key: cord-0824362-fhk7s9ld authors: Knieps, F. title: Das deutsche Gesundheitswesen und die Corona-Pandemie – Anmerkungen aus juristischer Sicht date: 2020-07-30 journal: Urologe A DOI: 10.1007/s00120-020-01255-0 sha: c4e6e3fad7e601a850bcb7ed64d40fd76fd54bb3 doc_id: 824362 cord_uid: fhk7s9ld nan Der folgende Beitrag setzt den Schwerpunkt -entsprechend der Primärqualifikation des Verfassers -bei den Rechtsfragen. Er stützt sich auf die gemeinsame Arbeit von Wissenschaftlern und Praktikern, die die politische und operative Arbeit bei der Bekämpfung der Pandemie kritisch begleiten, auch wenn das von den politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern keinesfalls gern gesehen wird. Die SARS-Cov-2/COVID-19 ist eine Infektionskrankheit mit hoher Infektiosität und sehr verschiedenen Krankheitsverläufen. Besonders gefährdet sind ältere Menschenund MenschenmitVorerkrankungen. Die meisten Infizierten zeigen Der Verfasser ist Volljurist und Vorstand des BKK-Dachverbands. Der Beitrag gibt allein seine persönliche Auffassung wieder. Angesichts der spärlichen Literaturlage greift der Beitrag viele Artikel und Anmerkungen aus dem Netz auf. gar keine Symptome oder solche, die in einem grippalen Infekt gleichen. Dies trägt dazu bei, dass Infektionsherde erst spät oder gar nicht erkannt werden. Auch Einrichtungen des Gesundheits-und Sozialwesens können solche Herde bilden. Zudem besteht die Gefahr, dass diese -wie Berichte aus Italien, Frankreich oder den USA zeigen -sehr schnell an die Grenzen ihrer Belastbarkeit kommen können. Trotz eines generell gut ausgestatteten Gesundheitssystems und einer gewissen Vorlaufzeit von den ersten Meldungen aus derVolksrepublikChina bis zum Ausbruch der Epidemie in Deutschland offenbarten sich schnell Ausstattungs-und Koordinationsprobleme. Speziell in der ambulanten ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung und noch gravierender in der pflegerischen Versorgung machte sicheinMangel vonadäquaterSchutzausrüstung und ein Fehlen von Mitarbeitenden bemerkbar. Zumindest kurzfristig kam das ambulante Versorgungssystem zum Erliegen, die stationäre Versorgung wurde kurzfristig umgestaltet, um nicht -wie ebenfalls in anderen Ländern zu beobachten -vor dem Ansturm von Menschen mit schweren Krankheitsverläufen kapitulieren zu müssen. Zumindest bis Ende Mai 2020 ist die befürchtete Überlastung des Versorgungssystems glücklicherweise nicht eingetreten. Im Gegenteil, der überwiegende Teil der kurzfristig eingerichteten Intensivbetten ist nicht belegt. Die übrige Krankenhausversorgung und speziell die ambulante Versorgung verzeichnen starke Rückgänge, die mit der "norma-len" Krankheitslast nicht erklärbar sind und auf unterbliebene Behandlungen mit ungewissen gesundheitlichen und sozialen Folgen schließen lassen. Nach einer anfangs zögerlichen Haltung haben sich Bundes-und Landesregierungen auch unter dem Eindruck der Entwicklung in Asien und anderen europäischen Ländern zu beispiellosen Maßnahmen entschlossen, die das öffentliche Leben in Deutschland weitgehend zum Erliegen brachte und unabsehbare wirtschaftliche und soziale Folgen nach sich ziehen. Diese drastischen Maßnahmen werfen eine Vielzahl von juristischen Fragen auf. Diese betreffen das Staatsorganisationsrecht der Bundesrepublik ebenso wie die Grundrechte unserer Verfassung. Besondere Aufmerksamkeit findet dabei das am 28.03.2020 in Kraft getretene, im Eilverfahren verabschiedete und inzwischen erweiterte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BGBl. 2020 I 587), das zu einer erheblichen Veränderung des bisher geltenden Infektionsschutzgesetzes (IfSG) geführt hat (Einzelheiten bei [9, 18] Das Grundgesetz kennt keine Stunde der Exekutive [8, 17, 19] . Auch vermeiden es Gerichte, Politiker und die Mehrheit der Juristen, von einem Ausnahmezustand zu sprechen (so aber unter Bezugnahme auf die Diskussion um den sog. Präventionsstaat [22] differenzierend [14] ). Vielmehr mehren sich nach einigen Wochen die Stimmen, die die unter Demokratie-und Gewaltenteilungsaspekten folgenschwere Selbstentmachtung des Parlaments zugunsten einer nahezu schrankenlosen