key: cord-0899260-28gt3fkv authors: Müller, Frank; Hummers, Eva; Jablonka, Alexandra; Schmidt, Tobias; Noack, Eva Maria title: Auswirkung des COVID-19-Lockdowns auf Rettungseinsätze date: 2021-04-22 journal: Notf Rett Med DOI: 10.1007/s10049-021-00873-1 sha: 253bad8697531eb91f8a39080dd4bb0a1b0a2475 doc_id: 899260 cord_uid: 28gt3fkv BACKGROUND: As a response to the severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2) pandemic, extensive contact restrictions were imposed by law in Germany as in other European countries. The present study intends to clarify the effect of these restrictions on emergency medical service (EMS) operations. MATERIALS AND METHODS: Retrospective chart review of EMS operation protocols over the first 6 months of 2020 (n = 6668 rescue missions) in four rescue stations in eastern Lower Saxony (Germany). Description and statistical comparison of operations 6 weeks before the restrictions with an equally long period after the order of the restrictions (“lockdown”). RESULTS: During the 6 weeks after the lockdown the frequency of rescue operations decreased by 17.7%. In particular, there was a 40.6% (n = 91) decrease of emergency cases with respiratory diseases, mainly due to a decline of pneumonia and exacerbated chronic–obstructive pulmonary disease (COPD). At the same time, patients’ mean age increased with fewer patients under 65 years. There were no changes in the frequency of psychiatric disorders, deceased or injured patients, or refusal of treatment and transport. A total of 67 patients with suspected or confirmed SARS-CoV‑2 infection (1.0%) were observed during this period. DISCUSSION: EMS experienced a reduction of operations as a result of contact restrictions, although not as pronounced as was recently described for emergency rooms. This supports the hypothesis that the reduction is particularly evident in less severe cases and in younger patients. The reduction in pneumonia and COPD cases is striking. On the one hand, this could indicate that contact restrictions reduce the incidence of other respiratory infections and their impact on chronic respiratory disorders, but it could also mean that patients try to avoid hospital treatment. In der Folge wurden Großveranstaltungen untersagt und Schulen und Universitäten für die Präsenzlehre geschlossen. Viele Unternehmen haben auf Anwesenheit ihrer Arbeitnehmer zugunsten von Tätigkeit im Homeoffice verzichtet [3, 4] , Gast-und Begegnungsstätten sowie viele Geschäfte mussten initial schließen. In der Folge wurden diese Beschränkungen schrittweise wieder etwas gelockert, zunächst durch das Öffnen von Geschäften < 800 m 2 Ladenfläche in der 17. Kalenderwoche und von allen Geschäften ab der 19. Kalenderwoche unter Beachtung entsprechender Hygiene-und Abstandsregeln (. Tab. 1; [5] ). Zusätzlich wurde im Verlauf die Empfehlung zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen eingeführt (sog. Community-Masken; [6] ). Zusätzliche Kapazitäten zur stationären Behandlung von schwer an COVID-19 Erkrankten wurden geschaffen und elektive Behandlungen vertagt [7] . In der Folge verzeichneten Notaufnahmen in Deutschland eine deutliche Reduktion der Anzahl behandelter Patienten [8] [9] [10] . In der vorliegenden Arbeit werden die Häufigkeit von Rettungsdiensteinsätzen sowie die Charakteristika der behandelten Patienten vor und während der verordneten Kontaktbeschränkungen (sog. Lockdown) untersucht. Der untersuchte Zeitraum des Lockdowns umfasst dabei die Kalenderwochen 13-18, umfasst also dabei den Zeitraum, in dem Schulen, Kindertagesstätten und Einzelhandelsgeschäfte geschlossenwarenund eine Allgemeinverfügung zu Kontaktverboten bestanden haben. Der Vergleichszeitraum umfasst die Kalenderwochen 7-12 vor dem Lockdown, also einen Zeitraum, in dem behördliche Anordnungen in weiten Teilen noch nicht bestanden. Dies ist gerade deshalb von