key: cord-1017728-4j2e46k5 authors: Dramburg, Stephanie; Braune, Katarina; Schröder, Lisa; Schneider, Welfhard; Schunck, Karl‑Ulrich; Stephan, Volker title: Mobile Applikationen (Apps) zu Diagnosefindung und Therapiesteuerung in der Kinder- und Jugendmedizin: Chancen und Grenzen date: 2021-07-07 journal: Monatsschr Kinderheilkd DOI: 10.1007/s00112-021-01233-6 sha: d24669ca7891718377406e9a85b4f063de3ade66 doc_id: 1017728 cord_uid: 4j2e46k5 Digitalization is finding its way into medicine in many different forms. Whether patient-centered, networking, supporting medical personnel or in (clinical) research: digital technologies have become an integral part of everyday medical life not only since the pandemic triggered by the SARS-CoV-2 virus. For example, mobile smartphone applications are among the most frequent developments; however, the multitude of available products and the lack of time in medical practice often make a reliable assessment of the quality, safety and functionality difficult. This review article summarizes current developments in mobile technologies in the field of pediatrics and adolescent medicine and illustrates available applications with concrete examples. The aim is to encourage readers to make their own experiences and to sharpen their view of possible risks. Die Digitalisierung hält in der Medizin in vielfältigster Form Einzug. Ob patientenzentriert, vernetzend, zur Unterstützung medizinischen Fachpersonals oder in der (klinischen) Forschung: Digitale Technologien sind aus dem medizinischen Alltag spätestens seit der durch das SARS-CoV-2 Virus ausgelösten Pandemie nicht mehr wegzudenken. Hierbei zählen u. a. mobile Smartphone-Anwendungen zu den häufigsten Entwicklungen. Doch die Vielzahl der erhältlichen Produkte und der Zeitmangel in der medizinischen Praxis machen eine zuverlässige Einschätzung der Qualität, Sicherheit und Funktionalität oft schwer. Der vorliegende Übersichtsbeitrag fasst aktuelle Entwicklungen "mobiler" Technologien aus dem Bereich der Kinder-und Jugendmedizin zusammen und veranschaulicht erhältliche Anwendungen anhand konkreter Beispiele. Ziel ist es, die Leser:innen zu animieren, eigene Erfahrungen zu machen und ihren Blick für evtl. Risiken zu schärfen. Telemedizin · Digitale Gesundheit · Sicherheit · Innovation · Krankheitsmanagement Die Nutzung digitaler Gesundheitstechnologien nimmt nicht nur in Deutschland seit mehreren Jahren stetig zu. Laut dem Digital-Health-Index der Bertelsmann Stiftung nahm die Bundesrepublik jedoch im Jahr 2018 noch den vorletzten Platz von 17 evaluierten Gesundheitssystemen im Hinblick auf die Aspekte politische Aktivität, "digital health readiness" und tatsächliche Datennutzung ein (. Abb. 1; [4] ). In der Zwischenzeit trieb neben den ohnehin angestoßenen Entwicklungen im Bereich Digitalisierung eine unerwartete Einflussgröße den Fortschritt voran: Die Weltbevölkerung sah sich mit einem bisher ungekannten Gesundheitsnotstand im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie konfrontiert. Dieser verlieh der Nutzung digitaler Technologien in vielen Lebensbereichen immensen Vorschub und beschleunigte viele Umsetzungen, die teils bereits vor der Pandemie angestoßen worden waren. Im November 2019 verabschiedete der Bundestag beispielsweise bereits das Digitale Versorgungsgesetz (DVG, [20] ) und machte Deutschland so zu einem der wenigen Länder, in denen zugelassene me-Abb. 1 Dass das Thema Gesundheits-Apps i. Allg. zu einer gewissen Verunsicherung führt, überrascht nicht, wenn man beachtet, dass im deutschsprachigen Raum im Jahr 2020 allein im Google PlayStore für Smartphones mit dem Betriebssystem Android ca. 3300 (Zahl gerundet) medizinische Apps zur Verfügung standen [15] . Zahlreiche Evaluationen führten zu dem Ergebnis, dass zwar eine Vielzahl von Themen und Bedürfnissen in diesen mobilen Applikationen adressiert werden, ihr Inhalt jedoch häufig nicht fachlich validiert oder leitliniengerecht ist [22, 24] . Auch in Sachen Transparenz und Datenschutz weisen viele Produkte Lücken auf, und eine qualitative Evaluation aus medizinischer Perspektive ist nur für wenige Anwendungen erhältlich. Auch wenn das DiGA-Verzeichnis eine Qualitätsevaluation garantiert, ist die Zahl der dort gelisteten Apps noch