key: cord-1032269-rarasg1o authors: Peters, Sally title: Verschuldung von Verbraucher:innen in Deutschland: Stand und Entwicklung date: 2022-03-19 journal: Wirtschaftsdienst DOI: 10.1007/s10273-022-3126-3 sha: 2d70f344b742efd14c87b4633eaa386219cd575c doc_id: 1032269 cord_uid: rarasg1o This article looks at over-indebtedness in Germany and its current status and trends. COVID-19 created increased attention on private debt and over-indebtedness. Various studies within the last two years show the severe financial impact of the pandemic; the situation has only eased in phases, but remains critical overall. A fundamental undersupply of efficient and effective debt counselling has become apparent. Current developments (especially with regard to energy prices) have increased the need for debt counselling. Die Lage von Personen in fi nanziell schwierigen Situationen wird maßgeblich durch die politischen und strukturellen Rahmenbedingungen in Deutschland geprägt. Durch die Gesetzgebung werden unter anderem Rechte und Pfl ichten der Darlehensnehmer:innen und Gläubiger:innen geregelt; sie ist somit zentral für die Überschuldungsprävention, aber auch für die Rehabilitation überschuldeter Personen. 2021 wurde vor allem durch einen Meilenstein geprägt: die Verkürzung des Insolvenzverfahrens, die am 1.10.2020 in Kraft trat. Justizministerin Lambrecht sagte dazu im März auf dem Deutschen Insolvenzrechtstag, dass die "Restschuldbefreiung nach drei Jahren für Verbraucher:innen ein Gebot der Gerechtigkeit war" (Lambrecht, 2021, 9) . Mit großer Spannung wurde der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbraucherkredite (CCD-E) erwartet, die im Frühjahr 2022 verabschiedet werden soll. Die Anpassung der Verbraucherkreditrichtlinie an aktuelle Entwicklungen auf dem Kreditmarkt ist notwendig, um auf damit einhergehende Risiken zu reagieren und ist somit zu begrüßen. Das Vorhaben, Plattformen für Peer-to-Peer-Kredite, Minikredite (Nettodarlehensbetrag geringer als 200 Euro), Kurzzeitkredite (Laufzeit kürzer als drei Monate) sowie zinslose Kredite dem Anwendungsbereich der durch die Richtlinie formulierten Regelungen des Verbraucherkreditrechts zu unterstellen, ist zeitgemäß und dringend notwendig. Seit langem häuften sich Forderungen, dass diese Kreditformen verstärkte verbraucherschutzrechtliche Regulierung benötigen. Bisher waren sie vom Verbraucherdarlehensrecht ausgenommen (unter anderem Roggemann et al., 2021a) . Als positiv und dringend notwendig zu bewerten, ist zudem auch die vorgesehene Verpfl ichtung, dass Mitgliedstaaten fi nanzielle Allgemeinbildung fördern und die Verfügarbeit von Schuldnerberatung verbessern sollen. Verbesserungswürdig aus Verbrauchersicht und damit auch im Sinne der Überschuldungsprävention ist hingegen, dass beim Thema Finanzbildung kein Schwerpunkt auf die Kenntnis der eigenen Verbraucherrechte und deren Durchsetzung gelegt wird. Zudem legt der Richtlinienentwurf einen Fokus auf Informationsrechte (z. B. beim Thema Überziehungskredite) anstatt schon -wie seit Jahren gefordert -für einen Zinsdeckel für Dispositionskredite zu plädieren (unter anderem Klinger, 2021) . Auch im Bereich des Bankkontos gab es diverse Diskussionspunkte, die aber bisher nur zu wenigen Veränderungen führten. Für vulnerable Gruppen ist das Bankkonto ein entscheidendes Instrument. Zum einen ist es Voraussetzung für die Teilhabe am digitalen Zahlungsverkehr, zum anderen stellt eine (meist) mögliche Überziehung des Kontos einen niedrigschwelligen