key: cord-1038878-5pu5ebey authors: Mönkemöller, Kirsten; Kamrath, Clemens; Hammersen, Johanna; Biester, Torben; Warncke, Katharina; Pappa, Angeliki; Fink, Katharina; Raile, Klemens; Rohrer, Tilman R.; Holl, Reinhard W. title: Kann die Ketoacidose bei pädiatrischen Patienten mit Manifestation eines Diabetes mellitus Typ 1 vermieden werden? Lehren aus der COVID-19-Pandemie date: 2021-01-08 journal: Monatsschr Kinderheilkd DOI: 10.1007/s00112-020-01108-2 sha: 74c4aa1b496db98dc4a63fc5dc22b10dd0c51910 doc_id: 1038878 cord_uid: 5pu5ebey BACKGROUND: Diabetic ketoacidosis (DKA) is a life-threatening emergency in children and adolescents with manifestation of type 1 diabetes mellitus (DM1) and often associated with delayed diagnosis or previous diagnostic errors. During the coronavirus disease 2019 (COVID-19) lockdown period in Germany, less patients presented at emergency departments and private practices. OBJECTIVE: The aim of this study was to investigate the DKA risk in children and adolescents with DM1 manifestation during the COVID-19 lockdown and associated risk factors. MATERIAL AND METHODS: The frequency of DKA at DM1 onset in patients <18 years between 13 March and 13 May 2020 in pediatric diabetes centers was analyzed. The centers also documented their assessment, if the presentation was delayed or the diagnosis was not made on the first medical consultation. In order to analyze the influence of the risk factors on the frequency of DKA, the data from 2020 were compared with the same periods in 2018 and 2019 using multivariable linear and logistic regression. RESULTS: The data of 532 patients from 216 diabetes centers showed that the risk for DKA increased by 84.7% and the risk for severe DKA increased by 45.3% compared to the years 2018/2019. Children <6 years had the highest risk with an 141.6% increase for DKA and 97.0% for severe DKA compared to the previous years. Migration background was a risk factor independent of COVID-19. Of the patients 31% had either a delayed presentation or a missed diagnosis. CONCLUSION: During the COVID-19 lockdown the frequency of DKA and severe DKA at DM1 onset was significantly increased for children and adolescents in Germany. Age <6 years, migration background and delayed diagnosis were the main risk factors. Die diabetische Ketoacidose (DKA) bei Manifestation eines Diabetes mellitus Typ 1 (DM1) ist ein lebensbedrohlicher Notfall, der mit erhöhter Morbidität assoziiert ist und durch verzögerte Diagnosestellung begünstigt wird [25] . Während der COVID-19-Pandemie in Deutschland zeigte sich ein deutlicher Anstieg von DKA bei pädiatrischen Patienten zum Zeitpunkt der Manifestation eines DM1 [14] . Wie kann die Erkrankung zukünftig früher erkannt werden, und wie können Manifestationen mit DKA vermieden werden? Die Autoren Kirsten Mönkemöller und Clemens Kamrath haben zu gleichen Teilen zum Manuskript beigetragen. Die zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie in Deutschland beschlossenen Beschränkungen im Sinne eines "Lockdowns" vom März bis Mai 2020 stellten für Kinder und Jugendliche und ihre Familien eine große Herausforderung dar [3] . Gleichzeitig veränderten sich die Versorgungsstrukturen mit einer auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen Fokussierung auf die Pandemiesituation. Durch politische Debatten, mediale Berichterstattung und soziale Medien gestaltete sich die öffentliche Wahrnehmung derart, dass die Bevölkerung vermeintlich unnötige Arztbesuche zu vermeiden suchte. Telemedizinische Versorgungsangebote wurden intensiviert. Dieser Artikel soll mit dazu beitragen, dass Ärzte im Notdienst eine Diabeteserkrankung möglichst nicht übersehen. Symptome einer DKA bei Manifestation werden bei Kindern häufig verkannt und die Diagnose DM1 dadurch verzögert gestellt [5, 20] . Die DKA bei Manifestation kann mit einer kürzeren Remission [4] und langfristig mit neurologischen Beeinträchtigungen [6] sowie einer dauerhaft schlechteren Stoffwechsellage [10] assoziiert sein. Daher muss das Ziel sein, diese Patienten rechtzeitig zu erkennen und frühzeitig zu behandeln. Im April 2020 berichteten Ärzte aus China [13] und Italien [16] über Kinder und Jugendliche mit DKA bei Manifestation eines DM1, weil die Patienten mög- Monatsschr Kinderheilkd https://doi.org/10.1007/s00112-020-01108-2 © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 