key: cord-0888356-fn8fuzvo authors: Manz, Kirsi; Mansmann, Ulrich title: Regionales Monitoring von Infektionen mittels standardisierter Fallfatalitätsraten am Beispiel von SARS-CoV-2 in Bayern date: 2021-08-12 journal: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz DOI: 10.1007/s00103-021-03397-8 sha: df3052bd12a69ef76897506b25bc4e5f7b008467 doc_id: 888356 cord_uid: fn8fuzvo BACKGROUND: Maps of the temporal evolution of the regional distribution of a health-related measure enable public health-relevant assessments of health outcomes. OBJECTIVES: The paper introduces the concept of standardized case fatality rate (sCFR). It describes the ratio of the regional variation in mortality to the regional variation in the documented infection process. The regional sCFR values are presented in maps and the time-varying regional heterogeneity observed in them is interpreted. MATERIALS AND METHODS: The regional sCFR is the quotient of the regional standardized mortality and case rate. It is estimated using a bivariate model. The sCFR values presented in maps are based on SARS-CoV‑2 reporting data from Bavaria since the beginning of April 2020 until the end of March 2021. Four quarters (Q2/20, Q3/20, Q4/20, and Q1/21) are considered. RESULTS: In the quarters considered, the naïve CFR values in Bavaria are 5.0%, 0.5%, 2.5%, and 2.8%. In Q2/20, regional sCFR values are irregularly distributed across the state. This heterogeneity weakens in the second wave of the epidemic. In Q1/21, only isolated regions with elevated sCFR (> 1.25) appear in southern Bavaria. Clusters of regions with sCFR > 1.25 form in northern Bavaria, with Oberallgäu being the region with the lowest sCFR (0.39, 95% credibility interval: 0.25–0.55). CONCLUSIONS: In Bavaria, heterogeneous regional SARS-CoV-2-specific sCFR values are shown to change over time. They estimate the relative risk of dying from or with COVID-19 as a documented case. Strong small-scale variability in sCFR suggests a preference for regional over higher-level measures to manage the incidence of infection. Indikatoren zum Infektionsgeschehen wie zum infektionsbedingten Versterben liefern in einer Epidemie wichtige Informationen zur Bewertung der Gesundheitslage wie auch zur Steuerung von Maßnahmen zur Kontrolle der Epidemie. Fallfatalitätsraten werden regional aufgelöst nicht kommuniziert. Zu diesem Zweck werden Inzidenz-und Mortalitätsraten simultan berichtet. Die folgende Arbeit führt das Konzept der standardisierten Fallfatalitätsrate (sFFR) ein. Die sFFR erlaubt das Monitoring des relativen Risikos, als dokumentierter Fall an/mit COVID-19 zu versterben. Die regionale standardisierte COVID-19-Letalität (standardisierte Fallfatalitätsrate, sFFRr) quantifiziert die relative Abweichung der naiven regionalen Fallfatalitätsrate (nFFRr) zur populationsbasierten nach dem übergeordneten Standard zum Infektionsgeschehen erwarteten Fallfatalitätsrate (eFFRr): sFFRr = nFFRr / eFFRr. Die sFFRr quantifiziert infektionsbezogene Über-oder Untersterblichkeit bezüglich eines Stan-dards. In ihre Berechnung gehen die Fallsterblichkeit und ein überregionaler nach Alter und Geschlecht stratifizierter Populationsstandard zum Infektionsgeschehen und Versterben der dokumentierten Infizierten ein. . Tab. 1 verdeutlicht die Berechnung der sFFRr an 2 Regionen mit gleichen Einwohnerzahlen, gleichen absoluten Infektionszahlen und infektionsbedingten Todesfällen. Die Regionen unterscheiden sich in ihrer Altersstruktur. Die Population ist in 3 Altersgruppen (A1, A2, A3) stratifiziert, worauf sich auch der übergeordnete Standard und die beobachteten Daten beziehen. Region 1 hat eine größere naive (nFFR1 = 0,292) im Vergleich zu der