key: cord-0884128-8xjfl56j authors: Thomalla, Götz; Nolte, Christian H. title: COVID-19 und das Risiko für Schlaganfälle: SARS-CoV-2 und neurovaskuläre Erkrankungen date: 2021-08-24 journal: CME (Berl) DOI: 10.1007/s11298-021-2076-1 sha: d685fc744bff61f034fc32a5fc332cc880c7ae28 doc_id: 884128 cord_uid: 8xjfl56j Die Pandemie durch SARS-CoV-2 und das dadurch ausgelöste Krankheitsbild COVID-19 haben Auswirkungen auf alle Bereiche der Medizin. Neben anderen möglichen neurologischen Manifestationen ist bereits frühzeitig über neurovaskuläre Komplikationen berichtet worden. Darüber hinaus hat die COVID-19-Pandemie aber auch direkte und indirekte Auswirkungen auf die Versorgung von Patienten mit neurovaskulären Erkrankungen. Patienten mit zerebrovaskulären Erkrankungen in der Anamnese haben ein höheres Risiko für einen schwereren Verlauf von COVID-19. Ein Mechanismus hinter der Assoziation zwischen COVID-19 und ischämischen Schlaganfällen könnte in der infektionsassoziierten Aktivierung des Gerinnungssystems liegen, die bis zum Vollbild einer disseminierten intravasalen Gerinnung reichen kann. Im Rahmen der COVID-19(COrona VIrus Disease-2019)-Pandemie stellt sich gerade für Neurologen auch die Frage, welche Folgen und Implikationen die SARS-CoV-2(Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2)-Infektion für den Bereich der neurovaskulären Erkrankungen hat. Dieser Artikel soll daher erläutern, ob und in welchem Ausmaß COVID-19 mit einem erhöhten Risiko für Schlaganfälle einhergeht, und er soll mögliche Pathomechanismen der Assoziation einer SARS-CoV-2-Infektion mit neurovaskulären Erkrankungen beleuchten. Des Weiteren werden die aktuell verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten neurovaskulärer Komplikationen der COVID-19 Erkrankung diskutiert und ein Überblick über die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Schlaganfallversorgung gegeben. Zahlreiche Beobachtungsstudien berichten bei Patienten, die an COVID-19 erkrankt sind, über neurovaskuläre Komplikationen, insbesondere ischämische Schlaganfälle. Die Beurteilung, ob es sich dabei um eine unabhängige und spezifische Assoziation der SARS-CoV-2-Infektion mit ischämischen Schlaganfällen handelt, und ob neurovaskuläre Komplikationen häufiger sind als bei anderen schweren Infektionserkrankungen, ist dabei aufgrund der fehlenden Vergleichskollektive zumeist nicht sicher möglich. In der Frühphase der COVID-19-Pandemie wurden in verschiedenen Fallserien ischämische Schlaganfälle bei 1,6-4,6 % der hospitalisierten COVID-19-Patienten berichtet. Die absoluten Zahlen waren dabei zumeist gering. So lagen die Zahlen von ischämischen Schlaganfällen bei drei von 184 (1,6%) in einer niederländischen Fallserie [1] , neun von 362 (2,5%) in einer Fallserie aus Mailand, Italien [2] , und sechs von 214 (2,8%) [3] beziehungsweise zehn von 219 (4,6%) [4] in zwei Fallserien aus Wuhan, China. Eine aktuelle Metaanalyse von 61 Publikationen mit über 108.000 hospitalisierten COVID-19-Patienten berichtet über eine mittlere Rate von Schlaganfällen von 1,4%. Dabei waren es in der Mehrzahl ischämische Schlaganfälle (87%), seltener intrazerebrale Blutungen (12%). In den Studien aus Europa und Nordamerika lag die Schlaganfallrate hier bemerkenswerterweise bei 1,2% und 1,1%, in Asien jedoch bei 3,1% [5] . Zerebrovaskuläre Ereignisse traten häufiger bei Patienten mit schweren respiratorischen Verläufen oder notwendiger intensivmedizinischer Behandlung auf. Patienten mit zerebrovaskulären Ereignissen zeigten häufig die klassischen vaskulären Risikofaktoren, waren älter, und hatten höhere Raten an kardiovaskulären Vorerkrankungen, als COVID-19-Patienten ohne zerebrovaskuläre Ereignisse [5] . Im Vergleich zu Schlaganfallpatienten ohne CO-VID-19 waren Patienten, bei denen ein Schlaganfall im Kontext der SARS-CoV-2-Infektion auftrat, jünger und zeigten öfter