key: cord-0991296-291stg7b authors: Fritsche, Jan Philipp; Harms, Patrick Christian title: Corona-Krise: (Wirtschafts-)politische Perspektiven: Die Reflexe aus der Finanzkrise sind nicht genug! date: 2020-04-22 journal: Wirtschaftsdienst DOI: 10.1007/s10273-020-2630-6 sha: 451e93285a779848131358ab6c2e1ac307d863f4 doc_id: 991296 cord_uid: 291stg7b The explosion of Covid-19 cases is looming in Germany. The German Society for Epidemiology has warned that the number of cases could soon overshoot the capacity of the healthcare system. This may be true even if Germany follows the ‘flatten-the-curve’- approach to reduce infection rates. A suppression of the virus remains the best solution for the crisis. Supply will suffer as long the virus persists. Until then, demand side measures will not cure the epidemic. Coordinated measures for business that ensure compliance and European debt instruments may be part of a strategy to solve the crisis. fugnisse gesichert hat, auf die Produktion und die Steuerung der Unternehmen einzuwirken, bleiben solche Bemühungen im Euroraum bisher aus (The White House, 2020). Europa braucht schnell eine klare Strategie zur Bekämpfung der drohenden Herausforderungen, damit die ganze Bevölkerung daran mitwirken kann und von der Unsicherheit befreit wird. Eine transparente Kommunikation hat jetzt oberste Priorität. Brachliegende Ressourcen sollten so weit wie möglich genutzt werden -um die medizinische Versorgung sicherzustellen oder zu verbessern. Schließlich muss die Krise als europäisches Problem begriffen und bewältigt werden. Leidet ein Staat, leiden alle. Der COVID-19-Schock ist zunächst ein rapides und starkes Absinken des gesamtwirtschaftlichen Angebots. Der Großteil der früh ergriffenen Maßnahmen (Absagen von Veranstaltungen, Quarantäne, Isolation etc.) führt unmittelbar zu einem Rückgang des Arbeitsvolumens und damit zu einem Einbruch bei der Produktion von Waren und Dienstleistungen und schließlich auch der Einkommen. Derzeit ist davon auszugehen, dass sich diese Maßnahmen über mehrere Quartale erstrecken, wodurch eine technische Rezession unvermeidlich erscheint (Michelsen et al., 2020) . Grundsätzlich dürfte die eigentliche Ursache dieser Angebotseinbrüche wieder verschwinden, sobald die Verbreitung des Virus gestoppt und die Maßnahmen, die dies erzwingen sollen, gelockert wurden. Allerdings bedeutet die Stilllegung des gesamtwirtschaftlichen Angebots für viele Unternehmer erhebliche Umsatz-und Ge-Die weitere Verbreitung des Virus in China scheint erst einmal gestoppt (Cyranoski, 2020) , während der Rest der Welt in eine tiefe Rezession zu stürzen droht. Bislang haben sich die wenigsten Staaten dazu entschlossen, der fortschreitenden Ausbreitung so entschieden zu begegnen, wie China es gewagt hat. Der niedrige Ölpreis lässt zweifeln, ob die Produktion in China tatsächlich schnell wieder anziehen wird. Unklar ist auch, ob es überhaupt gelingen kann, das Virus nach Abschluss der Maßnahmen und bei einer Rückkehr zur Normalität nachhaltig zurückzudrängen. Auch ohne stützende fi skalpolitische Maßnahmen führt die Rezession zu deutlichen Ausgabensteigerungen und Steuerausfällen bei den Staaten, wodurch die Staatsverschuldung massiv ansteigen wird. Alle Fiskalregeln -wie Fiskalpakt und Schuldenbremse -sehen für derartige Krisen Ausnahmen vor und lassen deutlich höhere Niveaus der Neuverschuldung zu. In besonders verwundbaren und stark betroffenen Staaten -wie Italien und Spanien -steigt daher das Risiko für Zahlungsausfälle der öffentlichen Hand, die jetzt schon mit höheren Renditeaufschlägen etwa gegenüber Bundesanleihen leben müssen. Nichtsdestotrotz erscheint die Schuldentragfähigkeit derzeit auch aufgrund des weiter andauernden Ankaufprogramms von Staatsanleihen weitestgehend gegeben und der Euroraum ist auf derartige Ausfälle durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und