erwarteten FFR (eFFR1 = 0,216). Die sFFR für Region 1 ist sFFR1 = 1,35. Region2 hatdie gleiche naive FFR wie Region 1 (nFFR2 = 0,292). Diese ist kleiner als die bei gegebener Populationsstruktur erwartete FFR (eFFR2 = 0,393). Die sFFR für Region 2 ist somit sFFR2 = 0,74. Trotz gleicher Populationsgröße, gleicher dokumentierter Infektionszahlen und infektionsbedingter Sterbefälle ergibt sich eine zum Standard geringere infektionsbedingte Sterblichkeit in Region 2 als in Region 1. Weitere Beispiele finden sich im Onlinematerial zu diesem Beitrag in Tabelle Z1. Ein starker regionaler Infektionsausbruch oder verstärktes regionales Testen auf SARS-CoV-2 verringern die sFFRr. In beiden Szenarien erhöht sich die Infektionsinzidenz und reduziert bei gleichbleibenden Sterbezahlen die regionale sFFRr. Schulöffnungen können ähnlich wirken. Kommt es andererseits in einer Region durch eine starke Zunahme der Infektionszahlen zu Engpässen in der Versorgung der schwer an COVID-19 erkrankten Personen, erhöht dies die sFFRr. Die sFFRr-Werte reflektieren somit Aspekte der Versorgung wie auch der Infektionsprävention. Hieraus Analyse der regionalen standardisierten FFR: sFFR r Die Fallfatalitätsrate (FFR) beschreibt das Verhältnis der infektionsbezogenen Sterbefälle zur Anzahl der bekannten Infektionen. Die erwartete Anzahl von Infektionsfällen pro geschlechtsspezifischer (i) Altersgruppe (j) und Zeitperiode (t) berechnet sich als die überregionale Inzidenzrate für dokumentierte Infektionen λt,i,j inf = It,i,j / popi,j. Dabei ist It,i,j die für die Zeitperiode t überregional dokumentierte Anzahl von Infektionen in der jeweiligen geschlechtsspezifischen Altersgruppe und popi,j die entsprechende als zeitlich stabil angenommene überregionale Populationsgröße im demografischen Stratum (i,j). Für die erwarteten Infektionsfälle einer Region (r) multipliziert man pro Stratum die entsprechende überregionale Inzidenzrate mit der Bevölkerung in dem Landkreis (popr,i,j) und summiert über die betrachteten Alters-und Geschlechtsgruppen: It,r erw = ∑i,j λt,i,j inf × popr,i,j. Analog dazu können die erwarteten Todesfälle pro Zeit und Region ermittelt werden: λt,i,j tod = Tt,i,j / popi,j wobei λt,i,j tod die überregionale Mortalitätsrate und Tt,i,j die Anzahl der an/mit der Infektion verstorbenen Personen ist. Danach erhält man Tt,r erw = ∑i,j λt,i,j tod × popr,i,j. Das Verhältnis der beobachteten Todesfälle zu den beobachteten Infektionen ergibt die naive FFR einer Region r in einer Zeitperiode t: Das Verhältnis der erwarteten Todesfälle zu den erwarteten Infektionen ergibt die erwartete FFR einer Region r in einer Zeitperiode t: Bundesgesundheitsbl https://doi.org/10.1007/s00103-021-03397-8 © Der/die Autor(en) 2021 Background. Maps of the temporal evolution of the regional distribution of a healthrelated measure enable public health-relevant assessments of health outcomes. Objectives. The paper introduces the concept of standardized case fatality rate (sCFR). It describes the ratio of the regional variation in mortality to the regional variation in the documented infection process. The regional sCFR values are presented in maps and the time-varying regional heterogeneity observed in them is interpreted. Materials and methods. The regional sCFR is the quotient of the regional standardized mortality and case rate. It is estimated using a bivariate model. The sCFR values presented in maps are based on SARS-CoV-2 reporting data from Bavaria since the beginning of April 2020 until the end of March 2021. Four quarters (Q2/20, Q3/20, Q4/20, and Q1/21) are considered. Results. In the quarters considered, the naïve CFR values in Bavaria are 5.0%, 0.5%, 2.5%, and 2.8%. In