Kinder < 6 Jahren · Migrationshintergrund · "COVID-19-Lockdown" · Verspätete Vorstellung · Verkannte Diagnose Is it possible to prevent diabetic ketoacidosis at diagnosis of pediatric type 1 diabetes? Lessons from the COVID-19 pandemic Abstract Background. Diabetic ketoacidosis (DKA) is a life-threatening emergency in children and adolescents with manifestation of type 1 diabetes mellitus (DM1) and often associated with delayed diagnosis or previous diagnostic errors. During the coronavirus disease 2019 (COVID-19) lockdown period in Germany, less patients presented at emergency departments and private practices. Objective. The aim of this study was to investigate the DKA risk in children and adolescents with DM1 manifestation during the COVID-19 lockdown and associated risk factors. Material and methods. The frequency of DKA at DM1 onset in patients <18 years between 13 March and 13 May 2020 in pediatric diabetes centers was analyzed. The centers also documented their assessment, if the presentation was delayed or the diagnosis was not made on the first medical consultation. In order to analyze the influence of the risk factors on the frequency of DKA, the data from 2020 were compared with the same periods in 2018 and 2019 using multivariable linear and logistic regression. Results. The data of 532 patients from 216 diabetes centers showed that the risk for DKA increased by 84.7% and the risk for severe DKA increased by 45.3% compared to the years 2018/2019. Children <6 years had the highest risk with an 141.6% increase for DKA and 97.0% for severe DKA compared to the previous years. Migration background was a risk factor independent of COVID-19. Of the patients 31% had either a delayed presentation or a missed diagnosis. Conclusion. During the COVID-19 lockdown the frequency of DKA and severe DKA at DM1 onset was significantly increased for children and adolescents in Germany. Age <6 years, migration background and delayed diagnosis were the main risk factors. Children < 6 years · Migration background · COVID-19 lockdown · Delayed presentation · Missed diagnosis . Abb. 1. Das höchste DKA-Risiko hatten Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sowie Kleinkinder unter 6 Jahren. Für die Darstellung der Risikofaktoren für eine DKA wurden die Daten der beiden Vorjahre mit jenen von 2020 verglichen (. Tab. 1) und der adjustierte prozentuale Anstieg der DKA innerhalb der Gruppen verglichen. Das Risiko für eine DKA war in allen Gruppen zwischen dem 13 Kinder unter 6 Jahren zeigten den höchsten Risikoanstieg für eine DKA und für eine schwere DKAim Vergleich zu derselben Zeitspanne der Jahre 2018/2019. Im Vergleich zu den Jugendlichen zeigte diese Altersgruppe einen überproportionalen Anstieg für das Risiko einer schweren DKA. Diese Ergebnisse stimmen mit den Ergebnissen anderer Studien überein, die für dieses Alter eine erhöhte DKA-Rate zeigten [7] , und das Risiko einer raschen metabolischen Dekompensation, die zu einer schweren DKA führen kann [19] . Bei jungen Patienten ist die DKA mit verändertem Gehirnwachstum und einer schlechteren kognitiven Leistungsfähigkeit assoziiert [2, 6] . Die initialen Diabetessymptome, wie beispielsweise Einnässen, beginnen oft schleichend, während Symptome wie Bauchschmerzen, Übelkeit oder eine teils als Bronchitis oder Pneumonie fehlgedeutete Kußmaul-Atmung als Hinweise einer DKA aufgrund der relativen Häufigkeit dieser Symptome bei Vorschulkindern oft fehlgedeutet werden [5, 20] . Die kinderdiabetologischen Zentren gingen bei 31 % der Patienten von einer verzögerten Vorstellung aufgrund des "COVID-19-Lockdowns" oder einer zuvor verkannten Diagnose aus. Dies sind zwei der wichtigsten Risikofaktoren für die Entstehung der DKA bei Manifestation [5, 25, 27] . Würden diese Patienten als Manifestation ohne DKA gewertet, läge die DKA-Häufigkeit mit 28 % im Bereich der erwarteten Häufigkeit in Deutschland [7] . In Italien berichteten 53 Zentren retrospektiv über insgesamt 160 Patienten mit Manifestation eines DM1 in der 8-wöchigen "Lockdown"-Phase. Der Anteil der schweren DKA hatte signifikant zugenommen; der Anteil der DM1-Manifestationen war im Vergleich zu 2019 um 23 % gesunken. Die Autoren vermuten die verspätete Vorstellung als Ursache der schwereren DKA [22] . In einem webbasierten internationalen Survey der "International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes (ISPAD)" berichteten 215 pädiatrische Diabeteszenten aus 75 Ländern von 22 % verzögert vorgestellten Patienten in Zeiten der Pandemie. 