die Möglichkeit der geldpolitischen Outright-Geschäfte besser vorbereitet als in der Vergangenheit. All diese Mechanismen sind von temporärer Natur und die Lage wird sich mehr oder weniger sofort wieder entspannen, wenn Produktion und Dienstleistungen wieder in größerem Umfang bereitgestellt werden. Ob die Situation sich daher auf eine tiefgreifende Krise des Finanzsystems auswächst, ist gegenwärtig nicht absehbar. Aus diesem Grund ist die entscheidende Frage derzeit nicht, ob mit einem Einbruch oder einer Rezession zu rechnen ist -diese gilt als sicher -, sondern wie In diesem Zusammenhang ist das Szenario "missglückte Intervention" die größte Gefahr, da die Krise in diesem Fall am längsten andauert. Die beschriebenen ökonomischen Probleme würden hier am stärksten zutage treten und es muss mit einer alleine aufgrund des Virus mehrjährigen Schwächephase gerechnet werden, die das Potenzial hat, die Weltwirtschaft mittel-bis langfristig zu schwächen. Vor allem bei der Suppressionsstrategie, die hier aus gesundheitlicher und ökonomischer Perspektive als das Ideal hervorgehoben wird, muss es einen weiteren Plan für die Zeit nach der ersten Eindämmung geben. Unter dem Titel "The Hammer and the Dance" ist eine solche Strategie mittlerweile bekannt geworden. Sie zielt darauf ab, zunächst mit drastischen Maßnahmen die Ausbreitung einzudämmen (Hammer) und in der darauffolgenden Zeit mittelfristig die Maßnahmen schrittweise zu lockern und wenn nötig wieder zu straffen (Dance) (Pueyo, 2020) . Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, hat diese Strategie es mittlerweile in ein nicht veröffentlichtes Strategiepapier der Bundesregierung geschafft (Richter, Mascolo and Charisius, 2020) . Eine wissenschaftliche Schwachstelle dieses Szenarios ist jedoch, dass es eine wesentlich kürzere Aufrechterhaltung der sozialen Distanzierung annimmt, als aus wissenschaftlicher Sicht gerechtfertigt wäre (DGEpi, 2020; Ferguson et al., 2020) . Die Tendenz, gesundheitliche Probleme nicht primär politisch zu adressieren, muss jetzt gebrochen werden. Als 1842 das erste Kanalisationssystem Deutschlands in Hamburg gebaut wurde, geschah dies als Reaktion auf einen gigantischen Brand, der eine Trinkwasserknappheit zur Folge hatte. Seit der neoklassischen Wende werden moderne Gesundheitsprobleme tendenziell eher dem Individuum oder den der Krise ist dies auch für andere schwächer aufgestellte Volkswirtschaften zu erwarten. Eine solche Entwicklung mit drastisch auseinandergehenden Zinsdifferenzen zwischen den Volkswirtschaften, gestiegener Unsicherheit um die Zahlungsfähigkeit einzelner Staaten und Kapitalfl ucht gilt es zu vermeiden. Daher sind die neuesten Diskussionen um gemeinsame Anleihen der Staaten des Euroraums zu begrüßen, um nicht wieder der EZB eine eigentlich fi skalpolitische Aufgabe aufzubürden. Diese könnte erst nachdem einzelne Regierungen einen Antrag auf Finanzierung aus dem ESM gestellt haben, im Rahmen des OMT-Programms gezielt Anleihen einzelner Länder kaufen. 2 Ähnlich wie die Hongkonger Zentralbank kündigte auch die amerikanische Trump-Administration bereits Helikoptergeld von zwei Schecks je 1.200 US-$ für die Bevölkerung an (Mascaro, Taylor und Lemire, 2020) . Dazu sollen starke Steuererleichterungen und Notfallkredite für Unternehmen kommen. In Deutschland wird auf Bundesebene ebenso über Helikoptergeld diskutiert, während der Berliner Bürgermeister Müller bereits 5.000 Euro für alle Solo-Selbstständigen als unbürokratische Direkthilfe angekündigt hat. Falls Helikoptergeld im größeren Stil in Europa ausgeschüttet werden sollte, wird es wahrscheinlich eher eine Maßnahme der EZB werden oder aus einem europäischen Budget kommen. Obwohl der Begriff mittlerweile Synonym für bürokratiefreie Transferzahlungen an die Bevölkerung benutzt wird, ist dabei zu bedenken: Während Helikoptergeld durch den Staat den Haushalt belastet, führt der direkte Transfer durch die Zentralbank niemals zu einem Anstieg der Schulden. 