Q2/20, regional sCFR values are irregularly distributed across the state. This heterogeneity weakens in the second wave of the epidemic. In Q1/21, only isolated regions with elevated sCFR (> 1.25) appear in southern Bavaria. Clusters of regions with sCFR > 1.25 form in northern Bavaria, with Oberallgäu being the region with the lowest sCFR (0.39, 95% credibility interval: 0.25-0.55). In Bavaria, heterogeneous regional SARS-CoV-2-specific sCFR values are shown to change over time. They estimate the relative risk of dying from or with COVID-19 as a documented case. Strong small-scale variability in sCFR suggests a preference for regional over higher-level measures to manage the incidence of infection. Geographical epidemiology · Bayesian hierarchical models · Indirect standardization · Standardized mortality rate · Standardized incidence rate Für die standardisierte FFR gilt: Ein bayesianisches Modell verlangt Annahmen zu den notwendigen Aprioriverteilungen. Für die vorgestellten Analysen sind dies nichtinformative Aprioriverteilungen gemäß den Standardeinstellungen der verwendeten Analysesoftware GeoBUGS [6] . Die 95 % Kredibilitätsintervalle zu den Punktschätzern werden in Onlinetabelle Z4 berichtet. Die relativen Abweichungen (RRR für sFFR und RR für sMR und sFR) werden auf Karten wie folgt eingefärbt: RR(R) < 0,5 (dunkelblau), 0,5 ≤ RR(R) < 0,75 (blau), 0,75 ≤ RR(R) < 1 (hellblau), 1 ≤ RR(R) < 1,25 (hellrot), 1,25 ≤ RR(R) < 2 (rot) und 2,0 ≤ RR(R) (dunkelrot). Die betrachteten Regionen werden durch die 96 bayerischen Landkreise und kreisfreien Städte definiert. Die dazugehörenden demografischen Daten liefert der statistische Bericht des Bayerischen Landesamtes für Statistik des Jahres 2019 [7] . Vier Altersgruppen werden pro Geschlecht betrachtet: unter 18-Jährige, 18 Glättung zu sehen. Bleiben Blau-und Rotmuster etwa erhalten, so werden in der unteren Reihe für die sFFR-Karte zu Q2/20 die Farbtöne blasser, was die Abschwächung darstellt (Shrinkage zu 1 hin). Detaillierte quantitative Informationen dazu sind in Onlinetabelle Z4 zu finden. In Q3/20 führen die Glättungseffekte zum Umschlag der Kartenfarbe von überwiegend blau nach rot. Einige blaugefärbte Gebiete werden sogar tiefrot. Hier handelt es sich um numerische Artefakte des Verfahrens. In Q3/20 wurden nur 73 Todesfälle unter COVID-19-Erkrankten beobachtet. Viele Regionen haben eine rohe sMR von 0. Aufgrund dieser bayernweit wenigen beobachteten Todesfälle wird das Glättungsverfahren für solche Regionen eine sMR von 1 schätzen. Da sich 15.852 Infektionen über die bayerische Bevölkerung verteilen, ist ausreichend Information vorhanden und lokale rohe sFR-Werte werden weniger durch die Glättung modifiziert (Onlinetabelle Z4). An der bayerischen Ostgrenze zeigt . Abb. 2 für Q4/20 und Q1/21 mehr Infektions-und Sterbefälle als nach bayerischem Standard erwartet. Beide Zahlen entwickeln sich in die gleiche Richtung und deshalb erscheinen auf den entsprechenden sFFR-Karten in . Abb. 3 keine wesentlich von 1 verschiedenen Werte. Zeigt . Abb. 3 für Q2/20 noch ein farblich kontrastreicheres Bild als für Q4/20 und Q1/21, so bedeutet dies, dass sich die Mortalität von Infizierten in Bayern in der zweiten Welle regional angeglichen hat. Landkreis Tirschenreuth liegt an der Grenze zu Tschechien. Er wurde im Frühjahr 2020 durch die Verhängung der allerersten Ausgangsbeschränkungen bekannt. In Q2/20 wurden 101 Todesfälle unter 1102 Infizierten gemeldet. Das entspricht einer nFFR von 9,2 %. Erwartet wurde ein Wert von eFFR = 5,4 %. Aus diesen Zahlen ergibt sich eine sFFR von 1,7. Durch die Berücksichtigung der Nachbarkreise wurde die sFFR zu 2,1 korrigiert. Die Region hat direkte Nachbarn mit erhöhten Fall-und Todesraten. In Q3/20 verzeichnete die Region einen Todesfall unter 43 Infizierten, was einer nFFR von 2,3 % entspricht. Erwartet wurde eine eFFR von 0,5 %, sodass sFFR = 4,4 ist. Nach der Glättung wurde sFFR zu 1,9. Die instabile Schätzung basierend auf einem Todesfall wurde durch das Glättungsverfahren stabilisiert. . Abb. 2 zeigt, . 