zu wahlen, so Manches zu sagen hat, das die Herzen der ehrlichen Burger abwechselnd mit Stolz erfiillt und windelwcich stimmt. Mehrere andere Reden in derselben Tonart werden gehalten und ein Comite gewahlt , das binnen Kurzem eine lange Reihe Beschliisse vorlegt, die ungefiihr dasselbe enthalten, \vie dieReden. Diese werden meist ohneWider- spruch angenommen und man gelangt endlich zum eigentlichen Zwecke der Convention, zur Ernennung der Candidaten. Fiir jedes zu besetzende Amt wird eine Reihe Namen vorgeschlagen und die Abstimmung vorgenommen. Dieselbe geschieht mittelst Wahl- zettel, welche die erwahlten Stimmenzahler einzusammeln haben. Jetxt erhebt sich wohl hier und da aus den verschiedenen Gruppen der ehrsam biirgerlichen Abgeordneten der Eine oder der Andere und schlagt einen ihm und seiner Gruppe wohlbekannten Euverliissigen und vielleicht auch tiichtigen und intelligenten Mann zum Candidaten vor. Aber dieser ist den Abgeordneten der an- deren Gruppen ebenso unbekannt als der Mann der ihn vorschlagt, und das Ergebniss ist, dass der auf solche Weise Vorgeschlagene bei der ersten Wahl wohl das halbe Dutzend Stimmen der be- treffenden Gruppe erhalt, aber durchaus keine weiteren , wahrend andere Candidaten die schon friiher den einzelnen Abgeordneten privatim empfohlen, eine viel grossere Stimmenzahl erhalten. Denn eine Menge Mitglieder der Convention sehen sich eben ausser Standee, eine personliche Meinung iiber den Werth und Unwerth der vorgeschlagenen Candidaten zu gewinnen und sind demnach gezwungen ihre Stimme jenem zu geben, der ihnen auf die ein- drucksvollste Weise empfohlen wurde. Hat die erste Abstimmung keine Mehrheit ergeben, so schreitet man zu den folgenden und in diesen werden jene Candidaten, zu deren Gunsten nicht vorher ,,gearbeitet" worden ist, nach und nach von ihren wenigen Freun- den in Stich gelassen, Letztere geben dann ihre Stimmen gewb'hnlich dem Candidaten der die beste Aussicht nominirt zu werden zu haben scheint. So kommt es schliesslich zur Entscheidung, ein bestimmter Name hat den Sieg davongetragen, der Betreffende wird auf Antrag von der Versammlung einstimmig als der ,,regulare" Candidat aufgestellt, und jedem Abgeordneten wird es als Gewissenspflicht an's Herz gelegt, nur fUr seine Erwahlung sich zu bemiihen. Pie so aufges tell ten ,,regularen" Candidaten gehen sonst ohne 201 Ausnahme riicht aus den- Reihen Solcher hervor, die von den ehrsamen. Burgern ausgewahlt word en waren, sondern gehoren zu der Gesellschaft derer, die mit ihrer Anhangerschaar bei den Pri- marwahlen, wie vor Zusammentritt der Conventionen eifrig mit Stimmenwerbung beschaftigt gewesen sind. Sind die Candidaten von beiden Parteien aufgestellt, so be- giimt erst der eigentliche Wahlkampf. Sein Zweck ist, das Interesse der tragen Yolksmassen, der rubigen Burger zu erregen, sie fur die aufgestellten Candidaten zu begeistern und an den Stimmkasten zu bringen. Soweit das allgemeine Publikum be- troften ist, gibt es nur zwei Mittel diesen Zweck zu erreicben: b'ffentliche Yolks versammlun gen und die Presse. Davon erreicht das Erstere hauptsachlich die ungebildeteren , roheren Massen, das Zweite die Klassen der rubigen Burger, die sich nicht in offentlichen Versaramlungen drangen und stos.sen lassen wollen, sondern sicb darauf bcschranken, zwischen den vier Wanden ibrer comfortablen Wohnung die Tagesneuigkeiten aus ihrer Zeitung zu erfahren, Ehe die Parteiconvention sicb vertagt, ernennt sie einen Parteiausschuss, dem die Fiihrung des Wahlkampfes obliegt. Mit diesem setzen sicb die aufgestellten Candidaten in Verbindung und ein systematiscber Arbeits- und Feldzugsplan wird entworfen, dessen allgemeiner Grundsatz ist, mit kleinen Versammlungen, wo- rin man die einzelnen Burger personlich beeinflussen kann, anzu- fangen, und mit grossen begeisterten Massenversammlungen zu scbliessen. Man beginnt also zunacbst die kleinen Wablbezirke in den Stadten, Wards genannt, zu bearbeiten. Zu diesem Behufe setzt man sich zuerst mit einer Anzahl Leuten in Yerbindung, die in den betreffenden Bezirken unter der gewohnlichen Klasse wohl- bekannt sind oder doch das Gescbick haben, mit derselben um- zuspringen und sie zu beeinflussen, und welche Willens sind, ihre Zeit wahrend des Wahlkampfes zu Gunsten der Partei zu ver- wenden. Aus letzterem Bediirfnisse geht schon hervor, dass dies keine Menschen sein konnen, deren Zeit eine regelmassige Be- schaftigung in Anspruch nimmt, sondern solche, die entweder ganzlich miissig gehen, oder doch nur dann und wann von den Sorgen ihrer Geschafte geplagt werden. Es diirfen aber nicht etwa behabige, in Zuriickgezogenheit lebende Rentiers sein, denn diese gehorcn gewohnlich zu der Klasse der ruhigen Burger f und es fallt ihnen nicht im Geringsten ein, sich den Unbequemlichkei- ten der Wablarbeit zu unterzieben. Uebrigens stehen sie nicht im innigen Verkebre mit dem niederen Volke und geniessen dess- halb nicht dessen Yertrauen, welches es in der Regel nur mit ihm auf einem gewissen Fusse der Gleichheit stehenden Personen zu 26 202 schenken liebt. Kurz: die einzig passenden Leute fiir die Wahl- arbeit sind solche, die dem Arbciterstande selbst angehb'ren, die aber die regelmassige Beschaftigung an den Nagel gehangt imd in ihren Mussestunden ihr Umgangstalent ausgebildet haben, eine Klasse also, die zwischen dem soliden Arbeiter und dem regularen Bummler und Eckensteher eine Mittelstellung einnimmt, wobei sie den schlechten Ruf dieser Letzteren, der ihren Einfluss zu Mchte machen wiirde, noch gliicklich vermieden hat. EineAnzahl solcher Leute rekrutirt man also in jedem Wahl- bezirke und organisirt sie in eine Art Stab, um die gewohnliche Bevolkerung der Wards systematise!! zu iiberreden und zu bearbei- ten. Dass dieselben nicht aus blossem Patriotismus ,,arbeiten" versteht sich von selbst, da sie zu ihrem Lebensunterhalte ebenso wie andere Menschen, soliderer Artikel bediirfen. Es wird dem- nach ein Campaign fund, eine Feldzugskasse gebildet, derenLowen- antheil die Candidaten selbst oder solche Burger beisteuern, die aus irgend welchen Griinden, die gewohnlich mit dem Worte Patriotismus" umwickelt und zusammengefasst werden, freigebige Anwandhmgen haben. Aus dieser Kasse werden jene Arbeiter" fiir ihren Zeitverlust entschadigt, falls sie es nicht vorziehen, Ent- schadigung nach der Wahl in Gestalt einer von den gewahlten Beamten zu vergebenden Stelle zu suchen. Eine grossere Geldausgabe aber erwachst den Candidaten in den kleinen Wardversammlungen selbst, wobei sie dem Volke gewissermassen vorgestellt werden. Sie entspringt der in Amerika allgemein verbreiteten Sitte des ,,Trietens" (to treat traktiren.J So nennt man namlich die Gewohnheit, bei jedem denkbaren An- lasse / der ein Paar Bekannte oder auch solche, die erst einander vorgestellt werden zusammenfuhrt , in ausgedehntester Weise Bruderschaft zu trinken. Diese Uiisitte, die einen wesentlichen Antheil an der Kostspieligkeit des amerikanischen Lebens hat, erfordert z. B. von Jedem, wenn er in einem Trinklokale einen Bekannten antrifft, nicht nur fiir diesen, sondern auch fiir jeden anderen, wenn auch ihm selbst ganzlich unbekannten von dessen Begleitern nach dem Belieben der Gesellschaft zu trinken ein- schenken zu lassen. Natiirlich legt dies alien Andern wiederum die Pflicht auf, sich durch einen ,,Triet" ihrerseits mit demErsten auf gleichen Fuss zu stellen. Da es nun als unschicklich , wenn nicht gar als beleidigend gilt, einen dergestalt angebotenen ,,Triet" abzulehnen, so ist der Einzelne, der sich vielleicht einen Augen- blick von seinen Geschaften wegstahl, um seinen Durst mit einem Glase Bier zu loschen, gezwungen, nicht nur zwei, drei, vier, oder noch mehr drinks d. h. einzelne Glaser irgend eines Getrankes zu bezahlen, sondern eine eben so grosse Anzahl selbst hinunter- zuschiitten, ehe ihm erlaubt ist wieder seines Weges zu gehen. 203 Einem Manne, dessen Geschaft ihn nb'thigt, jeden Tag an ver- scliiedenen Orten mit verschiedenen Leuten zu verkehren, kann es in Folge dieses Gebrauches sehr wohl begegnen, Dutzende von Malen in einem Tage ,.getrietet" zu werden und wieder w trieten" zu miissen. Nicht nur verursacht diese Unsitte sehr grosse Aus- gaben, die sich wohl durchschnittlich auf mehrere Dollars im Tag belaufen mbgen, sondern was noch viel nachtheiliger , es wirkt darauf hin, die Leute zu gewohnheitsmassigen Saufern zu machen. Die allgemeine Verbreitung der Trunksucht in Amerika nicht nur unter den hart arbeitenden Klassen, die derselben aller- orts frohnen, sondern beinahe in noch hbherem Maasse, nnter den Geschaftsleuten aller Art ist wesentlich diesem Gebrauche zuzu- schreiben, der, anfanglich der Tugend der gastfreundlichen Frei- gebigkeit und dem selbstbewussten Gleichheitsstolze entsprungen, die Ausdehnung eines nationalen Lasters gewonnen hat. Eine Folge der allgemeinen Verbreitung dieser Sitte ist der ungeheure Verbrauch an geistigen Getranken aller Art. Man schatzt die Gesammtausgabe in einem Jahre fur solche Getranke durch- schnittlich auf 1500 Millionen Dollars, mehr als das Vierfache der Ausgabe fiir Brodstoffe im gleichen Zeitraume. Mag auch diese Schatzung die von den Massigkeitsvereinen ausgeht, iibertrieben sein, da sie fiir jeden Erwachsenen eine Ausgabe von 150 Dollars im Jahre ergabe, eine Summe, die mindestens zwei Drittel des Volkes gar nicht eriibrigen, sicher ist dass es wirklich Hundert- tausende gibt, denen diese Durchschnittsumme nicht einmal an- nahernd geniigen wiirde, dass beinahe ein Jeder, der nicht vom Yerkehr mit seinen Mitmenschen abgeschnitten lebt, fiir geistige Getranke bedeutend mehr ausgibt, als fUr irgend einen anderen einzelnen Artikel gewohnlichen Bedarfes, und dass in den Stadten wohl sogar beim Arbeiter die Summe von ungefahr 50 Dollars im Jahre dafiir entfallen mochte. Die enorme Verbreitung dieses Uebels verursacht, dass in jeder amerikanischen Stadt die Anzahl der saloons genannten Schenk- statten unverhaltnissmassig bedeutender ist, als in irgend einem Theile Europa's. In vielen Stadten existirt ein solches Lokal auf je 50 Einwohner und 100 Einwohner fiir jeden Saloon ' diirfte wohl das gtinstigste, in grb'sseren verkehrsreichen Platzen bestehende Verhaltniss sein. Ich habe in den westlichen Gegenden an den Eisenbahnen mehr als ein Stadt u genanntes Platzchen gesehen, worin jedes zweite Haus, oder um mich der europaischen Auf- fassung verstandlicher zu machen, jede ein- bis anderthalbstb'ckige Hiitte, eine Schnapskneipe enthielt ; die Eigenthiimlichkeit aller gewohnlichen, besonders von den Irlandern besuchten Kneipen, ist dabei ein hochtrabender Titel, auf den Schildern und Schaufenstern 204 prangend, wie z. B. star of the west M der Stern des Westens", gem of the plaine ,,der Edelstein der Prairien" u. a. m. Aber trotz der allgemeinen Ausdehnung der Sitte des Trin- kens im Privatverkehr \viirden viele Saloon- und Kneipenwirthe doch nicht im Stande sein, ihr ,,Leben zu machen", ware nicht die Politik. Und hier ist gerade die Bearbeitung der "Wards ganz besonclers ihr eigentliches Feld. Denn sie besitzen von vornherein schon die hiezu erforderlichen Eigenschaften im liocli- sten Maasse. Sie stehen mit der Mehrzahl der Stimmberechtigteri ihres Bezirks in vertrautem Verhaltnisse, wie es zu deren Beein- flussung nicht besser gedacht werden kann ; sie kennen deren Umstande, Fehler und Schwachen; viele davon sind ihre tag- lichen, viele ihre stundlichen Kunden und ihnen oft sogar ver- schuldet; iiberdies ist das Bierhaus, die Schnapskneipe ja der Platz, in dem Zeitungen gehalteii, die Tagesneuigkeiten gelesen und besprochen werden, sogar wenn kein Wahlkampf im Gange. Per Wirth kennt demnach auf's Genaueste die politischen An- sichten und Parteineigungen der Wahler seiner Gegend und ist offenbar der wirksamste Bundesgenosse, dessen sich die Candidaten und die Partei versichern konnen. In Folge dieser Umstande spielen denn auch die Bier- und Schnapswirthe und Wirthschaften im Wahlkampfe nicht nur eine hcrvorragende, sondern wie man fuglich behaupten kann, - in den Stadten zumal eine entscheidende Rolle. Alle Wardver- sammlungen, die den Wahlkampf erbffnen und das Volk allmahlig in Bewegung setzen, werden in den Kneipen abgehalten. Die zu erwahlendeii Candidaten werden den souveranen Biirgern vorge- stellt und miissen natiirlich, der iiblichen Landessitte gemass, alle ihre neuen Freunde und Bekannten, die sie mit Haiideschiitteln und Betheuerungen der tiefsten personlichen Theilnahme begriissen, ganz gehb'rig trieten. Phrasenreiche Reden in kraftiger, urwiich- siger, so recht volksthumlicher Sprache werden gehalten, wobei die eigentlichen, saehlichen Punkte, auf die es in dem Wahlkampfe ankommt, zwar gar nicht beruhrt, desto rnehr aber der hohere Patriotismus , das heilige und uniiberwindliche Freiheits- und Rechtsgeftihl, und die erhabene Weisheit der braven, stimmbe- rechtigten, ihre ,,triets" hinter die Binde giessenden Burger bis in's Aschgraue gepriesen werden, so dass sie am Ende aus purer Erkenntlichkeit fur den Mann, der so viele gute Eigenschaften an ihnen entdeckt, von denen sie bis dahin Nichts gewusst, und im Stolze ihres gesteigerten Selbstbewusstseins gar nicht anders konnen, als denselben mit giinstigen Augen und als einen recht ge- echeidten und gar prachtigen Kerl zu betrachten, der sich fiir das zu besetzende Amt ganz ausgozeichnet eignen miisse. Dabei werden Neigungen, Gefuhle und ich mochte sagen Instinkte der 205 Zuhorer aufs Genaueste studirt und in jeder Weise gegen die feinclliche Partei ausgebeutet. Dies wahrt mehrere Wochcn; jeden Tag werden Wardver- sammlungen abgehalten ; jeden Tag werden die freien Burger be- lobt und getrietet; jeden Tag nimmt die Begeisterung zu und ergreift nach und nach sogar die ruhigen Burger, welche die Ward- versammlungen nicht besuchen ; jeden Tag wachst der Wardverein, urspriinglich nur aus den. ,,arbeitenden" Bummlern, Eckenstehern und Kreipenwirthen bestehend , durch Hinzutritt von begeisterten Individuen; jeden Tag verliert die eine Partei immermehr die Achtung der Anhanger der anderen, ihre Mitglieder horen binnen Kurzem auf Mitmensclien zu sein, und sinken zu ganz verkom- raenen moralischen Ungelieuern hinab ; und jeden Tag oder richtiger jeden Morgen suchen die Candidaten und Redner beider Parteien von dem vielen Bruderschafttrinken uberwaltigt mit einem gewalt- tigen Rausche ihre Lagerstatte auf und eignen sich die Gewohn- heit an, welche die Mehrheit aller Staatsmanner und Politiker der Nation zu unverbesserlichen Trunk enb olden macht. Endlich ist man so weit, dass man die Inscenirung der Schlusseffecte des Wahlkampfes, die Massenversammlungen wagen kann. Dazu schreitet man erst dann, wenn man sicher ist, eine imponirende Menge Volkes versammeln zu konnen. Denn zu im- poniren ist ihr eigentlicher Zweck. Trotz aller Wahlbearbeitung gibt es eine grosse Menge Burger, zu trage, zu bequem und zu gleichgiiltig, um an Wahlversammlungen Theil zu nehmen. An ihnen ist die ganze bis jetzt geleistete ,. Arbeit" spurlos voriiber- gegangen, und sie haben sich noch nicht einmal eine Meinung gebildet. Sehr viele sind iibrigens auch zu denkfaul und stimmen gewohnlich, falls sie sich iiberhaupt zum Stimmen bewegen lassen, mit der Partei von der sie glauben, dass sie die beste Aussicht auf den Sieg habe. Denn auf diese billige und sehr gescheidte Weise verschaffen sie sich dass stolze Bewusstsein fl Recht ; ' ge- habt und dem ,,Rechte k; den gebiihrenden Sieg verschafft zu haben. Auf diese Klasse von Wahlern einzuwirken, ihnen zu imponiren, ist der specielle Zweck der grossen Demonstrationen und Massenversammlungen, die den Wahlkampf beschliessen. Von vornherein werden dieselbeii darauf angelegt, das mog- lichst grosste Aufsehen zu erregen. Alle nur disponiblen Musik- chore und Musikanten, waren sie auch bios ehemalige Kuhhirten, werden gemiethet und auf grosse Wagen mit gewaltigen Lein- wandplakaten, die Zeit und Ort der Yersammlung angeben, gesetzt, von fahnengeschmiickten Pferden gezogen, durch die Strassen gefahren. Auf Trommeln, Trompeten, Hb'rnern und sonstigen tonenden Gerathen wird von Morgen bis Abend ein Hollenlarm veriibt, die ruhigen Burger meilenweit in Bewegung zu setzen 206 geeignet, urn Jeden, der nicht taub und blind, von den bevor- stehendcn grossen Ereignisse zu unterrichten. 1st der festgesetzte Abend endlich angebrochen, so versam- melt sich in jedem Ward die Schaar der Begeisterten, um sich dem Wardverein anzuschliessen und bei den Klangen kriegerischer Musik, mit wehenden Fahnen, Transparenten, nach dem Principien der chinesischen Laternen angefertigten Feldzeichen, mit Mottos versehen, worin die Gegenpartei verhb'hnt und die eigene ver- herrlicht \vird, unter dem Aufsteigen der Raketen, dem Krachen der Bunde! von Feuerschwllrmern und beim Fackelscheine zum Versammlungsplatz zu marschiren. Die Jugend schliesst sich mit Larmen und Hurrahgeschrei dem Zuge an und sogar der ruliige Burger wird von der Neugier angesteckt, beschliesst, sich die Ge- schichte einmal anzusehen, und begiebt sich, von den Ermahnungen seiner Ehehalfte begleitet, die ihn warnt, sich in keine Priigelei ein- zulassen und nicht zu spat und nuchtern nach Hause zu kommen, zur grossen Massenversammlung. Abgesehen von einem gewaltigen Menschengedrange und dem entsprechenden Spektakel aller Art ist bei dieser sehr Wenig des Neuen zu erfahren. Die Reden unterscheiden sich von den friiheren hb'chsteris dadurch, dass sie ohne Ausnahme die grb'sste Siegeszuversicht athmen. Aber den schwankenden Charakteren, imponirt dies sowohl, als auch der grosse Menschenhaufen, in dessen Mitte sie einen Anflug von Heldenmuth empfinden. Und, wenn dieser Eindruck die wenigen Tage oder Stunden bis zur Wahl iiberdauert, ist der Zweck der Massenversammlung erreicht, die Stimmen dieser Leute sind gewonnen, und Alles was Versamm- lungen bearbeiten konnten^ ist bearbeitet worden. Um aber jene Burger zu gewinnen, die an Wardversamm- lungen nicht Theil nehmen und durch Bruderschafttrinken allein nicht zu iiberzeugen sind, muss die P r e s s e ihre Schuldigkeit thun. Die grosse Mehrheit aller in den Vereinigten Staaten er- scheinenden Tages- oder Wochenzeitungen sind strenge Partei- blatter, in Allem was sie veroffentlichen das Interesse der Partei immer im Auge behaltend. Unliebsame Nachrichten werden nur in verstiimmelter Form oder gar nicht dem Publikum mitgetheilt, kurz es wird aus Parteiriicksichten von der Redaktion selbst die allerscharfste Censur iiber den Lesestoff ausgeiibt. Diese weicht von der in Europa iiblichen Regierungscensur nur insofern ab, als Angriffe, Schmahungen und Nachrichten, auch wenn offen- bar liigenhafte, die der Gegenpartei und deren. Candidaten schaden konnen, an hervorragender Stelle abgedruckt und in aus- gedehnten, begleitenden Bemerkungen dem Publikum mundgerecht gemacht werden. Berichtigungen seitens der angegriffenen Per- sonen oder hinsichtlich des Thatbestandes aufzunehmen, fallt der 207 Parteipresse nicht im Traume ein, Zwischen den verschiedenen Zeitungen besteht gewohnlich jedoch der Unterschied, dass die grosseren und angeseheneren sich melir an die sachlichen Erorter- ungen halten, wahrend die kleinen Winkelblatter personliche Ver- laumdungen vorzuglich behandeln, Es leuchtet ein, dass unter solchen Umstanden, die iibrigens, da sie der Natur des Parteikampfes entspringen, in alien Landern wesentlich dieselben sein miissen, nur Ein Mittel iibrig bleibt, der Wahrheit auf den Grund zu kommen, namlich die angeseheneren Blatter beider Hauptparteien zu lesen, und ihre Angaben kritisch zu vergleichen. Die grosse Mehrheit des zeitungslesenden Publikums jedoch, insbesondere die ruhigen, ehrsamen und in ihrer Sphare ehrlichen und tiichtigen Burger haben nicht nur in Amerika, sondern auch anderwarts die Gewohnheit, eben nur die eine Zeitung zu halten, deren Richtung einmal ihnen zusagt, den Angaben derselben blind- lings zu vertrauen, gegentheilige Angaben einer anderen Zeitung aber von vornherein und ohne viele Priifung zu verwerfen. So lange allerdings noch eine Zeitung neu und Jung, 1st sie der kri- tischen Beurtheilung ihrer Leser unterworfen; ist sie aber erst alter geworden und wird sie nur halbwegs geschickt redigirt, so gewinnt sie im Laufe der Zeit iiber ihr Publikum den nam- lichen geistigen Einfluss, den in vergangenen Jahrhunderten , als die Priesterschaft allmachtig, die Lehren der verschiedenen Re- ligionen iiber ihre Glaubigen hatten. Nun ist dieser Einfluss sowohl der Zeitungen heutigen Tages, als der Religionen nur anscheinend unbeschrankt. In Wahrheit griindet sich seine Allmacht eben nur darauf, dass dieselben mit dem ureigenen Volksinstinkte ihrer Glaubigen in innigef Verbin- dung bleiben, und ihre Herrschaft ist demnach auf gewisse, durch diesen Instinkt vorgeschriebene Grenzen beschrankt. Ueberschreiten sie diese, so sinkt ihr Ansehen auf der Stelle, ihr bislang so ge- duldiges, ihnen blind ergebenes Publikum \vird auf einmal unge- berdig, und lenken sie nicht sogleich wieder in die verlassene Bahn em ? wirft es ihre Herrschaft ganz und gar ab. Die solcher- gestalt wirkende Ursouveranitat des Volkes ist in der That all- machtig und erlaubt keinen Ungehorsam. Aber sie wirkt gerade so gut unter den Formen der absolutesten Despotic , als unter jenen der freiheitlichstcn Demokratie und Republik. Gerade die letzerwahnte Thatsache zeigt aber wie gross der Spielraum, der den Vertretern der offentlichen Meinung zu Gebote st-eht, so lange sie nur die allgemeine, dem Volksinstinkte ent- sprechende Richtung innehalten. Er geniigt vollstandig einer alt- begriindeten, ein festvertrauendes Lesepublikum besitzenden Zeitung eine Macht zu geben, die ihr erlaubt die Interessen der Allgemein- 208 heit auf's Tiefste zu schadigen. Es ist ihr ein Leichtes, ihr Publi- kum lange Jahre hindurch durch fortgesetzte einseitige Behand- lung einer Frage irre zu fiihren. Diese Macht nun \vird von der Parteipresse bis zu den aussersten Grenzen ausgebeutet. Der ehrsame Burger, das haupt- sachlichste Lesepublikum der grosseren Blatter, wird zu einer ent- stellten Auffassung der Verhaltnisse, zu einem solcben moraliscben Abscheu gegen die feindliche Partei angeleitet, dass er dariiber personliche Rticksichten ganz vergisst und fur die Candidaten seiner Partei, mag deren personlicher Charakter ihm noch so sebr missfallen, auch dann nocb stimmt, wenn der gegneriscbe Candidat fur ein Amt, das an und fiir sich nicht im geringsten Zusammen- hange mit politischen Fragen steht, ein in jeder Beziebung un- tadelhafter und fahiger Mann ist. Aeussert sich so der Einfluss der anstandigeren Zeitungen im Wahlkampfe, so beschaftigen sicb die kleineren Winkelblatter beinahe ausscbliesslich mit personlichen Schmahungen und Ver- laumdungen der Gegenpartei, die sicb im weiteren Fortscbritte des Wahlkampfes fortwahrend steigern. Am Morgen des Wahl- tages aber starren sie von Entbullungen , die jeden Einzelnen der Gegencandidaten derartig mit Mistjaucbe iiberschiitten, dass der hartgesottenste Zuchthausstrafling dagegen vom wohlriechenden Dufte lilienreiner Unschuld umflossen erscbeint. Solche persb'nlicbe Bericbtigungen der Beschimpften , die sie annebmen miissen, um bei Verleumdungsklagen einer sicheren Verurtheilung zu entgeben, bringen sie , nacbdem die Wahl voruber und ihre Mittheilungen die Wirkungen gehabt haben , um derentwillen sie gedruckt wurden. Endiich ist die letzte Massenversammlung am Vorabende der Wabl abgehalten , der Wabltag selbst angebrocbeu. Unter der ganzen ungebeuren Menge freier Burger, die an die Stimm- kasten sich drangen, sind es nur die sehr Wenigen, die mit kritiscbem Urtheile die besten Zeitungen beider Parteien lesen, und iiberdies Zeit und Gelegenbeit haben , sich personlich von dem Werth oder Unwerth des Gesagten zu iiberzeugen, welche einen wirklichen Begriff von der vergleicbsweisen Wiirdigkeit der Can- didaten besitzen. Ihre Zahl ist so verschwindend klein , dass sie gar nicht in Betracht kommt, und ibre Ohnmacht gegeniiber den parteiglaubigen , fanatischen Haufen so grenzenlos , dass sie es gar nicht wagen diirfen , ihre Ansichten anders als im Privatkreise auszusprechen. So kommt es , dass wohl hier und da etliche Namen von der Candidatenliste gestrichen werden, im Ganzen und Grossen aber die Stimmgeber die Wahlzettel gerade so, wie sie dieselben erhalten, in die Urne stecken. Jcde Partei stellt namlich in der 209 Nachbarschaft des Abstimmungsplatzes eine ausreichende Anzahl von Wahlzettelaustheilern auf, deren Aufgabe es 1st, jeden des Weges kommenden Burger festzuhalten , ihm das ,,Ticket" in die Hand zu stecken und angelegentlichst zu empfehlen, das ganze ./Picket" ohne Streichung irgendeines Namens in den Stimmkasten zu stecken. Uebrigens sind uberall Wagen beschaftigt, aus alien Ecken und Enden des Wablbezirks alle Stimmgeber, die zttm Laufen zu faul oder sonst unfahig sind, herbeizuschaffen. Andere Wagen mit Musikchoren fahren fortwahrend durch die Strassen , urn Jeden, der es noch nicht wissen sollte , daran zu erinnern , dass heute der grosse Tag sei , an dem das Volk der Republik sein erhabenes Freiheitsrecht der Auswahl seiner Beamten ausiibt. Pferde sowie Wagen sind mit grossen Plakaten behiingt, auf denen die Nanien der verschicdenen Candidaten prangen, wie dieselben auch schon seit dem Tage ihrer Aufstellung auf Dutzenden, quer iiber die Hauptstrassen gehangten Bannern in riesengrosser Schrift meilen- weit zu lesen waren. Der Stimmkasten selbst befindet sich gewohnlich im Fenster eines an der Strasse gelegenen Gebaudes. Vor ihm, auf dem Seitenwege ist ein roher Vorschlag angebracht , der das souverane Volk zwingt, im Gansemarsch an dem Stimmkasten vorbei zu defiliren. Um den Stimmkasten sitzen die drei Wahlrichter, in der Regel von den Supervisoren des County, d. h. dem Kreistage, ernannt. Zwei davon gehoren gewohnlich der im County herrschen- den , Einer der Gegenpartei an. Ein Schreiber hat die Registrirungs- listen des betreffenden Wahlbezirkes vor sich. Diese erst seit ungefahr zehn Jahren eingefiihrten Listen, welche der wiederholten Stimmenabgabe einzelner Individuen vor- beugen sollen, enthalten nun nicht etwa, wie es in einem wohl- geordneten Gemeinwesen der Fall sein sollte, die Namen sammt- licher im Bezirke anwesenden Burger , sondern nur jener Personen r die sich an den mehrere Wochen vor der Wahl festgesetzten Tagen vor dem Wahlrichter-Collegium einfanden und ihre Namen mit Angabe ihrer derzeitigen W^ohnung im Bezirke eintragen liessen. Eine Controle iiber die Richtigkeit dieser Angaben wird beinahe nie ausgeiibt, cs miisste denn Jemand ein beschworenes Zeugniss einreichen, dass die Angaben des betreffenden Individuums falsch scien. Solcher Millie unterzieht sich kaum Einer unter Hundert- tausend. So steht bei dieser Einrichtung die Moglichkeit oifen, sich sowohl in verschiedenen Wahlbezirken , als auch in demselben Wahlbezirke, falls man den Wahlrichtern nicht personlich bekannt ist, mehrmals unter verschiedenen Namen einschreiben zu lassen. Eine grosse Anzahl ruhiger Burger dagegen, die es unterliessen oder vergassen, sich registrireu zu lassen, sind dadurch ,ihres 27 210 Wahlrechtes verlustig, oder miissen ihre Identitat und Berechti- gung am Tage der Wahl auf sehr umstandliche Weise beweisen. Steht der Name des Burgers auf der Liste, so wird sein Wahlzettel zusammengefaltet in den Kasten gesteckt, der gewohn- lich bis Sonnenuntergang offen bleibt. Sobald er geschlossen, ist es Pflicht der Wahlrichter , eine Stimmenzahlung vorzunehmen. In der Regel geht sie in Gegenwart verschiedener Burger gleich im Aufstellungslokale des Stimmkastens vor sich. Darnach wer- den die Stimmzettel wieder in den Kasten gepackt, dieser ver- schlossen, und (gewb'hnlich) dem Rathe dor Supervisoren (Kreis- abgeordneten) eingeschickt , der nochmals eine amtliche Zahlung vornimmt, und auf Grund dieser die mit Mehrheit der Stimmen erwahlten Candidaten in ihr Amt einfiihrt. Solches ist der in der Union iibliche Hergang und die Form der Wahlen; nur in einigen Staaten bestehen geringe und un- wesentliche Abanderungen. Wie wenig diese Form sogar bei ehrlichster Durchfiihrung das Princip der Majoritatsherrschaft zur Wahrheit macht, ergibt sich aus folgendem Zahlenbeispiel. An- genommen, ein grosserer Wahlbezirk habe 10,000 Stimmgeber, so wird eine Partei, die iiber 5100 Stimmen verfiigt, in der unbedingten Mehrheit sein, und die anderen 4,900 kommen von vornherein nicht zur Geltung. Die Mehrheitspartei halt in den, wir nehmen an, 100 Wahldistrikten dieses Bezirks Primarwahlen. Vorausgesetzt , was nie der Fall, sammtliche Parteiinitglieder be- theiligen sich daran, so wahlt jene Richtung, die iiber 2,600 Stimmen verfiigt, die, wir wollen sagen, 100 Mitglieder der Par- teiconvention. Jedes der letzteren ist demnach in Wahrheit der Vertreter von nur 26 Stimmen. Aber 51 der Mitglieder der Parteiconvention genugen, die Candidaten und, da diesen der Sieg gewiss, die zukiinftigen Beamten auszuwahlen, Folglich sind in Wahrheit Slmal 26 also 1326 Stimmen aus den 10,000 des Wahlbezirks diejenigen, deren W r ille bei der W r ahl der Beamten zur Geltung gelangt. Allerdings lasst sich gegen dieses Beispiel einwenden , dass die angenommenen Zahlenverhaltnisse so wie die Vertheilung der Stimmgeber rein zufallig seien , dass aus diesem Grunde auch der Wille der Mehrheit nicht ausser Acht gelassen werden konne. Und diese Annahme ist richtig, so lange der ganze Hergang bei den Wahlen eben dem Zufall iiberlassen bleibt , d. h. so lange nicht von irgend einer Seite mit bewusster Absicht auf die Aus- niitzung dieser Mb'glichkeit hingearbeitet wird. Dies ist aber thatsachlich nur dort der Fall, wo Wahlen iiberhaupt etwas ganz Neues, und wo sich noch keine Klasse gebildethat, die an deren Ausfall besonders interessirt ist. Existirt dagegen eine solche Klasse, ist sie sich ihres Interesses bewusst, und hat sie durch 211 Erfahrimg die hier mathematisch bewiesene Moglichkeit kennen gelornt , so wird sie auch sofort bestreben, dieselbe thunlichst zu ihreii Gunsten auszubeuten. Sobald dies aber eingetreten, hat der Zufall aufgehort , um einer beinahe an Gewissheit streifenden Wahrscheinlichkeit Raum zu geben. Diese Klasse nun existirt und muss existiren in den Vereinigten Staaten sowohl wie in jedem Genieinwesen mit gleichen Verwaltungsformen. Sie besteht aus deri professionellen Politikern, die ihr Leben zum Theile in einem Amte, zum anderen Theile auf der Jagd nach einem solchen zubringen. Ihr Interesse ist es, sich durch Be- niitzung dieser Moglichkeit die Erreichung ihres Zieles, der ge- wiinschten Aemter, zu sichern. Die unentbehrliche Parteiorganisation ist das Mittel hierzu. Nun mag es zwar selbst ihnen, die mit bewusster Absicht arbeiten , nur selten moglich sein , die Zahlenverhaltnisse so giinstig zu gestalten, wie in obigem Beispiele. Aber, was sie in dieser Hinsicht vcrlieren, gewinnen sie doppelt und dreifach durch die Apathie der ruhigen Burger, die sich an den Vorarbeiten zur Wahl nicht in voller Anzahl, wie in unserem Zahlenbeispiel, sondern nur mit einem geringen Bruchtheile betheiligen. Thatsachlich ge- niigt demnach ein viel geringerer Procentsatz von Wahlern als der oben angegebene , vollstandig , um vermoge der Parteior- ganisation die Partei und durch sie, das Ganze, zu beherrschen, um es, naturgemiiss , zu Gunsten der regierenden Minoritat aus- zubeuten. Die Wirkungeii der Partei - Orgauisation. Die im vorigen Abschnitte gegebene Auseinandersetzung ist geeignet, theilweise den Schleier des Mysteriums zu heben, welches David Friedrich Strauss in der Monarchic erblicken will. Es zeigt sich namlich, dass in der freien, demokratischen Republik der souverane Wahler thatsachlich gezwungen ist, gleich bei der ersten versuchten Ausubung seines Herrscherrechtes dasselbe blindlings vertrauend - - in die Hande eines Anderen zu legen. Ist dies aber der Fall, muss es nothwendigerweise der Fall sein, so ist der Unterschied zwischen Uebertragung dieser Gewalt von 212 Zeit zu Zeit an einen Nachbar und guten Freund als Delegaten und Abgeordneten , und Uebertragung der namlichen Gewalt an einen hervorragenden Mann auf Lebens- d. h. auf langere Zeit- dauer, an einen Mann, dessen Handlungen der Oeffentlichkeit und dem Urtheile des ganzen Volkes ausgesetzt sind , nicht mehr ein Unterschied der Wesenheit, sondern lediglich der Form. Ueber die Zweckmassigkeit der blossen Form lasst sich aber mit gutem Rechte nicht nur streiten, sondern sogar behaupten, dass der grossere Werth der Einen oder der Anderen wesentlich von ausseren Umstanden abhangen m ii s s e. Die Thatsache , dass die "Verbindungen der professionellen Politiker in den Vereinigten Staaten schon heutigen Tages in Wirklichkeit monarchische Formen anzunehmen beginnen, ist sehr geeignet, den Schleier jenes Mysteriums noch mehr zu heben. Denn ihr Grund liegt einzig und allein in der gemachten Erfahrung, dass die Organisation , welche unter der einheitlichen Oberleitung eines Mannes steht, im Kampfe um die Erreichung des vorge- steckten Zieles, der Beherrschung des Ganzen, bessere Sieges- Aussicht hat, als jene, die einer solchen einheitlichen ,,monarchischen" Leitung entbehrt. Zweck der Partei - Organisation ist, wie erwahnt, Be- herrschung und Ausbeutung des Staatsganzen. Daher das Bestre- ben , den Profit dieser Ausbeutung so gross als mb'glich zu ge- stalten. Wesentlich dient hierzu die Beschrankung der Theil- nehmerzahl. Je kleiner die Anzahl derer, die den Sieg gewannen, desto grosser der Antheil der Einzelnen an der erworbenen Beute. Eine moglichst vollstandige Organisation, um was ihr an Zahlen abgeht durch zweckmassige Tuchtigkeit der Einzelnen zu ersetzen, ist hierzu das geeignete Mittel. Man legt also den ganzen Wahl- feldzug planmassig an, iiberlasst auch nicht das Geringste dem Zufall, und arbeitet, Jene Leute , welche die grosste Anzahl Stimmgeber beeinflussen kb'nnen, meist, wie schon bemerkt, Knei- penwirthe oder redegewandte , energische, mit der gewbhnlichen Volksmasse innige Fiihlung besiizende Manner, sind die unentbehr- lichen Bundesgenossen. Unter ihrer Leitung stehen alle Ecken- steher, Bummler und ein Theil der Arbeiterklasse als blindes, wenig kostspieliges Gefolge. Damit beherrscht man die Primar- wahlen vollstandig. Und gerade die Widrigkeit dieses Trosses tragt hauptsachlich dazu bei, die anstandigeren Burger, die man nicht leiten und ziehen kann , vom Besuche der Wahlen abzu- schrecken. Was in der Convention vorzugehen hat, wer vorgeschlagen werden soil, ist schon vorher abgemacht. Die guten Burger, die man anstandshalber wahlen lasst, stehen ganzlich vereinzelt da, sind ohnmachtig und miissen zu alien programmmassigen Vor- 213 schlagen der Politiker ,,Ja" sagen, da ihr r Nein" eben nur die Yerhandlungen in die Lange ziehen aber Nichts ausrichten kann. Der Sieg der Politiker ist demnach vollstandig. Denn es gibt absolut kein Mittel, die Uebermacht ihrer Organisation zu brechen, als die vereinzelten Krafte der Gegner selbst zu organi- siren. Greifen diese nun zu diesem Auswege, so schaffen sie in der Gegenorganisation eben eine neue Organisation von Politikern, die gezwungen ist, um sich in Amt und Wiirde zu behaupten, genau denselben Weg einzuschlagen und dieselbe Kampfweise an- zunehmen. Denn gerade das, was als der eigentliche Vorzug der Republik gepriesen wird, namlich die pe- riodische \Y ahlb arkeit der Beamten, die sie d em Principe nach vom Volke abhangig erhalten soil, schafft den Gegen- satz, der den Beamten zum Sachwalter nicht der Volks- sondern seiner eigenen Interessen macht. Gerade w e i 1 die Fortdauer seines Amtes von dem jeweiligen Er- gebnisse der Wahl abhangt, ist der Beamte, den mit vollstem Rechte seine Existenz und Zukunft mehr interessirt als alles Andere, ware es selbst die Wohlfahrt des Staates, gezwungen, sein Augenmerk und seine Anstrengungen auf die Sicherung seiner zukiinftigen Existenz zu richten. Weil aber weder Fahigkeit noch Ehrlichkeit in Verwaltung seines Amtes ihm dessen Fortbesitz ga- rantiren, sondern allein die in den Wahlen ausgedriickte Volksgunst, so muss er mit alien Mitteln eine ihm giinstige Entscheidung herbei- zufiihren suchen. Diese Unsicherheit der Lebensstellung aller ihrer Beamten ist eines der Grundiibel in der gegenwartigen Organisation der Republik. Sie schafft das colossale Heer von Stellenjagern; dazu gehoren nicht nur alle im Amte befmdlichen Beamten selbst, welche iiber die Behauptung ihrer Stellung ihre eigentlichen Arnts- pflichten ausser Acht zu lassen beinahe genothigt sind, sondern die noch viel grossere Anzahl jener, die sich in ein Amt hinein- zuarbeiten hoffen. Letztere ganz enorme Klasse wendet sich in Verfolgung dieses Zieles der nutzbringenden Arbeit ab, und da nur Wenige dasaelbe erreichen konnen, wird die weitaus grb'sste Mehrheit zu Schmarotzern , die nothgedrungen stets bereit sind, in den politischcn Kampfen Handlangerdienste zu leisten. Alle Beamten, sowohl der Vereinigten Staaten (mit der alleini- gen Ausnahme weniger Richterstellen) als der einzelnen Staaten, Counties und Gemeinden sind entweder wahlbar oder werden von den gewahlten Behorden nach Belieben angestellt. Letztere stehen zu den Anstellungsbehb'rden allein, und nicht zu dem Staate in einem Dienstverhaltniss, aus dem sie nach dem Belieben der Ersteren jederzeit entlassen werden konnen. Sie befinden sich daher ihren Vorgesetzten gegeniiber in schmahlichster Abhangig- 214 keit, und ihre Zukunft sowohl als ihre Lebensstellung iiberhaupt 1st noch viel unsicherer als die der erwahlten Beamtcn, die doch wenigstens wahrend einer gewissen, festen Amtszeit Inhaber ihrer Stellung sind. In vielen Fallen sind sie geradezu von der per- sonlichen Laune und Gunst eines einzigen Mannes abhiingig, der als Bureauchef u. dgl. sie ohne jedwede Kiindigung auf die Strasse setzen kann. In anderen Fallen ist ihre Lage etwas gesicherter, indem sie von der Uebereinstimmung mehrerer Vorgesetzten oder einer berathenden Korperschaft abhangt. Immer aber konnen sie, sobald diese Uebereinstimmung vorhanden, ohne Weiteres, ohne Angabe eines Grundes summarisch aus ihrer Stellung entlassen werden. In letzterem Verhaltnisse befmden sich beinahe alle Be- amten der Bundesregierung selbst. Sie werden vom Prasidenten ernannt und vom Senate 'bestatigt. Aber der Erstere kann sie jeden Augenblick nach Laune und Belieben entlassen. Irgend Etwas, das einer Befb'rderung fiir getreue Pflichterfiillung oder fiir im Amt erworbene Verdienste gleich sahe, existirt gar nicht oder doch nur unter der momentanen Laune eines personlich billig denkenden Vorgesetzten, woraiif natiirlich nicht der geringste Verlass ist. Dass unter diesen Umstanden das ganze gewaltige Heer der solchergestalt Angestellten sich nicht sowohl bemiiht, seine Amtspflicht getreulich zu erfullen, als die Gunst derjenigen, von denen ihre amtliche Fortexistenz abhangt, zu erringen und zu erhalten, ist unvermeidlich. Jenc aber, welche iiber die Besetzung aller dieser Stellen zu verfiigen haben, sind die aus der" Wahlurne hervorgegangenen Volksvertreter und eigentlichen Beamten. Und da ihr Zweck , seitdem sie die Laufbahn des b'ffentlichen Lebens einmal einge- schlagen, nothwendig der sein muss, sich darin zu erhalten, da sie diesen Zweck durch ihre Verbindung unter einander, sowie durch Beherrschung der Wahlen zu erreichen suchen, und da sie hierzu nur einer gewissen beschrankten Anzahl zuverlassiger Anhanger bediirfen, so ist es wiederum kein Wunder, sondern bios eine unvermeidliche Folge des bestehenden Beamtenwesens, nicht nur dass sie sammtliche von ihnen angestellte Unterbeamte als gefiigige, willenlose, durchaus abhangige Handl anger und Werk- zeuge im Wahlkampfe gebrauchen, sondern auch dass sie die Stellen der Schaar von Aemtersuchern als Belohnung fur die besten und erfolgreichsten Dienste, fiir die wirksamste Wahlarbeit versprechen und nach gewonnenem Siege an die zuverlassigsten und tiichtigsten Wahlarbeiter vertheilen. So hat sich denn in dem Beamtenwesen der Vereinigten Staaten der Grundsatz eingebiirgert, dass nicht die zur gehorigen Verwaltung des Amtes nothwendige Fahigkeit und Tuchtigkeit Aussicht auf Erlangung oder Fortbesitz einer amtlichen Stellung 215 gewahren, sondern jene Eigenschaften welche im Wahlkampfe den Politikern die besten Dienste leisten. Mit anderen Worten : sammt- liche Aemter werden nicht den Interessen des Volkes entsprechend verwaltet, sondern zum Besten der herrschenden ,,Ringe", d. h. der Verbriiderung von Politikern zum Zwecke moglichster Aus- niitzung ihrer Amtsgewalt in ihrem Privatinteresse, In dem Maasae aber, als der Ring seine Vortheile mehr und mehr allein im Auge behalt und auf Kosten der Allgemein- heit fordert, entfremdet er sich allerdings eine je nach dem gros- sere oder geringere Anzahl eigener Parteigenossen. Um nicht die Ilerrschaft einzubiissen, muss er trachten diesen Verlust auszu- gleichen. Aber nicht etwa durch bessere Amtofiihrung, nein, dies bleibt das letzte Mittel. Eine bessere Amtsfiihrung ware ja fiir seine Interessen eine schlechtere, da sie seine Profite schma- lern wiirde. An der Herrschaft selbst, ohne die zugehb'rige Pliin- derung, ist ihm sehr wenig gelegen. Er muss demnach versuchen, seine Herrschaft und sein Pliinderungssystem aufrecht zu erhal- ten und greift, um der sehr unbequemen, aber gliicklicherweise nur sehr geringen Anzahl ehrlicher und zugleich einsichtsvoller Parteigenossen entbehren zu konnen, zu kiinstlichen Mitteln, die Mehrheit in der Wahl zu erringen. Solcher kiinstlichen Mittel gibt es z w e i : das eine griindet sich auf die oben ausgefiihrte mathe'matische Moglichkeit, mit einer Minderheit der Wahler dennoch eine Mehrheit in den vertretenden Korperschaften zu erringen ; man hat dafiir in den Vereinigten Staaten den Kunstausdruck Gerrymander (Wahlkreis-Geometrie) erfunden. Das Zweite aber ist die einfache Wahlfalschung. Der Gerrymander ist eine solche Eintheilung der Wahl- distrikte, dass die der Partei angehorige Minderheit der Volks- stimmen dennoch eine Mehrheit in der Vertretung ergeben muss. Sein Princip lasst sich durch ein Zahlenbeispiel leicht und klar verdeutlichen : Gesetzt ein Staat habe 100,000 Wahler, davon gehoren 60,000 der einen, 40,000 der anderen Partei an, so wiirde wohl Jedermann meinen, dass in einer freien Republik wie die Vereinig- ten Staaten, jene 60,000 Stimmgeber herrschen miissten. Zahlen beweisen, dass diese Meinung unbegriindet ist. Denn an- genommen die herrschende Regierung gehort der Minoritatspartei an, und die Wahl stehe bevor, so geht dieselbe einfach zu Werke und theilt den betreffenden Staat in die, wir wollen annehmen, 100 Wahldistrikte, die je einen Vertreter in die Gesetzgebende Versammlung schicken, folgendermaassen ein: In 70 Wahldistrikte, von denen jeder 1000 Wahler hat, theilt sie je 550 Wahler ihrer Partei und 450 der Gegenpartei x 216 ein ? macht zusammeii 38500 Wahler ihrer Partei und 31500 Wahler der Gegenpartei. Die nocli iibrigen 30000 Wahler theilt sie in die anderen 30 Wahlbezirke ein. Die Gegenpartei erwahlt allerdings den Gouverneur mit einer Mehrheit von 20,000 Stimmen. Aber die Minoritatspartei erwahlt 70 Abgeordnete von 100, d, h. mehr als ein Zwei-Drittel Majoritat in die Gesetzgebung, was sie in den Stand setzt, sich liber den Willen des ihr im Wege stehenden Gouverneurs ohne Weiteres hinweg zu setzen. Allerdings mochte nun die raumliche Vertheilung der Be- volkerung in der Praxis nur selten eine solche ausgedehnte Nutz - barmachung des Gerrymander gestatten, Aber soweit dessen An- wendung mb'glich, geschieht sie in ausgiebigster Weise, und die Abgrenzung der einzelnen Wahldistrikte streift oft an das Wunderbare. Im Staate Indiana, der 13 Congresswahlbezirke hat, existirte vor Kurzem oder vielleicht noch jetzt ein Wahlbezirk, der sich in Schlangen-Windungen iiber die grossere Halfte des Staates hinzog und Counties vereinigte, die nicht den geringsten Verkehr mit einander hatten. Aehnliche, wenn nicht ganz so auf- fallige Beispiele lassen sich iiberall in Menge finden , und jede Gesetzgebung, worin eine bisher in der Minderheit befindlich ge- wesene Partei die Oberhand gewinnt, lasst es sich sofort ange- legen sein, nach dem Principe: ,,Wie du mir, so ich dir!" den Staat mit einem zu ihren Gunsten angelegten Gerrymander-Netze zu iiberziehen. 1st das Princip des Gerrymander in der Praxis nicht so weit anwendbar, wie in der Theorie, so wird dieser Mangel theil- weise ersetzt , indem man in der Abgrenzung der Wahlbezirke sich bedeutende Abweichungen von einer durchschnittlich gleichen Bevolkerungszahl erlaubt, die natiirlich beinahe immer der am Ruder befindlichen Partei zu gute kommen. Jene Korperschaft worin die letzterwahnte Ungleichheit zum Principe erhoben zur Geltung gelangt, ist der Vereinigte Staaten Sen at. In ihm hat bekanntlich jeder Staat der Union zwei Vertreter, d. h. Staaten w T ie New-York mit beinahe vierMillionen, Pennsylvanien mit iiber 3 Millionen, und Illinois mit Ohio mit nahezu je 3 Millionen Einwohner haben im Senate nicht mehr Einfluss als das kleine Rhode Island mit ungefahr 200,000, die Steppenlander Nevada und das neuerdings als Staat zugelassene Colorado mit je ungefahr 50,000 Einwohner. Die vier obenge- nannten volkreichsten und machtigsten Staaten der Union mit bei- nahe einem Drittel der Ges^mmtbevolkerung, haben nur ungefahr den neunten Th^il d^r Anzahl der Senatoren als Vertreter. Dass diese Eiurichtung nur zu Parteizwecken ausgebeutet wird und zum Theil geschaffen worden ist, zeigt das Beispiel der 217 eben erwahnten Staaten Colorado und Nevada. Diese Gebiete warden nur desshalb als Staaten zugelassen, well sie die Stim- menzahl der republikanischen Partei ira Congresse zu vermehren versprachen, wahrend das zwischen beiden gelegene Utah, rait einer grb'sseren Bevolkcrungszahl als jene beiden Staaten zusammen, immer noch im Territorialzustande gehalten wird, \veil man weiss class die dortigen Mormonen der republikanischen Partei nicht freundlich gesinnt sind. Welchen wichtigen Einfluss das hier auseinandergesetzte Princip ausiibt, verdeutlicht die Erwahlung des Prasidenten Lincoln im Herbste 1860. Obwohl sich die republikanische Partei in bedeutender Minderheit befand, -fiel ihr dennoch die Prasidenten - wiirde sowie der Congress in die Hande, und zwar in Folge eines allerdings nicht durch vorhergehende kiinstliche Abgren- zung der Bezirke, sondern aus der natiirlichen, eeographischen Verbreitung der Bevolkerung sich von selbst hcrausbildenden Gerrymander's; dieser bestand darin, dass die siidlichenStaaten einmiithig das demokratische Ticket wahlten, wahrend im Norden die Re- publikanerdieDemokratenbeinaheiiberall nur mit geringenMajoritaten besiegten. Man hat guten Grund zu zweifeln, ob der Siiden, wenn die republikanische Partei wirklich eine Mehrheit der Volksab- stimmung gehabt hatte, so geneigt gewesen ware, das Schwert zu ziehen, als er es unter Umstanden war die ihm den Sieg zu versprechen schienen. Noch ein anderes Mittel dem Gerrymanderprincipe zu wei- terer Anwendung zu verhelfen, besteht in der Colo ni sir ung der Stimmgeber. Finden sich namlich Wahlbezirke, worin die Starke beider Parteien nahezu gleich, so sucht man der einen eine Mehrheit zu verschafferi, indem man eine Anzahl Wahler aus einem Bezirke wo der Sieg unzweifelhaft ist, in den zweifelhaften Distrikt iibersiedeln lasst. Entweder man miethet sie geradezu aufKosten der Partei dort ein oder besser, falls Gelegenheit vorhanden, man nimmt irgend eine offentliche Arbeit,, z. B. Strassenreparaturen u. dgl. vor,' wobei man eine bedeutende Anzahl Arbeiter, natiir- lich Angehorige der eigeneu Partei anstellt und die Arbeit so cin- theilt, dass sie bis zum Waliltage ausreicht. Diese Methode wird bei alien offentlichen Arbeiten der Centralregierung im grossten Maassstabe angewandt. Namentlich sind es die Schiffsbauhofe, in denen, sobald eine Wahl herannaht, die ausgedehntesten, Tausende von Arbeitern beschaftigenden Reparaturen vorgenommen warden. Wahrend die Bundesregierung auf diese Weisc, die vor langeren Jahreh sehr gebrauchlich gewesen, auch heute noch colo- nisirt, haben indess die politischen Ringe im Allgemeinen diese Methode aufgegeben, weil sie zu kostspielig und in den letzten Jaliren solche Fortschritte und Verbesserungen in der Herrichtung 28 218 eines giinstigen Wahlresultates gemacht worden sind, dass man ihrernicht mehrbedarf. Diese Yerbesserungen sind lib erdies viel billiger und verursachen weniger Miihe, als das Colonisiren. Wahrend man bei diesem eine Anzahl Menschen fiittern muss und ihnen am Ende doch nicht ganz trauen kann, benbthigt man gegenwartig nur noch einiger Bestechungen, eines Haufens falscher Eide und eines noch grb'sseren Haufens Wahlzettel. Obendrein wird die ganze Sache zwischen einem geringeren Personenkreise, also mit mehr Garantie der Verschwiegenheit abgemacht. Dieses praktische und billige Mittel sind die direkten Wahlfalschungen. Schon seit lange war es in grossen Stiidten eine beliebte Manier, \venn immer thunlich, eine Menge von Wahlern nicht einmal, sondern mehrere Mai an demselben Tag abstimmeu zu lassen. Namentlich die fanatisirten Irlander, damals in Masse zur alien demokratischen Partei gehb'rig, liessen sich hiezu besonders gern gebrauchen, und das zum Spriichwort gewordene : Vote early and vote often ,,Fangt friih an zu stimmeii und stimmt oft" gait Vielen als Gesetz. Um diesem Lieblingsgebrauche der Sbhne der griinen Insel ein Ende zu machen, fiihrte die republikanische Par- tei, als sic vor 1 5 Jahren ungefahr zur Herrschaft gelangte, allent- halben das Registrirungsgesetz ein, dessen Wirksamkeit ich schon beschrieben. Aber dieses verhindert nicht, dass die namlichen Leute sich in verschiedenen Wahlbezirken einschreiben lassen und in jedem eine Stimme abgeben. Ebensowenig dass von den Handlangern des herrschenden Ringes eine Fulle vonNamen regis- trirt werden kb'nne, deren Trager iiberhaupt nicht vorhanden, in deren Namen man aber am Wahltage Wahlzettel in den Stimm- kasten steckt. Es verhindert nicht, dass am Wahltage selbst die Handlanger der Partei die Identitat und das Burgerrecht jedes hergelaufenen Burschen gerichtlich beschworen, was diesen in den Stand setzt, der Partei durch Deponirung eines Wahlzettels zu dienen; es verhindert nicht, dass die heri\schende Partei durch ihre Handlanger eine beliebige Anzahl Biirgerbriefe auf fingirte Namen entnehmen lasst, wozu ja bios ein Paar31eineide und eine kleine Geldausgabe von Nothen, und dieselben auf Grund dieser Biirgerbriefe abermals registrirt werden und stimmen. Es ver- hindert endlich nicht, dass man die zuriickgezogen lebenden, sich um die Wahlen schlechterdings nicht kiimmernden Burger in je- dem Wahlbezirke in die Listen eintragen und an ihrer Stelle die Handlanger des Ringes stimmen lasst, wobei es schon oft vor- gekommen, dass, wenn solch ein friedlicher Burger sich am schonen sonnigen Nachmittage eines Wahltages doch noch entschloss, einen Spaziergang zu machen und bei der Gelegenheit seine Stimme ab- zugeben, demselben von den Wahlrichtern zu seinem grosster Er- staunen mitgetheilt wurde, dass er, Herr So und So, wohnhaft 219 da und da, schon am Yormittag gestimmt habe, \vie die AVahl- liste bewiese, und dass man ihn wegen versuchten Wahlbetruges einstecken lassen wiirde. Um Unannehmlichkeiten zu entgehen, zahlt der ruhige Burger, dem die Geschichte nicht recht geheuer vorkommt, an den begleitenden Polizisten im Schatten der nach- sten Ecke ein kleines Trinkgeld und wandert alsdann schleunigst nach Hause, - - zur grossen Genugthuung der Partei, der an einer Untersuchung des Falles nicht das Mindeste gelegen. Aber selbst diese Art eine Mehrheit herzustellen, 1st immer noch zu kostspielig und umstandlich, da man dazu einer grosseren Auzahl stimmender Handlanger und obendrein cines Wahlrichter- collegiums bedarf, das die Augen zudriickt. Denn bei der vor- warts drangenden Entwickelung des Kampfes um die Oberherr- schaft zwischen den concurrirenden Ringen, konnte am Ende die Entdeckung der letzten Consequenz dieses Wahlmodus nicht aua- bleiben, die Entdeckung namlich, dass \venn man ein gefiigiges Wahlrichtercollegium habe, man der stimmenden Burger iiberhaupt entbehren konne. Diese Entdeckung vereinfacht die ganze Proce- dur. Anstatt hundert, zu jedem Meineid bereite Handlanger als Stimmgeber arbeiten zu lassen, slellt man nur die drei Gewandte- sten und Pfiffigsten dieser Schaar als Wahlrichter an , und kann der anderen 97 nicht nur ganzlich entbehren, sondern hat auch die Hcrstellung einer Mehrheit, so gross als man sie nur haben will, mit vollkommener Sicherheit in Handen. Die geheime Abstimmung macht dies nicht nur moglich, sondern fur die Betheiligten so lange sie unter sich einig sind, vollkommen ungefahrlich. Demi Niemand ist im Stande, sich eine zuverlassige Meinung iiber das Ergebniss der Abstimmung zu bil- den und das von den Wahlrichtern einstimmig verkiindete Resultat muss als unanfechtbar gelten. Das wirklich Entscheidende ist also nicht, wie naiver Weise angenommen wird, die Abstimmung der freien, souveranen Burger selbst, sondern die nachherige Zahlung der Wahlzettel. Ergibt nur diese Zahlung eine Mehrheit fur die Partei, so kann es ihr im Grunde hochst gleichgiltig sein, wie die Wahler in Wirklichkeit und Wahrheit gestimmt haben. So racht sich der Versuch, Leute durch Formen zu dem zu machen, was sie thatsachlich nicht sind, dadurch, dass diese For- men selbst das beste Mittel abgeben, den beabsichtigten Zweck thatsachlich zu Nichte zu machen. Die naturgemasse , im Laufe der Entwickelung urivermeidliche Folge davon, dass man Leute, die in Wirklichkeit nicht ,,Unabhangigkeit" genug besitzen, ihre Meinung frei und offen auszusprechen, fur ,,freie" Manner erklart, und ' ihre Freiheit 5 ,beschiitzt", weil diese hochst merkwiirdige Sorte Freiheit nur unter der Abhangigkeit des Schutzes existiren kann, den ihr die geheime Wahlabstimmung gewahrt, ist die dass die 220 Wahlen dieser papierfreien Manner zu einer papiernen Form ge- worden sind, worin nicht Manner, sondern Papierzettel das ent-- scheidende Urtheil sprechen, und der den Sieg davontragt, der die Geschicklichkeit besitzt, die grosste Anzahl der ihm giinstigen Papierzettel aus clem Wahlkasten herauszuzahlen. Meineide und Taschenspielerkiinste bestimmen, wer die geschiitzten freien Manner regieren soil. Und sie konnen nur in den Landgemeinden nicht zur Anwendung gelangen, wo die Manner wirklich so frei sind, ihre Meinung offen zu bekennen und zu verfechten, und des Schutzes der geheimen Abstimmung also nicht bediirfen. Die einzige Garantie, dass es mit dem Stimrnkasten und mit der Abstimmung ordnungsmassig zugehe, besteht in dor Anwesen- heit eines Wahlrichters, der der ahderen Partei angehort, und gewohnlich in der einer Anzahl Burger beider Parteien bei der Zahlung, Was die letzteren Zeugen betrifft, so sind sie auf leichte Weise dadurch zu beseitigen, dass man den betreffenden Raum gleich beim Anfange der Zahlung mit einer Heerde wiister, tabak- kauender, streitsiichtiger Klopffechtcr fiillt, die jedem anstandigen Menschen die Lust verleiden, zum Besten der Allgemeinheit in ihrer Mitte zu verweilen und die Zahlung zu iiberwachen. Sollte dennoch Jemand kuhn genug sein, dies zu wagen, so hat man nur nothig ihn durch Jene in eine entfernte Ecke drangeri zu lassen. Damit ist man diese Zeugen losgeworden, und man hat nur den Einen, den Wahlrichter der Gegenpartei, blind zu machen. Dieser ist entweder einPolitiker oder ein ehrlicher, naiver, ruhiger Spiessbiirger. Den Ersteren blind und verschwiegen zu machen, ist in den moisten Fallen gerade so leicht als den Letzteren, der Taschenspielerkiinste nur vom Horensagen und das Alphabet nur oberflachlich kennt, hinter's Licht zu fuhren. So zahlt man denn aus dem Wahlkasten gerade so viele Stimmzettel heraus, als man braucht, um der eignen Partei die beiiothigte Mehrheit zu sichern. Folgendes Beispiel wird zeigen, wie dieser "Wahlbetrug im Jahre 1868 bei der Herbstwahl, in der Prasident Grant erwahlt wurde, im Staate New- York ausgeubt wurde. In deii Landdistrik- ten dieses Staates hatten, wie allgemein bckannt war, die Republi- kaner die unzweifelhafte Majoritat, wahrend in der Stadt New- York und Umgegend die Demokratie, deren Candidaten in jenem Wahlkampfe Seymour als Prasident und Hoffmann als Gou- verneur waren, von jeher die Mehrheit besass. Um ein der letzteren Partei giinstiges Wahlergebniss herzu- stellen, schickte der Vorsitzende des demokratischen Staatsaus- schusses, der die Oberleitung der Partei in Handen hat, folgendes Rundschreiben an die Vorsitzer der demokratischen Parteiaus- schusse der einzelnen Counties: 221 Privatangclegcnheit. Unter strcngster Verschwiegenheit. Aus dem Hauptquartier des demokratischen Staats- Ausschusses, den 27. Oktober 1868. Werther Herr! Haben Sie die Giite, und setzen Sie sich ohne Verzug mit einer verlassigen Person in drei oder vier der hauptsacblichsten Landgemeinden und in jeder Stadt, die in Ihrem County liegt, in Verbindung, und ersuchen Sie dieselben (fur die Kosten ist ge- biihrende Sorge getragen word en) an Herrn William M. Tweed, in Tammany Hall, zu telegraphiren, sobald die Stimmkasten ge- schlossen sind und obne auf die Zahlung zu warten, was dcr Schatzung des Betreffenden nach, in jedem dieser Wablbezirke das Wahlergebniss sein mag . . . Wir hoifen dadurch natiirlich eincn wichtigen Z\veck zu erreichen. Durch eine gleicbzeitige Ueber- sendung der Nacbricbten bis zur Stunde, in welcher die Stimm- kasten gescblossen werden, aber ohne langer zu warten , macben wir Gebrauch von dem gewohnlichen halbstundigen Stillstande im telegrapbiscben Verkehre, der zu dieser Zeit einzutreten pflegt und so lange dauert, bis die wirklicben Resultate der Zahlungen be- kannt zu werden anfangen und bis die Vereinigte Zeitungspresse" die Telegrafenlinien mit ibren Berichten vollstandig in Anspruch nimmt, die Moglichkeit abscbneidend , Botschaften an Privat- personen abzuschicken. Treffen Sie Aristalten, dass die Zahlung sorgfaltig uberwacht werde. Sebr aufricbtig der Ihrige Samuel J. Til den, Vorsitzer. In alien Landdistrikten gewann die republikanische Partei einen entschiedenen Wahlsieg, und die der Presse zugehenden Zahlungsberichte berechtigten zu der Meinung, dass der ganze Staat sich fur die republikanische Partei entschieden habe. Aber aus der Stadt New- York selbst liefen keine Berichte ein. Die Wahlrichter verzogerten narnlich die Zahlung der Stimmzettcl absichtlich so lange als moglich, bis weit nach Mitternacht hinaus, Unterdessen waren in Beantwortung des obigen Cirkulars liber 200 Privattelegramme an Tammany Hall, dem Hauptquartier des New-Yorker Hinges eingelaufen, und schon um halb 8 Uhr Abends hatte man dort Berichte von einem vollen Drittel des Staates, aus denen man, da die Stadt NeMr-York und Umgegend ungefahr das zweite Drittel bildet, auf das letzte Drittel mit beinahe vollkom- mener Sicherheit schliessen durfte. Man wusste demnach welche Majoritat ^nan in den unter der Obhut demokratischer Wahlrichter stehenden Wahlbezirken der Stadt herauszahlen musste, um die republikanische Mehrheit der Landdistrikte zu liberflugeln. Und 222 man zahlte sie heraus. Allein in vier Wards, cler 4. 6. 