3 Die Vermögensmärkte haben sich trotz der Maßnahmen bisher nicht erholt, die Arbeitslosenzahlen der USA drohen auf das Niveau der Finanzkrise zu schnellen und die Bevölkerung ist weiterhin uneinig über die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen. Die Autobauer schließen ihre Werke und die Airlines fl iegen ohne Passagiere, um ihre Slots an den Flughäfen zu behalten. Das bedeutet: Die Maßnahmen müssen konkreter werden und die Politik muss lenkend eingreifen. Die Ausgangslage für die deutsche Politik ist günstig: Die Notenbanken haben mit starken Maßnahmen ihren Teil zur Krisenbewältigung beigetragen, auch fi skalpolitisch wurde schnell und gekonnt agiert, um die Unsicherheit zu begren-Wirtschaftsminister gemeinsam eine Garantie für alle jetzt in der Corona-Krise vergebenen Kredite ausgesprochen und die Möglichkeit von Steuerstundungen angekündigt. Damit kann davon ausgegangen werden, dass -so lange die von der Geldpolitik veranlassten Maßnahmen ihr Ziel erreichen und die Liquiditätssituation im Finanzsystem stabil haltenkein Unternehmen alleine aufgrund unzureichender Liquidität den Betrieb einstellen muss. Allerdings sind die Umsatzund Gewinneinbußen teilweise so groß, dass insbesondere in kleineren und mittleren Unternehmen die dünne Kapitaldecke schnell aufgezehrt werden könnte. Derzeit werden daher diverse weitere Ideen diskutiert, die insbesondere Kleinunternehmern und Selbstständigen sowie besonders stark betroffenen Branchen durch die Krise helfen sollen. Dieser Katalog an Maßnahmen folgt grundsätzlich der Idee einer kurzfristigen Krise, die nach dem Ende der gesundheitlichen Krise beendet ist, wenn die Maßnahmen zur Eindämmung gelockert werden. Es ist derzeit nur indirekt einzusehen, dass weiterreichende fi skalpolitische Expansionen zur Stimulierung der Nachfrage während der akuten Corona-Krise hilfreich sind. Der Angebotsschock und damit der Einbruch der Produktion wird in jedem Fall so lange bestand haben, wie die Ausbreitung des Virus nicht gestoppt ist und die Maßnahmen zur Eindämmung andauern. Gleichzeitig gibt es derzeit keinen Grund anzunehmen, dass die einzelnen Nachfragekomponenten selbst im Falle der idealtypischen, schnellen Beendigung der Krise sofort und vollständig auf ihr altes Niveau ansteigen. Beinahe alle Haushalte, die mit Kurzarbeit, Arbeitslosengeld I, Umsatzeinbußen bei unternehmerischer Tätigkeit oder Vermögensverlusten konfrontiert werden, nehmen Einkommensverluste hin, die die Konsumnachfrage schwächen können. Die deutsche Wirtschaft dürfte durch ihre internationale Verfl echtung besonders stark von dem weiteren Absinken des Welthandelsvolumens betroffen sein und die Investitionen werden aufgrund der erwartbar erhöhten Unsicherheit verhalten bleiben. Daher ist spätestens nach Ende der akuten Krise eine fi skalpolitische Expansion über die automatischen Stabilisatoren hinaus angezeigt. 1 Im Euroraum sind mit Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien alle größeren Volkswirtschaften massiv von der Ausbreitung des Virus betroffen und alle haben mit weitreichenden und einschränkenden Maßnahmen reagiert. In Spanien und insbesondere in Italien dürften die fi skalischen Belastungen die Regierungen vor große Herausforderungen stellen. Bei einer andauernd niedrigen ökonomischen Aktivität könnte die italienische Regierung aufgrund der hohen Staatsverschuldung von etwa 135 % mit dem Ausgabenanstieg und Einnahmeneinbruch überfordert sein und Probleme bei der Refi nanzierung bekommen. Je nach Verlauf zen. Deutschland hat mit den selbst auch längerfristig negativen Zinsen auf Anleihen derzeit beste Voraussetzungen, um nachhaltige Verbesserungen durch Investitionen herbeizuführen. Dazu verfügt