key: cord-0973005-98bl3veh authors: Guertler, Lutz G. title: Tollwut (Rabies, Lyssa) date: 2010-08-31 journal: DoctorConsult - The Journal. Wissen für Klinik und Praxis DOI: 10.1016/j.dcjwkp.2010.06.013 sha: 22b288235165e41f4d52d90da709388685088f81 doc_id: 973005 cord_uid: 98bl3veh Zusammenfassung Die Tollwut gehört in Deutschland inzwischen zu den sogenannten vergessenen Krankheiten, obwohl weltweit jährlich mehr als 55 000 Fälle auftreten und mehr als 10 Millionen Post-Expositions-Impfungen durchgeführt werden. Das die Krankheit auslösende Agens ist ein umhülltes Virus. Nach Biss einer Fledermaus, oder meist eines Fuchses in Mitteleuropa, eines Hundes in Afrika, Asien und Südamerika oder eines anderen Tieres wird das Virus in Muskelzellen aufgenommen, vermehrt sich und bekommt einige Zeit später Zugang zu Nervenzellen. Das Virus lagert sich z.B. an den Acteycholin-Rezeptor an und wird im Axon zum Gehirn transportiert und vermehrt sich intrazellulär. Infizierte Nervenzellen ändern ihre Funktion. Die Inkubationszeit bis zum Auftreten von Symptomen beträgt etwa 2 Wochen bis Monate. Symptome sind Enzephalitis oder Paralyse, gefolgt von Hypersalivation, Hydrophobie, Koma und Tod. Die Krankheit beim Menschen verläuft bei Nicht-Geimpften ohne immunologische Intervention, d.h. ohne die Post-Expositions-Impfung, immer tödlich. Eine antivirale Therapie steht nicht zur Verfügung. Die Krankheit Tollwut kann durch präventive und bei Verletzung an der unteren Extremität durch postexpositionelle Impfung verhindert werden. Natürliche Wirte sind Kleinnager, Fledermäuse und Karnivoren; insofern ist Tollwut eine Zoonose und das Virus kann nicht ausgerottet werden. Abstract Rabies is one of the so-called lost diseases in Germany despite every year more than 55.000 cases occur worldwide and more than 10 million post-exposition immunisations are being accomplished. The disease is caused by a virus. After a bite by a bat or, more often, a fox in Central Europe, or a dog in Africa, Asia or South America or any other animal the virus is being incorporated in muscle cells, multiplies and after a while gets access to nerve cells. The virus attaches e.g. to acetylcholine receptors, is transported via the axon to the brain where it reproduces intracellularly. Infected nerve cells change their function. Incubation period up to the appearance of any signs and symptoms is approximately 2 weeks to months. Signs and symptoms are encephalitis or paralysis followed by hypersalivation, hydrophobia, coma and death. In people who have no vaccine protection and do not receive post-exposure vaccination the disease is lethal throughout. There is no antiviral therapy available. Rabies can be prevented by pre-emptive immunisation or after injuries of the lower limb by post-exposure prophylaxis. Natural hosts are small rodents, bats, and carnivores; in this respect rabies is a zoonotic disease and the virus can not be extinguished. Rabies is one of the so-called lost diseases in Germany despite every year more than 55.000 cases occur worldwide and more than 10 million post-exposition immunisations are being accomplished. The disease is caused by a virus. After a bite by a bat or, more often, a fox in Central Europe, or a dog in Africa, Asia or South America or any other animal the virus is being incorporated in muscle cells, multiplies and after a while gets access to nerve cells. The virus attaches e.g. to acetylcholine receptors, is transported via the axon to the brain where it reproduces intracellularly. Infected nerve cells change their function. Incubation period up to the appearance of any signs and symptoms is approximately 2 weeks to months. Signs and