key: cord-0794385-9he3mkf1 authors: Radbruch, Lukas; Bausewein, Claudia title: COVID-19 und Palliativversorgung date: 2022-04-01 journal: Forum DOI: 10.1007/s12312-022-01070-y sha: 843f246e0b74b45e38d8a029f15d510164aa32cb doc_id: 794385 cord_uid: 9he3mkf1 With knowledge, skills, and attitudes to treatment goal establishment and treatment decisions, palliative care can contribute to appropriate use of scare resources during the severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2 (SARS-CoV-2) pandemic. Palliative medicine also delivers recommendations on management of symptoms of breathlessness, anxiety, and restlessness, and provides concepts for communication with patients and their relatives/caregivers in spite of pandemic-related restrictions. In the national Palliative Care in Times of Pandemics (PallPan, https://pallpan.de/) project, 16 university palliative care centers have contributed to development of 32 recommendations, with best-practice examples for patients, relatives/caregivers, health care professionals, and decision-makers in the health care system. PallPan also includes recommendations for bereavement care in times of pandemic. Die Palliativversorgung kann in der "severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2"(SARS-CoV-2)-Pandemie mit ihrem Fachwissen, ihren Fähigkeiten und Haltungen sowohl zur Therapiezielfindung als auch zur Entscheidungsfindung bei knappen Ressourcen beitragen. Sie liefert Empfehlungen zur Kontrolle der Symptome Luftnot, Unruhe und Angst und bietet Konzepte, wie die Kommunikation mit Patienten und Angehörigen trotz der pandemiebedingten Einschränkungen gelingen kann. In dem Projekt "Nationale Strategie für Palliativversorgung in Pandemiezeiten" (PallPan) wurden auf der Grundlage von 16 Teilstudien insgesamt 32 Handlungsempfehlungen für Patienten, Angehörige/Pflegende, Mitarbeitende und Entscheidungsträger im Gesundheitswesen vorgelegt. Dazu gehören auch Hilfestellungen zur "Trauer in besonderen Zeiten". Pandemie · Emotionaler Stress · Soziale Isolierung · Psychosoziale Faktoren · Trauer Mit dem Beginn der "severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2"(SARS-CoV-2)-Pandemie im Frühjahr 2020 wurde in Deutschland die Aufmerksamkeit v. a. auf die intensivmedizinische Versorgung der Patienten gelegt. Die Schreckensbilder aus anderen Ländern wie China oder Italien gingen durch die Medien. Mit der drohenden Überlastung des Gesundheitssystems durch die vielen Intensivpatienten und den notwendigen Schutz-und Isolierungsmaßnahmen kam es in vielen anderen Bereichen des Gesundheitssystems zu Einschränkungen, auch in der Hospizund Palliativversorgung. So wurde beispielsweise im ersten Lockdown in manchen Pflegeeinrichtungen im Rahmen der strengen Abschottung auch den Teams der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) der Zutritt verwehrt. Für Patienten mit "Coronavirus disease 2019" (COVID-19) und Luftnot, Angst oder Unruhe ist eine ausreichende Symptomerfassung und -linderung notwendig. Dies betrifft Patienten, a) die in einer Triage-Situation nicht intensivmedizinisch behandelt werden können, b) bei denen eine Beatmung und Sedierung (noch) nicht indiziert ist oder c) die aus anderen Gründen, z. B. einer lebenslimitierenden Grunderkrankung, eine Krankenhausbehandlung ihrer COVID-19-Infektion ablehnen. Die Behandlung von Luftnot bei COVID-19 folgt im Wesentlichen den palliativmedizinischen Grundlagen. Jedoch sollten größere Luftbewegungen in der Umgebung des Patienten vermieden, beispielsweise keine Ventilatoren eingesetzt werden. Die symptomatische Behandlung mit Opioiden ist genauso effektiv zur Linderung von Luftnot wie bei anderen Patienten mit Luftnot in der Palliativversorgung. Empfehlungen zur Symptomlinderung bei COVID-19 wurden von der DGP gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie veröffentlicht [5] . Die psychosozialen Folgen der Pandemie sind nicht nur für die betroffenen Patienten selbst, sondern auch für ihre Zugehörigen (Familienmitglieder, Partner, Nahestehende) sehr belastend. Dies gilt nicht nur für die Patienten mit einer COVID-19-Infektion, sondern auch für Menschen ohne COVID-19, aber mit einer anderen lebensbedrohlichen Erkrankung. In den Lockdown-Phasen wurden aufgrund der Besuchsverbote oder -einschränkungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen Patienten von ihren Zugehörigen isoliert und blieben teilweise über Tage und Wochen ohne deren Unterstützung, manchmal bis zu ihrem Tod. Bei Patienten, die an COVID-19 oder auch an einer anderen Erkrankung verstarben, mussten die