key: cord-0831624-vik61bm9 authors: Steffani, Marcella; Merz, Constanze; Stöß, Christian; Landau, Lars; Hüser, Norbert; Hartmann, Daniel; Friess, Helmut; Theisen, Jörg; Novotny, Alexander title: Auswirkungen der ersten COVID‑19-Welle auf die Viszeralchirurgie: Ein retrospektiver Fallzahlenvergleich an einem Universitätsklinikum und einem Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung date: 2021-05-19 journal: Chirurg DOI: 10.1007/s00104-021-01434-5 sha: 32abbab2dae0fa4ffe4e61ceb30db33c992cb6b6 doc_id: 831624 cord_uid: vik61bm9 BACKGROUND: During the first wave of the COVID-19 pandemic, the downregulation of all elective interventions during the period from 15 March 2020 to 15 May 2020 in Germany led to a decrease in operations. The impact on the number of specific operations in visceral surgery is so far unknown. METHODS: This retrospective study included 301 patients who underwent a cholecystectomy or appendectomy at a university hospital or a primary care facility between 15 March 2020 and 15 May 2020 (vs. 2018 and 2019). The number of cases and the clinical outcomes were analyzed. RESULTS: The suspension of elective surgery resulted in a significant reduction in elective cholecystectomy and emergency appendectomy. At the University Hospital the number of appendectomies decreased by 33% from 24 in 2018 to 16 in 2020 and the number of cholecystectomies declined by 57% from 30 in 2018 to 13 in 2020. At the primary care hospital, the number of appendectomy patients decreased by 48% from 23 in 2018 to 12 in 2020 and the number of cholecystectomies increased from the year 2018 to 2019 and subsequently declined by 30% in 2020. The duration of surgery, length of hospital stay and clinical course of patients did not significantly differ from the previous year time periods. CONCLUSIONS: During the first wave of the COVID-19 pandemic, the lockdown resulted in a significant reduction in frequently carried out visceral surgical interventions. In order to maintain the optimal medical care for the total population, current options for surgical and conservative treatment must be weighed against each other depending on the numbers of local infections and the individual comorbidities of the patients. Die virusinduzierte Pneumonie "coronavirus disease 2019" (COVID-19) breitet sich nach wie vor weltweit aus und beeinflusst sowohl das öffentliche Leben als auch den Klinikalltag der Krankenhäuser. Im Dezember 2019 wurde erstmalig in Wuhan das Virus SARS-CoV-2 als Ursache für die neu aufgetretene Lungenerkrankung identifiziert [1] . Seither steigen die Infektionszahlen kontinuierlich an, sodass am 11.03.2020 die World Health Organization (WHO) den Ausbruch des Virus zur Pandemie erklärte [2] . Um die Neuinfektionen und Letalität zu senken, wurden zahlreiche präventive Maßnahmen zur Begrenzung der Virusausbreitung erlassen [3] . Deutschlandweit wurden durch einen Regierungsbeschluss ab dem 12.03.2020 alle planbaren Aufnahmen, Operationen und Eingriffe auf zunächst unbestimmte Zeit verschoben, um den steigenden Bedarf an Intensiv-und Beatmungskapazitäten zur Behandlung von COVID-19-Patienten decken zu können [4] . Das Ziel dieser retrospektiven Studie ist es, die Auswirkungen der ersten COVID-19-Welle auf die Fallzahlen der Viszeralchirurgie zu untersuchen. Anhand der Appendektomie und Cholezystektomie, die zu den am häufigsten durchgeführten Operationen in der Viszeralchirurgie zählen, wurden die Fallzahlen eines Universitätsklinikums (Klinikum rechts der Isar, München) sowie Krankenhauses der Grund-und Regelversorgung (Klinikum Erding, Landkreis Erding) verglichen [5] . Im Zeitraum des Lockdowns stiegen in der Stadt München die Infektionszahlenvon256 COVID-19positiven Patienten am 15.03. auf 6240 infizierte Menschen am 15.05. (Prävalenz 423/100.000 Einwohner; [6] ). Insgesamt wurden 203 COVID-19-assoziierte Todesfälle gezählt. Im Landkreis Erding stieg die Infektionszahl von 35 auf 547 COVID-19-positiv getestete Bürger (400/100.000 Einwohner). 