übersichtlich, und nicht alle Anwendungen werden ihren Weg in die entsprechende Liste finden, auch wenn sie für den Alltag von Patient:innen und medizinischem Personal vielleicht geeignet sein mögen. Um die Chancen und Risiken ausgewählter digitaler Anwendungen im Bereich der Kinder-und Jugendmedizin zu erörtern, werden im Folgenden ausgewählte Konzepte, Produkte und Anwendungsgebiete besprochen. In Anbetracht der zuvor erwähnten Vielzahl erhältlicher Apps erhebt der Beitrag keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern dient vielmehr einer Orientierung im Bereich "mobile health" (mHealth) in der Pädiatrie. Abgerundet wird die Betrachtung durch eine digitales "Videoassist"-System in der Neonatologie, das es erlaubt, die Erstversorgung im Kreißsaal "aus der Ferne" direkt durch ein übergeordnetes Zentrum zu begleiten. Dieses Jahr (2021) feiert die Entdeckung des Insulins und damit die lebensrettende Therapie des Typ-1-Diabetes ihr hundert-jähriges Jubiläum. Die Pädiatrie ist seither in einer Pionierrolle der Diabetesversorgung: In keiner Altersgruppe ist der Einsatz von Medizinprodukten mit Insulinpumpen und Sensoren zur kontinuierlichen Glucosemessung (CGM) so weit verbreitet wie hier [29] . Auch Insulinpens gibt es inzwischen als digitale "smart pens" [19] . Weiterhin gibt es eine Vielzahl von Diabetes-Apps zur digitalen Aufzeichnung ("loggen") von Therapiedaten (z. B. MySugr, OneDrop, Tidepool) oder zur Live-Verfolgung von CGM-Daten mit Alarmfunktionen für Freunde und Familie. Algorithmusgesteuerte Systeme für eine präzise und sichere Insulintherapie Durch algorithmusgesteuerte Systeme zur automatisierten Insulinabgabe ("automated insulin delivery", AID, auch "closed loop" oder "künstliches Pankreas" genannt) soll eine der physiologischen Situation ähnliche Stoffwechsellage erreicht und gleichzeitig die individuelle Belastung für Menschen mit Diabetes reduziert werden [7] . Die Entwicklung und Zulassung von AID-Systemen gestalten sich jedoch komplex und langwierig. Randomisierte klinische Studien erfordern Budgets in Millionenhöhe. Damit bestehen nichtunerhebliche Eintrittsbarrieren für Entwickler von AID-Systemen, aber auch Zugangshürden für Menschen mit Diabetes weltweit in Abhängigkeit von verschiedenen Gesundheitssystemen und dem Zulassungsstatus der Produkte in den jeweiligen Altersgruppen. Das von der Cambridge University entwickelte App-gesteuerte "CamAPS FX" ist derzeit das einzige CE-zertifizierte AID-System für Kinder unter 7 Jahren, jedoch noch nicht ins deutsche Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen und damit aktuell noch nicht verordnungsfähig. #WeAreNotWaiting: automatisierte Insulinabgabe "do it yourself" Unter dem Mantra #WeAreNotWaiting ("Wir warten nicht") hat sich eine Online-Community von Menschen mit Diabetes, ihren Familien und Freunden zusammengeschlossen, um nicht länger auf die Industrie warten zu müssen und sich AID-Systeme aus ihnen zur Verfügung stehenden Sensoren und Insulinpumpen selbst zu bauen [23] . Durch "reverse engineering" wurden auf Insulinpumpen gefundene Sicherheitslücken genutzt, um diese durch einen von einem Smartphone oder Mini-Computer betriebenen Algorithmus anzusteuern. Nicht von regulatorischen Behörden zugelassen, aber mit frei online zugänglichem Quellcode und Dokumentation, nimmt ihre Akzeptanz weltweit weiter zu. Inzwischen geht man davon aus, dass mehr als 10.000 Menschen weltweit solche "Do-it-yourself"-bzw. "Opensource"-AID-Systeme (. Abb. 3) nutzen, darunter etwa 20 % Kinder und Jugendliche [6] . Im von der Europäischen Union geförderten "OPEN"-Projekt [26] , an dem die Charité -Universitätsmedizin und Dedoc Labs aus Berlin beteiligt sind, wird der Einfluss der Off-Label-Nutzung von Open Source AID auf klinische Parameter sowie die Lebens-und Schlafqualität der Nutzer:innen und ihrer Familien untersucht. In Kooperation mit über 45 (Kinder-)Diabetolog:innen, Diabetesberater:innen und Psycholog:innen hat das internationale OPEN-Team außerdem einen internationalen Konsensus zur sicheren und ethischen Nutzung von Open Source AID entwickelt. Professionelle Diabetesorganisationen wie die International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes (ISPAD), die International Diabetes Federation