7. und 14., die ihrer Bevolkerung nach im Ganzen ungefahr 12,000 ge- setzliclie Stimmgeber enthalten mogen, ergab die Zahlung eine demokratische Mehrheit von nicht \veniger als 17,443 Stimmen. Der Bericht des Untersuchungsausschusses, den der Congress in dieser Sache ernannte, schliesst folgendermassen : ,,Zieht man alle Thatsachen zusammen, so gelangt man zu der sicheren Schatzung, das die ganze Anzahl falscher und betriigerischer Stimmen bei der Novemberwahl 1868 im Staate New-York nicht weniger betrug, als 50,000, wahrscheinlich aber diese Zahl weit iiberschritt. " Aber was that's? Die demokratische Partei hatte gewonnen und regierte den Staat, die freien Manner aber mussten sich ent- weder unterwerfen oder gewaltsam rebelliren. Die ganze Sache ware ubrigens kaum an's Tageslicht gekommen , ware nicht einige Monate spater unter den Hauptern des Tammany-Hinges ein Streit um die Yertheilung der Beute ausgebrochen, in dessen Verlauf das Spriichwort: Wenn die Spitzbuben sich zanken, erfahren die ehrlichen Leute wie es zugegangen! sich bewahrheitete. Was in New- York zu Gunsten der Demokraten geschieht, davon macht man in Philadelphia zu Gunsten der republikanischen Partei Ge- brauch, und die Wahlbetriigereien, die in dieser Stadt im Herbste 1872 in der grossartigsten Weise ausgeiibt wurden, trugen nicht wenig zur Wiederwald des Prasidenten Grant bei. Dieselben Erfahrungen und Kenntnisse werden von den poli- tischen Ringen allerorten zur Anwendung gebracht, soweit dieselbe eben zulassig. Zulassig ist sie aber mit geringen Unterschieden in alien grosseren Stadten und Wahlbezirken, und iiberall wo man eine blind fanatische, mit der Partei durch Dick und Diinn gehende Masse von Wahlern, wie es z. B. die unwissenden Neger des Siidens sind, zur Yerfugung hat, vermb'ge deren man eine aus- reichende Controlle der Wahl und der Stimmkasten seitens der ehrlichen und ruhigen Burger unmbglich macht oder doch sehr beschrankt. Wo dagegen diese Klasse entweder gar nicht oder nur sehr schwach vorhanden, wo durch persb'nlichen Verkehr die Bewohner eines Wahlbezirkes ihre Gesinnungen gegenseitig austauschen und imtereinander bekannt geworden sind, wo die einzelnen Wahler in einem Zustande gewisser Unabhiingigkeit ich meine nicht Wohlstandes von einander leben, und in Folge dessen ihre Ansichten frei und offen aussprechen, wie es in den ackerbau- treibenden Landgemeinden der Fall ist, da sind alle diese Wahl- betrugereien unmoglich, die Ringe der Politiker haben keine Gewalt oder konnen sich nicht bilden, und sogar die Primarwahlen soweit solche uberhaupt vor" sich gehen und nicht durch die 223 Aufstellung von Candidaten in offener Volksversammlung oder durch das ganzlich unabhangige Auftreten derselben ersetzt werden, ge- ben dem Yolkswillen noch ehrlichen und unverfalschten Ausdruck. Wenn aber auch die Politiker die Gemeindeverwaltung der Landgemeinden selbst nicht zu beherrschen im Stande sind, so macht sich ihr Einfluss doch auch in den landlichen Gegeriden auf der Stelle wieder geltend, bei der Erwahlung aller Beamten und Volksvertreter, deren Bezirke die Grosse des durchschnitt- lichen Gesichtskreises der landlichen Bevblkerung uberschreiten. Sobald der einzelne Wahler eines Mittelmannes bedarf, dem er sein Vertrauen iibertragen muss, hat der Politiker die Pforte gefunden, wodurch er sich Eingang verschafft zu dem Platze den er bald mit Ausschluss aller nicht zu seiner Zunft Gehorigen allein be- hauptet. Er beherrscht demnach in geringerem Maasse die County - verwaltungen der Landdistrikte, und fiihrt beinahe die unbestrittene Herrschaft in der Staatsverwaltung und den Gesetzgebungen sogar der Staaten mit fast ausschliesslich ackerbautreibender Bevolkerung. Um diese Beherrschung so vollstandig und sicher als moglich zu befestigen, sind zwei Einrichtungen getroffen, wovon die Erste besonders in alien Staatsgesetzgebungen zur Geltung gelangt, wah- rend die Zweite ein wesentlicher Bestandtheil der Parteiorgani- sation ist. Die Erste besteht darin , dass die Gesetzgebung beinahe sammtlicher Staaten nur aus einer verhaltnissmassig sehr geringen Anzahl Mitglieder besteht. Vorgeblich aus Sparsamkeit, in Wahr- heit aber zunachst um die grb'sseren Wahlbezirke zu erhalten, die den Politikern Gelegenheit bieten, sich als Volksvertreter ein- zudrangen und die unbcquemen ehrlichen Burger fern zu halten. Dann aber ist es ungemein viel leichter reritirende Unternehmungen einer kleinen Anzahl Gesetzgeber plausibel zu machen, und endlich ist der Verdienst jedes einzelnen bedeutender, Eine kleinere An- zahl kann mit anderen Worten den Staat nicht nur ungenirter ausbeuten, sondern es wird ihr auch leichter, durch den grb'sseren Antheil an der Beute, etwaige ehrliche Mitglieder, die der Zufall in ihre Mitte fiihrt, zum Eintritte in die Ringbrliderschaft zu bewegen. Um Gesetzgeber , die der ziinftigen Politik nicht angehoren, dennoch zu zwingen , sich der Entscheidung der Politiker zu fiigen, hat man die Einrichtung des ,,Cau cus" erfunden, und sie zu einem unzertrennlichen Bestandtheile der Parteiorganisation ge- macht. Der Caucus ist in einer gesetzgebenden Versammlung genau dasselbe, was in einer allgemeinen Volkswahl die Primar- wahl und die Parteiconvention ist. Er besteht in einer Ver- sammlung sammtlicher der Partei angehorigen Mitglieder , welche die zur Vorlage kommenden Gesetzesentwiirfe in Berathung zieht, 224 und Beschliisse iiber die von der Partei einzunehmencle Stellung fasst, welche fiir jedes einzelne Mitglied als bindend angesehen \verden. In den Caucus- Versammlungen nun 1st es beinahe un- ausbleiblich , dass die unter sich verbundenen, ziinftigen Politiker iiber die vereinzelten , ehrlichen und in sehr vielen Fallen land- lich-naiven Mitglieder der Partei, sogar wenn Letztere in ent- schiedener Mehrheit sich bennden sollten, den Sieg davontragen. Und da sich diese , gerade weil sie in gewissem Maasse ehrlich und naiv sind, durch die Caucusbeschlusse weit mehr gebunden fiihlen , als geriebene und bewanderte Leute, ist es moglich ge- worden, in den Caucusverhandlungen sogar solche legislative Maassnahmen voraus festzustellen und derenDurchfiihrung zu sichern, die ihrem Inhalt und Wesen nach mit der Parteipolitik gar Nichts zu schaffen haben, aber grade um deswillen den sich ihrethalben bemiihenden Politikern die besten Sporteln abwerfen. Weitaus der grosste Theil aller Gesetzesentwiirfe , die den Staatsgesetz- gebungen vorgelegt werden, gehort dieser Gattung an. Und das thatsachliche Ergebniss des Systems ist das, dass in jeder Staats- gesetzgebung eine geringe Anzahl ziinftiger Politiker, meist den corrupten Ringen der grossen Stadte angehorig, den Caucus ihrer Partei und damit die ganze Gesetzgebung beeinflussen. Diesen ' maassgebenden Einfluss verwerthen sie dann wieder in den Yor- hallen der Sitzungssale , der L o b b y , an die dort sich aufhaltenden Vertreter aller Arten von Unternehmern. Come down ist der Kunstausdruck, der so viel heisst, als: ,,Zahlt, wenn ihr Etwas erreichen wollt." Das System des Caucus, in der Unentbehrlichkeit einer Organisation der sich gegenuberstehenden Parteien begriindet, ge- langt in alien vertretenden Korperschaften grosserer Bevb'lkerimgs- bezirke, mogen dieselben Counties, Stadte, Staaten oder endlich die gesammte Republik sein, zur Geltung, die besondcrs da, \vo, wie im Congresse, nur zunftige Politiker sitzen, unbestrittcn ist, und iiber die einzelnen Mitglieder eine despotische Gewalt ausubt. Denn wagt es Einer, von den Beschliissen des Caucus abzu- weichen, so wird er sofort mit der Entziehung seines Antheils an der Beute bestraft und uberdies aus der Partei ausgeschlossen. Bei der nachsten Wahl wird selbstverstandlich an Stelle des Ab- truimigen ein der Partei unter alien Umstanden Getreuer aufge- stellt, und wahrscheinlich gewahlt. Die Beute, welche der Partei bei einem nationalen Siege aber in die Hande fallt, besteht nicht nur in der Disposition iiber die Verwendung der offentlichen Gelder, sondern namentlich auch in der Besetzung sammtlicher Beamtenstellen. Wie schon frliher erwahnt, sind namlich sammtliche Bundesbeainte, etwa 50,000 an der Zahl, der sofortigen Entlassung unterworfen. Schon der 225 President allein hat das Recht, sie zu entlassen , und desshalb tritt bei jeder neuen Priisidentenwahl ein ausgedehnter Wechsel in der Besetzung namentlich aller gut rentirenden Stellen ein , in- dera der neue President die Patrioten, die sich im Wahlkampfe auszeichneten , damit belohnt. Allerdings bedarf er hierzu der Zu- stimmung des Bundessenats, und hieraus hat sich ein gewisser Gebrauch betreffs der Vertheilung dieser Beute herausgebildet. Es wird namlich alien der Partei angehorigen Senatoren und Congress-Reprasentanten das Recht zugestanden , fur die in ihrem Wahldistrikte zu besetzenden Bundesamter die geeigneten Candi- daten vorzuschlagen. Der President behalt also im Grunde ge- nommen nur das Besetzungsrecht in solchen Gegenden, deren Vertreter der Gegenpartei angehb'ren, sowie in den im Auslande zu besetzenden consularischen und Gesandten-Stellungen. Dies hat zwei wichtige Folgen, Erstens nimmt dadurch der Congress- Reprasentant , von dem die Inhaber der meist ziemlich eintraglichen Beamtenstellen seines Distriktes betreffs Fortdauer ihrer Stellung abhangen, gewissermassen die Stelle eines Hauptlings der Partei in demselben em, wodurch die Organisation der ziinftigen Politiker jene monarchische Spitze erhalt, die im Kampfe urn die Herrschaft ihr die so iiberaus werthvolle einheitliche Leitung gcwahrt. Mit- unter freilich und besonders in grosseren Stadten, die mehrere Congressdistrikte enthalten, sind die Congressreprascntanten unter- geordnete Politiker; die Oberleitung und thatsachlich die monarchische Gewalt in solchen Stadten fallt einem Mamie zu, der sich gewohnlich durch organisatorisches Talent , eine riick- sichtslose, brutale Energie , namentlich aber auch durch die Fahig- keit mit den untersten Volksschichten , aus denen er in der Regel hervorgegangen , auf popularem Fusse zu verkehren und ihnen doch zu imponiren, hervorthut. Solch' ein Mann, der in der That in den Stadten der freien Republik der Vereinigten Staaten heutzutage ganz dieselbe Rolle spielt , wie der Tyrann einer freien griechischen Stadt im Alterthume , und der in Amerika Boss (Meister) genannt wird, ist William Tweed, der, zeitweilig im Zuchthause gewesene Boss der Weltstadt New-Y0rk. Seines- gleichen findet sich fast in jeder grosseren Stadt in den Vereinigten Staaten, natiirlich mit dem TTnterschiedc , dass nicht ein Jeder von ihnen im Zuchthause sitzt , und bei Vielen man sich kaum der Hoffnung hingeben darf, dass es jemals gelingen werde, sie hineinzubringen. Die zweite Folge des erwahnten Gebrauches ist die sehr wichtige , dass man sich damit der Parteitreue der einzelnen Mit- glieder des Congresses versichert. Denn da diese Herren keine ehrlich naiven Bauern, sondern gewitzte und geschulte Poli- tiker sind , so kann man von ihnen Parteitreue aus blosser Ueber- 29 220 zeugung nicht erwarten. Der Beuteantheil, der ihnen in der Ver- fligiing iiber die Aemter ihres Distriktes zusteht, ist ein viel festeres Band. Sobald nun Einer dieser Herren sich erdreistet von den Caucusbeschliissen abzuweiclien und trotz Ermahnungen nicht sofort wieder einlenkt, vollzieht der President sogleich die Pflicht , die er der Parteiorganisation schuldet , und entliisst alle dem Renegaten freundlich gesinnten Bundesbeamten des betreffenden Distriktes, insoweit dieselben iricht sofort ihren Abfall von Jenem, dem sie ihre Anstellung zu verdanken haben , und ihre unver- bruchliche Parteitreue unzweifelhaft beweisen. Die leergewo.rdenen Stellen werden mit getreuen Anhangern der Partei besetzt, und die erste Pflicht aller Bundesbeamten des Distriktes besteht darin, den betreffenden Renegaten auch in seiner Heimath aus der Partei- Organisation hinauszuwerf en , seine Macht und seinen Einfluss zu vernichten und einen Andern an seine Stelle zu bringen. So wurde z. B. der Bundessenator von Missouri, der Deutsche Karl S churz, vor nunmehr drei Jahren geziichtigt, weil er sieh unterfing, einigen Maassregeln der Partei und des Prasidenten , z. B. dem San Domingo Annexions- Plane zu opponiren. Es lasst sich be- haupten, dass eine grosse Anzahl der gegenwartigen Mitglieder der republikanischen Partei nur aus Furcht vor solcher Ziichtigung den Gewaltmaassregeln und den Umtrieben zu Gunsten der Wieder- erwahlung Grant's beistimmten. Namentlich dem Prasidenten selbst aber verleiht die ab- hangige Stellung der Bundesbeamten eine s oldie ungeheure Gewalt, dass er, besonders wenn er ein riicksichtsloser energischer Mann, dadurch im Stande ist, die Parteiorganisation beinahe unbedingt seinen Zwecken dienstbar zu machen. Ein Heer von 50,000 Beamten und ein viel grosseres Solcher, die gern ein Amt haben mochten , stehen ihm als blinde Werkzeuge zu Gebote , sammt und soriders erfahrene Zunftpolitiker, die die Bearbeitung des Volkes und die Herrichtuug passender Wahlergebnisse auf s Grlindlichste verstehen. Setzt er dieses Heer zum Zwecke seiner Wiedererwahlung , bei der Jeder von ihnen obendrein personlich mit der Fortdauer seines Amtes interessirt ist , in Bewegung , so durfte eine wirksame Opposition jedenfalls nicht aus der republi- kanischen Partei selbst hervorgehen , wie denn auch die Wieder- erwahlung des derzeitigen Inhabers der Prasidentenwurde im Jahre 1872 einzig und allein der Beherrschung der Parteiorganisation durch dieses Beamtenheer zuzuschreiben ist. Ich will an dieser Stelle nicht unterlassen , zu erwahnen, dass es einen Zweig des offcntlichen Dienstes in den Vereinigten Staaten gibt, in welchem eine Anstellung und Beforderung nach regelmassigen Principien stattfindct. Es sind dies die Offizier- stellen in der Annee und der Marine, zu welchen nur jene 227 ernannt werden , welche aus der Militar-Akademie zu Westpoint, im Staate New- York, ocler der Marineschule in Annapolis, im Staate Maryland, hervorgehen. Unzweifelhaft sind diese Armee- und Seeoffiziere von alien Beamten der Vereinigten Staaten weit- aus die ehrlichsten und fahigsten, womit iibrigens nicht behauptet werden soil , dass sie in beiden Beziehungen als Muster aufgestellt zu werden verdienten. Unter ,der Freiwilligenarmee des Secessionskrieges dagegen kam , auf nb'rdlicher Seite wenigstens , das amerikanische Princip : Every body is fit for every thing. (Es passt ein Jeder fur Alles !) in der Ernennung der Offiziere zur allgemeinen An- w r endung; diese Stellen wurden als Belohnung fur politische und Rekrutirungs-Dienste allgemein ausgetheilt. Rechtsanwalte , die nie einen Soldaten gesehen , avancirten iiber Nacht zu General- Majoren, und liessen die ihnen unterstellten Freiwilligen auf's Gerathewohl dem Feinde entgegenmarschiren, wahrend sie auf beinahe ununterbrochenem Urlaub in der Bundeshauptstadt im Glanze der Epauletten herumstolzirten und zu Gunsten ihrer wei- teren Before! erung Drahtzieherei trieben. Sogar hervorragende Redner und Staatsmanner und fremde Abenteurer verscbafften sicb mittelst ihres politischen Einflusses oder des w Lobbytalentes" ihrer Frau Gemahlin Generals- und Oberstenstellen. Fortwahrend wur- den neue Regimenter gebildet, um neue Offiziersstellen fiir diese Sorte Patrioten zu schaffen, wahrend die alteren Regimenter oft nicht mehr genug Gemeine besassen , um die nothigen Lagerschild- wachen aufzustellen. Noch im letzten Jahre des Krieges, als die ersten Freiwilligen bereits drei Jahre Kriegserfahrung hinter sich batten und Veteranen geworden waren, ruckten ganz neue Regi- menter mit grasgriinen Offizieren in's Feld, und die epaulettirten Rekruten unterfmgen sich, den Veteranen Befehle zu geben. Der Versuch gelang freilich nicht oft, war aber nicht sehr geeignet, die Disciplin zu befestigen. Xoch will ich hinzufugeii , dass man wirklich vor einigen Jahren einen Versuch gemacht hat, das Beamtenwesen der Ver- einigten Staaten umzugestalten. Man wollte,- als Vorbedingung der Anstellung Fahigkeits - Priifungen einfiihren. Das ganzlichc Misslingen des Versuches zeigt nicht nur die iiberwaltigende Macht der Parteiorganisation, >sondern auch die Schwierigkeit unter Ver- haltnissen, wie sie gegenwartig in den Vereinigten Staaten be- stehen, einen geeigneten und sich Anerkennung erwerbenden Maassstab der Fahigkeit und Tiichtigkeit aufzustellen. Die letztere Schwierigkeit war die Handhabe, die sich den Politikern bot / um die unbequeme Civildienst- Reform, die der Parteidisciplin einen Schlag zu yersetzen drohte, indem sie die freie Vertheilung der allgemeinen Beute an die Parteihandlanger einschranken wollte, 228 bei Seitc zu setzen. Sic stellten nicht mit Unrecht die Frage: Warum ein Mensch, der in einem Examen den Besitz gewisser Kenntnisse nachzuweisen im Stande sei, gerade fur dieses und jencs Amt der geeignetste sein miisse? Sie verlangten, dass der nothwendige Zusammenhang z\vischen der Fahigkeit, die vorge- schriebenen Priifungsfragen zu beantworten und der Tiichtigkeit desselben Individuums ein Amt zu verwalten erst ausser alle Zweifel gestellt werclen miisste, ehe das Yolk an ein System der Prufungen glauben \\iirde. Sic wiesen mit vollem Rechte darauf bin, 'dass die Gesammttuchtigkeit eines Mamies viel weniger von seiner - haufig nur ganz formellen Schulbildung, als von seiner Lebensbildung abhinge. Ihre Einwande geniigten vorerst, die vorgeschlagene Civildienst-Reform ganzlich wirkungslos zu machen, und sie allmahlig einschlafen zu lassen. Und es unteiiiegt keinem Zweifel , dass ein System von Priifungen sich in den Vereinigten Staaten nur clann Anerkennung zu erwerben im Stande sein wiirde , wenn es die obigen Einwiirfe wirklicb zur vollkom- menen Befriedigung des Publikums beseitigen konnte. 'Die IrlSnder. Wir haben im Vorgehenden gezeigt , wie vermoge der Partei- Organisation cine geringe Minderheit ziinftiger Politiker mit ihrem Anhange., die zelin Procent aller Wahler nicht zu iibersteigen braucht und in "Wirklichkeit wohl noch bedeutend hinter dieser Zabl zuruckbleibt, vollstandig geniigt, die Herrschaft iiber das Volk zu behaupten. Allerdings ist diese Herrschaft eben so wenig unbeschrankt, als es jemals die Herrschaft eines Despoten iiber sein eigenes Volkswesen. die Autoritat einer Religion iiber ihre Glaubigen odcr einer alten Zeitung iiber ihre treuen Leser ist. Die Partei- Organisation und die politischen Ringe, die sie beherrschen, milssen sich vielmehr dem Urinstinkte der Volksmassen ihrer Partei und seiner allgemeinen Richtung anpassen. Alle jene Autoritaten gleichen gewissermassen einer Person in einem ruder- und steuer- losen Floss , das auf der wind- und sturmbewegten Oberflache eines weiten, tiefen und in stetiger Ruhe dahinfliessenden ufer- 229 loscn Stromes dahintreibt. * Diese mag wohl versuchen, in dieser oder in jener Richtung bin , ihr Fahrzeug mit den Handen zu be- wegen; wenn der Wind giinstig, mag sie scheinbare Fortscbritte machen , aber der Wind dreht sich , sie treibt wieder in entgegen- gesetzter Richtung , und hierhin und dorthin, und doch wird sie wahrend dieser ganzen Zeit mit der Stromung fortgefiihrt , ohne es auch nur zu ahnen. Nun sollte man allerdings meinen , dass in der Nebenbuhler- schaft zweier Parteien eine Gewahr gegen den Missbrauch der Partei-Organisation lage. Denn die Bevolkerung babe ja nur nb'thig, wenn die Politiker der berrschenden Partei es zu arg trieben, sich der anderen Partei anzuschliessen , die sie jederzeit gern aufnehmen wiirde. Trate diese wieder in die Fusstapfen der alten, was doch immerhin langere Zeit dauern diirfte, so ware unterdessen schon wieder eine andere Partei vorhanden, die gern die Ziigel der Regierurg in die Hand nehmen wiirde. In dieser Ansicbt liegt allerdings etwas Wahres, und es mag auch unter Umstanden diese Nebenbuhlerschaft die gewiinschte Wirkung iiben. Aber in den Vereinigten Staaten ist dies nur in sehr geringem Maasse der Fall. Denn in der grossen Masse des Volkes waltet ein Parteifanatismus vor, der eher alle Stinden und Missbrauche der eigenen Partei ertragt, als sich der anderen Partei anschliesst. Von diesem Fanatismus sind mehr oder minder alle Theile der Bevolkerung ergriffen. Jedoch existirt er bei den verschiedenen Elementen in sehr verscbiedener Starke. Abgesehen von der Negerbevolkerung, sind es vor allem die Irlander, die davon beherrscht werden. Wahrend bei den anderen weissen Bevolkerungselementen es als Ausnahme zwar aber doch fortwahrend sich zutragt, dass Manche von der Partei sich abwenden, kommt Solches bei den Irlandern n i e vor. Dieses Element stimmt vielmehr immer und jederzeit als eine unzertrennliche , blinde Masse fur jene Partei oder Organisation , welcher sich ihre Flihrer angeschlossen haben und es ist beinahe unerhb'rt, dass auch nur Einzelne es jemals wagten, von der Masse in irgend einer Beziehung abzu- weichen. Was immer die Betriigereien und Missbrauche seien, deren sich seine Fiihrer schuldig gemacht, wie klar diese auch erwiesen sein mb'gen, der Irlander wird in seiner Anhanglichkeit und Treue nie wankend und stimmt fur die Candidaten der Partei, ganz besonders, wenn sie seiner Nationalitat angehoren, mit ebon so grosser Einmiithigkeit und Begeisterung, ob sie offenbare Verbrecher oder die ehrlichsten Leute sind. Ich muss hier bemerken, dass ich als Irlander nur die- jenigen Eingeborne der Insel betrachte, die von wirklich alt- irischem d. h. keltischem Stamme sind. Die Nachkommen der 230 hauptsachlich seit Cromwell in Irland 'eingewanderten Englander und Schotten , zwischen welchen und den keltischen Iren ein er- bitterter National- und Religionshass besteht, die von jenen als ,,sachsische Eindringlinge" verabscheut werden, haben mit den- selben nichts gemein, als die zufallige Geburt auf der griinen Insel. .Sie sind sammt und senders streng protestantisch , wahrend der keltische Irliinder ein der rb'mischen Kirche blind ergebener, fanatischer Katholik ist, der wahrend eines mehrhundertjahrigen, von Seiten Englands zu Gunsten des Protestantismus ausgeiibten Druckes nie in seiner Anhanglichkeit an die katholische Kirche gewankt und ihre Priester durch freiwillige Spenden erhalten hat, obw T ohl ihn zu gleicher Zeit die vom Staate auferlegte Besteuerung zwang, den Unterhalt der Priester der englischen Hochkirche zu bestreiten, die in jeder ausschliesslich irischen Gemeinde vor leeren Banken predigten. Schon allein dieser fanatische Katholicismus wiirde genligen, das irische Element der Masse der amerikanischen Bevolkerung gegeniiber in gegnerische Stellung zu bringen, deren Unversohn- liclikeit sich tiber alle anderen Riicksichten hinwegsetzt. Denn der Amerikaner, speciell der echte Eingeborne der sogenannten Neu-England-Staaten, der Yankee" war vor Kurzem noch ein nahezu ebenso fanatischer Protestant, als der Irlancler Katholik. Er hasst ganz besonders den Katholicismus , den er nur ,,Papis- miis" nennt und fiir eine argere Abscheulichkeit als Heidenthum halt. Man kann sogar heute noch in fast alien englischen Blat- tern des Landes Anzeigen dutzendweise finden, welche selbst die so iiberaus seltenen Dienstmadchen nur mit der Bemerkung suchen : No Catholics need apply ! ICeine Katholiken brauchen sich zu melden ! 4 ) So fanatisch , wie die Masse der Irlander in ihrem religib'sen Bekenntnisse ebenso fanatisch sind sie in der Politik. Gegen alle Versuche, sie durch Ueberredungen und Argumente zu beeinflussen, verhalten sie sich gauzlich unzuganglich , und traiien einzig und allein den Fiihrern, die sich zur Autoritat iiber sie emporge- schwungen haben, die fortan die Stellung einnehmen , welche in der keltischen Stammesorganisation die Hauptlinge der alten Clans" besassen. Zweifellos lebt diese Clanorganisation im Her- zen des. irischen Volkes iinmer noch fort. Nichts ist einem Poli- tiker dieser Nation giinstiger, nichts verschafft ihm schneller eine hervorragende Stellung, als wenn er ein Abkommling einer alt- irischen Konigsfamilie ist (sie selbst nennen ihre ehemaligen Stammeshauptlinge ,,Konige" und die mythischen Heldenthaten dieser ,,Konige" werden von ihnen immer noch mit grenzenlosem 1) Illustration zu der so oft und gem geruhmten Duldsamkeit des Protestantismus I 231 Stolze hervorgehoben) : oder , wenn er auch . nur den Namen einer solchen tragt. Ein O'Brien, ein O'Neill ist von vorn- herein ein Hauptling unter seinem Stamme. Und wenn er oben- drcin ihrer speciellen Heimath angehort, wenn seine Familie sich dort durch besondere Feindschaft gegen die ,,Sachsen" hervor- gethan und der katholischen Kirche treu ergeben gewesen ist, wenn er endlich ein Kerl von brutaler, physischer Kraft und immer bereit ist , Jed en , der ihm in den Weg kommt , mit der Faust niederzuschlagen , so geniesst er eine unbegrenzte , beinahe religiose Verehrung und ist ein unumschrankter Herr und Herr- scher seiner treu ergebenen Stammesangehorigen. Dieser Clangeist aussert sich sogar im starksten Maasse in ihrem gegenseitigen Verkebr. Der einer anderen Gegend ihrer Heimath entsprossene Kb'nigssohn, Faustkampfer und Politiker mag der unbegrenzten Anhanglichkeit seines eigenen Clan's, d. h. der Leute aus seiner heimathlichen Gegcnd vollkonimen sicher sein, es wird ihm aber nicht gelingen, die einem anderen irischen Clan entsprossene Bevb'lkerung soweit fiir sich zu gewinnen, dass sie nicht bei dem geringsten Zwiste ohne jede Untersuchung des Streitfalles sofort einmiithig ihren eigenen Fiihrer-n folgen wiirde. Aber welche Feindschaft, uralter Stammeshass und Streitig- keiten zwischen den einzelnen Clan's auch bestehen mogen, dem Fremden, und speciell dem protestantischen grimmig gehassten Sachsen gegentiber sind sie stets einig, und immer bereit fiir ihre Hauptlinge in's Feuer zu gehen , gleichviel wie dieselben sich be- nommen. Xicht nur stimmen sie oder, wenn nothig, schlagen sie sich (im rohen Faustkampfe vorzugsweise) soviel und soweit es das Interesse ihrer unskrupulosen Fiihrer diktirt ohne jedes Be- dauern , nein , sie thun dies sogar mit grosster, unverhiillter Ge~ nugthuung. Der Ursprung des sie hierbei leitenden Gefiihles ist fiir unsere Betrachtung ganz gleichgiltig. Sicher ist, dass der durchschnittliche Irlander Gesetzesverletzungen Angehoriger seines weiteren oder engeren Stammes, gegen Fremde begangen, nicht nur nicht verabscheut, sondern sogar vom Herzensgrunde aus ent- weder begunstigt oder doch entschuldigt. Er empfindet iiber den Nachtheil , den Jene dadurch erleiden , eine gewisse Schadenfreude. Werden solche Gesetzesverletzungen auf staatlichem Felde 'und zum Nachtheile der protestantischen Sachsen ausgeiibt, so be- trachtet er sie gera,dezu als Heldenthaten eines irisch-nationalen, sich in Racheakten'aussernden Patriotismus, und seine Genugthuung ist so gross, dass sie ihn sogar Nachtheile, die solche Hand- lungeii seinem eigenen Interesse zufiigen , vollstandig ver- gessen lasst. Sogar ganz gewohnliche Verbrechen erfreuen sich im hochsten Maasse dieser bewundernden Beurtheilung und es diirften in der 232 That nur wenige Verbrechen aufzufinden sein, die dem Thater nicht die geheime und innige Sympathie der irlandischen Bevolke- rung einbrachten. Im Grunde genommen scheint die Masse dieses Volkes beinahe instinktiv die Meinung zu hegen, dass alle Gesetze nicht zum Schutze der Gesellschaft , sondern lediglich zum Zwecke der Unterdriickung besonders ihrer Nation bestanden, dass demnach jede Auflehnung dagegen gewissermaassen ein ,,Freiheits- kampf", ein Akt der Vergeltung gegen die Unterdriicker sei, als welche der Irlander alle, die nicht seinem Blute oder seiner Sippe angehoren so wie alle wohlhabenden Leute , die nicht in der patriarchalisch-familiaren Weise eines Clanhauptlings mit ihm ver- kehrcn, ansieht. Desshalb verleiht dieser Akt dem Verbrecher in seinen Augen den Nimbus eines sich fur seine Race aufopfernden Freiheitshelden. Welchen Einfluss eine Bevolkerung dieses Charakters , so- bald dieselbe massenhaft in das politische Leben des Staates ein- greift, aussern muss, lasst sich an den Fingern abzahlen. Ein Element , geeigneter als dieses , den zukunftigen Politikern als Mittel zur Beherrschung der Parteiorganisation zu dienen, Hess sich kaum denken. Aber es gab nur ein en Weg, um die Stimmen der Irlander nutzbar zu machen: ihre Clanhaupter ge- winnen. Man n.usste ihnen einen Einfluss und Antheil an der Beute zugestehen , der nicht der verhaltnissmassigen Bevolkerungs- zahl, sondern dem viel hoheren Werthe, den ihr blinder Anhang im Wahlkampfe fiir die Politiker besass , entsprach. So begann denn der Einfluss der Iren sich schon zu einer Zeit zu aussern und von grosser Wichtigkeit zu werden, als von einer Einwirkung des beinahe eben so zahlreichen deutschen Elementes noch keine Spur sich zeigte. In alien grosseren Stadten wurde er binnen Kurzem von entscheidender Wucht. Die Folge dieses Einflusses blieb nicht aus. Die Politiker iiberzeugten sich bald, dass sie im sicheren Besitze einer ihnen blindlings folgenden, geschlossenen Phalanx von Stimmgebern, wie die Irlander, von der b'ftentlichen Meinung der anderen Volks- elemente in alien den Distrikten wenigstens, wo Jene zahlreich wohnhaft, beinahe unabhangig wurden. Demnach konnten sie sich in der Ausbeutung der Herrschaft einen viel grosseren Spiel- raum gb'nnen als bisher. Was sie sich dadurch von den bis- herigen nichtirischen Bestandtheilen ihrer Partei entfremdeten , er- setzten sie durch das wiederholte Stimmen ihrer Getreuen. Aber wie jeder Druck Gegendruck erzeugt, so hatte das fanatisch-intolerante Gebahren der irischen Schaaren, die man mit keinem passenderen Namen als ,,Stimmvieh" bezeichnen kann, zur Folge, dass die Gegenpartei sich allmahlig auch enger zusam- menschloss, und auch in ihr ein Parteifanatismus sich heraus- 233 bildete , der sie zwar zum Siege fiilirtc , zu gleicher Zeit aber den Boden schuf, woraus die riicksichtslose Herrschaft der ziinftigen Politiker emporwachsen musste. Denn indem dieser Fanatismus den Uebertritt von einer Partei zur anderen unmoglich machte, legte er aucb. den ehrlichen Biirgern die Notbwendigkeit auf , sich der unumschrankten Herrschaft der Parteiorganisation soweit zu fiigen, wie es sonst nie geschehen ware. Die irischen Hauptlinge machten iibrigens von der liber- legenen Macbt, welche ihnen die blinde Ergcbung ihrer Clan's in die Hande legte, den ausgedehntesten Gebrauch. Sie beanspruchten nicbt nur iiberall den Lowenantheil von der Beute , sondern warfen sogar in alien Stadten , wo sie sich stark genug fiihlten, auch ohne Beihilfe Anderer zu siegen, ihre Bundesgenosscn, die ameri- kanischen ziinftigen Politiker, denen sie ursprtinglich ihre Erhe- bung verdankten, ohne Weitercs liber Bord imd nahmen die Ziigcl der Regierung selbst in die Handc. Nur den anderen katholischen Elementen liessen sie, dem Einflusse der rb'mischen Kirche nach- gebend, einen gewissen, immer nur sehr untergeordneten Antheil an der Beute zukommen. So beherrschten sie namentlich die Weltstadfc New-York mit nahezu schrankenloser Gewalt. Yerbrecherthum und Rechtspflegre. Wie aus dieser Schilderung der Parteiverhaltniase hervor- geht, ist der Zusammenhang zwischen den herrschenden Gewalten und der Verbrecherklasse in den Vereinigten Staaten durchaus kein blosser Zufall, vielmehr der Ausdruck wirklicher Bundes- Genossenschaft. Den ziinftigen Politikern, denen daran liegt, die Partei-Organisationen und die Wahlen mit moglichst gennger An- zahl arbeitender Anhanger vollkommen zu beherrschen, ist ein Meineide und Gewaltstreiche nicht scheuender Mann ein viel niitz- licherer Genosse, als ein Solcher, den nocb Gewissensskrupel oder Achttmg vor den Rechten Anderer qualen. Noch werthvoller werden solche Helfershelfer , weim ein wescntlicher, und was die Wahlen betrifft, der nurnerisch einflussreichste Theil der ganzen Bevolkerung einen Klopffechter und Verbrecher nicht nur nicht verachtet, sondern sogar als Helden und grossen Mann mit einer gewissen Verehrung betrachtet. 30 So 1st es denn kein Wunder ^ wenn diese Yerbrecherklasse sich in den Vereinigten Staaten ciner gewissen privilegirten Stellung erfreut und ihre etwaige Bestrafung selir unsicher, ihre baldige Pardonirung nach erfolgter Bestrafung dagegen sehr sicher ge- worden. Alle Kerle , die z. B. durcli Gewaltthaten oder Falschun- gen in den Parteiumtrieben besonders werth voile Talente an den Tag legen, finden , sobald sie offentlich vor Gericht gebracht und dadurch bekannt werden , sogleich eine so wohlwollende Freund- schaft an einflussreicher Stelle, dass sie sich einer baldigen, ihre \verth- vollen Talente ausniitzendcn Verbesserung ihrer Lage gewartigen diirfen. Seit Jahren lauft in New- York ein Mensch herura unter dcm Namen ,,Reddy, der Grobschmied" bekannt, der nicht einen, sondern eine ganze Reihe der kaltbltitigsten und brutalsten Morcle und Gewaltthaten begangen. Es fallt der Gerechtigkeit gar nicht ein, diesen Burschen zur Verantwortung zu ziehcn, denn er ist ein irischer Hauptling und geniesst ob seiner JHeldenthaten die ungetheilte und ehrfurchts voile Bewunderung seines Clans. Kerle desselben Charakters, die sich von diesem Vorbilde nur durcli gcringeres Talent unterscheiden, sind Uberall zu finden, und die Gerechtigkeit lasst sie unbehelligt. Die aus einem geheimen Hass gegen alle Gesetze hervor- gehende Sympathie der Irlander ist iibrigens nicht ohne Einfluss auf die amerikanische Bevolkerung selbst geblieben. Hier waltet jene Idee der ,,Humanitat", die da verlangt, dass man den Yer- brecher als ,,irrenden Bruder" betrachten miisse und ilm' folgerecht nicht ,,bestrafen" diirfe , sondern ., aufzuklaren und zu bessern" verpflichtet sei. Daraus ist eine krankhafte Sentimentalitat in Behandlung der Yerbrecher hervorgegangen , welche deren Bestra- fung in vielen Fallen bereits unmoglich macht und einen gesell- schaftlichen Zustand schafft, der naturgemass in der Wiedcrauf- nahme der Blutrache gipfeln muss. Die tonangebende b'fFentliche Meinung in den Vereiuigten Staaten huldigt der Theorie , wonach der Yerbrecher die betreifende Handlung im Zustande der Un- zurechnungsfahigkeit begangen haben miisse. Gegen diese Auf- fassung liesse sich Nichts einwenden, wiirde sie nur zur folge- richtigen Consequenz durchgefiihrt und das betreffende, unzurech- nungsfahige, seiner selbst nicht machtige Indivicluum je nach dem Grade seiner Gefahrlichkeit fur die Zukunft unschadlich gemacht. Aber diese Folgerung zieht man nicht. Die ofl'entliche Meinung begniigt sich vielmehr den irrenden Bruder von jeder bosen Ab- sicht frei zu sprechen , und erldart damit die Sache fur erledigt, ja als Yerfechterin des unverausserlichen Menschenrechtes der Freiheit, verlangt sie dessen Anwendung auf den, eben auf Grund seiner Unzurechnungsfahigkeit fur ,,unschuldig ; ' erklarten ,,Menschen" uud liisst ihn laufen. Der unzurechnungsfahige freie Mensch geht 235 von dannen , freut sich bald seines freien Lebens, bald seiner unzurechnungsfahigen Existenz , und kommt schliesslich rur Ueber- zeugung , dass er das unverausserliche Menschenrecht besitze, zu thun was ihm beliebe. Aber schon elie ihm dieses Privilegium feierlichst durch richterlichen Spruch zugestanden wird , huldigt ibm die bffentliche Meinung mit ihrer Heldenverehrung der Verbrecher. Namentlich Morden oder recht auffallig brutalen Verbrechcn \vird diese im vollsten Maasse zu Theil. Beweise der Sympathie in Gestalt yon Trostbriefen , von Besuchen namentlich des gcfiihlvollen und der Heldenbewunderung instinktiv ergebenen schbnen Geschlechtes iiberwaltigen ihn fbrmlich. Seine Gefangnisszelle gleicht bald dem Audienzsaale eines beriihmfen Mannes. Die Prediger der verschiedenen Religionssekten zerreissen sich um ihn, um die Ge- legenheit nicht zu yerlieren, durch Bekehrung dieses einen Sunders dem Himmel die Freude zu bereiien, die demselben in schnbder Verletzung des Principes der Menschengleichheit ein ganzes Hundert Gerechter nicht machen kbnnen. War der Gerichtshof ausnahmsweise so inhuman, den Mb'rder zum Tode zu verurtheilen, so lasst sich der Sunder auch in der Eegel herab, sich zu be- kehren. Sofort beeilt sich die ganze Christenheit der Nachbar- schaft, ihm einen Pardon auszuxvirken, der gewb'hnlich nach kurzer Zeit mit ganzlicher Freilassung des Bekehrten endigt. So- bald er frei, hat der um seine Himmelfahrt, die der eigentliche Zweck seiner Bekehrung gewesen, Betrogene in der Regel nichts Eiligeres zu thun, als sofort \vieder seinen Werth zu verhundert- fachen, indem er sich aus einem Gerechten abermals in einen Siinder verwandelt, wodurch er, sobald ihm wieder ein mensch- licher Irrthum passirt, zur neuerlichen Bekehrung geeigriet wird. Kennt man nicht die Zustande in den Yereinigten Staaten, so mb'chtc man glauben dass diese Schilderung iibertrieben. Und doch ist sic buchstablich wahr. Schon yor 18 Jahren erinnere ich mich eines Falles, der sich in meinem damaligen Aufenthalts- orte, Chicago zutrug. Ein deutscher Barbier Namens Jumpertz, hatte seine Zuhalterin in Stiicke zerschnitten, in ein Fass gepackt und dieses der Eisenbahn iibergeben, die es nach Oswego, im Staate New-York befbrderte. Die Nachforschungen fuhrten un- zweifelhaft auf Jumpertz, dessen Frau um eben diese Zeit yerschwunden war. Man machte ihm den Process und die Damen der besten Gesellschaft drangten sich so um den Helden, entdeckten so yiele christliche Tugenden an ihm, dass sie ihn mit Hiilfe der Geistlichen schliesslich bekehrten, und die Geschwornen die im ersten Processe nicht iibereinstimmten, sahen sich gezwungen, im zweiten Processe der bffentlichen Meinung Gehbr zu geben, und den lieben, guten Herrn Jumpertz, der wahrscheinlich nur im 236 unzurechnungsfahigen Wahne, er sei ein Professor der Anatomie, geirrt haben miisse, freizusprechen. Was zur Zeit, als der Jumpertzfall sich zutrug, noch als Ausnahme gelten konnte, ist schon seit Jahren allgemeine Regel. Bei jedem Mordprocesse, namentlich wenn ein geschniegelter, junger Mann der Held und die Umstande von besonders auffal- liger Brutalitat waren, drangen sich die Damen und die Geist- lichen um ilin, entdecken dass er ein ganz netter Mann sei, der nur in einem Augenblicke uubegreiflicher Verblendung vom Teufel hingerissen worden, und dass es eine inhumane Schandlichkeit ware, diesen tugendhaften Musterhelden eiries Irr- thums halber bestrafen zu wollen. Das Resultat ist, entweder dass die Geschwornen ihn freisprechen, oder dass ihm so lange fortwahrend ein neuer Process bewilligt \vird, bis dies geschieht, oder endlich dass er doch mit einer sehr geringen Strafe davon- kommt. Der erst kiirzlich im Staate Massachusetts vorgekommene Fall des Knaben Jesse Pomeroy ist besonders lehrreich. Dieser Unhold mordete schon als Knabe von 12 Jahren systematise!! kleinere Kinder. Er wurde endlich gepackt, vor Gericht gestellt, und freigesprochen , weil er offenbar unter einer Monomanie litt. Das Letztere war auch unzweifelhaft richtig. Aber anstatt diesen Burschen, der gerade desshalb der menschlichen Gesellschaft ge- fahrlicher war als ein wildes Thier , wenigstens in sicherem Ge- wahrsam zu halten, liess man ihn wieder laufen. Es wahrte nicht lange, so fand man wieder wie friiher Kinder ermordet in Waldern und hinter Zaunen liegen, und wieder war es derselbe mord- siichtige Bursche, auf den die Spuren hinzielten. Man stellte ihn abermals vor Gericht, und verurtheilte ihn diesmal zu Tode, wo- mit allerdings noch nicht sicher ist, dass er auch wirklich unschadlich gemacht werden wird. Ihren Hohepunkt erreicht die krankhafte Sentimentalitat aber in alien Fallen, die ein pikantes oder geschlechtliches Interesse erregen. Bei ihnen ist jede Spur einer rationell rechtlichen Ent- scheidung abhanden gekommen. Ganz besonders ist die Bestraf- ung eines Frauenzimmers wegen derartiger \ 7 erbrechen vollkom- men zur Mythe geworden. Einer der lehrreichsten Falle ist der Laura Fair Fall, der sich vor niehreren Jahren in San Francisco zutrug. Die Heldin, ein Weib von aussergewohnlicher Schonheit und Talent, hielt um die Mitte der sechziger Jahre in Virginia City, der berlihmten Silberbergwerkstadt im Staate Nevada, ein Kosthaus. Unter ihren Kundeu befand sich ein Advokat Namens Crittenden, dessen Familie zu den hervorragendsten der Vereinigten Staaten gehorte. 237 Besagter Crittenden hatte zwar Gemahlin und Kinder in San Francisco, liess sich aber in seinem zeitweiligen Aufenthaltsorte Nevada von den Reizen der schonen Laura bestricken, die, obwohl noch Jung, doch schon Lebenserfahrungen als gcwesene Ehegattin zweier Manner gesammelt hatte. Er trat in ein jahrelanges zartes Yerhaltniss zu ihr, welches fur die scheme Laura durchaus nicht unprofitabel war, indem Crittenden, der als bekannter und ange- sehener Mann viel Geld erwarb, seine Freundin in den Stand setzte, nach und nach ein Yermb'gen von 70,000 Dollars zu sammeln. Encllich aber fasste Herr Crittenden im Jahre 1869 den Entschluss, das rauhe Virginia City zu verlassen und wieder in den Schoss seiner Familie nach San Francisco zuriickzukehren. Er entwand sich demnach den Armen seiner schonen Wittwe, einen langeren Besuch im Osten vorschiitzend. Als er jedoch nach langerer Zeit sich nicht wieder erblicken liess, zog Laura Er- kundigungen ein, erfuhr, dass er wirklich seine Heimath in Kentucky besucht hatte, seine Ruckkehr nach San Francisco aber binnen Kurzem zu erwarten sei, und begab sich flugs i\ach dieser Stadt, um ihren kostbaren Geliebten entweder in ihre Arme zuruckzu- fuhren oder sich zu rachen. San Francisco liegt an der Westseite der gleichnamigen Bucht, auf einer schmalen, nur an ihrem Siidende mit dem Lande zusammenhangenden bergigen Halbinsel. Ihr gegeniiber an der Ostseite der Bucht liegt Oakland, eine Stadt von ungefahr 6000 bis 8000 Einwohner, Endpunkt der Ueberlandeisenbahn, und mit San Francisco durch grosse Dampffahrboote in fortwahrender Verbindung. Eines dieser Fahrboote ward der Schauplatz der Begebenheit, welche Laura Fair einen beriihmten Namen erwarb. Am Tage als Herr Crittenden von Osten eintreffen musste, fuhr namlich Frau Crittenden mit ihrer Familie auf diesem Boote iiber die Bucht, um ihren Gatten und Vater bei Ankunft des ostlichen Bahnzuges in Oakland zu empfangen. Auf demselben Boote befand sich eine schwarzgekleidete, verschleierte Dame. Der Zug traf ein, Herr Crittenden stieg aus, begriisste seine Familie, begab sich in ihrer Gesellschaft in den Salon des Fahrbootes und liess sich dort nieder. Das Boot fuhr gerade ab, als jene verschleierte Dame sich von ihrem Sitze erhob, durch die Reihen der Passagiere sich drangte, bis sie Herrn Crittenden gegeniiberstarid, dort ein Pistol aus der Tasche zog und Herrn Crittenden niederschoss. Allgemeine Aufregung, Ohnmacht der Damen und Entriistung der Mannerwelt , die sich unzweifelhaft in einem Akte der Lynchjustiz Luft gemacht hatte, ware das Verbrechen eben von einem Manne veriibt wordeu, Aber das Lynchgesetz an einem Weibe zu vollziehen, und noch dazu an einem schonen, mit stolzem Selbstbewusstseinum sich schauendenWeibe, 238 ging nicht an. Also begnilgte man sich, die schone Laura Fair in Gewahrsam zu nehmen und der Behorde zu iiberliefern. Jctzt begann sogleich das Walten dessen, was man in Amerika Gerechtigkeit nennt. Nachdem man sich erne Reihe von Monaten hindurch gestritten, ob die Verbrecherin in San Francisco oder in Oakland processirt werden miisse, und wahrend der Zeit die erste Entrii stung des grossen Publikuras sich gclegt hatte, (dies ist namlich die Art, in welcher jede Vertheidigung in einem solchen Falle vorgeht) gelangte man endlich zum ersten Processe, in welch em die Morderin allerdings fiir schuldig erklart wurde. Aber fiir einen solchen Ausgang iet man immer vor- bereitet. Ein neuer Process wurde beantragt, und als Grund an- gegeben, dass Einer der Geschwornen gegen die Angeklagte ein- genommen gewesen sei, was man dadurch bewies, dass derselbe vor Jahrcn, als er ebenfalls in Virginia City wohnte, sich ge- aussert habe Frau Laura Fair sei nicht ganz so keusch wie cine Nonne, or words to that effect. Dies liess sich nicht widerlegen, w r eil diese Ansicht unter dem Publikum jener Stadt eben gang und gabe war. Aber es geniigte, um dem Obergericht zu beweisen, dass der betreffende Mann sich eine Meinung gebildet habe. Ich muss daran erinnern, dass wie schon einmal kurz er- wahnt, in den Vereinigten Staaten Niemand als Geschworner zu- lassig ist, der sich, im weitesten Sinne des Wortes, iiber den zu verhandelnden Fall eine Meinung gebildet. Diese Bestimmung des englischen Rechtes, in friiheren Zejten erfunden um ein unpartei- ischesUrtheil su sichern, hat gegenwartig, wo Jedermann Zeitungen liest, die jede wichtige Begebenheit mit alien Einzelheiten melden und commentiren, praktisch zur Folge, dass alle intelligenten Leute, die sich iiber die Tagesereignisse unterrichten von dem Geschwornendienste in jedem erheblicheren Falle ganzlich ausge- schlossen sind. Um die nothige Anzahl von Geschwornen zu beschajften, muss man demnach aus verborgenen und entlegenen Winkeln eine Sorte Burger aufstobern, die sich um das, was um sie vorgeht, nicht kiimmern und in giinzlicher Unwissenheit da- hinleben , oder man muss die Geschwornenbank mit einer noch schlimmereii Sorte Leute anfiillen. Diese sind die pro fessionellen Ges chworenen, Leute, die so lange die Gerichte tagen in der Nachbarschaft an den Strassenecken und in den Kneipen herumlungern, jederzeit zu Ge- schworiiendiensten bereit, um Tagegelder und wenn moglich noch mehr zu verdienen. Sie gehoren der unteren Sorte von professionellen Politikern an, die wahrend der Wahl Handlanger- dienste fiir die Partei verrichten und die Zwischenzeit auf diese Weise nutzbringend s zu verwerthen suchcn. Sie sind natiiiiich dem Sheriff und seinen Hiilfsbeamten als Genossen in der Politiker- 239 zunft \vohl bekannt, ebenso alien Advokaten, die in Amerika so zahlreich wie die Heuschrecken, und \verden von Letzteren in alien Fallen wo es urn die Bcwciskraft der gewohnlichenZeugen- aussagen niclit am Besten steht, selir gem auf den G esch wornen- sitzen gesehen. Denn sie besitzen ein inniges und schnelles Yer- standniss der Beweiskraft zartcr Andeutungen und \Vinke , die nur von ihnen wahrgenommen werden, \vie sie auch nur fiir sie bestimmt sind. So trifft ea sich denn sehr hiiufig in Folge dieses Ver- standnisses, dass die Gesch\vornenbank Wahrspriiche abgibt, die der gesunde Mensclienverstand , der nur die Zeugenaussagen und regelmassigen Beweise vernommen, nicbt begreifen kann, die aber dennoch ,,Recht" sein miissen. Es wird daher die Besetzung der Geschwornenbank in jedem zu verhandelnden Falle zu einem Punkte von grosster \Yichtigkeit, und gibt den Anw alien beider Parteien oft Ursacbe zu tage- und \voclienlangen Streitigkeiteii. Denn da der Wahrspruch einstimmig abgegeben werden muss, hat ein einziger liartniickigcr oder interessirter Gescbworner es in seiner Macht, dies einstimmige Urtheil der eilf Anderen entweder zu Nichte zu macben, indem er es zu keiner Entscheidung kom- men lasst, oder sogar, \venn diese nicht aucn hartnackig auf ihrem Rechte bestehen, ihnen seine vereinzelte Meinung aufzuzwingen, Ueber dass Erforderniss, sich keine Meinung gebildet zu haben, setzen sich die professionellen Geschwornen auf biindige Weise durch die Ablegung eines Eides^ hinweg, womit sie be- schworen, rein gar Nichts von der Sache zu wissen. Im Laura Fair Falle entschied also das Obergericht, dass ein neuer Process stattfinden solle. Diesmal ward die Heldin glanzend freigesprochen, zog von dannen und hielt spater in San Francisco, Sacramento und anderen Platzen offentliche Yorlesungeu, worin sie dem Publicum bewies, wie sie nach deii Grundsiitzen des unverausserlichen , ewigen Rechtes gehandelt habe, als sie, die freie Biirgerin den Mann zusammenschoss , der ein so frevcnt- lichcs Spiel mit ihren heiligsten Gefiihlen getrieben. Uebrigens unterliess sie die Anwalte , die ihr in dcm zweiten Processe bei Seite gestanden , zu bezahlen , vermuthlich w r eil ihr Yermogen be- deutend zusammeiigeschmolzen und sie den Rest als heiliges , un- antastbares Eigenthum fur sich behalten wollte. Aehnliche Falle der Straflosigkeit von Weibern, besondera reizender Weiber, tragen sich allenthalben zu. Wie schwer es ist, ihre Yerurtheilung und Bestrafung zu erzwingen, zeigt der Fall einer Ms. Clem in Indianapolis, der Hauptstadt des Staates Indiana. Hier war die Anklage wegen Yergiftung ihres Ehemannes unwiderleglich und die Umstaiide waren so erschwerender Natur, dass in einer Reihe von Processen die Geschwornen jedesmal das ^Schuldig" aussprachen. Aber nach jeder Yerurtheilung gelang 240 es den Advokaten , auf Grund irgend eines Formfehlers vom Ober- gericht den Umsturz des Urtheils zu erlangen, imd ein neuer Pro- cess begann, Als dies sich zum vierten oder fiinften Male wieder- holte, verweigerte endlich die Stadt Indianopolis die Gelder zur ferneren Fiihrung des Processes , dessen Kosten scbon bedeutend iiber hunderttausend Dollars betrugen , und die Angeldagte musste in Freiheit gesetzt werden, da man kein Recht hatte, sie in Ge- wahrsam zu halten, ohne sie zu processiren. In demselben Indianapolis trug sich im vorigen Jahre ein Fall zu, in welchem ein Zeitungsredakteur einen Handelsmann auf der Strasse niederschoss , weil derselbe ein Liebesverhaltniss mit seiner Tochter unterhielt. Jener war verheiratet und Familien- vater , diese ein mundiges Madchen , demnach fur ihre Handlungen wohl verantwortlich. Aber in alien solchen Fallen betrachtet die amerikanische Anschauung heutigen Tages das Weib als vollkom- men unverantwortlich und legt dem Manne die ganze Schuld bei, die jeder mannliche Anverwandte zu rachen berechtigt ist. In diesen Fallen erfolgt nie eine Strafe. Wohl steht dies bis zu einem gewissen Grade unleugbar im Einklange mit dem Rechts- gefuhle wenigstens der germanischen Volkerschaften. Aber in Amerika wird der Charakter des Weibes gar nicht in Betracht gezogen , und dadurch liederlichen , verfiihrerischen Frauenzimmern in Verbindung mit Strolchen , die sich eine Gatten- oder Ver- wandtenrolle beilegen, eine Gelegenheit zur vollstandigen Ausplun- derung Anderer unter Tocfesdrohungen gegeben, wie sie besser nicht gedacht werden kann. Wie vollstandig Frauenzimmer straflos sind, zeigt auch ein kiirzlich in Oregon vorgekommener Fall, wobei eine Frau einen Schullehrer, einen durchaus tiichtigen und ehrenwerthen Mann, ohne W r eiteres zusammenschoss, weil ihr aus der Schule heim- kommendes Sohnchen sich iiber empfangene Priigel beklagte. Sie ward freigesprochen , weil sie ein Weib. Aus dieser Straflosigkeit des weiblichen Geschlechtes erklart sich der so geringe Procentsatz von Frauenzimmern in den Zucht- hausern der Vereinigten Staaten. Es sind dies beinahe ausnahms- los ganzlich verkommene ehemalige Prostituirte, welche das Ver- bluhen ihrer Reize zwang, ihr Leben durch professionelle Ver- bindung mit Diebsbanden zu fristen. Kleine Vergehen wider das Eigenthum sind aber jenes Verbrechen, welches heute in Amerika relativ weitaus am strengsten und mit kurzem Processe bestraft wird. Dieses Verbrechen entbehrt eben ganzlich des sensationellen Reizes, und die es veriiben, sind gewohnlich so arm, dass sie eines vertheidigenden Rechtsschutzes ebenfalls entbehren mussen. Jene Frauenzimmer haben eben aufgehort, in Aussehen und Auf- treten eincr Lady EU gleichen, haben ihren personlichen Reiz 241 und in Folge dessen den Anspruch auf Straflosigkeit eingebiisst, den jede Lady in unbegrenzter Ausdehnung geniesst. Ueberhaupt beruht der weitai^ grosste Theil der ausser- lichen Achtung, deren sich das we&liche Geschlecht in Amerika allerdings in bedeutendem Maasse erfreut, auf dem pikant-sensa- tionellen geschlechtlicben Interesse, welches es erregt, und nur ein tleiner Theil entspringt der Auffassung, dass die Reinheit des Weibes, worauf besonders die germanischen Yolker so grosses Gewicht legen, nur dann sich recht erhalten und gedeihen konne, wenn sie in der hauslichen Sphare gehegt und gegen jede Be- riihrung der allgemeinen Aussenwelt geschiitzt werde. In diesem Sinne ist die Achtung des Weibes eine Achtung der Schranken, die diese ihre Sphare begrenzen , und der Mann , der dieser Sphare angehort, hat ein Recht zur Ahndung jedes unbefugten Eingriffes. Wo aber diese Schranken gefallen, das Weib dem Verkehre mit der Oeffentlichkeit ausgesetzt ist, hurt auch die Achtung auf. Desshalb betrachtet die amerikanische Auffassung Frauenzimmer, die z. B. in b'ffentlichen Lokalen die Bedienung versehen oder deren sonstige, Beschaftigung sic mit Jedcrmann in unvermeidliche Beriihrung bringt als nicht langer respectable. Die Klage der amerikanischen Damen iiber die Beschrankungen , welche sie hin- dert, mit den Mannern zu concurriren und ihre Erwerbsfahigkeit schmalert , hat lediglich in diesen von der Sitte gezogenen Schran- ken ihren Grund. Sowohl in der Tagespresse wie in der Literatur des Landes findet die krankhafte Sentimentalitat , die in dem Verbrecher emeu Helden erblickt und einen wahren Heisshunger nach pikant-auf- rogenden Neuigkeiten aussert, in hochstem Maasse ihren Ausdruck. Sie rentirt eben am besten, weil sie der Geschmack des Publi- kums verlangt. Verleger und Zeitungsherausgeber betrachten die Sache nur vom geschaftlichen Standpunkte , beuten den Geschmack zu ihrem Vortheile aus und liefern dem Volke die Unterhaltung, wonach es diirstet. Die verbreitetsten Zeitungen des Landes, der New-York Herald" und die Chicago Times" verdanken ihre grosse Abonnentenzahl lediglich der Aufmerksamkeit , womit sie jede Begebenheit dieser Gattung in den Yereinigten Staaten oder in noch weiteren Grenzen ihren Lesern mit Auffiihrung aller Ein- zclnheiten in schliipfriger Schilderung briihwarm vorlegen. Beinahe sammtliche unterhaltenden periodischen Schriften, die oft ihre Abonnenten nach Hunderttausenden zahlen, bieten ihrem Publikum ausschliesslich eine Gattung Romane oder Novellen , welche der Name ,,Mordgeschichten" in sehr gelinder Weise bezeichncn wiirde. Dieser literarische Schund wird in Buchform (der in Deutschland gebrauchlichen Pamphletform) in ungezahlten Millionen Exemplaren als 25 Cents oder als Dime (ein Zehntel Dollar) Novels iiber 31 242 das Land verbreitet, findet uberall Kaufer, und wird unzweifel- haft weit mehr gelesen, als die gesammte ubrige Literatur des Landes, die politische Presse^mit eingeschlossen. Namentlich die Jugend versclilingt diese rorflAntisch-pikanten Schilderungen des gesetzlosen Verbrecherheldenthums mit dem ehrgeizigen Verlangen , es dem Dick Turpin oder sonst einem Schinderhannes gleichziithun, der so und so viele Menschen todtgeschlagen oder Jungfrauen entfiihrt und geliebt hat, der schliesslich vielleicht gar das Gliick hatte, einen ruhmvollen Heldentod am Galgen zu finden und damit die ewige Verehrung der Nachwelt sich zu erwerben. Wie weit dieser Geschmack verbreitet ist, und wie er alle Kreise durchdrungen , ihr Rechtsgefiihl und ihre Moral zerfressen hat, zeigt der uberaus lehrreiche Skandalprocess des Pastors Beecher in Brooklyn, der Schwesterstadt New-York's. Besagter Pastor Beecher, der Bruder der Verfasserin des ebcnfalls zur Sensationsliteratur , aber zur frommeliid-human-riihrenden Species gehorigen Romans Uncle Toms Cabin, ragt unzweifelhaft an ge- nialer Begabung und gewaltigem Rednertalent weit tiber seine Amtsgenossen empor und geniesst demnach auch ein ganz ausser- ordentliches Ansehen unter sammtlichen christlichen Sekten des Landes, wie denn auch seine Predigten schon vor Jahren sogar in's Deutsche ubertragen worden sind. Sein Gehalt betragt 25,000 Dollars jahrlich , doch bringt ihn Herr Beecher durch mit Gold aufgewogene Arbeiten fur religiose Zeitungen und durch Vorlesungen zum Preise von Tausend Dollars den Abend bis auf ungefahr 75,000 Dollars im Jahre. Seine Gemeinde gehort zu den reichsten des Landes und ihre Mitglieder, hochangesehene Geschaftsleute , zahlen sammtlich zu den Kreisen der auserlesenen upper ten thousand ,,der oberen Zehntausend". Zur Gemeinde dieses wiirdigen Seelsorgers gehb'rte auch der als Dichter, Schrift- steller und Zeitungsredakteur sich eines nicht unbedeuteuden Rufes erfreuende The odor Til ton nebst Gemahlin. Er stand als literarischer Genosse mit Herrn Beecher in besonders vertrauter Beziehung, und dieser besuchte sowohl in seiner Eigenschaft als Pastor, wie als Freund und Arbeiter in gleichem Felde haufig die Tilton'sche Familie. Bei dieser Gelegenheit schloss er einen zarten Seelenbund inniger christlicher Liebe mit Tilton's Gemahlin. Letzterer behauptet nun schon seit mehreren Jahren, dass diese Liebe in fleischlichem Umgange ihren naturgemassen Ausdruck ge- funden habe, und beruft sich auf vorgebliche schriftliche und mtindliche Gestandnisse seiner Frau, sowie des Herrn Beecher selbst, die diese Thatsache privatim offen eingestanden hatten. Herr Beecher dagegen behauptet, dass die unwiderstehliche christ- liche Liebe, die ihn mit Frau Tilton verband und noch ver- bindet denn dieselbe hat seit der Einleitung des Processes 243 sich von ihrem Manne getrennt und dem Beech er'schen Umgangs- kreise angeschlossen iininer nur im Einklang mit den Grundsatzen des alten Heiden Plato und jene Eingestandnisse nur die Ergebnisse unbewachter Augenblicke eines gefiihlvollen Irrthums seitens der christlich Liebenden gewesen seien. Herr Tilton will darauf entgegnen , dass Herr Beecher schon seit Jahren die Ge- wohnheit habe, die trostbediirftigen Seelen der gefiihlvollen Damen seiner Gemeinde liebend zu stark en, dass er aber dabei als christ- licher Pastor die heidnischen Grundsatze Plato's vollstandig tiber Bord geworfen habe. Dies die Grundlage des Skandalprocesses, der ein Jahr lang die gesammte christliche und nichtchristliche Welt Amerika's in fieberartiger Aufregung erhielt. Die Einzelnheiten dieser frommen Liebesgeschichte, die im buchstablichen Sinne, wie G. Asmus sich ausdriickt ,,dem Publicum ein Leibgerichte , doch fiir die Kinder ungesund" sind , fullten seitdem Theodor Tilton mit seinen Ent- hiillungen vor die Oeffentlichkeit getreten, die Spalten jeder Zei- tung, auch des kleinsten Winkelblattes im ganzen Lande, und schlossen dann und wann anderen Lesestoff beinahe ganzlich aus. Alle bedeutenderen Journale fanden sich bewogen, stenographische Berichte iiber die Verhandlung zu bringen, und spaltenlange tele- graphische Berichte gingen der Presse in den entferntesten Stadten iiber dieselben zu. Die Chicago Tribune", die in einem Formate von ungefahr 24 bei 18 englischen Zoll erscheint, brachte einmal ein Telegramm, das in der enggedruckten Schrift, der sich die englischen Zeitungen bedienen, nicht weniger als 28 Spalten, die gegen 400,000 Buchstaben enthalten, fiillte. Dieses ganze Tele- gramm bestand aus Liebesbriefen, in dem bekannten weinerlich- frommen und ekstatisch-uberspanntem Tone geschrieben, die, wahrend sie den Ekel jedes gesunden Marines erregten , gewiss von alien gefiihlvollen Jungfrauen und Backiischen mit Gier ver- schlungen wurden. So sehr die Umstande zu Gunsten Tilton's sprachen, gab ihm die b'ffentliche Meinung indess doch nur mit Achselzucken eine sehr flaue Unterstiitzung, lediglich weil die Enthiillungen Herrn Beecher mit dem Nimbus des entfiihrenden und verfiihren- den Heiden umgeben, dem die Sympathie des Publicums sicher ist, wahrend Tilton das Recht auf Sympathie von vornherein ver- scherzt hat. Wollte er dieselbe in grosstem Maasse erwerben, so musste er, nach der geheimen Anschauung des Publikums, eine Pistole in die Hand nehmen, und mit mb'glichst theatralischem Auftreten Herrn Beecher auf offener Strasse beim hellen Tages- lichte oder noch besser, vielleicht in der Kirche inmitten seiner Gemeinde niederschiessen. Hatte er dies gethan, so unterliegt es nicht dem geringsten Zweifel, dass er in dem darauffolgenden 244 Processe mit Glanz freigesprochen und von der ganzen Volksmasse als Held gefeiert worden ware. Indem er verfehlte es zu thun, setzte er sich in den Augen der letzteren herab, die ihn kiihl mit den Worten aburtheilt : He is no man! ^Er ist kein Mann!" Solches ist der gegenwartige Stand der offentlichen Meinung in Bezug auf Verbrechen. Der Schutz und die Sympathie, die sie deni Verbreclier entgegenbringt, muss natiirlich nicht nur zur un- geheuren Vermehrung aller Thaten fiihren, die mit grosser Wahr- scheinlichkcit von Straflosigkeit begangen werden dlirfen, sondern erzeugt auch naturgemass eine Reaktion, die sich in gesetzlosen Racheakten dnn Schutz zu verschaffen sucht, den die Rechtspflege nicht mehr zu gewahren vermag. Dies geschieht entweder indem das Yolk in einem besonders aufregenden Falle die vergeltende Gerechtigkeit durch einen Akt der Lynchjustiz selbst iibt, oder indem die Geschadigten am Verbrecher Privatrache nehmen. Die Lynchjustiz ist seit langer Zeit der Popanz, der dem ruhigen Burger einer geordneten Gesellschaft, ein haarstraubendes Grauen einflb'sst. Die sentimentale krankhafte Humanitat des Jahr- hunderts weiss nicht Worte genug zu finden, um ihren Abscheu vor der Barbarei und Ungerechtigkeit auszudriicken, die darin liegen soil, dass man dem mb'glicherweise unschuldig Angeklagten kerne ausreichende Gelegenheit zur "Vertheidigung gewahre. Ich wage zu behaupten, dass diese Sentimentalitat ganzlich wegge- worfen ist, und die Opfer der Lynchjustiz viel seltener den Tod nicht verdienten, als die von der in regelrechten Formen sich bewegeriden Justiz Hingerichteten. Es mag allerdings haufig vor- gekommen sein, dass den von der Lynchjustiz Gerichteten in dem speciellen Falle, der zu seiner Ergreifung Anlass gab, keine Schuld traf. Aber ohne alle Ausnahme sind die von der Lynchjustiz angeklagten Kerle solch unzweifelhaft anriichigen Charakters, dass Alle schon seit langerer Zeit zu clem einmuthigen Urtheil gelangt waren, es sei Pflicht, sich und die menschliche Gesellschaft iiber- hatipt von der verderblichen Gegenwart des betreffenden Despera- do's und Strolches zu befreien. Noch nie hat die Lynchjustiz ein niitzliches Mitglicd der Gesellschaft in Anklagezustand versetzt, wen 11 es ruhig seinen Geschaften nach oder seiner Wege ging. Die Lynchjustiz, wie sie heute viel zu selten in den "V ereinigten Staaten ausgelibt wird, ist weiter Nichts, als ein Akt der direkten Ausubung der Volkssouveranitat, veranlasst durch die Unfahigkeit oder den Mangel an gutem Willen der zu diesem Zwecke einge- setzten Behorden, die Gesetze zu vollziehen; stets wird er nur gegcn solche Personen ausgeiibt, iiber deren Gemeingefahrlichkeit in der betreffenden Gegend keine getheilte Meinung besteht. In einer geordneten Gesellschaft freilich ist Lynchjustiz nicht am Platze, eine Gesellschaft ist aber nur dann geordnet, wenn sie eine 245 Rechtspflege besitzt und damit das Volk gegen die Verbrecherklasse schiitzt. Die Akte der Lynchjustiz ereignen sich librigens \iel zu selten, als dass sie die Einzelnen gegen die iiblen Folgen der hu- manen Sympatliie und krankhaften Bewunderung der Yerbrecher zu schutzen imStande wiiren. Die Einzelnen sind daher gezwungen, sich selbst zu schutzen. Die folgerechte Entwickelung fiihrt zu personlichen Racheakten, die ganz und gar den Charakter der Blutrache an sich tragen, und in einzelnen Gegenden der Yereinig- ten Staaten schon sehr haufig geworden sind. Der in das offentliche Bewusstsein eingedrungene Begriff der Freiheit begiinstigt diese Entwickelung. Denn in Folge jener krankhaften Auffassung des Verbrechens ist die Sippe jedes Ver- brechers geneigt , seine etwaige Verurtheilung fiir eine ihr absicht- lich zugefiigte Unbill zu halten. Und jene, die ihr diese Unge- rechtfertigkeit zugefiigt, die diese inhumane Barbarei begangen, sind nattirlich die Geschwornen, die den Wahrspruch ,,Schuldig" abgaben. In Folge dieser , unter den Irlandern im Norden , wie unter den Negern des Siidens schon ganz allgemeinen und mit grb'sster Schnelligkeit iiber alle Kreise verbreiteten Auffassung der Geschwornen - Yerantwortlichkeit ist jeder der Letzteren dem Hasse und der Rache der ganzen Sippe des verurtheilten Ver- brechers ausgesetzt. Zwolf einzelne Manner sind jedoch durchaus nicht besonders geneigt , sich der Gefahr einer privativen Yer- geltung fiir ihre Wahrspriiche auszusetzen , zumal im Grunde ge- nommen die Bestrafung des Verbrechers sie personlich nichts angeht. Sie ziehen desshalb vor , diesen Fatalitaten zu entgehen in alien Fallen, wo der Druck der b'ffentlichen Meinung nicht ihre Furcht iiber wiegt. Die offentliche Meinung aber, wenigstens jene, die ihnen im Gerichtssaale vor Augen kommt und eine andere kennen sie nicht, weil sie zu der Klasse von Menschen gehoren, die ,,eine Meinung sich noch nicht gebildet" also iiber den Fall noch nichts vernommen hatten ist wenigstens die des krankhaft sentimentalen Interesses am Verbrechen. Sie ziehen es also vor, ein ,.Nichtschuldig" auszusprechen oder sich nicht zu einigen, und iiberlassen die Ahndung der begangcnen That nac'h den Grundsatzen It's none of my business ! ,,Es geht mich nichts an!" und Help yourself! ,,Hilf dir selbst!" denjenigen Personen, die in dem vorliegenden Falle speciell geschadigt worden sind. Ueberhaupt wird der Geschwornendienst ganz allgemein als eine sehr lastige Pflicht angesehen, der zu entziehen sich Jeder- mann bestrebt. Der Geschaftsmann gibt lieber dem vorladenden Gerichtsbeamten ein anstandiges Trinkgeld , um von ihm nicht aufgefunden zu werden. Und wenn dieser von seinem vergeblichen Gange zuruckkehrt, findet er den professionellen Geschworenen, 246 der ihn mit warmem Handedrucke in die nachste Kneipe zerrt und ihn dort mit einem Trunke w trietet" um eine Gelegenheit zu erhalten, auf der Geschwornenbank Tagegelder und vielleicht nodi Extra's zu verdienen. Ganz besonders erschwert wird die Verwaltung der Rechts- pflege dadurch, dass unter den Verbrechen , die sich einer beinahc vollkommenen Straflosigkeit erfreuen, der M eine id obenan steht. Wahrend die Zahl der Meineide in's Unglaubliche geht, ist eine Verurtheilung wegen dieses Verbrechens beinahe unerhort, einfach, weil Meineide einen unentbehrlichen Bestandtheil der Wahlbe- triigereien bilden. Da aber keine Partei sich diese Chance ab- schneiden will, sind sammtliche Politiker und alle Gerichts- beamte gehoren der Zunft an an der Straflosigkeit des Meineides direkt interessirt. Mittel aber, die Gerichtsbeamten zur Vollziehung Hirer Pflichten zu zwingen, scheinen, soweit mir bekannt, gar nicht vorhanden zu sein. Dies geht so weit, dass es ganz dem Belieben des offentlichen Anklagers anheimgestellt ist, ob er gegen einen Uebelthater Klage erheben will oder nicht. Unterlasst er es oder lasst e die schon erhobene Klage fallen, so geht der Verbrecher von vornherein straflos aus. Falle letzterer Art sind ausserordentlich haufig , und ich habe nie gehort , dass auch nur einmal der humane Staatsanwalt , der sich bewogen fand , die Klage gegen einen Verbrecher fallen zu lassen , fur seine Nachsten- liebe zur Verantwortung gezogen word en ware. Soweit die Privatrechtspflege durch die vom Volke direkt gewahlten Friedensrichter besorgt wird, ist es in den grosseren Stadten beinahe Regel, dass die Entscheidungen dieser Herren im Hinterzimmer oder in der regelmassig in der Nachbarschaft gele- genen Kneipe gekauft werden. Wer diesen Weg nicht betreten will , muss sich von vornherein auf eine Appellation an die grosse- ren Gerichte vorbereiten. Natiirlich verliert unter solchen Um- standen der kleine Mann, der die Kosten fur eine weitere Ver- folgung seines nur einen kleineren Betrag in Frage stellenden Processes nicht aufzubringen vermag, beinahe jeden Rechtsschutz. In den hoheren Gerichten aber sind die Kosten bedeuterid, und die Verschleppung der Processe fangt an lebhaft an das ehemalige Kammergericht des heiligen romischen Reiches deutscher Nation zu erinnern. Das Bestreben der Advokaten und Gerichtsbeamten scheint mit grosster Einmlithigkeit nur das eine Ziel im Auge zu haben: zu machen, was gemacht werden kann. Solange vom Streitobjekt noch Etwas vorhanden und solange beide Parteien die Kosten bezahlen konnen , halt man demnach den Process im Gange. Hort endlich eine Partei auf, sich weiter ausbeuten zu lassen, nun, so ist der Process von selbst entschieden und die noch zahlende Partei hat gewonnen. Nur durch dieses System kann 247 die Unzahl von Advokaten, die in jedem Stadtchen von zwei- bis dreitausend Einwohner nach Dutzenden, in grosseren Stadten nur nach Hunderten oder gar nach Tausenden zu zahlen sind , ihr ,,Leben machen." Diese Herren sind iibrigens sammt und senders auch ziinftige Politiker. Die Steigeruiig 1 der Muslichen Bediirfnisse und Lefoensanspriiclie. Trotz Raubwirthschaft und Corruption der Parteiherrschaft ist dennoch zweifellos der Reingewinn der beilaufig vierzig Millio- nen Menschen, welche gegenwartig das Gebiet der Yereinigten Staaten bewohnen , noch immer um ein Bedeutendes grosser, als der einer gleich grossen Anzahl sogar in den reichsten und civili- sirtesten Landern Europa's. Man mochte demnach geneigt sein, die Klage liber schlechte Zeiten in Amerika fiir unbegriindet zu halten. Denn mit einem hoheren Reingewinne, als in Europa er- zielt wird, muss die Bevolkerung der Vereinigten Staaten doch eines besseren Aus- und Vorankommens sich erfreuen und sich also in einer verhaltnissmassig giinstigeren Lage befinden, Der Schluss ist aber nur scheinbar richtig. So wenig als unter Einzelnen derjenige nothvyendig besser daran ist, der das grb'ssere Einkommen hat, so wenig gilt dies von den Volkern. Vielmehr hangt die Lage der Einen sowie der Andern nicht so- wohl von der Hohe des Einkoramens an sich ab, als von dem Verhaltnisse , in welchem ihre Einnahmen und Ausgaben zu einander stehen. Der an eine kostspielige Lebensart gewohnte Mann wird trotz seines absolut hoheren Einkommens schlechter situirt sein, als der Mann von geringerem Einkommen mit spar- samer und einfacher Lebensweise. Genau in dieser Lage befinden sich heute die Bewohner der Vereinigten Staaten. Seit ungefahr zwei Generationen , d. h. seit der Einfiihrung des Dampfes warf ihnen die rasche Besitznahme und Entfaltung der naturlichen Reichthiimer des Landes einen unerhorten Reinertrag ab. Ihr Einkommen stieg wahrend einer langen Reihe von Jahren in noch nie dagewesener Progression. Aber in dem namlichen Maasse veranderte sich ihre Lebensweise. Die alten , einfachen, frugalen Sitten, deren man nicht mehr bedurfte, schwanden dahin, durch 248 neue ersetzt, die ohne Riicksicht auf Kostspieligkeit nur den immer steigenden Anspriichen der Bequemlichkeit Geniige leisteten. Mochten das alte Haus, die alte Einrichtung, die alten Gerathe auch noch ganz gut ihrem Zwecke genugen , sic wurden denrioch, sobald nur etwas Besseres oder* auch nur besser Ausschendes er- funden und zu haben war, als werthlos bei Seite geworfen und abgerissen, um dem Neuen und gewb'hnlich viel Kostspieligeren Platz zu machen. Die alte einfache Kuche, welche kraftige, na- turreine Nahrungsmittel in leicht verdaulicher Form darbot, ward verdrangt durch Einfiihrung allerlei kiinstliclier Fabrikate, die der Zuckerbacker , der Pastetenkoch und die chemisch-technische In- dustrie fertig auf den Tisch liefern, w T odurch die Hausfrau ein gut' Theil Arbeit ersparte. Sie waren freilich mitunter schwer verdaulich, meist ohne alien Nahrungswerth , und kosteten viel Geld, aber sie waren delikat, sahen ausserst appetitlich und reinlich aus und hatten sf>gar eine hb'chst gleichmassige, brillant- schone Farbe, wie sie die hausliche Zubereitung nie herstellen konnte. Alles das war so nett, so handlich, ein so grosser Fortschritt gegen friiher, ersparte den jungen Damen die Miihc, die Zubereitung aller dieser Sachen zu erlernen, und kostete weiter nichts als Geld, viel Geld, beinahe so viel Geld, als der Hausherr und Familienvater verdiente. Unbequeme Hantierungen , wie Spinnen, Weben, Stricken, wurden binnen Kurzem als zu viel Zeit raubend ganzlich auf- gegeben: auch sahen ja ihre Produkte doch nicht so fein und gut aus wie die Erzeugnisse der Fabriken, und am Ende hatten die Nachbarn gar geglaubt, man ware nicht eb en so gut wie sie im Stande, Fabrikstoffe zu kaufen. Ueberdies hielt das selbstge- machte Zeug so ausserordentlich lange und man konnte nicht mit jeder neuen Mode wechseln, wollte man nicht ganz solide und brauchbare Kleider jedesmal wegwerfen, was dann noch theuerer zu stehen gekommen ware. Zudem schilierte das gekaufte Fabri- kat obendrein in alien Farben des Pfaues, wogegen sich das selbstgewebte Kleid sehr bescheiden ausnahm. Ueberdies hatte man keine Zeit mehr zu solcher Arbeit. Denn im Hause des Gouverneurs und anderer Leute waren vor einiger Zeit aus Europa seltsame, noch nie gesehene Kasten an- gekommen , die im Prachtzimmer aufgestellt waren. Darauf machte ein auslandischer Professor Musik und die jungen Damen der Familie wurden von ihm im Klimpern unterrichtet, was eine ganz besonders vornehme Beschaftigung sein sollte, der sich in Europa nur die Damen der hoheren Stande hingaben, Man w r ar ja aber in der freien Republik, daher vollkommen so gut wie die Tochter des Gouverneurs und konnte nicht nur , sondcrn hoffte auch ein- mal Gouverneurs- \venn nicht gar Prasidentenfrau zu werden. 