11 Personen verstarben an COVID-19 [6] . Eingeschlossen wurden alle Patienten, die eine Appendektomie oder Cholezystektomie während des ersten Lockdowns der COVID-19-Pandemie (vom 15 Appendektomie · Cholezystektomie · Chirurgie · Postoperative Komplikationen · SARS-CoV-2 Conclusions. During the first wave of the COVID-19 pandemic, the lockdown resulted in a significant reduction in frequently carried out visceral surgical interventions. In order to maintain the optimal medical care for the total population, current options for surgical and conservative treatment must be weighed against each other depending on the numbers of local infections and the individual comorbidities of the patients. Appendectomy · Cholecystectomy · Surgery · Postoperative complications · SARS-CoV-2 der ersten Pandemiewelle eine Reduktion um 57 % beobachtet (. Histopathologisch wurden am Universitätsklinikum signifikant mehr akute Cholezystitidendiagnostiziert(p = 0,005). Hiermit einher gehen signifikant weniger chronische Cholezystitiden (p = 0,006). Im Grund-und Regelversorger zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Vergleichsjahren. Auch bei der Aufnahme-und damit Operationsart zeigt sich eine deutliche Veränderung der Vergleichsjahre zu 2020: Am Universitätsklinikum stellten sich 2018 20 % (7/30) der cholezystektomierten Patienten notfallmäßig vor, 80 % (28/30) der Patienten wurden elektiv operiert (p = 0,05). Ähnlich stellte sich dies 2019 dar. 2020 wurden 62 % (7/13) notfallmäßig operiert. Am Grund-und Regelversorger zeigte sich auch ein Anstieg der notfallmäßigen Vorstellungen, es wurden jedoch weiterhin elektive Cholezystektomien durchgeführt: 2018 und 2019 stellten sich jeweils ca. 50 % der Patienten notfallmäßig und 50 % elektiv vor. 2020 stieg die notfallmäßige Vorstellung der Patienten auf 79 % (26/33) an. Präoperativ wurden am Universitätsklinikum zunehmend akute Cholezystitiden sonographisch nachgewiesen (2018: 9 %, 2020: 15 %). Am Klinikum der Grund-und Regelversorgung zeigte sich kein Unterschied bezüglich dieses Kriteriums. In beiden Kliniken ergaben sich sowohl bei der Häufigkeit intraoperativ eingelegter Drainagen als auch der Anzahl an Komplikationen und antibiotischer Therapie keine signifikanten Unterschiede zwischen den Vergleichsjahren (. Abb. 4). Im Jahr 2020 wurde ein Patient am Grund-und Regelversorger nach dringlicher Cholezystektomie positiv auf eine COVID-19-Infektion getestet. Weitere COVID-19-positive Patienten gab es in beiden Kohorten nicht. In der vorliegenden Studie konnte gezeigt werden, dass die Fallzahlen sowohl am Universitätsklinikum als auch am Grund-und Regelversorger für Notfalleingriffe wie der Appendektomie deutlich zurückgegangen sind (. Abb. 2). Am Universitätsklinikum konnte zudem eine Reduktion von elektiven bzw. frühelektiven Operationen am Beispiel der Cholezystektomie beobachtet werden (. Abb. 2). Wie erwartet reduzierte sich die Zahl elektiv geplanter Cholezyst-ektomien, gleichzeitig erhöhte sich die Zahl notfallmäßiger Indikationsstellungen, welche mit einer erhöhten Anzahl an akuten Beschwerden einherging. Am Klinikum der Grund-und Regelversorgung konnte hingegen keine signifikante Reduktion der Cholezystektomien beobachtet werden. Es zeigten sich sowohl bei der Appendektomie als auch bei der Cholezystektomie keine erhöhten Komplikationsraten, jedoch ließ sich am Universitätsklinikum eine steigende Tendenz der Operationszeit, Drainagenanlage und stationärer Aufenthaltsdauer bei appendektomierten Patienten beobachten. Dies geht mit einer erhöhten Anzahl an akuten komplizierten Appendizitiden einher. Wie in den Ergebnissen gezeigt und in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen, wurden in der Phase des ersten Lockdowns in Deutschland deutlich weniger Patienten operiert. Die Studie zeigt anhand konkreter Fallzahlen, wie sich die bundesweite Aussetzung des Elektivprogramms auf die Viszeralchirurgie auswirkt, um Krankenhauskapazitäten zu schaffen [4] . Auch in anderen Ländern zeigte sich ein ähnlicher Rückgang an Operationen [7] . Zudem zeigte eine Umfrage unter den Ordinarien für Viszeralchirurgie in Deutschland, dass eine Reduktion der Operationen an den Uniklinika wahrgenommen wurde [8] . Dies bestätige sich