key: cord-0942377-pvvuobd9 authors: Hüfner, A.; Kiefl, D.; Baacke, M.; Zöllner, R.; Loza Mencía, E.; Schellein, O.; Avan, N.; Pemmerl, S. title: Risikostratifizierung durch Implementierung und Evaluation eines COVID-19-Scores: Eine retrospektive Diagnostikstudie date: 2020-11-06 journal: Med Klin Intensivmed Notfmed DOI: 10.1007/s00063-020-00754-4 sha: c8d95f669a859a16c0bed449d2595e4a207c61d3 doc_id: 942377 cord_uid: pvvuobd9 BACKGROUND: The clinical manifestation of COVID-19 is nonspecific and varies greatly, which makes it more difficult to discriminate from other (virus) infections. Neither individual findings nor combinations of findings are specific enough to be able to diagnose COVID-19 with a high degree of certainty. The goal was to identify patients in the emergency department, who are at risk for COVID-19 disease, early by using a score, so that they could be isolated pre-emptively. METHOD: Development and implementation of a symptom-based COVID-19 score based on a multicentric retrospective evaluation in three German emergency departments from 9 March until 30 April 2020 of patients suspected of having COVID-19 and subsequent SARS-CoV‑2 PCR testing. RESULTS: The study population included 697 patients and 9.4% of these patients were diagnosed with COVID-19 infection. A COVID-19 score of ≥5 points was associated with a significantly increased likelihood of illness. The sensitivity of the score was 98.4% with a moderate specificity of 48.3%. DISCUSSION: The score, which is easy to obtain during the initial assessment, supports the assessment of the pretest probability for a COVID-19 infection as part of the risk stratification and can influence the treatment pathway in terms of pre-emptive isolation, PCR testing and other treatment options at an early stage. Due to the nonspecific symptoms of the disease; however, it must be accepted that the goal of high sensitivity results in a relatively low specificity of the score. Insbesondere Patienten mit relevanten Vorerkrankungen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben, stellen sich in den deutschen Notaufnahmen vor. Aufgrund des oft unspezifischen Krankheitsbilds ist es nicht immer einfach zu entscheiden, welche Patienten primär schon isoliert und im Weiteren auch einer SARS-CoV-2-Testung zugeführt werden sollten -insbesondere, da während des Studienzeitraums Testkapazitäten nicht uneingeschränkt zur Verfü-gung standen. In diesem Beitrag wird ein neu entwickelter Score vorgestellt, der die Risikostratifizierung erleichtern soll. Die COVID-19-Erkrankung kann asymptomatisch bis letal verlaufen. Ein klinischer Verdacht auf eine COVID-19-Erkrankung besteht aufgrund von Anamnese, Symptomen oder Befunden, wenn gleichzeitig eine Diagnose für eine ande- re Erkrankung fehlt, die das Krankheitsbild ausreichend erklärt [10] . Ab dem 50. bis 60. Lebensjahr steigt das Risiko für eine schwere Erkrankung stetig an, verschiedene chronische Erkrankungen begünstigen aber auch bei jüngeren Patienten einen schweren Verlauf [12] . Zum Zeitpunkt des Studienabschlusses (Ende April) gab es in Deutschland schon über 160.000 Infizierte (von denen über 120.000 schon wieder genesen waren) und mehr als 6500 Todesfälle [11] . Bisher schon veröffentlichte Flussschemata können die Entscheidungsfindung unterstützen, erfordern aber meist eine zeitaufwändige apparative Diagnostik [6, 13] [14] . Die Geruchs-oder Geschmacksstörung wurde erstmals als Symptom in einer italienischen Studie erwähnt [3] . Einige Symptome wurden aus Praktikabilitätsgründen zu einem gemeinsamen Kriterium zusammengefasst. Aus epidemiologischen Erwägungen und einhergehend mit den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts wurde das Kriterium "Kontakt mit bestätigtem COVID-19-Fall in den letzten 14 Tagen" ergänzt [9] . Aus dem beschriebenen Vorgehen resultierte der 11 Kriterien (Punktsumme: 0-24) umfassende COVID-19-Score (. Abb. 1). Bewertet wurden nur innerhalb der letzten 2 Wochen neu aufgetretene Symptome, die nicht durch ein anderes Krankheitsbild erklärbar waren (z. B. Atemnot bei kardialer Dekompensation, Fieber bei Infektfokus anderer Lokalisation, Abgeschlagenheit/ Geschmacksstörung unter Chemotherapie). Es wurde der Zusatz hinzugefügt, dass jeder unklare Atemwegsinfekt und jeder typische radiologische oder CTmorphologische Befund auch bei einem COVID-19-Score <5 während der Diagnostikphase in der Notaufnahme eine frühzeitige Isolation und SARS-CoV-2-Testung auslösen sollten. Der Schlüsselwörter COVID-19 · Score · SARS-CoV-2 · Notfallmedizin · Notaufnahme Risk stratification through implementation and evaluation of a COVID-19 score. A