key: cord-0906035-pyw9k0ok authors: Volpert, Tobias; Riepe, Marcel title: Patentdimensionen und die Entwicklung und Herstellung von Corona-Impfstoffen date: 2021-05-17 journal: Wirtschaftsdienst DOI: 10.1007/s10273-021-2923-4 sha: bfaee3cc2ec6f7f25deb12cfc4cb279bb0b53120 doc_id: 906035 cord_uid: pyw9k0ok The process in which COVID-19 vaccines are developed is sequential and continuously accumulating. On the one hand, comprehensive patent protection is a necessary means to promote research and development. It yields additional returns that pay for the occasionally substantial amounts in R&D expenses. On the other hand, patents can be harmful in a sequential development process as they monopolise knowledge that might become a basis for further research. Economic policy cannot resolve this dilemma, but the various dimensions of a patent system can provide a starting point in mitigating a trade-off. Anfang November 2020 befanden sich etwa 202 potentielle Corona-Impfstoffe in klinischen (47) oder präklinischen (155) Studien (WHO, 2020) . Trotz der raschen Entwicklung erster Vakzine bleibt der Kampf gegen die Pandemie zäh. Seit dem Start der Massenimpfungen Ende 2020 sprechen Politiker:innen vom Licht am Ende des Tunnels. Allerdings handelt es sich um ein Licht, das derzeit nur in den reichen Ländern der Erde leuchtet. Zwar betont Entwicklungsminister Gerd Müller, dass der Impfstoff ein globales Gut sei, doch hatten sich Anfang Februar 2021 die reichsten 14 % der Weltbevölkerung mehr als die Hälfte der Impfdosen gesichert (WP, 2021) . Ende Februar verfügten 130 Länder der Welt über keinen Impfstoff (Tagesspiegel, 2021) . Die Pandemie trifft die gesamte Welt -doch trifft sie die Ärmsten schlimmer, zumindest aber länger als die Menschen in den Industriestaaten. Dabei sind sich Expert:innen einig, dass der Kampf gegen eine globale Pandemie nur gewonnen werden kann, wenn sie auch global bekämpft wird und die Menschen in allen Ländern zügig geimpft werden. Doch sind die zurzeit produzierten Impfstoffe kein globales Gut. Ausschlaggebend dafür ist, dass die Rezepte und Verfahren zur Produktion der Impfstoffe patentiert sind. Durch ein Patent wird ein Impfstoff zu einem rein privaten Gut. Durch die Patentierung entsteht ein weitreichender Schutz für die Patentinhabenden. Während der Bestandsdauer des Patents existiert nicht nur ein zeitlich bzw. räumlich begrenztes Monopol für den bestimmten Impfstoff, sondern auch ein exklusives Herstellungs-und Verkaufsrecht für die entsprechenden Pharmaunternehmen (Stoianoff, 2020) . Seine Eigentümer:innen verkaufen es meistbietend, womit der Großteil der Impfdosen in den entwickelten Ländern landet. Am 4. März 2021 verkündeten die Regierungschefs der Länder Israel, Österreich und Dänemark den Aufbau einer Impf-Allianz. Die Motivation für diesen Schritt liegt zwar nicht in der Benachteiligung armer Länder beim Zugang zu Corona-Impfstoffen. Indirekt übten die Staatsoberhäupter aber Kritik an der Privatisierung dieses Wissens durch Patente. Denn das wesentliche Ziel der drei Länder ist Zusammenarbeit bei Forschung und Produktion von Corona-Impfstoffen, um Unabhängigkeit von den Pharmakonzernen zu erreichen (Sterkl und Backfi sch, 2021) . Die möglichen Folgen solcher Patentierungen werden kontrovers diskutiert. Einerseits bieten Patente über ihren Schutz vor Nachahmung einen Anreiz für Investitionen in Forschung und Entwicklung neuer Impfstoffe (Stoianoff, 2020) . Dies spielt angesichts der teilweise im dreistelligen Millionenbereich befi ndlichen Entwicklungskosten für medizinische Wirkstoffe eine signifi kante Rolle (Schilling, 2014) . Andererseits kommt es durch Patentierungen zu Rechtsstreitigkeiten und Konfl ikten, die dazu führen könnten, dass am Ende des Entwicklungsprozesses weniger Analysen und Berichte Patente oder teurere Impfstoffe entstehen