15 % der Zentren dokumentierten häufigere Ketoacidosen [8] . Der vergleichsweise höhere Anstieg in der DKA-Rate in unserer Kohorte kann dadurch bedingt sein, dass wir pädiatrische Patienten mit DM1-Manifestation in Deutschland nahezu vollständig erfasst haben. In Italien hatten öffentliche Aufklärungsmaßnahmen zu einer Reduktion der schweren DKA um 21,3 % bei jüngeren Kindern geführt, nicht aber bei Kindern über 6 Jahren [21] . Weltweit haben öffentliche Aufklärungskampagnen zu DM1 und DKA bei Kindern und Jugendlichen uneinheitliche Erfolgsquoten gezeigt. Am erfolgreichsten sind jene, die mehrere Komponenten integrieren [9] . So konnten in Stuttgart im Rahmen einer 3-jährigen Kampagne die Gesundheitsämter, Kinderarztpraxen, Kindergärten, Kindertagestätten und die Öffentlichkeit mit Flyern und Postern einbezogen hatte, die DKA-Rate bei Kindern unter 6 Jahren signifikant von 28 % auf 16 % reduziert werden, nicht aber die Rate schwerer DKA [12] . Dieses Modell wird als "Kampagne zur Früherkennung des Diabetes und zur Vermeidung einer diabetischen Ketoacidose bei Kleinkindern" ab Januar 2021 deutschlandweit von der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie (AGPD) gemeinsam mit dem Berufsverband der Kinder-und Jugendärzte initiiert [1] . Die Kinder-und Jugendärzte sollen die Eltern bei der U6 und U7a im Gespräch und mittels Flyern über die 4 Hauptsymptome einer Diabetesmanifestation ("ständiger Durst, häufiges Wasserlassen, Müdigkeit und Gewichtsabnahme") informieren. Die Wirksamkeit dieser auf die Risikogruppe der jungen Kinder zielenden Aufklärungskampagne wird über mehrere Jahre im Rahmen der DPV-Dokumentation evaluiert werden. Neben der Frage nach der Reduktion der DKA als Zielvariable ist auch die Frage zu klären, wie häufig diese Kampagnen wiederholt werden müssen, bzw. ob sie sich als fester Bestandteil der Vorsorgeuntersuchungen etablieren werden. Sollte sich die DKA-Rate bei den jüngeren Kindern langfristig durch diese Maßnahme reduzieren, wäre ein wesentliches Ziel der DKA-Prävention in Deutschland erreicht. Kinder aus Familien mit Diabeteserfahrung haben seltener eine Ketoacidose bei Manifestation [27] . Bei Teilnehmern eines regionalen Screeningprogramms auf DM1-assoziierte Autoantikörper in Bayern (0,31 % positive B-Zell-AK) war die DKA-Rate bei DM1-Manifestation mit <5 % extrem niedrig [29] . Auch die psychische Belastung der Studienteilnehmer und ihrer Familien war bei Diabetesdia-gnose geringer als bei Familien, in denen kein Screening stattgefunden hatte. Seit Kurzem gibt es auch in einigen Bundesländern die Möglichkeit, ein erhöhtes genetisches Risiko für Typ-1-Diabetes in den ersten Lebenswochen festzustellen. Kindern mit erhöhtem Risiko wird die Teilnahme an einer Interventionsstudie mit oralem Insulin angeboten mit dem Ziel, den Diabetes zu verzögern oder gar zu verhindern [28] . Auch frühere Studien haben bereits gezeigt, dass Kinder aus Familien, die an einer Studie teilnehmen und bezüglich eines erhöhten DM1-Risikos informiert sind, ein geringeres Risiko für eine DKA haben, sodass Screeningprogramme daher geeignet sein könnten, die DKA-Rate zu senken [11] . Welchen Beitrag Aufklärungskampagnen oder Früherkennungsmaßnahmen langfristig und auf Populationsebene leisten werden, bei dem Ziel, die DKA-Rate bei Manifestation deutlich zu reduzieren, kann heute noch nicht beantwortet werden. Immanent wichtig sind sicherlich zusätzlich vermehrte Anstrengungen im Medizinstudium sowie in der ärztlichen Fort-und Weiterbildung, damit die Diabetesmanifestation bei Kindern und Jugendlichen frühzeitig erkannt wird. Die DKA als akute lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisung aufgrund einer verspäteten Diagnose eignet sich als Modell einer verzögerten medizinischen Versorgung in Zeiten der COVID-19-Pandemie. Als "corona collateral damage syndrome" wird der klinische Zustand eines Patienten bezeichnet, der durch die Verzögerung bzw. das Fehlen von medizinischer Versorgung von akuten "Nicht-COVID-19-Notfällen" entsteht [24] . In einer Umfrage gaben 32 % der befragten Pädiater aus Großbritannien und Irland an, während einer 2-wöchigen Phase im April 2020 verzögerte Vorstellungen gesehen zu haben. Die Diabetesmanifestation