Dominanz der Exekutive sehr kritisch sehen (exemplarisch [10] ). Gerade in Krisenzeiten haben die Bürgerinnen und Bürger, die demokratischen Entscheidungen Respekt und Loyalität zollen, einen Anspruch darauf, dass der Staat in allen Fragen von Legitimation und Legalität penibel alle Formen wahrt sowie Kritik demokratisch aufnimmt und nicht mit Illoyalität verwechselt. "Der Notfall, den es zu bekämpfen gilt, bedarf der Überprüfung; die Maßnahmen, die er rechtfertigen soll, umso mehr" [16] . "Beispiellose Freiheitseingriffe bedürfen beispielloser Transparenz" [20] . Es bedarf also in schwierigen politischen Zeiten kontroverser Debatten im öffentlichen Raum, um sich gerade im Kontext von Unsicherheiten [3] nicht der Illusion der Alternativlosigkeit von Zielen und Maßnahmen hinzugeben. Weitgehende juristische Einigkeit besteht auch hinsichtlich der Bewertung von in der Krise zuerst ergriffenen Maßnahmen, mögen sich diese auch in der Form und in der konkreten Ausgestaltung von Land zu Land oder sogar mit regionalen oder örtlichen Besonderheiten unterscheiden. Parlamenten und Regierungen wurde zugutegehalten, dass sie trotz der Erfahrungen mit früheren Epidemien und der zumindest theoretisch durchgespielten Pandemieplanung von der Wucht der Erkrankung überrascht wurden [26] . Die Gerichte billigen der Exekutive einen breiten Ermächtigungs-und Beurteilungsspielraum bei der Einschätzung der Gefahrenlage sowie bei der Auswahl und Ausgestaltung von Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche und zur Begrenzung der Ansteckungsrisiken zu (exemplarisch VGH München, NJW 2020, 1236, 1240: OVG Bautzen, NJW 2020, 1384 ff. Ganz wesentlich kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit auf die Verhältnismäßigkeit der Eingriffe an. Diese Prüfung darf nicht mit der "Holzhammermethode" erfolgen [6] . Jeder Eingriff muss ein legitimes Ziel in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise verfolgen. Kohärenz ist notwendige "Begleitmusik zum infektionsschutzrechtlichen Tanz" [15] . [10] . Bei anhaltendem Verlauf der Pandemie wird kontinuierlich zu prüfen sein, inwieweit Ausnahmeregelungen von strikten Regulierungen ausgeweitet und die Zielsetzung der Regelungen durch Auflagen mit milderen Vorgaben (Abstandsgebot, Maskenpflicht . . . ) erreicht werden kann. Daraus lässt sich aber keine allgemeine Regel für alle denkbaren Fallgestaltungen ableiten, sondern "nur" die allgemeine Verpflichtung, für jede Fallkonstellation eine Abwägung konkurrierender Grundrechte im Kontext des jeweiligen Erkenntniszustands vorzunehmen [2, 27, 28] Die COVID-19-Pandemie wird Wirtschaft und Gesellschaft, den Staat und das Sozialleben grundlegend verändern (beispielhaft [21] Verwendete Literatur Freiheitsbeschränkungen zum Lebensschutz in der Coronakrise -19 und der juristische Umgang mit Unsicherheit, Verfassungsblog vom Hrsg) (2019) 70 Jahre Grundgesetz -In welcher Verfassung ist die Bundesrepublik? Göttingen Neue Rechtsgrundlagen im Kampf gegen Covid-19 Whatever ist takes? Der demokratische Rechtsstaat in Zeiten von Corona Leben in Würde -Würde des Lebens, Verfassungsblog vom 2 Gegen obrigkeitsstaatliche Tendenzen in der Krise Vom Niedergang grundrechtlicher Denkkategorien in der Corona-Pandemie Die Kohärenz als Begleitmusik zum infektionsschutzrechtlichen Tanz, Verfassungsblog vom 28 Über den Schutz der Parlamente vor sich selbst in der Krise Möllers C (2020) Parlamentarische Selbstentmächtigung im Zeichen des Virus Gesundheitsschutz in der Coronavirus-Krise -Die (Neu-) Regelungen des Infektionsschutzgesetzes Die Stunde der Politik, Verfassungsblog vom 29 Spamann H (2020) Beispiellose Freiheitseingriffe brauchen beispielloseTransparenz Die desinfizierte Gesellschaft, Die Zeit Nr Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags (2020) Kontaktbeschränkungen zwecks Infektionsschutz: Grundrechte Weiterführende Literatur Der Staat der Mitte -Verfassungsgeschichte der Grundrechte in Zeiten von Corona -Zugleich Anmerkung zu BVerfG COVID-19 und das Grundgesetz Covid-19 und das Grundgesetz: Neue Gedanken vor dem Hintergrund neuer Gesetze, Verfassungsblog vom 30