key: cord-0815973-b3d5znvt authors: Heimann, T.; Ewert, J.; Metzner, F.; Sigmund, F.; Jud, A.; Pawils, S. title: Medizinischer Kinderschutz während des Corona-Lockdowns: Vergleichende Befunde der Kinderschutzfälle aus Kliniken und Ambulanzen in Deutschland date: 2021-02-16 journal: Monatsschr Kinderheilkd DOI: 10.1007/s00112-021-01135-7 sha: 83b0f5d319fbe74ff4100bb7d1d89f2047d8748a doc_id: 815973 cord_uid: b3d5znvt BACKGROUND: There are indications that during the lockdown and the measures of social distancing due to the coronavirus disease 2019 (COVID-19) pandemic, physical and sexual child abuse and neglect may have increased. Additionally, decreased social control may have led to a lower detection rate of child protection cases. OBJECTIVE: This study aimed to better understand the impact of the lockdown in Germany on the frequency and severity of child abuse and neglect. To do so the quantity and quality of cases of suspected child abuse and neglect in German pediatric departments and outpatient departments for medical child protection were examined. METHODS: In May 2020 a total of 343 institutions of medical child protection were invited to fill in a questionnaire with items describing their institution and items depicting cases of child protection in March and April 2019 and 2020 regarding age, form and severity of abuse as well as items to describe particular remarks and ideas for child protection during the pandemic. RESULTS: Out of the 343 pediatric departments and outpatient departments of medical child protection invited, the participation rate was 46%. In this study 81 institutions reported the total cases of suspected child abuse or neglect for both March and April 2019 and 2020. The number of cases dropped from 454 to 387 (−15%) in outpatient child abuse clinics and from 307 to 246 (−20%) in pediatric inpatient departments. Regarding the age of affected children and the form of abuse no significant differences were found. CONCLUSION: The study found a decrease in reported cases of suspected child abuse and neglect during the lockdown in March and April 2020 compared to 2019. While the results do not show an increase of total child abuse and neglect, as suspected by many professionals, the decrease in reported cases may be explained by a steep increase in unreported cases due to reduced social control. Kinder und Jugendliche sind keine Risikogruppe für schwere Verläufe der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) [17] , aber waren durch die Schließung von Kitas, Schulen und Freizeitangeboten sowie durch minimierte Kontakte in besonderem Maß vom Lockdown betroffen. Das eingeschränkte Angebot der Jugend-und Familienhilfe stellte besonders für belastete Familien eine Herausforderung dar [9, 26] . Kindern fehlte es an Die Autoren T. Heimann und J. Ewert teilen sich die Erstautorenschaft. Möglichkeiten, sichEntlastung, Beratung oder außerfamiliären Schutz zu suchen [24] . In vielen Familien kam es zu Konflikten; fast jedes vierte Kind fühlte sich einsam [15] . Die Inanspruchnahme von telefonischen Beratungsstellen für Kinder und Eltern erhöhte sich [27] . In Krisen aufgrund von Naturkatastrophen oder Wirtschaftsrezession stieg in der Vergangenheit das Risiko für Kindesmisshandlung häufig über das Ende der Krisen hinaus an [2, 6, 11, 25] . Befürchtet wird daher, dass sich das Misshandlungsrisiko insbesondere in den Familien, die bereits vor der COVID-19-Pandemie sehr belastet waren, während des Lockdowns erhöhte [4, 5] , insbesondere wenn von Gewalt betroffene Kinder in der zum Schutz der Bevölkerung verordneten Kontaktsperre mit den Täter-Innen zusammenlebten [7] . Während die Gefahr für Misshandlungen in den Familien anstieg, entfielen gleichzeitigwichtige Mechanismendersozialen Kontrolle. Verletzungen oder Verhaltensänderungen, die sonst in der Kita oder Schule aufgefallen wären, könnten während des Lockdowns häufig unentdeckt geblieben sein. Betroffenen Kindern fehlten wichtige AnsprechpartnerInnen, um sich anzuvertrauen und Übergriffe zu melden. Während Kinder im Schulalter häufig noch mit ihren LehrerInnen in Kontakt standen, sahen Kleinkinder und Kinder insbesondere aus sozioökonomisch benachteiligten Familien u. U. über Wochen nur ihre engsten Familienmitglieder. Dementsprechend verzeichneten etwa 25 % der deutschen Jugendämter in diesem Zeitraum einen Rückgang an Gefährdungsmeldungen [16] . Vermutet werden muss, dass die Isolationsmaßnahmen nicht nur vulnerable Kinder aus Familien mit hoher Stressbelastung oder in prekären Lebensverhältnissen gefährdeten, sondern auch Kinder, die bis dahin nicht zur Risikogruppe für Kindeswohlgefährdung gehörten. Weltweit wurde von steigenden Zahlen häuslicher Gewalt v. a. gegen Frauen berichtet, die sich bislang v. a. aus einer Zunahme lokaler Polizeieinsätze diesbezüglich sowie steigenden Anrufzahlen bei Hilfetelefonen ableiten [3, 14, 18] Kindesmisshandlung · Vernachlässigung · Dunkelziffer · COVID-19 · "Social distancing" Background. There are indications that during the lockdown and the measures of social distancing due to the coronavirus disease 2019 (COVID-19) pandemic, physical and sexual child abuse and neglect may have increased. Additionally, decreased social control may have led to a lower detection rate of child protection cases. Objective. This study aimed to better understand the impact of the lockdown in Germany on the frequency and severity of child abuse and neglect. To do so the quantity and quality of cases of suspected child abuse and neglect in German pediatric departments and outpatient departments for medical child protection were examined. Methods. In May 2020 a total of 343 institutions of medical child protection