könnten (Dingermann, 2020) . Die Diskussion gipfelt aktuell in einer Debatte darüber, Patentschutz für Corona-Vakzine vorübergehend offiziell durch die WTO auszusetzen, um anderen Herstellern als den Patentinhabenden die Möglichkeit zu geben, diese Impfstoffe lizenzfrei zu produzieren (Tagesspiegel, 2021) . Viele Innovationen -nicht nur im Bereich der Impfstoffentwicklung -bauen direkt auf bestehenden Wissensgütern auf. Eine Invention kann dann einen ganz neuen Technologiebereich eröffnen. Forschungsleistungen werden sich kumulieren und führen allmählich zu nützlichen Anwendungen. Als Beispiel für den Auslöser eines sich in mehreren Stufen allmählich kumulierenden FuE-Prozesses kann die Entschlüsselung eines Gens dienen, also genau das, was die Unternehmen Moderna und Biontech/ Pfi zer für die Entwicklung ihrer mRNA-basierten Corona-Vakzine gemacht haben. Ein einzelnes Gen ist in der Regel an einer Vielzahl von Abläufen im Organismus beteiligt. Ist ein Gen identifi ziert, ergeben sich damit weitreichende Entwicklungsmöglichkeiten in mehrere Richtungen. Zum einen lassen sich unterschiedliche Anwendungen, etwa ein Medikament, ein Diagnoseinstrument oder eine gezielte Gentherapie daraus ableiten. Zum anderen ist danach zu fragen, ob z. B. das die Krankheit Diabetes verursachende Gen gleichzeitig eine Rolle bei der Entstehung von Schwerhörigkeit spielt. Wo Zusammenhänge bestehen und wann sich einzelne Gene gegenseitig beeinfl ussen, ist vielfach noch unbekannt. Die Biowissenschaften stehen hier am Anfang eines sich in Zukunft nach und nach kumulierenden Forschungsprozesses. "Although a basic invention may have trivial value by itself, it may also be a technological breakthrough in that it generates great spillovers in the form of improvements likely to be far more valuable than the basic invention itself" (Chang, 1995, 48) . Diese Spillover-Effekte entstehen auf unterschiedliche Weise: Komponenten einer patentierten Technologie können in eine neue importiert werden. Das bedeutet, dass eine vorhandene Technologie für eine andere, nicht konkurrierende Anwendung verwendet wird. Z. B. wurden mit der Lasertechnologie Verfahren für chirurgische Eingriffe ebenso wie zum Kartieren von Oberfl ächenstrukturen entwickelt. Daneben kann eine Basistechnologie weiterentwickelt werden. Eine lange Kette von Weiterentwicklungen illustriert z. B. die Geschichte der Prozessortechnologie von der x86-Architektur der 1980er Jahre hin zum Intel Xeon der Gegenwart. In beiden Fällen entsteht auf der Grundlage einer bestehenden Basistechnologie etwas Neues, mit bisher nicht dagewesenen Eigenschaften. Importation und Weiterentwicklung unterscheiden sich damit klar von einer Imitation. Durch Imitation werden Produkte geschaffen, die sich von bestehenden gar nicht oder in nicht wesentlichen Eigenschaften unterscheiden. Sie stellen ein vollkommenes oder nahes Substitut zur Ursprungserfi ndung dar. Moderne Impfstoffe werden meist mit gentechnischen Verfahren hergestellt -auch diejenigen, die nicht mRNAbasiert sind (wie z. B. von AstraZeneca). Die Entwicklung von Impfstoffen gehört in jedem Fall in den Bereich der sich allmählich kumulierenden Forschung bzw. in den Bereich der Forschungssequenzen. Dies hat zwei Gründe: 2. Da Impfstoffe häufi g mit einem komplexen Netz aus Patenten geschützt würden, die unter anderem verschiedene Bestandteile des Impfstoffs oder Einzelheiten des Herstellungsprozesses schützten, befürchten manche in Bezug auf eine OECD-Studie, dass der Technologietransfer unter diesen Patenten in einem solchen Ausmaß leiden könnte, dass es zu Problemen in der Branche führen würde (Reis, 2006 Eine der wichtigsten Dimensionen eines Patents ist der Zeitraum, innerhalb dessen das Schutzrecht in Anspruch genommen werden kann. In den meisten Staaten beträgt dieser Zeitraum 20 Jahre ab dem Tag der