Europe (IDFE) sowie die deutschen (VDBD e. V.) und amerikanischen (ADCES) Verbände der Diabetes-Beratungs-und Schulungsberufe haben sich den Empfehlungen des Konsensus bereits angeschlossen. In Anlehnung an kardiologische Applikationen bei Erwachsenen gibt es neben den bekannten Fitness-Apps ein zunehmendes Interesse an App-basierter Rhythmusüberwachung bei Kindern und Jugendlichen, die durch Datenübertragung von Herzschrittmachern oder aber im Zusammenspiel mit Wearables Herzrhythmusstörungen aufdecken. Zunehmend finden sich zudem Untersuchungen zum Einsatz des "digital health nudging", bei der ein sog. Anstupsen durch digitale Text-und Bildnachrichten auf das Smartphone erfolgt, um z. B. zu körperlicher Aktivität oder anderen Interventionen aufzufordern. Auch in anderen Subdisziplinen der Pädiatrie gibt es wachsende Bemühungen, die Vernetzung zwischen Patient:innen und Behandlerteam und damit insbesondere auch die Adhärenz durch patientenzentrierte Apps zu verbessern. Die Entwicklung befindet sich jedoch zum größten Teil jedoch noch in den Anfängen, und die Wertigkeit wird zurzeit in Studien überprüft. Anders verhält es sich mit der telemedizinischen Versorgung, die im Rahmen der COVID-19-Pandemie Einzug in verschiedenste Fachbereiche der Pädiatrie hielt [21, 32] . Tele-Health in der Neonatologievideoassistierte Erstversorgung nach der Geburt Die Erstversorgung Neugeborener nach der Geburt in Geburtskliniken kann das Team von Geburtsmedizinern und Anästhesisten vor Ort vor große Herausforderungen stellen. Als standortübergreifendes Perinatalzentrum (PNZ), das 2 externe Geburtskliniken mit dort zusammen über 2500 Geburten/Jahr in Notfällen versorgt, hat das PNZ des Vivantes Klinikum am Friedrichshain, Berlin, vor gut 2 Jahren eine neue Struktur geschaffen, die die Erstversorgung vor Ort bis zum Eintreffen des Neugeborenennotarztes verbessert -die videoassistierte Erstversorgung. Das machen Sie sehr gut ......" Beispiel 2 -PNZ: "Geben Sie 10 ml NaCl 0,9 %. -GynäkologIn vor Ort bestätigt das Verstandene durch Wiederholung der Anweisung: "10 ml NaCl 0,9 %." sowie die durchgeführten Arbeitsschritte nach de-renAbschluss: "10 ml NaCl 0,9 %intravenös sind drin". Auch das PNZ bestätigt das korrekte Verständnis: "10 ml NaCl 0,9 % sind gegeben, danke."" Um möglichst routinierte und standardisierte Abläufe zu garantieren, wurde eine schriftliche Kommunikationshilfe mit wichtigen Fragen sowie klar verständlichen Anleitungen und positiven Bekräftigungen erarbeitet -entsprechend der ABCDE-Kaskade der Reanimation (A: "airway", B: "breathing", C: "circulation", D: "disability", E: "exposure/environment" Der Fall von #WeAreNotWaiting zeigt exemplarisch, wie informierte Patient:innen bereits heute in der Lage sind, die Medizinproduktindustrie und die regulatorische Landschaft aktiv umzugestalten und damit ein breites Spektrum an Reaktionen der verschiedenen Stakeholder hervorzurufen [11] . Die oft lebhaften und kontroversen Diskussionen um den Einsatz von Open Source AID erinnern mitunter an Debatten auf den Fachkongressen der vergangenen Jahrzehnte, bei denen thematisiert wurde, ob Menschen mit Diabetes als "medizinische Laien" Blutzuckerselbstmessungen durchführen oder die Dosierung ihres Insulins selbst adaptieren dürfen. Läuten Bewegungen wie #WeAreNotWaiting ein neues Zeitalter der patientenzentrierten, digitalen Medizin ein? Wie können wir das gemeinsame Ziel sicherer und verfügbarer Therapiemethoden in Zukunft schneller erreichen? Wie können wir die Medizinprodukte der Zukunft gemeinsam mit Patient:innen und ihren Familien als aktive Akteure entwickeln anstatt für sie als passive Empfänger eines Produktes oder einer Gesundheitsleistung? Und wird es die digitale Medizin schaffen, mit dem rasanten Tempo des nutzerzentrierten digitalen Zeitalters mitzuhalten? Neben diesen wichtigen, entwicklungsorientierten Fragestellungen sehen sich Ärzt:innen im medizinischen Alltag oft mit weiteren Fragen zu bereits existierenden Anwendungen konfrontiert. Wer garantiert die Qualität der angebotenen Inhalte? Basieren diese auf Leitlinien oder klinischer Evidenz? Entspricht das Produkt den Standards für Datenschutz und -sicherheit? Was passiert mit den aufgezeichneten Inhalten? Welche Patienten eignen sich