symptoms are encephalitis or paralysis followed by hypersalivation, hydrophobia, coma and death. In people who have no vaccine protection and do not receive post-exposure vaccination the disease is lethal throughout. There is no antiviral therapy available. Rabies can be prevented by pre-emptive immunisation or after injuries of the lower limb by post-exposure prophylaxis. Natural hosts are small rodents, bats, and carnivores; in this respect rabies is a zoonotic disease and the virus can not be extinguished. © 2010 Published by Elsevier GmbH. Das Bild der Tollwut wurde schon in babylonischer Zeit beschrieben. Das Rabies-Virus ist weltweit verbreitet, seine Verbreitung wurde seit 1990 in Europa und Nordamerika durch Köderimpfung eingeschränkt. Die Übertragung erfolgt im Wesentlichen durch Biss eines tollwütigen oder selten asymptomatisch infizierten Tieres, selten über Schmierinfektion oder Inhalation. Endogene Übertragungen kommen in Deutschland kaum noch vor, E-mail address: lutzg.guertler@vodafone.de. die wenigen importierten Fälle, die im Ausland erworben werden. führen nach Rückkehr zu Krankheitserscheinungen, die kaum mehr erkannt werden. So gehört Tollwut heute zu den vergessenen Krankheiten. Die ersten auftretenden Symptome werden häufig einer Enzephalitis durch Herpes-simplex-Virus Typ 1 oder einem Guillain-Barré-Syndrom zugeordnet [6] . Jedoch kann nur durch eine schnelle postexpositionelle Impfung der tödliche Ausgang der Infektion verhindert werden -insofern ist die frühe Diagnosesicherung unerlässlich. Die Rabiesvirus-Komponenten lösen eine zügige und fundierte Immunantwort aus mit T-Zell-Immunität und neutralisierenden Antikörpern. Die Krankheit kann durch Grundimmunisierung mit Applikation der Vakzine an den Tagen 0, 7 und 21 bzw. 28 verhindert werden. Die erste erfolgreiche Post-Expositions-Impfung gegen Tollwut wurde von Louis Pasteur beim Menschen 1885 durchgeführt. Hauptverbreitungsgebiete von Rabiesvirus sind Afrika und Asien; allein in Indien sterben jährlich etwa 30 000 Menschen an Tollwut. Die Übertragung erfolgt durch Biss von Hunden, Fledermäusen, Katzen und weitere Karnivoren. In Südamerika ist das Tollwutvirus auch in tropischen Regionen verbreitet. In Nordamerika ist Tollwut in der letzten Dekade seltener geworden, übertragen wird es durch Hunde, Koyoten, Waschbären und Stinktiere [12] . In USA treten immer noch jährlich zwischen 2000 und 3000 Fälle auf [3] . In Europa kommt das Rabiesvirus kaum in Skandinavien und Italien vor, in Westeuropa ist es nach Einführung der Köderimpfung in der Fuchspopulation sehr selten geworden, während in Osteuropa durch die Tierimpfung ein langsamer Rückgang zu erwarten ist. In Deutschland werden dem Robert-Koch-Institut (RKI) jährlich zwischen 0 und 4 Fälle gemeldet. Nur Neuseeland ist Tollwutvirus frei. Aus Australien wurden zwei Fälle 1996 und 1998, übertragen durch Fledermaus (Fliegender Hund), berichtet, die tödlich verliefen [3, 4, 12] . Tollwut ist eine Zoonose. Eine Mensch-zu-Mensch-Übetragung hat mit Ausnahme der Transplantation von Gewebe und Organen bisher nicht stattgefunden. Tierreservoir sind kleine Nager, Fledermäuse, Hunde, Wolf und Füchse, Katzen von der Hauskatze bis zum Geparden, und weitere Karnivoren. Waschbär, Stinktier und Dax sind betroffen, auch Pflanzenfresser können nach Bissverletzung infiziert sein und erkranken. Chronische Infektionen für länger als 3 Jahre sind in Fledermäusen, in Hyänen und einigen Hunden in Nigeria berichtet worden [10, 12] . Durch Köderimpfung kann die sog Fuchstollwut eingeschränkt werden, Fledermäuse bleiben jedoch befallen. Die Inkubationszeit beträgt 1 bis 3 Monate mit einem Bereich von 2 Wochen bis etwa 1 Jahr. Das