Interesse, da bisherige Studien einen Rückgang von Patienten beschreiben, die sich ambulant und mit eher leichten Erkrankungsbildern vorstellen. Deren Anteil ist im Rettungsdienst mutmaßlich deutlich kleiner. Ein etwaiger Rückgang von Rettungsdiensteinsätzen und/oder eine Erhöhung des Anteils schwer erkrankter Patienten könnten dafürsprechen, dass Patienten zunächst abwarten und vermeiden, den Rettungsdienst zu rufen -auch wenn dies mit einer Verschlechterung einhergehen sollte. Zusätzlich werden in der vorliegenden Studie alle Fälle unabhängig vom Krankheitsbild inkludiert, und somit auch psychiatrische, pädiatrische oder geburtshilfliche Notfälle, die möglicherweise bei bestehenden Studien in Notaufnahmen keine Berücksichtigung finden, da keine spezifischen Behandlungskapazitäten für diese Patientengruppen in der jeweiligen Notaufnah-me bzw. dem jeweiligen Krankenhaus bestehen. Die Studie soll so einen Beitrag zu einem umfassenderen Bild der Versorgungssituation liefern. Das Studiendesign basiert auf der DICTUM-Rescue-Studie, bei der wir Einsatzcharakteristika bei fremdsprachigen Hilfesuchenden beschreiben und eine Intervention zur besseren Verständigung entwickeln und pilotieren [11, 12] Neben Patientenalter und -geschlecht wurden Erstdiagnosen und Glasgow Coma Scale (GCS) erhoben. Kranken-und Verlegungstransporte mittels RTW wurden in der nachfolgenden Analyse ebenso ausgeschlossen wie Fehlfahrten sowie Fahrten, bei denen kein Patient angetroffen wurde (u. a. "Bereitstellungsfahrten" zur Unterstützung von Feuerwehreinsätzen). Während des Einsatzzeitraums ergaben sich keine substanziellen Veränderungen der Rettungsdienststruktur. Alle statistischen Berechnungen wurden mit SPSS 26 durchgeführt, Abbildungen wurden mit GraphPad Prism 8.3 erstellt. Neben absoluten und relativen Häufigkeiten wurden Chi-Quadrat-Tests zur Testung von kategorialen Variablen und Mann-Whitney-U-Tests zur Testung von kategorialen mit metrischen Variablen verwendet. Es bestehen ein Ethikvotum der Ethikkommission der Universitätsmedizin Göttingen (9/9/18) sowie eine Übereinkunft über Datennutzung und -schutz mit den beteiligten Gebietskörperschaften sowie den Rettungsdiensten. In den ersten 25 Wochen des Jahres 2020 wurden 6668 Rettungseinsätze in den beteiligten Wachen gezählt und damit im Schnitt 36,6 Einsätze (SD 7,5) pro Tag oder 256,5 Einsätze (SD 28,5) pro Woche. Die meisten Einsätze pro Woche im Untersuchungszeitraum (n = 305 Einsätze) fanden in der ersten Kalenderwoche statt, die wenigsten in der 16. KW (n = 202 Einsätze). Einsatzhäufigkeiten in Abhängigkeit von der Kalenderwoche zeigt . Abb. 1. Exemplarisch wurde auch das Aufkommen der Krankentransporte im Landkreis Helmstedt geprüft, hier zeigte sich keine Veränderung der Krankentransportzahlen. Versorgte Patienten im Untersuchungszeitraum warenim Schnitt62,8 Jahre alt (SD 23,9 [0-104]) und bei 5,6 % (n = 357) der Einsätze wurden Kinder oder Jugendliche unter 18 Jahren versorgt. Das Geschlechterverhältnis der Patienten war nahezu ausgeglichen (48,9 % Frauen). Bei 245 Einsätzen (3,7 %) wurde von Patienten eine Behandlung bzw. der nachfolgende Transport ins Krankenhaus abgelehnt. Bei einem Viertel (24,9 %) der Einsätze wurde als Verdachts-bzw. Erstdiagnose eine Herz-Kreislauf-Erkrankung dokumentiert, gefolgt von Verletzungen (20,3 %), Erkrankungen der Lungen und Atemwege (10,6 %) und neurologischen Erkrankungen (10,0 %). Der überwiegende Anteil der Patienten hatte einen initialen GCS von 15 Punkten (82,0 %). 