für die Nutzung mobiler Anwendungen? Was geschieht im Haftungsfall? Um Ärzt:innen und Patient:innen in diesen Fragen zu unterstützen, bedarf es zertifizierter Verzeichnisse wie beispielsweise des DiGA-Verzeichnisses. Aber auch Fachgesellschaften und Patientenorganisationen können einen unterstützenden Beitrag leisten, indem sie strukturierte Evaluationen aktueller Technologien vornehmen. Letzten Endes sollte die Entscheidung für oder gegen die Nutzung digitaler Angebote idealerweise dem Prinzip des "shared and informed decision-making" folgen, um die Zusammenarbeit zwischen medizinischem Personal und Patienten optimal zu unterstützen. The focused neurosurgical examination during telehealth visits: guidelines during the COVID-19 pandemic and beyond The Society for Integrative Oncology Practice Recommendations for online consultation and treatment during the COVID-19 pandemic Bertelsmann Stiftung Shaping workflows in digital and remote diabetes care during the COVID-19 pandemic: a service design approach Realworld use of do-it-yourself artificial pancreas systems in children and adolescents with type 1 diabetes: online survey and analysis of selfreported clinical outcomes A randomized trial of closed-loop control in children with type 1 diabetes HammondPetal(2020) Health-care professional opinions of DIY artificial pancreas systems in the UK Effect of Telehealth system on Glycemic control in children and adolescents with type 1 diabetes Telemedicine in allergology: practical aspects: a position paper of the Association of German Allergists (AeDA) Monthly video-consultation for children with type 1 diabetes using a continuous glucose monitoring system: design of ViDiKi, a multimethod intervention study to evaluate the benefit of Telemedicine Healthon Statistiken Kassenärztliche Bundesvereinigung Kassenärztliche Bundesvereinigung Evolution of insulin delivery devices: from syringes, pens, and pumps to DIY artificial pancreas Digitale-Versorgung-Gesetz: Schub für die digitale Versorgung Telemedicine in the pediatric surgery in Germany during the COVID-19 pandemic Gesundheitsangebote für Kinder und Jugendliche im App-Format org -#WeAreNotWaiting to reduce the burden of Type 1 diabetes The role of mobile health technologies in allergy care: an EAACI position paper The diagnosis of respiratory disease in children using a phone-based cough and symptom analysis algorithm: The smartphone recordings of cough sounds 2 (SMARTCOUGH-C 2) trial design Evidence on user-led innovation in diabetes technology (the OPEN project): protocol for a mixed methods study A prospective multicentre study testing the diagnostic accuracy of an automated cough sound centred analytic system for the identification of common respiratory disorders in children Digitale Gesundheitsanwendungen: Die Akzeptanz steigern Insulinpumpe, kontinuierliche und kapilläre Glukosemessung bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Diabetes mellitus: Daten des DPV-Registers zwischen Health Innovation Hub (2020) Ärzte im Zukunftsmarkt Gesundheit. Ärztliche Arbeit und Nutzung von Videosprechstunden während der Covid-19-Pandemie Patientenzahlen im Rahmen der COVID-19-Pandemie in einer zentralen Notaufnahme A prospective, multisite study analyzing the percentage of urological cases that can be completely managed by telemedicine Digitalization is finding its way into medicine in many different forms. Whether patient-centered, networking, supporting medical personnel or in (clinical) research: digital technologies have become an integral part of everyday medical life not only since the pandemic triggered by the SARS-CoV-2 virus. For example, mobile smartphone applications are among the most frequent developments; however, the multitude of available products and the lack of time in medical practice often make a reliable assessment of the quality, safety and functionality difficult. This review article summarizes current developments in mobile technologies in the field of pediatrics and adolescent medicine and illustrates available applications with concrete examples. The aim is to encourage readers to make their own experiences and to sharpen their view of possible risks. Mobile health · Digital health · Safety · Risk · Innovation