Zugang zu Krediten dar, um in Zeiten von fi nanziellen Krisen Liquiditätsengpässe auszugleichen. Dass der damit einhergehende Dispositionszins mit bis zu zweistelligen Dispozinsen zu hoch ist, zeigen insbesondere zwei Studien der Finanzwende (Bürgerbewegung Finanzwende, 2020a , 2020b . Es sind insbesondere Personen mit einem geringen Einkommen (z. B. Arbeitslose, Alleinerziehende, Paare mit Kindern und Selbständige), die den Dispositionskredit nutzen (Dick et al., 2012) . Mit dem sogenannten P-Kontofortentwicklungsgesetz gibt es seit dem 1.12.2021 immerhin erhebliche Neuregelungen beim Pfändungsschutzkonto. Die Neuregelungen bringen verschiedene Verbesserungen für Überschuldete mit sich, die den Alltag im Zahlungsverkehr deutlich erleichtern. Auch ein überzogenes Konto kann nun in ein sogenanntes P-Konto umgewandelt werden, die Pfändungsfreigrenzen werden jährlich angepasst und statt einem Monat, kann künftig drei Monate auf dem Konto angespart werden. Seit dem 1.10.2021 gelten nun neue, klarere gesetzliche Regeln für das Inkassokostenrecht. Sie werden begleitet vom Code of Conduct, einer Selbstverpfl ichtung der Inkassobranche, die aber kaum über die gesetzlichen Regelungen hinausgeht und an vielen Stellen sogar dahinter zurückbleibt. Dr. Sally Peters ist Geschäftsführende Direktorin am institut für fi nanzdienstleistungen e. V. in Hamburg. Quelle: Creditreform Schuldneratlas (2021, 61); Darstellung: iff . Veränderungen gab es auch beim seit Jahren kontrovers diskutierten Thema der Restschuldversicherungen. Kritisiert werden hier seit Langem versteckte Kosten und mangelnde Kommunikation der Freiwilligkeit dieses Nebengeschäfts (unter anderem Reifner et al., 2013) . Zum 1.7.2022 werden die Abschlussprovisionen bei Restschuldversicherungen nun auf 2,5 % des versicherten Darlehensbetrags begrenzt. Gerade für Personen mit geringen Einkommen sind faire und transparente Möglichkeiten für einen Kredit wichtig, denn Kredite können bei hohen Kosten zudem schnell zu Überschuldungstreibern werden. Die aufgezählten Themen betreff en zwar alle Bürger:innen gleichermaßen (und nicht nur überschuldete), die angesprochenen Änderungen haben aber eben gerade auf diese Einfl uss, da sie sich häufi ger in einer benachteiligten Position befi nden. Die Zahl der Verbraucherinsolvenzverfahren stieg im Jahr 2021 wie erwartet sprunghaft an. Besonders prägnant zeigte sich das im November 2021: Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen im November 2021 verdreifachte sich fast gegenüber November 2020 . Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Insolvenzanträge sich wieder normalisieren wird, denn sie ist vor allem auf die Verkürzung des Insolvenzverfahrens von sechs auf drei Jahre zurückzuführen und nicht auf die Pandemie. Viele Ratsuchende haben mit Blick auf die Verkürzung des Insolvenzverfahrens ihren Antrag auf Eröff nung eines Insolvenzverfahrens zunächst zurückgehalten, denn Verbraucher:innen müssen (im Gegensatz zu Unternehmen) in der Regel nicht innerhalb einer bestimmten Frist einen Antrag auf Eröff nung des Verfahrens stellen. Die zeitweise geschlossenen Beratungsstellen und Gerichte haben diesen Antragsstau noch verschärft. Die Berater:innen mussten so zunächst einmal den Rückstand abarbeiten (Roggemann et al., 2021b, 30; Peters und Roggemann, 2021, 17 8,2 2 0 1 2 2 0 1 3 2 0 1 4 2 0 1 5 2 0 1 6 2 0 1 7 2 0 1 8 2 0 1 9 2 0 2 0 2 0 2 1 % Zeitgespräch und dies auch für 2020 und 2021 bestätigt wurde, ist zu befürchten, dass