249 So musste man denn auch die nothige Bildung erwerben, um der Aristokratie der alten Welt zu beweisen, dass die Tochter der Republik ihr nicht ntir ebenbtirtig, sondern sogar trotz der Gleichheit aller Menschen sehr iiberlegen seien. So liess man denn den Klimperkasten kommen, fand auch nach vielem Suchen imter der Schaar der fremden Eingewanderten einen aus seiner Heimath verschlagen en Kunstj linger, der den Unterricht iibernehmen konnte, und die Tochter der Familie bildeten sich zu Prasidenten- und Millionarsfrauen aus. Die Geschichte kostete zwar Geld, aber der Profit eines gliicklichen Landhandels deckte die Ausgabe. Mit der Zeit fand sich noch manches Andere, was man haben musste, weil andere Leute es hatten und weil man ja eben so gut war wie jene, daher nicht zuriickstehen durfte. So gelangte man Schritt fur Schritt zu einer Lebensweise , von der die alte Generation keine Ahnung hatte. Was diese als Tu- genden betrachtet: hauslicher Fleiss, Sparsamkeit und Einfachheit, waren verschwunden, Bequemlichkeit, Manieren und Anstand grosser Damen, und jene Kiinste und Schnurrpfeifereien, die man bei dem weiblichen Geschlechte als Bildung" zusammenfasst, nahmen die verlassenen Platze ein. Was die Kosten betraf, so kummerte man sich iiberhaupt nicht darum, da es Sitte geworden, dass der Gatte und Vater die Rechnungen der Geschaftsleute bezahlt, bei denen Frau und Kinder ihre Einkaufe besorgen. Eine alte, immer wahre Erfahrung lehrt aber, dass je be- quemere Gewohnheiten sich der Mensch aneignet, desto mehr fiihlt er das Driickende der noch auf ihm liegenden Lasten und sucht sich derselben immer mehr zu entledigen. Der amerikanische Haushalt bildet keine Ausnahme dieser Hegel. Stand man auch in Einrichtung und Ausstattung vollkommen auf der Hohe der Zeit, hatte man auch das Beste von Allem, was nur zu haben war, in einer Hinsicht gab es keinen Fortschritt. Die Wissen- schaft hatte leider kein Mittel gefunden, die Last und Anstren- gung, welche das Aufbringen der Kinder erheischte, irgendwie zu verringern. Sie mussten immer noch, ganz wie friiher, geboren, gesaugt, gepappelt, gewickelt, gehegt und gepflegt werden. Und dies strengte nicht nur von vornherein an, bannte an's Haus und heilt die Dame dadurch ab, sich umzusehen und aufzupassen, um auf der Hohe der Zeit zu bleiben und nicht iiberboten zu werden, sondern nahm auch die schonen, festen, reizenden Formen hinweg und machte aus der jungen Dame eine mittelalterliche Matrone, die den Schonheiten der Nachbarschaft nicht mehr gleich, ge- schweige denn iiberlegen war, was zu sein man doch vor Ehr- geiz brannte. Zudem waren die Kosten der Kindererziehung be- deutend gestiegen, und die alte Generation hatte ihre je acht oder zehn Kinder viel billiger aufgebracht, als die neue zwei zu er- 32 250 ziehen vermochte. Denn man konnte die Kinder nicht mehr so erziehen, wie friiher. Die neue Zeit stellte andere Anspriiche, und die Sohne und Tochter, welche friiher arbeiten gelernt und zu Hauswirthinnen ausgebildet worden waren, mussten jetzt zu hervorragenden Geschaftsleuten und feinen Damen erzogen werden. Letztere konnten sich auch erst dann verheirathen, wenn sich eine passende Partie gefunden, wahrend friiher eine gewohnliche Hauswirthin einen Mann fand, beinahe noch ehe sie mannbar geworden. Ueberdies wuchs immer mehr die Schwierigkeit, es alien Anderen gleich zu thun. Verdiente der Familienvater auch viel Geld, die Kosten des Lebensunterhaltes stiegen doch noch schneller. Denn es kamen jetzt so manche neue Dinge in's Land, die nicht mehr bios hoherer Bequemlichkeit, sondern lediglich der Pracht- entfaltung dienten, und es war unerlasslich geworden, an Stelle der friiheren Kattun- und Wollenkleider, seidene Gewander zu tragen und prachtvollen Goldschmuck zu besitzen. Ja, Frau So und So und Fraulein So und So hatten am letzten Sonntag in der Kirche sogar Juwelen getragen , und man hatte die heilige Pflicht es alien diesen Leuten gleich zu thun. Also musste man die Einnahmen hierzu verwenden und sich nach einer Richtung einschranken, die Niemand gewahren konnte. Man sparte aber nicht nur Kosten, sondern auch Anstrengung und Unannehmlichkeit, wenn man diese Einschrankung in dem Aufbringen der Kinder walten liess. So schrankte man denn die Zahl der Kinder allmahlig bis auf zwei oin, an welch er Zahl man desshalb festhielt, um doch nach dem Verbliihen der eigenen Reize in den Kindern noch ein Band zu besitzen, welches den Ehemann festhalten konnte. Leider ist die Wissenschaft noch nicht weit genug vorge- schritten, um eine Beschrankung der Zahl der Kinder zu gestatten, ohne durch die hiezu nothwendigen Mittel die Gesundheit der Mutter zu untergraben. Diese Folge stellte sich auch bei der amerikanischen Bevolkerung binnen Kurzem ein und steigerte sich noch durch die Sitte, welche das weibliche Geschlecht von jeder Beschaftigung ausser dem Hause abschneidet und ihm da- durch die zur Erhaltung der Gesundheit nothige Bewegung ent- zieht. Das Ergebniss ist, dass bei der amerikanischen Stadtbe- volkerung beinahe ohne Ausnahme und sogar bei einem grossen Theile der Landbevolkerung , ein wirklich kraftiges , gesundes Frauenzimmer gar nicht mehr zu finden ist. Fast Alle sind schwach- lich, leiden an alien moglichen, insbesondere aber nervosen und weiblichen Krankheiten, und, was das Auffallendste, haben sogar die Ausbildung der weiblichen Formen eingebiisst; so dass ein gerundeter voller Busen nur noch hb'chst selten vorkommt und 251 der Schein dieses weiblichenReizes durch bekannteNachahmungen, die in die Geheimnisse der Toilette gehb'ren, hergestellt werden muss. Eine Folge dieser allgemeinen Kranklichkeit und des Man- gels an Kraft des weiblichen Geschlechtes ist wiederum eine wesentliche Erhohung der Ausgaben im Haushalte. Denn jener Theil der hauslichen Verrichtungen, den nicht die bequemen Ver- besserungen der Neuzeit der Frau abgenommenj kann jetzt sogar beim besten Willen von so schwachlichen Personen nicht mehr besorgt werden. Man ist desshalb gezwungen, sich Dienstrnad- chen anzuschaffen, zumal die immer luxurioser werdende Einrich- tung die hausliche Arbeit in solchem Maasse wieder vermehrt, t dass sie die durch praktisch-bequeme Erfindungen gewahrte Er- leichterung in den anstandigeren Haushaltungen und Alles will im Lancle der Gleichheit anstandig (respectable) sein oder wenig- stens den Schein wahren mehr als aufwiegt. Natiirlich lassen sich unter den Amerikanerinnen selbst keine Pienstmadchen auftreiben; diese gehb'ren sammtlich der einge- wanderten Klasse an. Thatsache ist aber, dass unter der Ein- wanderung die Anzahl der heirathsfahigen Manner wohl beinahe doppelt so gross, als die der Frauen. Es sind daher von Letz- teren jene, die wirklich eine Haushaltung zu fiihren im Stande, als Eheweiber so begehrt, dass nur Wenige und diese meist nur auf kurze Zeit nb'thig haben, eine dienstliche Beschaftigung zu suchen. Was als Dienstmadchen ubrig bleibt, gehb'rt demnach ausschliesslich der in Europa untersten Schicht des Volkes an, welche dort bei Feldarbeit und als Kuhmagde aufwachst. Be- sonders in der Kochkunst ist diese Klasse ganz und gar un- erfahren. Ihnen wird die Haushaltung und vorzugsweise die Kuche ubergeben, die sie unter der hochst diirftigen Anleitung der Haus- frau nach amerikanischer Weise besorgen sollen. Das Ergebniss ist natiirlich eine Pfuscharbeit, die an Stelle der fruheren guten Gerichte, schlecht gekochte, halbgebackene und schwerverdauliche Produkte auf den Tisch liefert, dessen elegantes und anstandiges Gleichgewicht man durch erhohten Aufwand von kiinstUchen, fertig gemachten Fabrikaten herzustellen sucht. Das weitere Er- gebniss ist nicht nur ein schlechterer Tisch zu bedeutend erhohten Preisen, sondern auch eine unsinnige Verschwendung von Material in der Kuche. Eine moderne amerikanische Haushaltung ver- schleudert und verschwendetdarin beinahe so viel, als eine gute deut- sche Haushaltung gleichen Ranges uberhaupt braucht. Letztere liefert gesunde verdauliche, Erstere eine Kost, welche die Ver- datmngsorgane iibermassig anstrengt und verschuldet, dass fast alle Amerikaner chronisch an Verdauungsbeschwerden leiden. 252 So hat sich eine Lebensweise herausgebildet und \vird so- gar als die einzig respectable" betrachtet, die zwar inAusniitzung aller ,,modernen Bequemlichkeiten" das Hochste leistet, die nicht nur den ausseren Anschein der Eleganz wahrt, sondern sich wirk- lich durch skrupulb'se Reinlichkeit hervorthut, aber trotz dieser Vorziige weniger im Stande ist, kraftige und gesunde Menschen zu erziehen , als die europaische , welche schliesslich die Begriffe des Sparens und Hans- (d. i. Schranken-) haltens gar nicht mehr kennt und sich durch eine, europaischen Verhaltnissen enorm erscheinende Kostspieligkeit auszeichnet. Der Durchschnitts-Ainerikaner, etwa ein gewb'hnlicher Kra- mer, Geschaftsmann oder vielleicht Buchhalter in einem grosseren Geschafte, verlangt vor Allem ein eigenes, mit alien modernen Bequemlichkeiten ausgestattetes Wohnhaus im residence quarter d. h. im (anstandigen) Privatwohnungs-Viertel der Stadt. Eine Wohnung in Verbindung mit seinem Geschaftslokal zu haben, kommt ihm gar nicht im Sinn, ware auch clesshalb unthunlich, weil die ganze Bauart der Hauser in den Geschaftsvierteln der Stadte lediglich Geschaftsraume herstellt, namlich im ersten Stock- werke Laden, in den oberen AVaarenraume oder Offices d. h. Geschaftszimmer fiir Doctoren, Advokaten, alle moglichen Arten Agenten, und fiir solche Fabrikgeschafte, die nicht im Geschafts- theile der Stadt selbst gelegen. Einzelne ,,ansdandige" Wohnungen, die nur Theile eines Hauses sind, existiren aber iiberhaupt nicht. Denn alle Hauser sind nach englischer Manier gebaut, wo das ganze Haus von oben bis unten, in alien Stockwevken nur Eine Wohnung enthalt. Ein solches Haus von durchschnittlicher Anstandigkeit, das eine Breite von 18 bis 25 Fuss besitzt, ent- halt im Erdgeschoss, welches zur halben Hohe iiber die Erdober- flache sich erhebt, vorn ein Speisezimmer, dahinter die Kiiche, im ersten Stocke, zu dem. eine breite, elegante Treppe von der Strasse aus emporfiihrt, die Pracht- und Empfangszimmer (Parlours) das Eine nach Vorne, das Andere nach Hinten , deren Scheide- wand eine die Halfte ihrer Gesammtbreite ausfiillende doppelte Schiebethiir enthalt, welche wenn geoffnet beide Raume zu einem einzigen verbindet. Im zweiten Stockwerke befinden sich die eigentlichen Wohn- und Schlafzimmer des Hausherrn , der Haus- frau und der jungen Damen, wah,rend die etwa noch vorhandenen oberen Stockwerke die Schlafzimmer der Sohne, etwaiger Gaste, besonders wenn sie Junggesellen &ind, und des Dienstpersonals enthalten. In der Kiiche befindet sich in einem Feuerplatze stehend, welcher alien Dunst auf die wirksamste Weise abfiihrt, ein grosser Kochofen, in seiner Art unstreitig das Bequemste, was in dieser Gattung bis jetzt erfunden ward. Derselbe ist ubrigens, wie auch 253 alle gewohn lichen Heizofen, nicht Bestandtheil des Hauses, son- dcrn gehort zum Mobiliar der Insassen. Dagegen gehort der grosse, in einem an die Kiiche anstossenden, kleineren Raume befindliclie Heizapparat, wodurch das ganze Haus mit warmer Luft (ausnahms- weise in selir eleganten Hausern mit Dampf) geheizt wird, zum Gebaude. Ebenso ist in der Kiiche ein, sink genanntes Bassin, iiber welchem Krahne fiir heisses und kaltes Wasser angebracht sind, das zum Abspiilen u. s. w. gebraucht wird, und mit dem Abzugsrohre in Yerbindung steht. Diese Einrichtung erspart alle Arbeit des Wasserholens und Spiilichthinaustragens. Alle Schlaf- zimmer besitzen in einerEcke Waschbassins, ebenfalls mit kaltem und warmem Wasser, und der zweite Flur enthalt immer ein ebenso ausgestattetes Badezimmer mit vollstandiger Einrichtung, gleichfalls ein Bestandtheil des Hauses. An die Kiiche anstossend liegen Vorrathskammern und Closets, d. h. kleine , schrankahnliche Raume zum Aufbewahren der Geschirre und anderer kleinerer Sachen. Dergleichen Closets sind auch in Yerbindung mit jedem Schlafzimmer angebracht. Vor dem Hause, unter dem ausgehb'hlten Seitenwege ist der Kohlen- keller, in welchen die Kohlen gleich vom Wagen des Verkaufers mit dem geringsten Aufvvande von Arbeit durch ein mit einer eisernen Platte bedecktes Loch in dem Seitenwege, dicht am Rande der Strasse,hineingeworfen werden. Diese Einrichtung setzt dieDamen der Kiiche in Stand, sich die nothigen Kohlen selbst zu holen, indem sie dazu nicht unter freiem Himmel zu treten branch en. Denn iiber einen freien, unbedeckten Raum, wo sie fremden Blicken ausgesetzt, Etwas zu tragen, sei es auch nur ein Ann voll Holz, ein Eimer Wasser oder Kohlen, verbietet dem weib- lichen Geschlecht die anstandige Sitte. Unter der Kiiche befindet sich dann und wann noch ein Keller, zur Bewahrung von Sachen die kiihl stehen miissen. In der Regel aber ersetzt ihn ein grosses Eisspind. Denn Eis ist ein unentbehrliches Bedurfniss der amerikanischen Haushaltung. Dieser Artikel, wie alle anderen Bediirfnisse der Haushal- tung, werden von den betreffenden Handlern tagtaglich frei in's Haus und in die Kiiche geliefert. Jeder Fleischer, Backer, Ge- wiirz- und Materialwaarenhandler, sowie der Eis- und Kohlen- handler, hat, je nach der Grosse seines Geschaftes, sein Gefahrt, womit er seine Kunden regelmassig bedient, und ihnen Alles was Hausfrau oder Hausherr im Vorbeigehen oder brieflich be- stellt oder eingekauft liefert und zwar reell und punktlich abliefert. Denn so selir auch die Ehrlichkeit in vieler Be- ziehung unter den Amerikanern wankend geworden, so muss ihnen im vollstem Maasse das Lob zugesprochen werden, dass der kleine Geschaftsbetrug, der in Europa und ganz besonders in 254 Deutschland ein heiliger Gebrauch, vielleicht gar ein Recht zu sein scheint, in Amerika bis zur Stunde ganzlich unbekannt ist. Die amerikanische Hausfrau braucht nicht personlich zu alien diesen Handelsleuten zu gehen, dort die Artikel deren sie bedarf, auszuwahlen, stundenlang um den Preis zu feil- schen, um nicht bei jedem einzelneii Gegenstande um ein Paar Pfennige iibertheuert oder betrogen zu werden, und schliesslich die eingekauften Artikel fortwahrend im Auge zu behalten, damit der gute, spiessbiirgerlich ehrliche Handelsmann nicht die erste Ge- legenheit wahrnehme, die bessereWaare gegen eine geringere um- zutauschen, wie es ihm als Geschaftsregel von seinem ehr- und tugendsamen Herrn Papa eingeblaut worden ist. Sie ist Yielmehr sicher, wenn sie ihrem Handler brieflich eine Liste der benothig- ten Gegenstande uberschickt, dieselben in gerade so guter Qualitat und zu genau denselben Preisen in das Haus geliefert zu bekom- men als wenn sie selbst sie ausgesucht hatte. Das widerwartige Gezank um den Preis, das die deutschen Hausfrauen mit dem Namen Handeln belegen und als eine ihrer Hauptpflichten betrach- ten, kennt sie iiberhaupt nicht, Vor jedem Hause, oder wenn Raum genug vorhanden und bei den kostspieligeren Wohnungen, um dasselbe herum, ist ein Gartenplatzchen oder parkahnliche Gartenanlage, welch letztere allerdings besondere Bedienung erfordert, falls nicht der Hausherr Zeit und Musse genug hat, um sie personlich zu pflegen. Denn anstandig muss jederzeit Alles aussehen, was vom Hause und der Haushaltung sich den Blicken der Besucher und Vorbeigehenden darbietet. Wo man keine Wasserleitung besitzt, wird unter dem Dache ein Wasserbehalter angebracht, der mit einer Druckpumpe in der Kiiche in Verbindung stehend, so oft es Noth thut, vollgepumpt w r ird, und alle verschiedenen Waschbassins , das Badezimmer u. s. w. speist. Ein solches Haus zu bewohnen und darin im entsprechen- den Style zu leben, ist die Existenz welche der Amerikaner allein als menschenwiirdig betrachtet. Wenn immer er gezwungen ist, mit geringeren Bequemlichkeiten vorlieb zu nehmen, sucht er sich nicht etwa im Einklang damit auf dieDauer einzurichten, sondern er betrachtet sich als zeitweilig in seinem Rechte auf eine an- standige Lebensweise beeintrachtigt. Sobald er demnach tiber ge- ntigende Mittel verfiigt, nimmt er dieselbe wieder auf. Aber so- gar zu Zeiten, die ihm Sparsamkeit auferlegen , muss das An- standige in der Lebensart gewahrt bleiben. Er fangt desshalb nicht etwa eine Haushaltung auf geringerem Fusse an, sondern b o a r d e t mit seiner Familie. 255 Boarding heisst aber so viel, als imGasthause leben. Gast- hauser spielen nun in den Vereinigten Staaten eine ganz andere, viel wichtigere Rolle, als in Europa. Hier beinahe durchaus nur auf die zeitweilige Unterbringung von Fremden urid Reisen- den berechnet, sind sie dort eine Art in grossartigem Style ge- haltener Herbergen, deren Insassen Monate, Jahrelang ihre Heimath darin aufschlagen. Was hier unerhort ware, dass ortsangesessene Gesehaftsleute auf die Dauer in Gasthofen \vohnen und leben, ist in Amerika alltaglich und crregt nicht das geringste Aufsehen. Das Boardinghausleben hat nun Vieles fur sich. Es ent- hebt die betreffende Familie absolut aller Sorgen um die Haus- haltung; stellt der Frau ihre ganze Zeit zur Yerfiigung, bietet alle Bequemlichkeiten, die der Fortschritt des Jahrhunderts nur erfunden hat, im vollkommensten Maasse dar ; erspart alien Aerger mitDienstboten, und gewahrt eine nicht nur ausreichende, sondern in der Regel reichliche Kost, die in angenehmen Unterschied zur hauslichen steht, indem sie nicht nur von professionellen Kochen geschmackvoll und gut zubereitet, das Beste liefert was die Kochkunst aller Lander und Volker zu erzeugen versteht, sondern auch alle ,",Delikatessen der Jahreszeit" in fortwahrender Abwechselung auf die Tafel bringt. Allerdings muss die Familie ihr Privatleben auf ein oder zwei Zimmer beschranken. Aber die grossen, elegant ausgestatteten Unterhaltungsraume des Hauses, mit ihrer steten Gesellschaft, stehen den Insassen fortwahrend zu Gebote. Man hat also Alles, was man wiinschen kann, hat es sogar in hochst anstandigem Style", und die ganze Hausarbeit der Familie reduzirt sich auf den einen Akt der allwochentlichen oder allmonatlichen Bezahlung der ebenfalls hochst anstandigen Rechnung seitens des Familienvaters. Nur ein Uebelstand ist vorhanderi. Waren Kinder schon im hauslichen Leben so lastig, dass man deren Anzahl auf zwei beschrankte, so werden sie im Boardinghause zur vollkommenen nuisance (hochst unangenehmen Gemeinschadlichkeit) denn der gefiihllose Gastwirth berechnet^ nach dem Principe der Gleichheit aller Menschen, fiir Kinder gewb'hnlich ebenso viel, wie fiir Er- wachsene, und verbietet obendr^in auf's Strengste das der lieben Jugend eigenthumliche Toben und Herumtummeln. Man gelangt also endlich dahin, soweit es gehen will, die Nachkommenschaft gauzlich abzuschaffen. Auf's Vortheilhafteste unterscheidet sich iibrigens die Ge- schaftsfiihrung der amerikanischen Gasthauser von jener der euro- paischen, indem die Kleinigkeitskramerei und die freche, betriige- rische Uebertheuerung der Einzelnen, sowie das unter dem Nam en ,,Trinkgeld" bekannte, bettelhafte Plunderungssystem in Amerika ganz unbekannt ist. So reell und piinktlich, wie der amerikani- 256 sche Kleinhandler seine Kunden, bedient der Gasthausbesitzer seine Gaste. Fur die per Tag, Woche oder Monat bedungene Summe fiihlt er sich verpflichtet, alien nur denkbaren Bediirfnissen, die ein anstandiger Mensch in Bezug auf Wohnung mid Lebenstmter- halt haben mag, von selbst, ohne Aufforderung und Driingen der Insassen abzuwarten, Befriedigung zu verschaffen. Theils aus Ehrgeiz, theils aus Geschaftsberechnung trachtet er sein Haus an Bequemlichkeiten von keinem anderen gleichen Ranges libertreffen zu lassen, und eine Mehrforderung fur diese oder jene Kleinigkeit zu stellen, oder einen ganzlich unbekannten oder unbeholfenen Fremden ausnahmsweise zu ubertheuern, diinkt ihm eine viel zu ruppige und kleinliche Manier, Geld zu macben. Bei den drei regelmassigen Mahlzeiteri z. B. hat jeder Gast das Recht, von Allem was die Speisekarte anfiihrt, sich auftragen zu lassen, so viel ihm beliebt. Mag sein Appetit gross oder ge- ring sein, mag er sich an theuerenDelikatessen oder an einfachen, billigen Speisen laben, seine Rechnung wird desshalb weder klei- ner noch grosser. Er bezahlt genau so viel wie jeder Andere, d. h. den Normalsatz des Hauses. Dem Reisenden wird auf's Bereitwilligste und Zuvorkom- mendste jede Auskunft ertheilt und jeder Dienst geleistet, der in den Kraften des Hauses steht. Man holt ihn und sein Gepack von den Eisenbahnen ab, und befordert ihn nach denselben, ohne ihm mehr als den billigsten, angemessenen Preis dafur zu berechnen man besorgt seine Briefe und liefert ihm sogar S chreibm at eri alien umsonst, man nimmt endlich seine Gelder und Kostbarkeiten unter gesetzlicher Garantie in sich ere Verwahrung, kurz man thut alles Mogliche, ihm den Aufenthalt angenehm zu machen , und thut es prompt und in geschaftsmassiger Weise. Unter solchen. Umstanden ist es kein Wunder, dass die Gasthatiser in jeder amerikanischen Stadt Hunderte von Insassen und Gasten haben, und Tausende und Zehntausende von Familien und Hunderttausende von Junggesellen in ihnen ihre bestandige Heimath aufschlagen. Beinahe die Gesammtheit aller unver- heiratheten Manner der Handwerker- und Arbeiterklasse sogar lebt in den billigeren gewohnlichen Kosthausern, die allerdings nicht in ebenso anstandigem Style, aber doch nach gleichen Grundsatzen gefiihrt werden. Es lasst sich nicht bestreiten, dass die Verpflegung der ein- gewanderten Handwerker- und Arbeiterklasse in solchen Kost- hausern ihre Durchschnittsbekostigung in Europa sogar heutigen Tages noch weit iibertrifft. Die Ernahrung des Arbeiterstandes in den Vereinigten Staaten steht der des kleinen Geschaftsmannes u. s. w. vollstandig gleich, und ist gerade so gut wie die des gesicherten Mittelstandes in Europa. Sogar in den gewohnlichsten 257 Kosthausern besteht die Verpflegung immer noch aus drei Mahl- zeiten , die im Allgemeinen folgendermaassen zusammengesetzt sind : Des Morgens Kaffee mit Milch und Zucker , gerostetes Fleisch (in der Regel Beefsteak), \varme Pfannkuchen, Bratkartoffeln und Weiss- oder Schwarzbrod mit Butter, Alles in beliebiger Quantitat. Des Mittags Suppe, gewohnlich Fleischbriihe rait Reis, Maccaroni, Erbsen, Bohnen und dgl., gekochtes Suppenfleisch mit passender Sauce, gebratenes Fleisch mit Zugemiise, Kartoffeln, Brod. Endlich als Nachtisch Pie eine Art diinner Fruchtpastete. Als Getrank wird haufig noch Kaffee, im Sommer aber Eiswasser beigegeben. Des Abends giebt es eine ahnliche Mahlzeit , wie am Morgen, nur ist gewohnlich noch eine Schussel Gemuse dabei, und an Stelle des Kaffee' s tritt haufig Thee; ebenso vermehrt noch eine Schussel kaltes Fleisch oder Kase die Auswahl. An den Wochentagen giebt es von dieser Durchschnittsregel in den Kosthausern kaum eine Abwechslung. Am Sonntage aber wird gewohnlich etwas Besseres geliefert in Gestalt vori Eierspeisen , gebratenem Gefliigel und kuchenahnlichen Gebacken f Calces}. Man sieht aus diesen Angaben, dass der Arbeiter in Amerika durchaus noch keinen Grund hat, sich iiber seine Bekostigung zu beklagen. Wenn er dennoch im Vereine mit alien anderen Standen sich iiber den Druck der schlechten Zeiten beschwert, so ist die Ursache eben die, dass die Verringerung des Einkommens es alien Klassen von Tag zu Tag schwieriger macht, die Kosten der zu Gewohnheit und Bediirfniss gewordenen Lebensweise zu be- streiten. Es ist nun allerdings leicht, den wohlfeilen Rath zu geben , sie brauchten nur mit einer geringeren Lebensweise vorlieb zu nehmen , um das Gleichgewicht zwischen ihren Ausgaben und Einnahmen wieder herzustellen. Die Erfahrung lehrt, dass dieser Weg leider der letzte ist , den die menschliche Natur einzuschlagen pflegt, und beinahe ausnahmslos setzen die Leute lieber Alles zu, was sie uberhaupt noch haben. Die unerlassliche , grossere Sparsamkeit wird in Wirklichkeit eben nur durch die zwingende Gewalt der Umstande eingefiihrt. Diese wirkt aber auf die Menge einzig durch den unnachgiebigen Druck schlechter Zeiten, welche Verschwendung durch Entbehrung kuriren. Aeusserst wohlthueud ist in alien amerikanischen Haus- haltungen die skrupulose Reinlichkeit, die nicht oberflachlich nur die in's Auge fallenden Theile des Hauses betrifft, die verborgenen Schubfacher, Schranke und Winkel aber vernachlassigt , so dass darin der Schmutz und Staub von Jahren zu finden ist. Audi die alten Lumpen- und Gerumpelsammlungen , welche die deutsche Hausfrau zum stets fertigen Beweise ihrer Wirthschaftlichkeit und 258 Sparsamkeit mit Vorliebe pflegt und hegt , existiren im amerikani- schen Hause nicht. Allerdings befasst man sicli dort auch nur sehr wenig mit dem Flicken alter Kleider, sondern nimmt gern die durch einen Riss gebotene Gelegenheit wahr auf Kosten des Alles bezahlenden Hausherrn sich ein Kleid nach der neuesten Mode anzuschaffen. Ebensowenig kennt man die in Deutschland gebrauchlicho Sitte, die unreine Wasche der Familie so .lange in einem dunklcn Winkel der Wolnmng anzusammeln , bis die Wagenladung dieser iibelriecbenden Masse in eine dumpfe Gahrung gerath , urn welche Zeit man endlicb den Entschluss fasst, zu dem heroischen Werke der grossen Wasche zu schreiten. Man wascht vielmebr am An- fange jeder Woche und trocknet und biigelt das Gewaschene, ehe der Sonntag herannaht. Dadurcb vermeidet man es nicbt nur, gahrenden Schmutz langer denn nothig aufzubewahren , son- dern bedarf aucb nicht des Vorrathes an Leinen und Unterkleidern, worauf die deutscbe Hausfrau ihren besonderen Stolz setzt, wiih- rend ihn der Amerikaner als todte Capitalanlage betrachtet. Ueberhaupt gilt der Grundsatz der Reinlichkeit nicht nur in Bezug auf die Hauslichkeit , sondern auch auf die Person, d. h. nicht sowohl , was das mannliche Geschlecht betrifft, auf die Oberflache des Anzugs die Miine, die sich ein Deutscher giebt,' diesen rein und sauber zu biirsten, macht sich kein Ame- rikaner sondern vielmehr auf die Reinlichkeit des Kb'rpers selbst und der Unterkleider. Nicht nur hat, wie schon erwahnt, jedes anstandige Hans von Grosshausern gar nicht zu sprechen ein Badezimmer, welches tagtaglich in Anspruch genommen wird, sondern es giebt in Verbindung mit den Barbierstuben noch eine Menge Badezimmer, die von der gewohnlicheren Klasse bedeutend beniitzt werden. Der Preis eines Warmwasserbades ist allent- halben in den amerikanischen Stadtcn nicht hoher als eine deutsche Reichsmark. Ebenso wird strenge auf reine Unterkleider gehalten. Ein fleck enlos reines weisses Hemd gilt fiir das Kennzeichen jedes anstandigen Menschen, und der allergewohnlichste Arbeiter wecli- selt seine wollenen Unterkleider wenigstens alhvb'chentlich einmal. Wie man jede Woche wascht, scheuert man die auf alle Falle beniitzten Raume des Hauses, welche die blanken Dielen zeigen, sobald es nothig, mindestens aber allwochentlich einmal. Da dies die unangenehmste Arbeit im Haushalte ist, so trachtet jede Haus- frau, auch im gewb'hnlichen Arbeiterstande, alle ihrc Zimmer, mit alleiniger Ausnahme der Kiiche, mit Teppichen zu belegen, die denn auch beinahe allgemein im Gebrauche sind. Die wohl- habenderen Hauser treiben in diesem Artikel, sowie auch in den ebenfalls allgemeinen Wandtapeten einen kostspieligen Luxus. Um aber die Farben der theuren Teppiche nicht verbleichen zu 259 lassen, wird das Sonnenlicht aus alien anstandigen amerikanischen Wohnungen sorgfaltig ausgeschlossen. Dieser Umstand sowie der, dass im Winter die Heizung dieser Hauser mit erwarmter Luft geschieht , tragt wahrscheinlich dazu bei , die schwachliche Ge- sundheit der Frauen, die ihre Zeit fast ohnc Unterbrechung im Hause zubringen, nocli melir zu untergraben. Denn (lie anstandige Sitte verbietet ihnen, sich irgendwelche Erholung und Bewegung im Freien zu gonnen, Sogar einfacbe Spaziergange sind ihnen niclit gestattet und kaum wagen sie, in die offentlichen Parks sich zu begeben. Der Gruud dieser Abge- schlossenheit und Zuriickhaltung ist in dem krankhaften Bestreben, es alien Anderen gleich zu thun zu suchen. Weil also viele ihrer gliicklicheren Schwestern im Stande sind, sich einer Kutsche zu bedienen, halt es die iirmere Frau, die sich Jenen gegeniiber nichts vergeben will, unter ihrer Wiirde , zu Fusse zu gehen. Ueberdies 1st sie an offentlichen Platzen der Beriihrung der fremden Bevolkerung ausgesetzt, die sie trotz aller Principien der Menschengleichheit doch nicht fur so ganz ihres Gleichen halt. Endlich aber ,,schickt" es sich fur eine Frau iiberhaupt nicht allein auszugehen, weil sie dadurch gewissennaassen die Schranken der weiblichen Sphare iiberschreitet und sich iible Nachrede zu- ziehen konnte. Der Herr Gemahl aber kann sie nicht begleiteri, denn dieser ist von Morgens bis Abends abwesend in seinem Ge- schafte und geht iiberhaupt nie zur blossen Erholung spazieren, da er genug zu laufen hat , will er das Gliick einholen dem er nachjagt. Also ist sie gezwungen, in ihrer Ladylike Zuriick- gezogenheit zu bleiben und nur dann auszugehen, wenn sie Ge- schafte hat. Die einzigen Geschafte aber, um dereiit\villen sie sich aus dem Hause begeben muss, ist die Auswahl der Stoffe zu ihren Kleidern. Denn in dieser Hinsicht ist es eine Hauptsache, dass sie das Modernste, Schonste und Beste sich anschaffe, um nicht von Anderen liberboten zu werden. Folglich ist es ihre Pflicht und grosste Sorge, sich alle ,,Novitaten der Saison" mit eigenen Augen anzusehen und ihre Kenntnisse auf der Hohe der Zeit zu erhalten. Sobald demnach ein schoner Tag erscheint , wirft sie sich in vollen Staat und geht shopping, d. h. sie durchwandert alle Modewaaren- Geschafte und la'sst sich von den jederzeit dienstbereiten Ladendienern alles Sehenswerthe vorlegen. Sie mustert dabei auch den Putz aller anderen Damen , die sich schaarenweise in diesen Laden herumclrangen , unterhalt sich rnit ihren Bekannten uber die letzten Neuigkeiten wie z, B. die Ent- hiillungen des Beecher-Processes , kurz geniesst im Wirrwarr und umgeben von Sammt und Seide ein Paar selige Stunden , die ihr ' 260 in ihrem sonst cintonigen Lcben eine sehr noth \vendige Ab- wechslung sind. Die Modewaaren-Geschafte sind also gewissermaassen die einzigen offentlichen Unterhaltungs-Lokale , welche dem schonen Geschlechte offenstehen. Sie sind denn auch fiir den Besuch ihres Publikums viel besser eingerichtet und haben viel ausgedehntere Raumlichkeiten als in Europa. Prachtvolle Laden , die oft 50 bis 150 Fuss und dariiber in Einem zusammenhangenden Raume um- fassen , und deren ganze Strassenfront , wie bei den meisten Laden in Amerika, nur aus grossen Spiegelscbeiben besteht, die eine Fiille von Licht zulassen , erlauben die eindruckvollste Zurschau- stellung der reichen Gewebe. Reihen von Stiihlen und Sopha's laden die elegant-miiden Damen ein , in gemiithlicher Ruhe einen allgemeinen Ueberblick uber die ausgestellten Schatze zu gewinnen, und von der Mitte des Lokales erheben sich reichgescnmiickte, breite, mit den kostbarsten tiirkischen Teppichen belegte Treppen nach den oberen Stockwerken, um dort die anderen Abtheilungen des Geschaftes z. B. die Weisswaaren , die Teppiche u. s. w. huldvollst in Atigenschein nehmen zu kb'nnen. Der Umsatz der grosseren dieser Geschafte ist ungeheuer, und gestattet einen Schluss auf die Ausdehnung des Kleiderluxus des sclionen Geschlechtes. Allein Stewart in New- York, dessen Detail-Geschaft am oberen Broadway ein ganzes Strassengeviert einnimmt , hat einen jahrlichen Umsatz von ungefahr 50 Millionen Dollars. Claflie & Co. stehen nur um ein Weniges hinter ihm zuriick. Field & Leiter in Chicago setzen iiber 20 Mill. Doll, jahrlich um, und zwei andere Geschafte in derselben Stadt kommen ihnen beinahe gleich. Eine Eigenthiirnlichkeit ist, dass alle in diesen Geschaften angestellten Verkaufer beinahe ohne Ausnahme mannlichen Ge- schlechtes sind , und zwar miissen sie nicht nur Manner sondern nice young men, hubsche Jiinglinge sein. *) So will es der Geschmack des weiblichen Geschlechtes , das jeden Laden , der es wagen mochte, dieses Gesetz nicht zu beachten, sogleich mit Ungnade bestrafen , und ihm die Kundschaft entziehen wiirde. Ist der geschilderte Haushalt wesentlich der stadtische , so ist doch die gesammte Landbevolkerung, so weit sie nicbt als echte Hinterwaldler vom allgemeinen Verkehre fast ganz abge- schnitten lebt, einig in dem Bestreben, es der Stadtbevolkerung so viel als moglich gleich zu thun. Auf dem Lande ist dies freilich nur innerhalb gewisser Grenzen durchfiihrbar, da sie viel- fache Bequemlichkeiten der Stadte entbehren miissen. Die Haus- haltungsarbeit lasst sich nicht so vereinfachen wie in der Stadt; 1) Ein Gleichea iat iibrigena auch in Wien der Fall. 261 man lebt viel einsamer und abgeschlossener , und man kann nicht shopping gehen, sich nicht iiber die neuesten Moden unterrichten, auch konnen die jungen Damen nicht die gleich gute Gelegenheit linden, sich das Pianospielen und die anderen Elemente weiblicher Bildung anzueignen , kurz: man bleibt desshalb im Fortschritte hinter den Stadten zuriick. Da man aber gerade so gut ist wie Jene, so muss man eben suchen sofern sich eine Gelegenheit darbietet dieser Schicksaltiicke ein Schnippchen zu schlageii, und sich der gleichen Begiinstigungen, deren sich die Stadter crfreuen, zu versichern. Ist demnach Papa Willens, sich aus einem Bauern in einen Landagcnten zu verwandeln, so verkauft man sein altes unmodernes Geriimpel, und zieht ebenfalls in die Stadt; binnen Kurzem hat man sich dann zur Hohe der modernen Civilisation aufgeschwungen, und ist gliicklich in dem Bewusstsein, es alien Anderen gleich zu thun, wenn dariiber auch Papa's Geld- beutel sichtbar zusammenschrumpft. Ganz oberflachlich ware es, wollte man aus der vorher- gehenden Schilderung den Schluss ziehen, dass troiz der schlechten Zeiten eigentliche Noth nicht existire, sondern nur eine unbequeme Nothwencligkeit, fiir All und Jedermann, sich in seinen Ausgaben einzuschranken. Denn man wiirde dabei ausser Acht lassen, dass Einschrankung im Verbrauche eben vorzugsweise gewisse, ent- behrliche Gegenstande betrifft, und daher sammtliche Geschiifte, welche gerade diesc Gegenstande erzeugen, brach legt, ihre Arbeiter aber zu garizlichem Stillliegen verurtheilt. Die hiervon betroffenen Klassen der Fabrikbevolkerung leiden demnach \virk- liche Xoth, wahrend der Bauer z. B. allerdings nur gezwungen ist, sich einzuschranken. Hatte nun die Sparsamkeit zur allgemeinen Folge den Ver- brauch solcher Luxusartikel zu beschranken, die lediglich dem eitlen Wahne und der Prachtentfaltung dienen, so ware der sich ergebende Vortheil fur die Gesellschaft im Allgemeinen wohl hin- reichend, um dariiber die zeitweilige Noth libersehen zu konnen, Leider aber tritt dieses Ergebniss nur im geringen Maasse ein. Derm gerade jene Klasse, die sich am meisten der luxurib'sen Prachtentfaltung hingibt, fuhlt den Druck der schlechten Zeiten am wenigsten, wahrend umgekehrt die Klassen, deren Lebensbe- diirfnisse kaum das Gebiet des eigentlichen Luxus beriihren, cich am meisten einschranken miissen, und gezwungen sind auf manche wirklich werthvolle Bequemlichkeit Verzicht zu leisten. Die zu uppigem Reichthume emporgeschnellten glucklichen Speculanten dagegen suchen nach wie vor, es einander in Pracht und Prunk nicht nur gleich, sondern zuvorzuthun, Die Verschwendung die- ser Klasse, welche ihre Millionen im Handumdrehen gewonnen hat, lasst die der Aristokratie Europa's, die gewohnt ist innerhalb 262 cler Grenzen ihres Einkommens zu leben, weit hinter sich. Uiul zwar steckt sie sich dies absichtlich als Ziel. Denn sie will ihren Anspruch, Jedermann mindestens gleich zu sein, d. h. gegen Niemand zuriickstehen , dem altaristokratischen Stolze gegeriiiber dadurch zur Geltung bringen, dass sie denselben durch grosseren Aufwand zu demuthigen sucht. Desshalb kommt es ihr weniger auf das \virklich Geschmack voile und Schone, als vielmehr dar- auf an, Kostspieliges zur Schau zu stellen. Letzteres kann eben nur haben, wer Geld im Ueberflusse hat, wahrend Schb'nheit und Geschmack auch von weniger Bemittelten entfaltet werdcn konnen. TCunstverstandniss aber konnen diese Leute nicht besitzen, da das- selbe nur das Produkt einer allmahligen, mehrere Generationen bin durch wahrenden Erziehung ist. Ihnen gefallt vielmehr die grelle, blendende Pracht am besten, weil sie am meisten in die Augen fallt und das meiste Geld kostet. Desshalb zeichnet sich alle Kunst in Amerika durch iiber- ladene Dekorationen aus. Einfache Flachen sind ihr ein Grauel, und jedes Fleckchen einer architektonischen Facade z., B. oder der Wandflache eines Prachtzimrners , das Raum genug bietet um irgend eine beliebige, kostspielige Dekoration anzubringen, wird sogleich damit versehen, beklebt oder behangt. Auf das Verhalt- niss dieses Stuckes zu der schon vorhandenen Dekoration kommt es dabei nicht nur nicht an, ja es scheint sogar der Grundsatz vorzuwalten, dass es um so besser, je mehr es absticht. Denn Contrast wird eher wahrgenommen , als Harmonic, deren Schon- heit zu begreifen eben ein gebildetes Verstandniss erfordert. Von Einheit des Styles ist desshalb nirgends in Amerika eine Spur vorhanden, und der darnach strebende Kunstler wiirde nur eine sehr flaue Anerkennung finden. Die Architektur wirft alle moglichen Style durcheinander, und ist im Stande, dorische Saulen mit gothi- schen Thurmspitzchen zu vollenden. Die Musik macht so viel Spcktakel als moglich, und nicht nur Trommeln und Posaunen, sondern auch Ambosse uud Kanonen spielen darin die vielbewun- derte Heldenrolle. Die Produkte der Malerei zeichnen sich durch grelle Farben aue, und werden in ausserordentlich breite, schwere Goldrahmen eingefasst, iiber deren Kostspieligkeit man das Bild ganz ausser Augen lasst. Die Bildhauerei spielt die allerklaglichste Rolle, und wenn die Helden der Nation wirklich den Figuren geglichen, die man in Parks und an offentlichen Orten ausgestellt findet, so miissen sie fiirwahr auserlesene Jammergestalten gewesen sein, denn jene Statuen sehen fast ohne Ausnahme wie schwind- siichtige, durch vieles Ilocken krumm gewordene Schneider aus. Das Theater combinirt diese vierKiinste und vervollstandigt diesolben durch Mode gewordene stars (Sterne), Biihnengrossen, die entweder in Europa oder durch sonst ganz auffallige Eigen- 263 schaften zu einem beriihmten oder beriiclitigten Rufe gekommcn sind. Diese Stars niachen systematisch geplante Gastreisen von einem Theater zum anderen, und ziehen das.Publikum an. Das Gros der Schauspieler dagegen spielt eine ganz untergeordnete Rolle fur hb'chst geringen Lohn, wahrend jene Sensation machen- den Stars, die man der Mode halber sehen und horen muss, ganz eriorme Bezahlung erhalten, ein Umstand den alle zu einem Welt- rufe gelangten europaischen Biinnengrb'ssen geliorig ausbeuten. Uebrigens fangt ihr Ansehen in den letzteren Jahren allgemach zu sinken an. Als Curiositat hat man sie genugsam gesehen, und fiir die eigentliche Kunst ihrer Leistung hat man doch kein Yerstandniss. Desshalb beginnt man sich in diesem Felde von dem Einflusse Europas mehr zu emancipiren, und jene Kunst wo- fiir man Geschmack hat, an deren Stelle zu setzen. Und dies ist das sensationelle spectacular Drama, d. h. Vorstellungen , die auf der Biilme hauptsachlich blendende Pracht und allgemein ver- standliche sinnreizende Ueppigkeit vorfiihren, dagegen das Publi- kum mit tieferen, geistige Thatigkeit und Auffassung erfordernden Scenen verschoncn. In dieser Kunstgattung spielt die moglichst grosste Zur- schaustellung der Formenreize iippig-schoner Weiber die Haupt- rolle. Man sieht dort Sangerinnen, deren Gesang von der Art, dass er des Hbrens nicht werth ist, die sich aber durch pracht- volle Costumirung, die das was sie bedeckt errathen lasst, und durch aussergewohnliche Schonhcifc auszeichnen. Ebenso sieht man Schauspielerinnen, die auch noch nicht die ersten Elemente des Deklamirens gelernt, was iibrigens ganz gleichgiiltig, da die Handlung des Stiickes aufgehort hat, Interesse zu erregen. Die Mannerrollen werden fast ausnahmslos von prachtig gewachsenen Damen mit vollen gerundeten Formen im eng anliegenden Pagen- kostiime gegeben, das sich uberhaupt der vorzugsweisen . Gunst crfreut und jede andere Bekleidung von der BUhne ganzlich zu verdrangen scheiiit. Lebcride Bilder, immer mehr in das Gebiet der unverhullt griechischen Skulptur hinubergreifend, finden in fort- wahrend sich erhohendem Maasse Geltung und Anerkennung. Endlich spielt der Tanz die wesentlichste Rolle, und zwar vornehmlich der keck herausfordernde, uppig-reizende Tanz. Ohuc ihn ist schlechterdirigs mit dem Theater kein Geschaft mehr zu machen, und desshalb sehen sich sogar die Biihnen, die noch das regulare Schauspiel aufzufiihren wagen, gezwungen, sich ihrPubli- kum dadurch zu sichern, dass sie, wenn moglich in jedem Akte ein Ballet einschieben, Man geht aber noch weiter. Der Lieb- lingstanz des Jardin Mabille, der berUhmt-beriichtigte, sinnlich reizende Cancan wird in einer Weise vorgefuhrt, die selbst der sehr liberalen Pariser Polizei Gelegenheit zum Einschreiten geben 264 wiirde. Im Herbste 1874 bescbaftigten sich drei Theater in New-York mit dieser Specialitat, wahrcnd das raumlich grosste Theater der Stadt, Niblo's Garten, ein Stuck auffiihrte, in der die bekannten ersten Menschen Adam und Eva, der Siiridenfall, die Schlange, Gott selbst und die lieben Engelein Rollen spielten, und das mit der Sintfluth in einer iiberaus prachtvoll-luxurib'sen De- korations- und Verwandlungsscene schloss. Man wagte allerdings noch nicht das iiberlieferte Feigenblattkostum naturgetreu wiedcr- zugeben, war ihm aber so nahe gekommen, als die gegenwartigen Freiheitsrechte erlauben. Die Conkurrenz dieser Art Schaustellungen schlagt allmahlich, aber sicher, alles Andere aus dem Felde. Zwar werden die vor- angeschrittensten Theater beinahe nur vom mannlichen Gcschlechte besucht, aber das Weib drangt nach, und die Hebe Jugend, die schlechterdings nicht zurtickgehalten werden kann, wirft sich mit Eifer auf die dargebotene Gelegenheit zum Studium der Schonheit. Ganz denselben Geschmack , dem die Theater auf diese Weise dienen, suchen die privaten Festlichkeiten der Geldaristo- kratie zu befriedigen. Die weiblichen Formen kann man freilich dabei nicht so off'eu zur Schau tragen, wie auf der Biihne, schon urn deswillen nicht, weil hierzu eben die tadellosen Formen von Nb'then, die bei den kranklichen, mangelhaft entwickelten Ameri- kanerinnen so iiberaus selten geworden sind. N Auf der Buhne spielen Frauenzimmer europaischen Blutes und besondersEnglander- innen die hervorragenden Rollen. Dagegen ersetzt man diesen Mangel durch uppige Kleiderpracht und Juwelenglanz. Und die Presse thut ihr Moglichstes, den Glanz solcher Feste zu verherr- lichen. Jede Zeitung von einigem Unternehmungsgeist erfreut am nachsten Morgen schon das Publikum mit der Mittheilung, dass in den Empfangs- und Unterhaltungsraumen des eleganten Wohnsitzes (mansion) unseres hochst achtungswerthen Mitbiirgers Herrn So und So, Esqu. gestern Abend ein glanzender Ball statt- gefunden habe, wozu sich die Ilite unserer Gesellschaft einge- funden. Alle hervorragenden Schonheiten der Stadt waren zugegen gewesen. Jetzt folgt die genaueste Detailbeschreibung der einzel- nen Schonen. Der Lockenschmuck der Frau A., der ven unge- wohnlich, uppigem, seidenweichemReichthum, sei in einer wunderbar geschmackvollen Haartournure aufgebaut gewesen; Fraulein B., eine Briiuette vom feurigsten Typus, habe in ihren Rabenlocken einen funkelnden Diamantschmuck getragen, der laut Rechnung des Juwelenhandlers Herrn Tiffary so und so viele Tausend ge- kostet; Frau C., eine reine Blondine, habe ein blauseidenes Kleid mit goldenen- und Juwelensternen iibersat, getragen, dessen Werth unermesslich, und das erst mit dem letzten Dampfer direkt vom beriihmten Damenschneider Herrn Worth aus Paris angekommen 265 und besonders fiir dieses Fest gemacht worden sei. Die reizen- den kleinen Fiisschen und delikaten Knb'chel des Frauleins D. seien in noch nie gesehenen, bewundernswerthen Schuhen, mit Diamanten besetzten goldenen Spangen eingehiillt gewesen, u. s. \v. So geht es spaltenlang fort. Kommt gar eine Hochzeit im high life d. h. unter der erhabenen Aristokratie vor, so wird jedes Stiick des Brautstaates bis auf die letztenUnterkleider, die Spitzcn . von Brussel, die Shawls . von Cashmir, die Seide von Lyon und alles Uebrige von Paris, jedes Hochzeitsgeschenk dera Publikum in ausfiilirliclister Beschreibung vorgemalt. Dieser Luxus beschrankt sich durehaus nicht auf die er- wachsene Geld- und Modewelt, sondern erstreckt sich im vollsten Maasse auf die Kinder, die schon im zartesten Alter in genauester Nachahmtmg des Gebahrens der alteren Personen ihres Kreises sich das Benehmen von Damen und Herren aneignen. Kinderfeste und Kind-erballe werden abgehalten, die sich von anderen nur durch geringere physische Hb'he der Theilnehmer unterscheiden, wahrend sie im Ceremoniell sowohl als im Aufwand ganz dasselbe leisten. Und die Zeitungen berichten uber sie in gleicher Weise. Da \var Master A., der Sohn des Eisenbahnkonigs, ganze neun Jahre alt, der sich durch tadellose Toilette und elegante Tourniire auszeich- ncte und der mit Miss B., acht Jahre z'ahlend , der intelligenten Tochter des Petroleummillionars, die in seidenen Gewandern und mit der selbstbewussten Haltung einer Dame der grossen Welt durch die Sale rauschte, die Quadrille tanzte. Ihnen gegeniiber stand Fraulein D., sieben Jahre alt, stolz wie eine Kb'nigin, mit einem aufs Kunstvollste gearbeiteten Goldschmucke, an der Seite des jungen Herrn E., sechsjahrig, auf dessen schneeweissem, ge- stickten Hemdbusen von feinstem Battist eine Diamantnadel blitzte. u. s. w. u. s. w. Uebrigens wird dieser Luxus nicht allein bei solchen fest- lichen Gelegenheiten, sondern bei den gewbhnlichsten Ausfliigen, den Kirchenbesuchen u. s. w. sowohl von Alt wie Jung entfaltet. ,,Es gibt zehntausend Damen in New-York % sagt Thurlow Weed, ein alterer hervorragender Staatsmann und Journalist der friiheren Periode, ,,deren Costume mindestens ein Jedes 1000 Dol- lars kosten. Vor 15 Jahren hatte sich diese Anzahl von Mode- damen (fashionable ladies) mit einem durchschnittlichen Kosten- preise von 250 Dollars gekleidet, und sie waren damit gerade so anziehend geschmuckt gewesen, wie heute. Zehntausend Kinder unter zehn Jahren werden jetzt in phantastischer und kostbarer Weise mit einem Aufwande von je 100 bis 150 Dollars fiir je- den Anzug aufgeputzt, wahrend vor 15 Jahren die Kinder der reichen Burger einfach und passend zum Kostenpreise von 20 bis 25 Dollars gekleidet wurden. Es ist peinlich daran zu denken, 34 266 dass in Folge dieses verschwenderischen Kostenaufwandes fur eine Klasse, die niemals einen Dollar verdient hat, andere Zelm- tauseude ausser Arbeit sind, und an Nahrung, Kleidung und Brennmaterial Mangel leiden!" Die weitaus schlimmste Folge der Zurschaustellung dieses Luxus und der ausftihrlichen Berichterstattung liber denselben durch die Zeitungen, die lediglich vom Geschaftsstandpunkte dem Geschmacke und Begehren ihres Lesepublikums Geniige leisten, ist die, dass Alle das Aeusserste dran setzen, es diesen vom Gliick begiinstigten Wenigen gleich zu thun. Die praktische Wirkung der Doktrin der Gleichlieit wird in dieser Hinsicht gerade zur tyrannischen Herrschaft der Mode. Wahrend es in Deutschlantl sogar von den Eitelsten noch in gewissem Maasse beinahe als Schande empfunden wird, als Modedame zu gelten, setzt die Amerikanerin ohne Ausnahine ihren Stolzdarein, es als fashionable lady jeder Anderen gleich zu thun. Gleichviel was ihre person- lichen Ansichten, Gefiihle und Neigungen, mag es ihr noch so unbequem und unlieb sein, und mag sie nur mit dem grossten Bedauern die, wie sie wohl einsieht, uimtitzen Ausgaben machen, von denen sie weiss, dass ihr Mann sie nur mit grosster Mtihe zu bezahlen im Stande, sie muss in alien ihren Handlungen, in ihrem ganzen Anftreten und in jedem einzelnen Zuge ihrer Er- scheinung sich auf's Strengste der Mode unterwerfen, denn fashion is supreme d, h. die Mode geht iiber Alles , und was sich ihr nicht fligt, ist aus der Gesellschaft ausgestossen (read out of society} Nach A s m u s : ,,Hat eine auch nur'mal ein Zopfchen Nicht angeheft', wie ausgemacht, Dreht jede zierlich gleich das Kopfchen Und guckt ihr hb'hnisch nach und lacht." Die Erzielmiig der Kinder in Haus und Scliule. Die im vorigen Abschnitte geschilderte allgemeine Auffassung kann natiirlich nicht verfelilen, auch ihren Einfluss auf die Er- ziehung der Kinder auszuiiben. Systematisch werden diese dess- halb nicht zur praktischen, erzeugenden Arbeit angehalten und 267 dafur erzogen, sondern letztere gilt von vornherein als unter ihrer Wtirde, und die Knaben werden zu Gentlemen, die durch gliick- liche Spekulation oder sonstigen Zufall Geld machen sollen, die Madchen dagegen zu Ladies erzogen. Es ist ganz erstaunlich, welches Vertrauen der Amerikaner darein setzt, dass schon ,,et- was sich darbieten werde", something will turn up, das seinen Kindern die Mittel gewahren wercle, das Leben eines Gentleman zu fiihren. Soweit diese Erziehung im Hause vor sich geht, zeichnet sie sich dadurch aus, dass den Kindern keine Arbeit zugemuthet wird, welche die fashion verbietet. Da nun die Fashion insbe- sondere den Ladies jede nutzbringende Arbeit untersagt, die nur im . Geringsten physische Anstrengung erfordert, so ist die Folgc davon die, dass sogar in den Hausern. wo die Mutter sich noch der Hausarbeit unterzieht, die Tochter in ganzlicher Unthatigkeit aufgebracht und von ihrer Mutter bedient werden. Es bedarf der Erwahmmg, dass es immer noch Tausende .und Zehntausende amerikanischer Frauen gibt, denen es weder an Fleiss noch an Lust, noch an Geschick mangelt, ihre Hausarbeit zu thun, und die vollkommen Will ens sind, ihrem Gatten durch Besorgung des Haushaltes, ja sogar durch Sparsamkeit helfend zur Seite zu stehen, Aber auch sie stehen unter der Tyrannei der Fashion. Und sie konnen und diirfen sich dieser Arbeit nur insoweit unter- ziehen, als die Aussenwelt es nicht bemerkt. Dies geschieht denn auch in vielen Tausenden von Fallen, und diese, die einzigen wirklichen Hausfrauen, die die amerikanische Bevolkerung noch in ihrer Mitte zahlt, ziehen sich bald, weil ihnen ihre Beschafti- gung nicht die Zeit iibrig lasst, sich, \vie es dieFashion vorschreibt, auf dem ladylike Standpunkt zu halten, ganzlich von der Welt und dem Umgange mit der Gesellschaft zuriick, und sind nur noch in der Kiiche und den fremden Besuchern nicht zuganglichen Zimmern des Hauses zu finden, deren Grenzen sie kaum jemals iiberschreiten. Es sind dies meistens noch im wahren Sinne des Wortes .,Faniilienmiitter", dcren Kinderzahl noch nicht durcn die fashionable Zwer begrenzt wird. Aber gerade diese haben die Schwache, den Ehrgeiz es alien Anderen gleich zu thun, auf den sie fur ihre Person Verzicht geleistet, in ihren Kinder verwirk- lichen zu wollen. ,,Unsere Kinder sollen es besser haben wie wir!" sind Worte, die der mit dem amerikanischen Leben wirk- lich Vertraute allenthalben gerade aus dem Munde der besten, tiichtigsten und fleissigsten Hausfrauen vernimmt, die nicht nur der amerikanischen, sondern beinahe im gleichen Maassc dor ein- gewanderten Bevolkerung angehoren. Und damit es dio Kii der besser haben, fangt man damit an , sie zu ganzlich untlichtigen und nichtsnutzigenMenschen heran zu bilden. Damit das Tochterlein 268 in ihrcm Aussehen, ihrem Auftreten und ihrer Bildung als Lady nicht zuriickbleibe oder zuriickstehe, reiben sich diesc Mutter im buchstablichsten Sinnc dcs Wortes auf. Fur diese Aufopferung werden sie nur in hochst seltenen Fallen mit der Liebe und Achtung der Kinder belohnt. Im Gegentheile saugen diese die Anschauungen, nach welchen es nicht ladylike und nicht respectable ist, solche Arbeit zu thun, wie sie in ihrem eigenen Hause ihrc Mutter thut, im vollsten Maasse ein, und das unvermeidliche Er- gebniss ist, class sie ihre Mutter verachten. Sie, welche die drudgery, die schmutzige, miihsame Arbeit des Haushaltes thut, ist in ihren Augen eine untergeordnete Person, die sie bald mit keinem anderen Namen mehr belegen , als dem wegwerfenden the old woman w das alte Weib!