key: cord-0872035-mdpk7sm0 authors: Wild, Verina; Buyx, Alena; Hurst, Samia; Munthe, Christian; Rid, Annette; Schröder-Bäck, Peter; Strech, Daniel; Thompson, Alison title: Covid-19: Eine Ad hoc Public-Health-Ethikberatung date: 2020-06-30 journal: Gesundheitswesen DOI: 10.1055/a-1174-0086 sha: 024071d4aa33b7e9e840eb7556788bfb4a5eb433 doc_id: 872035 cord_uid: mdpk7sm0 ABSTRACT: In this paper we describe the process and content of our ad hoc public health ethics consultation for a Bavarian health authority in relation to Covid-19. Die aktuelle Covid-19-Pandemie stellt alle Beteiligten vor enorme Herausforderungen und verschiedene Institutionen vor sehr schwierige Entscheidungen. Als in Bayern erste Kontakteinschränkungen zur Einschränkung der Pandemie ausgesprochen wurden, stellte das in besonderer Verantwortung stehende Landesinstitut für Gesundheit am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit am 19 . März 2020 vier dringliche Fragen zu ethischen Aspekten von anstehenden Schutzmaßnahmen der öffentlichen Gesundheit an die Erstautorin. Den Fragestellern war bewusst, dass die Letztverantwortung bei den legitimierten und mit einem Mandat versehenen Entscheidungsträgern und den zuständigen Exekutivorganen für die bevölkerungsbezogenen Infek-tionsschutzmaßnahmen liegt. In dieser Ausnahmesituation mit zeitlich engen Entscheidungszeiträume und den nicht standardisierten Abläufen einer Pandemiebekämpfung wurden jedoch bewusst auch ethische Kriterien angefragt, um die Handlungsoptionen in Blick auf mögliche Risiken und Ansatzpunkte einer bestmöglichen Ausgestaltung orientierend bewerten und ggf. im Verlauf gezielt und den Umständen und Zielen angemessen weiter ausgestalten zu können. Sowohl die Fragen als auch die Antworten wurden unter größtem Zeitdruck erstellt in einem durch die Erstautorin koordinierten Prozess, an dem eine Gruppe nationaler und internationaler Expert/innen für Public-Health-Ethik beteiligt war. Eine gründlichere Ausarbeitung der gemachten Public-Health-ethischen Empfehlungen steht noch aus. Das vorliegende Papier deckt daher nur einen kleinen Bereich ab und kann bspw. nicht auf die wichtigen Zusammenhänge der Strukturen des Gesundheitssystems und der Gesellschaft insgesamt oder auf die globalen Zusammenhänge eingehen. Trotz der notwendigen inhaltlichen Beschränkungen möchten wir Einblick in den Prozess und Inhalt unseres ad hoc Ethikkonsils geben. Wir möchten hiermit ermöglichen, in den Austausch mit anderen zu treten, die derzeit in ähnlichen Prozessen komplexe ethische Abwägungen vornehmen. Wir sind daran interessiert, zu hören, wie in anderen Bereichen vorgegangen wird und welche Erfahrungen gemacht werden. Gleichzeitig möchten wir auf die Notwendigkeit Public-Health-ethischer Expertise hinweisen. Alle Autor/innen dieser Stellungnahme haben seit Jahren in Deutschland, in der Schweiz oder im englischsprachigen Raum in diesem Bereich gearbeitet und kennen die bereits sehr ausdifferenzierte Literatur u. a. zu Ethik bei Pandemien [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] sowie die aktuell entstehenden Beiträge [13] [14] [15] [16] [17] . Insgesamt ist der Bereich der Public-Health-Ethik in Deutschland jedoch nach wie vor nicht institutionell etabliert. Wir möchten diese Gelegenheit daher nutzen, um auf dieses Vakuum hinzuweisen. Während die gegenwärtige Beratung ad hoc und unter erschwerten Bedingungen erfolgte, empfehlen wir, dass Public-Health-ethische Beratung weiter institutionalisiert und auch durch ausreichend Ressourcen etabliert werden kann. Die Erstautorin übersetzte die Fragen des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit am 20. März 2020 ins Englische und versandte diese in einem Google-Dokument an eine Gruppe ausgewiesener Public-Health-Ethik-Expert/innen (auch im Bereich Forschungsethik) mit der Bitte um schnelle Beantwortung. Die Funktion des Google-Dokumentes erlaubte es den Autor/innen, das Dokument simultan zu bearbeiten und auch innerhalb des Dokumentes Fragen an die anderen zu stellen und Diskussionen zu führen. So konnten in einem gemeinsamen Prozess binnen zweier Tage Antworten auf die Fragen des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit formuliert werden, auch wenn allen Beteiligten äußerst wenig Zeit zur Verfügung stand. Der Text wurde einerseits auf Deutsch ausformuliert an das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit übermittelt. Andererseits wurde er als Blogbeitrag