key: cord-0865148-c5p03lii authors: Hüther, Michael title: Investitionen und Konsum: wirtschaftspolitische Handlungsoptionen zur Jahresmitte 2020 date: 2020-07-06 journal: Wirtschaftsdienst DOI: 10.1007/s10273-020-2675-6 sha: 7219844d1c79d015830af95c5e9fa9bb4a1cda5c doc_id: 865148 cord_uid: c5p03lii The historically unprecedented slump in overall economic output due to the coronavirus crisis creates an urgency for economic policy responses. Demandside measures must be timely, targeted, and temporary. Addressing policy objectives beyond the economic recovery should not be the focus right now. A package of measures ranging from tax cuts to direct payments is appropriate. Die Corona-Krise hat einen kräftigen, historisch einmaligen Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Leistung ausgelöst. Nach der ersten Schätzung des Statistischen Bundesamts ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Vierteljahr 2020 um 2,2 % gegenüber dem Vorquartal geschrumpft, während für das zweite Quartal mit etwa 12 % in laufender Rate eine deutlich stärkere Schrumpfung zu erwarten ist. Alle Prognosen erwarten eine Erholung ab dem dritten Quartal. Dabei wird davon ausgegangen, dass wesentliche Blockaden auf der Angebotsseite weitgehend gelockert oder nicht mehr wirksam sind und dass die Nachfrageseite wieder anläuft. Infolge weiterhin gestörter Lieferketten und Einschränkungen beim Einsatz der Beschäftigten dürften die Produktionsbetriebe noch länger -bis Jahresende -unter Produktivitätsverlusten leiden. Schwerwiegender dürften die Nachfrageprobleme im weiteren Jahresverlauf wirken. Hier fehlt zunächst die Nachfrage aus vielen Auslandsmärkten. Dazu dürften im zweiten Halbjahr 2020 Belastungen bei der Binnennachfrage zum Tragen kommen, wenn möglicherweise nach der Sommerpause das Ausmaß der Arbeitsplatzver-luste greifbar wird und dadurch das Beschäftigungsrisiko allgemein spürbar deutlich ansteigt. Zudem erleiden nicht wenige private Haushalte durch Kurzarbeitergeld, aber auch die Einschränkungen beim Arbeitseinkommen eine Minderung der verfügbaren Einkommen. Wenn sich die Produktion auf Basis dieser Maßnahmen stabilisiert und wieder leicht anläuft, dann kann das zusammen mit anderen Stimmungsaufhellern (wie beispielsweise Urlaubsreisen ins Ausland) ein Umfeld begründen, in dem nachfragepolitische Instrumente sinnvoll sein können. Man läuft mit Nachfragepolitik nicht mehr Gefahr zu versuchen, mit einer offenen Hand ein fallendes Messer aufzuhalten. Die Lockerung der angebotspolitischen Restriktionen öffnet grundsätzlich den Raum für eine wirksame nachfragepolitische Intervention. Notwendig wird diese, wenn eine volkswirtschaftlich bedeutsame Unterauslastung der heimischen Kapazitäten registriert wird und wenn dies auf einer Einkommensbeschränkung der privaten Haushalte beruht -entweder durch tatsächliche Einkommensverluste (Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit) und den deshalb als notwendig erachteten Neuaufbau von Ersparnis oder durch erwartete/befürchtete Einkommensverluste wegen sich abzeichnender, drohender Arbeitslosigkeit. Nachfragepolitik muss "timely, targeted, temporary" sein und sollte keine Lenkungswirkung haben, jedenfalls nicht als vorrangiges Ziel (Bardt et al., 2020) mehrere Ziele oder Vorgaben zugleich den Wirkungsgrad der Politik verringert, die Kosten in die Höhe treibt und am Ende weder zeitgerecht noch zielgenau ist und damit auch hinsichtlich der Zeitdauer aus dem Rahmen läuft. Wer also nachfragepolitisch kurzfristig und kräftig wirksam handeln will, der muss anders als bei einer wachstumsorientierten Investitionsstrategie auf ergänzende Zielvorgaben weitgehend und primär verzichten. Eine besondere Herausforderung stellt sich unter den Bedingungen einer Stabilitätsökonomie oder gar einer Defl ationsökonomie, weil dann die Konsumenten auch bei nachfragestimulierenden Maßnahmen ihre eigenen fi nanziellen Mittel schonen, da sie durch Zuwarten keinem Preisrisiko ausgesetzt werden oder noch darauf hoffen können, dass die Preise fallen und sie einen Realeinkommensgewinn erzielen. Hilfreich kann deshalb für die Durchschlagskraft einer Nachfragepolitik sein, wenn zuvor aufgrund von Angebotsproblemen oder aufgrund von preislichen Nachholeffekten im Einzelhandel und bei Dienstleistungen zum Ausgleich des Nachfrageausfalls während des Lockdowns ein transitorischer Infl ationsimpuls entsteht. Kritisch diskutiert werden die Sickerverluste einer Nachfragepolitik durch positive Effekte auf die Importnachfrage. Das relativiert sich mit Blick auf europäische Sickereffekte, da Deutschland durch seine Vernetzung dadurch einen wichtigen Stabilisierungsbeitrag für Europa leisten kann (Kolev und Obst, 2020) . Tatsächlich könnte eine europäische Koordinierung nachfragepolitischer Aktivitäten den Wirkungsgrad insgesamt erhöhen. Dies gelang in der globalen Finanzkrise 2009 grundsätzlich gut und fehlt diesmal weitgehend. Immerhin liegen nun verschiedene Vorschläge für eine europäische Aktion vor (Merkel-Macron, EU-Kommission). Die Staaten zeigen in Höhe und Struktur bislang ein sehr unterschiedliches krisenpolitisches Engagement (vgl. Abbildung 1). Bei aller europäischen Verantwortung wäre es natürlich volkswirtschaftlich vertan, wenn man faktisch jene Sektoren besonders fördert, die eine besonders hohen Importanteil (Fertigwaren und Vorleistungen) aufweisen. Deshalb sollte volkswirtschaftlich wie politisch vor allem der Inlandskonsum -als Konsum von Produkten mit einem hohen inländischen Wertschöpfungsanteil bzw. geringem Importanteil -gefördert werden. Abbildung 2 beziffert auf Basis der Input-Output-Tabellen genau jenen Anteil. Danach bieten Dienstleistungen und Bau den größten Inlandseffekt mit fast 90 %, gefolgt von der Industrie, die einen Inlandsanteil von immerhin 55 % aufweist. Die sektorbezogenen Daten zeigen eine erhebliche Differenzierung, so sind die Importanteile bei pharmazeutischen Produkten (66 %), Datenverarbeitungsgeräten, optischen und elektronischen Geräten (68 %), elektrischen Ausrüstungen (52 %), auch Möbeln (54 %) relativ hoch, bei Kraftwagen (inklusive Teile) mit 36 % eher gering (zwei Drittel davon Vorleistungen). In d o n e s ie n B ra s il ie n K o re a K a n a d a S p a n ie n U S A A u s tr a li e n F ra n k re ic h G ro ß b ri ta n n ie n J a p a n It a li e n D e u ts c h la n d Angesichts der skizzierten Erfahrungen und der kategorialen Einordnung nachfragepolitischer Instrumente lassen sich die folgenden Hinweise ableiten: Entlastung der unteren und mittleren Einkommen, die traditionell eine höhere Konsumquote aufweisen und gegenwärtig möglicherweise besonders von Einkommenssorgen und -verlusten geprägt sind. • (Gechert et al., 2020) . Zudem sollte die höhere Bedarfsgerechtigkeit dieses Kindergeldzuschusses -im Vergleich zu einer allgemeinen Transfererhöhung -einen größeren Multiplikator aufweisen (Bayer et al., 2020) . Eine allgemeine Senkung der Einkommensteuer ist angesichts der insgesamt hohen Steuerquote -diese lag mit 24 % im Jahr 2019 deutlich über dem langjährigen Durchschnitt von 22,7 % -grundsätzlich erwägenswert und für die langfristige Stärkung des Wachstumspotenzials ergänzend zu gezielten Investitionsanreizen und -programmen geboten (Hüther, 2020 Mit neuem Wachstum aus der Krise. Überlegungen zu einer Modernisierungsstrategie für The Coronavirus Stimulus Package: How large is the transfer multiplier What Goes Up May Not Come Down: Asymmetric Incidence of Value-Added Taxes, 19. Februar Die Verteilung von Steuern, Sozialabgaben und Transfereinkommen der privaten Haushalte Die Wirkung von Konjunkturprogrammen Ko ali ti ons aus schuss be schließt Kon junk tur pa ket The Effects of Fiscal Policy in an Estimated DSGE Model -The Case of the German Stimulus Packages During the Great Recession Weiter Denken: Ein nachhaltiges Investitionsprogramm als tragende Säule einer gesamtwirtschaftlichen Stabilisierungspolitik The macroeconomic effects of social security contributions and benefi ts Zeit für Wachstumspolitik Ökonomische Wirksamkeit der Konjunktur stützenden fi nanzpolitischen Maßnahmen der Jahre Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von internationalen Lieferketten Anstieg des privaten Konsums im Jahr 2009 infolge der Umweltprämie für Personenkraftwagen Nachhaltige Wege aus der Wirtschaftskrise Umwelt und Klima schützen, Beschäftigung sichern, sozialverträgliche Transformation einleiten, UBA-Position Steuerliche Maßnahmen für Unternehmen aus Anlass der Corona-Krise Gezielte Kaufi mpulse mit hoher gesamtwirtschaftlicher Hebelwirkung: a. Befristete Minderung der Mehrwertsteuer (allgemeiner Satz, gegebenenfalls Erstattung als Vorsteuer beim Finanzamt). Die Absenkung des allgemeinen Mehrwertsteuer-Satzes um einen Prozentpunkt verursacht Steuerausfälle von rund 1 Mrd. Euro im Monat. Würde man für drei Monate den Satz um 4 Euro, für vier Monate 16,5 Mrd. Euro. b. Im Zusammenspiel mit den genannten Maßnahmen kann eine Umweltprämie (z. B. in Höhe von 3.000 Euro) für alle Antriebsarten geprüft werden Euro bis Jahresende 2020 im Windhund-Verfahren verfügbar; Regelung zur Verschrottung ähnlich wie vor zehn Jahren. Steigende Importe werden als Ausdruck europäischer Integration gewertet Konjunkturpolitik, daran ist zum Schluss nochmals zu erinnern, muss zuerst und vor allem unter den Gesichtspunkten der zeitlichen und sachlichen Passgenauigkeit sowie der Befristung gesehen werden, was "Strohfeuer" und "Sickerverluste" bewusst hinnimmt. Das gehört zum Wesen der Nachfragepolitik. Es verlangt die Bereitschaft, strukturelle Aspekte dabei erst in zweiter Linie berücksichtigen zu können. Zugleich ist langfristig zu denken, um das Wachstumspotenzial zu stärken und die Finanzierung der öffentlichen Haushalte wieder auf eine nachhaltige Basis zu stellen. Das von den Regierungsparteien am 3. Juni 2020 beschlossene Maßnahmenpaket zur Konjunktur-und Krisenbewältigung, Zukunftssicherung und internationalen Verantwortung (BMF, 2020) folgt weitgehend den hier skizzierten Kriterien und Vorschlägen