einen Verschluss einer großen intrakraniellen Arterie und eine höhere Krankenhaussterblichkeit. Im Vergleich zu anderen Virusinfektionen kommt eine retrospektive Kohortenstudie an zwei New Yorker Krankenhäusern zu dem Schluss, dass Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion ein höheres Risiko für einen akuten, ischämischen Schlaganfall haben als solche, die an einer Influenza erkrankt sind [6] . Letztlich ist derzeit nicht geklärt, welche Pathomechanismen der Assoziation von COVID-19 mit neurovaskulären Komplikationen zugrunde liegen, und in welchem Maß diese für eine Infektion mit SARS-CoV-2 spezifisch sind. Ein möglicher Mechanismus hinter der Assoziation zwischen COVID-19 und ischä mischen Schlaganfällen könnte in der infektionsassoziierten Aktivierung des Gerinnungssystems liegen, die bis zum Vollbild einer disseminierten intravasalen Gerinnung reichen kann [7, 8] . In einer Studie aus Wuhan wiesen Patienten mit schweren res piratorischen Verläufen insgesamt höhere D-Dimer-Spiegel auf, die eine mögliche Verbindung zur erhöhten Schlaganfallrate bei diesen Patienten darstellen [4] . COVID-19-Patienten mit ischämischem Schlaganfall hatten ebenfalls häufig zeitgleich tiefe Venenthrombosen oder Lungenarterienembolien, was eine allgemeine Aktivierung des Gerinnungssystems als mögliche Ursache unterstützt [9] . Vielfach diskutiert wird auch eine Hyperkoagulabilität als Folge der inflammatorischen Antwort auf die Infektion, den "Zytokinsturm". Dabei führt die Freisetzung von Zytokinen wie Interleukin(IL)-2, IL-6, IL-7, IL-10, G-CSF, IP-10, MCP-1, MIP-1A und TNF-α unter anderem zur Aktivierung von Endothelzellen, zur Aktivierung von Thrombozyten, zur Expression von Gewebsfaktor und zu vermehrter Thrombinbildung. Zusammengenommen sind das Faktoren, die eine prothrombotische Neigung bedingen [10] . Weiterhin gibt es inzwischen einige Arbeiten, die erhöhte Raten von Antiphospholipid-Antikörpern oder Lupus-Antikaogulanz bei Patienten mit SARS-CoV-2 nachgewiesen haben [11, 12, 13] . Dabei zeigte sich auch, dass es bei CO-VID-19-Patienten mit nachgewiesenem Lupus-Antikoagulanz häufiger (in 63% der Fälle) zu thrombotischen Ereignissen kam [13] . Beispielhaft zeigen die kraniellen CT-und Angiografie-Bilder den Fall eines 63-jährigen Patienten, der während einer CO-VID-19 einen großen intrakraniellen Gefäßverschluss entwickelte, der trotz wiederholter Rekanalisationsmanöver mehrfach reokkludierte. Abschließend erhielt der Patient einen intrakraniellen Stent (Abb. 1). Eine vaskulitische Genese, wie sie vom Varizella-Zoster-Virus bekannt ist, wird auch gelegentlich als mögliche alternative Erklärung für vaskuläre Kom-Bei COVID-19 besteht ein hohes Risiko für primär venöse (tiefe Venenthrombose, Lungenembolie) seltener auch arterielle Thrombosen und Thrombembolien. plikationen diskutiert. Hierfür gibt es bisher jedoch keine Daten aus Hirnbiopsien [14] . Zu den Laborparametern, die bei Patienten mit COVID-19 und Schlaganfall auffällig waren, gehören erhöhte Werte für IL-6, Antiphospholipid-Antikörper (AK), Faktor VIII und Von-Willebrand-Faktor. Allgemein lässt sich sagen, dass vaskuläre Komplikationen als Folgeerscheinung schwerer sonstiger Organschäden oder im Rahmen schwerer Verläufe der Erkrankung auftreten, wie sie auch von anderen Virusinfektionen bekannt sind. Andererseits könnte die höhere Schlaganfallrate bei schwerer betroffenen Patienten auch einem Selektionsbias geschuldet sein, da es vor allem multimorbide Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren sind, die schwere Verläufe von COVID-19 zeigen. Auch intrazerebrale Blutungen bei Patienten mit COVID-19 sind berichtet [3] , hier ist die Datenlage jedoch noch stärker begrenzt und lässt keine zuverlässige Einschätzung der Häufigkeit zu. Das Verhältnis von ischämischen Schlaganfällen zu hämorrhagischen Schlaganfällen unter COVID-19 