Rabiesvirus persistiert lange am Verletzungsort in Fresszellen und Muskelzellen, in denen es sich auch vermehren kann. Rezeptoren für die Anlagerung sind Acetylcholin-Rezeptor, NCAM (neuronal cell adhesion molecule) und p75 Neurotropin-Rezeptor [12] und weitere wie Ganglioside. Nach Vermehrung in der Muskelzelle bekommt das Rabiesvirus Zugang zu Nervenzellen und wird im Axon mit einer Geschwindigkeit von etwa 10-40 cm/Tag zum Gehirn transportiert [12] . Im ZNS (Zentralnervensystem) vermehrt und verbreitet sich das Virus innerhalb von wenigen Tagen in Zellen der grauen Substanz, mit einer geringen Lyserate und kaum Zeichen der Degeneration, aber sehr wohl einer Dysfunktion. Nach Befall des ZNS wird das Rabiesvirus -zentrifugal -über Nerven und Hirnnerven zur Peripherie, z.B. Haut und Schleimhaut, transportiert [12] . Zu diesem Zeitpunkt findet sich das Virus in allen Organen wie Speicheldrüsen, Leber, Herz, Muskel, Nebenniere und Haut, und auch im Blut. Histologisch zeigen sich nur geringe Entzündungszeichen. In das Gehirn wandern Monozyten ein, in Neuronen sind nach Anfärbung die Negri-Körperchen zu sehen, eosinophile Zytoplasma-Einschlüsse, die im Wesentlichen aus dem Nucleocapsid-Protein und dem Phosphoprotein des Rabiesvirus bestehen. Negri-Körperchen sind Orte der Virusreplikation [7] .Viele und große Negri-Körperchen sind in Purkinje-Zellen des Kleinhirns, in Pyramidenzellen des Hippocampus, im Hirnstamm und in nuchalen Hautzellen in inhomogener Verteilung zu finden. Bei der paralytischen Rabies kommt es anfangs zur Muskelschwäche in der verletzten Extremität, anschließend Quadriplegie und Befall der Gesichtsmuskulatur. Auch die Sphincter können betroffen sein. Schließlich folgen Koma und Tod. Allgemeine Marker: Nachdem die Rabiesvirus-Infektion nur wenige Entzündungskaskaden induziert, sind kaum pathologische Werte im Liquor cerebrospinalis zu finden. Das Zellbild umfasst eine milde Monozytose. Nervenzellzerfallsparameter wie S100, Tau-Protein oder 14.3.3 Protein sind kaum erhöht. Bildgebende Verfahren: CT und MRT sind fast normal, im EEG (Encephalogramm) sind auswertbare Veränderungen nicht zu sehen [3] . Nachweis von Virus-RNA über die PCR: Der zurzeit sensitivste Test ist die Real-time-PCR, die in verschiedenen Genombereichen verfügbar ist [8, 9] . Das Virus lässt sich in Liquor cerebrospinalis, Speichel, nuchalem Hautbiopsat nachweisen. Wenn prämortal das Virus im Speichel nicht mehr nachweisbar ist, sind immer noch hohe Konzentrationen im Liquor cerebrospinalis vorhanden [8] . Nachweis der Antikörper: Rabiesvirus-spezifische Antikörper können meist bei Auftritt der neurologischen Symptomatik, also sehr spät im Verlauf der Infektion, nachgewiesen werden. Tests stehen in Speziallaboratorien zur Verfügung (in Deutschland Nationales Referenz-Laboratorium im Institut für Virologie der Universität Essen). Jede Form von Enzephalitis und Paralyse [11] (Tab. 1). Eine spezifische antivirale Therapie existiert nicht. Differenzialdiagnosen. Aktive Impfung (s.u. "Prävention"). Normalerweise tödlich, bei den Überlebenden schwere zerebrale Ausfälle. Die Tollwut verläuft fast immer tödlich, wenn nicht eine PEP (Post-Expositions-Prophylaxe) gegeben wird oder wenn der Erkrankte vor Verletzung nicht zumindest einmal gegen Tollwut immunisiert wurde. Die regelrecht durchgeführte Impfung gibt Immunität für über 20 Jahre [8] . Nach Ausbruch der Krankheit ist die Prognose infaust, trotz aller intensiv-medizinischer Maßnahmen. Bei Biss in die untere Extremität kann durch postexpositionelle Impfung, eventuell durch lokale Gabe von Rabies-Immunglobulin (RIG), der tödliche Ausgang verhindert werden. Bei Biss in den Kopfbereich ist die