-' Wahrend die jungen Ladies im Parlour, dem Prachtzimmer, sitzen und sich mit dem Piano und den anderen Elementen ihrer Bildung, oder mit ihren Be- suchern kurzweilen, halten sie es fur ganz in der Ordnung, dass jene im Hinterzimmer und der Kiiche diejenige dienstliche Arbeit verrichte, welche durch ihre Besuche nothwendig gemacht wird. Als die grb'sste Kr ankung ihres ladylike Selbstgefiibls wiirden sie es auffassen, wollte das old woman sich erdreisten, vor den Be- suchern im Parlour ebenfalls zu erscheinen, was denn auch beinahe nie sich ereignet. In der hauslichen Erziehung der Knaben waltet nur der Unterschiedj dass wahrend die Madchen sich fast gar nicht in freier Luft tummeln diirfen, weil es nicht respectable, die Knaben beinahe fortwahrend auf den Strassen herumliegen, und die mo- ralischen Ansichten der Strassenjugend schon in friihem Alter in sich aufnehmen. Sich mit Jedem raufen, der ihnen in den Weg kommt, der ganzen Welt nichtsnutzigen und durchaus nicht inner- halb der Grenzen der Massigkeit gehaltenen Schabernak spieleri; Niemanden, absolut garNiemanden achten, dasieja mindestens ge- rade so gut, wie Jeder; sich von Niemand Etwas verbieton lassen, oder auch nur eine Ermahnung hinnehmen, da sie ja ,.freie un- abhangige" Burger sind oder sein werden, was in ihren Augen gleich viel; und endlich sich als eine Art Schinderhannes und Raufbold vor alien ihren Genossen auszeichnen und den Helden- ruhm erwerben, der ihrer Meinung nach diese Auszeichnung be- gleitet, das ist die Moral der Strassenjugend , die mehr oder minder, ganz besonders aber dort wo das irische Element zahlreich ver- treten, von der ganzen Knabenwelt getheilt wird. Nimmt man hinzu, dass es in jeder grosseren Stadt Hunderte von Knaben, kaum dem zartesten Kindesalter entwachsen, gibt, um die sich Niemand kiimmert, die sich als Stiefelwichser, Zeitungsverkaufer, und in zeitweiligen Geschaften durch das Leben zu bringen haben, und daher mit einem gewissen neiderregenden Unabhangigkeits- 269 stolze crfiillt sind, so wird man begreifen, \vie schwer es ist, einer solchen Jugend gegeniiber die elterliche Disciplin aufrecht zu erhalten. Die Mehrheit der Kinder nennt denn auch den Vater nicht anders als the old man ,.der alte Mann" oder gar the old fellow ,,der alte Bursche". Letzteres ist iiberhaupt alteren Lenten gegeniiber ihr Lieblingsausdruck. Das Beste was die hausliche Erziehung noch erreicht, ist den Knaben einen oberflachlichen ausseren gentlemanlike Anstand einzupragen. Gelingt dies bei ihnen nur unvollkommen, so wird es dagegen bei den Miidchen im hb'chsten Grade erzielt. Die amerikanische Miss von 17 Sommern oder noch weniger steht in ihrem ganzen Benehmen, namentlich aber in der ruhigen Sicher- heit ihres Auftretens, die alle etwa existirenden Mangel an Bil- dung, Auffassungsgabe und Talenten unter dem undurchdringlichen Schleier kalter Unzuganglichkeit auf s Beste zu verhiillen vcrsteht, den Damen der europaischen guten und grossen Gesellschaft voll- kommen gleich. Uebrigens lasst sich auch nicht bestreiten, dass die Schulbildung der Frauenzimmer besser ist, als die der Manner. Wiihrend der Knabe die Schule als eine lassige Beschrankung seiner Freiheit ansieht, deren Zweck er iiberhaupt nicht begreift, da er ja an und fur sich schon ein freier und gleicher Burger zu werden berechtigt ist, sieht das im elterlichen Hause gewisser- maassen eingesperrte junge Madchen die Schule eher als einen Platz der Erholung und Abwechslung an. Ueberdies brennt sic vor Ehrgeiz, es an Bildung jeder Lady gleich zu thun. Um sich Auszeichnung in dieser Beziehung zu verschaffen, studirt sie dem- nach zu Hause mit demselben Eifer, womit ihr Bruder auf die Strasse stiirzt, um dort an den Kampfen der Strassenjugend theil- zunehmen, und sich Ehre und Heldenruhm als erfolgreicher Klopf- fechter zii erwerben. Dieser Tendenz der mannlichen Jugend entgegen zii arbeiten, reicht die Disciplin der Schule nicht aus. In Folge der krank- haften Sentimentalitat, die Strafen nicht mehr als dem Gciste des Zeitalters angemessen ansieht, ist namlich jede empfindliche Strafe aus den amerikanischen Schulen verschwunden, und man bcschrankt sich vielfach lediglich darauf, den widerspenstigen Zogling zu suspendiren d. h. ihn den Rest der jahrlichen oder halbjahrlichen Schulzeit vom Besuche der Klasse auszuschliessen. Dies thut dem hoffnungsvollen Sprb'ssling natiirlich nur dann webc, wenn er etwa daheim einen ganz ungewohnlich barbarischen Herrn Papa haben sollte, der ihn fiir diese seine Errungenschaft tag- taglich durchblaut. Die Mehrheit der Lehror besteht uberdies aus jungen, kaum der Schule entwachsenen, unerfahrenen Frauleins, die den wilden Bengeln gegeniiber ihre Autoritat nicht behaupten konnen. 270 Endlich aber beruht das gauze Lehrsystem auf Grundsatzen, die soweit sie uberhaupt Werth haben, der Anlage des weiblichen Geistes jedenfalls besser entsprechen, als dem mannlichen. Das mechanische Auswendiglernen namlich wird fast ausschliesslich geiibt. Sammtliche Schulbiicher besteben aus Reihen von Fragen, bei denen in der Regel auch gleich die Antwort steht, und diese werden unter der Aufsicht der Lehrerin, die gar kerne oder nur die nothdiirftigsten Aufklarungen gibt, ibre eigenen Kenntnisse wiirden ihr nicbt erlauben, den in der Frage beregten Gegenstand ausfiihrlich zu behandeln, in der Schule laut durchgelesen, und nach mehrfachen Wiederholen zum Auswendiglernen aufgegeben. Von irgend einer planmassigen Entwickelung oder Anregung der selbststandigen Denkkraft ist gar nicbt die Rede. 1st ein Buch durchgenomraen, so gebt man an's Nachste, und das Resultat ist in der Regel, dass der Zogling, der das Eine auswendig gelernt hat, von dem Inhalte des Yorbergehenden, der in keiner Weise mit dem Folgenden logisch verkniipft ist, ancb nicbt das Ge- ringste mebr weiss. Die Lehrmethode stiitzt sicb demnach ausschliesslich auf blinde Autoritatsglaubigkeit und ein gutes Gedachtniss, lasst da- gegen die Urtheilsfahigkeit und Folgerichtigkeit ganz unbeachtet. Da aber anscheinend die letzteren Seiten der Verstandesthatigkeit den Anlagen des mannlichen Geistes am meisten entsprechen, wahrend die ersteren dem weiblichen Geiste mehr zuzusagen scheinen, so erklart sich daraus, dass die amerikanische Lehrme- thode bei dem mannlichen nur sehr mittelmassige, bei dem weib- lichen Geschlechte dagegen etwas bessere Friichte bringt. Die Amerikanerin diirfte an Bildung der Dame der gebildeten Stande Eu- ropa's gleich stehen, wahrend bei dem Manne Solches entschieden nicht der Fall ist. Dieselbe Lehrmethode erstreckt sich sogar auf die hoheren Schulen [Colleges und Universities^. Die Mehrzahl dieser ist iibrigens von Religionssekten gegriindet, alle Lehrstuhle werden von ihnen besetzt, gewbhnlich mit solchen Geistlichen ihrerSekte, die keine gutzahlende Predigerstelle haben und als Lehrer Wi liens sind, nur unbedingt christliche, (d. h. was die betreffende Sekte als christlich auffasst) Wissenschaft *) zu lehren. Die wenigen Universities aber, die nicht unter dem direkten Einflusse einer Sekte stehen, sind dem Andrangen sammtlicher Sekten oder gar den Einfliissen der Politiker ausgesetzt, die fortwahrend um die Oberherrschaft ringen. Jene versuchen natiirlich bei jeder Gelegenheit ihre speciellen Schrullen zur Geltung zu bringen. 1) Die Errichtung katholiachcr Uiiivcrsitatcn inFfnnkreicb findet also ihr schonstes Vorbild im freien Amerika. 271 Letztere dagegen betrachten die Lehrerstellen auch noch alsRuhc- kissen fur gute Freunde. In alien diesen hoheren Lehranstalten werden die Zoglinge ohne Riicksicht auf den Grad ihrer Vorbildung aufgenommen. Meist wohnen dieselben in einer Art Kaserne, die mit der Schule in unmittelbarer Verbindung steht , und ' dort werden die wilden, ungeberdigen, bis dahin noch gar keiner Disciplin unterworfenen Burschen mechanisch d. h. ausserlich disciplinirt, ein Process, der sie meist zu Heuchlern macht. Freie Vorlesungen existiren sogar in den besten Universitaten nicht, sondern der Student ist iiberall gezwungen, den regelmassigen Klassensitzungen beizuwolinen und dort die regelmassigen Vortrage zu horen und zu memoriren. Etwas wie Privatdocenten, wodurch talentvollen Lehrkraften Ge- legenheit gegeben wiirde, sich in unabhangiger Weise hervorzu- thun, kennt man gar nicht, will es auch nicht kennen, da die Richtung, die jede einzelne Schule beherrscht, in derselben eine unabhangige Wissenschaft nicht gestatten wiirde. Unter alien Lehrern , die an der grossen Menge dieser Hoch- schulen angestellt sind, existiren sehr Wenige, die sich im Ge- biete der freien Forschung einen Namen gemacht hatten. Sie sind vielmehr sammt und sonders Grossen unbekannten Ranges , die sich damit begniigen, die Forschungen der Gelehrten Europa's in einer, den Ansichten ihrer Sekte entsprechend , verstiimmelten Form ihren Schiilern vorzulegen. Laboratorien, worin unter Anleitung von Professoren Ex- perimente gemacht werden, sind entweder nicht vorhanden oder werden, wo sie vorhanden dies ist der bezeichnendste Um- stand fur den Stand der hoheren Bildung nicht beniitzt. In der grossen Stadt Chicago besteht eine Universitat mit einem guten astronomischen Observatorium , aber keinem Menschen, der sich darum kiimmert oder auch nur im Stande ware, dies zu thun. Nichts desto weniger sind die guten Burger von Chicago stolz auf ihre Verdienste um die Astronomic. Wird mitunter und nur ganz ausnahmsweise ein Mann von europaischem Rufe als Professor an einer dieser Lehranstalten an- gestellt, so kann dies nur ein solcher sein, der wie der ver- storbene Agassiz es sich zum Berufe macht den Riss , der zwischen Bibelglaubigkeit und Wissenschaft besteht, zu iiber- schmieren und ubertunchen. Keine amerikanische Universitat wiirde es wagen, einen imabhangigen Forscher zu berufen und ihm die Freiheit lassen , die wirklichen Resultate seiner Forschun- gen auch dann noch vorzutragen, wenn sie mit den religiosen Doktrinen der Sekte nicht mehr im Einklange zu stehen scheinen. Uebrigens ist der untergeordnete Stand des hoheren Unter- richtswesens in den Vereinigten Staaten durchaus kein Wunder. 272 Denn in Folge der ganzen politischen und socialen Organisation geht beinahe jedes Motiv, welches die Leute zu ernstem, unab- hangigem Studium bewegen konnte, verloren. Auch der originellste Forscher und der gebildete Maim geniesst keine hohere Aclitung, als ein anderer Mensch, es miisste denn sein, dass es ihm ge- lange, auf irgend eine auffallende Weise sich Beriihmtheit zu civ werben. Ebenso wenig gewahrt die Absolvirung einer hoheren Schule, Lehranstalt und Universitat besondere Privilegien, wie es dies muss nicht vergessen werden, da es, meiner Ansicht nach , eine der hauptsachlichsten Triebfedern des hoheren Studiums 1st - - in Deutschland der Fall , wo diese Klasse das alleinige und ausschliessliche Recht zur Besetzung aller hoheren Aemter und Stellungen in Besitz genommen hat und ausiibt. Bei den politi- schen Verhaltnissen in den Vereinigten. Staateri ist neuerdings immer mehr und rnehr der Besitz einer hoheren Bildung fiir den, der eine analoge Stellung zu erlangen wimscht, gradezu ein Element der Schwache, da sie die Kluft zwischen dein Candidate!! und den Volksmassen , deren Gunst die Aemter verleiht, erweitert und seinen Ekel vor dein Parteigetriebe nur erhb'hen kann. Die hoheren Lehranstalten haben desshalb kaum einen anderen Zweck, als den , den Sohnen der reicheren Leute wahrend ihrer Jiinglings- jahre ein Unterkommen zu bieten und ihnen etwas Schliff beizu- bringen, sowie die Prediger der verschiedenen Sekten und die Unzahl der Aerzte auszubildcn. Was die Arzneiwissenschaft be- trifft, so leisten darin die Amerikaner verhaltnissmassig noch das Meiste , wahrscheinlich , weil diese Wissenschaft ihren eigentlichen Werth erst durch die personliche Erfahrung des Ausiibenden erhalt. Will man sich einen Begriff von dem Stande der ameri- kanischen, unabhangigen, hoheren Wissenschaft machen, so braucht man sich nur vorzustellen , wie es mit derselben sogar in Deutsch- land aussehen wurde ? wenn alle Gelehrten, w r elche durch Staats- oder sichere Anstellungen versorgt, in ihren Mussestunden sich unabhangigen Forschungen zuzuwenden im Stande sind, nie existirt hatten und nur solche iibrig geblieben waren, die wirklich aus wissenschaftlichem Triebe ihrer praktischen Beschaftigung unter materieller Einbusse an ihrem vielleicht sehr geringen Ein- kommen die zu gelehrten Studien nothigen Stunden abstehlen miissten. Wahrscheinlich gelange dann bald auch nur die Bil- dung zur Pflege, die unmittelbare praktische Resultate ergiebt; nur Einzelne wiirden abstrakte Kenntnisse fordern und zum Lohne dafiir ihrer vorlaufigen Erfolglosigkeit halber als unpraktische Sonderlinge oder gar als Narren vom grossen Piiblikum betrachtct werden. Denn dies ist die Lage der hoheren Bildung- und Ge- lehrsamkeit in Amerika. Was dicser in Deutschland die Aehtung 273 der Volksmasse verschafft , ist wesentlich der Umstand , dass diese Klasse durch ihre Organisation den Lowenantheil der politischen Macht an sich gerissen und die Herrschaft in den Handen hat. Der gebildete Mann geniesst die Achtung des grossen Haufens nicht seiner Bildung halber, deren Wertli zu ermessen der Unge- bildete nicht vermag, sondern seiner Stellung als Mitglied der herrschenden Klasse halber. Beweis dessen, dass der Amerikaner an sich grade so geneigt ist, die Bildung zu achten, als der Europaer, ist der Umstand, dass Alle, die sich einen unzweifel- haften europaischen Ruf als Gelehrte erworben haben, das grosste Ansehen geniessen. In den Vereinigten Staaten selbst aber be- steht fur den Gelehrten heutigen Tages gar keine Moglichkeit, sich einen solchen Ruf zu erwerben , weil eben anerkannte , ur- theilsfahige Autoritaten, deren Zeugniss allein denselben zu er- theilen im Stande ist , nicht vorhanden sind. A - as diesem Grunde bietet die hohere Bildung dem Ehrgeize auch nicht das geringste Feld, und es wirft sich Alles nur auf jcne Studien, die direkt rentirende Resultate abwerfen. Dass dies nur sehr oberflachlich gebildete Menschen erzeugen kann und in langerer Zeitdauer beinahe zum ganzlichen Stillstande sogar auf dem Felde der praktischen Erfindungen fiihren muss, ist offenbar. Denn sogar letztere erfordern ein gewisses Studium, dessen lohnender Erfolg immer erst in weiterer Feme steht. Thatsache ist daher, dass die Mehrheit aller praktischen Erfindungen durchaus nicht von schulgebildeten Menschen, sondern von lediglich prak- tischen Originaldenkern , denen haufig der Zufall den Anstoss dazu gab, gemacht ward. Dass z. B. in Amerika so viele arbeitsparende Maschinen erfunden worden , ist wesentlich dem Umstande zuzu- schreiben, dass Arbeitskrafte daselbst selten und theuer gewesen, und demnach sowohl der Anstoss fiir solche Verbesserungen , als auch die nothiee Bereitwilligkeit zu deren schneller Anriahme und Verbreitung bestand, die zur weiteren Vervollkommnung fiihren musste. Ich kann nicht unterlassen , hier noch zu erwahnen , dass, was immer der Charakter der erworbenen Bildung sein mag, die amerikanische Bevolkerung doch streng auf die Erwerbung von Schulbildung seitens der Kinder halt. Wenn demnach der jiingste Census angiebt, dass im Jahre 1870 nicht weniger als in runder Summe zwei Millionen , d. h. ungefahr zehn Procent der eingebornen weissen Bevolkerung im Alter von iiber zehn Jahren nicht lesen und schreiben konnen , so sind diese zwei Millionen theils unter den armen weissen Sandhiiglern und Hinterwaldlern des Siidens zu suchen, die vom Verkehr mit der Welt und den Schulen schon ,von jeher, in Folge des Krieges aber noch mehr als vorher ab- geschnitten sind , zum anderen und wahrscheinlich allergrossten 35 Theile entstammt diese Ziffer den zahlreichen Kindern der einge- wanderten irischen Bevb'lkerung, die nicht nur sich nicht be- wogen fiihlt, ihre Nachkommenschaft zum Schulbesuche anzuhalten, sondern sogar noch von den katholischen Priestern beeinflusst wird, ihre Kinder nicht in die gewohnlichen Freischulen des Landes zu senden, sondern nur in die katholischen Kirchen- schulen. Da letztere aber nicht iiberall vorhanden , erhalten die Kinder der katholischen Bevolkerung haufig gar keinen Unterricht. Nur auf solche Weise erklart sich die auffallende Zunahme der Zahl der ganzlich Ununterrichteten iin letzten Jahrzehnt , die der wirklichen amerikanischen Bevolkerung und deren Abkommlingen nicht zur Last gelegt werden kann. Die hohere Bildung des weiblichen Geschlechtes wird eben- falls in Colleges oder Seminaries ertheilt. Diese stehen ohne Ausnahme in Verbindung mrt dem Sektenwesen. Ebenso wohnen die Zoglinge in den Schulgebauden als Boarders, und entwohnen sich dadurch vollstandig dem hauslichen Leben. Die hoheren Tochterschulen , worin die jungen Madchen schaarenweise ohne jede Spur einer physischen Thatigkeit in klosterlicher Abgeschlossenheit gerade zu der Zeit gehalten werden, wo sich feei ihnen das geschlechtliche Interesse zu regen beginnt, lenken ihren von den unaufhorlichen Memoririibungen ermiidetcn und iiberreizten Geist nicht nur auf das Fashionable, sondern er- zeugen als Reaktion eine iibertriebene geschlechtliche Reizbarkeit, Wie diese sich Luft macht, zeigt die ganz ausserordentliche Verbreitung einer iiber alle BegrifFe schmutzig-obsconen Literatur. Bei einzelnen New-Yorker Buchhandlern hat die Polizei, die sich dann und wann , aber nur sehr ausnahmsweise, zu einem Schlage aufrafft, gauze Wagenladungen solcher Biicher gefunden. Die Anzeigen und Empfehlungen dieser Literatur sind in einer ganzen Menge von Blattern , sogar haufig in solchen , die sich in ein religioses Gewand hlillen, in verbliimter Sprache, zu finden. Amtliche Untersuchungen aber haben festgestellt , dass diese Waare ihr bestes Publikum an den jungen Damen der hoheren Schulanstalten findet. Dass dabei unnaturliche Gewohn- heiten in der weitesten Ausdehnung vorwalten , gleichsam an Stelle anderer, unterdriickter , physischer Thatigkeit treten und bis zur Zerstorung der Gesundheit getrieben werden, ist eine unvermeid- liche Thatsache, die in dem schlaffen , hinfalligen, nervosen, atherisch-transparenten , hysterischen Aussehen und Wesen der jungen Damen, die im Alter von ungefahr siebenzehn Jahren aus diesen Collegien in die ,,Gesellschaft" treten, ihre Bestatigung findet. 275 Das eheliche Lefoen und die geg-enseitig-e Stellungr der Oeschlechter. Mit dem Augenblicke, als die junge Dame in die Gesell- schaft eingefiihrt 1st, beginnt ohne jeden Uebergang die freieste Pcriode ihres Lebens. Das Schulmadchen von ehegestern ist heute zur bewunderten und umschwarmten Belle of the season^ der Konigin des laufenden Jahres geworden, die zu bevormunden oder deren "Willeri Schianken anzulegen, Niemand mehr, selbst ihre Eltern nicht, versuchen. Im Gegentheile trachten Letztere alle ihre Launen, Wiinsche und fashionablen Bediirfnisse, soweit es in ihren Kraften steht, zu erfullen, um ihr Gelegenheit zu geben, im vollsten Maasse zu glanzen und werthvolle Eroberungcn zu machen. Ohne jegliche Ueberwachung nimmt sie Besuche an, unterhalt dieselben im Prachtzimmer, ohne durch die Eltern im Geringsten genirt zu werden, nach Belieben, macht selbst Besuche, und nimmt Buggy-rides mit ihren Beaux vor, d. h. sie lasst sich von ihren Courmachern in den leichten. Buggies genannten zier- lichenWagen, eine Specialitat Amerika's, hinter schnellen Pferden im Tempo von einer englischen Meile in zwei Minuten vierzig Sekunden , dem two-forty gait bei Tage oder des Abends spazieren fahren. Trotz ihrer krankhaft-sentimentalen Reizbarkeit aber wird sie von der idealen, schwarmerisch-hingebenden Romantik, die Nichts als zwei liebende Herzen, ein Hiittchen und ein Bettchen braucht, um glucklich zu sein, nur hochst selten verfiihrt. Der Gedanke, den sie nie aus den Augen lasst, das stete Ziel ihres Ehrgeizes ist vielmehr der, es als fashionable Lady jeder anderen gleich zu thun und eine respectable Existenz zu fiihren. Und sie hat genug vom Leben gesehen und gelernt, um die Ueberzeugung zu hegen, dass Geld dazu unentbehrlich sei. Wahrend sie dem- nach zur Befriedigung ihrer Eitelkeit gern bereit ist, mit jedem beliebigen Beau zu coquettiren, [to flh't), zieht sie doch nur die ernstgemeinten Antrage derjenigen in Erwagung, deren Auftreten sie berechnen lasst, dass sie auch ihre Bediirfnisse bestreiten konnen. Dass diess so weit gehe, dass die junge Dame selbst sich von dem Bcwerber einen detaillirten Nachweis seiner Vermogensumstande liefern lasse, ist um deswillen nicht richtig, weil ein solcher Nachweis in den Vereinigten Staaten nur von sehr Wenigen ge- 276 liefert \vcrden konnte, Denn gesicherte Kapitalien sowohl als gesichertes Einkommen sind dort in Folge des fortwahrenden Wechsels viel seltener vorhanden, als in Europa; die vorhandenen aber gehoren alteren Leuten, nicht den zum Heirathen geneigten jungen Mannern. Die Eltern aber haben bis heute noch nicht die Sitte angenommen, ihren Kindern, sowohl Sohnen als Tbchtern, eine ihrem Vermogen entsprechende Kapitalausstattung in die Ehe mitzugeben, und Aussichten auf eine zukunftige Erbschaft beim Ableben Jener liegen in einer Feme, die der Amerikaner bislang gar nicht gewohnt ist in Betracht zu ziehen, da bis dahin sich Vieles geandert haben und das elterliche Vermogen verschwunderi sein kann. Die junge Dame beurtheilt demnach den Vermogens- staud ihrer Freier, oder richtiger ausgedriickt, deren Fahigkeit, sie als Lady, wie sich's gebiirt, zu unterhalten, lediglich nach seinem Auftreten und durchschnittlichen Geldverbrauche. Dass sie sich dabei sehr oft tauschen lasst, ist unausbleiblich. Da man sich aber den unbequemen Luxus der Kinder nur in sehr geringem Maasse gestattet , und die Moglichkeit der Scheidung immer offen steht, ist cin Irrthum in dieser Beziehung durchaus nicht unheilbar. So ergreift sie denn schliesslich eine ihr giinstig er- scheinende Gelegenheit, theilt ihren Eltern und ihrer Familie mit, class sie ihre Wahl getroffen habe, und heirathet. Allzu scrupulb's darf sie in ihrer Auswahl eben nicht sein. Denn die Heirathsantrage zeigen namentlich in den letzteren Jahren, und ganz besonders in den respectablen Kreisen eine erschreckende Abnahme. Die Unterhaltungskosten eines anstandigen Haushaltes und einer fashionablen Lady sind eben seit fiinfzehn Jahren min- destens um das Dreifache gestiegen, wahrend die Einnahme der jungen Manner eine entsprechende Zunahme nicht nur nicht zeigt, sondern im Gegentheile, immer weniger gesichert geworden ist. So ist es denn kein Wunder, wenn im Staate Ohio, der in der Mitte zwischen den Fabrikstaaten des Ostens und den Ackerbau- gegenden des Westens gelegen, als passendes Durchschnittsbeispiel gelten kann, wahrend der zehn Jahre von 1863 bis 1873 die Anzahl der jahrlich abgeschlossenen Ehen, trotz der stattgehabten Bevb'lkerungszunahme von 31,000 bis 21,000, also im umgekehr- ten Verhaltnisse von 3 zu 2 gesunken ist. Die unmittelbare Folge aller dieser Umstande, welche die eingeborne Bevolkerung ganz besonders betreffen, zeigt sich darin, dass in den Fabrikdistrikten der Neu-Englandstaaten, die ein be- deutendes eingewandertes Element meist keltisch - katholischen Blutes besitzen, das Verhaltniss der jahrlichen Geburten zur Ge- sammtbevolkerung unter Letzterem Elemente sich stellt wie 1 : 14, wahrend es bei der eingeborenen Bevolkerung gleich 1 : 54 ist. Im Uebrigen muss ich entschieden der Annahme widersprechen, 277 als ob aus diesem Grunde die amerikanische Bevolkerung ausster- ben und den Kindern der Eingebornen den Platz raumen miisse. In gewissen Distrikten, \vie dem eben angefiihrten, mag dies wohl zur Wahrb'eit werden. Aber zur allgemeinen Geltung kann es desshalb nicht kommen, weil in alien Stadten und Fabrikdistrik- ten die Kinder der Eingewanderten schon in der ersten Genera- tion dieselben Wege wandeln, welche die amerikanische Bevolke- rung vor ihnen eingeschlagen bat, und weil ein sehr grosser Theil der Letzteren Landbevolkerung ist und bleiben \vird. Diese aber wird nicbt in Folge von Moralpredigten, sondern unter dem Drucke der veranderten Verhaltnisse der ausscbliesslich auf Luxus und Bequemlichkeit gerichteten Tendenz entsagen und sich von der allzu kostspielig gewordenen Tyrannei der Mode und Respec- tabilitat befreien muss en, und damit auf naturgemasse Babnen zuriickkehren , von denen sie uberhaupt noch am wenigsten und nur in Folge aussergewb'hnlich giinstiger Verhaltnisse, nicht etwa in Folge absichtlieher und bewusster moralischer Verderbtheit ab- gewichen ist. Vorlaufig aber nimmt die Sache ihren unaufhaltsamen Gang, der zu immer grb'sserer geschlechtlicher Demoralisation fiihrt. Die Abnahme der Ehe fiihrt zu einer ungeheuren Zunahme derllnver- heiratheten beiderlei Geschlechtes. Vergegenwartigt man sich nun die geschilderten Sitten, die nervose Reizbarkeit der zur Hysteric geneigten Frauen, die freie Unabhangigkeit der jungen Damen in der Wahl ihres Umganges, den sensationell reizenden, haufig ob- scb'nen Lesestoff, der die hauptsachliche Unterhaltung ihrer nie cndenden langweilig-eintonigen Mussestunden bildet, endlich die ganz allgemeine Kenntniss der Mittel der Fruchtabtreibung u. s. w. die obendrein beinahe in jeder Zeitung fortwahrend angezeigt werden, dazu die ruhige, Alles verbergende Sicherheit des Auf- tretens, die der Amerikanerin eigen, so kann man sich vorstellen, in welchem Maasse natiirliche krankhaft gesteigerte Triebe ausser der Ehe Befriedigung suchen, die sie in ihr nicht erreichen konnen. Umsomehr als die Gesetzgebung dem Madchen die Moglichkeit gewahrt, ihr Ziel, die Versorgung durch die Ehe , durch ausser- gewohnliche Hingabe zu erreichen, diese also gewissermaassen pramiirt, und um so mehr endlich als die herrschende Sitte den Mann zum unverbriichlichen Stillschweigen zwingt, weil irgend cin Skandal, der dem Rufe eines Weibes nahe tritt, ihren mann- lichen Anverwandten das Recht gibt, durch Todtung des Mannes die geschadigte Ehre des unverantwortlichen Weibes wieder her- zustellen. Das amerikanische Gesetz erlaubt namlich nicht nur die Vaterschaftsklage, sondern zwingt den Verklagten sogar, das Madchen, die ihn als Vater ihres Kindes oder auch nur als ihren 278 ,,Verfuhrer" vor Gericht zieht, zu heirathen, oder ihr doch falls sie auf dieses Recht verzichtet, eine bedeutende Entschadigung zu zahlen. Die blosse eidliche Behauptung, dass der Mann ihr die Ehe versprochen liabe oder der Vater ihres Kindes sei, gilt von vornherein als Beweis, den nur der offenbare Nachweis ihrer anderweitigen Unkeuschheit erschiittern konnte. Diesen Nachweis zu liefern, ist aber der eben erwahnten Sitte halber unmoglich. Sogar wenn die Betreifende notorisch vielen Mannern zu Willen gewesen, wur'de dennoch nicht Einer sich bereit finden lassen, dies gerichtlich zu beeidigen, weil er dadurch nicht nur gegen sich selbst Zeugniss ablegt, sondern sich auch wehrlos der Rachc der mannlichen Angehorigen des Damchens oder dieser selbst blossstellt. Ueberdies wiirde er in der oftentlichen Achtung sinken, weil er das Vertrauen, das die Betreffende in ihn als Gentleman setzt, dessen Ehrenpflicht in solchen Sachen Verschwiegenheit ist, getiiuscht hat, und demnach auch in anderen Beziehungen unzu- verlassig sein mag. Aus alien diesen Griinden gelingt eirie Ver- theidigung in den seltensten Fallen und der Angeklagte wird in der Regel zur geheimen schadenfrohen Genugthuung aller an- deren Liebhaber verurtheilt, die Klagerin auf der Stelle zu ehelichen, oder falls sie es vorzieht, Entschadigung zu zahlen. Hat er Vermogen, so ist haufig Letzteres der Fall. Natiirlich beutet die gewohnlichste Speculation dieses gesetz- liche Verhaltniss aus. Kiirzlich kam in Brooklyn, der Schwester- stadt New-York's, ein Fall vor Gericht, in welchem ein junges Madchen von 15 Jahren den Stadtvermessungsbeamten , einen alten reichen Junggesellen, wegen Bruchs einesHeirathsversprechens, dass er ihr als sie 14 Jahre alt war, gegeben, auf eine Entscha- digung von nur 100,000 Dollars verklagte. Klagen, welche aus den trivialsten Beziehungen eines gegenseitigen Verkehrs ein Heiraths- versprechen ableiten, sind alltaglich, und nur ganz ausnahmsw T eise gelingt es dcm Verklagten, einen derartigen Process zu gewinnen. Dass solche gewaltsam zusammengeschmiedete Paare nicht mit besonderer Liebe an einander hangen, lasst sich denken. Haufig tragt es sich zu, dass der eben gerichtlich angetraute Ehemann seine nunmehrige Fran schon an der Ausgangsthiire des Gerichts- saales verlasst. Bei den ungesicherten und schwankenden Ver- hiiltnissen kommt ein Verlassen der Frauen seitens der Manner, w r as die Kosten einer Scheidung spart y iiberhaupt sehr haufig vor, und dieAnzahl der Strohwittwen ist ganz enorm. Der leicht- sinnige, riicksichtslose junge Mann, der wahrend einer kurzen Zeit guten Verdienstes ein Madchen geheirathet und die Sussig- keiten der Flitterwochen genossen hat, schniirt, wenn die Zeiten flau werden und sein Verdienst nicht mehr ausreicht, einfach sein Biindel und reist in einen anderen Staat. Dasselbe thut der ruinirte 279 Speculant, der sich zuni Arbeiten fiir den Lebensunterhalt seiner Familie nicht entschliessen kann. Und ausserordentlich haufig sind die Falle, in denen namentlicli jene hubschen jungen Manner in ihrer neuen Heimath dasselbe Spiel wiederholen. Desshalb haben Falle von Bigamie oder Polygamie langst aufgehort, eine Seltenheit zu sein, und obwohl sogar die Anzahl derselben , die vor die Gerichte gelangen, schon ganz bedeutend, darf man kiihnlich behaupten, dass sie nur einen kleinen Procentsatz der Gesammtheit bilclet. Denn weitaus die meisten Strohwittwen schicken sich in die Lage, und erwirken, wenn sie wieder Ge- legenheit zum Heirathen finden, entweder eine Scheidung oder machen es wie ihre Manner und heirathen auch ohne dieselbe. Die Anzahl der Scheidungen betragt iiberdies nicht weniger als ein voiles Sechstel der abgeschlossenen Ehen. Alle diese Klassen nun, unverheirathet gebliebene Jungfern, Strohwittwen, geschiedene Frauen und endlich wirkliche Wittwen bilden ein immer mehr anschwellendes Heer, das nur in den wenigen Fallen wo die Eltern wirklich der reichen Klasse angehoren, im Stande ist die Lebensweise, die ihnen nach ihren Ueberzeugungen gebiihrt, als respectable und fashionable Ladies zu fiihren. Die Folge ist natiiiiich Missstimmung und Unzufriedenheit mit der gesammten Weltordriung und ein wiithender Drang nach Reformen, die alle Ungerechtigkeit, besonders die woran diese Frauen leiden, alle Unterdriickung, alien Mangel (an den nothigenMitteln, der Fashion zu folgen) und alle nicht respectable Arbeit fiir immer beseitigen sollen. Wahrhaft wunderbar sind die Plane die das weibliche Gehirn in dieser Richtung ausheckt. Nach den Einen wiirden vor der Einfiihrung des Weiberstimmrechtes alle Uebel dahinschmelzen, wie Schnee unter der Tropensonne, und ewiger Frieden, immer- wahrender Ueberfluss urid gegenseitige christliche Liebe das Welt- all erfiillen; nach den Anderen ist es die Abschaffung der Ehe, die der Gesellschaft unbedingt Noth thue, wobei sie unterlassen uns zu sagen, was sie eigentlich mit den Kindern anzufangen ge- denken. Wieder Andere beklagen sich in unendlichen Tiraden in den Zeitungen daruber, dass die Manner gar nicht heirathen wol- len, und schlagen vor, dass ein gesetzlicherDruck auf widerwillige Junggesellen ausgeiibt werde, womit denn auch wie berichtet wird, der Staat Tennessee durch Auflegung einer Kopfsteuer von 10 Dollars jahrlich auf ledige Manner den Anfang gemacht haben soil. Noch Andere und diese sind wohl die Mehrzahl, beschweren sich daruber, dass sie respectable Arbeit, d. h. Arbeit die ihnen erlaubt, die fashionable Lady zu spielen, und von welcher ihnen die Finger nicht rauh werden, gar nicht finden konnten, was sehr wahrscheinlich, da es Hunderttausenden von Mannern gerade so geht. Letztere sind in solchen Fallen eben schliesslich gezwungen. 280 weniger respectable, d. h. wirklich producirende Arbeit zu thun, und es wird wohl den Weibern am Ende nichts welter ubrig bleiben, als diesem Beispiel zu folgen, und sich zu erinnern, dass in den Vereinigten Staaten keine Klasse von Arbeitern so gesucht und verhaltnissmassig so gut bezahlt wird, als Frauen- zimmer, die Kiiche und Haus besorgen und in Ordnung halten konnen. Einzelne Versuche, vermoge solcher Reformen das Oberste zu Unterst zu kehren, sind dann und wann gemacbt worden. Die Shakers', eine Religions-Genossenschaft, haben die Ehe und die Kinder ganz und gar abgeschafft, ersetzen aber bis jetzt immer noch ihren Bedarf von neuen Mitgliedern aus den siindigen Er- zeugnissen jenes Theiles der menscblichen Gesellscliaft, der ihrem Beispiele nicht gefolgt ist. Dagegen verwirklicht die Oneida Community, eine religiose Gemeinde in Oneida County im Staatc New-York, die kiihnsten Hoffnungen des Communismus, und hat wie sich nicht bestreiten lasst, einen vorlaufigen Erfolg. Alles ist hier gemeinsam, nicht nur das Eigenthum und die Arbeitserzeug- nisse, sondern ebensowohl die Personen der zugehb'rigen Manner, Weiber und Kinder. Ob damit die allgemeine Stichhaltigkeit der, dem Geschmacke der germanischen Race widerstrebenden Lehren des Communismus erwiesen ist, bleibt dahingestellt. Der Mormonismus dagegen, der sich in dem entlegenen ab- gesonderten Utah einen Staat im Staate zu griinden versucht, und in der Cultivirung dieser Oase unbestreibare Verdienste sich erworben hat, strebt durch die Vielweiberei dem Ueberschusse unbeschaftigter Frauen ein Ende zu machen. Da es aber offenbar ist, dass ein Mann noch viel weniger vermag eine Mehr- zahl von Frauen respectable zu erhalten, als riur Eine, und da der Grund der Abnahme der Heirathen eben der ist, dass diese Eine schon zu kostspielig ist, so findet die Lehre der Mormonen unter den Amerikanerinnen keinen besonderen Anklang, und der Hohepriester Brig ham Young sieht sich genothigt, die Reiheri seiner Glaubigen durch Rekrutirung aus den untersten Klassen der Bevolkerung von England, namentlich von Wales, dann von Schweden und Danemark zu verstarken. Alle verschiedenen Weltreformplane, von dieser unzufriedenen Klasse von Weibern und ihrem mannlichen Anhange in Zeitungen die den Weiberrechten, der Emancipation der Frauen u. s. w. ge- widmet sind, sowie in Biichern und sehr besuchten, weil sensa- tionell-pikanten Vorlesungen unter dem Publikum verbreitet, haben nur den Einen Erfolg, die moralischen Begriffe der Amerikaner immer noch mehr zu verwirren, und die geschlechtliche Entsitt- lichimg in immer w r eitere Kreise zu tragen. Wie weit dieselbe vorgeschritten, zeigt der schon einmal erwahnte Fall des Pastor i Beecher in Brooklyn, aus dessen Enthiillungen ziemlich klar her- vorgehtj wie unter der hocharistokratischen, streng christlich- religiosen Gemeinde dieses Herrn in geschlechtlicher Beziehung ein Zustand der Dinge bestand, der der freien Liebe so ahnlich, wie ein Ei dem Anderen. Die beruhmte oder beriiclitigte Vor- kampferin der freien Liebe, Victoria Wood hull, welche den ersten Anstoss zu dieser Unterstichung schon vor mehr als drei Jahren gegeben, und die damals wegen Verlaumdung, Missbrauchs der Presse und obsconen Verb'ffentlichungcn, \vonmter ihre Erzah- lung des angeblichon Sachverhalts zu verstehen, processirt wurde, erscheint in dem Lichte der umfangreichen Untersuchungen als die einzige in diesen Fall verwickelte Person, welche offen und ehrlich die Wahrheit gesprochen hat. Alle anderen Theilnehmer dagegen, sammtlich der respectabelsten Gesellschaft angehorig, entpuppten sich als systematische Liigner und Heuchler. Eine der Reformparteien die ihr Entstehen der Abnahme der Heirathen und der Verschlechteruiig in der Lage der Frau verdanken, findet unter der weiblichen Bevolkerung Amerikas bei- nahe allgemeinen Anklang : jene namlich die alle Uebel den geisti- gen Getranken zur Last legt und von einem allgemeinen Verbote der Spirituosen die Wiederherstellung der Sittenreinheit, der Ehr- lichkeit, der Religiositat, der Heirathslust der Manner und - - last not least ihrer Fahigkeit die Ausgaben einer fashionablen Lady auch fernerhin zu bezahlen, erwartet. Diese Prohibitions- oder Temperanz-Partei steht in engster Verbindung mit den Kirch en, wodurch sie ihre eigentliche Organisation und Starke erhalt. Wie schon einmal bemerkt, ist der Verbrauch geistiger Getranke in den Vereinigten Staaten wirklich sehr bedeutend, und ein Uebel von colossalen Dimensionen, das unzweifelhaft dem Familienleben die enipfindlichsten Wunden schlagt. Trotzdem ist es nicht sowohl die Ursache, als vielmehr nur eine Erscheinungs- phase der sittlichen Zerriittung. Ein wesentlicher Grund dieses Uebels liegt in der ich mb'chte sagen socialen Kluft, die beide Geschlechter in Amerika viel scharfer von einander trennt, als dies in Europa der Fall. Schon von Jugend auf ist das Madchen an's Haus gebannt, wahrend der Knabe sich auf der Strasse herumtummelt. Jene wird auf ihre Weise gebildet, dabei nervos, krankhaft-sentimental, ist nichts weniger als praktisch und ihr ganzes Sinnen und Trach- ten richtet sich auf Befrindigung ihrer Sucht, es alien Anderen im Modeputz gleich zu thun. Mit alien den Charakterzugen, die sich hieraus entwickeln, hat der Mann nicht die geringste Sym- pathie, ja es fehlt ihm ganzlich an Verstandniss dafur. Er hat als Knabe in der Schule nur so viel gelernt, als unumganglich fur das praktische Leben nothig und nutzlich war, ward danii 36 282 gleich in das oifentliche Leben geworfen, und hat seine eigentliche Bildung erst in diesem crhalten. Er besitzt demnach keine Spur von Sentimentalitat, dagegen eine bedeutende Portion Rohheit und Riicksichtslosigkeit. Jedes Verhaltniss fasst er nur von der un- mittelbar praktischen Seite auf, und ist gar nicht im Stande, eine andere Auffassung auch nur zu begreifen. Was die Mode betrifft, so ist ihm dieselbe ein ganz unverstandlicher Flitterkram, um den er sich f iir seine eigene Person auch nicht im Geringsten kiimmert. Seine Geschafte besorgt er ganz allein, und nie fallt es ihm ein, seine Frau irgendwie zu Rathe zu ziehen oder auch nur mit ihr dariiber zu sprechen, da er sie doch fur total unfahig halt, die- selben zu begreifen. Dies ist auch unzweifelhaft richtig, die Frau selbst ist mit dieser Einrichtung vollkommen einverstanden, und kiimmert sich gar nicht, wie und ob ihr Mann Geld verdient, so lange nur eben was sie bestellt in's Haus geschickt, und ihren Modebediirfnissen Geniige geleistet wird. Sie steht nur in Ver- kehr mit ihresgleichen, hort Nichts als den gebrauchlichen Wei- berklatsch, und liest Nichts als sentimentale, pikante oder Schauder- romane. Er dagegen hat das Lesen der Raubergeschichten seit der Knabenzeit an den Nagel gehangt, ihm bleibt hochstens die Zeit, die telegraphischen- und Handelsberichte oder einen Leit- artikel seiner Zeituugen in Eile zu iiberfliegen. Er kommt mit All' und Jedermann in fortwahrende Beriihrung, unterhalt sich aber kaum jemals von Gegenstanden des Kaffeeklatsches, die ihn nicht im Geringsten interessiren, sondern von Geschaften aller Art, und seine Gedanken wendeii sich nicht romantischen Gefiihlen sondern dem zu, was da gemacht werdeii kann. So bestehen zwischen beiden Geschlechtern geistig kaum welche Elemente des Verstandnisses, vielmehr eine kiihle, beinahe fremde Beriihrung. Und ein wesentlicher Theil der Achtung, die von den Mannern den Weibern gezollt wird, cntspringt dieser Quelle. Die Achtuug, die das weibliche Geschlecht geniesst, wird seit lange als eine besondere Charaktereigenthiimlichkeit des amerikanischen Lebens gepriesen. Sie hat, wie Alles in dieser Welt, ihre natiirlichen Entstehungsgriinde. Theils ist sie der ger- manischen Race iiberhaupt eigen, theils entspringt sie wie schon friiher bemerkt, der Scheu eines Jeden, die Schranken zu verletzen, die die Sphare des Weibes begrenzen, und sich dadurch der Rache auszusetzen, die nach germanischen Auschauungen den Angehorigen der Frau zusteht. Vielleicht ist dieser Theil mit dem Vorigen identisch und bildete den Grund der Achtung, womit die alten Germaneii das Weib behandelten. Ein anderer Theil aber, und zwar ein sehr betrachtlicher, der Achtung die das Weib in Amerika geniesst, hat seine Quelle einfach darin, dass in neuen Landern das mannliche Geschlecht immer in viel grosserer Anzahl vertreten ist, als das weibliche. Das Weib wird in Folge dessen zu einem sehr gesuchten und also hochst werthvollen Artikel. Es wird ihr, wie es thatsachlich in den Territorien des fernen Westens der Fall, beinahe Alles nachgesehen. Gemeine Prostituirte sogar haben Aussicht ganz achtungswerthe Manner als Bewerber um ihre Hand auftreten zu sehen. Und schon verheirathete Frauen miissen von ihren Mannern sorgfaltig gehegt werden. Denn bei der geringsten Unzufrieden- heit bieten sich ihnen sogleich dutzendweisc die Gelegenheiten, sich dem Schutze nnderer Manner anzuvertrauen, die bereit sind alle ihre Wiinsche zu erfullen, um nur in dem so seltenen Genuss ihrer Geselkchaft zu schwelgen. Diese Achtung hat aber eine eigenthiimliche Seite. Sie entspringt lediglich dem physischen, geschlechtlichen Bediirfnisse und kann desshalb nur so lange be- stehen ? als das Weib den Mann in dieser Beziehung zu reizen vermag. Sobald dies vorbei, hat sie aufgehb'rt besonderen' Werth zu besitzeii, und was ihr an Achtung noch gezollt wird, ist hochstens Angewbhnung. Dass Solches in Amerika vorwiegend der Fall ist, zeigt die Thatsache, dass in Wirklichkeit die Achtung sich hauptsachlich den jungen, reizenden Weibern zuwendet , wahrend sie sich be- deutend verringert, sobald das Weib in das, so zu sagen, ge- schlechtlich unniitze Alter eingetreten, und auf ihren eigenen per- sbnlichen Werth angewiesen ist. Die Achtung, die das old woman, das alte Weib, bei den Amerikanern geniesst, ist entschieden ge- ringer als in Europa. Im Gegcnsatze erfreut sich das ganzlich unreife Madchen, ja beinahe das weibliche Kind schon einer anti- cipativen Achtung seines geschlechtlichen Zukunftswerthes als young lady, wovon in Europa keine Spur zu finden. Endlich aber rlihrt ein dritter Theil der Achtung der Frauen in Amerika von der oben geschilderten Entfremdung her. Sie ist gewissermaassen eine Scheu * des Mamies bei Wesen, die so ganzlich verschieden in alien ihren Ideen , Anstoss zu erregen. Ihr allein ist die bei dem dreisten, verwegenen, gar nicht zu verbliiffenden Amerikaner hochst seltsam erscheinende Schlichternheit und Unbeholfenheit zuzuschreiben , die ihn im ge- sellschaftlichen Umgange mit dem weiblichen Geschlechte charak- terisirt, und die zur ergotzlichen Folge hat, dass hbflich gebildete Europaer, namentlich aber Franzosen, die von dieser Schuchtern- heit keine Spur besitzen , in amerikanischen Cirkeln jeder- xeit die Rolle der Lowen spielen. Wahrend sie in leichter und gewandter Manier mit alien Damen im Saale umzugehen wissen und binnen Kurzem auf bestem Fusse mit ihnen verkehren, stehen die anwesenden Amerikaner, verbliifft iiber diese unerhorte 284 Nonchalance im Hintergrunde und in den Ecken , und verwunschen in eifersiichtiger Wuth den fremden Eindringling , der ihnen ihre belles vor der Nase wegschnappt. Darum gelingt es auch so vielen ruropaischen Abenteurern, die sich gewbhnlich als polnische Gra- fen , franzosische Barone und italienische Herzoge einfiihren, Tb'chter aus der reichsten, amerikanischen Geldaristokratie und mit ihnen eine gehb'rige Portion des Reichthums des Herrn Papa zu erobern , woran dem betreffenden gewandten Adonis gewb'hnlich das Meiste gelegen ist. Die Folge dieser Entfremdung ist nun die, dass es dem amerikanischem Ehemann, sobald das geschlechtliche Interesse an seiner Frau abgestumpft ist, nicht mehr gelingen will, sich irgendwie mit ihr zu unterhalten. Es herrscht demna/ih nur bei sehr wenigen Familien ein herzlicher Ton ; bei den weitaus meisten dagegen beschrankt sich der gegenseitige Verkehr bald auf die Formen einer kiihlen, gemessenen Hbflichkeit und Zutraulichkeit wiirde sogar aufdringlich erscheinen. Die Teiiiperanz-Beweguiig und das religiOse Leben in Amerika. Der von Geschaften abgespamite Mensch empfindet immer und iiberall das Bediirfniss nach Unterhaltung , Erholung und Ab- wechslung. Diese, weil sie ihnen im gegenseitigen Verkehre in der Familie nicht zu Theil wird, sind beide Geschlechter ge- zwungen anderwarts zu suchen : die Frau im Modeputz und im shopping, der Mann in den Trinklokalen , in der nervosen Aufregung des Trunkes selbst, am Spieltisch und bei anderen Frauenzimmern , die ihm einen neuen animalischen Reiz bieten, den seine Frau nicht mehr zu gewahren vermag. In der Regel sind dies Prostituirte oder Personen ahnlichen Kalibers, von denen wcder ein langerer Widerstand, noch eine nachherige Schaden- ersatzklage zu gewartigen ist. Gleichviel aber, wohin er sich wendet, iiberall findet er nicht nur die Gelegenheit, sondern sogar die beinahe unabweisliche Anreizung zum Trinken, die das ge- suchte Vergniigen wesentlich erhbht. Und ein eigener Charakter- zug, der ihn vom Europaer scharf unterscheidet , macht ihn zu jeder Steigerung seines \ 7 ergniigens besonders geneigt. 285 Dieser Charakterzug pragt sich aus in einer hastigen, ner- vos-energischen Unruhe, welcher das bedachtige Phlegma seiner germanischen Stammesgenossen in Europa vollig abgeht, Der Grund dieser nervosen, unstaten Hast liegt unzweifelhaft im Klima des Landes. Denn sie zeigt sich bereits an alien Eirige- wanderten, die langere Zeit in den Vereinigten Staaten leben. Ihr gebuhrt auch ein wesentlicher Antheil an dem Wechselvollen der Geschaftsverhaltnisse , sowie des gesellschaftlichen Lebens Amerika's. Sie aussert sich in der geringsten Handlung. Es scheint dem Amerikaner ganz unmoglich, seine Zeit ohne Be- schaftigung zu verbringen. Er vermag nicht, ruhig auf einem Stuhle zu sitzen, sondern schaukelt sich darauf hin und her. Ihm ganz unbewusst, beschaftigen sich seine Hande mit irgend Etwas, was sie gerade erfassen, sei es auch nur ein Stiick Papier das sie zerknittern. Das in deutschen Stadten zu beobachtende bedachtig langsame Schlendern ist in Amerika nie zu sehen. Alles rennt. Doch glaube man nicht, dass alle diese Leute un- geheuer beschaftigt seien. Im Gegentheile, Viele hocken sich urplotzlich auf irgend einen Zaun , einen Pfahl oder sonst wohin, wo sie sich nur durch fortwahrendes Balanciren, das die Beine beschaftigt, sitzend erhalten. Binnen Kurzem ziehen sie ein Messer aus der Tasche, und ihre Hande fangen an, was ihnen in den Wurf kommt, sei es der Zaun selbst, zu zerschneiden. Man beobachte den ehrsamen deutschen Burger und seinen amerikanischen Genossen beim Zeitungsleseii. Ersterer schreitet zum Tische, legt bedachtig Stock und Hut ab, wischt mit dem Taschentuch den Stuhl ab , setzt sich langsam aber sicher in regel- rechte Positur und ergreift, nachdem er sich iiberzeugt, dass auf dem Tische Alles in Ordmmg, endlich das Zeitungsblatt , entfaltet es fein sauberlich, legt es gerade vor sich hin und fangt am oberen Ende in der linken Ecke auf der ersten Seite an, den Inhalt zu priifen. Der Amerikaner thut Nichts von Alledem. Er packt vielmehr ohne Weiteres die Zeitung, wirft, wie es ihm eben in die Hand kommt, einen Blick auf das Blatt ' und sich zu gleicher Zeit in den nachsten Stuhl, steckt seine Beine ausge- streckt unter oder auf den Tisch um einen Balancirpunkt zu ge- winnen, fangt an sich zu schaukeln und zerrt dabei die Zeitung auseinander, um mit dem Blick iiber jede Seite zu irren, liest hier eine Stelle, dort eine, und wirft endlich den Wisch , halb zusammengeknittert , wieder auf den Tisch, ehe der Deutsche kaum angefangen zu lesen. Bestellt dieser ein Glas Bier, so trinkt er bedk'chtig einen Zug, dann einen anderen, u. s. w. Der Amerikaner stiirzt ohne Weiteres den ganzen Inhalt seines Glases hinunter. In b'ffentlichen Lokalen und Theatern mussen alle Sitze viel breiter sein als in Europa, urn den Besuchcrn mehr Raum zum drehen und wenden zu gewahren. Dessenungcaclitet lauft in jeclem Zwischenakte die grossere Halfte des mannlichen Publikums hinaus, um ihrem unstaten Charakter eine Abwechslung zu bieten. Diesem ist es auch zura Theile zuzuschreiben, dare der Amerikaner nicht gerne Yerpflichtungen eingeht, die ilin in einem gewissen Ver- haltnisse auf eine festbestimmte Zeit fesseln. Auch der unstiite Wandertrieb, der ihn oft bewegt, ohno jeden ersichtlichen Grund einen beinahe zur Heimath gewordenen Platz zu verlassen, um in die Feme zu ziehen, riihrt davon her. Einem solchen Charakter ist mit milden, ruhigen, bcclach- tigen Unterhaltungen nicht gedient. Er muss selbst bei seinen Vergniigungen noch vollauf beschaftigt sein. Je grosser die geistige Aufregung desto besser. Desshalb miissen in seinen Theaterstucken und Romancn einem Kaleidoskope ahnlich, haarstraubende Kata- strophen odcr ganz unerhorte Neuigkeiten in steter Abwechslung einander jagen. Die Zeitungen diirfen nicht am ersten Tage die kurze Andeutung einer Begebenheit und mehrere Tage spater den vollstandigen Bericht bringen, sondern gleich das Wesentliche brtihwarm im telegraphischen Berichte geben, womit die Sache, wenn nicht weitere sehr interessante Enthiillungen nachfolgen, erledigt ist. Diese Unstatigkeit , verbunden mit dem Ehrgeize, es alien Andern gleich zu thun oder sie zu iibertreffen, aussert sich in sammtlichen specinsch-amerikanischen Unterhaltungen. Bald ist es dieses , bald jenes neu erfundene oder eingefuhrte und umge- staltete Spiel, welches in Aufnahme kommt, binnen Kurzem wie ein Sturm wind als Manie iiber das ganze Land hinwegfegt und von Allen betrieben wird. Wer sich darin auszeichnet, widmet ihm bald seine ganze Zeit; die Uebrigen uberlassen Solchen das Feld und bleiben vorlaufig Zuschauer. Jene fangen bald an zur Unterhaltung der Anderen das Spiel geschaftsmassig zu betreiben, reisen im Lande herum und geben Vorstellungen , die verschiedenen Truppen fordern sich zum Wettkampfe heraus, das Interesse des Publikums wird, so lange es wahrt, durch Wetten speculativ ausgebeutet, erlahmt aber schliesslich , die alte Unterhaltung is ,,ausgespielt" played out, und eine neue wird Mode, nimmt das verlassene Feld ein und geht denselben Gang. Ihren Abschluss finden alle diese Spiel- und Unterhaltungs- manien, wenn einmal die Wettkampfe ,,ausverkauft" werden. Sobald namlich das Interesse des Publikums keine vollen Hauser mehr macht, treffen die beiden sich auf der Buhne bekampfenden Parteien unter der Hand ein Abkommen, wonach jene, worauf das Publikum das Meiste zu wetten geneigt ist, den Kampf ver- lieren muss. Ihre Agenten nehmen dann moglichst hohe Wetten auf und gewinnen sie natiirlich. 287 So waren es vor mehreren Jahren Faustkampfe, die das offentliche Interesse reizten. Darin trug der rohe, brutale, aber physisch-kraftige Irlander oder dcr ebenfalls kraftige, zahe und hartnackige Englander beinahe immer den Sieg davon, was das Missvergnugen der Amerikaner erregte und schliesslich zum gesetz- lichen Verbote dieser Unterhaltung fiihrte; dann waren es bald Ballspiele; einmal sogar, als Murphy glanzte, aber nur fur kurze Zeit und nicht allgemein, das Schachspiel , ein andermal steigerten Schnelllaufe , Dauerlaufe, Schlittschuhlaufe das Interesse des Pub- likums, jedes zu seiner Zeit, zur Fieberhitze und ganz neuerdings soil als Winterunterhaltung eine spelling mania, eine ,,Buchstabir- .sucht" hereingebrochen sein, worin, wie kaum anders zu erwarten, die Gelehrten und Staatsmanner schmahlich unterliegen , und junge, kaum der Schule entwachsene Misses den Sieg davon tragen. Alle diese Unterhaltungen aber vermogen nur dann iiberhaupt zu fesseln , wenn das Interesse nicht nur durch Wetten, sondern durch Geuuss geistiger Getranke bis auf' s Hochste gesteigert wlrd. Die Getranke selbst aber miissen diesem Charakter entsprechen und von scharfer , aufregender Wirkung sein. Der Amerikaner zieht desshalb starken Branntwein dem diinnen Biere vor , weil es seiner Ansicht nach zu umstandlich und zeitraubend ware , die zur gewiinschten Aufregung nothwendige Quantitiit Alkohol in letzterer Form zu sich zu nehinen , wenn man sie , ohne mit Niedersitzen Zeit zu verlieren, auf einen kurzen Zug in praktischer d. K con- centrirter Gestalt geniessen kann. Tritt hierzu die Sitte des ,,Trietens" und deren Rolle nicht nur im gew43hnlichen , geschaft- lichen Urngange, sondern auch in dem Gebiete der Politik, so ist es nicht mehr zu wundern, dass die Trunksucht ein ganz allge- meines Laster, Saufcrwahnsinn eine mit erschreckender Haufigkeit auftretende Erscheinung und Todesursache vieler noch junger Manner ist, und die Befriedigung dieses Geschmackes so bedeu- tende Kosten verursacht, dass sie das weibliche Geschlecht als eine e'mpfindliche Beeintrachtigung seiner Rechte empfmdet und Gegenmaassregeln zu ergreifen sucht. Da aber, abgesehen vom geschlechtlichen Reize , der Einfluss des Weibes auf den Mann zu gering ist, urn eine entscheidende Wirkung zu lib en , so muss dieses sich nach Hilfe und Unter- stiitzung umsehen Die einzige Macht aber, womit sie in ver- trautem Verkehre steht, die desshalb auch respectable ist, und uberdies in vieler Beziehung gleiche Interessen verfolgt, ist die K i r c h e. Die auf breitester, demokratischer Basis beruhende Kirche besass nun in den colonialen Zeiten eine geradezu iiberwaltigende Macht. Die ganze staatliche Organisation der einzelnen Colonien war ihr nicht nur untergeordnet, sondern lediglich Mittel zur 288 Erreichung der hb'heren Zwecke derjenigen religiosen Auffassung, welche die betreffende Sekte als das wahre Christenthum ansah. Alles war ihrer Herrschaft unterthan, und gegen Andersglaubige iibte sie mit unnachsichtlicber Intoleranz einen despotischen Druck, der sich mit den Formen der ausgedebntesten politischen Freibeit nicbt nur vollkommen vertrug , sondern sogar als getreuer Ausdruck des unumschrankten Volkswillens gerade diesen Formen eine so unwiderstehliche Kraft entnahm, dass er der Gesetze nur wenig bedurfte und bios durcb die fanatiscbe Sitte der souveraneu Burger, deren Wille an und fur sich Gesetz, auf's Strengste er- zwungen wurde. Im Vollgefiihle dieser Kraft hielt man es, als die verschie- denen Colonien, worin verschiedene Sekten unumschrankt die Ge- nossen beherrschten, sicb zur gegenwartigen Union verbanden, nicht fur nb'thig , in der gemeinsamen Constitution den gemeinsamen religiosen Ansichten, deren Feststellung bei dem Fanatismus der einzelnen Sekten wahrscheinlich sogleich einen Zwist hervorgerufen ha'tte, in gesetzlicben Formen Garantien und Schutz zu gewahren, sondern begniigte sicb durch einen Passus , der in allgemeinen Ausdriicken die Freiheit der Religion gewahrleistete , jeder ein- zelnen Sekte Sicherbeit gegen Unterdriickung seitens einer Andereii zu versprecben. In der Folge aber und namentlich in den neuen Gebieten vermischten sich daher Anhanger der verschiedenen Sekten. Dann kamen Schaaren von Einwanderern in's Land, deren religiose Auffassungen ganzlich abwichen von denen der puritanischen Sekten. Dies fuhrte den Zweifel in eine Gesellschaft ein, deren einzelne Mitglieder frtiher fanatisch strengglaubige An- hanger ihres besonderen Sektenglaubens gevvesen. Dies bewirkte indess das katholische Element derlrlander, welche, als ,,Papisten u griindlich verabscheut , wohl nur dazu beitrugen die protestan- tischen Sekten im gemeinsamen Hasse enger aneinander zu schliessen, viel w^eniger als die aus Deutschland eingewanderten Protestanten selbst. Denn den Ansichten Letzterer, die aus der Wiege der Reformation kamen und hundertjahrige Religionskriege gegen den papistiscben Erzfeind und Antichrist durchgekampft batten t konnte man eine gewisse Achtung gerade auf religiosem Gebiete nicht versagen, die ihnen auf politischem Gebiete, auf dem man ja in Amerika am Tage der Unabhangigkeitserklarung den Stein der Weisen entdeckt hatte, viel weniger zu Theil ward. Nun batten aber gerade diese protestantischen Deutscben in vieler Beziehung Sitten , die den religiosen Auffassungen des Puri- tanismus schnurstraks zuwider liefen. Mit Verwunderung iiahm man wahr, dass sie iiberall versuchten, soweit es angiug, den heiligen Sabbath, an dem Moses' gottliches Gesetz jede andere Thatigkeit als Beten uud Singen strong verponte, grossen Theils nicht nur geselliger Untcrhaltung , sondern sogar offentlichen uncl rauschenden Yergntigungen zu widmen. An diesen Vergmigungen nahmen das war das Schrecklichste und dem weibliclien Ge- schleclite Amerika's vollig unbegreiflicli , da es alien ihren Idecn von Respectabilitat und weiblioher Wiirde geradezu in's Gesicht schlug sogar die Frauen Theil und genossen dabei nicbt etwa Ice Cream (gefrornen Rahm , der mit Eiern und Zucker vermiscbt, eine alltagliche Lieblingsspeise der Anrerikanerinnen im Sommer ist) oder andere fashionable Erfrigchungen , sondern tranken ein so gemeines Gctrank wie Bier. Dabei war von Exklusivitat lei diesen Unterhaltungen gar Nichts zu sehen, Alles mischte sich imtereinander, gleichviel ob zu Wagen, zu Rosse oder.auf Schusters Rappen gckommen. Auch ward ungenirt geraucht, gelacht, ge- scherzt; das formliche Ceremoniell, worm sich die Achtung des Amerikaners vor dem weiblichen Geschlechte ausdrlickt, fand nicht die geringste Anerkennung. Da diese Fremden bei ihren Vergniigungen nicht nur nie in Zank , Streit und in betrunkene Priigeleien sich verwickeltcn , wie dies ahnlichenfalls bei Ameri- kanern unausbleiblich, sondern sogar mit harmloser Naivitat Jedemj der des Weges kam , gestatteten claran Theil zu nehmen , so ware ihnen die ganze Geschichte beinahe komisch vorgekommen, hatte sie nicht so frevelhaft alle ihre religiosen und sittlichqn Be- griffe verletzt. Und diese Leute wollten auch Protestanten sein und beriefen sich sogar auf Dr. Martin Luther selbst, der da gesagt haben sollte: ,.Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang. " Ein Narr? IJnerhort ! Schrecklich! Da w T aren sie ja insgesamint Narren gewesen, wenn die Fremdlinge rait ihrem kuriosen Gebahren Recht haben sollten. Dafiir gab es keine andere Erklarung, als class die schandlichcn deutschen Gelehrten, von deren Gottlosigkeit selbst bis nach Amerika das Geriicht geclrungen, dieses ganze Yolk verdorben und dem Christenthume abwendig gemacht hatten. Sie waren sammt und senders infidels, Unglaubige , vor denen man sich wahren mlisse. Dies schien um so. mehr geboten, als man bald bemerkte, wie das bose Beispiel auf die guten Sitten der amerikanischen mikinlichen Jugend, der fiir ihre eigene Person an der Respectabili- tat sehr wenig lag , einen bedeutenden und unlaugbar zunachst keinen wohlthatigen Eindruck mache. Denn die ungestiime , hastige Xatur des amerikanischen Jiinglings beriiitzte die Gelegenheit und den Anstoss, den ihm die deutschcn Vergniigungen gaben, nicht zur ruhigen *Erholung und gemiithlichen Unterhaltung , sondern suchte seinem nervos-reiz^aren Temperamente , dem die massige Selbstbeherrschung abgeht, in wiisten Excessen Luft zu machen. Dies fiihrte oft zu Schlagereien und Raufboldheldenthaten, bei denen in friiherer Zeit die Deutschen in der Regel den Kurzeren 37 290 zogen , da sie weder von Natur so leiclit und wild aufgeregt wurden als die Storenfriede, noch auch mit der Kampfesweise dieser, dem beliebtcn Faustkampfe, vertraut waren und ihm niclit recht zu begegnen wussten. Erst allmahlig wurden sie durch die Erfahrung gewitzigt und veranstalteten ihre offentlichen Garten- unterhaltungen in der Regel unter den Auspicien von Vereinen, die die Aufrechterhaltung der Ruhe systematisch iibernahmen, und jeden Krawall durch Hinauswerfen der laut werdenden Individuen im Keime erstickten. Nichtsdestoweniger kam es haufig und kommt es auch heutigen Tages noch vor, dass mitunter gauze Banden von Raufbolden absichtlich die Feste der Deutschon storen und dabei unangenehme Sccnen, Gewaltthaten mid selbst Todtschlag sich zutragen. Diese immer vorhandene Wahrschein- lichkeit raubt alien offentlichen Unterhaltungen in Amerika, na- incntlich im Freien, den genuithlichen und friedlichen Charakter, den sie in Deutschland besitzen. Jene Vereine, die sich die Leitung solcher offentlichen Vergniigungen gewissermassen zur Pflicht machen und im Leben der Deutschen in Amerika iiberhaupt die wichtigste Rolle spielen, sind die Turn ver cine. Sie bestehen beinahe in jeder Stadt, wo Deutsche in eiiiigermaassen betrachtlicher Anzahl vorhanclen, und ihr Versammlungsplatz , die Turnhalle , bildet das* Haupt- quartier der deutschen Bevolkerung. Ihr Programm beabsichtigt sogar eine Pflege des geistigen Lebens, mit der es allerdings nicht besser bestellt ist, als in amerikanischen Yerhaltnissen eben gebrauchlich. Denn die Thatsache, dass die Volksmasse nicht die Bildung an sich achtet, sondern vielmehr den gebildeteren Mann mit einem gewissen argwohnischen Misstrauen betrachtet, und ihm nur , wenn er eine einflussreiche Stellung einniinmt ? die Achtung zuwendet, die sie tiberhaupt dem Inhaber einer solchen Stelle, d. h. der Macht zollt, gilt ebensowohl bei den Deutschen in Amerika als anderwarts. Da nun die Tendenz des dortigeti Lebens dahin geht, weniger den gebildeten als den energisch- riicksichtslosen Mann , der die innige Flihlung mit den Volksmassen besitzt, die der Gebildete gerade wegen seiner Bildung einbiisst, a.n die Spitze und in angesehene Stellungen zu bringen , so spielen die wenigen gebildeten Deutschen im Ganzen eine klagliche Rolle. Zudem sind sie fast Alle Miirtyrer der achtunclvierziger Bewe- gung und halten die Principien, wofiir sie gekampft, geblutet und endlich liber's Meer gegangen, fur das Non plus ultra aller politischen Weisheit, woran Nichts zu verbessern und noch viel weniger ctwas auszusetzen sei. Das Ansehen, dessen sie von Deutschland her genossen, benutzten sie, urn seiner Zeit, soweit es an ihnen lag, das deutsche Element der republikanischen Par- tei zuzuflihren , was ihnen zum Theile Acmter und Wiirdeu ein- 291 brachte imd danrit einen Rest Hires Ansebens bcwahrte. Gegen- wartig steben sie der Entwickelung der Diuge seit dem Siege dieser Partei ganzlich rathlos gegeniiber; haben es iibrigens langst aufgegeben, sich fiber das Geheimniss, warum das Paradies der allgemeinen Bruderliebe noch nicbt eingetreten sei, den Kopf zu zerbrechen und beschaftigen sich ausschlicsslicb damit a zu machen, was gemacht werden kann", und zur Erholung mit Biertrinken und begleitendem Renommiren iiber ihre Heldenthaten im denk- wiirdigen Jabre 1848. Mitunter findet sich unter ihnen noch em ganz absonderlicher Kauz, wie der weiland grosse Volksmann Herr Hecker, der die Erinncrung an die ruhmwiirdige Schlacht bei Kandern, wo er sich seine Lorbeeren verdient, durch grim-^ niiges Scbimpfen auf Alles und Jedes, was im neuen deutschen Rciche passirt, iramer wieder aufzufrischen versuchte. Die geistigc Bildung, welch e die, Turnvereine pflegen, bc- schrankt sich wcsentlich auf eine Schule, die sie bier und da unterhalten , auf eine kiimmerliche und ebenso sparlich beniit/te Bibliothek, und auf die Yorlesungen, die Herr Biichner seiner Zeit hielt urid die um deswillen wenig Anklang fanden, \veil die Lehre von der Afferiabstammung den Anhangern der (irleichbe- rcchtigimg einen gelinden Schauer einflosst, in (Icr Besorgniss, dass bei weiterer Anerkennung dieser Lehre es am Ende sogar den Aft'en noch einfallen konnte, die ihnen gebiihrenden ,.gleichen Rechte" als Stammesverwandte und Vettern in Anspruch zu neh- iiien. Da sie jedoch allgemach empfinden, dass die den schwarzen Briidern gewiihrten Recbte schon sehr kostspielig sind, babcn sie gtiten Grund , gegen eine nochmalige Erweiterung der Verwandt- ycbaft Bcdenken zu hegen. Dagegen sind die Turnvereine gewissermaassen die Seele des organisirten Widerstandes gegen die Yersuche des Puritancr- thums , die ihnen anstb'ssigen Sitten der Deutschen zu unterdrtickeu. Denn der ererbte despotische Fanatismus der puritanischen Sekten konnte dem Umsichgreifen dieser sfindigen Missbrauche natiirlich nicht rubig zuseben, und vcrsucht allenthalben , wo immer er Macht und Einfluss besitzt, durch Sonntagsgesetze seinen An- Hichten unbedingte Geltung zu verschaffen. In den Landstadtcben und jenen Gegenden, wo das deutscbe Element sehr schwach vcrtrcten, setzt er auch seinen YYillen, wenigstens formell , durch. Dagegen gelingt ihm dies in den grosseren Stadten nur sehr un- vollkommen. Denn die Politiker miissen eben mit dem deutscben Elemente, als mit einer Macht von so und so viel Htimmen rech- nen, und es ist ihnen durchaus Nichts daran gelegen, sich dessen Feindschaft einer Sache halber zuzuziehen, die ihnen nicht das Geringste einbringt. Sogar wenn sie dem Drucke der puritanischen Einfliisse nachgeben mussen , suchen sie gewohnlich , - - in echt 292 amerikanisch-politischer Weise, cs bciden Thcilcn dadurch rccht zu machen, dass sie alien Larm , Musik u. s. w. am Sonn- tage von den Strassen und offentlichen Platzen verbannen und das gesellige Lebeii der Deutschen hintcr yerschlossene Thiircn und verhangte Fenster verweisen. In diesem Kampfe stehen die Ttirnvereine , die als Organisation zahlreiche Stimmgeber beein- flussen konnen und sich desshalb der besondereii Achtung der Politiker erfreuen, in erster Reihe. Sie machen es sich zur Auf- gabe, die Sonnlage rnit Concerten und Theatervorstellungen, deneii man, um das Puritanerthum zu beruhigen, auf den Anzeigepla- katen den Titel Sacred Concerts ,,Geheiligte Concerte" beilegt, in deutscher Weise zu beleben. Es ware ein Mangel meiner Schil- clerung, wiirde ich nicht bemerken, dass diese Vorkampferrolle der Turnvereine weniger durch deren grossere Aufopferung und Begeisterung fiir deutsche Sitte und Freiheit als dadurch veranlasst w T ird, dass sie mit der Sonntagsunterhaltung, an vielen Orten ein wirkliches Monopol in ihren Handen, glanzende Geschafte machen. So lange iibrigens die Deutschen nicht nur der republikani- schen Partei angehorten, sonclern diese auch ihrer bedurftc, be- stand in diesem Kampfe des Puritanisrnus gegen das Eindringen deutscher Sitten ein , stillschweigender Waffenstillstand , der den Deutschen weitgehende Freiheiten einraumte. Seitdem jedoch in den letzten Jahren die republikanische Partei , mit dem durch das Negerelement erhaltenen Machtzuwachse iibermachtig und iiber- miithig geworden, der deutschen Bundesgeriossen entbehren zu konnen glaubte, hat man den Kampf wieder aufgenommen, und zwar in enger Verbindung mit der Temperanzbewegung, die sich auf allgemeine Unterdriickung aller geistigen Getranke richtet. Der Anfang der Temperanzbewegung liegt schon um inehr als dreissig Jahre hinter uns. Als die rapide Entwicklung des Westens begann und die Yankeebevolkerung sich zuerst aus einfachen Bauern in Speculanten und Geschaftsleute umwandelte, als sich in Folge dessen die geistige und gesellschaftliche Tren- nung der Geschlechter vollzog, die zu ihrer kiihlen, achtungsvoll- hoflichen Entfremdung fiihrte, und der Mann die Erholung und Abwechslung von dem Druck seiner geistaufreibenden geschaft- lichen Gliicksjagd nicht mehr im Familienkreise fand, sondern in den Trinklokalen, trat sie zuerst an's Tageslicht mit der bis dahin unbekannten Lehre, dass alle geistigen Getranke unter alien Um- .standen vom Uebel und ganzlich zu verbieten seien. Da im Grande genommen kaum ein Mensch im Princip ein Yertheidiger des Schnapsgenusses ist - - und Schnaps war zu jener Zeit das einzige Getrank der Amerikaner - - so errang sie in der ersten Periode ihrer Bethatigung mehrere glanzende Siege, und die Ge- setzgebung einer ganzen Reihe von Staaten fiihrte das unter dem 293 Namen Maine liquor law bekannte strenge Gesetz ein, welches alien und jeden Handel mit geistigen Getranken uritersagt. Bald aber zeigte sich, was man bei Gelegenheit der Einfiihrung des Tabaks z. B. in Europa erfabren batte , class aucb das strengste Gesetz vollig ohnnuichtig 1st, die Einfiihrung und Verbreitung von Genussartikeln zu hindern , nach denen der Gescbmack des Publi - kums verlangt. Im Gebeimen wurde viel mebr Scbnaps verkauft als ehedem offentlicb , und die Trunksucbt nahm in den Staaten, die mit clem Maine-Gesetz (so benannt voin Staate Maine , der es zuerst einfuhrte) begliickt waren , viel schneller zu, als in den anderen. Die Wirkungslosigkeit des Gesetzes war so offenbar, dass es nach einiger Zeit nur noch ein todter Buchstabe blieb, Aber die Frauen gaben den Kampf gegen den Nebenbuhler Alkohol nicbt auf und verfielen auf die keineswegs unricbtige Idee, dass, um das Gesetz wirksam zu macben, es einer nach- clriickenden moraliscben Meinung bediirfe. Falsch, aber fiir ibre Auffassung sehr natiirlich, war nur die Ansicht, dass man cine moraliscbe Meinung nacb Belieben durcb Predigten herstellen konne. In diesein Glauben , der ja nocb heute. von einer unzahl- baren Menge getheilt wird, versuchten sie durcb professionelle Massigkeitsvorleser, durch Massigkeitsvereine die gewiinscbte b'ffent- liche Meinung zu erzeugen. Sie iibten gleichzeitig einen fortw r ah- renden Druck auf die Geistlichkeit ihrer verschiedenen Sekten. tlem diese kraftige Folge leistete. Man predigte und agitirte fort- wahrend. Aber trotz des grossen Anbanges und Zulaufes der Temperanzvereine , wollte es nicht gelingen, eine wirklich kraftige off'entliche Meinung in's Leben zu rufen. Boswillige behaupten und wobl nicht ganz ohne Grund , dass die jungen Manner, die sich den Massigkeitsvereinen aiischlossen , in der Mehrbeit nach einer Periode des Alkoholgenusses ein Bedurfniss nach Abwechs- lung empfanden , wie sie am besten eine Periode des vertrau- lichen Umgangs mit den reizenden jungen Damen der Vereine ge- yvahren konnte, dass sie aber, sobald dieses gestillt und wiederum ein neues Bedurfniss nach Abwechslung eintrat, auch diesem wieder bereitwillig folgten. Wie dem auch sei, Thatsache ist, dass es den Massigkeitsvereinen nicht gelang, ihre Absichten durchzufiihren, Als aber die deutschen Vergniigungen immer mehr um sich griffen, und die Manner immer mehr Geschmack daran fanden, ward die Kirche um t ihre Herrschaft besorgt. Und als alle ihre Ermahnungen nicht ausreichten , die unangefochtene Heiligung des Sabbath's wieder herzustellen , als alle Sonntagsgesetze sich bci- nahe gerade so wirkungslos erwiesen wie das Maine-Gesetz, ver- nel man auf den Gedanken, durch Verbindung der Grundsatzc Beider ihre Stiirke zu erhohen. War man bis dahin in Zweifel, 294 ob das ncueingefuhrte Getrank der Deutschcn, das Bier, welches weniger Alkohol enthielt, als das unangefochtene eigenfhiimliche Getrank der alten puritanischen Landbevolkerung, der Cider- oder Aepfelwcin imbedingt zu verbieten sei, so musste es jetzt die erste Stelle unter den zu verdammenden Spirituosen einnehmcn. Denn mit der Verdi-angling des Bieres hoffte man die zur Un- glaubigkeit und zum Abfalle vom Christenthum yerfiihrenden Un- terhaltungen der Deutschen, deren fllissiges Element es bildete, trocken zu macben und zu tb'dten. So ward denn allmahlig die Doktrin der Tcmperanzvereinc zu einem Dogma der puritanischen Sekten erhoben, das jetzt seit clem Abfalle der Deutschen von der republikanischen Partei allge- mein anerkannt und in alien Kirch en gepredigt wird. Der Erfolg der Bewegung bleibt abzuwarten. Ihren ersten Ansturm versuchte sie im Friihjahre 1874 in dem Feldzuge derWeiber, in clem die in den Kirch en organisirten und fanatisirten Frauen in Banden die offentlicheii Trinklokale belagerten und so lange mit Gebeten und Kirchenliedern regalirten, bis sie sich entweder ergaben oder nicht. In den kleineren Stadten batten sie zeitweiligen Erfolg, der aber dem des Maine-Gesetzes sehr ahnlich zu sein scheint, d. h. es wird mehr durch die Hinterthiiren verkauft als vorclem (lurch die Vorderthiiren. Wahrend dieser Bewegung und wahrend gleichzeitig und in gleichem Sohritte die Lebensweise der ganzen amerikaniscben Be- volkerung sich veranderte, ging auch mit den Kirch en eine ent- sprechende Wandlung vor sich. In dem Maasse , als aus dem einf'achen Block- und Farmhause friiherer Generationen sich da elegante, comfortable, mit alien modern en Verbesserungen ausge- stattete Residence-'H.&ua des Privatmannes entwickelte, verwandelte sich das ehemalige, einfache, nur die vier \veissgetiincliten Wandc und Holzbanke zeigende, ganzlich schmucklose puritanische Meet-in y- (Versammluugs-) Haus zu der mit alien modernen Verbesserungen ausgestatteten Kirche , in die prachtige hohe Spitzbogenferister von farbigem oder geschliffenem Glase nur ein mattes , traume- risches Licht hineinfallen lassen und deren iippigreichc Polstersitze dem Glaubigen gestatten , sich die Freudcn des Himmelreiches in siisser Ruhe auszumalen. In dem Maasse, als die einfache Haus- frau aus dem Anfange des Jahrhundertes , die von einer zahl- reichen Kinderschaar umgeben in selbst gewebten Kleidern zur Kirche ging, sich zur eleganten Modedame entwickelte, die aus Hirer Kutsche steigend , in nachlassig-schleppcndem Gauge unter der Last ihrer seidenen Gewander und Spitzen langsam und wiirde- Toll zu ihrem Siize sicb begiebt, veranderte sich das Aussehen des Publikums. Denn es ist klar, dass in einem Lande, in dem Jeder und in noch hoherem Maasse Jede so gut als irgend eine 295 Andere, es auch in der Kirche unerlasslich wird, dass die Eine so prachtig und kostspielig gekleiclet sci , als die andere. Wer das nicht kann, nun, der oder die muss eben zu Hause bleiben. Und da die Sitze in offentlicher Auction alljahrlich versteigcrt werden, be! welcher Gelegenheit ein religioser Enthusiasmus d. h. die Eitelkeit sich nicht iiberbieten zu lassen, sehr hohe Preise erzielt, die Jeden, der sie nicht bezahlen kann, zwingen , ohne Sitz vor- lieb zu nehmen und bei seinem etwaigen Besuche mit cinem Gnadensitze bedient zu werden , so sind alle Leute , die ein en solchen Aufwand nicht machen konnen, praktisch von dem Be- suche der Kirchen ausgeschlossen. Thatsachlich sind die Kirchengemeinden in den Vereinigten Staaten uberall, wo sie nicht aus rein ackerbautreibender Bevol- kerung bestehen, aristokratisch-fashionable geschlossene Gesell- scliaften geworden. Die nicht reiche Klasse der amerikanischen Stadtbevolkerung, die sich nicht der Demiithigung aussetzen will, in der Kirche mit Gonnemiene betrachtet .oder mit Geringschatzung behandelt zu werden , fiingt an sich des Kirchenbesuches ganzlich zu entwohnen. Die katholische Kirche bildet hiervon eine augenfallige Ausnahme. In ihr herrscht in Amerika , wie uberall, das Princip der absoluten Gleichheit aller Glaubigen. Es ist dies nur eine Bestatigung des schon friiher ausgesprochenen Grundsatzes: dass Gleichheit nur unter der Herrschaft des unumschrankten Despotis- mus moglich, wahrend der naturliche Zustand freier Menscheii der der Ungleichheit sei. Die katholische Kirche ist desshalb auch wesentlich die Kirche des armeren Volkes. Aber unter der armen protestantisch - germanischen Bevolkerung Proselyten zu machen , gelingt ihr trotzdem nicht. Dagegen macht sie seit der Emancipation der Neger unter diesen bessere Fortschritte , als irgend eine der protestantischen Kirchen. Uebrigens bemerkten die protestantischen Sekten sehr wohl die Gefahr, welche fiir sie in dem Ausschlusse der immcr zahl- reicher werdenden armeren (worunter nicht geradezu arm zu ver- stehen) Volksschichten liegt, wodurch diese zur Gleichgiltigkeit gegen specielle Religionsformen und zum endlichen Abfall getrie- ben werden. Letzteren suchen sie nach Kraften entgegen zu wirken. Sie haltcn Camp Meetings, d. h. Lagerbetversammlungen, in denen nach einer schon alteren Sitte die Bevolkerung aus einer ganzen Umgegend zusammenstromt , in landlicher Waldein- samkeit ein Zelt- und Hiittenlager aufschlagt, und wahrend meh- rerer Tage oder Wochen das Beten als Gesc'haft betreibt. Sie setzen Revivals d, h. Wiedererweckungen in's Werk , wobei die religiosen Gefuhle genau auf dieselbe \\'eise bearbeitet werden, wie im Wahlkampfe die politischen, und die, den sonstigen 296 Spielen und Unterhaltungen der Amerikaner gleich, wie eine Manie liber das Land hinwegfegen ; sie halten Gebetversammlungen bei Tage und des Abends und rekrutiren ihr Publikum an den Strassenecken , sie schicken Missionare in die Stadttheile , in denon die armere Bevolkerung wolint, um an den Strassenecken zu predigen, ja sogar die Leute in ihren Hausern zu besuchen und namentlich auf das weibliche Geschlecht einzirvvirken ; sie iiber- schwemmen das Land mit ihren erbaulichcn Traktatlcin, worin Jedermann haarklein angegeben \vird, wie er sich zu verhalten babe, um nicht nur ein guter und Gott und den Menschen wohl- gefiilliger, sondern nebenbei auch ein wohlhabender Mensch zu werden, Ganz besonders aber sucben sie durch Sonntagschulen und Kindervereine auf die heranwacbsende Generation einzuwirkcn, namentlich auf die zahlreiche Kinderschaar der Eingewanderten. Der Erfolg ih-res ganzen Treibens ist aber nicht der angestrebte. Zeitweilig ist ihr Zulauf allerdings gross, denn die ganze Bevol- kerung, an die sie sich wenden, hat ja, im Grunde genommeu, dasselbe religiose Bediirfniss wie ihre wirklich gliiubigen Kirchen- mitglieder. Da aber die eigentlichen Ursachen der Entfremdung, namlich der aristokratisch-fashionable Geist, der die Kirchen in Besitz genommen , gar nicht bcriihrt werden, so vergcht die kiinstlich erzeugte und zur Fieberhitze gesteigerte Aufregung fast noch schneller als sie entstcht, und die iolgencle Gleichgiltigkeit und Abspannung ist um so grosser. Mit ihrer Einwirkung auf die Kinder aber erreichen sie allerdings einen Zweck, namlich den, die Achtung derselben vor ihren Eltern, den Grundstein aller ernsten Sittlichkeit zu untergraben, indem sie die Letzteren ihren Kindern fortwahrend gewissermaassen als abschreckende Beispiele vorhalten , denen zu folgen sie bei dem Heile ihrer Seele vermeiden miissten. Sie tragen damit wesentlich zu der haltlosen Charakterschwache bei, welche die Jugencl in den Vereinigten Staaten im hochsten Maasse besitzt. Um aber die jungen Manner der Versuchung der Welt d. h. dem Schnapsgenusse oder den deutschen Unterhaltungen zu ent- ziehen , fuhren sie den stiirksten Reiz , iiber den sie verfiigen, in's Feld , namlich den geschlechtlichen. Sie organisiren Fest- lichkeiten z, B. Erdbeerenfeste , Ice Cream Feste in den Kirchen- raumen und religiose Pic-nic's (Landpartien) im Freien, in denen die reizende , junge Damenwelt der Kirche die Rolle des Lock- vogels spielt. Dasselbe geschieht in den mannigfachen Vereinen, die zum Zwccke der Beforderung der Massigkcit und Gottseligkeit allenthalben bestehen. Es ist nicht zu leugnen , dass diese Unter- haltungen und Vereine ein Schritt ' auf dem richtigen Wege -sind, iuclem sie diese so nothige gesellschaftliche Vermischung beider Geschlechter befordern, die alleiii der gegenwartigen krankhaft- 297 geschlechtlichen sentimentalen Ueberreizimg cin Ende machen kb'nnte. Leidcr wird ihr Erfolg sehr mangelhaft bleiben, da sie eben auch dem Despotismus, den Respectabilitat, Mode und St-yl ausiiben, vollstandig unterworfen sind. Uebrigens fiihrt die Entwickelung der Dinge vorlaufig zu einer immer grosser en Herrschaft des weiblichen Ge- schlechtes unter der amerikanischen Bevolkerung. Der Grand liierzu liegt gerade in der grosseren Abgeschlossenheit der Frauen , welche sie gegen die Einfliisse der Aussenwelt auf s wirksamste schiitzt, wahrend die Manner denselben im hb'chsten Maasse aus- gesetzt sind. Daher haben bei den Frauen der alte Puritanismus und seine sittlichen Anschauungen nur diejenige Modification er~ fahren, die der uberhandnehmencle Luxus eingefiihrt, wahrend er in jeder anderen Beziehung, speciell in seiner fanatisch-intoleranten Seite, unangefochten geblieben ist. Bei den Mannern dagegen lint sich im Verkehre mit All' und Jeden gerade diese Seite abge- schliffen und abgeniitzt, und diese sind auf dem Standpunkte wankender Ueberzeugung angelangt. Gegeniiber wankenden Ueber- zeugungen aber besitzt der Fanatismus, namentlich der uberkom- mene und mit einer gewissen autoritatsglaubig-gewohnheitsmassigen Yerehrung betrachtete Fanatismus, immer das Uebergewicht. Die in ihren Meinungen schwankende Mannerwelt sucht desshalb im Verkehre mit den unbedingt glaubigen Weibern den eigenen Zweifel zu verbergen und heuchelt eberifalls Ueberzeugungstreue. So ist die Heuchelei unter dem mannlicben Geschlechte in alien Verkehrsdistrikten des Landes ganz allgemein geworden. Ihrem iiusseren Bekenntnisse nach sind sie sammt und senders strenge Glaubige ihrer speciellen Sektendoktrin und sogar strenge Bekenner der Enthaltsamkeit. Jeder, der Verkehr mit cliesen Leuten ge- pflogen hat und bekannt geriug geworden, im ihr Yertrauen nicht zu missbrauchen d. h. um sie nicht entweder vor ihren eigenen Damen oder der Aussenwelt bloss zu stellen, weiss von Augen- blicken in seinem Leben, wo ihn ein oder der andere Temperanz- ler, dem alle geistigen Getranke ein Abscheu, mit geheimnissvoller Miene an irgend einen halbverborgenen Wandschrank seines Hauses gefiihrt und ihm dort einen ,,Tropfen" von einem Getrank vor- gesetzt, das ausserordentlich beruhigend auf die Nerven wirke und gut fur den Magen sei, dass man aber in der gemeinen Welt echten, unverfalschten und unverdiiniiten Branntwein nennt. Die begleitende Frage welche Sorte man vqrziehe? sowie die vielen Flaschen und Kriige in besagtem Schranke liessen darauf schliessen, dass es weder an Auswahl noch an der Quantitat dieser Medici n mangelte. Jn Folge des allgemeinen und fortwahrenclen Yerkehrs der Manner mit der Aussenwelt hat sich der Umgang zwischen ihnen 3d 298 von allem lastigen und zeitraubenden Ceremoniell befreit, und leere Hoflichkeitsformen sind auf ein Minimum herabgesunken. Ein einfaches, kurzes Kopfnicken ersetzt alle anderen Griissc, und Hutabnehmen u. dgl. in bffentlichen Lokalen, in Bureaux u. s. w. hat langst aufgehort, als Sitte betrachtet zu werden. Jeder macht es sich vielmehr iiberall so bequcm als moglich. Ceremoniell und Hoflichkeitsformen sind nur noch im privaten Verkehre mit dem weiblichen Geschlechte vorgeschrieben, und bilden die aussere Erscheinungsform der ihm gezollten Achtung. Gering wie die Schulbildung des Amerikaners ist, gibt ihm dieser immerwahrende Verkehr mit der Oeffentlichkeit und alien Sorten Menschenkindern eine praktische Lebensbildung und Menschenkenntniss, die sicher bei keinem anderen Volke auch nur annahernd vorhanden. In der That ist sein eigener scharfer Blick und sein klares Urtheil allein im Stande, ihn vor Betrug und Ueberlistung zu schiitzen. Wie an Menschenkenntniss zeichnet sich der Amerikaner bis heute an Liberalitat vor dem Europaer aus. Ohne diesen Charakterzug ware es nicht moglich gewesen, die Tausende und Zehntausende ganzlich mittelloser Menschen, die in den letzten Wintern in den grossen Sadten miissig lagen, zu fiittern, und be- deutende Krawalle, ja sogar aufriihrerische Bewegungen zu ver- meiden. Wie lange freilich diese Liberalitat, die zum nicht ge- ringen Theile mit dem Mangel an Sparsamkeit identisch, unter dem immer fuhlbarer werdenden Drucke der Verschlechterung noch diesem Zwccke geniigen wird, bleibt abzuwarten. Ist, \vie aus der vorhergehenden Schilderung sich ergiebt, das Leben in Amerika an unterhaltenclen Erholungen iiberaus arm, und wird es in dieser Beziehung von dem Leben in Europa, so- gar dem in England, besoiiders aber in Deutschland ganzlich in den Schatten gestellt, so gibt es doch eine Seite, wo das Uinge- kehrte der Fall: die Bequemlichkeit des Reisens. In Europa be- steht dasselbe aus einer fortwahrenden Kette lastiger Plackereien, die darauf hinauslaufen, verschiedene Klassen von Herumlungerern die von Altersher und durch Gebrauch, Sitte und haung sogar durch Gesetz mit Privilegien ausgestattet sind, Gelegenheit zu bieten, von den Reisenden in kleinen Raten einen, sich im Ganzen auf bedeutende Summen berechnenden Wegelagererzoll zu ^rheben. Die verschiedenen Formen dieser Plimderung einzeln zu erwahnen, gehb'rt nicht hierher. Es geniigt zu bemerken, dass in Amerika alle diese zu Trinkgeldern und Bezahlung berechtigten Tagediebe nicht vorhanJen sind, und derRcisende, der in New- York z.B. ein directes Billet nach San Francisco oder sonst w r ohin nimmt, mit der Bezahlung der Totalsumme das Recht erlangt, sammt seincm Gepacke an seinem Bestimmungsorte ohne jede weitere Unkosten, 299 und ohne alle Paar Meilen einem Wagenwechsel und Zeitverlusten ausgesetzt zu sein, abgesetzt zu \verden. Was den Bau der Eisenbahnwagen anbetrifft, so stehen die bcquemsten, die ich inDeutschlancl (im Konigreiche Wtirttemberg) geselien habe, noch immer weit hinter den amerikanischen zuriick. Ein durch die Mitte der \Vagen laufender Gang gestattet Jedem zu jeder Zeit aus einem Wagen in einen andern oder in den vordersten, der zugleich der einzige Rauchwagen und Wagen zweiter Klasse ist, sich zu begeben und MitreisendenBesuche ab- zustatten. Jeder Wagen hat sein Water closet und ist mit Trinkwasser versehen. Am Ende des Zuges sind die ausserst beqaemen und luxuriosen Scblafwagen angehangt. Die bevor- mundende Sorgfalt, w omit man durch Einsperren die Leute in Europa gegen Gefahren zu beschiitzen sucht, existirt nicht, da man in Amerika Jedem das Recht zugesteht, sich entweder selbst gegen Gefahr zu wahren, oder aber nach Belieben seine eigenen Glied- massen daran zu setzen. Allerdings hat man auch nicht ein solches naivglotzendes, unbeholfenes Reisepublikum, dem das Geschoben- werden zum Bediirfniss geworden zu sein scheint. Der Amerikaner ist gewohnt und weiss sich selbst zu helfen. Ich kann dieses Kapitel nicht besser schliessen , als mit den folgenden Stellen aiis Georg Asmus's ., Amerikanischen Skizzenbiichelche " ,,Fiir Eisenbalmen Wagen bauen Verniinftig, ist ein eig'ner Kniff! Jch sag's in's Ohr auch im Yertraueu : Da von habt ihr gar kein' Begriff. Hier kann man aufsiehen und sich waschen, Eiskaltes Wasser zapfst du dir ; Verkaufer bringcn Zcug zum Wascheii, Auch Zeitungen und sonst Lectiir! Jhr sperrt die Lent, wie wilde Thiere Zwolf Stuuden in 'en Hasten ein Schwatzt mir nur nicht vom Civilisire' So lang so was kann moglich sein. Von Kunsten ist noch anzufiihren Und ich thu's wirklich mit Genuss ; Nur hier verstehen sie das Barbieren Und wie man Stiefel putzen muss !" 300 Die Ursa cli en der Corruption. Everybody for liimstlf, and the devil take the hindmost! (Jcdcr fiir sich, und der Teufel hole den Letztcn.) Amerikanische Kedeneart. Unsere bisherigen Auseinandersetzungen stellen wohl die Thatsache der in den Vereinigten Staaten herrscheriden Corrup- tion ganz unzweifelhaft ausser Frage. Wenn wir nun im Folgenden versuchen, imsere Ansichten iiber die Ursachen dieser Corruption darzulegen, so sind wir uns bewusst, hiermit bis zu einem gewissen Grade das Gebiet der Hypothese zu betreten, wobei wir selbstverstandlich durchaus keinen Anspruch auf Unfehlbarkeit erheben. Zunachst diinkt uns das ,,Bessermachen" der Welt durch Einfiihrung eines ge- traumten Ideals gegenseitiger Liebe unmoglich, so lange die Men- schen Bediirfnisse und damit den Trieb haben, diese zu befriedigen. Total verfehlt erscheint uns daher der Versuch die Corruption nur als eine Folge der Boswilligkeit der Menschen zu erklareu, die die hoheren Grundsatze der Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Billigkeit und Menschlichkeit aus blosser Gier mit Fiissen trcte. Nicht Boswilligkeit, nicht blosseGier, sondern der Trieb der Selbst- erhaltung, zwingt den Einen zu den Fahrlichkeiten des Kampfes, wodurch er dem Anderen das niithige Brod vor dem Munde weg- nimmt. Ebenso wenig geniigt es unserer Meinung nach, zu sagen die Corruption sei gewissermaassen die zu Tage tretende Alters- Hcliwache der Volker. Abgesehen davon, dass das Altern der Nationen vielleicht noch eine streitige Frage sein kann, wieder- spricht die Geschichte ganz und gar der Annahme, dass eine Pe- riode der Corruption nothwendig eine Periode der Schwache sei, die den Untergang der betreffenden Nation nach sich ziehen miisse. Im Gegentheil sehen wir nachPerioden der zerfressendsten Corrup- tion Volker sich wieder auf's Neue in frischer, voller Kraft er- heben, wahrend andere gar nicht von Corruption ergriffene Volker doch im Kampfe urn's Dasein sogar mit corrupten Volkern erlagen und ihr Ende fanden. Wenn ein Volk Anspruch darauf besitzt, fiir ein jugendliches zu gelten, ist es sicher das der Vereinigteii Staaten; weit entfernt aber die dortige Corruption als Alters- schwache anzusehen, erblicken wir vielmehr darin das Lummel- 301 alter der nationalen Existenz, eine jugendlich brausende Gahrungs- periode, einen Werdeprocess entstehender Staatenbildung. Die Presse der Vereinigten Staaten selbst sucht gegenwartig die Corruption als eine Folge des Krieges darzustellen : ,,Keice Nation kann sich ungestraft auf grosse Kriege einlassen und das Land mit einer Masse uneinlosbaren Papiergeldes iiberschwemmen. Eine Zeit der Corruption und der riicksichtslosen Yerschwendung folgt solchen Ereignissen so sicher, wie die Nacht dem Tage folgt!" sagt die New- York Tribune, und beinahe sammtliche Zeit- schriften des Landes, so weit sie nicht aus sonstigen Griindeii der Thatsache der Corruption gegeniiber beharrlich die Augen schliessen, schlagen den namlichen Ton an. Fur uns ist auch diese Erklarung ganzlich ungeniigend. Nicht nur wurden sehr haufig Kriege gefiihrt, ohne eine derartige Aera der Corruption zur Folge zu haben, z. B. die Befreiungskriege gegen die napoleonische Herr- schaft, die Kriege der Hollander gegen die Spanier, die der Eng- land er gegen die Franzosen, sondern die Entwickelung der ameri- kanischen Corruption ist auch vor dem Kriege sehr deutlich nachzuweisen. Eine ihrer wichtigsten Phasen ist die von Jackson ein Menschenalter zuvor durchgefiihrte Anwendung des Princips ,,dem Sieger gehort die Beute", auf die Besetzung der Aemter. Im Kriege fand sie also nur Gelegenheit ihre sprossen- clen Keime und eingewurzelten Schosslinge auf s iippigste zu ent- falten. Mitunter soil auch der Reichthum eines Volkes zur Erklarung der Corruption dienen. Wie damit die Thatsache stimmt, dass Holland und England, die seit langerer Zeit notorisch reichsten Lander der Welt, nicht annahernd so stark \ T on der Corruption ergriffen sind, als Dutzende beinahe bettelarmer Nationen, ist schlechterclings nicht einzusehen. Allerdings kann die Art der Erwerbung des Nationalvermogens ein Element der Corruption sein. Yermb'gen, ohne die verhaltnissmassige Anstrengung der Arbeit oder des Krieges, sondern lediglich Dank der umstaten Laune des Glticks erworben, lasst in der That die zur Anstrengung befahig- ten Eigenschaften der Kampf- oder Arbeitstiichtigkeit als minder wichtig erscheinen, regt dadurch zu deren Verachtung und Ver- ]iachliissigung an und untergrabt somit die Grundsteine wahrer Macht. Unserer Ansicht rrach ist die Corruption der auflosende Verwesungsprocess alter gesellschaftlicher Zu- stande, in dessenWarme die Keime neuer socialer Zustande zur Reife gelangen. Als Keime aber wirken die Ursachen, die das gesunde Leben des alten Zustandes zer- fressen und ihn damit der Zersetzung entgegen treiben. Sie \ver- den aber nicht durch den alten Gesellschaftszustand selbst her- 302 vorgebracht; dieser verhalt sich vielmehr im Intercsse seiner Selbsterhaltung instinctiv jederzeit ablehnend dagegcn. Es sind iiussere Einfliisse oder das Einwirken von Umstanden, die nicht unter der Herrschaft des alten Gesellschaftszustandes stehen, welche diese Keime in den gesunden socialen Organismus hineintragen. Es sind dies solche Einfliisse, die auf die Lebensverhaltnisse einen unabweisbaren, verandernden Eindruck ausiiben. Eine Erfindung wie die des Steigbiigels, die dem Reitcr einen bisher nie besesse- nen Halt mid damit eine erhohte Gewalt im Kampfe gab, ver- anderte das Kricgswesen, damit siimmtliche bcstehenden Macht- verhaltnisse, zersetzte also in der Corruption des fruheren Mittel- alters die alten socialen Ordnungen und Rechtsverhaltnisse, und schuf endlich die neueren Ordnungen der Ritterszeit. Die Ejn- fiihrung des Schiesspulvers veranderte wiederum die Bedingungen der Kriegsfiihrung, erhohte die Bedeutung des Fussgangers dem Reiter gegeniiber, warf damit die bestehenden Machtverhaltnisse iiber den Haufen, zersetzte dadurch die bestehenden Ordnungen, und der in der Corruption des spateren Mittelalters untergehenden Ritterzelt folgte als erste Erscheinungsphase der wieder zur Macht gelangten Demokratie die Epoche monarchischer Allein- h errs ch aft. Alle solche Veranderungen, die als zersetzende Keime in eine ordnungsmassig bestehende Gesellschaft eintreten, werden nicht freiwillig oder gar absichtlich aufgenommen, sondern drangen sich durch die Nothwendigkeit der Concurrenz oder des Kampf'es nm's Dasein ihr auf und in sie em. Von solchen Beispielen ist nun die Geschichte voll. Sie alle weisen darauf hin, dass jede Culturepoche mit einer Periode der Corruption anhebt, sich durch dieselbe zu einer Periode der Klarung und der gesetzlichen, sitt- lichen Ordnung emporarbeitet, um schliesslich mit dem Eindringen anderer, die Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens wiederum verandernder Umstande abermals in eine Periode der Corruption einzutreten. Besitzt ein Volk Gliick oder "Widerstandskraft ge- nug um wahrend dieser Zeit, wo Macht der Disciplin, Zucht, Sitte, patriotische Aufopferung und Hingabe, also auch die "Widerstandsfahigkeit gegen aussere Feinde tief sinken, nicht liberwaltigt zu werden, so gelangt es gewissermaassen durch einen Mauserungsprocess zu einer neuen, den veranderten Ver- haltnis'sen angepassten sittlichen Ordnung. Zu einer neuen sittlichen Ordnung! hierin liegt der Schliissel zur Losung des Rathsels. Freilich, so lange die Auf- fassung vorwaltet, dass es nur eine absolut wahre Sittlichkeit, nur e i n festbestimmtes und unwandelbares Rechts'gefiihl gebe , das zu alien Zeiten, unter alien Umstanden und bei alien Vblkern ein und dasselbe, kann diese Losung nimmer gelingen, Vb'lker- 303 kimcle imd Geschichte liefern uns aber die iiberzeugendsten Be- weise, dass ein Volk einen ganz anderen Maassstab von Sittlich- keit anlegt, ein ganz anderes Rechtsgefiihl als urtheilenden Richter seiner Handlungen anerkennt, mit einem Worte, ein ganz anderes Ge \viss en besitzt, als ein oder vielmehr als jedes anderc, wirk- lich in verschiedenen Verhaltnissen lebende und mit verschiedenen Xaturanlagen ausgestattet, dass eines Handlungen preist und ihre Thater zum Himmel erhebt, die das andere verabscheut ; dass dieses nicht den geringsten Anstoss an Sitten und Gebrauchen nimmt, die jenes als ungelieuerlicli mit Entriistung verdammt; dass alle diese verschiedenen Ansichten nicht bosen, nichtswiirdigen Beweggriinden, d. h. der menschlichen Schlechtigkeit entspringen, sondern mit der ehrlichsten Ueberzeugung und deni festesten Ver- trauen an ihre Wahrheit, ja an ihre Heiligkeit geglaubt werden. Damit wird die Schwierigkeit im Erkennen der Ursachen jener damonisch-geheimnisvollen, Reiche zertrlimmernden undVolker ver nichtenden Erscheinung, die man Corruption nennt, um ein Be- trachtliches vcrringert. Und auf dieser Basis allein wollen wir den Versuch einer Erklarung der jetzigen Corruption derVereinig- ten Staaten \vagen. Die in friiheren Kapiteln angcfiihrten Beispiele zeigen das Eigenthiimliche der Corruption. Diese liegt namlich nicht darin, dass einzelne oder eine Reihe von Verbrechen vorkommen, wie die oben angegebenen, sondern vielmehr darin, dass es keine Schande mehr ist ein derartig eiiappter und tiberfiihrter Verbrecher zu sein, dass also das Rechtsgefuhl des Volkes nicht mehr liber solche Verbrechen in WalJung und Emporung gerath. Denn so lange Letzteres geschieht, ist ein noch so zahlreiches Begehen von Ver- brechen durchaus noch keine Gefahr fiir die gesellschaftlichen Zu- stande, da binnen Kurzem der Druck der cmporten ofFentlichen Meinung auf die Behorden so stark wird, dass sie gern oder un- gern die Strenge der Gesetze \valten lassen inussen. Wird aber der ertappte Verbrecher nicht mehr aus der Gesellschaft gestossen, kniipft sich keine weitere iible Folge an das Begehen einer Spitz- biiberei als die einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit auf Straf- aussicht im Falle des Ertapptwerdens, wahrend beim Erfolgc und der hochst wahrscheinlichen Freisprechung (gewohnlich aus Mangel an zulanglichen Beweisen u. s. w.) eine dem Werthe der Beute entsprechend geachtete sociale Stellung winkt, ist mit einem Wort der moralische Abscheu vor dem Verbrechen geschwuiiden, dann sind auch alle Schranken der Ziiriickhaltung gefallen. Man wagt es und trotzt der Wahrscheinlichkeit ertappt, und der viel geringeren iiberfiihrt zu werden. Was aber sind die Ursachen einer solchen Erschlaffung des nationalen Gewissens ? 304 Icli halte die folgenden fur die wesentlichsten derselben : 1) Die Verraischung verschiedener Volkselemente, deren Wirkung 2) Gesteigert wird durch die bedeutende Anzahl gesetzes- fliichtiger oder verbannter Verbreqher und Vagabunderi, die mit der Eiirwanderung in's Land gekommen. 3) Den miihelosen Vermogenserwerb durch blosses Gllick. 4) Die gesetzlich und in politischen Formen versuchte Durcli- fiihrung des Principes der Gleichberechtigung Aller. 5) Die aus den beiden letztgenannten Punkten sich ergebende Unertra'glickheit der bestehenden Vermogensverhaltnisse, die jeden etwa noch vorhandenen Rest von Achtung vor (lem Eigenthum ganzlich zu zerstoren droht. Die ethnischen Yerhiiltnisse. Die Vermischung verschiedener ethnischer Elemente ist fur die erste und ohne alle Umschweife gesagt - - hauptsachlich tiefgreifendste Ursache der Corruptionserscheinungen zu halten. Was mich zu dieser Ansicht bringt, ist eine Vergleichung der Zustande in Landern mit Bevolkerungen gleichen Stammes, mit solchen, die Bevolkerungen verschiedenen Stammes in sich ver- einigen. Ethnisch-reine Volker gibt es nun in der Welt aller- dings sehr wenige, in Europa diirften aber die germanischen Stamme speciell in Skandinavien und an der deutsch-hollandischen Nordseekiiste noch am meisten Anspruch auf Blutreinheit erheben konnen; alle anderen Culturnationen sind erweislich Mischvolker. Fassen wir ethnisch reine Gruppen in's Auge, so finden wir zunachst, dass die Volksmassen einer jeden dieser Gruppen em festbestimmtes, unzweifelhaft anerkanntes sitttiches Gewissen besitzen. Geschlechtliche Beziehungen sowohl als die Begriffe der Ehre und der Ehrlichkeit unterliegen bei ihnen einer bestimmten, durch die 6'ffentlichen Anschauungen iiber jeden Zweifel erhabenen Beurtheilung. Allerdings sind diese Normen, dem naturlichen Racen-Charakter entsprechend, von einander abweichende, und Manches was der Chinese z. B. als ehrlich, als ruhmlich und gar als geschlechtlich rein ansieht, wiirde der Germane vom Grunde 305 seines Herzens als schm'ahlich und als ekelhaftes Laster verabscheuen. Aber jeder Germane beurtheilt Handlungen mit demselben germanischen sittlichen Maassstabe , jeder Chinese beurtheilt dieselben Handlungen nach dem chinesischen Sittengesetze. Kein Mann der betreftenden Race wiirde ein anderes Urtheil fallen, als das solchergestalt anerkannte, und sogar die Verbrecher und ein- zelnen Individuen, die in ihren Thaten alle Sitte mit Fiissen treten, wagen nie Zweifel an der Richtigkeit der betreffenden sittlichen Anschauung selbst zu aussern. Sovveit wir die Geschichte solcher ethnisch-reinen Volker verfolgen kb'nnen, zeigt sie nie solche tief einschneidenden Perioden der Corruption , wie jene der Mischnationen. Obwohl po- litische Umwalzungen auch hier stattfanden, obwohl das sociale Leben in verschiedenen Epochen sich verschieden gestaltete, blieben die sittlichen Anschauungen im Grunde genommen unverandert oder erlitten nur eine ganz geringe Modification. Und wenn Cor- ruption in diesen Nationeu ersichtlich, so tritt dieselbe beinahe immcr in Perioden ein, wo sie einen bedeutenden Verkehr mit der Aussenwelt batten und durch fremde Sitten und Gebrauche beeinflusst wurden. 1st diese Wahrnehmung richtig, so geht dieselbe so weit zu beweisen, class alle anderen Ursachen der Corruption, z. B. die Anhaufung von Reichthumrn auf leichte Weise , ja sogar die Aenderung von Glaubensformen von geringerem Einflusse sind, als jener fremder ethnischer Elemente. Das feste Sittensystem einer ethnisch reinen Nation scheint eben die Kraft zu besitzen, die Vertheilung solcher Reichthiimer ihren Anschauungen gemass zu regeln und die in einem Wechsel der Religion reprasentirte Ver- anderung ausserer Ceremonien unschadlich zu machen. Auffallig tritt uns der Zusammenhaiig der verschiedenen ethnischen Elemente mit der Corruption vor Augen, wenn wir, wie oben erwahnt, ethnisch-reine mit ethnisch-unreinen Staaten vergleichen, z. B. das Konigreich Holland, die friihere Republik der Vereinigten Nieder- lande mit dem Kaiserreich Oestereich; die skandinavischen Reiche mit dem russischen Staatencolosse ; die Turkei mit ihrer bunten Volksmenge, deren Siechthum Kurzsichtige dem Islam zuschreiben wollen, mit den ethnisch-reinen Stammen Arabiens die an keiner Corruption leiden. Am lehrreichsten aber bleibt immerhin das Beispiel Hollands, namentlich um desswillen, weil dieser Staat, der unter republikanischen Fornien der Corruption eben so wenig Raum gewahrte, als unter den jetzigen monarchischen, damit den Beweis liefert, dass es nicht etwa die republikanische Staatsform an sich ist, der die Corruption zur Last gelegt werden kann, und iiberhaupt die Staatsform von keinem wesentlichen Einfluss darauf zu sein scheint, so lange ein ethnisches Element in 89 306 Grade vorwiegt, um sein Sittengesetz zur unbedingten Herrschaft zu bringen, 1st das Letztere jedoch niclit mehr der Fall, dann allerdings will es ims bediinken, als ob ,,freiheitliche" cl. h. auf demokratischer Basis errichtete Regierungsformen den Process der Corruption beschleunigen, wahrend despotische demselben einen grb'sseren Widerstand entgegenzustellen im Stande sind, und ihn dadurch verlangsamen. Ein ethnisches Element, welches unter freiheitlichen Form en seine sittlichen Anschauungen nicht mehr zur unbedingten Geltung bringen kann,vermag daher nicht nur mog- lichersondern wahrscheinlicherweise seineHerrschaft zu erhalten, wenn es versucht durch die festere Organisation cines despotischen Re- gierungssystems die widerwartigen sittlichen Anschauungen der anderen ethnischen Elemente zu bewaltigen; es opfert lieber die Formen seiner Freiheit dern viel wichtigeren Wesen seiner Sitt- lichkeit auf. Alle diese Beispiele, die ein weites, noch kaum betretenes Feld des historischen Stadiums bieten, scheinen uns ubereinstim- mend zu bestatigen, dass ethnische Vermischung das wichtigste Element der Corruption sei, im Vergleich mit dem alle anderen Ursachen von nur geringer Wirkung. Erst die Zerstb'rung fester sittlicher Anschauungen in Folge ethnischer Vermischung offnet der tiblen Wirkung der letzteren Ursachen Thiir und Thor. Die Geschichte der Vereinigten Staaten selbst bestatigt diese Auffassung vollkommen. In der colonialen Zeit lasst sich kaum ein Anzjeichen von Corruption erblicken. Aber die Bevolkerung der einzelnen Colonien, viel scharfer von einander getrennt, als gegenwartig die Staaten, bestand auch fast durchgangig nur aus' einem einzigen \ r olkselemente. Soweit in den nordlichen Staaten Ausnahmen von dieser Regel vorkamen z. B. in Pennsylvanien und dem Staate New-York, waren es zunachst protestantisch-germanische Elemente, die in der Gestalt der hollandischen Ansiedler von New*- .York (ehemals Neu-Amsterdam) und der deutsch-pennsylvanischen Arisiedclung sich nicht so sehr von der anglo-protestantischen Bevolkerung unterschieden , dann aber auch grosstentheils , wie namentlich das letztere Element, die Vorfahien der heutigen Deutsch- Pennsylvanier, in gewissen Gegenden zusammenw 7 ohnten, dort ihre eigene Lokalverwaltung hatten und ihre eigencn Sitten behielten, BO dass ein Durcheinanderleben der verschiedenen Stamme in be- deuteiiderem Maasse noch nicht vor sich ging. Die sehr geringe katholische Einwanderung dieser Zeit gehorte in Mehrzahl oben- drein auch der englischen Nationalitat an und siedelte sich bei- nahe ausschliesslich in den Pflanzungen der von Lord Baltimore, ihrem Glaubensgenossen, gegriindeten Colonie Maryland an. Yon Irland dagegen wanderte beinahe nur das irlandisch-germanische Element uach den Colonien aus, das bokanntermassen nicht nur 307 protestantisch 1st, sondern - - ein Beweis wie wenig ethnischc Unterschiede sich versb'hnen - - der keltisch-katholischen Bevb'l- kerung Irlands heute noch in vielleicht ingrimmigeren Hasse gegen- tib erst eat denn je. Etwas bedeutender waren fremde, aber auch protestantische Beimischungen (Hugenotten, deutsche, mahrische Briider und ahn- liche protestantische Sekten) in manchen siidlichen Colonien. Aber die Bevolkerung war uberhaupt noch so diinn, dass einem Jeden voller r Ellenbogenraum" blieb und etwelche Aeusserlichkeiten der Sitte, die bei naheren Xachbarn anstbssig gewesen waren, weniger auffallig erschienen, zumal die doch nur geringen Unterschiede zvvischen den \ 7 erschiedenen protestantischen, also vorwiegend ger- manischenllrelementen, vollstandig verschwanden imVergleich mit jenen des einzigen in grosserer Anzahl vorhandenen Elementes ethnischer Disharmonie, der Neger. Dieser aber gelangte als Sklave nie zu irgend weleher Geltung. Die sittlichen Anschauungen der Weissen waren und blieben allein maassgebend. Aber dre Unmbglichkeit deren Beobachtung seitens der Neger zu erzwingen hatte eben zur Folge, dass man sie als jedes Sittlichkeitsgefiihls baar ansah, und ihre sittlichen Yerhaltnisse .demnach lediglich den Interressen der herrschenden Klasse gemass im einzig-moglichen Zwangswege ordnete, was iibrigens dem Gedeihen der Schwarzen so giinstig war, dass sie sich nicht nur ganz ausserordentlich vermehrteu, sondern auch in Mehrzahl aus gesunden und physisch kraftigen Individuen bestanden. Die Interessen der Zuchtung erlaubten eben nicht die Fortpflanzung der Schwachen und Erbarmlichen, und es ware zum Wohl kiinftiger Geschlechter nur zu w T iinschen, dass ge- sunde Ziichtungsprincipien auch unter den civilisirten Volkern wenigstens der kiinstlichen Hegung aller Sorten verkriippelter, idiotischer, erbarmlicher, mit einem Worte ni chtsnu tziger Exemplarc ein Ende machen. Dicse colonialen Ansiedler genosseii die ausgedehntesten Rechte der Freiheit; ungehindert konnte ein Jeder die Friichte seines Ringens und Schaffens im Kampfe urn's Dasein geniessen. Eine gewisse Gleichberechtigung stellte sich allerdings thatsachlich her weil eben das Ringen und Sehaffen der Einzelnen ein annahernd Gleiches war und demnach auch nahezu gleiche Friichte ergab. Beinahe die ganze Bevolkerung beschaftigte sich mit der Urbar- machung des Bodens und Gewinnung der Bodenfriichte, und der Ertrag dieser Arbeit lieferte ausreichende Nahrungsmittel f iir grosse Familien denen man auch liberall begegnete, weil keine Last, viel- mehr eine Hilfe und Unterstutzung fiir die Eltern. Die Mittel des Luxus waren hingegen nur sparsam vorhanden, da fast noch kein Export bestand. Beinahe Alles, wessen man benothigte, wurde auf der Farm selbst erzeugt und zubereifet. So genoss der Bauer 308 nicht einer papiernen, sondern einer thatsachlichen Unabhangigkeit, wie sie ebcn nur in solchen Verhaltnissen denkbar. Er war wirklich souveraner Herr auf seinem Besitze, und die Geschicke Anderer ubten kaum irgend welchen Einfluss auf die Seinigen. Der Kampf urn's Dasein war nicht ein Concurrenzkampf gegen Andere urn's tagliche Brod, sondern gegen die noch ungebandigten Naturmachte. Mit einer Ausnahme allerdings ! Die alten Eigen- thiimer des Landes, die Indianer gaben ihren Anspruch auf Grund und Boden erst dann auf, wenn Macht, die allein den Besitztitel dieses Eigenthums zu verleihen im Stande, sie zum Ruckzuge ge- zwungen. Also bestand an der Grenze ein fortwahrender, grau- samer Kamj.f um die Giiter, die die unparteiische Natur Dem zugedacht, der sie zu erringen und zu behaupten verstand. In diesen Kampf zog Jeder der sich bedroht fiihlte, der reifere An- siedler um sein schon inBesitz genommenes Heim zu vertheidigen, der jnnge Mann; um sich weiter im Westen ein Eigenthum zu erobern und eine Heimath zu griinden. So war die ganze Be- volkerung ein mannhaftes, im Kampf gestahltes Geschlecht, in dem jeder Herr und Niemand Diener, in dem Jeder arbeitete, weil sich Niemand fand der ihm dieseMiihe abnahm, und in dem die Arbeit desshalb der allgemeinsten Achtung genoss, und Jeder der sich derselben nicht unterzog, init Kopfschiitteln als verdachtiges Sub- ject betrachtet wurde, da man iiberhaupt nicht einsehen konnte, wie er ohne Arbeit zu lejben im Stande. Eine solche Bevolkerung, die in thatsachlicher Gleichheit frei lebte und sich auch gleicher Rechte erfreute, nahm keinen Anstoss an dem Grundsatze der ,,Gleichberechtigung Aller", als derselbe von Jefferson, Payne und Genossen von Frankreich, dem Lande der papiernen Freiheitsrechte und des thatsachlichen Despotismus, eingefiihrt wurde. Denn damals war die Gleichbe- rechtigung Aller ja eben nur der Ausdrnck der wirklich bestehen- den "Verhaltnisse. Aber der engere Bund, in den die bisher isolirten Colonien zum Zwecke der gemeinsamen Vertheidigung gegen das Mutterland traten, riiumte die Schranken , womit sich bisher jede einzelne Colonie umgeben und die innere Gleichheit ihrer Bevolkerungen erhalten hatte, hinweg und oifr-ete damit nicht nur den freien Yerkehr der colonial en Bevolkerungen unter einander, sondern was fiir die folgende Entwickelung von Alles iiberschattendei' Wichtigkeit , dem ungehinderten Einstromen frem- der Elemente Thiir und Thor. Diese liessen nicht lange auf sich warten! In Folge der Unabhangigkeitserklarung und des durch den Krieg erzeugten Masses wandte sich der bisherige Strom der Auswanderung , nam- lich der englisch-loyalen protestantisch-germanischen Bevolkerung der britischen Inseln von der neugeschaffenen feindlichen Republik 309 ab und anderen englischen Colonien zu. Er wurde ersetzt durch die Auswanderung , die sich alsbald aus dem englandfeindlichen, keltisch-katholischen Elemente in Beweguug setzte und ihrem rieuen, durch gleiche Feindschaft gegen Albion sich auszeichnen- den Bundesgenossen zueilte, der ihnen, den in ihrer Heimath von den verhassten Sachsen Unterdriickten , Freiheit und Gleichheit versprach. So begann das fur die Vereinigten Staaten so ver- hangnissvolle Einstrb'men des, dem germanischen Wesen , welches die bestehenden Gruiidlagen freiheitlicher Ordnungen und Sitte ge- schaffen, feindlichen keltisch-katholischen Elementes. In den ersten Jahrzehnten allerdings trat dieser Einfluss noch nicht zu Tage. Die ankommenden Einwanderer zersplitterten sich als einzelne Individuen und diese sahen sich, inraitten einer streng puritanisch-protestantischen Bevblkerung, die wohl an die Gleichheit der Menschen glaubte aber sehr geneigt war, den Katholiken eben nicht als eineii Menschen , sondern als ein verab- scheuungswiirdiges Ungeheuer anzusehen, wohl oder iibel ge- zwungen , ihren katholischen Gefiihlen und keltischen Instinkten Zwang anzuthun, sie in ihrem Innern zu verschliessen , und den Sitten und Ansichten ihrer puritanischen Nachbarn sich anzube- quemen. Sie konnten nicht einmal umhin, ihre Kinder in die Gemeindeschulen und sogar in die Kirchenversammlungen der Letztern zu schicken. Dies erklart die fiir die Beurtheilung reli- gibser Verhaltnisse in den Vereinigten Staaten hb'chst wichtige Thatsache, dass dort gegenwartig mehrere Millionen keltisch- katholischen Blutes existiren, die den protestantischen Sekten an- gehoren. Der Lo^renantheil an dieser bekehrten Masse fiel der jungen , bekehrungseifrigen (und desshalb , wie immer in solchem Falle , sich dem Geschmacke der zu Bekehrenden am meisten anbe- quemenden) Sekte der Methodisten zu, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich den notorischen, despotischen Hang dieser un- duldsamsten aller protestantisch genannten Sekten dem iiber- Avuchernden Einflusse ihres bedeutenden, der freien Meinungs- ausserung abgeneigten, keltischen Racenelementes zuschreibe. Atich mochte es kein blosser Zufall sein , sondern mit diesem ethnischen Yerhaltnisse zusammenhangen , dass vor alien ,,christlichen'' Staats- mannern, gross und klein., die sich im Felde der Corruption ganz besonders auszeichnen, die Methodisten die Palme davontrageu. Allmahlig aber bildeten sich zuerst in den grbsseren, claim auch in den Mittel- und kleineren Stadten des Landes katholische Gemeinden, und um sie sammelte sich bald die nach und nach in bedeutenderer Anzahl, seit dem Hungerjahre 1847 aber gerade- zu massenhaft in's Land stromende irische Einwanderung. Sobald der katholische Irlander sich inmitten einer Schaar seiner Lands- leute und Glaubensgenossen wusste, hb'rte er sogleich auf, sich den verhasstcn Sitten der puritanisch-protestantischen Bevolkeriing anzubequemen und seinen katholischen Glauben zu verleugnen oder gar seine Kinder in protestantische Schulen oder Kirchen zu schicken, Seit dieser Zeit gelang es auch der katholischen Kirche, ihre Glaubigen in ihrem Schoosse festzuhalten, sie als feste, schnell wachsende Phalanx den zersplitterten Sekten des Puritanismus gegeniiber zu stellen , diesen letzteren das Terrain streitig zu machen. und ihrer Unduldsamkeit siegreich zu trotzen. Zu diesem Zwecke war ihr sogar die Unterstutzung der protestantischen, aber in Glauberissachen indifferenteri Deutschen willkommen. Denn die Deutschen waren mittlerweile auch zu einer Macht im Lande angewachsen, mit der man rechnen musste, Die altere deutsche Einwanderung, die sich vornehmlich nach Pennsylvanien richtete, erreichte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts ihren Abschluss, indem die mit dem siebenjahrigen Kriege eingetretene Kriegsperiode den Auswandererverkehr zwdschen Deutschland und Amerika beinahe ganzlich in's Stocken brachte. Die Theilnahme der deutschen, von den Fiirsten verhandelten Soldatentruppen an dem Unabhangigkeitskriege auf britischer Seite erregte sogar bci dem Amerikaner einen mit Verachtung gepaarten Hass gegen die Deutschen, die er allesammt ,,Hassen" benannte, ein Hass, der bis heutigen Tages durchaus noch nicht verklungen ist. So be- durfte es eines nachholtigen Druckes in Deutschland selbst, um allmahlig wieder eine Auswanderung nach Amerika vorzubereiten. Die Demagogenvejfolgungen der zwanziger, die revulutionaren Be- wegungen der dreissiger Jahre trieben eine Anzahl Leute hiniiber, die eine gewisse Verbindung zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland herstellten. Als in Folge der Anlage von Eisen- bahnen und der Ansdehnung des Eisenbahnnetzes nun die Gefilde des reichen Beckens des oberen Mississippi der Ansiedlung zu- ganglich gemacht wurden und die materiellen Aussichten der Ein- wanderer sich erheblich besserten, begann allmahlig die grosse deutsche Einwanderung. Das Fehlschlagen der 1848er Revolution nament- lich warf Massen hiniiber, und der einmal in Fluss gesetzte Strom ergoss sich bis auf den erst im letzten Jahre eingetretenen Riick- schlag in beinahe immer gleicher Starke. In demselben Maasse, als die Schaaren der Einwanderer sich bemcrklich zu machen begannen, und ihre eigencn Ansichten zur Geltung zu bringcn versuchten , erhob die Corruption ihr Haupt, schwand die friiher bestandene thatsachliche Gleichheit. Denn der grundbesitzende Amerikaner nahm den sich darbietenderi Einwsnderer zur Arbeit an, eiitwohnte sich derselben selbst, be- gann 5 sich der Miihe , Kinder aafzubringen, immer mehr und mehr zu entziehen, da er die Arbeitskraft , wodurch sie ihm spater die Kosten ihrer Erziehung wiederer^tatteten, ja billiger miethen 311 konnte, und er uberdies nicht gern sehen mochte, dass seine Kinder an der Seite des fremden, seltsamen hirelings (Heuerlings d. i. Mietharbeiters) arbeiten , und dabei moglicherweise an ihren Sitten oder ihrem Seelenbeil Einbusse erleiden sollten. Ueberdies gewahrte ihm ja die Verbesserung der Transportwege jetzt die Mittel, seine Ackerbauprodukte, die er friiher zur Sattigung des Dutzends Mauler seiner Familie verwandte, profitabel zu verkaufen; er konnte sich also damit manche Bequemlichkeiten der modernen Civilisation , manche Luxusgeniisse verschaffen , die er friiher nicbt einmal dem Namen nacb kannte. Also erwuchs Verachtung der Arbeit, Abneigung gegen grosse Familie und Hang zu Luxus. Und die unter solchen Umstanden erzogenen Kinder sind das corrupte Geschlecht, das heute die Leitung des Staates in den Handen hat, Zwei Genera tionen hab en geniigt, urn den durchaus ehrlichen sittenstrengen und sittenreinen Verhaltnissen der Republik vom Anfange dieses Jahrhunderts die Corruption der Gegenwart folgen zu lassen. Zwei Generationen , in denen der Strom fremder Be- vb'lkerungselemente erst langsam, dann immer schneller sich in's Land ergoss und dort 7 bis 8 Millionen Individuen fremder Geburt ansiedelte , die mit ihren Abkommlingen heute wohl unge- fahr die Halfte der Bevolkerung ausmachen. Dieser rasche Verfall der Sitten ist in erster Linie das Ergebniss der eingetretenen Yermischung der verschiedenen ethnischen Elemente. Dabei denken wir durchaus nicht etwa an die wirkliche geschlechtliche Vermischung, sondern zunachst nur an das Unter- einanderleben verschiedener Volkselemente auf demselben Raume, unter derselben staatlichen Organisation und unter denselben Ge- setzen, ein Untereinanderkommeu , das allerdings fruher oder spater unvermeidlich zu einer mehr oder minder vollkommenen Bluts- vermischung fiihren muss. Und zwar folgt einer solchen Ver- mischung die Corruption immer unvermeidlich (wenigstens liegt kein einziges Beispiel des Gegentheils in der Geschichte vor), und um so schneller und heftiger, je grosser der freie Verkehr zwi- schen den heterogenen Elementen ist, je weniger gesetzliche Schrariken sie von einander trennen. In den Vereinigten Staateu, wo die Gesetze fiir Jeden gleich , derartige Schranken also gar nicht existiren, wo im Gegentheile alle Volkselemente sogar in gleicher Weise im Verhaltnisse ihrer numerischen Starke auf die Gesetzgebung einwirken, geht der Process der Corruption, der in manchen Fallen sich beinahe mit chronischer Langsamkeit voll- zieht (in den ,,Kastenlandern") hb'chst akut und heftig vor sich. Seit Anbeginn bringen und brachten die Einwanderer aus ihrer europaischen Heimath Sitten , Gebrauche , Rechtsanschauungen und Religion ihrcs besonderen Volksstammes mit. Alle diese 312 weichen in vielen Einzelnheiten von einander ab , freilich oft nur in blossen Aeusserlichkeiten , wahrend in den Grundzugen die Sittensysteme der verwandten Volksstammme je nach dem Grade ihrer Verwandtschaft mehr- minder ubereinstimmen; dennoch sind es gerade diese Aeusserlichkeiten, die zumeist in die Augen fallen und vollstandig geniigt haben , zwischen den reineren ger- manischen Stammen, trotz der nach mehr als tausendjahriger lokaler und politischer Trennung bewahrten Uebereinstimmung in ihren Grundanschauungen iiber Moral und Rechtlichkeit, einen heftigen, mit Verachtung gepaarten Stammeshass zu erhalten, der erst in der neuesten Zeit den Erwagungen wichtiger, gemeinsamer Interessen zu weichen beginnt. * Wohl wirft sicb jene Ideenrichtung, die sich ,,kosmopolitisch" nennt stolz in die Brust und betrachtet Nationalhass und Stammes- abneigung als kleinliche Vorurtheile. Es ist aber eine ganz ,,kleine >( Verdrehung der Wahrheit zu behaupten, ein Vorurtheil 1 ' sei ein ,,kleinliches", welches uberall und allerwegen, wo jemals Menschen wohnten, besteht und bestanden hat und solche Macht und Wirkung auszuiiben im Stande gewesen, dass alle Seiten der Geschichte davon erfiillt sind. Was immer eine solche Erschei- nung sein mag, ,,kleinlich" ist sie nicht, sondern von so wuch- tigej*, ja, von iibermachtiger Gewalt und so sehr der hb'chsten Beachtung des Geschichtsforschers werth, dass nur Blinde und Thoren sie missachten mb'gen, einem Staatsmanne aber ihre Missachtung fuglich als Verbrechen anzurechnen ist. Was nun das ,,Yorurtheil" trifft, so hat die moderne Wissenschaft den Satz aufgestellt; keine Wirkung ohne Ursache. Sind Logik und dieser Satz richtig, so muss ein Vorurtheil" von solcher Macht und solchem Einfluss Griinde haben von entsprechender Gewalt. Interessant ware es jedenfalls dieselben kennen zu lernen , zumal es schliesslich noch gar nicht erwiesen ist , dass nationale Ab- neigung lediglich Vorurtheil" ist. Sehr wahrscheinlich ist ein betrachtlicher Theil dieses Vorurtheils das im Instinkt niederge- legte Resultat von Erfahrungen, das unsere Vorfahren in friiheren ungezahlten Zeitaltern im Kampfe urn's Dasein gemacht, und die, weil sie sich den Vb'lkern so tief in diesem Vorurtheil eingepragt, vielleicht von iiberwaltigender Wichtigkeit in diesem Kampfe urn's Dasein sind, Ehe ich auf eine nahere Untersuchung der weissen Volks- elemente in Nordamerika eingehe , mochte ich der J u d e n ge- denken, w r elche in den Vereinigten Staaten, wie uberall, eine Ausnahmestellung einnehmen , deren besondere Eigenthiimlichkeit ein nicht zu bestreitender Erfolg im Kampfe um Reichthum ist Unserer Ansicht nach grundet sich dieser Erfolg darauf, dass die Juden die einzige Nationalitat sind , die inmitten der weltumfassenden 313 und Alles unter einen Hut bringen wollenden Anschauungen der grossen monotheistischen Religionssysteme von clem Wahne frei blieben , dass ein bestimmtes Sittensystem sich fur alle Nationen Volker und Kacen der Erde, fiir die ,.Menschheit" eigne! Und sie blieben es nicht, weil sie ,,das auserwahlte Yolk sind , das allein in das Himmelreich eingehen wird, wahrend alle Anderen verdammt sein werden", sondern weil sie glauben eszti sein! In Folge dieses Glaubens sind sie, der Wahrheit ent- sprechend, davon tiberzeugt, dass sie eine mit besonderen Eigen- schaften ausgestattete und von Anderen verschiedene Nation sind, dass sie besondere Anschauungen und Gefiihle haben und hegen, die anderc Vb'lker nicht theilen. Sie sind nicht von dem Trugbilde der Menschengleichheit angesteckt uiid suchen desshalb nicht aus anderen Vb'lkern Proselyten zu machen , sondern verfolgen das Ziel der Vennehrung ihrer Zahl auf naturliche Weise durch Erzeugung und Erziehung grosser Familien. Sie sind in Folge ihrer selbstbewussten Ausnahmestellung von vornherein gezwungen, das Leben nicht als eine fortgesetzte Bethatigung briiderlicher Liebe Aller gegen Alle anzusehen, sondern fassen es von Jugend an, der Wahrheit gemass, als Kampf auf, worin sie ihre Existenz Feinden abtrotzen miissen. Und grade weil sie in Allen, die nicht zu ihrem auserwahlten Samen gehb'ren , . ihre Feinde erblicken, miissen sie unter sich eng zusammenstehen und durch gegenseitige Unterstiitzung nach besten Kraften den Kampf gegen den gemein- samen Feind aller Nachkommen Abrahams siegreich durchftihren. Aber sie erwarten nicht, dass ihre Bundesgenossen ihnen diese Unterstiitzung umsonst gewahren sollen , sondern sie allein inmitten der in ihren Reden von Liebe triefenden, in ihren Thaten nur Riicksichtslosigkeit zeigenden christlichen Welt, anerkennen in ihrem Sittengesetz als maassgebenden Grundsatz der Gerechtigkeit und der Freiheit , die Hegel so da heisst: Auge um Auge , Zahn um Zahn", einen Grundsatz,' den nicht die Religion, wohl aber der gesunde Menschenverstand des germanischen Volkes noch hegt in dem Sprichwort: ,,Wie du mir, so ich dir!" Demgemass halten sie sich fiir verpflichtet, die von ihren Glaubensgenossen gegebene Unterstiitzung nach bestem Konnen zuriickzuerstatten und die Strenge, womit sie diese Pflicht erfiillen, ist das Band, das ihre Gesellschaft zusammenhalt und jedem Einzelnen von ihnen iiberall, wo Glaubensgenossen wohnen, Credit und Unterstiitzung in jedem Nothfalle sichert ! In Folge dessen stehen sie im Con- currenzkampfe des Lebens der christlichen Gesellschaft als ge- schlossene Phalanx gegeniiber und erringen den Sieg -urn so leichter, als sie kampfen im Besitz einer rich tigen Weltanschauung, die dem Feinde immer so viel abnimmt, als die Umstande erlaubcn. 