liegt nach derzeitigen Erkenntnissen zirka bei 4:1. Zum Krankheitsverlauf lässt sich feststellen, dass Patienten mit zerebrovaskulären Erkrankungen in der Anamnese ein höheres Risiko für einen schwereren Verlauf von COVID-19 haben. In einer Metaanalyse der verfügbaren Arbeiten zum Thema war ein Schlaganfall in der Vorgeschichte mit einem 2,5-fach erhöhten Risiko für einen schweren Erkrankungsverlauf und einem Trend zu höherer Mortalität assoziiert [15] . Die Mehrheit der therapeutischen Ansätze konzentriert sich derzeit auf COVID-19 als solches und behandelt Aspekte allgemeiner Therapieprinzipien, wie Sauerstoffgabe und Beatmung [16] . Mit konkretem Bezug auf das krankheitsverursachende Agens gibt es: Bei COVID-19 besteht ein hohes Risiko für primär venöse (tiefe Venenthrombose, Lungenembolie) und seltener auch für arterielle Thrombosen/Thrombembolien (Schlaganfall, akutes Koronarsyndrom). Empfehlungen für stationär behandelte Patienten mit CO-VID-19 beinhalten daher die Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin (NMH) in einer für den Hochrisikobereich zugelassenen Dosierung. Alternativ wird die Gabe von Fondaparinux empfohlen. Im Einzelfall wird eine therapeutisch dosierte Antikoagulation als vertretbar angesehen. Als Beispiele hierfür werden rasch ansteigende D-Dimere oder eine akute Ein 56 Jahre alter Mann wurde mit einem Infekt der oberen Atemwege und einem hochgradigen, linksseitigen Arteria-cerebri-media-(ACM)-Syndrom unter laufender Lysetherapie zur endovaskulären Thrombektomie ins Universitätsklinikum verlegt. Dort erfolgten kranielle CT und Angiografie. Trotz Lyse zeigte sich hier ein persistierender ACM-M1-Verschluss (Abb. 1a). Es folgte eine endovaskuläre Behandlung (Abb. 1c, d). Bei rezidivierender Re-Thrombose im Bereich der ACM wurde eine Stent gesetzt. Die klinische Symptomatik besserte sich. Das post-interventionelle cCT (Abb. 1b) zeigte eine geringe Infarzierung. Der Patient wurde bei Aufnahme positiv auf SARS-CoV-2 getestet und post interventionem auf die SARS-CoV-2-Station aufgenommen. Möglicherweise begünstigt COVID-19 die prothrombotische Hämostase. Der Verlauf der COVID-19-Erkrankung verlief unkompliziert. Incidence of thrombotic complications in critically ill ICU patients with COVID-19 Venous and arterial thromboembolic complications in COVID-19 patients admitted to an academic hospital in Neurologic Manifestations of Hospitalized Patients With Coronavirus Disease Acute cerebrovascular disease following COVID-19: a single center, retrospective, observational study Stroke in COVID-19: A systematic review and meta-analysis Risk of Ischemic Stroke in Patients With Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) vs Patients With Influenza Coagulation abnormalities and thrombosis in patients with COVID-19 Neurological associations of COVID-19 Emergency room neurology in times of COVID-19: malignant ischaemic stroke and SARS-CoV-2 infection Ischemic stroke in COVID-19-positive patients: an overview of SARS-CoV-2 and thrombotic mechanisms for the neurointerventionalist Coagulopathy and antiphospholipid antibodies in patients with Covid-19 Presence of antiphospholipid antibodies in COVID-19: case series study. Annals of the Rheumatic Diseases Published Online First: 04 Assessment of Lupus Anticoagulant Positivity in Patients With Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) Endothelial cell infection and endotheliitis in COVID-19 Factors associated with COVID-19-related death using OpenSAFELY Empfehlungen zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19-3. Version Mehr Infos online! Neurologische Manifestationen bei COVID-19 Die DGN und die European Stroke Organisation (ESO) bieten online eine Übersicht über aktuelle Publikationen und Empfehlungen zum Thema Schlaganfall und COVID-19 Herausgeber der Rubrik CME Zertifizierte Fortbildung: Prof. Dr. med