retrospective diagnostic study Abstract Background. The clinical manifestation of COVID-19 is nonspecific and varies greatly, which makes it more difficult to discriminate from other (virus) infections. Neither individual findings nor combinations of findings are specific enough to be able to diagnose COVID-19 with a high degree of certainty. The goal was to identify patients in the emergency department, who are at risk for COVID-19 disease, early by using a score, so that they could be isolated pre-emptively. Method. Development and implementation of a symptom-based COVID-19 score based on a multicentric retrospective evaluation in three German emergency departments from 9 March until 30 April 2020 of patients suspected of having COVID-19 and subsequent SARS-CoV-2 PCR testing. Results. The study population included 697 patients and 9.4% of these patients were diagnosed with COVID-19 infection. A COVID-19 score of ≥5 points was associated with a significantly increased likelihood of illness. The sensitivity of the score was 98.4% with a moderate specificity of 48.3%. Discussion. The score, which is easy to obtain during the initial assessment, supports the assessment of the pretest probability for a COVID-19 infection as part of the risk stratification and can influence the treatment pathway in terms of pre-emptive isolation, PCR testing and other treatment options at an early stage. Due to the nonspecific symptoms of the disease; however, it must be accepted that the goal of high sensitivity results in a relatively low specificity of the score. COVID-19 · Score · SARS-CoV-2 · Emergency medicine · Emergency department . 2) . Als Proben für die Virusdiagnostik dienten tiefe Nasen-Rachen-Abstriche bzw. Rachenspülwasser und die Testung auf das SARS-CoV-2 erfolgte mit den aktuell auf dem Markt verfügbaren Verfahren der "real-time reverse transcriptase polymerase chain reaction" (RT-PCR). Die initiale radiologische Diagnostik wurde für die Studie ebenfalls ausgewertet, da Patienten mit typischen Befunden in der Röntgen-Thorax-Aufnahme oder im CT-Thorax (bilaterale Verschattungen bzw. Milchglasinfiltrate) auch bei negativem PCR-Test entsprechend internationalen Empfehlungen als positiv gewertet wurden [4, 5] . Sensitivität und Spezifität wurden sowohl fürdie einzelnenSymptome alsauch für die Gesamtperformance des COVID-19-Scores berechnet. Die Studienpopulation umfasste insgesamt 697 symptomatische Patienten aus 3 Notaufnahmen, bei denen eine SARS-CoV-2-PCR durchgeführt wurde. Es konnten alle Testergebnisse mit einem Score ≥1 ausgewertet werden. Im Untersuchungszeitraum wurden in den beteiligten Notaufnahmen 12.822 Patienten behandelt, sodass die COVID-19-Verdachtsfälle 5,4 % aller Patientenkontakte darstellten. Die wesentlichen Patientencharakteristika sind in . Tab. 2 zusammengefasst. Bei 9,2 % (n = 64) der Patienten konnte eine COVID-19-Erkrankung diagnostiziert werden. Davon wurden 12,5 % (n = 8) Patienten trotz negativer PCR aufgrund eines typischen radiologischen Befundes als COVID-19-positiv gewertet. Im Gesamtkollektiv lag das Durchschnittsalter der Patienten bei 55,2 Jahren -bei den COVID-19-positiven Patienten bei 60,3 Jahren. Die größte Altersgruppe bildeten die Patienten von 50-59 Jahren (. Tab. 2). In der Studienpopulation waren 51,1 % weiblich, während es von den COVID-19-positiv getesteten nur 31,2 % waren. Von dem hier untersuchten Patientenkollektiv wurden 55,5 % stationär aufgenommen und 44,5 % ambulant weiterbehandelt. In der Analyse der ROC-Kurve zeigte sich, dass ein Cut-off-Wert von ≥5 Punkten unter der Prämisse einer hohen Sensitivität zur besten Gesamtperformance des Scores führt, sodass dieser Wert als Entscheidungskriterium für eine präemptive Isolation und PCR-Testung festgelegt wurde (. Abb. 3) . Die Sensitivität dieses Scores lag bei 98,4 % während die Spezifität 48,3 % erreichte. Die positive Vorhersagewahrscheinlichkeit lag für einen Score ≥5 Punkte bei 16,2 % und für einen Score <5 Punkte lag die negative Vorhersagewahrscheinlichkeit bei 99,7 %. Die durchschnittliche Anzahl der positiven Scorekriterien betrug im gesamten Studienkollektiv 2,2 (COVID-19-Patienten: 3,6; SARS-CoV-2 negativ: 2,0). 