des Journal of Medical Ethics auf Englisch zur Diskussion gestellt [18] . In den Antworten aus der Gruppe wurde dezidiert eine Public-Health-ethische Perspektive eingenommen, die andere Schwerpunkte setzt als Medizinische oder Klinische Ethik. Letztere diskutieren eher Fragen zu Triage und Entscheidungen im Krankenhaus oder in der medizinischen und pflegerischen Praxis [19] . Die Public-Health-ethische Perspektive bedeutet, dass prinzipiell alle Themenfelder der multidisziplinären Gesundheitswissenschaften als relevant erachtet werden (von Mortalität über psychische Gesundheit bis hin zu gesundheitssystemrelevanten und gesundheitsökonomischen Gesichtspunkten). Im Fokus stehen darüber hinaus aber auch gesamtgesellschaftlich relevante normative Aspekte, die die Bedingungen eines guten und erfüllten Leben betreffen. Dazu gehören auch Standpunkte der sozialen Gerechtigkeit sowie Anerkennung und Reflexion von sozialen Vulnerabilitäten. Abschließend möchten wir betonen, dass es nicht unser Anliegen ist, Public-Health-Ethik künstlich von Klinischer bzw. Medizinischer Ethik abzugrenzen. Individuelles Krankheitserleben und krankheits-oder gesundheitsbezogenes Handeln findet immer in einem gesamtgesellschaftlichen (und globalen) Rahmen statt. Gerade die Auseinandersetzung zwischen individueller und systemisch orientierter Sichtweise ist nötig und fruchtbar. Allerdings bedarf es für die fundierte Public-Health-ethische Beratung ein besonderes Verständnis für ethische Fragen auf der Bevölkerungsebene, wie sie z. B. in der politischen Philosophie verhandelt werden, und Vertrautheit mit der Komplexität von Gesundheitssystemen. Dies sollte durch die Ausbildung und Förderung Public-Health-ethischer Expertise anerkannt werden. Das Imperial College COVID-19 Response Team beschreibt in seinem Beitrag zwei wichtige Strategien zur Infektionskontrolle: Die "Suppressions-Strategie", bei der die Ausbreitung des Virus verhindert werden soll und die "Mitigations-Strategie", bei der die Verlangsamung der Ausbreitung angestrebt wird [20] . Sollte die Zahl der Toten (bzw. verlorene Lebensjahre oder dergleichen) bei den beiden Strategien das ethisch dominierende Kriterium sein? (Wie) kann man andere ethische Aspekte, z. B. den höheren Grad der Freiheitseinschränkungen bei der Suppressions-Strategie oder ungleiche Aufopferungsansprüche bei der Mitigations-Strategie, ethisch a) operationalisieren und b) mit der Anzahl der Toten in Beziehung setzen, oder ist außer der Anzahl der Toten alles andere nur in individuellen deliberativen Prozessen zu diskutieren? Ethical Considerations. Care of the Critically Ill and Injured During Pandemics and Disasters Canadian Pandemic Influenza Preparedness: Planning Guidance for the Health Sector Control and Prevention: Ethical Guidance for Public Health Emergency Preparedness and Response: Highlighting Ethics and Values in a Ethische Kriterienberatung für Entscheidungsträger in Institutionen der öffentlichen Gesundheit zur Vorsorge einer Pandemie mit einem neuartigen Influenza A Virus Ethische Aspekte eines Influenzapandemiemanagements und Schlussfolgerungen für die Gesundheitspolitik -Ein Überblick Pandemic Disease, Public Health, and Ethics Pandemic influenza preparedness: an ethical framework to guide decision-making Ethical considerations in preparedness planning WHO 2014: Ethical issues related to study design for trials on therapeutics for Ebola virus disease WHO Guidance For Managing Ethical Issues In Infectious Disease Outbreaks Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise Human Rights Watch: Human Rights Dimensions of COVID-19 New briefing: Responding to the COVID-19 pandemic -ethical considerations Responding to the SARS-CoV-2 pandemic: Experiences of an ad hoc public health ethics consultation 2020 Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall-und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie Impact of non-pharmaceutical interventions (NPIs) to reduce COVID-19 mortality and healthcare demand Public health ethics: Mapping the terrain Ethical frameworks in public health decision-making: Defending a value-based and pluralist approach An ethics framework for public health Putting public health ethics into practice: A systematic framework Principles for the justification of public health intervention What makes public health studies ethical? Dissolving the boundary between research and practice Accountability for reasonableness