10 oder weniger GCS-Punkte hatten lediglich 7,8 % der Patienten. Bei einem Prozent der versorgten Fälle (n = 67) bestand der Verdacht auf oder eine bereits bestätigte Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2. Bei n = 27 (40,3 %) der COVID-Verdachtsfälle wurde Atemwegserkrankung als Arbeitsdiagnose codiert, bei weiteren n = 22 (32,8 %) eine Pneumonie. Alter, Geschlecht, GCS und NACA-Score unterschieden sich nicht signifikant von Notfallpatienten ohne COVID. In den Gebietskörperschaften, in denen die beteiligten Rettungswachen liegen, stieg unterdessen die Anzahl der COVID-19-Infizierten auf bestätigte 567 Fälle [13] . Chronisch-Obstruktive Lungenerkrankung · SARS-CoV-2 · Notfallmedizin · Präklinische Versorgung · Notfall · Transport Impact of the COVID-19 lockdown on emergency medical service operations Abstract Background. As a response to the severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2) pandemic, extensive contact restrictions were imposed by law in Germany as in other European countries. The present study intends to clarify the effect of these restrictions on emergency medical service (EMS) operations. Materials and methods. Retrospective chart review of EMS operation protocols over the first 6 months of 2020 (n = 6668 rescue missions) in four rescue stations in eastern Lower Saxony (Germany). Description and statistical comparison of operations 6 weeks before the restrictions with an equally long period after the order of the restrictions ("lockdown"). Results. During the 6 weeks after the lockdown the frequency of rescue operations decreased by 17.7%. In particular, there was a 40.6% (n = 91) decrease of emergency cases with respiratory diseases, mainly due to a decline of pneumonia and exacerbated chronic-obstructive pulmonary disease (COPD). At the same time, patients' mean age increased with fewer patients under 65 years. There were no changes in the frequency of psychiatric disorders, deceased or injured patients, or refusal of treatment and transport. A total of 67 patients with suspected or confirmed SARS-CoV-2 infection (1.0%) were observed during this period. Discussion. EMS experienced a reduction of operations as a result of contact restrictions, although not as pronounced as was recently described for emergency rooms. This supports the hypothesis that the reduction is particularly evident in less severe cases and in younger patients. The reduction in pneumonia and COPD cases is striking. On the one hand, this could indicate that contact restrictions reduce the incidence of other respiratory infections and their impact on chronic respiratory disorders, but it could also mean that patients try to avoid hospital treatment. Paramedic · SARS CoV-2 · Emergency medicine · Lockdown · Emergency · Transportation her lag als das der versorgten Patienten vorher (p = 0,012). Der Anteil der über 65-Jährigen nimmt dabei zu, während der Anteil von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bis 65 Jahre abnimmt. Eine Veränderung der Erkrankungsschwere (GCS und NACA-Score) lässt sich nicht feststellen. Bei den vergebenen Arbeitsdiagnosen lassen sich signifikant weniger Atemwegserkrankungen in der Periode nach Verhängung der Kontaktbeschränkungen feststellen (9,8 % vs. 13,6 %; p = 0,001; . Tab. 2). Atemwegs-erkrankungen sanken im Lockdown um über 40 % ab, allerdings mit einer leichten Latenz von einer Woche (. Abb. 2) . In der weiteren Auswertung der angegebenen Erstdiagnosen auf dem DIVI-Protokoll zeigte eine signifikante Verringerung von Fällen mit Verdacht auf Pneumonien (4,5 % auf 2,5 %; p = 0,004), exazerbierter COPD (3,2 % auf 1,8 %; p = 0,019), Orthostase bzw. orthostatischer Dysregulation (von 4,1 % auf 2,7 %; p = 0,038) im Untersuchungszeitraum nach den Kontaktbeschränkun-gen. Bei den relevanten Tracerdiagnosen Kreislaufstillstand, Schwerverletzte/ Polytrauma/Schädel-Hirn-Trauma, zerebrale Ischämie und akutes Koronarsyndrom zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden untersuchten Zeiträumen. Auch bei der durch Rettungskräfte codierten psychiatrischen Ersteinschätzung zeigten sich keine signifikanten Unterschiede, außer, dass in den Einsätzen während der Lockdownphase weniger Patienten mit depressiven Stim- In unserer Untersuchung