Inkubationszeit normalerweise zu kurz, um die PEP erfolgreich durchzuführen. Auch das Milwaukee treatment regimen kann den tödlichen Verlauf seltenst verhindern. Aktive Impfung: Derzeit sind in Deutschland zwei Impfstoffe verfügbar: PCEC Vaccine (Rabipur ® -früher auch Rabivac -Novartis) und HDC Vaccine (Tollwut Impfstoff HDC inaktiviert ® -Sanofi-Pasteur-MSD). Der Inhalt ist aufgereinigtes, inaktiviertes Virus. Die Impfung wird sehr gut vertragen, Nebenreaktionen treten sehr selten auf. Die Impfung ist am wirksamsten gegen das Rabiesvirus, u.U. weniger wirksam gegen European Bat Lyssa Virus Typ 2 [12] . Es wird eine i.m. Immunisierung zu drei Zeitpunkten durchgeführt, die zur Ausbildung protektiver Immunität führt, d.h., es wird ein Schutz vor Krankheit, nicht vor Infektion, erreicht. -Geimpft wird üblicherweise an den Tagen 0, 7 und 21-28. Bei Exposition erfolgen zwei Booster-Impfungen an den Tagen 0 und 3. -Bei dauerhafter Exposition, z.B. Tierpfleger, Halten von Fledermäusen, sollte nach der Grundimmunisierung alle 5 bis 10 Jahre eine Auffrischimpfung durchgeführt werden. Post-Expositions-Prophylaxe (PEP): Sie sollte möglichst bald nach der Verletzung durchgeführt werden. Nach Möglichkeit sollte keine immunsuppressive Therapie, wie z.B. Cortison, gegeben werden. Nach Wundversorgung wird an den Tagen 0, 3, 7,14 und 28 geimpft. Wenn RIG gegeben wird, sollte dieses in einen anderen topographisch entfernten Muskel injiziert werden als der aktive Impfstoff [3] . Passive Impfung: Rabies-Immunglobulin, früher Hyperimmunglobulin genannt, (RIG). Nach aktiver Immunisierung Freiwilliger wird deren Immunglobulin angereichert und inaktiviert. Die Injektion sollte zügig nach Verletzung erfolgen mit einer Dosis nicht höher als 20 IU/kg, und nicht später als 7 Tage nach Verletzung. RIG darf nicht an Patienten mit abgeschlossener Prä-Expositons-Impfung gegeben werden. Vakzination von Wildtieren: Um die menschliche Exposition gering zu halten, wird die Übertragung von Tollwutvirus in der Wildtierpopulation durch die Prä-Expositions-Impfung limitiert. In Mitteleuropa sind mit dieser Strategie seit 1994 gute Erfolge erzielt worden und nach wenigen Jahren ist die Tollwut in am Boden lebenden Tieren wie Füchsen und Hunden rar geworden. Als Köder werden lebende attenuierte Tollwut-Viren verwendet (Rabifox ® , Fuchsoral ® ). Das Virus ist in einer Kunststoffkapsel verpackt, die vom Tier beim Fressen des Köders aufgebissen wird. Die Verbreitung des Tollwutvirus unter Fledermäusen lässt sich mit dieser Strategie wenig reduzieren, insofern ist eine Ausrottung des Rabiesvirus in unseren Breiten kaum machbar. Nach § 6 Infektionsschutzgesetz ist Tollwut bei Verdacht, Erkrankung, Tod namentlich meldepflichtig. Arthropod studies with rabies-related Mokola virus Airborne rabies encephalitis: demonstration of rabies virus in the human central nervous system In Harrison's Principles of Internal Medicine Australian bat lyssavirus infection: a second human case, with a long incubation period Airborne transmission of lyssaviruses Transmission of rabies virus from an organ donor to four transplant recipients Functional characterization of Negri bodies (NBs) in rabies virus-infected cells. Evidence that NBs are sites of viral transcription and replication Management and outcomes after multiple corneal and solid organ transplantation from a donor infected with rabies virus Development of real-time reverse transcriptase polymerase chain reaction methods for human rabies diagnosis Overview, prevention, and treatment of rabies The evolving epidemiology of viral encephalitis Rabies and other lyssa virus diseases Airborne rabies transmission in a laboratory worker