Patentanmeldung. Allerdings sagt diese maximal mögliche Lebensdauer eines Patents nichts über den real in Anspruch genommenen effektiven Schutzzeitraum aus. Ein Patent ist jährlich durch das Entrichten einer Gebühr zu erneuern, sonst verliert das Patent seine Gültigkeit. Tatsächlich kommt es in der Praxis häufi g vor, dass Patentinhabende auf eine zeitliche Verlängerung ihrer Ansprüche verzichten. In Deutschland beträgt der effektiv in Anspruch genommene Schutzzeitraum durchschnittlich 13 Jahre (Meier, 1998, 25) . Gerade in der pharmazeutischen Industrie werden Patente hingegen häufi g bis zum letzten Tag ausgenutzt. Dies liegt daran, dass sich einzelne Wirkstoffe bzw. Medikamente auch nach 20 Jahren noch gut verkaufen und nicht durch bessere ersetzt worden sind. Viele Pharmaunternehmen versuchen daher, den patentierten Wirkstoff kurz vor Ablauf des Patents so zu modifi zieren, dass ein neues Patent, mit abermals 20 Jahren Gültigkeit, beantragt werden kann (Schumann, 2003, 95 f.) . In der Literatur wird meist angenommen, dass ein steigender Geltungszeitraum den erwarteten Ertrag aus einem Patent erhöhen wird und damit zu mehr Forschungsanrei-zen führt. Allerdings wird sich dieser Anreizeffekt mit zunehmender Gültigkeitsdauer abschwächen, da Erträge, die erst in der Zukunft realisiert werden können, aus heutiger Sicht an Attraktivität verlieren. Zudem wird es mit zunehmendem Alter der Innovation wahrscheinlicher, dass eine Imitation entsteht, durch die das Patent an Bedeutung verliert. Allerdings muss der Vorteil steigender Forschungsanreize aus einem Patent mit längerer Gültigkeitsdauer immer abgewogen werden gegen den Nachteil einer länger andauernden Monopolisierung eines öffentlichen Gutes. Das Abwägen dieser zwei Effekte mit dem Ziel, die optimale Gültigkeitsdauer zu bestimmen, war das erste große Problem, mit dem sich die Patentliteratur auseinandergesetzt hat (z. B. Nordhaus, 1967; Scherer 1972; Kaufer, 1989) . (Gilbert und Shapiro, 1990; Klemperer, 1990) . Hierauf aufbauend entstand in den 1990er Jahren eine Literaturgruppe, die bis heute nicht nur unterschiedliche Wirkungen von W, sondern auch das Zusammenwirken von W und der Gültigkeitsdauer L eines Patents untersucht und dabei das Ziel verfolgt, einer optimalen Gestaltung von Patenten näherzukommen (z. B. Dam, 1994; Denicolo, 1996; Gallini, 1992; Klemperer, 1990; Gilbert und Shapiro, 1990; Lerner, 1994; Takalo, 1998; Whelan, 2000) . Die Länge eines Patents kann in Gesetzen exakt beschrieben werden. Hingegen ergibt sich die Weite häufi g erst als Erfahrungswert aus regelmäßigen Entscheidungen der Patentgerichte, denen die Interpretation dieser Größe obliegt (Merges und Nelson, 1990, 840) . Dabei existieren nicht nur Inkonsistenzen zwischen einzelnen Patentrechtsstreitigkeiten, auch im Zeitverlauf sind Änderungen der Weite von Patenten durchaus erkennbar. Garantierten z. B. US-Gerichte in den 1980er Jahren verhältnismäßig weite Patente, ließ sich seit Beginn der 1990er Jahre eine deutliche Einschränkung des Schutzumfangs registrieren (Lerner, 1994, 330 f.; sowie Plimier, 1998, 149 ff.) . Die Informationen, die das kodifi zierte Recht und dessen Handhabung durch die Gerichte über die Variable Weite liefert, bleiben in der Praxis damit unvollkommen, sodass immer wieder im Einzelfall eine mögliche Verletzung eines Exklusivrechts beurteilt werden muss (Llobet, 1999, 2 colo, 1999, 845; Gilbert und Shapiro, 1990, 112) . Dieser Argumentation wird entgegengehalten, dass eine als Konsequenz nötige Abschwächung der exklusiven Rechte des Patentinhabers seine privaten Erträge und damit seine FuE-Leistungen und Erfi ndungen reduzieren wird. Basisinnovationen, die nicht gemacht werden, können aber auch keinen weiteren Fortschritt erzeugen (Eger et al., 1992, 93 ff.) . Daher dürfen auch die später anfallenden zusätzlichen sozialen