56,0 % aller Patienten erreichten einen Score von ≥5 Punkten, während die COVID-19-Erkrankten in 98,4 % einen Score von ≥5 Punkten erzielten. Die durchschnittliche Scorepunktzahl der COVID-19-Patienten lag bei 8,9 und in der COVID-19-negativen Gruppe bei 5,3 Punkten. Von den COVID-19-positiven Patienten zeigten 93,8 % (n = 58) mindestens 2 der folgenden "Kardinalsymptome" (3-Punkte-Wertung) und 21,9 % (n = 14) zeigten alle 3 Symptome: Die großen Unterschiede in Art und Anzahl der dokumentierten Symptome reflektierensowohl die häufig unspezifische Symptomatik der Erkrankung als auch die alltägliche Heterogenität der Patienten, die eine Notaufnahme aufsuchen. Die vorliegende Studie stellt den Versuch zur strukturierten Einschätzung aller Notaufnahmepatienten bezüglich ihres Risikos für eine COVID-19-Erkrankung mit Unterstützung durch einen einfach anwendbaren Score dar. Das Patientenkollektiv besteht aus einer sehr heterogene Gruppe, spiegelt aber die Realität in den Notaufnahmen wider. Die Ergebnisse dieser Diagnostikstudie zeigen bei Patienten mit einem COVID-19-Score von <5 Punkten ein deutlich geringeres Risiko für das Vorliegen einer SARS-CoV-2-Infektion als bei Patienten mit einem Score von ≥5 Punkten. Die Spezifität liegt für einzelne Kriterien zwar bei über 90 %, aber in Kombination aller Kriterien nur bei 48,3 %. Dafür weist der Score eine hohe Sensitivität von 98,4 % auf. Zusätzlich sollten ja auch alle Patienten mit klinischen Zeichen eines Atemwegsinfekts oder typischen radiologischen Befunden einer PCR-Testung unterzogen werden. Dadurch ist das Risiko, einen COVID-19-Erkrankten nicht zu erkennen, sehr gering und die systematische Anwendung des COVID-19-Scores kann dazu beitragen, infektiologische Ausbrüche im Krankenhaus durch eine nosokomiale Ausbreitung zu verhindern. Als echtes Diagnosetool eignet sich der Score nicht, da nur 16,2 % der Patienten, die einen Score ≥5 Punkte erzielten, COVID-positiv waren, aber er kann zur Verbesserung der Vortestwahrscheinlichkeit hilfreich sein. Die Geschlechtsverteilung wies einen deutlichen Unterschied zu den RKI-Zahlen auf. So waren 69 % der COVID-19-Erkrankten männlich (RKI: 48 %). Ob dies an einer höheren Rate an Vorerkrankungen bei den Männern lag, wurde in dieser Studie nicht untersucht. Und auch der Altersmedian der COVID-19-Fälle lag mit 60,5 Jahren signifikant höher als der bundesweite Wert von 50 Jahren bei allen positiv getesteten Personen [8] . Dies kann dadurch erklärt werden, dass in den Kliniken vorwiegend ältere Patienten behandelt werden, die häufiger einen so schweren Krankheitsverlauf zeigen, dass Der entwickelte COVID-19-Score kann Patienten, die keine oder eine atypische Symptomatik zeigen, nicht detektieren -dieser Anteil wird aktuell mit 20 % beziffert [8] . Um auch diese Patienten zu erfassen, müsste bei allen stationär aufgenommenen Patienten ein SARS-CoV-2-Test durchgeführt werden. Auch dann bleibt es wichtig, durch die Erhebung des COVID-19-Scores Verdachtsfälle rasch zu erkennen, um die entsprechenden Maßnahmen (präemptive Isolation und Behandlung im COVID-Bereich) in der Notaufnahme frühzeitig einzuleiten. Die Studie weist einige Limitationen auf. Es handelt sich um eine begrenzte Fallzahl von Patienten mit Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion, von denen nur 64 auch positiv getestet wurden; die Repräsentativität ist dadurch eingeschränkt. Für eine bessere Validierung wäre eine groß angelegte multizentrische Datenerhebung in den Notaufnahmen sinnvoll. Hierzu projektiert das Autorenteam eine weitere Untersuchung in der kommenden Influenzasaison. Die Studie wurde in 3 Kliniken durchgeführt, weshalb die Ergebnisse nicht uneingeschränkt auf ambulante Versorgungssysteme (z. B. Hausarzt, KV-Bereitschaftspraxis) übertragen werden können, da dort vorwiegend Patienten mit leichteren Symptomen vorstellig werden. Die Einschätzung der Symptome erfolgte primär anhand eines Patientenfragebogens, der durch die Triage-Pflegekraft geprüft wurde. Wichtig ist hier die anschließende reflektierte und risikoorientierte ärztliche Evaluation des Ergebnisses, bevor die Entscheidung für oder gegen eine SARS-CoV-2-Testung erfolgt. Rapid risk assessment: coronavirus disease 2019 (COVID-19) in the EU/EEA and the UK-ninth update Selfreported olfactory and taste disorders in SARS-CoV-2 patients: a cross-sectional study Clinical characteristics of coronavirus disease 2019 in China Clinical features of patients infected with 2019 novel coronavirus in Wuhan Bei COVID-19-Verdacht: Rasche Triage symptomatischer Patienten in der Notaufnahme Report of the WHO-China joint mission on coronavirus disease SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19 Coronavirus SARS-CoV-2 -Hinweise zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV. www.rki COVID-19-Dashboard Ständiger Arbeitskreis der Kompetenz-und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger am Robert Koch-Institut (2020) Hinweise zu Erkennung, Diagnostik und Therapie von Patienten mit COVID-19 Therapeuticand triagestrategiesfor2019novelcoronavirusdisease in fever clinics