were invited to fill in a questionnaire with items describing their institution and items depicting cases of child protection in March and April 2019 and 2020 regarding age, form and severity of abuse as well as items to describe particular remarks and ideas for child protection during the pandemic. Results. Out of the 343 pediatric departments and outpatient departments of medical child protection invited, the participation rate was 46%. In this study 81 institutions reported the total cases of suspected child abuse or neglect for both March and April 2019 and 2020. The number of cases dropped from 454 to 387 (-15%) in outpatient child abuse clinics and from 307 to 246 (-20%) in pediatric inpatient departments. Regarding the age of affected children and the form of abuse no significant differences were found. Conclusion. The study found a decrease in reported cases of suspected child abuse and neglect during the lockdown in March and April 2020 compared to 2019. While the results do not show an increase of total child abuse and neglect, as suspected by many professionals, the decrease in reported cases may be explained by a steep increase in unreported cases due to reduced social control. Von den n = 159 teilnehmenden Kliniken und Ambulanzen aus allen 16 Bundesländern boten n = 120 (75 %) stationäre Von den 159 Institutionen haben 78 Einrichtungen freitextliche Angaben gemacht. Etwa 31 % der Kliniken und Ambulanzen (n = 24) meldeten Veränderungen in den Fallzuweisungen während des Lockdowns zurück. Rund 12 % der Institutionen (n = 9) hatten weniger Zuweisungen durch die Jugendämter verzeichnet. Etwa 13 % der befragten Einrichtungen (n = 10) berichteten von Besonderheiten in Bezug auf die Vorstellungsgründe, zu denen vorrangig elterliche Überforderung bzw. Spannungen innerhalb der Familie zählten. Einen erhöhten Schweregrad der Verletzungen bei den während des Lockdowns vorgestellten Kinderschutzfällen beobachteten 10 % der teilnehmenden Kliniken und Ambulanzen (n = 8). Von 35 % der Einrichtungen (n = 27) wurde zurückgemeldet, dass sich infektionsprophylaktische Maßnahmen auf die Anzahl der Kinderschutzfälle ausgewirkt hatten. Beispielsweise war in 9 % der Institutionen (n = 7) der Zugang eingeschränkt. Rund 18 % der Einrichtungen (n = 14) wünschten sich für den Kinderschutz während einespandemiebedingtenLockdowns eine besser abgestimmte Zusammenarbeit mit den Jugendämtern, da in den Einrichtungen behandelte Patienten nicht vom Jugendamt betreut wurden (n = 7) oder die Jugendämter schlecht erreichbar waren (n = 5). Etwa 13 % der Einrichtungen (n = 10) empfahlen, die aufsuchende und ambulante Jugend-bzw. Familienhilfe früher als während des Lockdowns 2020 wieder aufzunehmen. Rund 10 % der Einrichtungen (n = 8) sprachen sich dafür aus, Betreuungsangebote für Kinder durch eine frühere und längere Öffnung sowie durch eine Ausweitung der Notbetreuung zu verbessern. Die vorliegende Untersuchung auf der Grundlage einer Vollerhebung in kinderversorgenden Kliniken und Ambulanzen in Deutschland beschreibt einen Rückgang der dokumentierten Fallzahlen im medizinischen Kinderschutz während des Lockdowns im Frühjahr 2020 im Vergleich zu 2019. Die Befunde stehen im Einklang mit dem Rückgang an Gefährdungsmeldungen bei den Jugendämtern [16] . Die Ergebnisse der Befragung stützen die von Kinderschutzexpert-Innen geäußerte Befürchtung, dass von Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche während des pandemiebedingten Lockdowns im Frühjahr 2020 seltener erkannt wurden als vor dem Lockdown und lassen sich möglicherweise auf den Verlust von Meldern in Kitas, Schulen und dem außerfamiliären Umfeld aufgrund des "social distancing" zurückzuführen. Auch infektionsprophylaktische Maßnahmen in den kinderversorgenden Kliniken und Ambulanzen können die Reduktion der Fallzahlen bedingt haben. Familienministerium will Förderung der Kinderschutzhotline verlängern Abusive head trauma during a time of increased unemployment: a multicenter analysis Alarming trends in US domestic violence during the COVID-19 pandemic Kinder psychisch erkrankter Eltern Potential effects of "social" distancing measures and school lockdown on child and adolescent mental health Changes in reports and incidence of child abuse following natural disasters COVID-19-Pandemie: Kinderschutz ist systemrelevant Violence, abuse, and crime exposure in a national sample of children and youth Risks to children and young people during covid-19 pandemic A prevalence-based approach to societal costs occurring in consequence of child abuse and neglect Increased incidence of nonaccidental head trauma in infants associated with the economic recession The effect of multiple adverse childhood experiences on health: a systematic review and meta-analysis The definitions are legion: academic views and practice perspectives on violence against children Home is not always a haven: the domestic violence crisis amid the COVID-19 pandemic COVID-19 virus and children: what do we know? Staying home, staying safe? A short-term analysis ofCOVID-19 ondallasdomesticviolence Notaufnahme während der Coronapandemie: Weniger Non-COVID-19-Notfälle Neue Entwicklungen im medizinischen Kinderschutz Rise in the incidence of abusive head trauma during the COVID-19 pandemic Statistisches Bundesamt (2020) Gefährdungseinschätzungen nach § 8a Absatz Gewalt an Frauen und Kindern in Deutschland während COVID-19-bedingten Ausgangsbeschränkungen: Zusammenfassung der Ergebnisse Viele psychische Krankheiten können durch die Pandemie forciert werden Association of pediatric abusive head trauma rates with macroeconomic indicators Appell aus der Wissenschaft: Mehr Kinderschutz in der Corona-Pandemie 27