40 314 So haben die Juden immer und jederzeit, wo sie geduldet waren, die Einzelnen besiegt und gepliindert. Was ihrem Siege Schranken anlegte, war eben nur der von Zeit zu Zeit emporte Raceninstinkt des ausgepliinderten Volkes , der sich erhob , die Gebote der christlichen Liebe beiSeite warf, in Selbstvertheidigung seine Angehorigen ebenfalls in geschlossene Sturmcolonnen formirte, und im schonungslosen, weil vom Racenhass diktirten Vorgehen jener geschlossenen , auserwahlten und Jedermann feindlichen Ge- sellschaft eine grausige Niederlage beibrachte, in der Verfolgung ihnen die Beute wieder abnahm , und damit zeitweilig das normale Verhaltniss wiederherstellte. Solches war und ist die Stellung des Judenthums iiberall, wo religiose Ueberzeugungen fest wurzeln. Wo dagegen die Ideen der Neuzeit ihren glaubenzerstorenden Einfluss geltend gemacht, verwischen sie nicht nur die heut scbon ganz unbestimmbar ge- wordenen Grenzen des Christenthums , sondern werfen auch die festen Schranken des jiidischen Glaubens iiber den Haufen. Damit ist aber die geschlossene Gesellschaft gesprengt und der einzelne Jude tritt isolirt wie jeder andere Mann in den Kampf Aller gegen Alle ein. Diese Auflosung vollzieht sich in Amerika sehr rasch. Wahrend die eingewanderten Juden, die namentlich aus den friiheren polnischen Landestheilen in Masse heriiber kamen, noch dieVortheileihrerbesonderen Stellung auszubeutenim Stande sind, ihre richtigere Weltanschauung und ihre Gewohnung an eine mit grossen Familien immer verbundene einfach-frugale Lebensweise zu ihrem grossen pecuniaren Vortheile zu beniitzen wissen, hat die zweite Generation diese im Kampfe urn's Dasein hochst werth- vollen Tugenden schon beinahe ganzlich abgelegt und ist unzweifel- haft eines derjenigen Volkselemente, die sich mit dem grossten Behagen im luxurios-weichen Schlamme der Corruption herum- walzen. Der alle sittlichen Anschauungen zerfressende Process hat eben auch auf das Moralgesetz des Judenthums seine Wirkung geiibt, und wie Simson einst mit scinen Locken seine Kraft verloren haben soil, so verliert dasselbe mit der festen Abge- schlossenheit seiner Gesellschaft den bisher besessenen Vortheil im Conkurrenzkampfe. Was nun die iibrige Bevolkerung der Vereinigten Staaten betrifft, so besteht dieselbe, abgesehen von einer Menge anderer von relativ nur geringem Belange, wesentlich aus drei verschie- denen Elementen. Zunachst aus dem alteren Grundstock der weissen Bevolkerung, vorwiegend von ecglischer Abstammung und mehr oder minder mit dem unduldsamen Religionsfanatismus der ,,Rund- kopfe" oder Puritaner behaftet. Dieses Element ist jenes, welches seit seinem zweihundertjahrigen Aufenthalte in Amerika sich auch physisch zu einem besonderen Typus entwickelt hat, der sich na- 315 mentlich durch geringere Breite nnd grossere Lange sammtlicher Korpertheile scharf von dem Europaischen unterscheidet und den man fiiglich den Yankee-Typus nennen kann. Das zweite wesent- liche Element sind die eingewanderten Deutschen, denen sich die germanischen Nebenvolker , wie Hollander, Flamander, Schweizer, Deutschrussen , Danen und sogar Scandinavier mehr oder minder anschliessen. Der tiefe ethnische Riss, der in Europa zwischen Nord- und Stiddeutschen besteht und sich noch durch den Gegensatz der Religionen , des Protestantismus im Norden und des Katholicismus im Siiden verscharft, behalt aber auch hier seinen trennenden Charakter bei. Das dritte Hauptelement endlich ist das keltisch-katholische der irlandischen Einwanderung. Jm Charakter unterscheidet es sich von den beiden erstgenannten auf die markirteste Weise und driickt sich besonders dadurch aus, dass es uberall als ein einheitlicher Kb'rper in das offentliche Le- ben eingreift. Bis zu einem gewissen Grade lehnen sich die ge- ringen Einwanderungen aus den romanischen Landern an dieses Element an. In den Siidstaaten dagegen ist die ganze weisse spatere Einwanderung nur von geringerem Belange. Ihre grosse Masse bilden die slidlichen Weissen, im Wesentlichen von englischer, doch nicht wie die Yankees von streng puritanischer Abstammung, und schon bei der ersten Einwanderung mehr als jene von anderen Elementen, z. B. von franzosischen Hugenotten durchsetzt. Auch hier hat sich schon ein gewisser Typus entwickelt, der sich na- mentlich durch bedeutende Korpergrosse auszeichnet, aber auch noch eine gewisse , dem curopaischen ahnliche bliihende Farbe bei- behalten hat, die bei dem Yankee ganz und gar einer lederartig bleichen Gesichtsfarbe gewichen ist. Ueberhaupt ist der siidliche Typus nicht so scharf ausgepragt, als der des Yankee. Das zweite numerisch-wichtige Bevolkerungselement der Sud- staaten ist das der Farbigen (der Neger und der verschiedenen Abstufungen der Bastarde). Zwischen diesen vier Hauptelementen der Weissen steht in einer mittleren Stellung eine Menschenmasse , die der Abstammung nach zwar meist dem einen oder dem anderen angehort, aber dennoch gewissermaassen schon als einProdukt, weniger der ge- schlechtlichen Yermischung , als vielmehr ,der durch das Durch- einanderwohnen zu Stande gebrachten Abschleifung der ausseren Charaktere anzusehen ist. Eine Schatzung der Zahlenverhaltnrsse dieser vier Haupt- elemente ist nicht leicht , da die statistischen Angaben ethnische Unterscheidungen nicht beriicksichtigen. Auf Grund langjahriger persb'nlicher Beobachtungen aber glaube ich kaum zu irren, wenn ich jedes der vier Elemente annahernd auf ein "Viertel der weissen 316 Gesammtbevolkerung veranschlage , wobei die siidliclien Weis- sen numerisch am starksten , das irisch - keltisch - romanische Element am nachststarksten , die eigentlichen Yankees aber am schwachsten sind. Die Starke des charakterlosen Young America zu schatzen ist unmb'glich, da Jeder individuell dessen Grerizen weiter dehnen oder enger zusammenziehen kann. Ueber das Verhaltniss der ethnischen Elemente zur Corruption lasst sich nun von vornherein Folgendes feststellen : Die Corruption ist am wenigsten tief in alien Gegenden und Unterabtheilungen der Verwaltiing, wo Eines jener Urelemente noch das unbedingte Uebergewicht behauptet und dem entsprechend die Verwaltung der betreffenden Gegend in Handen hat. Am starksten ist sie dort , wo keines ein solches bestimmtes Ueberge- wicht besitzt, die verschiedenen Bevolkerungsgruppen sich demnach die Wagschale halten und am starksten auf einander einwirken. Dort ist dann zugleich das undennirbare charakterlose Young America am zahlreichsten vertreten. Einzige Ausnahme dieser Regel bilden jene Stadtgemeinden, wo gleich wie in New-York City, das irisch-keltisch-romanisch- katholische Element die Herrschaft an sich gerissen. Dort ist die Corruption unzweifelhaft am tiefsten eingedrungen. Die ethnische Mischung ist nun am starksten in dem Strichc der von New- York aus sich nach Westen hinzieht. Darum sind es wiederum die alteren, ostlicher gelegenen Staaten, in deneri die bunten ethnischen Elemente der Bevolkerung am meisten Zeit hatten, auf einander einzuwirken. Daher denn die Corruption in diesem ostlichen Verkehrs- und Handelsgebiet der Stadt New- York am tiefsten, in den westlicheren Distrikten dagegen noch weniger eingefressen. Von den genannten Elementen, behaupten einzig noch die Yankee's in gewissen Gegenden ein solches unbedingtes Ueber- gewicht, um ihren Willen zur unbestrittenen Geltung zu bringen. Sie wiegen noch ganz und gar vor in jenen Gegenden New-Eng- landSj ihrer Heimath, wo nicht die Fabrikstadte und das davon herangezogene fremde, beinahe durchaus keltisch-katholische Ele- ment das Uebergewicht erlangt haben, besonders in den Staaten \ 7 ermont, New-Hampshire, Maine und den westlichen Gegenden von Massachusetts. In .diesen Staaten herrscht weniger Corruption, als irgendwo in der Union. Die Verwaltung ist im Ganzen noch fahig und ehrlich, und die Gesetze werden im Allgemeinen ge- achtet. Dagegen ist in den Fabrikgegenden New-Englands (Boston und das ostliche Massachusetts , Rhode Island und Connecticut), wo die puritanische Urbevolkerung bereits uberfliigelt ist, die Corruption fest eingenistet. In den neuen Staaten des Westens haben die reineren Yankee's 317 das unbedingte Uebergewicht im Staate Jowa errungen, wo sich unsere Theorie auf das Eklatanteste bewahrheitet. Denn Jowa 1st bis heutigen Tages von Corruption im Wesentlichen befreit ge- blieben. Ihm zunachst sowohl im Vorwiegen eines imd zwar des- selben ethnischen Elementes wie in verhaltnissmassiger Corruptions- losigkeit steht der Staat Micliigan. Nach den Yankee's sind es die siidlichen Weissen , welche noch in verschiedenen Gegenden eine bestimmte numerische Ueber- legenheit bebaupten , aber nicht so ausschliesslich , wie die Yankee's in den oben erwahnten Staaten, seitdem die farbige Bevblkerung eine erhb'hte Bedeutung erlangte. Dennoch herrschen die siidlichen Weissen ziemlich sicher in den Staaten Kentucky, Tennessee, Nord-Carolina , Virginia und Georgia, und diese sind im vollen Einklang mit unserer Theorie , in dem Maasse , als die Oberhoheit dieses Elementes mebr oder minder gesicbert erscbeint , von der Corruption mehr oder minder befreit. Dagegenbesteht in Siid-Carolina, Florida , Mississippi und Louisiana , wo die Neger unter Fiihrung der von der Bundesregierung unterstutzten Schnappsackler eine zweifelhafte Herrschaft ausiiben, jenes Scbandregiment, das wohl in der Geschicbte der Civilisation nicbt seines Gleicben hat. Eine grb'ssere Wirkung iiben die fremden Bevblkerungselemente in Texas, denn obwohl die siidlichen Weissen auch hier die unbedingte Oberhand haben, ist die Corruption dennoch grosser als in den genannten Staaten des Siidens mit weniger gemischten Bevolke- rung. In Arkansas und Alabama, wo die Oberherrschaft noch zweifelhaft, ist die Corruption dagegen bedeutend, w r enngleich nicht so stark , als unter der Neger- und Schnappsacklerwirthschaft. In den iibrigen nordwestlichen Staaten , Ohio , Indiana, Illinois, Missouri, Wisconsin und Minnesota sind sammtliche Ur- elemente in bedeutender Anzahl vertreten. Die siidlichen Weissen bilden den Haupttheil der Landbevolkerung des unteren Thales des Ohio und des Staates Missouri; die Yankee's wiegen vor im nb'rdlichen Ohio und Indiana, und erstrecken sich in bedeutender Starke durch das nbrdliche Illinois , Wisconsin bis nach Minnesota ; das deutsch-germanische Element ist besonders stark am obern Mississippi, im nb'rdlichen Illinois und Wisconsin, namentlich durch die Skandinavier auch in Minnesota, und im Verein mit den Pennsylvanier Deutschen sehr stark im siidlichen Ohio ver- treten , breitet sich aber auch iiber die anderen Theile dieses Ge- bietes aus und wohnt namentlich in dessen grosseren Stiidten (Cleveland, Cincinnati, Indianapolis, Chicago, Milwaukee, St, Paul, Davenport, St. Louis) in bedeutenderen Massen; endlich finden sich besonders in alien grosseren" Stadten auch starke Bruchtheile des kelto-katholischen Elementes, obwohl dieses im Westen nicht annahernd so stark auftritt als in der bstlichen 318 Gruppc der mittleren Staaten (New-York, Pennsylvanien , New- Yersey , Delaware , Maryland und die Stadt Washington) und den oben aufgezahlten Fabrikgegenden Neuenglands. Die Corruption ist in dieser westlichen Staatengruppe nun starker, als in den unter der ausschliesslichen Herrschaft eines ethnischen Elementes stelienden Gegenden, aber dennoch bei weitem nicht so stark als in der ostlichen Gruppe, wo das kel- tisch-katholische Element zahlreicher. Und es ist dies sicherlich kein blosser Zufall. Die Erklarung mochte vielmehr in Folgendem liegen : Die Mehrheit der Bevolkerung in den Vereinigten Staaten besteht aus den drei Elementen der Yankee's , der sudlichen Weissen und der deutsch-germanischen Einwanderung. So wenig diese drei in Aeusserlicbkeiten mit einander iibereinstimmen und so feindlich sie einander in politischen Anschauungen , worin der siidliche Weisse speciell dem Yankee gegeniibersteht, oder in reli- giosen Auffassungen , worin zwischen dem Deutschen und dem Yankee eine tiefe Kluft bestebt, sein mogen, so sind doch nichts- destoweniger alle drei von vorwiegend germanischem Blute und ihre Grundauffassungen der socialen Verhaltnisse , ihre Ideen iiber ,,Recht, Frciheit und Sittlichkeit" befinden sich wesentlich im Einklange miteinander. Diese Uebereinstimmung in den Grund- ziigen des Charakters pragt sich nattirlich den von der Mehrheit bestimmten staatlich-socialen Ordnungen auf , die im Wesentlichen dem Instinkte der germanischen Race entsprechend erwuchsen. Aber grade desshalb passen sich diese Ordnungen dem verschie- denen Charakter und Instinkte der anderen beiden Gruppen, die zusammen wohl an 17 Millionen Menschen ziihlen mogen, nicht an und werdcn von ihnen als Last empfunden, wesshalb sie na- turgemass eine Modification derselben in ihrem Sinne erstreben. Diese Modification in gesetzlicher Form durchzufiihren , sind sie vorlaufig den 24 Millionen germanischer Abstammung gegeniiber ausser Stande; ihre oft vielleicht unbewusste, aber darum nicht minder heftige Opposition spricht sich jedoch in der mangelhaften Durchfiihrung oder ganzlichen Verkehrung der vom feindlichen germanischen Instinkte geschaffenen Ordnungen iiberall aus , wo sie zahlreich genug, um einen bestimmenden Einfluss auf die Ver- waltung zu iiben. Sie handhaben die Gesetze ungeschickt, lassen Verbrecher aller Art unter den nichtigsten Vorwanden straflos ausgehen, kurz die ganze Verwaitung wird unter ihren Handen eine wesen- und kraftlose Form. Unter diesen Umstanden er- klart es sich, warum iiberall, wo diese Bevolkeruneselemente am zahlreichsten vertreten, die Corruption am allergrossten ist. Der ungeheuere Einfluss der hier angefiihrten ethnischen Unterscheidungen auf die gesammten politisch - morajischen An- 319 schauungen zeigt sicli speciell in der Geschichte der beiden grossen Parteien. Wahrend friiher Demokraten und Whig's sich bloss ihren Interessen gemass, als Freihandler und Schutzzollner gegen- iiber standen, nahm nrit dem massenhaften Einstromen der euro- paischen Einwanderung in den Norden der Kampf einen anderen Charakter an. Die demokratische Partei des Siidens sah in dem sich sofort herausbildenden Gegensatz der Einwanderer zu den wesentlich den Whig's angehorenden Yankee's die willkominene Gelegenheit, letzteren einen tocltlichen Schlag zu versetzen. Selbst von der Einwanderung nicht beriihrt, nahm sie dieselbe dem An- tagonismus der Yankee's gegeniiber in Schutz, und fiihrte sie, unter der Flagge kosmopolitischer Liberalitat den Nationalhass ausbeutend , sammt und senders in das demokratische Lager. Der Widerstand der isolirten Yankee ward gebrochen, und die Whig- partei horte auf zu existiren. Aber sie gab damit nicht das Spiel auf. Unter der wahren Fahne ihrer Interessen geschlagen, steckte sie sofort die falsche Flagge der ,,allgemeinen Menschenliebe" auf, und appellirte an den ,,Gerechtigkeitssinn" der eingewanderten Schaaren zu Gunsten der allgemeinen Freiheit , also auch der Freiheit der Negersklaven. Und man kann kein eklatanteres Bei- spiel von dem iiberwaltigenden Einfliisse der ethnischen Ver- schiedenheit denken, als den Erfolg dieses Appells. Denn dieser war bei jedem ethnischen Elemente ein ganzlich anderer. An den siidlichen Weissen, die den Neger selbst kannten und denen kein Aufwand an Argumenten die Ueberzeugung beizubringen vermochte, dass der Neger ein dem Weissen gleicher Mensch sei, prallte dieser Appell wirkungslos ab, obwohl weitaus die grosste Masse keine Sklaven und an der Aufrechterhaltung der Sklaverei nicht das geringste personliche Interesse besass. Was sie den Grund- satzen der allgemeinen Freiheit und Gleichheit", die diese selben Leute fiir sich selbst aufs Aeusserste in Anspruch nahmen, ganz- lich unzuganglich machte, war lediglich die durch Beriihrung mit dem Neger erzeugte Racenabneigung. Ganz anders im Norden, wo das deutsch-germanische und das keltisch-katholische Element unter denselben Umstanden lebten, dieselben Interessen als freier Arbeiterstand hatten, und dieselbe Kenntniss des Negers besassen. Dort spaltete dieser Appell vielmehr die Masse des fremden Elementes, das solange ohne Ausnahme der demokratischen Partei angehort hatte , binneri Kur- zem auf Scharfste in zwei Theile. Die Trennung ging aber ganz genau auf der Scheidimgslinie zwischen dem deutsch-germanischen und dem keltisch-katholischen Elemente vor sich, indem Ersteres insgesammt dem Appell an sein Gerechtigkeitsgefiihl Folge leistete und sich der republikanischen Partei anschloss, wahrend Letzteres sammt und senders und mit wahrem Fanatismus ohne irgend- 320 welchen in ihren Interessen liegenden Grund der demokratischen Partei treu blieb. Der wahre Grund aber war die keltische Racen- abneigung nicht so sehr gegen den Neger, den diese Leute nur sehr oberflachlich kannten, als gegen den germanischen Geist. Xun existirt allerdings eine scheinbare Ausnahme von dieser Allgemeinheit. Weit da von entfernt, die hier auseinandergesetzte Auffassung umzustossen , bildet sie jedoch die eklatanteste Be- statigung derselben. Ein ITieil der deutschen Bevolkerung nam- licli blieb auf der demokratischen Seite. Welcher Theil? Kein Anderer als jener, den man mit einem gewissen Recbte in Hin- sich, seiner Abstammung den s Deutschkatholischen e jiennen konnte, und der mit der kelto-romanischen Race auch darin ubereinstimmt, dass er seinerzeit die Religion derGfirmanen, den Protestantismus, nicbt annahm, um dem roinischen Katholicismus treu zu bleiben. Dieser Theil der Deutschen setzte sich hinweg iiber das National- gefuhl, das ihn mit der zur republikanischen Partei iibergegangenen Masse verband, hinweg fiber seine Interessen als freier Arbeiter- stand und iiber die Grundsatze der Gerechtigkeit. So gruppirten sich denn die Parteien im Kampfe um die Herrschaft folgendermaassen : Die Yankee's des Nordens standen den Weissen des Siideus als eigentliche Partei im Interessenkampfe gegenuber. Jede dieser Parteien suchte sich durch ein Bundniss mit den ihrem hauptsachlichsten Gegner in seiner Heimath antagonist!- schen Elementen zu starken. Das den Weissen im Suden selbst feindlich gegenuberstehende Element \var das farbige. Um dies an seine Seite zu ziehen, nahm der Yankee die }1 Sklavenfrage" auf, d. h. er stellte den Farbigen als Preis der Bundesgenossenschaft die ,,Freiheit" in Aussicht. Der Siiden suchte dagegen die Freundschaft der dem ,,Yankee" feindlich gegenubersteheuden Fremden und koderte sie durch voll- standige Gleichstellung der Eingewanderten mit den Eingebornen. Aber die nur auf Aeusserlichkeiten der Sitte beruhende Antipathic zwischen den eingewanderten Germanen und den Yankee's, erwies sich bald zu schwach gegenuber der auf tiefere Racenverschiedenheit gegrundeten Feindschaft zwischen die- sen* und der keltisch-katholischen Einwanderung. Als demnach der Yankee, um rnehr Bundesgenossen zu ge- vrinnen, die Forderung der Gleichstellung der Eingewanderten (durch Aufgeben der Know-nothing Bewegung) annahm, trat der Zwiespalt zwischen den beiden er\vahnten Elementen sogleich oflfen zu Tage, und das deutsch-germanische schloss sich an den ihm naher blutsverwandten der Yankee's an. Die Strenge der ethnischen Linien in dieser Parteigruppirung 321 die absolute Eindruckslosigkeit allcr ..Beweisfuhrungen" auf die entgegengesetztenElemente zeigen auf das Schlagendste wie wenig in diesom Kampfe die innere "\Vahrheit der ,,heiligen Grundsatze" der ,,Freiheit und Gleichheit*' den Sieg erfocht. Und dass auch nach dem Kriege das keltisch-katholische Element desNordens, obwohl die demokratische Partei keine Existenzberechtigung mehr besass, dennoch mit der namlichen man kann sagcn Verbissenheit fortfuhr an dieser festzuhalten, ist ganz und gar unerklarlich ohne die instinktive Racenabneigung gegen die herrschenden Ger- manen. Diese sahen sich in Erwiderung dieser Antipathic und urn nicht die Herrschaft in die Hande der Feinde fallen zu lassen, gezwungen, die ebenso wesenlose uud sich mehr und mehr nur auf Ausbeutung des Volkes verlegende republikanische Partci- Organisation immer noch festzuhalten , wie es denn diirre That sache, dass die Wiederwahl Grants bios durch die Abneigung der republikanischen d. h. germanischen Bevolkerung des Nordens gegen die hinter dem Banner der Demokratie sich verbergenden keltischen Tendenzen zu Stande kam. Im Siiden dagegen stieg seit der Befreiung der Neger die Racenabneigung so sehr, dass kurze zehn Jahre geuugten, jeden dort ansassigen Weissen, gleichviel was seine friiheren Ansichten gewesen, die Schnappsackler ausgenommen, in das Lager der weissen Manner zu treiben, die offen und ohne Umschweife heut, 15 Jahre nach dem Triumphe der n Gleichheit aller Menschen" 10 Jahre nach der ganzlichen Eroberung des Siidens, das Banner der Unvertraglichkeit der beiden dort lebendenRacen erhebeii. Eine solche gewaltige Rolle spielen im Lebcn der Volker die kleinlichen nationalen und Racenvorurtheile, die bei besserer Bekanntschaft und Beriihrung nur bei ganz nahe verwandten Volkern, wie z. B. bei den verschiedenen germanischen Stammen dahinschwinden, bei alien anderen aber sich entwickeln, und zwar desto starker, je inniger die Beriihrung und je besser die Bekanntschaft. Wo immer nun solche verschiedene Bevolkerungsbestand- theile neben einander leben, von denen jeder seine eigenthiimlichen sittlichen Anschauungen und Gebriiuche hat, geschieht es zunachst dass die Einen die Anderen wegen der ihnen seltsam erscheinen- den, weil ungewohnten Aeusserlichkeiten bespotteln und verhohnen, Nichts aber erzeugt mehr, nicht nur Abneigung sondern grimmi- geren Hass als solche Yerhohnung oft ganz unwesentlicher Ge- wohnheiten. Der Yerhohnte, dessen Rechtsgefiihl in diesen ererb- ten Gebrauchen durchaus nichts Unrechtes erkennen kann, ja der namentlich in den unteren Yolksmassen auch diese unwesentlichen Aeusserlichkeiten fur nothwendige Zuthaten seiner ganzen sittlichen Ideen betrachtet, fiihlt sich durch deren Yerspottung nicht nur in seinem ganzeii Rechtsbewnsstsein gekrankt, sondern greift sogleich 41 322 zu der beliebten Erklarung, wonach der Spotter nothwendig ein schlechter Kerl" sein miisse, der iiberhaupt keine Achtung vor Recht und Sitte habe. So gibt er cleun nicht nur bei jeder Ge- legenheit den erhaltenen Spott und Holm zuriick, sondern fangt auch bald an, das ganze fremde Volkselement, welches seine Ge- brauche und Sitten missachtet, seinerscits vom Herzensgrunde zu verachten. Das geschieht binnen Kurzem sogar dort, wo die Sitten sich bios durch Aeusserlichkeiten unterscheiden. So verachtet der Yankee den Deutschen wegen seines Sauerkrautessens, wegen seines Biertrinkeus, wegen seines Tabakrauchens, wegen seiner Unbeholfen- heit in der fremden Sprache, wegen seiner auf einer angstlichen Gewissenhaftigkeit beruhenden Unferligkeit sich selbst zu helfen, wegen seiner Gewohnheit einander zu beschimpfen , anstatt sich zu schlagen, wegen seines Mangels anRespekts vor d em Sabbath und wegen hundert anderer Lappalien. Der Deutsche dagegen halt den Yankee bald fur einen Knecht seiner Weiber, weil er sich gewissen Arbeiten, die in Deutschland das weibliche Geschlecht besorgt, selbst unterzieht, ftir einen Pfaftenknecht , weil er den Sonntag auf puritanischeManier zu feiern gewohnt ist, hinwiederum weil er sich von seinen Pfaffen dennoch nicht verwehren lasst, im Geheimen der siindigen Fleischeslust und dem Vergniigen nach- zujagen, fur einen Heuchler, endlich weil er gewahr wird, dass eben (durch die Entwickelung der Corruption) bei dem Yankee der Begriff von Ehrlichkeit in vieler Beziehung sehr elastisch geworden, fiir einen abgefeimten durchtriebenen Betriiger. Stellt sich em solcher Missklang schon bei diesen naher vervvandten Volksstammen ein, um so mehr erst bei dem fremderen keltisch-romanischen Elemente. Das ganze Wesen des Irliinders ist namlich dem deutschen zuwider, und die Abneigung zwischen beiden eine griindlich tiefe, ohne jegliches Zeichen von Abschwachimg. Diesclbe Abneigung existirt bei dem Eingebornen und der Iiiander gibt sie reichlich zuriick. ZurgegenseitigcnVerachtung und demHass gesellt sich bald in zweiter Folge, bei den weniger ziihen Charakteren anfangend, ein allmahliges Wanken der bisher fiir unanfechtbar gehaltenen Rechts- begriffe. Der Mann, der die ihm mit seinem Rechtsanschauungen uberkommenen Gebrauche und Sitten fiir gerade so heilig und selbstverstandlich halt w r ie diese selbst, der sich desshalb nie nach einer wahren Begriindung weder der Einen noch der An- deren umgesehen, weil dieselbe ja ganz iiberfliissig, ja weil schon ein blosser Zweifel abscheulich ware, verliert das feste Vertrauen in die Wahrheit seiner Rechtsgebrauche und Anschauungen wenn er taglich sieht, dass sie ihm nicht nur Hohn, Spott, Verachtung und Hass eintragen, sondern auch dass and ere Menschen in seiner Umgebung leben und gedeihen, ohne seine Gebrauche nur im 323 Geringsten zu beobachtcn. Die Ueberzeugung von der Nothwen- digkeit rechtlicher Anschauungen im Menschenleben wird dadurch erschtittert und nach und nach ganzlich zertrummert. Damit 1st bald jede Richtschnur dcs Handelns verloren und es bleibt nur der einzige Maassstab der augenblicklichen, zum Erfolge fiihren- den Zweckmassigkeit: Was gcmacht werden kann, wird gemacht. Diese Folge tritt erst bei den nachsten Generationen in ihrer vollen Ausdehnung zu Tage 5 und z\var dort am meisten wo wie in den grossen Stadten die gegenseitige Beriihrung und Durch- dringung der verschiedenen Elemente am innigsten, und wo es einem am wenigsten gelingt, eine unbedingte Oberhoheit zu er- ringen. Die Kinder der verschiedenen Yolkselemente lernen liier im Umgang mit einander die Gebrauche und Sitten ihrer Eltern und diesc selbst verachten , w ah rend sie wiederum von ihren Eltern eine Yerachtung der Gebrauche und Sitten aller anderen Volkselemente in sich aufnehmen. Das unvcrmeidliche Resultat ist das Aufwachsen einer Jugend wie man sie heutigen Tages in den Vereinigten Staaten Young America nennt, die alle Rechts- anschauungen und sittlichen Gefiihle in einen Topf werfend, sie als gleich w r erthlose, abgestandene Yorurtheile ansieht, und sich nur von der einen Richtschnur ihres auf ihre boschrankte persb'nliche Erfahrung begriindeten Ermessens leiten lasst, dieses anStelle derRechtsanschauungen der einzelnen Urelemente setzend. Dieser Process entspringt dem hochst naturlichen und ver- niinftigen Schlusse, dass wenn von Sittensystemen , deren Yer- schiedenheit ihre Nebeneinanderstellung offeribart, jedes beansprucht das unfehlbar wahre zu sein, Grund vorhanden ist an aller Rich- tigkeit zu zweifeln. Die Weiterentwickelung dieses Processes befordert die Erfahrung, dass eben keinEinziges der betreftenden Sittensysteme den veranderten Umstanden entspricht. Kurz: Jedes der alten iiberbrachten Sittensysteme wird in den neuen Yerh altniss en als unzulanglich erkannt, da es eben das Resultat der ganz b e- stimmten, sich innerh alb ge wis ser Grenzen bewegen- den E rfah rungen des betreffenden Volkes ist; man wirft es desshalb bei Seite, und die neuen Erfahr- ungen des Mischvolkes werden als Richtschnur der Handlungen angenommen. Diese neue Richtschnur kann sich aber erst nach langerer Zeit, wenn eben die neuen Erfahrung en bestimmte Resultate ergeben haben, zu einem neuen wahren Sittensystem ausbil- den. Bis dahin bleiben die sittlichen Ueberzeugun- gen mehr oder minder der personlichen Auslegung unterworfen, also schw r ankend. So lange aber Letz- 324 tercs der Fall, so lange E echts an schauungen un d sittliche Bcgriffe nicht in festen, dem ganzen Volke eigenthiim lichen Ueberzeugungen \vurzeln, besteht die Erscheinung, die wir Corruption nennen. Diese Betrachtunglehrt zugleich das Irrthumliche, die mangel- hafte Erziehung der Kinder als die Ursache der wachsenden Sittenlosigkeit zu betrachten; man sieht eben wie so oft ein Symptom der Krankheit fur die Ursache an. Thatsachlich lerneii die Kinder gerade in den (gemischten) Schulen die Vcrachtung der Sitten und Anschauungen ihrer Eltern, und dies ist die natiir- liche Ursache des Mangels an Gehorsam, der der elterlichen Zucht sich trotzig und erfolgreich entgegenstellt. In dieser Unwirksam- keit der hauslichen Zucht, in dem ganzlichen Unvermb'gen der Eltern den Kindern ihre eigenen Rechtsanschauungen einzuflossen, liegt eben wieder die Ursache des Erschlaffens der Eltern sogar in dem Versuche ihre Kinder sittlich zu erziehen. Sie sehen sich eben gern oder ungern gezwungen, die sittliche Entwickelung ihrer Kinder ihren eigenen Gang nehmen zu lassen. Unsere Auffassung des Wesens der Corruption zu vervoll- standigen, mussen wir sogleich bemerken, dass dasAufbauen eines neuen Sittensystems durchaus nicht mit derselben Leichtigkeit und Schnelle vor sich geht wie die Zerstorung. Eine Basis fiir denWie- deraufbau scheint vielmehr erst dann gefunden zu werden, wenn die verschiedenen Volkselemente ihre verschiedenen Charakteran- lagen, Eigenschaften u. s. w. wirklich in cinem gleichmassigen Mischungsprodukte, wie es nur durch eine griindliche geschlecht- liche Verschmelzung entstehen kann, ausgeglichen haben. Eine solche geschlechtliche Yermischung und Verschmelzung geht aber in Folge der socialen Abneigung der verschiedenen Volkselemente gegen einander mit unabsehbarer Langsamkeit vor sich. Sobald sich daher in einer hinreichenden Mehrheit eines Mischvolkes eine neue Ueberzeugung von Recht und Unrecht festzusetzen anfangt, bestrebt diese Mehrheit sich sogleich von der noch wiederwilligen Minderheit die Anerkennung ihrer sittlichen Ideen zu erkampfen, und durch Erzwingung einer ausseren Achtuug d. h. durch Auf- hebung der offentlichen Glaubens- und Denkfreiheit jeden Zweifel oder doch wenigstens jede Aeusserung eines Zweifels an der Wahrheit der neuen Axiome gewaltsam zu untordriickcn. Dies ist allcrdings nur durch Aufhebung freiheitlicher Staatsformen zu erreichen. Desshalb sehen wir uberall in der Geschichte die Perio- den der Corruption zur Zwangsherrschaft fiihren, wodurch ein Bevolkerungstheil des Gesammtreiches seine moralischen Anschau- ungen gegen die zersetzenden und corrumpirenden Zweifel seitens der anderen Elemente zu schiitzen sucht. 325 Gewiss 1st es kein blosser Zufall, dass die Geschichte kein Beispiel langeren Bestandes eines grossen oder auch nur mittel- grossen Reiches aufzuweisen vermag, -welches verschiedene ethni- sche Elemente unter den Formen der Freiheit verband. Im Gegentheil gingen alle Republiken und Demokratien jedesmal dann zu Grunde, wenn sie ethnisch verschiedene Elemente in sich auf- gonommen hatten. Alle Reiche dagegen, die unter solchen Um- standen Bestand hatten, waren entweder Despotien, oder und diese Letzteren erhielten sich am langsten Kastenorganisationen, in denen die verschiedenen Bevb'lkerungsclassen auf das scharfste und strengste von einander getrennt waren und eine derselben eine despotische Herrschaft ausiibte. Die einzige sich eines langeren Bestandes erfreuende, gegen- wartig bestehende Republik, die Schweiz, ist kein Beispiel des Gegentheils. Denn erstens sind dort die verschiedenen ethnischen Elemente nicht in einander hineingeschoben , sondern leben neben einander in verschiedenen Lokalitaten, die in bedeutendem Maasse ihre eigene Selbststandigkeit bis auf die neuere Zeit bewahrten ; zweitens, ist das ethnische Element der Deutsch-Schweizer in ganz entschiedenem Uebergewichte , und stehen sogar die franzo- sischen Schweizer in nicht allzu entfernten ethnischen Verwand- schaftsverhaltnissen zu ihnen; drittens, ist die gleiche Theilnahme und Einwirkung der fruheren walschen Unterthanenlande auf die Regierung noch nicht vor allzu langer Zeit eingetreten und mochte ihre vollen Friichte wohl noch nicht entfaltet haben, und endlich hangt der Bestand der Schweizer Republik iiberhaupt nicht von der Beschaffeiiheit ihrer Regierung oder dem Charakter des Schweizervolkes, sondern lediglich von den politischen Machtver- haltnissen der angrenzenden grossen Vb'lker ab. Uebrigens hat sogar die Sch\veiz schon einen Burgerkrieg gehabt, und in dem jetzt schwebenden Kampfe gegen den unfehlbaren Katholicismus hat sie sich zu denselben Gewaltmaassregeln genothigt gesehen, wie andere monarchische Staaten. Die wenigen Lander aber, wo die Bevolkerung sich anna- hernd unvermischt erhalten, (z. B. die skandinavisch-germanischen Lander in Europa, das chinesische Reich), zeigen sogar in den Uebergangsperioden, in denen durch Einfiihrung von Erfindungen die inneren Machtverhaltnisse und in Folge dessen der sociale Aufbau ihrer Staaten sich wesentlich veranderten , nie eine der- artig die Wurzel des Rechtsgefuhls zerfressende Corruption, wie sie beinahe ein jedes Land, das der Schauplatz einer grb'sseren Mischung verschiedener Bevolkerungselemente geworden, aufzu- wcisen hat, und zwar jedesmal in der Periode, die dem Zeit- punkte der ethnischen Mischung riachfolgte. Damit glauben wir die Berechtigung der Annahme, dass die 326 ,,Vermischung der verschiedenen Yolkselcmente" die hauptsach- lichste Ursache der Corruption sei, hinlanglich plausibel gemacht zu haben. Indess sei noch ein anderes Beispiel der Verschieden- heit, worin sicli unter sonst ganz gleichen Umstanden der Racen- charakter ausdrlickt, angefuhrt, um daran die "Wichtigkeit dieses, bisher beinahe ganzlich ausser Acht gelassenen Einflusses auf das Volkerleben zu erharten. Dies zeigt sich namlich in der Art und Weise, wie die beiden Hauptelemente der Einwanderung sich ganz nach freier \Vahl, ohne jedwede Spur fremder Einwirkung in der neuen Heimath zurecht zu finden suchen. Die grosse Masse beider Elemente, sowohl des keltisch-katholisehen als auch des deutsch- germanischen, gehort der Arbeiter- und Handwerkerklasse an ; wenn aber irgend ein Unterschied zwischen beiden besteht % so ist es der, dass die Menge der in ihrer Heimath ausschliesslich mit landlicher Arbeit Beschaftigten unter der keltisch-katholisehen Gruppe unzweifelhaft grosser ist, als unter der deutsch-germam- schen Einwanderung. Da nun die Gelegenheit zur Ansiedelung besonders fur diese Klasse in den vergangenen Jahren so iiberaus giinstig gewesen , so ware man, die ,,Gleichhcit der Menschen" vorausgesetzt, doch wohl berechtigt, zu erwarten, class die Mehr- heit der sich als Bauern ansiedelnden Einwanderer aus der ohnc- hin zahlreicheren keltisch-katholisehen Gruppe hervorgehen wlirde. Die Thatsachen zeigen aber das gerade Gegentheil! Die irischen Landarbeiter bleiben beinahe sammt und senders als Tagelohner in den Stadten und gehen nur dann auf's Land, wenn sie schaarenweise als Arbeiter an den Eisenbahnbauten, in Kohlenberg- wcrksdistrikten oder sonstigcn landlich gelegenen Fabrikdistrikten Beschaftigung finden. Dagegen wenden sich die landlichen Arbeiter der deutsch-germanischen Gruppe beinahe ohne Ausnahme der Landwirthschaft zu, und ihre Anzahl wird noch vergrossert durch einen nicht unbedeutenden Bruchtheil derjenigen, die zu Hause an stadtische oder gewerbliche Beschaftigung gewohnt, hier dennoch vorziehen, die giinstige Gelegenheit eigenen Grund urid Boden zu erwerben, zu benutzen. So ausgepragt ist der Charakterunterschied , dass die Anzahl der Landbebauer germa- nischer Gruppe mindestens drei- bis viermal so gross ist, als die der irischen Einwanderung, Der verschiedene Racencharakter zeigt sich sogar bei den in den Stadten verbliebenen Theilen beider Gruppen. In alien neueren Stadten, wo Grundeigenthum uberhaupt noch zu erwerben war, ist es Thatsache, dass die Mehrzahl der seit langerer Zeit eingewanderten Deutschen ihr eigenes Haus und Grundeigenthum besitzen, wahrend nur ein kleiner Bruchtheil der Irlander sich diesen Besitz verschafft hat ; ihre weitaus grosste Masse hingegen wohnte seit jeher entweder zur Miethe, oder sie liess sich in den 327 neuercn Stadten des Westens auf hochst summarische Weise auf irgend einem leer stehenden Terrain in Schaaren nieder und legte dort einen sogenannten irish patch , d. h eine Kolonie von ich mochte sagen Zigeunerhutten an, und behauptete dieselbe so lange, bis es dem Eigeuthumer, oft erst nach Jahren endlich gelang, die unerbetene Einquartirung zu entfernen. Diese Charakterverschiedenheit der keltischen und germa- nisclien Race hat zur Folge, dass die eigentliche Landbevb'lkerung beinahe des ganzen Westens ebenso \vie die der schon langer in Besitz genommenen Theile des Landes beinahe ausschliesslich den germanischen Elementen angehort, wahrend die Iren wesentlich in den Stadten und Fabrikdistrikten heimisch sind. Diese ethni- sche Scheidung wird zweifelsohne in der Zukunft einen tief- greifenden Einfluss ausiiben. Gegenwartig schon aussert er sich darin, dass im Grossen und Ganzen die Gemeindeverwaltungen der streng ackerbauenden Landgemeinden beinahe die einzigen Behb'rden sind, die sich als Klasse von dem um sich greifenden Gifte der Corruption noch am wenigsten angesteckt zeigen. Diese Bevolkerung ist zugleich Ehre, dem Ehre gebuhrt diejenige, die noch den Miissigganger, sogar wenn er in eleganter Kleidung als Speculant herumlauft, weniger achtet, als den Arbeiter. . Und ich spreche meine Meinung ohne Umschweife dahin aus, dass in ihr allein jene Macht zu finden ist, auf welcher die Hoffnung beruht, die fernere Entwickelung der Dinge zum Besten zu gestalten. Die hier entwickelte Grundursache der Corruption wird noch gesteigert durch die mit der Einwanderung in's Land kommenden Verbrecher. Nicht nur haben seit Jahren verschiedene europaische Re- gierungen, namentlich die der kleineren siiddeutschen Staaten, auch die der Schweiz, in kolonialen Zeiton sogar auch England die Ge\vo 1 inheit gepflogen, der Ueberfiille ihrer Zuchthauser und Straf- anstalten durch ,,Begnadigung zur Auswanderung nach Amerika" abzuhelfen; nicht nur haben viele Gemeinden die Sitte ange- nommen , die ihnen zur Last liegenden Armen sich mittelst Be- zahlung der Ueberfahrt nacli dem gelobten Lande der Freiheit vom Halse zu schaffen; nicht nur hat sich der Gebrauch in Familien und Verwandschaftssippen eingebiirgert, ihre Thunichtgute auf Nimmerwiedersehen nach der grossen Republik jenseits des Meeres, die auf Charakterzeugnisse aus der Vergangenheit keinen Werth legt , lustwandeln zu lassen , sondern auch unter den mit dem Gesetze in Zwietracht Gerathenen selbst wurde die Ostkiiste des atlantischen Oceans als das Land der Verheissung angesehen, das Jeden, der es erreichte, besonders wenn er ein rundes Siimmchen mitbrachte, um dem Richter eventuell die Ueberzeugung 328 beibringen zu konnen, dass er ein schma'hlicherweise als Spitzbube verleumdeter politischer Verbrecber sei, der aus blossem Freiheits- drang und Tyrannenliass seine Hande in eine zufiillig offen vor- gefundene Kasse gesteckt hatte, sichere Erlosung und sogar ein weites Feld fiir Entfaltung seines speculativen Genies bot. So konnte es nicht fehlen, dass der Staat, in dem ,,Alle gleich," durch eine grosse Anzahl von Biirgern sich bereicherte, die nach den in Europa herrschenden Vorurtheilen nie mehr als einern ,,ehrlichen Menschen gleich" angesehen worden waren. Solche Menschen, die den Ballast bestimmter sittlicher Grundsatze schon im alten Vaterlande abgeworfen, waren natiirlich besonders geeignet, in dem sich entwickelnden Processe der Corruption gewissermaassen das Banner dieses Fortschrittes vor- anzutragen. Und eine beschleunigende Einwirkung auf deren Fortgang geiibt zu haben, ist wohl das Mindcste, was ihnen zu- geschrieben werden muss. Diese Beschleunigung eines ohnehin sich entwickelnden Processes an und fiir sich ware als Vortheil aufzufassen, aber eine wichtige Frage ist, ob nicht damit ein schlechteres ethnisches Element, als das Volk, das es ausstiess, in's Land kam, und die nur durch allmahlige Verschmelzung auszugleichenden Verschiedenheiten in der Bevolkerung verstarkt wurden ? Ich ware geneigt, diese Frage zu bej alien, denn in England hat sich den mit der Ver- brecherklasse in Beriihrung kommenden Beobachtern die Ueber- zeugung aufgedrangt, dass diese in ihrer Mehrheit sowohl physisch als geistig einen besonderen, niedriger stehenden Typus zeige ale die durchschnittliche Bevolkerung. In Amerika selbst besta- tigt sich diese Wahrnehmung eklatant dadurch, dass die am meisten abweichenden kelto-katholischen und farbigen Elemente, obwohl sie eine unbedingte Minderheit bilden, dennoch weitaus die iiberwiegende Mehrheit der Verbrecher liefern. Wir sind demnach zu der Annahme geneigt , dass im Ganzen das systematische Einstromen der Verbrecherklasse Europas als ein Faktor der weiteren ethnischen Verschlechterung und eine fortwirkende Ursache der Verlangerung und Verschlim- merung des Corruptionspro cesses anzusehen ist. 329 Der miihelosc Yernitig-eus-Enverl) und seiiie Wirkiiusreu. Den miihelosen, bloss vom Gliick bcgiinstigton Ervverb des Vermogcns betrachten wir als cine andcre , jedoch geringerc Ursache der Corruption. Demi wir mochten bcinahe bezvveifeln, ob in wirklich ethnisch-reinen Nationea cia uiiverhaltnissniassig zur geleisteten Arbeit anwachsender Reichthum iiberhaupt Corruption hervorzubringen vermag. Die corrumpirende Wirktmg dieser Ursaclie tritt namlich erst dann zu Tage, wenn cine solche Vcr- mchrung des National vermogcns auf die Einzelnen niclit nach fcstgestellten Xorinen des Erwerbes sicli vertheilt, sondern diese Vertheilung lediglich den Launen des Zufalls anheimgestellt ist. Gesetze, urn auf die Vertheilung der natiirlichen Reichthumer der- gestalt einzuwirkei^, dass der ervvorbene Antheil dcs Einzelnen in annaherndem Verhiiltnisse zur aufgewandten Miihe stehe, exi- stiren in den Vereinigten Staaten niclit. Die Idee der Freihcit und Gerechtigkeit kront es vollkommen, dass, wessen Spitzbacke zufcilligerweise auf ein Teiches Gold- oder Silberlager niederfiillt, vom Staate als der rechtliche Eigenthiimer anerkannt und beschiitzt, als Millionar einherstolzirt, wahrend tausend andere minder Gliickliche als pfenniglose Lumpe von dannen gehcn. Oder die wahre Gleicliheit triumphirt darin, dass der Eine auf seinem Boden, aus dem er miihsam Dickicht und Wald ausgerodet, eben niclit mehr eriibrigt, als \vas er mit barter Arbeit gevvinnt, wahrend der Andere, der oft noch keinen Spatenstich gethan, eines Morgens in seiner Nachbarschaft einen Haufen Leute erscheinen oieht, die in. kurzer Zeit sicli vermehren, Hiitten baucn und ihm, ehe er den ganzen Vorgang recht zu begreifen fiihig, das Land, das er zu 1.25 Dollar per Acker gekauft, zu v eben soviel oder mehr per Quadrat fuss abnehmen, um darauf grosse Waarenmagazine, Geschaftshauser und Palaste zu erbauen. So verdient man die Millionen ! Oder vielmehr, o steigert die Besiedlung dcs Landes durch eine rasch anwachsehde Bevolkcrung den Werth der naturlichen Reichthiimer, und der Gesellschaft bcliebt es, den erzeugten Mehrwerth in die Taschen einzelner Gliicksfinken zu stecken. Es lasst sicli ohne die geringste Uebertreibung behaupten, dass weitaus die Mehrzahl aller in den Vereinigten Staaten zur Zeit in Privathanden benndlichen grosseren Vermogen ihrem Kerne nach auf diese Weise ihren Eigenthiimern in die Taschen hinein- gewachsen sind. 42 830 Da nun die meisten Staaten, insbesondere aber die Republik jenseits des Meeres diese Zufallsgewinnchancen noch immcr zu vergrossern suchen, so bestreben sich natiirlich immer mehr und mehr Leute, einen derartigen Gliicksgewinn zu erhaschen, der allein sie fiir immer von der Biirde der Arbeit befreit. Und man glaube ja nicht, es seicn die zufallig regierenden Personen, die eine solche Entwickelung der Dinge bewirken. Im Gegentheil, diese werden geschoben von der mit Gewalt sicli auf das Lotteriespiel der Speculation sturzeiiden Menge, welche mit Ungestiim verlangt, einen immer grosseren Theil des Nationalerwerbes in Gestalt grosser, in die Augen fallender Pramien (durch Ausdelinung des Monopolwesens) diesem Zufallsspiele preisgegeben zu selien. Die Anzahl der auf den gliicklichen Zufall einer von selbst kommenden, nicht durcli Arbeit erzeugten Preissteigerung ihres Eigenthums Speculirenden ist nun in den Vereinigten Staaten geradezu in's Ungeheure gestiegen. Friiher, als durch die fort- wahrende rasche Zunahme der Bevolkerung und ihre gewaltige, nur durch die Einwanderung ermb'glichte Ausbreitung die Werthe, namentlich des liegenden Eigenthums emporschnellten, \varen die Gewinnantheile der speculativen Lotterie natiirlich entsprcchend bedeutend, und alie gliicklichen Speculanten richteten beinahe ohne Ausnahme ihre Lebensweise so ein, als ob der Gewinn- ertrag der zufallig ,,fetten" Jahre nicht nur ein festgesichertes Einkommen ware, sondern als ob diese Gewinnstantheile sich mit den Jahren naturnothwendig in eben dem Verhaltnisse steigern mussten, als sie, die Gliicksfinkcn, immer , 5 smarter u werden und immer tiefev in die wahren Geheimnisse der speculativen Wissen- schaft eindringen mussten. Demi dass sie den Gewinn einzig und allein ihrer ubeiiegencn Weisheit, nicht dem blinden Zufalle verdanken, gilt alien diesen Leuten von jeher als ,,selbstver- standlich." So lebte nun der gliickliche Speculant (und jeder Geschafts- mann Ausnahmen giebt es beinahe gar keine : ist in den Vereinigten Staateii Speculant geworden) auf grossem Fusse. Da begab es sich eines schonen Tages, dass das rollende Gliicks- rad seine Fiille nicht mehr so verschwenderisch auf sein smartes Haupt ausschiittete ; im Gegentheil, er, das sich selbst bewundernde Genie, erlitt Verluste, die eine herbe Liicke in seine Einnahinen rissen. Doch gait ihm als ausgemacht, dass diese Verluste ihn nur ganz ausnahmsweise trafen, dass er die widrige Laune des Geschickes binnen Kurzem glucklich uberwinden wiirde und die Dinge wieder im alten Geleise gehen mussten. Also w r ar es durchaus nicht nothig, an Einschrankungen und Ersparnisse zu denken, zumal die guten Nachbarn und Geschaftsfreunde am Ende gar glauben mochten, er sasse in solcher Klemme, dass er noth- 331 wendig sparcn miisste. Und dies ist eine wesentliche Conside- ration. Denn da es nahezu unmoglich ist, sich eine sichere Idee iiber den Vermogensstand eines speculirenden Geschafts- mannes zu bilden, ist Jeder, der geschaftlich mit ihm verkehrt, beinahe gezwtingen den zu gewahrenden Credit nach den ausseren Anzeichen des Wohlstandes zu bemessen; der Aufwand an der Person oder in den Mitgliedern der Familie und im Haushalte ist aber eben das am Meisten in die Augen fallende Anzeichen eines vermeintlichen Wohlstandes. Desshalb verringerte er nicht nur nicht seinen Aufwand, sondern erhb'hte ihn eher, um zu zeigen, dass er es haben kann [can afford it) und dadurch seinen Credit zu erhalten und zu befestigen. Wendet sich das Gluck nun nicht sofort und geht es welter mit unserem Geschafts- manne bergab, so sieht er sich eines Tages ohne Heller oder gar tief verschuldet, sitzt aber noch in einem schonen Hause, lebt flott, lasst seine Lady oder Ladies in Spitzen, Sammt und Seide spazieren fahren und erfreut sich bei den Meisten noch eines seinem Aufwande entsprechenden Credites, Was nun be- ginnen ? Die Hande in den Schooss legen und abwarten, bis er binnen Kurzem gezwungen ist, das Bankerottverfahren einzuleiten, das ihn, den an Comfort," ja an Luxus Gewohnten, die Lady, seine Frau und seine feinerzogenen Tochter, die belles der Gesellschaft, hilflos auf die Strasse werfen wiirde? Hat er diese Erfahrung nicht schon durchgemacht , so iiberlegt er sich's noch einmal, gedenkt wohl auch der strengen moralischen Begriffe seiner Eltern in dem reinlichen alten Puritanerdorfe Neu-Englands, die noch an die Achtbarkeit der Arbeit glaubten ! - - Der Arbeit ? Soil er vielleicht hingehen und an der Seite des plumpen Deut- schen oder gar des rohen Irlanders ein Paar Thaler verdienen? Was wiirde seine Gesellschaft dazu sagen ? Und gar seine Frau und Kinder? Und sogar, wenn er es thate, ware er denn damit im Stande seiner Familie ein ,,menschenwiirdiges" Dasein zu be- reiten? Gewiss nicht! Also, kurz gefasst, er lasst den ehrlichen Vorsatz fallen, wenigstens so lange, bis er probirt hat, ob er nicht ,,besser thun" kann ! Er nimmt eine kuhne Miene an, entlehnt von Jedermann soviel er eben kriegen kann, verwandelt in Baar, was sich eben verwandeln lasst, rafft sammtliche Baar- bestande zusammen und verschreibt sie seiner Frau! Mitunter auch nicht! Dann steckt er sie einfach in die Tasche und ver- reist. In beiden Fallen aber lasst er seinen Glaubigern das Nach- sehen. Oder, ist er ein ganz besonders tiichtiger Geschaftsmann und ein Kerl von Rednertalent und Mutterwitz, so ladet er sammtliche Glaubiger zu einer Privatconferenz ein, erb'ffnet ihnen, dass er so und so stehe, legt ihnen seine Bucher vor und bietet ihnen im Wege giitlichen Vergleiches z. B. zehn Procent ihrer 332 Forderungcn an, wofiir cr natiirlich vcrlangt, niclit nur dass sic liber die ganze Affaire Stillschweigen beobachten, sondern auch fortfahren ihm den friiheren Credit zu gewahren oder cloch ihn mittelst bester Empfehlungen bei befreundeten Hausern einfiihren. Letzteres wird natiirlich gern angenommen, und so ist die Ge- schichte beigelegt (settled.^) Diesem Entwickelungsprocesse cntsprechend ist allgemach das Bankerottiren zu eincm und sicherlich nicht zu dem wcnigst ein- traglichen Geschafte geworden, was aber freilich zur Folge gehabt hat das ganze Creditsystem auf ein Minimum einzuschranken. In einem Lande aber wo hisher mindestens !l / 10 allcr Um- satze auf den Mittcln des Credites beruhten, ist ein Schwinden des Yertrauens, ein Aufhoren des Credits gleichbedeutend mit einer beinahe ganzlichen Stockung der meisten Geschafte, wie sic eben jetzt in den Vereinigten Staaten vorherrscht. Der Specula- tion selbst wird aber damit der Lebensnerv unterbunden, was an und fur sich nur wohlthatig ware, wenn nicht von den ruinirten Speculanten bloss ein verschwindend kleinerBruchtheil zur ehrlichen Arbeit zuruckkehrte, Weitaus die grosste Menge trachtet aber sich sonstwie durchzuschlagen. Der bisherigen Speculation, die man immerhin noch ehrlich nennen mochte, folgt nun die syste- matisch auf Betrug in aller und jeder Gestalt angelegte Specu- lation. Jf you cannot make, money honestly, moke it anyhow! findet jetzt unbeschrankte Anwendung. Wie weit' dieser Process sogar in solchen Geschafte eingerissen, von denen man erwarten sollte, dass sie noch auf dem reellen Bo den der Arbeit fussen mussten, moge das Beispiel der Praxis darthun, die in den letzten Jahren zu Chicago in meinem eigenen Geschaftszweige, der Bau- unternehmung, die ehrliche Concurrenz beinahe ganzlich aus dem Felde geschlagen hat. Als der Draht am 10. Oktober 1871 die Nachricht von dem Riesenbrande Chicago's in alien Theilen der Union mit Blitzesschnelle verbreitete, gab dieselbe allerwarts ciner Zahl von Leuten jeglichen Zweiges des Baugeschaftcs gercchten Grund zum Nachdenken. Denn Jeder hatte bemerkt, dass es schon seit mehreren Jahren nicht mehr so gchen wollte wie friiher. Naturlich schrieb Jeder im festen Vertrauen auf die unerschopflichen Hulfs- quellen der grossen Republik, diese Verschlechterung nur den ausnahmsweisen Verhaltnissen seiner Wohngegend zu, und er kam baldigst zu dem Entschlusse cine Verbesserung seiner Lage in Chicago zu versuchen, dessen Auf ban in viel soliderer Art und \Veise in Folge seiner gunstigen \ 7 'erkehrsverhaltnisse nothwendig geworden. So setzte sich denn ohne Verzug von alien Ecken und Enden des Landcs ein Strom von Leuten in Bewegung, wo- von jeder Einzelne beim Wiederaufbau der niedergebrannten Gross- 333 stadt am Michigan See sein Heil zu finden hoffte. Bei ihrer An- kunft im Spatherbste 1871 oder im Friihjahre 1872 gelang es ihnen wohl auch sammt und senders die gewtinschte Beschaftigung zu erhalten. Denn obwohl die Mehrheit der Versicherungsgesell- schaften, anstatt die Versicherungssumen zur Deckimg der erlitte- nen Verluste auszuzahlen, es fiir eine bei weitem bessere Specu- lation hiolt den Bankerott anzumelden, gab es doch immer noch etliche Ausnahmen von diescr Regel. Und die von diesen be- zahlten Sumrnen im Verein mit jenen, welehe die ausgedehnte Hypothezirung der Grundstlicke auf brachte, geniigten um vorlaufig einc ganz enormeBauthatigkeit zu gestatten. Ganze Heere von Arbeitern und Bauhandwerkern waren liber die meilenweite Ausdehnung der Brandstatte beschaftigt, Ruinen niederzureissen, Fundamente zu legen und schwere Gebaude zu errichten, die mit Schnelligkeit in imponirender Grosse und Pracht erwuchsen. Kein Wun- der also, dass die neuen Ankb'mmliDge bald als Bauunternehmer einen Platz eroberten. Mussten sie auch im ,,Anfange" zu billi- geren Preisen und um sehr geringen oder gar keinen Profit arbeiten, was that das? Einmal eingefiihrt, mussten sie ja Gele- genheit finden das Versaumte nachzuholen und ihr Schafchen in nicht allzu ferner Zeit ins Trockene zu bringen. Mochte es auch dem niichternen Beobachter schon damals nicht recht klar sein, \vo alle die grossen Bankgeschafte und Handlungshauser herkom- men sollten, far welche man die Gewolbe und Waarenlager in Unzahl erbaute, die Meisten sahen darin nur die Beweise der ungeheuersten Thatkraft und bezweifelte nicht im Geringsten, dass bei solchem Unternehmungsgeiste die Stadt fortfahren musste, im namlichen Tempo bis an de% blauen Himmel oder an's aschgraue Ende der Welt zu wachsen. So verging der Sommer unter fortwahrendem Zuflusse von Arbeitern und Handwerkern, die von Canada, ja sogar von Europa zu Tausenden nach Chicago kamen. Die Stadt glich einem riesi- gen Bienenstocke, als der Herbst eintrat und die Handwerker den Druck der Concurrenz zu fiihlen begannen. Dieselbe zu beseitigen, setzten sie Anfangs October eine grosse Arbeitseinstellung in Scene, mit dem ausgesprochenem Zwecke, die Arbeitszeit von 10 auf 8 Stunden, den Tagelohn im gleichen Verhaltnisse von 5 zu 4 herabzusetzen, dadurch den sich allmahlig ansammelnden Beschaf- tigungslosen Beschaftigung zu verschaffen , uud der drohenden Concurrenz die Spitze abzubrechen. Aber, dass die Bauthatigkeit eines Jahres den wirldichen Schaden der Feuersbrunst an Ge- bauden hinreichend ersetzt hatte, zeigte sich an der Erfolglosigkeit dor Arbeitseinstellung, welche im Gegentheil die Bauthatigkeit beinahe 2um Stillstand brachte. Dazu brach im November eine Pferde- krankheit aus, die sammtliche Pferde binnen wenigen Tagen 334 arbcitsunfahig machte, und, wie sie vom Osten gekommen, ihren Erobcrungszug ohne Aufenthalt bis an die Gcstade des Stillen Oceans fortsetzte. Nach dem im Hcrbste 1872 eingetretenen imd durch den sehr kalten Winter 1872 1873 verlangerten Stillstand in der Bauthatigkeit ward im Friihjahre 1873 die Bauthatigkeit nur in sehr verdngerten Maassstabe wieder aufgenommen. Jetzt aber trat unter der Anzahl von Bauunternehmern und Bauhandwerkern eine Concurrenz ein , von deren Heftigkeit es schwer ist, sich einen Begriff zu machen. Bei Letzteren ergab sich zunachst eine bedeutende Herabsctzung der Lohne. Bei Ersteren aber brachte es der erbitterte Kampf um die Existenz mit sicb, dass die Preise nicbt nur bis zum Kostenpunkte der Herstellung herabsanken, sondern um diescn Kostenpunkt moglichst zu verringern, man zu den nicht mehr ungewohnlichen Mittel griff, mogliclist billige d. h. schlechte Materi alien imd moglichst billige d. h. Schleuderarbeit anzuwenden, wobei die Concurrenz der guten Arbeit vom Markte bei- nahe ganzlich verdrangt ward. Desshalb zogen sich alle Ge- schaftsfirmen, die sich nicht zu einem derartigen Vorgange ver- stehen wollten, im Laufe des Jahres 1873 beinahe sammt und Bonders zuriick. Aber selbst die Unternehmer von Schleuderarbeit wurden vom Drucke der Concurrenz immer noch weiter getrieben. Denn Jene, die vor Betrug nicht zuriickscheuten und den betriigerischen Ge- winn mit in Rechnung brachten, stellten naturlich ihre Preise noch billiger und zwangen alle Concurrenten, wohl oder libel, dieselbe Balm zu betreten. So war es sehr. bald dahin gekom- men, dass einen Contract zu den stipfllirten Preisen nur noch der auszufiihren oder zu iibernehmen vermochte, der im trauten Bunde mit dem beaufsichtigenden Architekten dem Eigenthiimer das Fell iiber die Ohren ziehen konnte. Denn der Architekt machte auf gleiche Weise von der Entwickelung der Concurrenz gedrangt, seine Plane beinahe umsonst; ja, es sind mir nicht einer, sondern eine ganze Anzahl von Fallen bekannt, wo diese Kiinstler aus dem Stegreif Plane fur ein Gebaude anfertigten, ohne sich um die Einwilligung des Grundherrn auch nur zu kiimmern, weil sie dieselbe bei der beabsichtigten Speculation auch ganz gut ent- behrcn konnten. Waren die Plane vollendet, so liess sich dieser Bauunternehmer, die in ihr Garn liefen / daran rechnen. Da aber blosses Rechnen, ohne Extrabegiinstigungen seitens des Architekten erWarten zu konnen, eine ganz unnothige Muhe, liess dieser sich und das war die Hauptsache - - fiir seine zu gewahrende Gunst nicht von einem, sondern von beinahe jedem ,,rechnenden" Unternehmer etwas mehr oder minder Erkleckliches, auch Kleinig- keiten wurden nicht verschmaht, in die Hand stecken. Nachdem 335 er auf solche Weise moglichst viel Provisioncn verdient, eroffnete er den geprellten Unternehinern mit dem unverfrorensten Achsel- zucken, dass der Eigenthiimer sich andcrs besonnen habe und die ganze Geschichte nicht auszufiihren gedenke. Damit war das Geschaft erledigt. War aber der Bauuntcrnehmer, der nothgedrungen unter dem Kostenpreise einen Bau angenommen, nicht jm B unde mit dem beaufsichtigenden Architekten , so musste er eben einen seiner Geschaftsleute oder Materialienlieferanten u. s. w., oder aber den Bauherrn selbst ganz gehorig libers Oh? hauen. Ging auch das nicht, so verduftete er wohl mit der Summe, die cr zur Bezah- lung seiner Arbeiter erhalten. Der Bau, die unbezahlten Forde- rungen der Lieferanten und der Arbeiter mussten danrt iratiirlich sehen, \vie sie unter endlosen Streitigkeiten und Klagen zu ihrem Rechte gelangten. So ward in den letzten Jahren nur selten cin Gebaude aufgefiihrt, dessen Rechnungen nicht den Gerichten Be- schaftigung gaben. Ich habe dieses Beispiel absichtlich des Weiteren ausge- fiihrt, weil ich an einem Geschaftszweige, in dem ich personlich durchaus bewandert bin, und der noch nicht zu den besonders speculativen gerechnet wcrden darf, zeigen wollte, wie der Process der Corruption um sich greift und in der freien Concurrenz die ehiiiche Geschaftsweise stetig und sicher vom Markte verdrangt. Um wie viel mehr erst in. den Geschaftszweigen lediglich specu- lativer Natur. Abcr auf die Lange reichen alle Kniffe und Pfiffe nicht aus, um den unglucklichen Speculanten den anstandigen Lebens- unterhalt fur sich und seine Familie zu gewahren. In diesem Falle ,,brennt" er gewohnlich durch und lasst seine Angehorigen sitzen. Bedenkt man nun, dass diese Letzteren wahrend der fetten Jahre der Speculation so erzogen wurden, wie es Mrs. Grundy d. h. der Ton der ,,Qesellschaft" verlangt, dass sie dem- nach nie gelernt haben, die menial Arbeit der Haushaltung zu vcrrichten , so begreift man die Klagen iiber die traurige Lage des weiblichen Geschlechts in einem Lande, wo sogar noch 1870 ein Ueberschuss von 400000 Mannern existirte. Die Klagen gehen, wie schon einmal erwahnt, grade von jener als feine Damen erzogenen Classe aus, denen beim Wechsel des Geschickes ihr ,,Stolz," ,,Ehrgefuhl," ,,Freiheitsbewusstsein" nicht erlaubt, zu der nicht ,,standesgemassen" Stellung einer Dienstmagd sich zu bequemen. ,,Standesgemass" sage ich, obwohl in Amerika der Ausdruck ,,kastengemass" passender ware. Jedermann sieht iibrigens leicht eiu, dass in Deutschland die junge Dame, die nicht von ,,dienenden Stand" sich auch nicht zur Dienerin her- giebt, selbst wenn ihre Lage es erheischte. Der Unterschied 336 liegt also nicht in dem Wesen der Erscheinung, sondern in ihrer Ausdehnung. In Amerika ist, wegen der grosseren Unbestandig- keit der Vermogens- und Erwerbsverhaltnisse die Anzalil der Damen, die sich auf irgend eine Manier durchhelfen mtissen, und fur die es nicht ,,standesgemass" ist, Dienstmagd zu warden, vielleicht zwanzigmal so gross, als in Deutschland. Dass unter diesen Umstanden die geschlechtlichen Verhalt- nisse ihre Reinheit nicht bewahren konnen, ist leicht begreiflicb. Die Unmasse solcher Frauen und Madchen, die sich zu den we- nigen offenen Stellen der ,,genteelen" weiblichen Beschaftigungs- zweige drangen, muss Alles aufbieten, um ihre Mitbewerberinnen in der Concurrenz zu schlagen. Und Jugend, Schunheit und ,,Gefalligkeit u sind bei einem solchen Wettkampfe von hb'chstem Einfluss ! Ist es dann ein Wunder, wcnn deren Macht ins Trcifcn geftihrt wird und in der Regel den Sieg erringt? Aber die namliche Classe von Damen stellt auch zum min- desten die Halfte der Mitglieder der gewohnlichen Prostitution. Ist doch in der Lebensweise der Damen der guten Gesellschaft und jener der Damen der Freudenhauser kaum ein Unterschied ! Beide brauchen sich mit merial Arbeit nicht zu befassen, bcide verwenden den allergrossteii Theil ihrer Zeit auf Ausschmuckung und Pflege ihres Korpers mittelst prachtvoller , reicher Kleidimg und aller Geheimnisse der Toilette, beide glanzen am Abend ini Parlour zum Entziicken der Manner welt, werden bewundert und becomplimentirt und finden darin den einzigen Zvveck ihres Lebens! Thatsache ist es, dass der auf sich selbst angewiescnen jungen Dame keine andere Beschaftigung so wenig die Pflicht zu arbeiten auferlegt, ihr so sehr die Gelegeiiheit gewahrt, das bis- her gefiihrte Leben mit \vo moglich noch gesteigerter iiusserer Pracht fortzusetzen, als der Dienst der Venus. Aber finden Viele ihr Unterkommen in offenen Hausern der Freude, so ist doch die Zahl derer noch viel bedeutender, die ausserlich Anstand und Ehrbarkeit wahren und dennoch ihren Lebens uiiterhalt oder doch wenigstens eine ausgiebige Unter- stiitzung auf dieselbe Weisc in the sly (im Verstohlenen) zu erreichen wissen. Ein ,,Freund" ist der Retter in der Noth und mit seiner Hulfe gelingt es sogar sehr oft, den finanziellen Ruiii mehr oder \veniger triigerisch zu iiberkleistern, bis der speculirende Herr Gemahl oder Papa wieder durch eine Laune des Gliickes begiinstigt, selbst im Stande ist, noch einmal der Ebbe in den Cassen der Familie abzuhelfen, und man aus der Zurtickgezogen- heit wieder hervortreten und auf grossem Fussc leben kann. Ware es moglich, bestimmte Zahlenangaben iiber die Falle solcher ,,freundschaftlichen" Unterstiitzungen und die gesellschaftliche Stellung jener, die dieselbe eiu- oder das andere Mai empfangcn, 337 zu machen, sie wiirden das Staunen sogar der wcnigst Naiven errcgcn. Aber den hier geschilderten Missstanden verdankt ihrcn Ursprung und ihre weite Ausdehnung noch eine andere Sitte, welche nicht nur in der Gegenwart die geschlechtlichen Yerhalt- nisse corrumpirt, die sittlichen Gefuhle abstumpft und sogar die Gesundheit der Weiber ganzlich zerstort, sondern welche auch, und diese Folge halte ich fur viel \vichtiger, auf die Zukunft des Landes einen nicht zu unterschatzenden Einfluss iibt. Diese Sitte ist die immer rascher urn sich greifende Abneigung, Kinder aufzubringen. Nicht nur entsteht dadurch jene sich immer stei- gernde Ehelosigkeit, sondern in den Ehen selbst pflegt man durch Mittel, die beinahe dem ganzen weiblichen Geschlechte, in Unge- heuer vielen Fallen dies ist die trockene Wahrheit seit dem Backfischalter bekannt sind, die Empfangniss entweder ganz- lich zu verhindern, oder aber die eingetretene Schwangerschaft im Wege einer Friihgeburt zu Nichte zu machen, jedenfalls die Anzahl der Kinder auf die fashionable " Zahl zwei zu beschran- ken. Die Anzahl der Fehlgeburten, die in Amerika gang und gabe ohne den geringsten Anstoss zu erregen, ist gcradezu enorm, und wiirde in Landern, in denen man gewohnt ist, in dieser Beziehung der Natur freien Lauf zu lassen, beinahe unglaublich erscheinen. Falle, dass eine Frau drei, vier, fiinf ja sechs be- kannt gewordene Fehlgeburten gehabt, sind beinahe in jedem Stadtchen dutzendweise zu linden. Diesem Gebrauche ist es hauptsachlich zuzuschreiben, dass das Urelement des Yankees, welches ja standesgemass der speculative!! Bevb'lkerung angehort, im Vergleiche zu den Eingewanderten eine so erstaunlich geringc Nachkommenschaft , durchschnittlich wohl kaum mehr als ein Drittheil Jcner producirt. Man ware daher versucht zu glauberi, dass die Yankees ganz aussterben und von den Nachkommen der anderen Elemente binnen Kurzem verdrangt sein wiirden, wenn nicht die Nachkommen der Letzteren, sobald sie die verachteten Sitten ihrer Stammesvorfahren abgelegt und sich dem, Young America