konnten wir eine Reduktion der Rettungsdiensteinsätze in den sechs Wochen nach Inkrafttreten der Kontaktbeschränkungsmaßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 um 17,7 % im Vergleich zu den sechs Wochen vorher feststellen. Dabei zeigten sich bereits deutlich reduzierte Einsatzzahlen in der Woche vor dem Lockdown. Unsere Studie bestätigt dabei die Tendenz, die in anderen Studien im Notaufnahmesetting festgestellt wurde, bei denen eine deutliche Verringerung der Patientenanzahl verzeichnet wurde [8, 9, 14, 15] [6] . Es muss allerdings ebenfalls beachtet werden, dass der Zeitpunkt des Lockdowns auch in einen Zeitraum fällt, in dem Grippewellen auch ohne Lockdown abebben würden, und entsprechend auch in anderen Jahren in diesem Zeitraum eine Reduktion von schweren Atemwegsinfekten zu verzeichnen wäre. Allerdings erscheint die gezeigte Halbierung der um COVID-Verdachtsfälle bereinigten Atemwegserkrankungen in der Lockdownphase bemerkenswert und kaum alleinig auf das Ende der Grippesaison zurückzuführen. Dieser Rückgang der Raten an Rettungsdiensteinsätzen bei Atemwegsinfektion ist kongruent zum abrupten Rückgang der Atemwegserkrankungen in der deutschen Bevölkerung [16] . Zudem verzeichneten wir einen Rückgang von Einsätzen, bei denen eine orthostatische Dysregulation zugrunde lag, was darauf hindeuten kann, dass bei kollaptischen Ereignissen seltener der Rettungsdienst gerufen wurde. Denkbar wäre, dass insbesondere ältere gefährdete Patienten, die ihre Alltagsmobilität einschränkten, (prä)kollaptische Ereignisse vermehrt in der Häuslichkeit hatten, wo diese eher durch eigene Hydrierung und ggf. nachfolgende Vorstellung bei Hausärzten behandelt wurden. In unserem Setting in Ostniedersachsen konnte weder eine Erhöhung der Anzahl von Einsätzen mit Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen noch erhöhte Raten an Todesfällen oder Ablehnung von Behandlungen festgestellt werden. Dies scheint vor dem Hintergrund relevant, dass eine Studie aus einem COVID-19-Hochprävalenzgebiet einen deutlichen Anstieg an reanimationspflichtigen Patienten und Todesfällen im Rettungsdienst berichtet [17] . Das im Rahmen dieser Studie untersuchte Versorgungsgebiet der rekrutierenden Rettungswachen, die sowohl großstädtische als auch kleinstädtische und ländliche Anteile der benannten Region versorgen, ist im Hinblick auf die Bevölkerungsstruktur prototypisch A pneumonia outbreak associated with a new coronavirus of probable bat origin Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweit Arbeit im Homeoffice nimmt deutlich zu European Data Portal The COVID-19 related traffic reduction and decreased air pollution in Europe Niedersächsischer Weg hin zu einem neuen Alltag mit Corona How emergency departments prepare for virus disease outbreaks like COVID-19 Medical emergencies during the COVID-19 pandemic Patientenzahlen im Rahmen der COVID-19-Pandemie in einer zentralen Notaufnahme Covid-19 related reduction in paediatric emergency healthcare utilization-A concerning trend Overcoming language barriers in paramedic care: a study protocol of the interventional trial 'Dictum rescue' evaluating an app designed to improve communication between paramedics and foreignlanguage patients Medical characteristics of foreign language patients in paramedic care Niedersächsisches Landesgesundheitsamt Aktuelle Lage COVID 2019 in Niedersachsen: Tabelle: Fälle pro Tag und Landkreis Fälle pro Tag und Landkreis Reduced emergency department utilization during the early phase of the COVID-19 pandemic: viral fear or lockdown effect? Impact of Coronavirus Disease 2019 outbreak on acute coronary syndrome admissions: four weeks to reverse the trend Abrupter Rückgang der Raten an Atemwegserkrankungen in der deutschen Bevölkerung Characteristics associated with out-of-hospital cardiac arrests and resuscitations during the novel coronavirus disease