auch in der Analyse des Berufsverbands Deutscher Chirurgen über alle chirurgischen Fachdisziplinen und Bundesländer hinweg: Der Rückgang an Operationen betrug im März und April 2020 zwischen 18 und 49 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum [9] . Die Reduktion der elektiven Operationskapazitätenzeigtsichdeutlicham Beispiel der Cholezystektomien. Am Universitätsklinikum Klinikum rechts der Isar reduzierten sich die Cholezystektomien um 57 % von 2018 zu 2020. Zudem wurde keine der Cholezystektomien elektiv durchgeführt. Alle Cholezystektomien wurden als Notfalleingriffe durchgeführt. [11] . Die Verunsicherung der Patienten und Meidung der Notaufnahmen ist vermutlich, zusätzlich zu den politischen Maßnahmen, mitverantwortlich für den Rückgang an Opera-tionen bzw. Appendektomien. Die gesun- Genomic characterisation and epidemiology of 2019 novel coronavirus: implications for virus origins and receptor binding WHO declaresCOVID-19 a pandemic Gesundheit B (2020) Coronavirus SARS-CoV-2: Chronik der bisherigen Maßnahmen Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 12 Mortality and complications following visceral surgery: a nationwide analysis based on the diagnostic categories used in German hospital invoicing data COVID-19: Fallzahlen in Deutschland Elective surgery cancellations due to the COVID-19 pandemic: global predictive modelling to inform surgical recovery plans Effects of the SARS-CoV-2 pandemic on surgery-a national cross-sectional study Auswirkungen des Lockdowns auf die operative Patientenversorgung in Deutschland im Numbers of emergency room patients during the COVID-19 pandemic Decreased hospital admissions through emergency departments during the COVID-19 pandemic The decreasing incidence of acute appendicitis during COVID-19: a retrospective multi-centre study Antibiotics alone as an alternative to appendectomy for uncomplicated acute appendicitis in adults: changes in treatment modalities related to the COVID-19 health crisis Five-year follow-up of antibiotic therapy for uncomplicated acute appendicitis in the APPAC randomized clinical trial A randomized trial comparing antibiotics with appendectomy for appendicitis Management of acute appendicitis in ambulatory surgery: is it possible? How to select patients? kene Zahl an Appendektomien während der Pandemie ist vergleichbar mit anderen internationalen Studien. So zeigten Tankel et al., dass die Zahl der Appendektomien in Israel zum Zeitpunkt des Lockdowns deutlich reduziert war. Der perioperative Verlauf war ebenso wie in der vorliegenden Untersuchung im Vergleich zu den Vorjahren unverändert [12] . Als Erklärung für diese Ergebnisse werden von den Autoren unter anderem die Bewegungseinschränkungen der Bevölkerung und die Angst vor Infektionen im Krankenhaus genannt.Um während der Corona-Pandemie die medizinische Versorgung auf hohem Niveau zu sichern, muss der Einsatz operativer und konservativer Behandlungen gegeneinander abgewogen werden. Collard et al. haben hierzu beispielsweise einen Algorithmus entwickelt, um akute unkomplizierte Appendizitiden bei Erwachsenen primär antibiotisch zu behandeln. In die Entscheidungsfindung hinsichtlich der Primärtherapie (Appendektomie vs. Antibiotika) müssen sowohl diagnostische Befunde (z. B. eine Computertomographie) als auch die Komorbiditäten des Patienten mit einfließen [13] . Bei einem initial konservativen Vorgehen müssen die Patienten jedoch immer darüber aufgeklärt werden, dass die Rezidivrate nach 5 Jahren bei 40 % liegt [14] . In der CODA-Studie (Comparison of the Outcomes of antibiotic Drugs and Appendectomy) zeigte sich eine Operationsrate nachprimärerkonservativerTherapie mit Antibiotikagabe von 29 % [15] . Eine alternative Strategie für den ambulanten Sektor beschreiben Lefrançois et al. [16] . Anhand der Saint-Antoine Scale (Body-Mass-Index <28 kg/m 2 , Leukozyten <15.000/μl, C-reaktives Protein <30 mg/l, Bildgebung ohne Hinweis auf eine akute komplizierte Appendizitis) wird die Chance für einen unkomplizierten Verlauf eingeschätzt, um zwischen primär antibiotisch oder chirurgischer Therapie zu entscheiden.