Kosten in Form ausbleibender, (Denicolo, 1999, 845) . Matutes et al. (1996) bringen ein weiteres Argument. Gelingt einem forschenden Unternehmen eine fundamentale Entdeckung und erkennt dieses Unternehmen die sich daraus ergebenden Möglichkeiten, wird es versuchen, zunächst Anwendungen oder aufbauende Innovationen zu entwickeln, bevor die Erfi ndung zum Patent angemeldet und damit zwangsweise veröffentlicht wird. Das Unternehmen wird zunächst bemüht sein, gegenüber seinen Wettbewerbern einen Vorsprung in der Folgeentwicklung zu erreichen. Es entsteht eine "undesirable waiting period" (Matutes et al., 1996, 60) , da eine existierende nützliche Innovation nicht nutzenstiftend verwendet wird. Die Autoren zeigen, "that scope protection generates higher levels of welfare than does length protection because the period during which rivals can introduce applications of their own comes earlier and because the patentholder has more fl exibility to decide when to exercise her property (patent) right." (Matutes et al., 1996, 61) Business at OECD (BIAC, 2019) legt jedoch die Position dar, dass durch Patente sogar mehr Wettbewerb entstehen könnte, da Unternehmen durch Lizenzierung fremder Patente erst die Möglichkeit erhielten, in Produktion und Verkauf bestimmter Güter einzutreten, da ihnen sonst das Know-how oder bestimmte komplementäre Produktionsmethoden fehlen könnten (OECD und BIAC, 2019, 1). In Bezug auf eine mögliche Corona-Impfung könnten aus dieser Perspektive also kleinere Produzenten gegen die Zahlung von Lizenzgebühren ebenfalls einen bereits entwickelten Impfstoff produzieren, ohne selbst eine Forschungsabteilung einrichten zu müssen. Hieraus ergibt sich eine Makeor-Buy-Entscheidung in Bezug auf die Forschung, proprietäres Know-how bzw. weitere Vorarbeiten für bestimmte Unternehmen (Gassmann und Bader, 2006, 96 f.) . The Economic Underpinnings of Patent Law Essays on Patent Policy: The Multi-dimensionality of Patents and Asymmetric Information Patent Races and optimal Patent Breadth and Length The Optimal Life of a Patent when the Timing of Innovation is Stochastic Patente komplizieren Corona-Impfstoffentwicklung On the Equilibrium Proportion of Innovation an Imitation Patent policy and costly imitation Patentmanagement: Innovationen erfolgreich nutzen und schützen Optimal patent length and breadth The Economics of the Patent System How broad should the scope of patent protection be? The Importance of Patent Scope: An Empirical Analysis Patent Design under the Threat of Litigation Optimal patent design and the diffusion of innovation Patent Exploitation: Some Economic and Legal Problems Von der Idee zum Produkt: Die Patentstatistik als Spiegel technischer und wirtschaftlicher Innovation, Zeitschrift zur politischen Bildung Eichholzbrief On The Complex Economics of Patent Scope, Columbia Law Review On limiting or encouraging rivalry in technical progress: The effect of patent scope decision The optimal Life of a Patent, Cowles Foundation Discussion Paper A patentability requirement for sequential innovation Licensing of IP rights and competition law-Note by BIAC The Role of Intellectual Property in the Global Challenge for Immunization Nordhaus' theory of optimal patent life: A Geometric reinterpretation Patent -was nun?, Forschen -Patentieren -Verwerten Jäger der Patent-Milliarden Whoever invents a coronavirus vaccine will control the patent -and, importantly, who gets to use it Pro & Contra zum WTO-Treffen zu Corona: Impfpatente aufheben ist auch eine Frage von Eigennutz Innovation and imitation under imperfect patent protection Patent hight and competition in product improvements Malting Barley and Impotence Drugs: How Patents hinder Progress Draft landscape of COVID-19 candidate vaccines Impfstart in Entwicklungsländern, Westfalenpost, 5. Februar, Funke Mediengruppe