angeschlossen haben, diese hochcivilisirte Sitte in ihrer hochsten Entfaltung spornstreichs adoptirten. Fassen wir die geschilderten Uebelstande mit manchem darauf Beziiglichen, das wir schon friiher erwahnt haben, kurz zusammen : Die Yankees" hielten sich von vornherein fur Herren des Landes, fur eine den Eingewanderten uberlegene Race (was iriso- fern wahr, als sie dem Einwanderer, so lange er ,,grun u in den amerikanischen Verhaltnissen, wirklich praktisch iiberlegen sind), zur gewohnlichen Arbeit zu gut und also bestimmt, auf ,,genteele u Weise, d. i. durch Speculation anstandig zu leben. Der Profit 43 338 der Speculation aber reicht nicht aus, um diese ganze Menschen- classe, bald vermehrt durch die Einwanclerer^ die allgemach im Land ,,gerieben u werden und sich als eben so ,,gut" ansehen, in dem ihren Begriffen angemessenen Wohlstande zu erhalten. Um so weniger, da er sich nicht gleichmassig auf die Einzelnen und in der Zeitfolge nur hochst unbestandig und unsicher vertheilt, Daher zieht die Mehrheit in der Lotterie der Speculation Nieten, gerath in eine chronische Klemme und 1st gezwungen, in dieser durch make-shifts (zeitweilige Auskunftsmittel) sowohl ihre Stellung zu behaupten, als ihr Leben zu fristen. Resultat: sie miissen sich selbst wie ihre Familienmitglieder zu irgend Etwas hergeben, \vomit sie sich vor gemeiner barter Arbeit bewahren konnen. Baraus ergiebt sich naturgemass der in ganz enormen Pro- portionen gestiegene Andrang zu den offentlichen Aemtern. Jeder ruinirte wankende Speculant sieht sich selbstverstandlich als eben so sehr berechtigt an, als Inhaber ernes Amtes sich an der offent- lichen Krippe zu masten, als any other man (irgend ein ande- rer Mann). Dass er natiirlich suchen muss, sich die Anwartschaft auf diese Stellen auf die einzige anerkannte Manier zu erwerben, namlich durch politische Handlangerdienste, ist selbstverstandlich. Da nun die Anzahl dieser Menschen in der Union vielleicht nicht weniger als eine Million, jedenfalls hoch in die Hunderttausende betragt, so fallt jeder Grund einer Yerwunderung liber die unge- heure Macht der corrupten politischen Parteiorganisationen weg. Aber wie jedes Moralsystem mit der Zeit zu bestimmten Ordnungen fiihrt und dieselben durch sittlich - gesetzliche Insti- tutionen gegen Schwankungen sicher zu stellen strebt, so fiihrt auch das Moralsystem der Speculation nach und nach zu einem bestimmten, sich immer mehr consolidirejiden Ergebniss, namlich zur unvermeidlichen Concentrirung aller Capitalwerthe, die nicht der Luxus der speculativen Classen verschlingt, i n w e- n-igen, gross en Pri vat verm 6 gen. Jeder in der edlen Rechnenkunst Bewanderte weiss, dass der grosse Zufall in der langeren Aufeinanderfolge der Spiel- chancen aufhort, und zu einer nach der Wahrscheinlichkeitsrech- nung mit mathematischer Sicherheit zu berechnenden Aussicht wird. In jedem Gewinnspiele ist, falls der Spieler iiber unbe- grenzte Mittel verfiigt und an der Verdoppelung seiner Einsatze nicht gehindert wird, ist fur ihn gar keine Nothwendigkeit irgend eines Verlustes mehr vorhanden, sondern er kann mit voller Sicher- heit die Gelegenheit ergreifen, seine Gewinne aus dem Spiel zu ziehen, wahrend er dem ebenso unvermeidlich gegen ihn entschei- denden Einzelzufalle durch Erhohen seines Einsatzes begegnet, bis eben das Gluck sich wie es ganz sicher geschehen muss - 339 wieder dreht. Allerdings giebt es nun kein unbegrenztes Capital. Aber grade desshalb geniigt schon ein grosseres Capital, als die mitspielenden Gegner besitzen, um bei dem sicheren Weehsel des Gliickes bis zur giinstigen Gelegenheit ausharren zu konnen, oder doch die Entscheidung so lange aufzuschieben, bis der erschopfte Gegner das Feld raumen uud dem, der es langer auszuhalten im Stande, den Einsatz iiberlassen muss. Ganz dasselbe ist der Fall in dem Spiele der ,, Speculation." Denn einer Periode des Steigens der Preise folgt immer und jedes- mal eine Periode des Sinkens, welche selbst wiederum mit voll- kommener Sicherheit von einer neuen Steigerung beendigt wird. Wessen Capital nun geniigt, um in der Periode des Sinkens seine speculativen Einsatze auf dem Tische zu erhalten, wer dann nicht gezwungen ist zu verkaufen, sondern bis zur sicher eintretenden Epoche der erhbhten Preise warten kann, entgeht der Gefahr des Verlustes. Die Speculation wird in seinem Falle eine sichere, von dem allgemeinen Gange der Entwickelung des betreffenden Landes abhangige, und nur beim Eintreten eines allgemeinen Riick- schrittes zu den ohnehin unvermeidlicben Verlusten fiihrende Capitalanlage. Im Laufe der Zeit fallen nun ohne Fehl alle iiberhaupt zur Speculation verwandten und nicht zuriickgezogenen oder von den Speculirenden verbrauchten Einsatze diesen die grb'sseren Capitalien in Reserve habenden Mitspielern zu. Dess- halb ist das Ende aller Geschaftsspeculation der unvermeidliche Bankerott aller kleineren Mitspieler und die fortwahrende Ver- mehrung der grossen Einzelcapitalien durch die von den Kleineren in's Spiel gebrachten Einsatze. So sehr ist diese Ableitung durch die Erfahrung bestatigt, dass aufmerksame Zuschauer beobachtet haben wollen, wie in den Bb'rsen das mitspielende Personal durch- schnittlich im Laufe von drei bis fiinf Jahren vollkommen wech- selt, und nur die grossen Hauser sich behaupten. Diese Er- scheinung heisst soviel, als dass in der Regel das durch Erbschaft oder sonstwie erworbene Capital in jener Zeit von den grosseren Capitalien iiberwunden und annexirt wurde, der gewesene Speculant aber bankerott geworden. , Dieser Prozess der Concentration der Reichthiimer durch das squeezing (Ausquetschen) der Kleinen ist in Amerika in den letzten zehn Jahren in ungeheuerstem Maasse vor sich ge- gangen. Millionare, noch vor 15 Jahren eine sehr seltene Er- scheinung , sind , man mochte sagen , wie Pilze hervorge- schossen. Und die wenigen, die damals einfache Millionare waren, sind in ihrer grossen Mehrzahl heute Grossmillionare , die ganze Eisenbahnen und Eisenbahnsysteme entweder ausschliesslich oder doch vorwiegend besitzen, ganze Industriezweige beherrschen, den Fabricaten beinahe willkiirliche Preise auflegen und in vielen 340 Fallen durch die blosse Wucht ihres Capitals jede Concurrenz unmoglich zu machen, vermogen. Damit allein ist jedoch diesen Herren nicht gedient! Strebt der Mensch zunachst nach Besitz, der ihm die Existenz sicherte, so trachtet er sofort, wie er diesen errungen, nach dessen Si- cherung gegen irgencl welche Wechselfalle. Daher richtet sich das Bestreben der Grosscapitalisten allerorten auf die Beherrschung und Beeinflussung der Gesetzgebungen, um die errungenen Vor- theile fiir immer sicher zu stellen, jede Concurrenz gesetzlich zu verhindern und alle etwa noch aufzufmdenden natiirlichen Reich- thiimer von vornherein unter Ausschluss des Volkes in ihren all- einigen Besitz zu bringen. Da die Mitglieder der Gesetzgebungen beinahe ausnahmslos politische Speculanten sind, ist ihr Erfolg temporar immer gewiss. Fiir immer konnen selbst sic freilich nicht diesen Erfolg feststellen, da die Gesetzgebungen fortwahrend wechseln, die Eine die Erlasse der Andern umstosst, und Jede sich fiir berechtigt fiihlt, die ,,milchgebenden" Kiihe aufs Neue zu melken, so dass im Grossen und Gaiizen die Grosscapitalien die Fortdauer ihren gesetzlichen Begiinstigungen von jeder fol- genden gesetzgebenden Versammlung durch eine neue Auflage des Bestechungstributes erkatifen miissen. Thatsachlich ist dieser den Volksvertretern gezahlte Tribut das Einzige, was in Wahrheit und Wirklichkeit in der allgemeincn Verwaltung beinahe aller Staaten noch auf eine mehr als bloss formelle Ancrkennung der ,,Volkssouveranitat" hiriweist. Die Folgen des Gleichlieitsprincipes. Indem Versuche, das vermeintliche Princip der Gleichberechtigung Aller durchzufiihren liegt ebeiifalls eine Gruiidursache der Corruption, denn dieses ist es, welches dem Einstromen fremder Volkselemente Thiir und Thor offnete, wo durch die verderbliche ethnische Mi- schung der Gegenwart vorbereitet wurde. Nach dem Principe der Gleichheit bringt jeder Mensch von vornherein, ,,gleiche Rechte u auf diese Welt ,,mit;" dieees ,,gleiche Recht" eines Jeden geht jeder staatlichen Ordnung vor, muss jede andere Erwagung iiberwiegen und kann nie und nimmer und 341 unter keinem Vorwande verkiirzt werden, da es ,,heilig u und ,,unverletzlich" 1st. Besonders in diesem ,,gleichen Rechte" mit- inbegriffen ist das Recht eines Jeden, in seinem ,,Leben, a seiner ,,Freiheit," und seinem ,,Streben nach Gliickseligkeit" auf keine Art verkiirzt, beschrankt oder gehindert zu werden, vielmehr ist es die Pflicht der Gesellschaft, Alles was diesen Zielen und Streben im Wege steht, moglichst hinwegzuraumen. Da dieser Grundsatz in den Vereinigten Staaten den Kin- dern schon in den A-B-C-Biichern vorgelegt wird, weil ,,insbe- sondere die Republik der Vereinigten Staaten nur auf demselben errichtet worden, indem er einzig und allein das Fundament der glorreichen Unabhangigkeitserklarung bildet, u und die Ameri- kaner im Durchschnitt mit einer ganz guten Portion Fassungsgabe und praktischen Sinnes ausgeriistet sind, der ihnen sagt, es ware cine Vergeudung von Kraft, suchte man was man ohnehin kriegen iniisse mit Mtihe und Arbeit zu erringen, so ziehen sie aus obi- gem Satze den, dem gemeinen Menschenverstande eminent logisch erscheinenden Schluss: dass der mit gleichen Rechten ausge- stattete Mensch iiberhaupt nicht nb'thig habe, sich zum Schutze seines ,,Lebens," seiner ,,Freiheit'^ und zur Erreichung seiner ,,Gliickseligkeit u irgendwie zu bemiihen und ihretwegen Lasten und Burden auf sich zn nehmen, da diese Giiter ihm ja kraft seiner Menschenwiirde als heiliges und unverletzliches Eigenthum zukamen und der Staat verpflichtet, ja iiberhaupt nur dazu da sei, ihn, den souveranen Herrn, in den Genuss dieser Rechte zu setzen. Er habe demnach nur nothig darnach zu verlangen. Wozu, fragt sich also der hoifnungs voile Sprosse Young America's soil ich mich denn damit abmiihen Etwas zu lernen, warum soil ich mich anstrengen etwas Nutzbringendes zu schaffen und wie komme ich iiberhaupt dazu .zu arbeiten? Leben, Freiheit, Gliickseligkeit, also Alles was ich brauche, sind mir vom Staate garantirt. Society owes me a living. (Die Gesellschaft schuldet mir meinen Lebensunterhalt.) Und was wiirde es mir denn niitzen das Gehirn anzustrengen, urn mich zu einem Wunder von Bildung und Gelehrsamkeit zu machen, mich mit niitzlichen Kenntnissen vollzupfropfen, mich miihsam zu bestreben in alien guten Fahig- keiten Meister zu werden ? Bin ich denn darum um ein Haar besser als Alle, denen es gar nicht einfallt Derartiges zu thun, sondern die nur ihrer Bequemlichkeit und ihren Genusseii nach- gehen , und die doch darum dieselben gleichen Rechte, densclben Anspruch auf Gliickseligkeit besitzen als ich? Meine Arbeit und Miihe kann also kein Resultat liefern und hat demgemass keinen Zweck I Zwecklose Arbeit aber ist eine Dummheit ! Ergo, ich ware ein Esel, wenn ich mich abplagte um zu verdienen, was mir von Rechtswegen zukommt. 342 So kiimmert sich denn imser souveraner Jiingling wenigst moglich um die Erwerbung von Kenntnissen oder das Erlernen eines Geschaftes : ,.Bei Euch lernt so ein Ex quartan er Ein firm Geschaft, wie's Branch und Fug; Hier 1st er nur ,,Amerikaner" Und das 1st grad' Geschaft genng!" sagt Georg Asmus in seinem Amerikanischen Skizzenbiichelche. Er lasst die Dinge vielmehr gehen wie sie wollen, isst, trinkt verzehrt, was er von seinen Eltern erhalt, imd amiisirt sich mit dem edlen Ball- und Billardspiel mit den jungen Damen, oder ahnlichen gentlemanly sport. Das geht auch so lange ganz gut als Eltern und Anverwandte die Eechnung ihres hoffnungsvollen zur Prasidentenwiirde glcichberechtigten Sprosslings bezahlen. Aber friiher oder spater hort dies auf; nun erinnert sich unser Held daran, dass die Gesellschaft ja Pflichten gegen ihn habe. Er klopft demnach stolz an die erste beste Thiir der Gesellschaft an um seine Anspriiche geltend zu machen, stellt sich im Bewusst- sein seines selbstverstandlichen Rechtes mit vollkommen sicherem Auftreten vor, und offhet die Augen weit, und glotzt das ihm gegeniiberstehende Mitglied der verpflichteten Gesellschaft verwun- dert an, wenn dieses ihm kurz und biindig die Antwort gibt: That aint none of my business! (Das ist nicht meine Sache!) Erstaunt zieht er von dannen, um diejenigen Mitglieder der Ge- sellschaft zu finden, deren business es ist, ihm die gewahrleisteten Mittel der erstrebten Gliickseligkeit zu verabreichen. Und er sucht und sucht bei Tage und bei Nacht, im Sonnenlichte und mit der Laterne des Diogenes, ernahrt sich von make shifts und odd jobs (zufallige Gelegenheit, Etwas zu machen) schlaft auf Heubb'den und isst freien Lunch, in den Zeiten der Wahlkampfe spiilt er denselben wohl auch mit freiem Bier oder Schnaps hinunter und verdient obendrein ein Paar Thaler um sich einen neuen Cylinderhut, Papierkragen und Cravatte mit Diamantnadel an- zuschaffen, indem er seine Stimme an deri Moistbietenden ver- handelt. So sucht er lange Jahre, und trifft iiberall und iiberall nur Leute die geradezu so gut berechtigt sind wie er, aber keinen Einzigen der sich fiir verpflichtet hielte; schliesslich fangt es an ihm zu dammern, dass die Gesellschaft nachliissiger Weise unter- lassen habe fiir die Einhaltungen ihrer Verpflichtungen zu sorgen, Er schimpft desshalb waidlich auf die schlechten Kerle, die das Land verwalten und deren boswilligeNachlassigkeit allein an die- seni Fehler Schuld, und sieht sich endlich nothgedrungen dahin gebracht, es gerade so zu machen wie alle An deren, nam- lich sich seine Rechte selbst zu nehmen, indem er Alles was er ergreifen und erwischen kann in die Tasche steckt um sich da- 343 durch fur seine Vernachlassigung zu entschadigen. Gewissens- skrupel wirft er dabei vollstandig iiber Bord, dagegen nimmt er bei jeder Gelegenheit alle Rechte in Anspruch die er durchzu- setzen im Stande, und entzieht sich alien Lasten, Burden und Abgaben, zu deren Leistung ihn die Gesellschaft nicht gerade mit Gewalt zu zwingen vermag. Im Uebrigen fiihlt er sich tief gekrankt, und wird ihm durch gliicklichen Zufall die Gelegenheit zu Theil der Gesellschaft diese Krankung zuriickzugeben, so ergreift er dieselbe mit \vahrer Wollust. Gelingt es ihm z. B. sich in ein offcntliches Amt zu drangen, wo er sich auf Kosten der Gesellschaft bereichern kann, so ist er iiberzeugt, dass ihm damit nur zufallt, worauf er schon liingst wohlbegriindeten Anspruch hatte. Er nimmt. nur was ihm die Gesellschaft schuldig. Und sollte ihrn wirklich noch ein Rest von frommer Scheu geblieben sein, so entflieht derselbe bald vor der Betrachtung, dass alle Anderen gerade so handeln und er als Gleichberechtigter nicht hinter Jenen zuriickstehen diirfe. Auf solche Weise gelangt er naturgemass zu dem Schlusse, den Tweed in denWorten ausdriickt: ,,Ich stecke meine Hande so tief hinein als ich kann, fasse so viel als ich fassen kann, und ziehe sie heraus mit so viel in der Faust, als ich darin halten kann! v ' Die Folgen der Gleichberechtigungsidee sind a!so zunachst das Missachten der Fahigkeit und des wirklichen Verdienstes, dann die ganzliche Verleugnung aller Pflichten des Einzelnen. Derselbe empfindet vielmehr jede Pflicht als lastigen hochst un- gerechten Druck. Mit gutem Grunde! Denn wenn A, B und C und Jeder einen gleichen Rechtsanspruch an die Gesellschaft hat, so ist durchaus nicht einzusehen, warum A durch die Erfullung eines gewissen Quantums Pflichten dem Staate dienen soil, wah- rend B vielleicht nur die Halfte dieses Quantums, C moglicher- weise nur einen bcliebigen Bruchtheil und alle Uebrigen vielleicht gar keine Lasien in der Gestalt von gesellschaftlichen Pflichten tragen. Eine derartig beliebte Yertheilung von Pflichten die den Einen belastet, den Anderen verschont, wahrend Jeder die unvert ausserlichen gleichen Rechte in Anspruch nimmt und ausubt, spricht alien Gesetzen der Logik und alien Begriflen des gesun- den Menschenverstandes geradezu Hohn, tritt alle Grundsatze der Gerechtigkeit mit Fiissen. Die Gerechtigkeit erheischt , dass wenn alle Menschen unter alien Umstanden und immer unver- ausserliche gleiche Rechte geniessen, alle Menschen auch unter alien Umstanden und immer und ohne alle Ausnahme zur Erfullung einer vollkommen gleichen Pflichtenlast angehalten werden. Die Gewahrung gleicher Rechte an Alle dagegen ist, so lange Pflich- ten nur Jenen auferlegt werden, die man zu deren Erfullung zu- falligerweise zu zwingen im Stande, einfach eine Ausbeutung der 344 Pflichtgetreuen zu Gunsten der Pflichtvergessenen. Letztere sind also bei solcher Ordnung der Gesellschaft den Ersteren gegeniiber in unbedingtem Vortheil, und es ist desshalb unter der Herr- schaft des Grundsatzes der Glei chber ech t igung Aller Jeder ein Thor, der Pflichten erfiillt deren Erfiillung er sich auf irgend welche Weise zu ent- ziehen vermag. Unausbleiblich muss bei solcher Anschauung die Corruption fortwahrend weiter um sich greifen und zwar urn so schneller und sicherer als eben Niemand sich in Folge der namlichen Anschauung fiir berufen oder verpflichtet fiihlt, diesem Processe zu steuern. Ira Gegentheil sucht Jeder, sogar wenn seine Bemiihungen wirklich erfolgreich sein kb'nnten, sich' der Lasten, die ihm dieselben auferlegen konnten, zu entwinden. Es ist die allgemeine Beobuchtung und die allgemeine Klage, dass gerade die ehrlichen besseren Elemente der Bevolkerung sich von jeder Betheiligung an dem offentlichen Leben beinahe ganz und gar zuriikziehen und den corrupten Elementen freien Spielraum gonnen. Man kann aber vonNiemanden verlangen, dass er sich der orgarii- sirten Phalanx der Corruption gegeniiberstelle. Uebrigens geschahe dies auch, so hat er (die Erfahrung bestatigt es im vollkommen- steii Maasse) nur Aussicht auf einen augenblicklichen Sieg, wah- rend binnen Kurzem, sobald die aufwallende Erregung des grossen Publikums sich gelegt, die organisirte Corruption wieder ihren eben geraumten Herrschersitz einnimmt. Warum? Seltsarn wie es klingen mag, ist es doch nicht weniger wahr: die Cor- ruption vertritt in diesem Kampfe das Princip der Gerechtigkeit, namlich das Princip, dass jede Arbeit ihres Lohnes werth sei ! Die organisirte Corruption bezahlt ihre Diener im richtigen Ver- haltnisse zu ihren Diensten und Fahigkeiten, wahrend der Staat die fiir seine besten Interessen Kampfenden nicht nur nicht be- zahlt, sondern ihnen einfach sagt, dass sie gerade so viel Rechte hatten und nicht ein Iota mehr als die mensch lichen Briider, die sie eben aus ihren durch Corruption besudelten Aemtern geworfen. Unter diesen Umstanden ist es kein Wunder, das Alles was her- vorragende Fahigkeit und Tiichtigkeit besitzt, seine Dienste jener Macht zu Gebote stellt, welche dieselben am besten bezahlt, namlich der Corruption. In diesem Lichte betrachtet ist die Corruption des Zeitalters geradezu die Reaction des gesunden Menscheiive rstandes gegen eine alle Grundsatze d er Gerechtigkeit ver laugn ende The orie. Und es steht diese Entwickelung, die jener Anschauung der Gleichberechtigung gegeniiber nothwendig zum Siege der Corrup- tion flihren muss, im vollkommenen Einldange mit dem merk- wiirdigerweise in beinahe dem namlichen Athemzuge gepredigten Idee der Freiheit. Die Idee der Freiheit namlich steht 345 in unlosbarem Wid er spruche mit der Idee der Gleichb erech tigung Aller. Weit davon entfernt, dass diese Zustande sich gegenseitig bedingen, schliessen sie sich gegen- seitig aus. Sklaven sind ihrem Herrn gegeniiber gleich , aber freie Manner sind noch nie so lange die Welt steht einander gleich gewesen, stets gait der Fahigere, Tuchtigere mehr als der weniger Fahige. Dieser Unterschied liegt in dem Wesen des Verhaltnisses. Denn das Grundprincip der Freiheit ist gerade dass Jedermann Herr seiner selbst d. h. der Gesammtheit aller seiner Fahigkeiten und Eigenschaften ist, dass er dieselben also ohne nach dem Belieben eines Andern zu fragen, lediglich nach eige- nem Ermessen verwenden kann. Das Wesen der Freiheit besteht darin, dass der freie Mann nicht gebunden ist, irgend Jemanden Dienste zu leisten, sei dieser Jemand ein Individuum oder ein Staat. Es steht also im geraden Widerspruche zur Idee irgend einer Verpflichtimg. Der freie Mann ist zu Nichts, ab- solut zu gar nichts verpflichtet und Jeder, der irgend welche Verpflichtungen zu erfiillen gezwungen ist, ist eben da- durch gebunden und hb'rt auf frei zu sein. Aber eben so \venig, wie der freie Mann selbst Verpflich- tungen kennt, eben so wenig kennt die Aussenwelt Verpflichtungen gegen ihn. Er besitzt desshalb eben so wenig Rechte, als ihm Pflichten obliegen. Will er also im Verkehre mit Seinesgleichcn Vortheile geniessen, die Niemand verbunden ist ihm zu gewahren, so kann er, grade weil er frei ist, dieselben nicht als Recht in Anspruch nehmen, sondern muss sie von dem jeweiligen Besitzer erwerben. Dieser aber wird nur gegen Entschadigung sich zum Aufgeben seines Besitzes verstehen. Folglich wird grade in einer Gesellschaft von (im friedlichen Verkehre lebenden) Freien jeder Einzelne Alles vollwerthig bezahlen miissen ; Nichts gar nichts - wird ihm gegeben, weil er es als ein Recht" in Anspruch zu nehiren geneigt ist, aber auch Nichts wird von ihm unter dem Namen ,,Pflicht" verlangt, Vielmehr wird der einzelne Freie" jedes in Anspruch genommene Recht" von der Gesammtheit der anderen mit ihm in Gesellschaft lebenden Freien" durch Lei- stung einer gleichwerthigen Pflicht erwerben und umgekehrt die Gesammtheit jede ihrerseits von den einzelnen Freien" in An- spruch genom : ene ,,Pflicht" durch Gewahrung eines gleichwerthi- gen ,,Rechtes" bezahlen miissen. Kurz: Der Grundsatz der Freiheit ist der der Gegen- seitigkeit von Recht und Pflicht. Die unmittelbare Folge ist, dass in einer ,,freien" Gesell- schaft ,,,,gleiche gesellschaftliche Rechte nur da be- stehen kb'nnen, wo die Fahigkeit, gleiche gesell- schaftliche Pflichten zu erfullen, besteht."" 44 346 Die practische Durchfiihrung dieses Princips in gesetzlicher Form fiihrt eben dahin, dass die Fahigeren, die dem Staate mit einem Mehrwerth von Pflichten dienen, vom Staate einen diesem Mehrwerth entsprechenden Betrag von Rechten erhalten und um- gekchrt. Es ist also der Grundsatz der persb'nlichen Freiheit selbst, der sicli in der Idee der Pflichtenlosigkeit und in der Widersetz- lichkeit sammtlicher Einzelnen gegen die, ihnen von der 3 ,Gleich- berechtigung Aller" zugemutheten unbezahlten Pflichten zur Wehr setzt. Und dieser Kampf wird vorlaufig und so lange, bis eine Partei kiihn den Grundsatz: Gleiche Rechte den gleichen Pflichten auf ihr Banner schreibt und das Motto der ,,Gleichberechtigung Aller" damit auslb'scht, unter dem Schleier der Corruption durch- gefochten werden miissen, da, wie gesagt, die Corruption allein den gerechten Anspruch der Tiichtigeren , mehr Recht als die Untiichtigen zu haben, .durch gute Bezahlung anerkennt, wah- rend die officielle Staatsorganisation solche Anerkennung beharrlich verweigert und sogar die sociale Gleichheit ver- schiedener Classen durch despotische Gesetze zu erzwingen sucht, WJ ,Die Fahigkeit hat mit dem Rechte nichts zu thun!"" so erwidert uns der laute Vorkampfer des ,,Freiheits- und Gleich- heits"-Radikalismus, der Herausgeber des ,,Pionier" in Boston, in seiner bekannten peremptorischen Manier und begriindet diesen summarischen Urtheilsspruch auf folgende geistreiche Weise: w ,,Sonst miisste z. B. der starkste, gebildetste und muthigste Mann der also alle Becker'schen Anforderungen erfullt sein Mcnschenrecht verlieren, wenn er krank ist!"" Dieser, der einzige Einwand, den ein solcher Partei-Haupt- ling wie es Karl Heinzen ist, vorzubringen weiss, ist so echwach, dass er uns vielmehr als Stiitze dient. Denn die trockene Thatsache ist eben, dass jener starkste, gebildetste und muthigste Mann, wenn er nicht einer Gesellschaft angehort, die ihn beschiitzt, im Falle seines Krankscins wirklich ganz hiilflos ist und demgemass das, was hier Heinzen sein .,Menschenrecht" zu benamsen beliebt, wirklich verloren hat. Gerade die Wahr- scheinlichkeit solcher Vorkommnisse zwingt den ,,Unfreien," sich gegen diese Gefahr durch ein gegenseitiges Biindniss mit Anclern, die in gleichcm Verhaltnisse leben, zu sichern. Noch viel mehr als Krankheit, die nur selten eintritt, legt ihm schon der alltag- liche Schlaf diese Nothwendigkeit auf, da dieser ihn grade so hiilflos macht, wie die Krankheit. Dieses Bediirfniss nach gegen- scitiger Unterstiitzung treibt ja wesentlich zur Geselligkeit, Aber dem Starken, Muthigen und Gebildeten ist in solchem Falle nicht 347 mit der Gesellschaft von Schwachen, Feigen und Dummcn gcdicnt, da diese ihm im Falle seiner Krankheit nur hochst unvoll- kommenen Schutz gewahren, er also durch einen (auf Gleichbe- rechtigung der Mitglieder beruhenden) GeselJschafts verb and mit ihnen um Nichts besser daran ware, wahrend sie, seine Genossen, allerdings seinen machtigen Schutz gewonnen hatten. Verbande er sicli also mit Solchen, so mussten sie natiirlicli ihn fiir den gewahrten Schutz in Arbeitsleistung entschadigen, d. h. er wiirde ihr Herr sein und sie seine Diener, Arbeiter oder Sklaven, kurz, seine Horigen. In einen ,,freien" Verband kann besagter Mann aber nur mit solchen Leuten treten, die ihm, im Falle seiner Krankheit einen ebenso guten Schutz angedeihen lassen konnen, als er ihnen" im Falle ih re r Krankheit gewahren kann. Sobald also ein Mitglied der Gesellschaft von Natur schwach, feig und dumm, der Andere stark, muting und intelligent ist, hort jede Gegenseitigkeit zwischen beiden auf, und eine Gleichberechtigung soldier zwei Personen ware einfach eine Mehrbelastung des Ttich- tigeren zu Gunsten des Untiichtigeren, eine Mehrbelastung, fiir die der Erstere der Natur der Sache gemass nie eine Entschadigung von dem Zweiten erhalten kb'nnte, es sei denn durch Sklaven- arbeit. Warum sich Ersterer dergestalt zum unentschadigten Tragen einer Mehrlast verstehen soil, ist nicht einzusehen. Kurz und gut: Jeder wirklich ,,freie" Mann sucht sich eine Gesellschaft ,,Seinesgleichen," d. h. von Leuten, die wirklich an- niihernd mit ihm in Eigenschaften iibereinstimmen, um mit ihnen als ,,Gleicher unter Gleichen" zu leben. Mit Leuten, die nicht ,,Seinesgleichen" aber tritt er nur in ein Herrschafts- nnd Ab- hangigkeitsverhaltniss, in dem die Schwachen und Elcnden den Schutz der Starken und Machtigen, der allein ihre Existenz er- moglicht, mit Arbeit bezahlen. So erklart unserc Ansicht schr naturgemass das Vorkommen aller verschiedeneii Regierungsformen, die die Geschichte in Wirklichkeit aufweist, wahrend die ,,Frei- heits- und Gleichheits"-Theorie in den herrschenden Classen nur tyrannische Boswilligkeit erblickt. Die der Idee der ,. Gleichberechtigung" entspringende Miss- achtung der ,,Fahigkeit" verleiht dem dreisten, unverschamten Auftreten (cfeek) ganz ungeheuren Werth. Denn wirkliche Maassstabe zur Beurtheilung dor Fahigkeit eines Individuums, wie solche in Europa in der Form von Fahigkeitszeugnissen, Beschei- nigungenu. s. w., sind grade weil ja Alle gleich sind (Every body is Jit for anything ,,Jedermann taugt fiir irgend Etwas" ist gewissermaassen Spriichwort) sehr wenig im Gebrauche und iibrigens von noch viel geringerer Zuverlassigkeit, "da notorisch die unfahigsten Kerle sich dieselben in bester Qualitat und Menge zu verschaffen wissen. Es bleibt also dem Manne, der mit einem 348 Anderen in Geschaftsverbindung tritt, wesentlich nur seine eigene scharfblickende Menschenkenntniss, um ihn vor Gefahrdung seiner Interessen zu wahren. Dieser Scharfblick des Menschenkenners ist nun allerdings in Amerika viel holier entwickelt, als irgendwo, weil er eben mehr gebraucht wird ; aber er gonnt dennoch der edlen Tugend der Dreistigkeit ein ungeheures Feld. Man kann ohne Umschweife behaupten, dass sie dort praktisch von beinahe bedeutenderem Werthe, als jede andere ,,Bildung. " Die Unver- frorenheit, womit sich in Amerika fortwahrend Kerle, die kaum lesen und schreiben gelernt, als Candidaten fiir Stellungen prasen- tiren, fiir die man in Deutschland nur Universitatsgebildete zulas- sen wiirde, ist fiir den, der nicht Gelegenheit gehabt hat solche Falle selbst zu sehen, beinahe unglaublich. Der durchschnittliche Amerikaner ist denn auch thatsachlich dahin gelangt, beinahe nic verlegen zu werden. Sogar, w T enn auf der Stelle sein ganzes Liigengewebe als pure -fiction (mit ,,Luge" darf man in Ame- rika eine Behauptung nur dann bezeichnen, wenn man sich so- gleich nach einem ernsthaften Streite sehnt) erkannt wird, behalt er dennoch jederzeit seine Kaltbliitigkeit. Kaum kann dieser Charakterzug treffender geschildert werden, als in der nachfol- genden Skizze, die, obwohl wahrscheinlich eine Anekdote, dennoch denselben bis aufs Haar getreu w T iedergiebt : ,,Oberst" Orzo J. Dodds, vor Kurzem Mitglied des Con- gresses vom ersten District des Staates Ohio erzahlt eine gute Geschichte von einem Besuch, den er in seiner Geschiiftsstube von einem Manne empfing, der sich als ein Redacteur von Ar- kansas vorstellte. Er war ein sehr schabig aussehender Bursche und machte den Eindruck, als ob er eben eine ungefahr sechs- w T 6chentliche Bummelperiode (spree) durchgemacht hatte. Sich verneigend, warf er sich in Positur, und mit der einen Hand auf dem Herzen, die andere, die einen abgeschabten Cylinderhut hielt, in die Hb'he streckend, hob er in deklamatorischem Tone an : ,,,,Habe ich die Ehre, den ,,Ehrenwerthen" (Tit el der Mitglieder der Gesetzgebungen) Orzo J. Dodds vor mir zu sehen ?" " ,,Mein Name ist Dodds, aber ich bin nicht langcr ein Ehrenwerther!" Nicht ein Ehrenwerther? Dodds nicht eui Ehren- werther ? Nun, beim heiligen Paulus, wenn ich dieses ehrliche Gesicht durchforsche, auf welches die Gotter selbst ihr Siegel gedriickt zu haben scheinen, kann ich darin nichts ,,Unehren- werthes " lesen, " " ,,Recht so, nur nichts ,,Unehrenwerthes !" Aber zur Sache!" ,,,,Ja wohl, zur Sache, wie Sie sagen. Ich bin ein 349 Schriftsetzcr ich mag sagen, ohne darob errothen zu miissen, ein Redakteur! Ich bin von dem edlen Staate Arkansas, dem einzigen Staate, beilaufig, der im Stande und Willens 1st, zwei Regierungen zur selben Zeit zu unterhalten. *) Aber ich war un- gliicklich. Von Stiirmen bin ich umhergeworfen worden, und hier bin ich ein auf den Strand getriebenes Wrack. Vor kaum drei Monaten iiberliess ich mein Geschaft meinem wiirdigen Vormann und suchte die friedlichen Thalgriinde des Mackingum- Flusses aufj wo ich mich in meiner Kindheit zu tummeln pflegte. Als ich zuriickkehrte, hielt ich mich in Cincinnati auf. Port fiel ich in bose Gesellschaft und ! Aber wozu soil ich mich mit den Einzelheiten befassen? Geaug, ich bin, wie sie mich hier sehen entmuthigt, zu Grunde gerichtet, gebrochen! Eine Ziel- scheibe, auf die Spott und Verachtung mit den Fingern hinweisen ! Mein Herr, hier bin ich! Sie haben nicht nach inir ausgeschickt, aber ich bin dennoch gekommen. Ihr Name, mein Herr, ist be- kannt und beriihmt von einem Ende dieser grossen Republik bis zum andern. Er erklingt: Im Stadtegetiimmel Durch's Land bis zur Kiiste Er tb'nt bis zum Himmel Und steht auf der Liste, (namlich der Gehaltliste der Congressmitglieder). Als der natio- nale Schatz von einer Bande gieriger Congressmitglieder ange- griffen wurde, standen Sie wic eine Mauer von Diamant zwischen dem Volk und jenen infamen Gehaltgreifern. Pumpen Sie mir einen Thaler! 1 '" ,,Mein lieber Herr," beeilte sich der Colonel zu erwi- derh, ,,Sie befinden sich ganzlich im Irrthum. Ich selbst war einer von den Gebaltgreifern. " r ,,Sie waren?"" Er erfasst des Colonels Hand und driickt sie mit "Warme. ,,,,Um so viel besser. Empfangen Sie meinen Gluckwunsch, dass es dem filzigen Publikum nicht gelun- gen, Sie von dem Anspruch auf gebiihrende Bezahlung Ihrer un- schatzbaren Dienste zuriickzuschrecken ! Ich bin hocherfreut, dass Ihre finanziellen Verhaltnisse so viel besser sind, als ich voraus- setzte. Lassen Sie es zwei Thaler sein!"" Und es blieb dem Colonel Nichts tibrig, als seinem Besucher ein Darlehen von zwei Thalern zu gewahren. Ein Wunder ist die ganz allgemeine Verbreitung dieser edlen Dreistigkeit nun durchaus nicht, sondern nur ein nothwen- diger Ausdruck der Verachtung der Fahigkeit. Denn Jeder sieht 1) Bezieht sich auf die beiden Gegenregicrungon, die sich einan'ler im Friih- jahre 1874 die Herrschaft streitig machten. 350 in dem Andern, gleichviel was dessen Eigenschaften oder Lei- stungen sein mogen, nur einen Menschen, der grade so gut ist als er selbst und nicht im Geringsten besser. Im Gegentheil, J am just as good as anybody and a d -- d site better too. (Ich bin grade so gut, wie ein Jeder und auch noch verd viel besser) ist eine im Munde jedes souveranen Burgers fortwahrend gebrauchliche Redensart. So ist denn natlirlich der Respect von hoher Tiichtigkeit und grossen Verdiensteri , dem ebenso wie einem Misstrauen in die eigene Fahigkeit gewohnlich eine gewisse Scheu und Verlegenheit entspringen, ganzlich abhanden gekommen und kein mit Amerika Vertrauter wird bezweifeln, dass, wenn heute der ,,Vater des Vaterlandes" George Washington noch unter den Lebenden wandelte, so oft er sich offentlich zeigte, sich ein beliebigcr Strassenjunge ihm mit einem familiaren: ,, Well, how do you do, old fellow ? ff (Nun, wie geht's, alter Bursche ?) zum Handeschiitteln aufdrangen wiirde. Diese sich aufdrangende Dreistigkeit *tragt nicht wenig dazu bei, dass alle jene, die sich wirklich durch Bildung und Anstand liber das Niveau der Menge erhoben und die demnach der ver- traute Umgang auf dem Fusse der Gleichheit mit rohen und un- wissenden Menschen anwidert, sich vom offentlichen Leben, wo sie dieser ,,Gesellschaft" nicht entgehen konnen, zuriickziehen und sich auf ihre Hauslichkeit und einen kleinen , sehr engen Kreis genauerer Bekannten beschranken, in den eingefiihrt zu werden beinahe unmoglich Damit zerstoren sie allerdings selbst ganz und gar ihren Einfluss bei den Volksmassen. Letztere rachen sich fur diese Zuriickgezogenheit, von der sie instinktiv fiihlen, dass sie einer Verachtung entspringt, an den ,,Geschwollenen" (wie der deutsch-amerikanische Ausdruck lautet) durch verdop- pelten Hass, der sie um so rlicksichtsloser in die Arme Jencr fiihrt, die zu speculativen Zwecken die vulgare Yertraulichkeit mit dem grossen Haufen cultiviren. Dies sind die professionellen Politiker, die ihren hauptsachlichsten Einfluss durch Handeschiit- teln, Bruderschafttrinken, plumpe Betheuerungen wirklicher Freund- schaft u. s. w. gewinnen. In der That besteht die ganze Kunst des electioneering (des Wahlen Bearbeitens) wesentlich in solchem vertraulichen personlichen Poussiren der Burger seitens der Can- didaten und ihres Anhanges. Gegen Schmahungen, ja sogar be- schimpfende Beleidigungen u. d. >m. muss ein oifentlicher Candidat abgebriiht sein und Geftihl ftir Dclicatesse, Anstand, ja sogar Reinlichkeit und Abscheu gegen Rohheit oder moralische Ver- kommenheit muss er ganzlich zu Hause lassen. Wer nicht mit dem Abschaum und Auswurf der Merischheit auf dem Fusse der Gleichheit vollkommen ungenirt verkehren kann , passt nicht zum Politiker in. den Vereinigten Staaten. Ein Solcher muss 351 vielmehr genau denselben abgeharteten Charakter besitzen, eben so wenig an irgend Etwas Anstoss nehmen, wie eine offentliche Dime! Nicht nur aussert sich dieser Einfluss im wirklichen offent- lichcn Lcben, sondern er pragt auch seinen Character jeder nicht ganzlich die Oeffentlichkeit ausschliessenden , ja selbst jeder nur etwas zahlreicheren Gesellschaft auf, zerstort dadurch die Mog- lichkeit jedes geselligen Genusses in grosseren Gesellschaften oder offentlichen Localen und macht die eben erwahnte, streng zuge- knopfte Abgeschlossenheit des Privatlebens zur Nothwendigkeit. Das wesentlichste Recht der Gliickseligkeit, die Freiheit, sich die zusagende Gesellschaft nach Belieben selbst auszuwahlen, wird aber von dem Grundsatze der Gleichberechtigung fiir ungehorig (als aristokratische Exclusivitat) erklart. Und das Gefiihl der Freiheit ist gezwungen, sich hinter die letzte, ihr bis jetzt noch gebliebene Schranke zu fliichten und die Thiir des eigenen Hauses gegen die Aussenwelt hermetisch zu verschliessen. In directem Zusammenhang mit der Missachtung aller per- sb'nlichen Eigenschaften bildet sich die Achtung vor dem Einzigen, zwischen den (sonst ja vollkommen gleichen) Menschen einen Unterschied herstellenden Etwas, namlich dem Reichthume aus. Da A, B, C und jeder Andere, gleichviel was ihre Bildung, ihre Verdienste, ihre Leistungen und ihre persb'nlichen Eigenschaften sein mogen, vollkommen gleiche Werthe auf der Biihne des Lebens vorstellen, so ist es unausbleiblich, dass / den Grundsatzen der gewohnlichen Rechenkunst entsprechend, in dem gegenseitigen Verhaltnisse von A (X Eine Million Dollars) zu B (X Hundert- tausend Dollars) zu C (X Zehntausend Dollars) zu Jedem Anderen (X m ^ x Dollars) die gleichen Factoren, namlich die Besitzer der respectiven Dollarsummen, A, B, C u. s. w. nicht in Rech- nung kommen und das gegenseitige Verhaltniss der zu verglei- chenden Grossen eben nur dem Verhaltnisse der zugehorigen Vermogensfactoren gleich geachtet wird. Resultat: die einzelnen Individuen werden gleichsam als die zufalligen Agent en der zuge- horigen Vermogen angesehen und demnach ist A zehnmal soviel werth als B, hundertmal soviel werth als C und x-mal soviel werth als eine unbestimmte Menge der gemeinen Kerle, die keine reprasen- table Summe vertreten. Die Leute sind eben vollstandig gleich, aber das Vermogen ist verschieden und ihm entsprechend die Achtung. Das alle Grundsatze der Ehrlichkeit niederwerfende Ergebniss dieses Maassstabes der offentlichen Achtung ist (als letzte Folge des Grundsatzes der Gleichberechtigung Aller): dass aller vorhandene. Ehrgeiz sich die Erwer- bung des einzigen bestehenden Elementes der Ach- tung, namlich des Reichthums als Ziel stcckt. 352 Wenn Fahigkeit und Ehrgeiz aber in das Lager der Cor- ruption getrieben wer-den , weil diese allein ihnen Anerkennung und Achtung verspricht, ist es zu verwundern, wenn diese um sich greift und alle bestehenden Schranken wie morsche Wande iiber den Haufen wirft? Die UnertrUg-lichkeit der lerrschenden EigeuthumsYerhUltnisse. Diese letzte und unmittelbare Hauptursache der Corruption ist eine Folge des Zusammenwirkens der beiden in den vorhergehen- den Abschnitten behandelten Momente. Und die Unvertraglichkeit der Freiheit mit der Gleichheit aussert sich auch in der Anwen- dung dieser beiden Principe auf die Eigenthumsverhaltnisse. Bcide aber widerstreben der Anerkennurg von Vermogerisrechten, die sich auf keine andere Basis griinden, als jene des zufalligen Gliickes. Kein Zweifel, dass die logische Folge der Gleichbe- rechtigung beider der reine, unverbliimte Communismus ist, der alles Privateigenthum wie alien Privaterwerb abschafft und Jedem einen gleichen Antheil an die durch die Gesammtarbeit aller Menschen erzeugte Totalsumme von Arbeitswerthen zuweist und zwar zum sofortigen Verbrauche, denn jede Aufstapelung eines Theiles der heutigen Ration eines Einzelnen auf morgen , wiirde am folgenden Tage eben dem Betreffenden einen grosseren Antheil an den Giitern dieser Erde geben, also das Princip der Gleich- berechtigung verletzen. Dass eine solche Durchfuhrung des Grund- satzes der Gleichberechtigung nur durch vollkommene Aufhebung jedweder Spur von Freiheit" zu erreichen ware, ist eben so klar wie dass sie jede noch besteheLde Achtung vor dem Eigenthum mit Stumpf und Stiel auszurotten strebt. Die Partei des Communismus be- steht, ist organisirt, hat Schlachten geschlagen und zeitweilig auch Siege errungen und es muss zugestanden werden, dass sie beinahe die einzige ist, die offen, ehrlich, ohne Heuchelei von ,,Liebe gegen die Feinde" ihr Ziel namlich: Krieg bis zur Vernichtung des Privateigenthums ! auf ihr Banner geschrieben und dasselbe kuhn im Felde entfaltet hat, im festen Vertrauen auf die eigene Kraft, Aber beinahe ebensosehr, wie die jetzt bestehenden Eigcn- 353 thumsverhaltnisse dem Grundsatze der Gleichberechtigung wider- streben, sind dieselben mit dem Grundsatze der Freiheit unver- einbar. Dcnn nach diesem ware strenge genommen jeder Einzelne nur zu den Ergebnissen seiner eigenen Thatigkeit berechtigt, Pri vateigenthum lediglich durch Leistungen erwerblich u n d jede andere Art des Erwerbs von Pri v a tei genthum ungehorig. Alles Eigenthum lasst sich jedoch auf zwei Entstehungsquellen zuriick- fiihren: 1) auf die in der Natur selbst vorhandenen Werthe und 2) auf deri Mehrwerth, den die menschliche Arbeit diesen Natur- \verthen verleiht; da nur lediglich letzteres Erzeugniss der Arbeit des Einzelnen sein kann, so muss logischerweise der Grund- satz der Freiheit verlangen, dass alle Privateigen- thumstitel, soweit sie sich auf die Werthe der zwei- ten Classe erstrecken, nur durch die Arbeitsle i s t ung der Einzelnen erworben werden konnen. Die Werthe der ersten Classe hingegen werden uberhaupt nicht durch Arbeit erzeugt, sondern soweit sie in der Natur vor- handen, nur von der Gesellschaft als Ganzes in Besitz genommen und behauptet und zwar einzig und allein durch Machtentfal- tung, durch gewaltsame Verdrangung und Zuriickhaltung anderer, concurrirender menschlicher Gesellschaften. Die Gerechtigkeit verlangt demnach, dass die Vertheilune des Privat- gutes an jeden Einzelnen in demselben Maasse statt- finde, in dem der Betreffende zur Erwerbung des Gesammteig*enthums durch seine eigene Macht beige- t rag en. Merkwiirdig, dass die meisten Schriftsteller an dem Gedanken festhalten, der einzige Entstehungsmodus des Ei- genthums sei die Arbeit, und gar nicht zu bemerken scheinen, dass weitaus der iiberwiegende Werth alles beste- henden Eigenthums in gar keinem Erzeugungsverhaitnisse zur ..Arbeit" steht. Freilich f'iihrt dies zur hochst unlieb- samen Entdeckung, dass, was man die ,,unsittliche Anwendung roher Gewalt" nennt, namlich die r Machtentfaltung" es 1st, wel- cher das meiste Eigenthum entwachsen ist. Letzteres ist wesent- lich jenes, welches einen dauernden Werth beansprucht. Die Arbeit im Gegentheil vermag auch nicht das Geringste zu erzeu- gen, indem jedes Eigenthum ohne alle Ausnahme einen von der Macht in Besitz genommcnen Naturwerth vorstellt, des sen Form nur die Arbeit verandert. Wie aber diese Formen ver- ganglich, so konnen auch die Bemuhungen der Arbeit ausschliess- lich nur vergangliche Eindrlicke hinterlassen und die grosse Masse aller menschlichen Arbeitsprodukte werden in der That beinahe eben so schnell aufgebraucht als erzeugt, Hieraus ergiebt sich das Triigerische der Behauptung, Capital" sei eine Aufhaufung 45 354 von Arbeit. Beinahe der Gesammtbetrag jedes Capitals ist viel- mehr und alle permanenten Capitalwerthe sind einzig und allein unvergangliche Naturwerthe, die lediglich von der Gesellschaft gewaltsam in Besitz geiiommcn und an die Einzelbesitzer verliehen worden sind. Noch nie hat auf der "Welt ein anderer Rechts- titel fiir Grundbesitz z. B. bestanden, nocli ist es moglich, dass jemals ein anderer bestehen konnte , als der vom betreffeaden Staate verliehene Gcwalttitel. Der beharrliche negative Widerstand gegen diesc Erkeimt- niss crklart sich daraus, class dieses permanente Eigenthum heuti- gen Tages den Machtverhaltnissen der vergangenen Zeit entspre- chend an die Einzelbesitzer verthcilt ist. Vielen sind aber in der Gegenwart die nothwendigen Machtmittel ablianden gekommen und sie suchcn desshalb auf jegliche Wcise den Augenblick einer den heute bestehenden Machtverhiiltnissen entspreclienden Besitzreguli- rung hinauszuschieben. Dies bezieht sich namentlich auf den durch Macht erworbenen aber seitdem machtlos gewordenen, erb- lichen Grossgrundbesitz, dessen Widerstand allein freilich schon ganz ungeniigend ware ohne die Bundesgenossenschaft des specu- lativen Eigenthums. Denn die Speculanten, die ihr Eigenthum weder der Macht nocli der Arbeit verdanken, sind natiirlich auf's Hb'chste an der Erhaltung der vorhandenen Eigenthumstitel in- teressirt. Desshalb verfechten Beide die Heiligkeit nnd Unantast- barkeit des Eigenthuras und stemmen sich gegen die Eiiifiihrung neucr Normen, seien dieselben im Interesse der Gleichberechtigung d. h. des Communism us oder der Freiheit d. h. des Arbeits- oder Macht verdienstcs. Darum tragt die nach Speculationseigenthum gierige Menge allenthalben das Motto der Freiheit und Gleich- heit" auf dem Schilde. Denn da, wie eben gezeigt, Freiheit" und ,,Gleichheit" sich gegenseitig ausschliessen, setzt die versuchte Durchfuhrung der Freiheit" die Gleichheit ," die versuchte Durchfuhrung der Gleichheit" die w Freiheit" schachmatt und bei diesem hin- und herwogenden Zwickmiihlspiele ist die blinde Laune des zufalligen Gliickes einzig maassgcbend. Sie aber ist das Mistbeet der Speculation, aus welcher die in der modernen Gesellschaftsphase sich sammelnden Einzclvermogen zu riesiger, ungesuiider Hohe und strotzender Ueppigkeit emporwuchern. In den Verciiiigten Staaten, wo die Classe der Speculanten nicht nur die gauze Geschaftswelt einschliesst, sondern wo sogar der grosste Theil der Arbeiter und ein nicht geringer des Bauern- standes von den gros&en Loosen der speculativen Lotterie ge- blendet ist, gab es bisher nur Wenige, die nicht fest glaubten, sie wiirden sich eincs Tages im gewonnenen Golde walzen. Immer diesem Irrlichtc nacheilend, sympathisirten alle diese Zukunfts- Millionare mehr mit der Ausdehnung der Privilegien und des 355 Einflusses der Reichen, als mit ihrem eigenen Stande, dem sie ihrer Meinung nach nur ganz zeitweilig angehb'rten. Hierin liegt ein wesentlicher Grund, warum jeder Versuch der immer grosser und grosser werdenden Beeinflussung aller gesctzgebenden Gewal- ten und Regierungsbehorden zu Gunsten der ausbeutenderi Mono- pole Schranken entgegenzusetzen so wenig Anklang im Yolke fand. Der speculirende Geschaftsmann, Handwerker, Arbeiter und Bauer wiinschie solche Schranken nicht, weil er sicli in seinen Traumen eben schon als Millionar betrachtete und sich als solcher durch derartige, zu Gunsten des Volkes errichtete Schranken be- engt fiJhlte. Zugleich aber erklart dies auch den Misserfolg der communistischen Schule in der Union bis in die jiingste Zeit. Der Speculant, der sich nach Millionen sehnte, erblickte in der vom Communismus angebotenen Zusicherung seiner taglichen Ration eine eben so freche Yerhohnung seiner Wurde als Millionar, als ob er besagte Million schon in der Tasche hattc. Dass dies die richtige Erklarung der vergleichsweisen Einflusslosigkeit dieser Lehre war, geht daraus hervor, dass, seitdem die fortwahrende Verschlechterung der Geschaftslage die Aussichten der Spcculanten fiir die Zukunft weniger rosig farbte ^ der Communismus rapid an -Anhangern gewann und heute beinahe in sammtlichen grbsse- ren Sta'dten al/5 organisirte Macht dasteht, dcreii Legionen rasch zu Heeren anschwellen. Dem keltisch-romanischen Instiricte be- hagen iibrigens die communistischen Ideen, \vahrend dem germa- nischen Racengeistc mehr das Princip der ,,Frciheit," wie wir es oben auseinandergesetzt haben, entspricht, und dieser fangt endlich an, sicli zum Kampfe gegen die Ausbeutung durch die ziigellose Speculation zu riisten. In den Organisationen der Bauern des Westens bildet sich jene Wolke, die als vernichtendes Wetter das Kartenhaus der ,. Alles wic es gehen will -- gehenlass'en- den" Freiheit zusammenschlagen wird. Es sind die crsten in den Yereinigten Staaten gegrundeten Organisationen, die eine, vor- liiufig noch instinctive, aber darum nicht weniger machtige Ahnung davon haben, dass Rechte Pflichten bedingen. Aber die sich in den communistischen Vereinen der (vor- wiegend ostlichen) grb'sseren Stildte und den Baucrnclubs der (vorwiegend westlichen) Landgegenclen herausbildenden Keime einer zuklinftigen festen (d. i. ,,sittlichen") Narmirung der Eigen- thumsverhaltnisse nehmen nicht die bedeutende Auzahl des bishe- rigen Speculanten in sich auf, ein Paar ausgenommen, die in jenen beginnenden Parteibildungen Einfluss erringen wollen , urn im Triiben zu fischen. Vorwiegend rekrutiren sich dicse Organisatio- nen aber aus jenen stadtischen Arbeitern und Landleuten, die noch am wenigsten von den Einfliissen der Speculation selbst angesteckt, doch unter dem Drucke der speculativen Ausbeutung 356 leiden. Die Entriistung tiber dicsen Druck ist indess so gross, dass die Achtung vor der Heiligkeit dcs Eigenthums sogar unter ihnen, bei denen diese Idee bisher so recht eigentlich heimisch war, ganz und gar wenigstens in alien Fallen zu schwinden beginnt, wo nicht augenscheinlich das betreffende Vermogen in gewissem Maasse durch Arbeit erworben. Alle grosseren Privatver- mogen aber sind nicht auf diese Weise entstanden. In der langsameren Entwickelung Europa's ist ihre urspriingliche Entstehungsweise meist hinter dem Schleier der Vergangenheit verborgen, und die auf der Hand liegenden Falle eines schnellen, miihelosen Erwerbes sind nur ausnahmswrise vorhanden. Ganz anders in den Vereinigten Staaten ! Dort existirt beinahe gar kein grosseres Vermbgen, das .nicht wahrend der deutlichen Beobachtung der noch gegenwartig lebenden Generation sich an- gesammelt hatte. Ueberall leben Leute, die den gegenwartigen Geldfursten oder dessen Vater noch als ihren Collegen gekannt, die ganz gcnau wissen, wie er einmal in einer Pelzhandclspecu- lation auffallend vom Gllicke begiinstigt wurde, das sich in einer Theespeculation in noch auffallenderem Maasse wiederholte, dass das Grundeigenthum, welches mit den Gewinnstertragen, die das Gliick auf diese Weise in die Tasche des Betreffenden geschiittet hatte, gekauft worden w r ar, im Laufe einer Generation seinen "Werth verhundertfachte und so das Vermogen entstanden, welcheiS sich auf eine nicht genau bestimmte Anzahl von Zehnmillionen beziffert Oder sie haben in noch neuerer Zeit Falle dutzendweise gesehen, wo solche Grosscapitalien nur durch die gliickliche Ausbeu- tung des allergewb'hnlichsten Lobbyeinflusses erworben , d. h. geradezu von bczahlten gesetzgebenden Spiessgesellen dem Volke abgenommen und dem Geldfiirsten nach Abzug der gebuhrenden Spesen jener Ehrenwerthen " in die Tasche gesteckt worden sind ! Unausbleiblich muss mit solcher Kenntniss die Achtung vor dem Eigenthumsrechte bei der zufallig weniger gluckbegiinstigten Menge dahinschwinden. Dazu tragen seltsam genug noch jene moralischen Schriftlein besonders bei, in denen die fromme Welt ihrer glaubigen Jugend die Lebensgeschichte der self-made (der selbstgemachten) Manner vorlegt und w r orin in alter Ausfiihrlich- keit erzahlt wird, wie Astor, Vanderbilt, George Law, Crocker und schliesslich vielleicht auch Jay Gould oder gar Jim Fisk ihre Millionen erwarben, und dem strebsamen Jungling empfohlen wird, in die Fusstapfen jener grossen Manner zu trcten. Der strebsame Jungling tritt denn auch zwanzig Jahre lang oder langer in ihre Fusstapfen, macht wahrend der Zeit ein Dutzend Bankerotte und kommt mit reifender Lebenserfahrung ganz allmah- lig zur Ueberzeugung, der gepriesene Held des Erfolges miisse ein 357 von Gott besonders auserwahltes Gliickskind gewesen sein. Wie aber die angefiihrten Beispiele verftihrerischer wirken, als von Solchen, die in den erblich reichen Classen Europa's von vorn- herein unter anderen Umstanden aufwuchsen, so wirken sie auch um so verderblicher auf die sittlichen Ansehauungen, weil es eben dem Vernunftgrundsatze der Billigkeit, dass Gleichem Gleiches folgen miisse, mehr widerspricht, wenn erst erkannt wird, dass der Aufschwung des gepriesenen Musterhelden nicht seinem Fleiss, seiner Redlichkeit, seiner Intelligenz, kurz seiner Tuchtigkeit zu verdanken, als vielmehr der blossen Laune des Zufalls. Am meisten aber empfindet diese Ungerechtigkeit des Him- mels grade der als frommer Jiingling aufgewachsene ungliickliche Speculant; in seiner Emporung fiihlt er sich gerechtfertigt, jede Gelegenheit zu ergreifen, der tiickischen Ungunst der hoheren Machte durch eigenmachtiges ,,Corrigiren" des Gliickes, durch Bei- seitesetzen aller Ehrlichkeit und Moral ein Schnippchen zu schlagen und auf diese Weise den ihm zukommenden Antheil der Giiter dieser Welt in seinen Besitz zu bringen. 1st ihm das ge- lungen, nun so verbietet ja die Moral des Jahrhunderts jede Untersuchung iiber das ,,Woher" des in seinen Handen befindli- chen ,,heiligen" Eigentliums und respectirt ihn , den glticklichen Besitzer, als sehr achtungswerthen Gentleman. Die vorhandene Unzahl verkommener Speculanten macht den Kampf um die Er- reichung der Gelegenheiten, die ein Corrigiren des Gliickes erlau- ben, der Stellen, in denen Etwas zu machen, immer desparater und in der Auswahl der Mittel immer weniger wahlerisch, ihre An- \vendung immer verwegener. Scheute friiher die Speculationssucht der Yankee's -vor Diebstahlen zuriick, so dass diese ausserst selten \varen, so mehren sich in den letzten Jahren die Cassen-Berau- bungen seitens ihrer Hiiter in solchem Maasse, dass es allgemach n Sitte" der Cassiere zu werden scheint, einen erklecklichen Theil der Gelder ihrer Principale einzustecken. Gewohnlich folgt dieser Procedur ein Compromiss, wobei der Defraudant gegen eine ehren- hafte Entlassung und brillante Empfehlung seiner Fahigkeiten zehn bis fiinfundzwanzig Pro cent der angeeigneten Summe zuriick- zuerstatten sich herablasst. Das sittliche Gefiihl des Volkcs em- port sich um so weniger gegen derartige ^Gebrauche," als es ja Ueberzeugung geworden, dass die grossen Vermb'gen den Gewinnen am Spieltische ganz gleich, und wer sich behufs solchcn Corrigi- rens des Gliickes anstrengt und den Kopf zerbricht, eben so viol wirkliche Arbeit behufs Erwerb des aunexirten Gutes verrichtet und demnach im Grunde genommen ein grade so gutes ,,moralisches" Rccht auf dasselbe habe, als der bestohlene Speculant selbst. Dass die Corruption in aller und jeder Gestalt mit dem immer mehr iiberhandnehmenden Einflusse solcher Ansichtcn immer 358 grosser anschwellen muss, ist um mich des Lieblingsbeweises der Freiheits- und Gleichheitsschule zu bedienen ,,selbst- verstandlich. " Wir haben in unseren Erb'rterungen zu zeigen gesucbt, dass die iiberkommenen Anschauungen von Sittlichkeit und Moral schon von der folgerechten Entwickelung jeder einzelnen der auf- gefuhrten Ursacheii iiber den Haufen geworfen oder docli wenig- stens sehr stark erschuttert werden miissen. Wenn aber jede einzelne Ursache schon einen solchen machtigen zerstorenden Ein- fluss ausiibt, ist es ein Wunder, dass ihrem gleichzeitigen Zu- sammenwirken Nichts zu widerstehen im Stande? Ist es ein Wunder, dass die Corruption immer ^keeker und keeker ihr Haupt erhebt, Alles ergreift, sich in alien Beziehungen des Lebens gel- tend macht, und mit sicher vorwarts?chreitendem Tritte auch in die entlegendsten Winkel des Landes, ja sogar in "die abge- scblossensten Statten des hauslichen Heerdes eindringt und sich heimisch macht? Ist es ein Wunder, dass sogar die unter ihrem Drucke seufzenden und sich nach der dahingeschwundenen Ehr- lichkeit und Sittlichkeit zuriicksehnenden Massen des Volkes der immer grb'ssere Krcise ziehenden Welle ihrer Ausbreitung rathlos gegeniiberstehen ? Ist es ein Wunder, dass die inteJligentesten und die Lage der Dinge auf's Tiefste bedauernden Kopfe diese Rathlosigkeit nicht nur vollkommen thcilen, sondern sogar sich der allertrubsten Auffassung der Dinge hingebcn? Die Wahrheit ist, das ein helfender Eath sich iiberhaupt nicht geben lasst. Der vor sich gehcnde Process ist ein natiirlicher, untcr den obwalten- den Umstanden unvermeidlicher, und ein cities Beginnen ist's, sich ihm entgegcnzustellen ! Der Ball ist im unaufhaltsamen Niederrollen begriffen, wachst immer mehr und mehr und \vird zur Alles zerdriickenden, niedcrschmctternden Lawine, die erst dann das Ende ihrer verheerenden Laufbahn erreicht, wenn im Thale angelongt, von der allgewaltigen Wucht ihres eigenen Sturzes in Stiicke zerstoben, die wiirmende Sommersonne sie verzehrt. Aufzuhalten ist dieser Process also nicht! Sittenreinheit und Sittlichkeit werden erst dann wicderkehren, wenn die Cor- ruption selbst die Corruption im morderischen Kampfe besiegt hat. Unverganglich ist der Grundsatz der Ehrlichkeit, aber nur durch den vernichtenden Kampf der Spitzbuben gegen einander, durch ihre gegenseitige Abschlachtung gelangt er immer und immer wicder zum Siege ! VerlockenJ wird immer die Lehre der Gleich- berechtigung dem Unterdriickten diinken, aber der dadurch hervorge- rufene Kampf Aller gegen Alle. der jede Ruckslcht bei Seite wirft, bringt in seinem \-erlaufe von selbst wieder die Machfigen an die Spitze und macht der Gleichberechtigung ein Ende, indem 359 diese den errungenen Sieg in gesctzlicher Form befestigend, an Stellen der alten von der Gleichberechtigung uberwaltigten "Unter- driickung eine neue setzen. Ich babe unterlassen unter den oben angefiihrten Ursachen der Corruption eine anzuftihren, die sicberlich auch in gewisser Beziehung einen Einfluss uuf ihre Entwickelung ausiibt. Freilich liesse sich dariiber streiten, ob dieser Einfluss gut oder schlecht sei. Es ist dies die Entwickelung der Freiheitsideen selbst, die unzweifelhaft jeder personlichen Dienstarbeit abbold ist. Ein be- deutender Theil der Errungenschaften unserer modernen Civilisa- tion besteht aber in Bequemlichkeiten, die nur so lange genossen werdcn konnen, als eine dienende Classe sie einer herrschenden liefert. Dass die Diener aber sich zu derartigen Arbeiten her- geben, berulit wesentlich auf der Gewohnung, die den vergangenen Geschlechtern ihrer Vorfahren durcli wirklichen, physischenZwang eingeirapft und von jenen auf die Nachkommen libertragen ward. Das einzige Zwangsmittel, welcbes gegenwartig in civilisirter Gesellschaft zu Gebote steht, ist aber Hunger und Entbehrung. Nun zeigt die Thatsaclie in Amerika, wo schon wirklich ein Ge- schlccht vorhanden, welches mehrereGenerationen freier Vorfahren zahlt, dass Hunger und Entbehrung keineswegs genugen, um diese Menschen zu Dienstleistungen zu bewegen, die ihrein persb'nlichen Freiheitsgefiihl irgendwie widerstreben. Solches betrifft nament- lich die personlichen Dienstleistungen. "Weder Manner nochFrauen der Eingebornen geben sich dazu her trotz glanzender Entlohnung in ein Dienstbotenverhaltniss zu treten. Sie unterwerfen sich lieber jeder Entbehrung, unterziehen sich sogar der hartesten Arbeit in irgcnd einem anderen Verhaltnisse, welches ihre personliche Frei- heit achtet oder gehen zuGrunde. Wenn man, wie oft geschieht, diesen Charackterzug einer Unlust zur Arbeit zuschreibt, thut man nicht nur den Amerikanern Unrecht, sondern misskennt die wahren, hinter der Abneigung zur Arbeit liegenden Griinde. Es ist ersichtlch, dass wenn dieser, namentlich den germanischen Bevolkerungen innewohnende Freiheitszug eine weitere Ausdehnung gewanne, sich mit der Zeit eine Reform des Arbeitswescns und der ganzen socialen Zustande herausbilden miisste, die mit alien personlichen Dienstleistungen, dem Gesindewesen hauptsachlich, aufraumen wiirde. Dies ware unfehlbar jedoch der Ruin fur viele Luxusgenusse und auf deren Befriedigung gerichtete Kunstzvveige; die Civilisation miisste in dieser Hinsicht einen bedeutenden Ruckschritt erleiden. Die Frage ist nur, sind diese Zweige 'wesent- liche Factoren der Civilisation oder nicht? Die Frage ist unge- lost und wird es vorlaufig wohl bleiben. Meiner Ueberzeugung nach beantwortet sie aber in Amerika der germanische Volks- geist schon jetzt dahin: dass nutzliche, das Leben derMassen be- 360 quemer gestaltendc Erfindungen von ganz ungeheurer Wichtigkeit seien ; die reine Kunst, die nur fur die abstrakte Bewunderung arbeitet, gilt ihm dagegen kaum als etwas Anderes, denn als - werthlose Schnurrpfeiferei ! Der Amerikaner, der jede Er- findung, die die hauslichen Bequemlichkeiten erhoht, in seinem Heim einfiihrt, dessen Wohnung so reinlich und sauber wie die der stammverwandten germanischen Hollander, legt auf deren ab- strakt kiinstlerische Ausschmiickung nicht den geringsten \Yerth. Ganz anders ist in dieser Beziehung der Gescbmack des Siideuropaers. Der Italiener bewundert in der That Kunstwerke, die der viel besser unterrichtete Deutsche gleichen Standes nicht ernes Blickes werth erachtet, aber dieser selbe Kunstenthusiast wohnt in einer schmutzigen Hohle, in die ein Mensch ger- manischen Stammes kaum fur zeitweiligen Aufenthalt hinein kriechen \viirde und neben seinen bewunderten erhabenen Kunstwerken wird die Nase des germanischen Beschauers von dem Dufte eklen Kothes beleidigt. So ist der Geschmack verschieden, ihm gemass sind die Civilisationen der Volker verschieden, und es diirfte an der Zeit sein, beim Vergleichen verschiedener Culturen alle diese Faktoren in Betracht zu ziehen und deren Hohe nicht allein an der grosseren oder geringeren Yollendung einiger Kunst- werke abzumessen. Ich habe in dieser Auseinandersetzung die corrumpirenden Einfliisse des Negerelementes nur voriibergehend beriihrt, weil die Wirkung dieses Elementes, wenn es nicht in Fesseln geschlagen und zum Gehorsam gezwungen, auf die staatlichen Schopfungen der weissen Race nicht sowohl als corrumpirend, sondern gerade- zu als z erst 6 rend zu betrachten ist. So verschieden die ethni- schen Elemente der Weissen unter sich sein mogen, so besteht in ihren sittlichen Auffassungen doch immer noch eine gewisse Uebereinstimmung in Richtung und Ziel. Aber zwischen den An- schauungen des Weissen und den sittlichen Gefiihlen des Negers ist der Gegensatz so gewaltig, dass beide Sittensysteme die ab- stossendste Wirkung auf einander iiben. Das so vollkommen fremde, widerwartige Wesen des Negers dient der jungen Gene- ration der Weissen, deren Ideen erst gebildet \verden sollen, nimmermehr als gefahrliches Beispiel, sondern erregt vielmehr schon bei den Kindern Abneigung und Hass. Wenn die anderen Elemente der Bevb'lkerung gewissermassen mit hiilfreichen Handen in die Rader des Staatswagens greifen, urn ihn auf seinem Wege voranzuschieben, und das Gefiihrt vom Wege ab und in den Graben gerath, weil eben die Krafte nicht ganz gleichmassig, noch in einer Richtung hinwirken, so packt der Negcr dagegen so ungeschickt in die Gesetzesspeichen des Fuhrwerkes, deren ganzes Wesen und deren Zweck er gar nicht zu verstehen scheint. 