die Bundesrepublik über eine solide Arbeitslosenversicherung und ein sehr gutes Gesundheitssystem. Jetzt ist eine Strategie für die Abläufe auch abseits der Welt des Geldes von Nöten. Um Unmut zu verhindern, muss klar werden, wie lange das öffentliche Leben stillstehen soll. Ein konzertiertes europäisches Vorgehen könnte brachliegende Ressourcen dort nutzbar machen, wo sie am dringendsten gebraucht werden. So sind mit dem Stillstand des zivilen Flugverkehrs große Kapazitäten frei geworden, um Helfende oder Materialien schnell dort einzusetzen, wo sie gebraucht werden. Personen aus besonders betroffenen Industrien könnten durch Schulungen befähigt werden, in der Pfl ege einen guten Dienst zu erweisen und ihr Arbeitseinkommen zu sichern. Die kreativen Berufe könnten Universitäten bei der Digitalisierung und dem Ausbau ihres Onlineangebots unterstützen. Es fehlt nicht an Aufgaben oder Möglichkeiten. Die Digitalisierung sollte vorangebracht werden. Ebenso der Ausbau einer fl ächendeckenden Abdeckung durch das 5G-Internet. Die Förderung der digitalen Affi nität ist besonders gut mit der Situation vereinbar. Unternehmen könnten dabei unterstützt werden, ihre Wertschöpfungsketten resilienter und nachhaltiger zu machen. Eine zweckgebundene europäische Anleihe für Gesundheitsausgaben würde nationale Haushalte entlasten und hätte als sicherer Hafen gleichzeitig das Potenzial, die Finanzmärkte zu beruhigen (European Commission, 2020). Gleichzeitig könnte sie den humanitären Zusammenhalt in Europa stärken. Für alle, die das nicht überzeugt, sei gesagt: Mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung Deutschlands wird im Ausland erwirtschaftet. Lahmt Europa, ist die deutsche Volkswirtschaft immer mitbetroffen. In Italien wurde bereits begonnen, Open-Source-Beatmungsgeräte von Zuhause aus mit dem 3D-Drucker herzustellen und so Leben zu retten. Es wird sicher dauern, bis wir das alle können. Wichtig ist aber, dass sich eine agile Denkweise durchsetzt, um mit den neuen Gegebenheiten Abstract: The explosion of Covid-19 cases is looming in Germany. The German Society for Epidemiology has warned that the number of cases could soon overshoot the capacity of the healthcare system. This may be true even if Germany follows the 'fl atten-the-curve'approach to reduce infection rates. A suppression of the virus remains the best solution for the crisis. Supply will suffer as long the virus persists. Until then, demand side measures will not cure the epidemic. Coordinated measures for business that ensure compliance and European debt instruments may be part of a strategy to solve the crisis. JEL Classifi cation: E50, E60, I10 Auch für Gesundheitsversorgung gilt: ein effi zienter Umgang mit Ressourcen kann dazu beitragen Mitigating the COVID Economic Crisis: Act Fast and Do Whatever It Takes Italy, the ECB and the need to avoid another euro cirisis Wirtschaftliche Implikationen der Corona-Krise und wirtschaftspolitische Maßnahmen What China's Coronavirus Response Can Teach the Rest of the World Stellungnahme zur Verbreitung des neuen Coronavirus (SARS-CoV-2), Dgepi.de ECB Announces €750 Billion Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP Wir stützen unsere Wirtschaft ohne Wenn und Aber Impact of non-pharmaceutical interventions (NPIs) to reduce COVID-19 mortality and healthcare demand Handlungsspielraum der EZB: Von Zinspolitik bis Helikoptergeld, DIW Roundup: Politik im Fokus Trump, Congress agree on $2 trillion virus rescue bill Deutsche Wirtschaft: Corona-Virus stürzt deutsche Wirtschaft in eine Rezession: Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung im Frühjahr 2020 Coronavirus: The Hammer and the Dance Innenministerium dringt auf massive Test-Ausweitung, Süddeutsche.de Remarks by President Trump, Vice President Pence, and Members of the Coronavirus Task Force in Press Briefi ng