2 und 3) . Trotz unterschiedlicher regionaler (sFR, sMR)-Werte bleibt das infektionsbedingte relative Sterberisiko vergleichbar. Die sFFR hat folgende Eigenschaften: Ist die Infektionsaktivität zwischen 2 Regionen sehr unterschiedlich, ohne dass sich die regionalen Verhältnisse zwischen infektionsassoziierten Sterbefällen und dokumentierten Infektionen unterscheiden, liegen 2 gleiche sFFR-Werte vor: Beide nFFR-und eFFR-Werte unterscheiden sich nicht. Wird in einer Region mehr getestet (Schulöffnungen, Modellregion) und werden dadurch mehr Infektionen erkannt, die aber leicht verlaufen und damit die Mortalität absolut nicht beeinflussen, so wird in dieser Region die nFFR gegenüber einer Region mit weniger Testung reduziert, die eFFR bleibt konstant und somit reduziert sich die sFFR. Anders betrachtet: Die sMR bleibt in diesem Szenario zwischen den Regionen gleich, während sich die sFR erhöht und somit die sFFR reduziert. Führt eine hohe Infektionsaktivität zu einer Überforderung der intensivmedizinischen Versorgung und zu erhöhten Sterbezahlen, so nimmt die sFFR in dieser Region zu, denn die nFFR wird gegenüber Vergleichsregionen ohne Versorgungsprobleme bei gleichbleibender eFFR wachsen. Bleibt das Infektionsgeschehen konstant, wobei eine aggressive Mutation mit schwereren Krankheitsverläufen in einer Region die vorherrschende Virusvariante verdrängt, führt dies zu einer Zunahme der nFFR bei gleichbleibender eFFR oder wachsender sMR bei konstanter sFR. Die statistische Analyse dieser Daten wird mit hierarchischen bayesianischen Modellen durchgeführt. Pritzkuleit et al. [13] A comparison of Bayesian spatial models for disease mapping A computer movie simulating urban growth in the Detroit region Bayesian image restoration, with two applications in spatial statistics The bivariate combined model for spatial data analysis GeoBUGS user manual version 1 Bayerisches Landesamt für Statistik (2020) Bevölkerung in den Gemeinden Bayerns nach Altersgruppen und Geschlecht Falldefinition des Robert Koch-Instituts Case numbers beyond contact tracing capacity are endangering the containment of COVID-19 Real estimates of mortality following COVID-19 infection R: a language and environment for statistical computing QGIS.org (2021) QGIS geographic information system Diekar-tografischeDarstellungregionalerUnterschiedein der Morbidität WHO (2021) WHO Coronavirus (COVID-19) dashboard COVID-19 dashboard by the COVID-19-Dashboard Übersicht der Fallzahlen von Coronavirusinfektionen in Bayern COVID-19 Data Analysis Group @ LMU (2021) CoronaMaps Hrsg) Markov chain Monte Carlo in practice Spatial-temporal modelling of disease risk accounting for PM2.5 exposure in the province of Pavia: an area of the Po valley Trends and inequalities in cardiovascular disease mortality across 7932Englishelectoralwards, 1982-2006: Bayesian spatial analysis Municipal distribution of breast cancer mortality among women in Spain Oesophageal cancer mortality in Spain: a spatial analysis INWT Statistics Blog (2021) COVID-19: Karte der lokalen 7-Tage-Inzidenz im Zeitverlauf Abb. 4 9 Links: Verhältnis zwischen standardisierten Mortalitäts-(sMR) und Fallraten (sFR). Jeder Punkt repräsentiert eine bayerische Region während der Monate April bis Juni 2020 (a), Juli bis September 2020 (b), Oktober bis Dezember 2020 (c) und Januar bis März 2021 (d