key: cord-1012536-ulngg9x0 authors: Rovas, Alexandros; Kümpers, Philipp title: Störung der Mikrozirkulation bei COVID-19 date: 2021-08-10 journal: Med Klin Intensivmed Notfmed DOI: 10.1007/s00063-021-00842-z sha: 9229ca6d9c2bc26777b88bd02dd19ce8b2bcd923 doc_id: 1012536 cord_uid: ulngg9x0 nan Mit zunehmendem Verständnis der komplexen Pathophysiologie und der Dauer der Pandemie wird immer klarer, dass Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) mehr als nur eine virale Pneumonie ist. Konkret entwickeln COVID-19-Patienten nicht nur eine isolierte Lungenentzündung, die teilweise in einem akuten Atemnotsyndrom (ARDS) gipfelt, sondern weisen auch eine Vielzahl extrapulmonaler Symptome und Organversagen auf, wie z. B. akute Nierenschädigung (AKI), Herzschädigung, Koagulopathie und thromboembolische Komplikationen bis zum Kreislaufschock [3] . Frühe In-vitro-Experimente und postmortale Studien deuteten an, dass SARS-CoV-2 (engl. "severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2") möglicherweise an vaskulär exprimierte ACE2(angiotensinkonvertierendes Enzym 2)-Rezeptoren bindet und so direkt die Endothelzellen befallen kann [2] . Diese Vermutung und weitere klinische Befunde nährten die Hypothese, dass es sich bei COVID-19 primär um eine (mikro)vaskuläre Erkrankung handelt, bei der das Endothel und die Mikrozirkulation eine zentrale Rolle in der Pathophysiologie und für den klinischen Verlauf spielen könnten. Das Endothel und insbesondere seine schützende, kohlenhydratreiche Schicht -die endotheliale Glykokalyx (eGC) -regu-lierendieHomöostaseder Mikrozirkulation [9] . In mehreren Tiermodellen ist bereits gezeigt worden, dass die Schädigung der eGC eine zentrale Rolle bei akuten und chronischen vaskulären Entzündungszuständen spielt. Beispielsweise scheint in der bakteriellen Sepsis die systemische Schädigung der eGC ein wesentlicher, vielleicht sogar der initiale Trigger für die Organdysfunktion (insbesondere akute Lungen-und Nierenschädigung) zu sein. Tatsächlich konnte in einem experimentellen Sepsismodel gezeigt werden, dass durch die Hemmung des enzymatischen Glykokalyxabbaus das Auftreten einer akuten Lungenschädigung vollständig verhindert werden kann [8] . Um die mikrovaskuläre bzw. endotheliale Schädigung bei COVID-19-Patienten genauer zu quantifizieren, führten wir eine multizentrische prospektive Studie durch. Insgesamt 23 COVID-19-Patienten, davon 14 unter invasiver Beatmung, wurden eingeschlossen und über einen Zeitraum von 60 Tagen oder bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus nachverfolgt. Primärer Endpunkt war die 60-Tage-Krankenhaussterblichkeit, sekundäre Endpunkte waren die Entwicklung eines ARDS oder das Auftreten thromboembolischer Ereignisse. Als Kontrollendienten15 gesundeProbanden. Bei allen Studienteilnehmern erfolgten die Bestimmung von a priori ausgewählten Endothel-und Glykokalyxmarkern im Plasma sowie eine Visualisierung und Analyse der sublingualen Mikrogefäße mittels Intravitalmikroskopie. Hierbei nutzen wir eine Sidestream-Darkfield-Kamera in Kombination mit einer speziell entwickelten Software fused boundary region" (PBR) errechnet werden. Die PBR entspricht dabei vereinfacht gesagt der Eindringtiefe der Erythrozyten in die endotheliale Glykokalyx. Eine niedrige PBR entspricht einer intakten Glykokalyx -hohe Werte sprechen für eine zunehmend zerstörte Glykokalyx. In eigenen Vorarbeiten an Notaufnahmeund Intensivpatienten konnten wir sowohl eine sehr gute und untersucherunabhängige Reproduzierbarkeit der Methode [4] sowie ihre hohe Präzision nachweisen [1, 7] . Neben der PBR lässt sich mit dem System auch die Dichte der sublingualen Gefäße (engl. "capillary density") bestimmen. Dabei nutzen wir eine kürzlich erstmals publizierte Auswertungsroutine, die eine hochquantitative Analyse der Kapillardichte in einzelnen Durchmesserklassen (1 μm-Schritte im Bereich von 4-25 μm Gefäßdurchmesser) ermöglicht [6] . In der Originalarbeit "Microvascular dysfunction in COVID-19 patients: the MYSTIC study" konnten wir erstmals detailliert die Kapillarschädigung bei COVID-19 beschreiben und zeigen, dass die Patienten eine schwere Abnahme der Kapillardichte und eine ausgeprägte Schädigung der eGC aufweisen [5] . Unsere neuartige Analyse ergab eine dramatische Abnahme der Kapillardichte von bis zu 90 % im Vergleich zu gesunden Kontrollen, die sich ganz überwiegend an den kleinen Kapillaren (<10 μm) abspielte und gut mit der Krankheitsschwere korreliert (. Abb. 1a). Mechanisch beatmete Patienten wiesen dabei eine schwerere eGC-Schädigung auf, die mit erhöhten Plasmaspiegeln abgelöster Glykokalyxbestandteile (Syndecan-1 und Hyaluronsäure) einherging (. Abb. 1b-d) . Syndecan-1, die PBR und endotheliale Marker, wie ADAMTS13, angiotensinkonvertierendes Enzym 2 (ACE2), D-Dimere und VEGF-A, konnten die Entwicklung eines mittelschweren bis schweren ARDS im Krankenhausaufenthalt voraussagen. Neben den D-Dimeren waren lediglich die PBR und die Syndecan-1-Spiegel prädiktiv für thromboembolische Ereignisse. Basierend auf früheren Arbeiten unserer Gruppe untersuchten wir auch die potenzielle Rolle des Angiopoietin(Angpt)/Tie2-Systems in der aktuellen Studie. Mechanistisch gesehen vermittelt die Bindung von zirkulierendem Angpt-2 am endothelial exprimierten Tie2-Rezeptor die Aktivie-rung und Sekretion von Heparanase aus bestimmten zellulären Speicherpools mit konsekutivem enzymatischem Abbau der Glykokalyx [1] . Tatsächlich war Angpt-2 (aber auch weitere Marker einer akuten Endothelschädigung) bei den COVID-19-Patienten im Vergleich zu den Kontrollen signifikant erhöht (vgl. Boxplot im Onlinezusatzmaterial). Tie2 activation promotes protection and reconstitution of the endothelial glycocalyx in human sepsis SARS-CoV-2 cell entry depends on ACE2 and TMPRSS2 and is blocked by a clinically proven protease inhibitor Clinical features of patients infected with 2019 novel coronavirus in Wuhan Bedside analysisofthesublingualmicrovascularglycocalyx in the emergency room and intensive care unit-the GlycoNurse study Microvascular dysfunction in COVID-19: the MYSTIC study Identification of novel sublingual parameters to analyze and diagnose microvascular dysfunction in sepsis: the NOSTRADAMUS study Association of sublingual microcirculation parameters and endothelial glycocalyx dimensions in resuscitated sepsis The pulmonary endothelial glycocalyx regulates neutrophil adhesion and lung injury during experimental sepsis The glycocalyx: a novel diagnostic and therapeutic target in sepsis