sich die Folgen der Coronapandemie in den kommenden Jahren in steigenden Überschuldungszahlen niederschlagen werden (Peters und Roggemann, 2021, 43) . Leider ist (wie bei der Finanzkrise) daher davon auszugehen, dass sich die fi nanzielle Lage vieler Verbraucher:innen mit rund zwei Jahren Verzögerung auch in den Überschuldungsstatistiken zeigen wird. Das zeigte z. B. der iff -Überschuldungsreport 2009 nach der Finanzkrise (Knobloch et al., 2009, 26 ff .) . Verschiedene Untersuchungen innerhalb der letzten zwei Jahre zeigen die schweren fi nanziellen Auswirkungen der Pandemie auf Verbraucher:innen (Roggemann et al., 2021b; Kaps et al., 2021) . Die Situation hat sich immer nur phasenweise entspannt, bleibt aber insgesamt kritisch. Die negativen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie verstärken auch die soziale Ungleichheit. Neben Frauen, die strukturell von Ungleichheit betroff en sind, sind auch Personen ohne Berufsausbildung eher fi nanziell von den COVID-19-Maßnahmen betroff en. Auch die Ergebnisse einer repräsentativen deutschlandweiten Erhebung im Oktober 2020 zeigten bereits, dass die COVID-19-Pandemie voraussichtlich erheblich zu einer Erhöhung der privaten Überschuldung und zu einer Verschärfung der sozialen Ungleichheit führen wird. Eine fi nanzielle Überforderung vieler Menschen war bereits nach der ersten COVID-19-Welle nachweisbar und wird sich in Zukunft voraussichtlich für eine erhebliche Zahl an Menschen verschärfen (Roggemann et al., 2021b) . Entsprechend bedeutend ist der Zugang zu Unterstützungsleistungen zu bewerten. Doch die ohnehin an der Kapazitätsgrenze arbeitenden Beratungsstellen mussten sich in den vergangenen Jahren zusätzlichen Herausforderungen stellen. Die hohe Belastung der Schuldnerberatung bestätigen verschiedene Studien (Kaps et al., 2021, 23ff .; Roggemann et al., 2021b, 29 ff . Situation der Schuldnerberatung -Februar 2022 Monatsbericht zum Arbeits-und Ausbildungsmarkt Dispozins runter! Zehn Prozent sind zu viel Wie viel Dispozins verlangt Ihre Bank? Deutschlandweiter Vergleich von mehr als 3400 privaten Girokonten Creditreform Wirtschaftsforschung (Hrsg.) (2021), SchuldnerAtlas Deutschland 2021. Überschuldung von Verbrauchern % weniger beantragte Regelinsolvenzen im Januar 2022 als im Vormonat, Pressemitteilung, Nr. 054 Verbraucherpreisindizes. Verbraucherpreisindex: Sondergliederungen. Tabellen mit Jahresdurchschnitten und Monatswerten, Indizes und Veränderungsraten Studie zu Dispozinsen / Ratenkrediten. Forschungsvorhaben zur Bereitstellung wissenschaftlicher Entscheidungshilfe für das Bundesministerium für Ernährung Wie sind soziale Dienstleister, ihre Mitarbeitenden und ihre Nutzenden von der Corona-Pandemie betroff en und wie wirken die sozialpolitischen Unterstützungsleistungen? Positionspapier: Entwurf der neuen Verbraucherkreditrichtlinie wird im Bundesrat beraten Überschuldung in Deutschland, institut für fi nanzdienstleistungen e Unter Mitarbeit von Wilfried Laatz Grußwort der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz. 18. Insolvenzrechtstag. Deutscher Anwaltverein, Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung, 18. März Institut für Finanzdienstleistungen Fairness und Verantwortung im Konsumentenkredit -ein Bewertungsprojekt. Institut für Finanzdienstleistungen Gutachten zum produktiven Kredit, Verbraucherzentrale Bundesverband (Hrsg.) Private Überschuldung in Deutschland. Auswirkungen der Corona-Pandemie und die Zukunft der Schuldnerberatung