361 dass er sie, wo er dazu kraftig genug, gradezu zerbricht. Ich bin daher der festen Meinung, dass iiberall, wo der Neger seine jetzige Herrschaft zu behaupten vermag, im Laufe von wenigen Jahren die von den Weissen gegriindete Cultur in ihrem Wesen untergegangen sein und an ihrer Stelle nur noch eine bizarre Carricatur bestehen wird, die sich zu jener etwa so verhalt, wie eine Offenbachiade zu einem Schiller'schen Drama. Aber auch diese Civilisationsposse wird allmahlig einer ungeschminkten afrika- nischen Cultur a la Dahomey den Platz raumen. Der Gang der Entwickelung der Corruption in den Yerei- nigten Staaten ist also, meiner Ansicht nach , in Kiirze fol- gender : Die erste Colonisation bestand aus durchschnittlich gleich- formigen Bevolkerungen germanischen Stammes. Unter ihncn entwickelten sich in dem freien Raum und den Erwerbsverhaltnissen des ausgedehnten Gebietes freiheitliche Formen. Dies fiihrte zur widerstandslosen Einschmuggelung des von den franzosischen Stubentheoretikern erfundenen Grundsatzes der formellen Gleichberechtigung Aller. Dies brachte fremde und mit ihnen wesentlich ,,ungleiche" Bevolkerungselemente in's Land. Die freiheitlichen Staatsformen gaben cliesen Gleichberech- tigten die Gelegenheit ihre ,,ungleichen'' sittlichen Anschauungeri geltend zu machen. Zu gleicher Zeit erhohte das gewaltige Einstromen der ein- gewanderten Bevolkerung die natiirlichen Bodenwerthe in noch nie dagewesenem Verhaltnisse. Dies beforderte die Speculation und fiihrte zur Verachtung der Arbeit. Zu gleicher Zeit zersetzten sich durch gegenseitige Ein- wirkung auf einander die strengen sittlichen Anschauungen der ungleichen Volkselemente. Als endliche Folge ergab sich allgemeine Lockerung der Sitten, betriigerische Speculation, allc Kreise ergreifend, irnmer steigender Hang zu Luxus, Abneigung gegen alle und Verachtung aller Pflichterftillung , kurz der unter der falschen Flagge der Licbe und der Humanitat auf die riicksichtsloseste Weise gefiihrte Kampf Aller gegen Alle, des sen Form die allge- meine Corruption ist. 46 362 Muthmassungen iiber die Zukunft. In den vorhergehenden Kapiteln dieses Buclies haben \vir eine gedrangte aber getreue Schilderung der gegenwartig in den Vereinigten Staaten bestehenden Zustande sowie ihrer Entwicke- lung versucht. Wir zeigten, wie der oberflachliche Naturreich- thum bis zur Erschopfung ausgebeutet worden und wie aus Einfachheit sich Luxus, aus Sparsamkeit Yerschwendung, aus Ehr- lichkeit abgefeimte Betriigerei, aus Aufriclitigkeit Heuchelei und aus festen Ueberzeugungen charakterloser Wankelmuth sich ent- wickelten. Wir unterzogen das Warum dieser Entwickelung einer Priifung und bemiihten uns darzulegen, dass die ganze Wand- lung ein sehr natiirliches Ergebniss ist. Bind wir berechtigt, einen fliichtigen Blick in die Zukunft zu werfen? Denkt man an die Zahl der unerfiillt gebliebenen Prophezeiungen, so mochte man fast mit ,,Nein" antworten ! Und dennoch haben wir im Laufe unserer Untersuchungen in sehr wenigen, sonst vereinzelten Fallen Betrachtungen fiber die Zukunft gefunden, die mit vollem Rechte verdienen, Seherblicke genannt zu werden, da sie immer und iiberall sich fast buchstablich er- fiillt haben. Schon sind Jahrhunderte verflossen, seitdem in eineni Staatswesen, das sich ebenfalls eine Republik nannte, Folgendes geschrieben wurde : ,,Staatenordnungen schreiten im Laufe der Wandlungen, die sich in der Regel mit ihnen zutragen, aus einem Zustande der Ordnung zu einem Zustande der Unordnung fort, und aus dieser Unordnung entwickelt sich mit der Zeit wieder Ordnung. Denn die Natur, die Nichts unter dem Monde unabanderlich gemacht hat, hat es so bestimmt, dass, wenn Etwas zu seinem Hb'hepunkt und zur grossten Vollendung, deren es fahig, gelangt ist, es nothwendigerweise wieder hinabsiriken muss Wenn es dagegen im tiefsten Abgrunde der diistersten Unordnung angelangt ist und ein weiteres Hinabsinken unmoglich gew T orden, erhebt es sich auf s Neue zu seiner friiheren Vollendung. Aus guten Gesetzen entwickeln sich" schlechte Gebrauche und die schlechten Gebrauche wiederum rufen gute Gesetze in's Leben. Denn die Btirgertugend erkampft den Frieden, der Frieden erzeugt bequeme Tragheit, ihr entwachst Gesetzlosigkeit und die Gesetzlosigkeit fiihrt zur Zer- storung des Bestehenden. Hinwiederum auf den Ruinen entsteht 363 gesetzmassige Ordnung, dem Boden der Ordnung entspriessen die Biirgertugenden und sie erzeugen von Neuem das Ehrgeftthl und erkampfen den Erfolg." Am Anfange unseres Jahrhunderts schon schrieb mit beson- derer Beziehung auf die Vereinigten Staaten, Einer der klarsten Denker: Aber da unter solchen Umstanden (namlich wo ausgedehnte Flachen wiisten Landes, das einen gewissen Grad von Frucht- barkeit besitzt, vorhanden sind) die Vermehrung der Bevolkerung durch Erzeugung sehr schnell vor sich geht, folgt der ge- ringsten Ursache, die in die Ernahrungsverhaltnisse hemmend eingreift, grosses Elend, wie z. B. wenn das unbebaute Land theurer wird, oder wenn die besten Theile desselben verkauft sind oder ilTrer Erwerbung sich Schwierigkeiten entgegenstellen. Von dem Augenblicke an, in welchem solch' ein Hinderniss sich einstellt, wird die verhaltnissmassige schlechte Lage eines solchen Volkes ebea so gross seiu, als die Thatigkeit und die energische Kraft gewesen ist, welche die Vermehrung der Bevolkerung be- giinstigt hat!" Das Einzige, was sich nicht in dem erwarteten Maasse erfiillt hat, die Vermehrung der Bevolkerung durch Erzeugung hat eben nur um deswillen der Vermehrung durch Einwanderung und Erzeugung Raum gegeben, weil die Concurrenz der einge- wanderten Arbeitskraft die Erzeugung und Erziehung einer ein- gebornen Arbeiterclasse, deren Lebensweise kostspioliger, zur Un- mb'glichkeit gemacht hat. Derselbe Denker sagt an einer anderen Stelle das Folgende, das namentlich manchon Staatsmannern, Philosophen und Ge- schichtschreibern zur Beherziguug zu empfehlen ist und auf die gegenwartige Lage und Zukunft der Vereinigten Staaten eine hochst zutrefferide Anwendung findet: ,,So lange irgend ein unzufriedener Mann von hervorragender Begabung im Stande ist, die niederen Classen des Volkes zu Uber- reden, dasB alle ihre Armuth und all ihr Elend einzig und all ein der Unbilligkeit der Regierung entspringen, obwohl viel- leicht der grosste Theil der Leiden, die sie ertragen miissen, mit dieser Ursache gar nicht zusammenhangt, ist es sicher, dass die Saat neuer Unzufriedenheit und neuer Umwalzungen fortwahrend ausgestreut wird. Sobald die eine Verwaltung gestiirzt ist und sobald die Massen finden, dass ihre Armuth nicht verschwindet, fallt ihre Rache naturgemass auf die Nachfolger in dem Besitze der Regierungs- g c w a 1 1 , und wenn diese wiederum geopfert worden sind, ohne den begehrten Erfolg herbeizufiihren, verlangt man nach weitereii Opfern und immer und immer wieder nach anderen. Haben wir 364 Grund in Erstannen zu gerathen, dass unter solchen Umstanden die Mehrheit der gut gesinnten Leute, die allmahlig gewahr wer- den, dass eine Regierung die den gehorigen Einschrankungen unter- worfen ist, nicht die Fahigkeit besitzt, sich gegen den Ansturm des umstiirzenden Geistes zu behaupten, und die durch die fort- wahrenden Veranderungen, deren Ende nicht abzusehen ist, er- miidet und erschopft werden, den Kampf in Verzwei flung aufgeben, und sich der ersten besten Macht in die Arme werfen, die ihnen Schutz gegen die Schrecken der Anarchic gewahren kann?" In den Vereinigten Staaten befindet man sich gegenwartig unmittelbar vor einer Umwalzung dieser Art, die in der wahr- scheinlich unvermeidlichen Niederlage der republikanischen Partei im Wahlkampfe des Jahres 1876 einen ganzlichen Wechsel in der Oberherrschaft herbeifiihren wird. Die weiterenEntwickelungs- phasen werden folgen, und das Endergebniss, dessen Heranbildung schon heute deutlich zu erkennen, nicht ausbleiben. Der Kreislauf muss sich erfiillen, und der Epoche der jetzigen Gesetzlosigkeit muss die Zerstorung der unniitzgewordenen Gesetzesformen und Yerfassungen deren Geist entflohen urn nur leere Worte und todte Papierwische zuriickzulassen , mit Naturnothwendigkeit folgen. Das alte morsche und wurmstichige Haus kann kein neuer An- strich mehr vor dem Zusammenbruche schiitzen. Es muss abge- rissen werden, damit Platz fiir den mit brauchbaren Materialien aufzufiihrenden Neubau entstehe. Es ist allerdings kaum wahrscheinlich, dass dieses Abreissen nach einem bestimmten Plane oder iiberhaupt mit bestimmten Bewusstsein stattfinden werde. Im Gegeiitheil, alle die verschie- denen Parteien die unter dem Dache des alten Hauses, das sie verehren, weil es ihnen friiher Schutz gewahrte und sie auf seine aussere Grosse stolz sind, in den verschiedenen Raumlichkeiten leben und wohnen, wollen dasselbe nur verbessern, die schadhaf- ten Theile entfernen, durch neue ersetzen, und auf solche Weise das Ganze reformiren. Bei diesem Werke arbeitet der Eine in diesem Winkel, der Andere in jenem, ohne Oberleitung und gleich- massigen Zusammenhang. Ohne einen fahigen Meister um Rath zu fragen, ohne sich seinem Willen zu fiigen, ohne sich im Ge- ringsten darum zu kiimmern, was Andere machen, reisst jede ein- zelne Partei in ihrem Gebaudetheile ein und erneut was ihr be- liebt. Sie bemerkt nicht, dass sie die wichiigen Verb and balk en, die allein das Gebaude zusammenhalten, zersagt, zerschneidet und herausreisst, sondern flickt so lange fort, bis auf einmal bei einem geringfiigigen Anlasse das ganze Gebaude aus den Fugen geht, in Trummern zusammensinkt, und die flickenden Parteien sammt der Arbeit ihrer Hande im allgemeinen Zusammenbruche erschlagt. 365 Zwar v\ 7 ird es an Hinweisen nicht fehlen, es sei besser das ge- meinsame Dach, als die Decke der einzelnen Zimmer zu erneuern, aber zweifelhaft 1st es, ob diese Meinuug durchdringen v^erde, noch zweifelhafter, ob die morschen, wurmstichigen Wande die Last des neuen Daches zu tragen vermogen, oder ob sie nicht vielleicht, gerade wenn man seiner Vollendung nahe zu sein glaubt, seinem Drucke nachgeben und zusammensturzen. 1st es uns geluugen nachzuweisen, dass es lediglich die von den verscbiedenen Elementen der Bevolkerung verschieden aufge- fassten Interessen waren, welche zur Parteienbildung fiihrten, und dass die sogenannten heiligen Principien niemals etwas Anderes gewesen, als die prunkenden Inscbriften der Schlachtfahnen, deren blendender Reiz den Enthusiasmus der gedankenlos folgenden Menge erregten, so liegt die Nothwendigkeit vor, fiir die Zukunft das Gleiche zu erwarten. Die Interessen und der dunkle Instinkt werden fortfahren, das Volk in Scblacbthaufen zu formen, und erfindungreiche Phantasten \vie immer die Fahnen mit blendenden Stichworten schmticken, sich und die jederzeit \\illfahrige Menge fiir das heilige Recht, das ihren Interessen entspricbt, begeistern, und zu den Todesopfern des Kampfes fortreissen. Dass unter den geschilderten Verhaltnissen die grossten Ur- sachen zur Unzufriedenheit existiren, ist ersichtlich. In der That ist dieselbe allgemein. Der Weisse des Siidens beugt sich nur zahneknirschend unter das verhasste Joch der Eroberer, wahrend der Neger, das blinde Werkzeug der Unterdruckung, vor der Rache und Yergeltung der Weissen zittert und gesteigerten Schutz verlangt, den nur erhohte Unterdruckung gewahren kann. Die Massen beider Elemente Leiden unter dem raateriellen Ruin ihrer Heimath. Der Bauer des Westens empfindet im hochsten Maasse den Druck des Schutzzolles und der Ausbeutung, der das ewig schwan- kende Papiergeld ihn unterwirft und verlangt Abhiilfe dieserMiss- stande. Gleichzeitig beklagt sich der Fabrikant im Osten uber die Wirkungslosigkeit des Schutzzolls, eine Folge des Einstromens unzahliger Concurrent en in die geschutzten Industriezweige, und verlangt die abermalige Erhohung desselben, um seine Fabriken wieder in Thatigkeit setzen und seinen Arbeitern Nahrung geben zu konnen. Der Fabrikarbeiter ist geneigt ihm beizustimmen, ist iibrigens \vie die gesammte Arbeiterklasse mit der nothwendig gewordenen Herabsetzung der Lohne aufs hochste unzufrieden. Dasselbe ist mit der Gesammtheit der Bevolkerung der Fall, deren Verdienste sich verringern. Zufrieden sind nur Solche, die in Beamtenstellen oder durch gewinnbringende Monopole die Friichte der Regierungsraubwirth- echaft geniessen. Sie und die von der Regierung Hiilfe begehren- 366 den Neger sind die einzigeii wirklich interessirten Anhangcr des gegenwartigen Eegime's und der Oberherrschaft der republikani- schen Partei, der die fanatisch puritanischen Secten nur noch in so weit eine bedingte Unterstiitzung gewahren, als sie geneigt ist, ihr Gewicht zu Gunsten ihrer religib'sen und Temperanzansichten in die Wagschale gegen die Einfliisse der liberalen Anschauungen und des deutschen Elementes zu werfen. Eine gleichfalls sehr bedingte Unterstiitzug erhalt die gegenwartige Regierung von den Anhangern des Schutzzollsystems die von ihr (durchaus nicht mit Unrecht) eine bessere Wahrnehmung ihrer speciellen Interessen erwarten, als von der Gegenpartei. Da aber der Bund zwischen Republikanern und Schutzzollnern nicht offen ausgesprochen ist, sondern nur thatsachlich und unter dem Deckmantel privater Ein- fliisse sich geltend macht, ist er unfahig die arbeitende Fabrik- bevb'lkerung dafiir zu erwarmen. Alle anderen Elemente hingegen treibt die Unzufriedenheit gemeinsame Sache gegen die herrschende Partei zu machen. Und obgleich Letztere iiber . wohl organisirte Legionen von Politikern verfugt, ist sie doch ausser Stande dieser Opposition ihro Organi- sation zu wehren, die deren Wahlsieg im Prasidentenwahlkampfe des Jahres 1876 beinahe zur Gewissheit macht. Schon wahrend der Organisation dieser Opposition, noch mehr aber nach errungenem Siege muss sich indess die innere Verschiedenheit ihrer Elemente herausstelleii. Denn es bestehen zwischen ihnen, deren Hauptmasse sich in vier Theile zerlegen lasst, namlich den Weissen des Siidens, den Bauern des Westens, der alten demokratischen, keltisch-katholischen Partei des Ostens und endlich dem deutschen Elemente, iiberhaupt nur zvvei iiber- einstimmende Ziige. Der erste dieser, die allgemeine Unzufrieden- heit, findet durch den Wahlsieg selbst eine vorlaufige Erledigung ; es muss also der zweite zur allein maassgebenden Grundlage ihrer nationalen Politik werden. Dieses aber ist, so paradox es klingt, gerade der giinzliche Mangel an Uebereinstimmung. Im gemein- samen Interesse, um die forrnelle Einheit herzustellen, miiasen dem- nach alle Elemente des Zwistes, d. h. alle wirklich wesentlichen Fragen aus dem Gebiete der nationalen Politik verbannt bleiben. Da aber diese Fragen doch in Angriff genommen werden miissen, so werden wohl sammtliche Elemente darauf bestehen, ein jedes in den verschiedenen Localitaten, wo es die Oberhand hat, seine Ansichten zur Geltu.ng zu bringen, wahrend die National- regierung nur die Pflicht hatte ruhig zuzusehen. Mit dieser For- derung ist das gemeinsame Princip dieser Oppositionspartei von selbst gegeben, Denn das ruhige Zusehen ist nichts als das schon seit Jahren als wahres Princip der Freiheit hingestellte laisser fairej laisser oiler. Hiernach ergibt sich als naturgemasses Motto 367 dieser Partei der blendende Wahlspruch, dem Millionen zu folgen geneigt sind, namlich ,,Freiheit und Staatenrechte" d. h. Lockerung der Centralgewalt und Erweiterung der Befug- nisse der Einzelstaaten. Dabei aber kann es nicht bleiben. Denn sobald jedes ein- zelne Element seine Herrschaft gesichert hat, wird es sich natur- gemass nach weiteren Eroberungen umschauen und seine An- sichten in der nationalen Politik zur Geltung zu bringen trachten. Dieses Resultat muss binnen Kurzem eintreten. Denn ein jedes der Elemente hat in einer speciellen Gegend eine so unbedingte Uebermacht l ), dass seiner vollstaridigen Oberherrschaft in seiner Heimath kaum Etwas im Wege stehen diirfte. Namentlich der Sliden wird mit der Negerherrschaft schnell aufraumen (mit Ausnahme von einein oder zwei Staaten vielleicht, die einen passenden Zufluchtsort, der beschaftigungslos gewordenen Neger- politiker und Schnappsackler abgeben mogen), und sobald gesetz- liche Ordnung wieder hergestellt ist, im Stande sein, ebenfalls die materiellen d. h. die okonomischen Fragen in's Auge zu fassen. Die okonomischen Fragen, d. h. die Schutzzoll- undPapier- geldfrage aber fiihrt die Siidstaaten sofort zur Vereinigung mit den Bauern des Westens, eine Vereinigung stark genug, um die Geltendmachung ihrer Ansichten innerhalb der Oppositionspartei vollstandig zu erzwingen und in der nutionalen Politik zu Yer- suchen. Das Parteiprogramm der Freiheit wird sich demnach dahin erweitern, dass es in vollem Einklang, mit jetzt geltenden Theorien, den Freihandel einschliesst. In der mit der Staats- schuldenfrage identischen Papiergeldfrage aber drangt das gemeinsame Interesse zu einer enormen Erhohung der Papier- geldcirculation. Denn diese hat mannigfache Vortheile. Erstens : erhoht sie wesentlich den Preis des Goldes. Mit diesem aber steigt sofort fur alle Produkte des Westens und des Siidens im couranten Papiergelde der Preis, den der Goldpreis in England regulirt, wahrend die Erhohung des Arbeitslohnes und desPreises der Industrieprodukte erst nachfolgt. In der Zwischenzeit ge- winnt der Bauer. Zweitens: wird dadurch die nothwendige Herabsetzung der Arbeitslohne nominell vermieden, indem derLohn sich anscheinend im Papiergelde nicht nur auf derselben Hohe erhalten, sondern noch steigen wird, wahrend nur der Einkaufswerth des Geldes in erhohtem Maasse sinkt, und dadurch die wirkliche in Ver- brauchswerthen ausgedriickte Verringerung des Lohnes zur Folge 1) Unter der wahrscheinlichen Voraussetzung, dass die Bauern des Westens und die Deutschen vorlaufig gieichfalls auf der Basis des Joieser faire, laisser aller, die Temperauz- und Sonntagsfrage an die einzelnen Gemeinden zur Erledigung iiberweisen. 368 hat. Diese aber bemerkt die arbeitende Classe weniger, wesshalb sie ihr willkommner 1st, als eine norainelle Herabsetzung des Arbeitslohnes. Drittens: hort dadurch der lahmende Stillstand in den Ge- schaften auf, indem eine allerdings fingirte, aber doch zu erhoh- tem Umsatze einladende Preissteigerung alles Eigenthumes eintre- ten wird. Viertens: ist es die leichteste Weise, den durch eine Her- absetzung oder Abschaffung der Eingangszolle hervorgebrachten Ausfall in den Staatseinnahmen wieder auszugleichen. Funftens : wcrden dadurch allein dem in den letzten Jahren tief in Schulden aller Art, privaten, communalen und staatlichen hineingerathenen Siiden und Westen die Geldmittel zu deren Til- gung gewahrt und einer ganzlichen Repudiation derselben vorge- beugt. Auf die namliche Weise ware die Vereinigten Staaten Schuld zu tilgen. Alle diese Griinde sind so machtig und einflussreich, dass ihr Vorwiegen in dieser Partei unausbleiblich. Als Sticliwort fur die Ausfiihrung dieser Maassregel wird sie die Gerechtigkeit, die Be- sitzer der Staatsschuldscheine und das Yolk selbst in gleichem Gelde zu bezahlen, und den unerschb'pflichen Reichthum der Ver- einigten Staaten, der die sichere Bezahlung des Papiergeldes in Zukunft gewahrleiste, anrufen; beide Argumente sind schon jetzt beliebt und finden heutigen Tages unter Millionen willigen An- klang. Ist der Ball aber einmal im Rollen, so fiihrt er von selbst zu immer grosserer Ausgabe von Papiergeld und der naturge- m'asse Abschluss ist die vollstandige Entwerthung desselben, die in einem dann ganzlich schuldenlosen Lande von selbst zur Wiederaufnahme der Hartgeldzahlungen ftihren muss. Dieses Programm aber ist nicht nur den Interessen der Fabrikgegenden, sondern auch aller Glaubiger schnurstraks zuwider. Der Osten, wo beide Klassen stark vertreten sind, diirfte daher voraussichtlich wieEinMann sich gegen dieses Programm auflehnen. Seine ganzen geschaftlichen Verhaltnisse wiirden durch die Auf- hebung der Schutzzollschranken auf's Empfindlichste erschiittert werden, wahrend nur der Importhandel mit dem Centrum New- York gute Geschafte machen wiirde. Wahrend in Folge dieser Umstande die demokratische Par- tei der Hafenplatze im Biindniss mit dem Siiden und Westen bliebe, ist es wahrscheinlich, dass der Rest der alten demokrati- schen Partei des Ostens, der in Wahrheit durch gar keine ge- meinsamen Interessen mit jener mehr verbunden, sich von ihr loslosen, und der als Gegenopposition wieder in's Feld riickenden alten republikanischen Partei anschliessen wiirde. 369 Diese Partei, auf's hochste in ihren materiellen Interessen angegriffen, ware gezwungen alle Elemente der Opposition urn ihre Fahnen zu vereinigen. Sie muss demnach das Programm der Partei der Frciheit imd Staatenrechte durch moglichste Betonung der Gegensatze in ihrem Interesse zu verwerthen suchen. Der Wiederherstellung der Ordnung in denSudstaaten gegen- uber, die nur durch Unterordnung des Negerelementes moglich, wird sie an dem alien Wahlspruche der Gleichheit und Gleich- berechtigung fiir Alle festhalten. Gegen dieErweiterung der Staatenrechte wird sie unter dem verlockenden Namen der Unionspartei an den nationalen Patriotis- mus und die Erinnerungen des Secessionskrieges appelliren. Die Eintracht zwischen den Bauern des Westens und den Deutschen wird sie durch Erhebung der puritanischen Temperanz- und Sonntagsdoktrinen zum nationalen Dogma der christlichen Kirchen und durch Forderung der Anerkennung desselben durch Civilgesetze zu storen suchen. Der theilweisen Repudiation durch Vermehrung des Papier- geldes wird sie durch Berufung auf das nationale Gewissen und die Ehrlichkeit zu begegnen- trachten. Zu alien diesen Zwecken, ganz besonders aber noch um die grossen Monopole und Eiscnbahncompagnien gegen die unter der Erweiterung der Staatenrechte unvermeidliche Regulierung im Interesse der Bauern zu schiitzen, wiirdc diese Partei eine bedeu- tenc'e Erhohung der Machtbefugriisse der Ccntralgewalt zu ver- langen gezwungen sein. Die beiden so entstehenden grossen Parteien wiirden also in ihren Principien-Bekenntnissen folgendermassen einauder gegen- liber stehen. Republikaner: Demokraten: 1) Die Gleichberechtigung Aller gegen die Freiheit. 2) Die Centralisation die Staatenrechte. 3) Das staatlich anerkannte } Christenthum | die Freiheit (religiose). 4) Der Schutz der heimischen ( ., die Freiheit. Industrie. (* (Freihandcl.) i ,, die Freiheit. 5 ) Der Schutz der Monopole > f . \ treie Loncurrenz. ) die Bezahlung durch das 6) EhrhcheBezahlungderStaats- nationale (Papier-) Geld ) d-UheilwciseRepudiation. 7) Die Geld- und Fabrikaristokra tie den Ackerbau. Eine solche Parteienbildung kanii nicht verfehlen, die Lei- 'denschaften .beiderseits bis zu ihrem tiefsten Gruncle aufzuregen. Denn nicht nur sind die Interessen so stark entgegengesetzt, dass 47 370 der Sieg der einen Partei mit dem materiellen Ruin der andern nahezu gleiclibedeutend ware, sondern der instinctive Racenhass wiirde darin bald zum vollkommenen Ausdrucke gelangen. Schon heute iiberwiegt das keltische Blut in den Fabrikbeschaftigungen und im Nordosten der Vereinigten Staaten , wahrend die Masse der Landbevolkerung des Westens germanischen Stammes ist. Die Bevolkerungsmassen wiirden sich der Hauptsache nach fol- gendermaassen gruppiren : Auf repu blikanis cher Seite: Auf de mokr at i sch er Seite: 1. Die reichen Classen derYankee- 1. Die landbauende, nicnt mehr bevolkerung und die fanati- fashionable Classe derYankee- schen Puritaner. bevolkerung. 2. Die Nachkommen der kelti- 2. Die Nachkommen des deut- schen Bevolkerung als Fabrik- schen Elementes. bevolkerung. ' 3. Die farbige Bevolkerung des 3. Die weisse Bevolkerung des Siidens. Siidens. Was immer das Resultat einzelner Wahlkampfe sein mag, es scheint mir unzweifelhaft, dass die zahere, ausdauerndere Macht auf demokratischer Seite zu finden. Die Republikaner, schon in ihrer ganzen Zusammensetzung auf straffe Centralisation angewie- sen, miissen immer mehr einer aristokratisch-monarchischen Ober- herrschaft entgegentreiben, um die in der autokratischen Organi- sation liegende Kraft sich zu Nutze zu machen. Dagegen wird die Demokratie die Centralgewalt immer mehr zu schwachen suchen, um sich gegen diese autokratischen Geliiste zu schiitzen und dies umsomehr, als die Wahlsiege der Staatenrechtspartei zu keinem entscheidenden Resultate ftihren wiirden, denn die National- regierung bliebe fortwahrend in bedeutendem Maasse der Beste- chung seitens der Geldaristokratie des Ostens wie der Einschuch- terung seitens des fanatischen Fabrikpobels ausgesetzt. Dieser Umstand wiirde die Achtung vor der Natiorialregierung allmahlig nicht nur auf Null reduciren, sondern sogar in entschiedene Ab- neigung verwandeln. Andrerseits konnten die Centralisten ebensowenig in den feindlichen Staaten des Siidens und Westens zur Geltung gelangen. Ueber kurz oder lang ware die im Besitze der nationalen Regie- rung befindliche Partei gezwungen, zu Gewaltmaassregeln zu schrei- ten, was aber bei dem fanatischen Hasse und dem allgemeinen unbandigen Charakter des Volkes unfehlbar den Biirgerkrieg zur Folge hatte. Vermb'chten die Centralisten im Felde den vollstandigen Sieg zu erringen, so wiirde dies die territoriale Integritat der Union und die Errichtung einer straifen, autokratisch-militarischen Central- gewalt nach sich ziehen. Ein solches Resultat ist jedoch ganzlich 371 unwahrscheinlich. Im Gegentheile scheint die kriegstiichtige Uebermacht so sehr auf der anderen Seite zu liegen, dass wenn diese eine straffe, einheitliche Organisation erhalten konnte, es ihr gelingen mbchte, den Osten ganzlich zu schlagen und zu unter- werfen. Aber auch dieses Ergebniss scheint unmbglich. Denn eg liesse sich eben nur durch Schbpfung einer autokratischen Central- gewalt erreichen und eine solche widerspricht grade den ganzen Tendenzen dieser Partei, sowie den Raceninstincten der ihr ange- hb'rigen Bevolkerung. Der Osten ist ein durch natiirliche Gebirge wohl geschiitzter, ziemlich dicht bevblkerter und an Geldmitteln reicher Landstrich, der zudem gut organisirt unter einer straffen, autokratischen Cen- tralgewalt stiinde. Eine totale Niederwerfung desselben ist daher aus territorialen Griinden schon sehr schwierig. Hochst wahr- scheinlich diirften die in einem losen Btindniss vereinigten Staaten des Westens und Siidens sich damit begniigen, den Osten aus der Agressive in die Defensive zu treiben und sich vor der Wiecler- holung nachhaltiger Angriffe zu sichern, dann aber sich, zum Zwecke zukQnftigen Schutzes gruppenweise, wie es die Gemeinsamkeit der Interessen und der geographischen Lage bedingt, enger an eineinder zu schliessen. Aus diesen Gruppen wiirden sich im Laufe der natiirlichen Entwickelung und in Folge der Nothwendigkeit einer militarischen Organisation Einheitsstaaten mit Verwischung der jetzigen geome- trischen Staatengranzen herausbilden und natiirlich um die kraf- tigsten Keime ansetzen. Als solche sehe ich an: ' . Im Nordwesten den Landstrich, in dessen Mitte Chicago liegt. Dort im nordlichen Illinois, im angrenzenden nordlichen Indiana und im Staate Wisconsin wohnt ein Yolk vorwiegend protestantisch-germanischen Stammes, bei dem das langere Durch- einanderleben der Elemente deutscher und englischer Zunge den Fanatismus der alten Puritaner heute bereits bedeutend abgekiihlt hat, so dass auf dem Lande beide sich ganz trefflich in einancler zu schicken anfangen. Gleichartigkeit der Beschaftigung erzeugt Gleichartigkeit der Interessen, und der allgemeine Verkehrsmittel- punkt Chicago bringt die verschiedenen Bcvolkerungen der einzel- nen kleineren Districte , die ohnehin in der weiten Prairieebene durch gar kein Verkchrshinderniss getrennt sind, in fortwahrende Beruhrung mit einander. Um dieses Centrum \vurde sich der Nord- westen formiren, Im Siidwesten bildet der Staat Texas schon jetzt beinahe ein Reich fiir sich, worm die nahezu homogene, acht siidliche Bevolkerung die vollkonimene Uebermachr'hat. Im Siidosten besitzt der Staat Georgia sowohl seiner ge- schlitzten Lage nach, als in seinen Bevb'lkerungs- und sonstigen 372 Verhaltnissen die entschiedene Uebermacht und wtirde das Centrum eines dort sich bildenden abgesehen von der Negerbevolkerung durchschnittlich homogenen Reiches abgeben, Die am atlantischen Meere gelegenen nordlichen Staaten miissten dem Charakter ihrer Volkselemente und ihrer ganzen Ent- wickelung gemass zu einer straff-centralisirten, autokratischen Or- ganisation ge]angen, in welcher das fanatisch-puritanische Element im Allgemeinen zur herrschenden Aristokratie emporstiege, wah- rend die Mehrheit der Volksmasse von keltisch-katholischer Ab- stammung sich einer glanzenden, militarischen Prunk enthaltenden, beinahe despotischen Regierung eben so willig fiigen wiirde, \vie z. B. die Franzosen. Dass die Staaten am Stillen Meere gleich Anfangs, sobald sich gezeigt, dass weder die eine noch die andere Partei einen iiberwaltigenden Sieg erfechten kann, ihre eigenen Wege wandeln, halte ich in Anbetracht des Umstandes, dass 1500 engl. Meilen wiistes Steppengebiet sie von den bevb'lkerten Gegenden des Mississippithales trennen, ftir unausbleiblich. Umsomehr als durch- aus keine gemeinsamen materiellen Interessen zwischen den beiden grossen Halften des Landes existiren. Zwischen den vier obengenannten Gruppen mochte in den ausgedehntcn Gebirgsdistricten des Siidens das unter sich beinahe homogene Bevblkerungselement der armen siidlichen Weissen um ihr natiirliches Centrum, das von Gebirgen umgebene grosse Thai von Osttennessee zu einer fiinften Gruppe sich entwickeln. In den Landstrichen zwischen diesen Gruppen ist die Be- vb'lkerung gemischter und in Folge dessen langerer Wirrwarr wahrscheinlich. Dagegen wiirden sich in den obengenannten Gruppen feste Ordnungen, den moralischen Anschauungen der iibermachtigen, beinahe homogenen Bevblkerungen entsprechend, bald herausbilden und im Schutze dieser wirkliche Nationen sich entwickeln. Wir setzen in diesem Zukunftsbilde das Zerfallen des jetzt bestehenden ungeheuren Reiches voraus. Dass diese Vorausse- tzung den gegenwartigen Ideen nicht entspricht und namentlich in den Vereinigten Staaten selbst nicht nur hochst unliebsam, sondern als Traum bezeichnet werclen mochte , macht uns in unserer Ueberzeugung von der Unvermeidlichkeit dieses Ereig- nisses nicht im Geringsten wankend. Allerdings ist es wahr, dass kaum irgend so oft und so viel an den Patriotismus appel- lirt wird, als in den Yereinigten Staaten und dieser Apell jedes- mal den grossten Beifall des Publikums findet. Aber dieser Patriotismus grlindet sich einzig und allein auf die Eitelkeit, die sich in dem Bewusstsein wohlgefallt, Burger des gi-ossten Landes der Welt zu sein, und ist vollig gegenstandslos. 373 Denn er entspringt nicht einer wirklichcn Gemeinsamkeit der Intercssen. Waren aber wirldiche gemeinsame Iiiteressen vorhanden, welche aufzuzahlen dem gliihenclsten Verehrer der amerikanischen Republik schwer fallen mb'chte, so sind sie von Aussen her nicht im Mindesten bedroht, noch 1st in Folge der abgesonderten geo- graphischen Lage ihre Bedrohung durch irgend eine fremde Macht auch nur moglich, Sie treten desshalb ganzlich in den Hinter- grund, wahrend den allein sichtbaren und beachtenswerthen Vor- dergrund lediglich die inneren Interessen des Reiches und seiner Bevolkerungen erfiillen. Dicse sind aber der Art, dass x es nur eine Classe giebt, die wirklichen Nutzen aus dem Bestehen der gegenwartigen Union zieht, namlich jene, die im Verbande mit der hcrrschenden Parteiorganisation die Ausbeutung des Gesamint- reiches systematisch betreibt. Ihr ist die Centralgewalt und eine moglichst starke Centralgewalt nur das Werkzeug, womit sie auf Kosten der anderen Theile des Yolkes Geschafte macht und sich bereichert. Diese, welche die grossen Sectionen des Landes bei- nahe ausschliesslich bevolkern, ziehen von der Centralregierung auch nicht den geringsten Yortheil, dessen sie -sich in einer unab- hiingigen Existenz nicht im gleich hohen Maasse erfreuen konnten, wohl aber den Nachtheil, einer hohen Steuerlast und systematischen Auspltinderung unterworfen zu sein. So lange allerdings werthvolle, unangesiedelte Landereien im Westen existirlen, bildeten Letztere ein Nationalvermogen, das an alle Individuen, die es begehrten, fortwahrend verschenkt wurde. Jedermann hatte demnach ein unmittelbares personliches Interesse an dem Bestande der Gesammtrepublik, der ihm semen Antheil am Gesammtvermb'gen sicherte. Gegenwartig stirbt dieses Interesse von nelbst ab, weil eben aller werthvolle Besitz in Privathande iibergegangen ist und die noch iibrige Nationaldomane aus meist werthlosen Steppen besteht. Das einzige wirklich machtige Band des Zusammenhanges, das zwischen der Bevolkerung des Westens und der b'stlichen Staaten noch vorhanden ist, entr.pringt lediglich und allein der Anhanglirhkeit des Menschen an das Land seiner Geburt. Hun- derttausende von Ansiedlern, die in den neueren Staateu, wie Kansas und Nebraska die Mehrheit der erwachsenen Bevolkerung bilden, hangen mit ihren Gefiihlen an ihrer Heimath in den ost- lichen und Neuenglandstaaten. Aber dieses Gefiihl stirbt rnit den ersten Ansiedlern aus, und in Staaten wie Illinois iiberwiegt schon heute bei weitem die Bevolkerung die den Neuenglandstaaten nicht mehr die Sympathie, Aclitung und Verehrung entgegentragt, welche ein Kind seinen Eltern zollt und worauf die gegenwartige Ober- herrschaft des Yankeeelementes der Oststaaten grosstentheils beruht. 374 \Vir halten desshalb dafiir, dass abgesehen von dieser rasch aussterbenden Heimathsanhanglichkeit und dem phrasenreichen Patriotismus, der sich in Hurrahschreien tmd Beifallgebriille meist grade desshalb so laut macht, well er weiss, dass wirkliche Opfer von ihm nicht verlangt werden, ein Band des Zusammenhanges nicht existirt, stark genug, den unvermeidlichen Kampfen der sich feindlich gegeniiberstehenden inneren Interessen Trotz zu bieten. Die einzige Wirkung des Patriotismus kann denmach eben die sein, dass jene in einer ostlichen Heimath gebornen Ansiedler sich vorwiegend der Centralisationspartei anschliessen, der ohnehin ihre Sympathien schon gehoren, \veil sie zumeist auch noch dem star- ren, fanatischen Puritanismus ihrer Heimath anhangen. Sicher ist iibrigens, dass dem Volke der Vereinigten Staaten binnen Kurzem keine andere Wahl iibrig bleiben wird, als zwischen einer starken Centralgewalt, machtig genug, die Regungen der feindlichen Interessen grade so zu unterdrlicken, wie sie gegen- wartig die Zwietracht zwischen den Weissen und den Schwarzen im Siiden zu unterdrlicken sucht, und welche die jetzt bestehenden Freiheitsrechte sehr bedeutend beschranken miisste, oder der Er- haltung dieser Freiheitsrechte, die nothwendig zur Auflosung^ der Union fiihren muss. Ohne eine durch ihre Macht achtunggebie- tende, zwingende Centralgewalt kann ein Reich von der Grosse der Vereinigten Staaten nicht existiren. Kein Zweifel iibrigens, dass eine Gelegenheit durch Anbinden mit einer fremden Macht, z. B. mit Spanien w r egen Cuba's oder mit England wegen Canada's den nationalen Patriotismus aufs Neue zur Gluth anzufachen, die Centralisten mit Freuden ergreifen wiirden , zumal der Krieg ihnen zugleich gestattete, der Centralgewalt eine starke Militar- macht zur freien Verfiigung zu stellen, Nach meinen frliheren Auseinandersetzungen, namentlich bei Beleuchtung der Parteiumtriebe erscheint es beinahe unniitz, uns mit der Frage : Ob Republik, ob Monarchic ? zu befassen. Denn dort zeigten wir, dass eine Herrschaft der Mehrheit unter der republikanische Regierungsform eben so wenig existirt, als unter der monarchischen und der ganze Unterschied nur auf die der personlichen Eitelkeit schmeichelnde Illusion hinauslauft, \vonach der freie Burger in einer Republik sich einbildet, selbst zu regie- ren, wahrend der Untcrthan des Monarchen weiss, dass er von anderen Leuten regiert wird. In beiden Fallen iiben die Regie- rungen in gleichem Maasse Willkur aus, die weder in dem einen noch in dem anderen die Grenzen, die ihr der dunkle Zug des Volkerinstinctes anweist, iiberschreiten kann. In der Monarchic wird die Willkur der Regierenden in gesetzlichen Formen und im Lichte des Tages ausgeiibt, wahrend sie sich in der Republik hinter dem Schleier der Heuchelei und der Nacht verbirgt. 375 > Dass die Freiheit in der Republik nur eine Illusion, beein- trachtigt ubrigcns deren Werth fiir ihre Anhanger durchaus nicht. Denn am Ende beruht ja alles Gliick, soweit es iiber die Satti- gung der leiblichen Bediirfnisse hinausgeht, auf lauter solchen Illusionen. So lange die Illusion mit den wirklichen Bedurfnissen nicht in Conflikt gerath, tragt sie unzweifelhaft zur Steigerung des allgeraeinen Gliickes der ,,Menschheit" bei. Und insofern ist die republikanische Staatsform allerdings der Monarchic weit vorzu- ziehen und wird immer der Menschheit als begehrenswerthes Ideal vorschweben. Aber mit der Verdichtung der Bevolkorung tritt allmahlig die Zeit ein, in welcher die Erwerbung der gewb'hnlichen Lebens- bedurfnisse so schwierig wird, dass die grosse Masse gezwungen ist, dem Interesse ihres Lebensunterhaltes alles Andere zu opfern, selbst ihre Illusionen von ,,Freiheit," ,,Menschenrecht" und ,,Men- schenwiirde," wenn sie dadurch eine grossere Moglichkeit erhalt, ihre blosse animalische Existenz leichter und besser zu behaupten. An dieser traurigen, aber gleichwohl unerbittlichen Nothwendigkeit gehen die Ideale zu Grunde und das staatliche Ideal der Republik zieht in dem Kampfe den Kiirzeren. Die Staatsverfassung mit einheitlicher, monarchischer Spitze siegt, weil sie die im Kampfe um die Existenz starkere Form ist. Ihr allein gelingt es, sammt- liche Krafte des Volkes zusammenzufassen, sie ohne Widerspruch nach einem einheitlichen Plane zu verwenden und zum Siege zu fiihren. Ihre Ueberlegenheit ist so gross, dass von jeher Repu- bliken nur da haben bestehen und sich behaupten konnen, wo naturliche Schutzmittel ihnen im Vertheidigungskampfe eine Macht gaben, die der iiberlegenen, monarchischen , Organisation die Wag- schale zu halten im Stande war. Solche Lander waren stets Lander von geringem Umfange, die, entweder durch Gebirge oder durch Meere bcschiitzt, natiirlichen Festungen gleichen. In ihnen kann die Republik nur darum bestehen, weil die Krafte der Be- volkerung nicht bis auf's Aeusserste angestrengt zu werden brau- chen. Kurz: die Republik ist eine Staatenform des ungestorten oder gesicherten Friedens, die Monarchic die Staatenform des Kampfes. Uebrigens ist es sehr wohl moglich, dass die Steigerung der Kraft, welche eine einheitliche monarchische Verfassung ge- wahrt, im Kampfe gegen aussere t Feinde schon bloss durch den Besitz einer grosseren Kriegstiichtigkeit und einer grosseren In- telligenz aufgewogen werde, und einem diese Eigenschaften besi- tzenden Volke, das von weniger kriegstiichtigen und einsichts- vollen Bevolkerungen umgeben ist, die Erhaltung der schwacheren, aber angenehmeren , republikanischen Staatsform moglich sein kann. 876 Hieraus ergiebt sich fiir die Aufrechterhaltung freiheitlicher, republikanischer Formen als nothwendig dor Besitz einer kriege- rischen Ueberlegenheit, liege dieselbe nun in natiirlichen Schutz- mitteln oder in Eigenscliaften der Bevolkerung selbst, welche die durch die Schwache der Staatsform verlorene Volkskraft aus- gleichen. Wenn demnach republikanische Formen mit einer grb's- serer Tiichtigkeit oder eii^er giinstigen Lage der unter ihnen lebenden Bevolkerung zusammenfallen , so hat nicht, wie das Principiensystem will, die republikanische Form diese Tiichtigkeit und giinstigere Lage hervorgebracht , sondern grade i.mgekehrt, diese Eigenschaften und Umstande haben die republikanische Form erlaubt. Und wenn die bequemere republikanische Form ihre Burger an grb'ssere individuelle Bequemlichkeit gewohnt hatto, wenn in Folge dessen die Tiichtigkeit abnahm, zerfiel mit der Eigenschaft, die der Grund ihres Bestehens war, auch die Folge d. i. die Form der Republik. Dies zeigt die Wichtigkeit nicht des bequemen Friedens, sondern der abhartenden Kriegstiichtigkeit fiir das Gedeihen der Formen der Freiheit. Die Geschiehte zeigt uns kein friedliches, den Kriegen entwohntes und dafiir untiichtig gewordenes Volk, das jemals unter den Formen der Freiheit gelebt hatte. Sobald die Kriegstiichtigkeit begann zu verfallcn, sobald das Aufgebot der freien Burger in freien Heerhaufen vereinigt anfing vor einem numerisch gleich starken, monarchisch orgariisirten und professionell disclplinirten stehenden Heere davon zu laufen, war es um die Form der Freiheit geschehen und die starkere und darum bessere Form des siegreichen Heeres, die Monarchic musste unter dem Gebote der Selbstvertheidigung an ihre Stelle treten. Wenn man uns aber sagen will: ,,dass der Kampf urn's Dasein im Menschenleben zukiinftig zu einem Kampfe des Geistes werden wiirde, nicht zu einem Kampfe der Mordwaffen!" so ant- worten wir, dass der Geist allein vollkommen unfahig ist, liber- haupt irgend welchen Kampf zu fuhren. Der Geist ist nur im Stande, die willfahrigen physischen Krafte zu leiten, die Heer- haufen zu formiren und sie gegen einander in Schlachtordnung zu stellen und zu lenken. Hat er das gethan, so ist seine Aufgabe erfiillt und der wirkliche Kampf wird einzig und allein physisch und mit den Mordwaffen ausgefochten. Noch nie hat eine neue Ansicht, eine neue Weltanschauung, wie zeitgemass dieselbe immcr war, auf andere Weise den Sieg errungen. Allerdings wird ,,der Mensch mit dem vollkommensten Verstande im Grossen und Gan- zen Sieger bleiben, " aber nur desshalb, weil im Grossen und Ganzen ,,der Mensch mit dem vollkommensten Verstande" eben }) der Mensch mit dem besten Revolver" sein und denselben zu gebrauchen wissen wird. Tritt aber ausnahmsweise der Fall em, 377 class der Mensch mit dem vollkommensten Verstande entweder die besten Mordwaffen nicht besitzen sollte, oder sie nicht zu ge- brauchen im Stande ware, so wird dieser Mensch eben so sicher dem Menschen mit den besten Mordwaften oder der grosseren Tiichtigkeit unterliegen, \vie dereinst der vollkommene Kunstver- stand der Griechen der besseren Mordwissenschaft der Macedonier und der vollkommenere wissenschaftliche Verstand der Romer der besseren Mordtuchtigkeit der Germanen unterlag. Desshalb auch sehen wir, dass, wahrend alle anderen Verstandesausserungen in Kunst und Wissenschaft ihre abwechselnden Perioden des Fort-' schrittes und des Riickschrittes aufweisen, die Kriegswissenschaft allein einen Riickschritt nicht kennt. Der Mensch, der in . ihr mit dem vollkommensten Verstande und der vollkommensten Tiichtig- keit das Beste leistet, blieb und wird, nicht ,,im Grossen und Ganzen" sondern immer und jederzeit Sieger bleiben" und ,,auf seine Nachkommen die Eigenschaften des Gehirns" und Kor- pers, ,,die ihm zum Siege verholf en hatten, vererben." ,,S o diir- fen wir mit Fug und Recht hoffen, dass trotz aller Anstrengungen der riickwarts strebenden Gewalten der Fortschritt des Menschen- geschlechts zur mogliehsten Vervollkommung unter dem (durch den fortwahrenden Kampf regulirten) segensreichen Einflusse der naturlichen Ziichtung immer mehr und mehr zur Wahrheit werden" und die ,,Freiheit" immer da bestehen wird, wo die giinstigen Bedingungen des Lebenskampfes, die allein ihr Bestehen erlau- ben, vorhanden. Qft&croft Library Aus solchen Griinden halten wir in dem grossen Gebiete Nordamerika's, das mit der Zeit Hunderten von Millionen Men- schen Nahrung geben kann und zu diesem Zwecke die erzeugten Naturproducte sorgfaltig in individuelle Antheile wird abwagen mussen, die allmahlige, in den verschiedenen Landestheilen, je nach ihren speciellen Besonderheiten und dem Charakter ihrer Bevolkerung schneller oder langsamer sich entwickelnde Verdrangung re- publikanischer Formen durch monarchische fur si- cher. Nicht, dass diese Verdrangung eine sehr schnelle sein und ohne hartnackigen Widerstand vor sich gehen werde. Noch viel weniger, dass die gegenwartig in Europa bestehenden monarchi- schen Formen copirt und auf einmal fix nnd fertig eingesetzt werden. Alle solchen Versuche werden so wenig gelingen, wie der Versuch eines mexikanischen Kaiserthums. So wenig wie die romische Republik die monarchischen Formen der asiatischen Lander einfiihrte, so wenig wird Amerika die monarchischen Formen Europa's einfuhren. Wie die romische Republik die For- men ihrer Monarchic im Kampfe und ganz allmahlig, sich selbst unbewusst aus den republikanischen Formen entwickelte und schon langst ein Kaiserreich und eine vollkommene Autokratie geworderf 48 378 war, ehe sie aufgehort hatte, die romische Republik zu sein, ebenso werden die Staaten Amerika's in den gegenseitigen Kampfen ihre republikanischen Formen langsam und allmahlig, wie es die Noth- wendigkeit des Kampfes bedingt, monarchisch entwickeln. Die ,,Boss" genannte'n Autokraten der grossen Stadte sind das erste Beispiel dieser Entwickelung. Unzweifelhaft wird das allmahlige Aufhoren der Einwande- rung nach Amerika eine Riickwirkung auf jene Lander Europa's iiben, die die Auswandererschaaren bisher geliefert. England, das in den australischen Colonien einen anderen Abzugskanal fur seine iiberschiissige Bevb'lkernng besitzt, diirfte sie weniger empfinden. Dagegen wird sie in Deutschland sich stark fiihlbar machen. Denn die Auswanderung, die gerade die unzufriedensten, unruhig- sten, neuerungssiichtigsten und unternehmenden oder sogar wag- halsigen Elemente der Heimath entfuhrte, spielte in dem Staats- mechanismus ungefahr dieselbe Rolle, wie das Sicherheitsventil beim Dampfkessel. Durch die festere Schliessung desselben wird der Druck starker und die Maschine zu energisclierer Thatigkeit getrieben. Ehe ich schliesse, seien mir noch einige kurze Bemerkungen iiber einige, auf die Vereinigten Staaten beziigliche Stellen in neuerdings in Deutschland erschienenen culturhistorischen Arbeiten gestattet. Ich bemerke von vorn herein, dass in alien diesen Arbeiten den Ziffern des Vereinigten Staaten Census ein Werth beigelegt wird, den sie in meinen Augen nicht besitzen. Die Aufnahme des Census in den Vereinigten Staaten liegt, wie die ganze andere Verwaltung, in den Handen der friiher beschriebenen Politiker. Und als Censusbeamte wird genau dieselbe Classe po- litischer Handlanger angestellt, die zu professionellen Geschwornen- diensten und derartigen Geschaften in der miissigen Zwischenzeit der Wahlfeldziige stets bereit sind. Diese Leute, deren viele uatiirlich zu ihrein Geschafte ganz und gar untauglich, durchstrei- fen den ihnen angewiesenen District und sammeln die erforderten Daten durch personliche Erkundigungen bei solchen Personen, sehr haufig den Weibern, mitunter den Kindern, die sie gerade zu Hause antreffen. Wie genau diese Erkundigungen sind, geht aus der notorischen Thatsache hervor, dass der Amerikaner gewohn- lich jede Frage mit einer Gegenfrage beantwortet und geneigt ist, einen solchen herumschweifenden Censusaufnehmer als ein ver- dachtiges Subject, dessen Erkundigungen aber als ganz und gar unberechtigte Eingriffe in seine personliche Freiheit anzusehen. Mind your own business d. h. ,,Klimmere dich um deine eigenen Angelegenheiten" ist die Ant wort, womit dem fragenclen Census- beamten in Tausenden von Fallen die Thiire vor der Nase zuge- jchlagen wird. Und es wiirde furwahr ein verwegener Kerl sein, 379 der den Muth hatte, an irgend einen Hinterwaldler eine Frage zu stellen, wie: ,,ob er schreiben und lesen konne" ? eine Frage, von der ich mich nicht erinnern kann, dass sie bei den beiden Census- aufnahmen der Jahre 1860 und 1870 jemals gestellt worden ware. Das einzige Interesse, das der Censusbeamte hat und um das er sich iiberhaupt kiimmert, 1st eine moglichst grosse Anzahl von Namen zu sammeln, denn er wird nach dem Stuck bezahlt. Diesmacht sogardie Bevolkerungsziffer problematisch. Wasdieande- ren Rubriken betrifft, so leiten mich personliche Beobachtungen zu dem Schlusse, dass sie in sehr vielen Fallen von den betref- fenden Aufnehmern nachtraglich nach beliebiger personlicher Schatzung ausgefullt werden. Diese Censusberichte geben nun das Gesammtvermb'gen im Jahre 1860 auf 16'159 und 1870 auf 30'068 Millionen Dollars an. Angenommen, was nicht der Fall, dass diese Zahlen irgend welchen Anspruch auf Genauigkeit erheben kb'nnten, so lassen die deutschen Culturhistoriker und Statistiker ganzlich ausser Acht, dass der Dollar" des Jahres 1870 nicht der ., Dollar" des Jahres 1860 ist. Der letzte war der amerikanische Gold dollar, der erstere -dagegen ist der im Werthe schwankende Papierdollar. Zieht man dies in Betracht, beriicksichtigt man ebenso die kiinstliche Preis- steigerung in Folge des inzwischen eingefiihrten Schutzzollsystems, so \vare eine Reduction von 25 Procent gewiss die geringste, die an dem Schatzungswerthe des Jahres 1870 vorgenommen w r erden miisste. Diese wiirde die 30 Milliarden dieses Jahres auf 24 re- duciren gegen die 16 Milliarden von 1860. Dies gabe eine Ver- mehrung des Nationalreichthums, dessen Verhaltniss sich schon eher mit dem der Vermehrung der Bevolkerung vergleichen liesse. Aber diese Vermogensschatzungen sind ganzlich unzuverlassig. Dasselbe findet natiirlich auf die Schatzungswerthe der Fa- brikindustrie Anwendung. Wenn z. B. der Arbeitslohn 1860 378 Mill, und 1870 776 Mill. Dollars betrug, so stand der Einkaufswerth des Dollars vom Jahre 1870 zu dem des Dollars vom Jahre 1860, wie ich schon Eingangs dieses Buches erwahnte, im ungefahren Verhaltnisse von 100:175. Nach diesem Verhalt- nisse reducirt wiirden die 2'053'906 Fabrikarbeiter des Jahres 1870 einen Lohn von 444 Millionen gleichwerthigen Dollars er- halten haben , womit die Verschlechterung der Lage dieser Classe sogar aus den unzuverlassigen Censuszahlen aufs Biindigste erwiesen w r are. Wenn ich im letzten Falle die Dollars des Jahres 1870 im Verhaltnisse von 173 : 100 ihrem Einkaufswerthe entsprechend reducirte, w r ahrend ich bei dem Schatzungswerthe des Eigenthums nur eine Reduction von 133^3 : 100 eintretcn lasse, so geschieht dies deshalb, weil die Preissteigerung in alien Artikelu, die zu 380 den Bediirfnissen des Arbeiters gehorten, viel bedeutender war, als im "Werthe des liegenden, namentlich des landlichen Eigenthums, und dem obigem Verhaltnisse mindestens entspricht. ^Vas endlich die Schuldabtragung von ungefahr 600 Millio- nen Dollars im Laufe von acht Jahren betrifft, so hat es mit ihr eine eigenthumliche Bewandniss. Dieselbe tragt namlich Zuge an sich, die entschieden an Spitzederei erinnern. Durch diese piinkt- liche Schuldabtragung hob sich namlich der Credit der Yereinigten Staaten im Auslandc ganz ausserordentlich, und alle mb'glichen Compagnien waren im Stande, in Europa ungezahlte Millionen zu borgen. Ausserdem stiegen die Staatsschuldscheine, welche die pfiffigen Capitalisten^des Ostens zu 30 bis 40 Procent (wahrend des Krieges) angekauft hatten, auf 100 Procent und fanden in Europa reissenden Absatz. Auf diese Weise machten alle diese Geschaftsleute und die Lobby des Congresses ganz ausgezeichnete Geschafte und nur das dumme Volk hatte auf dem Wege eines aussaugenden Steuerdruckes die vorlaufigen Kosten der Operation zu bezahlen. Ob die Inhaber der noch nicht bezahlten Staats- schuldscheine nicht die endlichen Kosten dieser pfiffigen, nur den Wohlstand des Landes reducirenden Speculation werden bezahlen miissen, bleibt dahingestellt. Bei dieser Gelegenheit bemerkt Herr Kolb, dass die Hb'he der Staatsschuld daher ruhre, dass wahrend des Krieges alle Bediirfnisse vom Staate bezahlt und keine Contributionen einge- trieben wurden. " Was zu finden war, wurde namlich von den befehlshabenden Geschaftsleuten im Privatwege summarisch angeeig- net und speculativ verwerthet. Man hat Falle gesehen, in denen die Baumwolle, aus der die Rebellen Schanzen gebaut hatten und die demgemass Kriegsbeute war, auf dem Schlachtfelde an solche Unternehmer zum Preise von 3 Cents das Pfund verkauft und auf den Regierungstrains 100 Meilen weit aus purer Gefalligkeit per Achse zuriickgefahren wurde, bis sie einen Markt erreicht, wo sie 60 Cts. per Pfund und mehr eintrug. Mit 1500 Procent Profit konnten so ein speculirender General und seine Compagnons schon zufrieden sein. Wie viele Pferde, Maulesel und Rindvieh (von kleineren Thieren ganz zu schweigen) den Bauern kurz und biindig fortgetrieben und von der Regierung den Vereiuigten Staaten Proviantmeistern sehr gut bezahlt w r urden, davon schweigt die Culturgeschichte. Ich weiss nur, dass wenn ein Truppen- durchmarsch stattgefunden hatte der betreffende Landstrich, was solche Thiere und andere im Felde zu brauchenden Sachen be- trifft, vollkommen rein gefegt war und die Bauern von Bezahlung nichts zu sehen bekamen. Die Hohe der Staatsschuld riihrt ferner nach Kolb auch daher, ,,dass man den Soldaten nicht bloss ein Paar Cents, sondern eine wirklich ausreichende Lohnung gab," 381 die 13 Dollars Papiergeld , gTeich ungefahr 5 Dollars Gold (was im Anfange des Krieges den Soldaten versprochen worden war) betrug. Damit der Soldat mit diesem vielen Gelde nicht uber- miithig werde, gestattete man den privilegirten Market endern, ihm fiir unbedingt nothige Artikel Preise zu berechnen, welche die sonst in der Welt gebriiuchlichen um mindestens 500 bis 1000 Procent iiberstiegen. Ich bin oft Zeuge gewesen, wie die Soldaten sich drangten und fiir ein Quart (nicht viel mehr als 2 / 3 Liter) sauren Bieres je 50 Cents ihrer ausreichenden Lohnung bezahlten. Es brauchte keines Saufers, um den ganzen Monatslohn in einem Nachmittage in Bier zu vertrinken. Das Bier aber war nothig, weil die von den Proviantmeistern gelieferten Rationen eine Kost ergaben, die den Skorbut erzeugte, an welcher Krankheit ich im Friihjahre 1874 in Chattanooga in Tennessee selbst gelitten habe; um diese Zeit erlagen ihr ungefahr 5000 Mann dort und in Knoxville im gleichen Staate. ,,Weiter daher, dass selbst die gesund gebliebenen Veteranen eine reichliche Pension oder Aus- stattung erhielten!" Herr Kolb wurde mir, als einem dieser ge- sund gebliebenen Veteranen, einen Gefallen erweisen, wollte er mir die Stelle angeben, an welcher die Auszahlung dieser ,,reich- lichen Pensionen" stattfindet, da ich bis jetzt noch nicht im Stande gewesen bin, sie zu entdecken! ,,urid endlich daher, dass fiir die Invaliden gesorgt ist, wie nirgends sonst!" Mir ist ein Fall aus meiner kleinen Compagnie bekannt, wo ein Mann durch zwei \ T er- wundungen, von denen die eine ihm das Schulterblatt des rechten Armes total zerschmetterte, fiir immer zu anstrengender, barter Arbeit, in der allein er bewandert w T ar, unfahig geworden. Dieser Mann erhalt monatlich 4 Dollars Papiergeld Pension. Ich habe mich bei meinem gegenwartigen Aufenthalte in Deutschland iiberzeugt, dass eine ahnliche Verwundung dem Betreffenden hier eine Pension von 6 bis 8 pr. Thalern monatlich eintragt. Uebri- gens ist nicht zu vergessen, dass in Deutschland ,,Yeteranen und Invaliden" ,,civilversorgungsberechtigt" sind. Wollen diese Leute im ,,Civildienst" der Republik Amerika's eine Stelle haben, so miissen sie sich dieselbe, grade wie andere Leute, die daheim hinter dem Ofen sassen und ihnen desshalb, wie selbst verstand- lich, ,,gleichberechtigt" sind, als politische Handlanger durch Wahl- arbeit verdienen und sie ebenso behaupten. Obendrein haben sammtliche Pensionen mit der Hohe der Staatsschuld nicht das Geringste zu schaffen, da sie aus den Jahreseinnahmen bezahlt werden. Hiermit schliessen wir unsere Betrachtungen iiber die Zu- stande der Vereinigten Staaten Nordamerika's. Haben dieselben den Schleier geliiftet, den die Phantasie um die grosse Republik gewoben und die darunterliegende, nackte Wahrheit enthiillt, nam- 382 lich, dass die Republik ebenso an den allgemein menschlichen Mangeln leide, wie die Monarchic und bios die Form der Aus- beutung der Einen durch die Andern eine andere sei, das Wesen aber dasselbe bleibe, so zeigt sich eben, dass leider dieser herrliche Schleier eine triigerische Hiille gewesen. Seine Ver- sprechungen sind unwahr und der Polarstern des ,,Friedens, der Freiheit und des allgemeinen Gliickes, u dem Menschengeschlechte als Leitstern auf der Balm des Lebens empfohlen, ein tanzendes Irrlicht. Wir wollen nicht behaupten, dass das Yolk der Vereinigten Staaten im Durchschnitte hinter den Volkern Europa's zuriick- stande. Im Gegentheile ist dasselbe, werin gleich hohere Bilclung und Kunst dort keine oder nur wenig Pflege finden, in seinen Massen weniger durch Schulbildung, als durch vielseitigere Lebens- erfahrung aufgeweckter, unternehmender und mindestens eben so einsichtsvoll als die besten der Volker Europa's. Die Kluft, die zwischen den gebildeten Classen und den ungebildeten in Deutsch- land besteht, ist in Amerika nicht vorbanden, allerdings zum Theile, weil wirklich durchgebildete Elemente dort eben nicht existiren. Dagegen besteht diese Klnft allerdings zwischen den durchschnittlich gleich-, wenn auch nicht hochgebildeten germa- nischen Elementen und der rohen irlandischen und Negerbe- volkerung. Das Bedauernswertheste ist, dass unter der Herrschaft frei- heitlicher Formen grade solch' eine rohe, tief hinter der Durch- schnittsbildung der Bevolkerung zuriickbleibende Masse, die wahr- haft bezeichnend ,,Stimmvieh" bonannt wird, einen das Yerhaltniss ihrer Anzahl weit uberschreitenden, ja geradezu iiberwaltigenden Einfluss ausiibt, die wirklich intelligeriten Elemente von der poli- tischen Biihne vollstandig verdrangt und des ihnen gebiihrenden Einflusses beraubt. Andererseits und im erfreulichen' Gegensatze hierzu stellt sich heraus, dass in Gemeinden, deren Grenzen die Kreise der personlichen Bekanntschaft der Einwohner nicht iiberschreiten, wo die Bevolkerung durchschnittlich von annahernd gleichem Charakter und Lebensumstanden (den landlichen Beschaftigungen obliegend) und das eben erwahnte Element nicht vorhanden ist, die Formen freiheitlicher Selbstregierung sich auf's Beste bewahrten. Hat die Probe, die in den Vereinigten Staaten mit dem Principiensystem und den darauf basirten Regierungsformen seit einem Jahrhundert angestellt wird, auch nur diese beiden Ergeb- nisse geliefert und wird die daraus erfolgende Lehre beherzigt, so ist sie fiir die ,,Menschheit," soweit diese sich um solche Lehren kiimmert, von unberechenbarem Werthe gewesen. Eine sonst unvermeidliche Unmasse von Elend, Umwalzungen und vermch- 383 tenden Kriegen ware damit zu ersparen und ein Schritt vorwarts gethan, einem nicht principiell, sondern thatsachlich friedlicheren Zeitalter entgegen. Unlaugbar muss die Zerstb'rung solcher angenehmen Illusio- nen, \vie die Traume von allgemeinem Gliicke, allgemeiner Freiheit und allgemeiner briiderlicher Liebe, von Menschenrechten, Menschen- wiirde, von allgemeinem Wohlstandc u. s. w. auf die Anhanger dieser Ideen einen recht bitteren Eindruckmachen. Denn es schleudert sie aus der Seligkeit und friedlichen Ruhe des eingebildeten Schlaraffenlebens zuriick in die rauhe Wirklichkeit des nie enden- den Kampfes und der harten Arbeit. Aber wenn diese II- lusionen anfangen, den wichtigeren materiel'.en In- ter essen gefahrlich zu werden, wenn sie die Civili- sation einer geringen Minderheit unter der uberwal- tigenden Barbarei der ungeheur en roh en, culturfeind- lichen Mehrheit zu begraben drohen, dann ist es Zeit, zur Rettung der civilisatorischen Errungen- schaften unserer, der weissen, arischen germani- schen Classe in den harten Lebenskampf en der ver- gangenen Jahrtaus en d e, solchen v er derbensch wan- geren Illusionen den Krieg zu erklaren. Es gilt dann, gegen eine Anschauung aufzutreten, die yor einer blossen ,,Form" der Staatsverwaltung als vor ihrer Gottheit auf die Kniee sinkt, von diesem todten, wesenlosen Gotzenbilde in blinder Vereh- rung das Heil der Menschheit und die Erlosung von allem Uebel erwartet, und unter dem Namen der ,,Freiheit" ein Gnadengeschenk dieses Gotzen anbetet. In thoricht stumpfem Sklavensinne lasst sie ganzlich ausser Acht, dass ,,Freiheit" nicht ein Geschenk sein kann, sondern einzig und allein das Resultat eines aus trotziger Ausdauer, kiihner, unerschrockener Thatkraft und verstandniss- voller Erkenntniss zusammengesetzten Charakters ist, der y ununter- brochen thatig und kiimpfend sich zur Wehr setzt gegen jede Art der Unterdriickung, Letztere iiben aber nicht bloss durch althergebrachte Rechtsformen verbundene Classen in gesetzlich or- ganisirter Form, sondern sie versucht sich zu jeder Zeit und iiber- all herauszubilden unter dem Drucke der allgemein-menschlichen Triebfedern der Habsucht und der Herrschsucht und strebt in den ersten Stadien ihrer Bildung nicht in gesetzlichen, aber darum nicht minder fest organisirten und um so viel riicksichtsloseren Formen durch Missachtung und Verzerrung der Gesetze ihr Ziel zu erreichen. Uebrigens bleibt es den Anhangern der Principien unbe- nommen, diese zu vertheidigen. Nur miissen sie zu diesem Zwecke von dem angemassten hohen, urmahbaren Wolkensitze, von wel- chem herab sie der , 3 glaubigen Welt" die " ,,Unfehlbarkeit" und 384 ,,Selbstverstandlichkeit u ihrer Grundsatze verkunden, herabsteigen und uns die Wahrheit derselben grade so zu beweisen suchen, wie es in anderen gemeinen Wissenschaften Brauch, d. h. durch gewohnliche Logik und die gesammelten Erfahrungen des Menschen- geschlechtes. Verlangen sie z. B. von der ,,Menschheit," dass diese die Herrschaft in ihre Hande lege, well sie bereit seien, ihr ,,Freiheit, Bildung und Wohlstand fur Alle u zu geben, so mogen sie zuerst der ,jMenschheit" die Frage beantworten: ,,Wird die Erzeugungskraft des Menschenge- schlechts nicht jeder Zeit hinreichen, mehr mensch- liche Wesen in die Welt zu setzen, als die Erzeu- gungskraft der Erde im Wohlstande zu ernahren im Stande 1st?" ,,Wenn nicht, warum nicht?" ,,Wenn aber doch, was fangt die Lehre der Glei chb erechtigung und allgemeinen Menschlichkeit mit dem voin Wohlstande ausges chlossenen Ueber- schusse der Menschenkinder an?" m : i *>'