und die DKA waren die Hauptdiagnosen, gefolgt von Sepsis und malignen Erkrankungen [17] . Auch in Deutschland wurden Mitte März 40 % und Mitte Mai 20 % weniger Patienten in Notfallambulanzen vorgestellt [23] . Zusammenfassend könnte der Anstieg der Häufigkeit der DKA bei Diabetesmanifestation im Zusammenhang mit den gesamtgesellschaftlichen Veränderungen im Rahmen der Infektionsschutzmaßnahmen während der ersten Welle der "COVID-19-Pandemie" stehen. Es ist davon auszugehen, dass weitere Erkrankungen ebenso verspätet diagnostiziert wurden. Die Daten zur Diagnosestellung wurden retrospektiv mithilfe eines Fragebogens an die Diabeteszentren erfasst. Sozialstatus, Diabeteserfahrung in der Familie und die Symptome vor der Manifestationwurdenalswesentliche Risikofaktoren nicht eingeschlossen. Kampagne zur Früherkennung des Diabetes und zur Vermeidung einer diabetischen Ketoazidose bei Kleinkindern Impact of early diabetic ketoacidosis on the developing brain Psychische Gesundheit von Kindern hat sich während der Corona-Pandemie verschlechtert Young children ( < 5 yr) and adolescents (> 12 yr) with type 1 diabetes mellitus have low rate of partial remission: diabetic ketoacidosis is an important risk factor Is diabetic ketoacidosis at disease onset a result of missed diagnosis? Neurological consequences of diabetic ketoacidosis at initial presentation of type 1 diabetes in a prospective cohort study of children Temporal trends in diabetic ketoacidosis at diagnosis of paediatric type 1 diabetes between 2006 and 2016: results from 13 countries in three continents Missing during COVID-19 lockdown: children with onset of type 1 diabetes Systematicreviewofpublicityinterventions to increase awareness amongst healthcare professionals and the public to promote earlier diagnosis of type 1 diabetes in children and young people Diabetic ketoacidosis at diagnosis of type 1 diabetes and glycemic control over time: the SEARCH for diabetes in youth study Reduced prevalence of diabetic ketoacidosis at diagnosis of type 1 diabetes in young children participating in longitudinal follow-up Significant reduction of ketoacidosis at diabetes onset in children and adolescents with type 1 diabetes -The Stuttgart Diabetes Awareness Campaign Summary of recommendations regarding COVID-19 in children with diabetes: keep calm and mind your diabetes care and public health advice Ketoacidosis in children and adolescents with newly diagnosed type 1 diabetes during the COVID-19 pandemic in Germany Häufigkeit und Einflussfaktoren der Ketoazidose bei Diabetesmanifestation im Kindesund Jugendalter -eine Langzeitstudie von Delayed access or provision of care in Italy resulting from fear of COVID-19 Delayed access to care and late presentations in children during the COVID-19 pandemic: a snapshot survey of 4075 paediatricians in the UK and Ireland The association between socio-economic status and diabetes care and outcome in children with diabetes type 1 in Germany: the DIAS study (diabetes and social disparities) Hvidoere Study Group on Childhood Diabetes (2010) Multinational study in children and adolescentswithnewlydiagnosedtype1diabetes: association of age, ketoacidosis, HLA status, and autoantibodies on residual beta-cell function and glycemic control 12 months after diagnosis Misdiagnosis and diabetic ketoacidosis at diagnosis of type 1 diabetes: patient and caregiver perspectives Diabetic ketoacidosis at the onset of disease during a national awareness campaign: a 2-year observational study in children aged 0-18 years Diabetes Study Group of the Italian Society for Pediatric Endocrinology and Diabetes (2020) Has COVID-19 delayed the diagnosis and worsened the presentation of type 1 diabetes in children? Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19 First do no harm with COVID-19: corona collateral damage syndrome Delayed diagnosisintype1 diabetesmellitus Did the COVID-19 lockdown affect the incidence of pediatric type 1 diabetes in Germany? Factors associated with the presence of diabetic ketoacidosis at diagnosis of diabetes in children and young adults: a systematic review Identification of infants with increased type 1 diabetes genetic risk for enrollment into Primary Prevention Trials-GPPAD-02 study design and first results AchenbachP (2020)Yieldofapublichealthscreeningofchildren for islet autoantibodies in Bavaria