Zugehörigen weitere Einschränkungen bei Trauerfeiern und Beerdigungen hinnehmen, sodass sie wenig Trost in ihrer Trauer finden konnten. Darüber hinaus kam bei den Zugehörigen möglicherweise noch die Sorge hinzu, dass sie an der Erkrankung schuld sein könnten, wenn Patienten an COVID-19 erkrankt waren. Auch das Erleben von Stigmatisierung im sozialen Umfeld konnte sie zusätzlich beeinträchtigen. Auf der anderen Seite wurden schnell Vorschläge und Ideen umgesetzt, wie die-senBelastungenbegegnet werden konnte. Digitale Medien, über Videotelefonie oder Apps für Smartphones, Tablets oder Notebooks, bieten die Möglichkeit, trotz Isolation und Besuchseinschränkungen den Patienten nahe zu sein und sich mit ihnen verbunden zu fühlen. Virtuelle Kontakte zu den nahestehenden erkrankten Menschen ermöglichen es, mit ihnen zu sprechen, sich zum gemeinsamen Essen, Beten oder Singen zu verabreden oder Bilder, Videos oder Musik zu schicken. Wenn es nicht möglich ist, diese virtuellen Möglichkeiten zu nutzen, können über die Mitarbeitenden Karten, Briefe, Bilder oder Fotos überbracht werden. Empfehlungen zur Unterstützung der Zugehörigen in der Pandemie wurden von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) bereits 2020 veröffentlicht [4] . Im Rahmen des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM) wurde von August 2020 bis Dezember 2021 das bundesweite Projekt "Palliativversorgung in Zeiten der Pandemie" (PallPan) gefördert [1] Die spezialisierten Einrichtungen können andere Versorgende in der allgemeinen Palliativversorgung unterstützen, z. B. durch kurze Praxisempfehlungen, Schulungen, (konsiliarische) Mitbehandlung, Beratung über Telefon, Videosprechstunden oder Telemedizin. Versorgende sollen Menschen, die schwer krank sind oder zur Risikogruppe für einen schweren Infektionsverlauf gehören, und ihren Angehörigen Gespräche über Therapieziele und Behandlungspräferenzen (z. B. zu Krankenhauseinweisung, Behandlung auf einer Intensivstation und Reanimation) frühzeitig anbieten (Handlungsempfehlung 6). In solchen Gesprächen sollte allerdings kein Therapieverzicht suggeriert werden mit dem Ziel, knappe Ressourcen freizuhalten, sondern es sollten unbeeinflusst die persönlichen Präferenzen und Prioritäten der Patienten festgehalten und schriftlich dokumentiert werden. Die individuellen Bedürfnisse schwer kranker und sterbender Menschen, insbesondere das Bedürfnis nach Nähe, sollen in der Abwägung mit dem Infektionsschutz der Bevölkerung eine immer größere Gewichtung erhalten, je näher die Sterbephase rückt (Handlungsempfehlung 8). Dies kann umgesetzt werden, indem z. B. die Testung für Zugehörige auf der Palliativstation oder die Unterbringung in einem Einzelzimmer mit guter Lüftungsmöglichkeit und Einhalten der Hygienemaßnahmen angeboten wird, um auch mit mehreren Zugehörigen gemeinsam Abschied nehmen zu können, oder indem Zugehörigen angeboten wird, dass sie bis zum Versterben des Patienten permanent anwesend sein dürfen, dabei aber das Zimmer (oder das Gebäude) möglichst nicht verlassen sollen. Bundes-und Landesregierungen sowie kommunale Verwaltungen und Krankenhausträger sollen bei Anordnungen von Kontaktbeschränkungen solche gesonderten Regelungen für schwerstkranke, sterbende und trauernde Menschen sowie ih-re Angehörigen (jeweils für Nichtinfizierte und Infizierte) erstellen (Handlungsempfehlungen 10). Das PallPan-Projekt bietet neben den Handlungsempfehlungen und Umsetzungsbeispielen auch einen eLearning-Kurs an (https://pallpan.de/elearning/#/) mit Modulen zur Symptomkontrolle, Kommunikation, zu Besuchsregelungen, interdisziplinärer und interprofessioneller Zusammenarbeit, zum Sterben und Abschiednehmen. Für den Umgang mit Trauer und mit Trauernden wurde die Webseite "Trauer in besonderen Zeiten" (https:// trauern-in-besonderen-zeiten.de/) entwickelt. Hier findensichnebenInformationen und praktischen Tipps auch Verweise auf Literatur oder Webressourcen, außerdem werden ein virtueller Trauerraum sowie Selbsttests auf Depression oder posttraumatische Belastungsstörung angeboten. Ebenso wie es nach einer COVID-19-Infektion zu lang dauernden Folgen kommen kann, die als Long-COVID zunehmend Beachtung finden, können auch psychosoziale Belastungen bei den Zugehörigen, z. B. wenn Patienten in der Isolierung verstorben sind oder wenn keine Trauerfeier möglich war, zu lang andauernden Folgen führen. Bei der großen Zahl von Verstorbenen in der mittlerweile schon 2 Jahre anhaltenden Pandemie hat dies Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Diese oder andere mittel-und langfristigen Effekte der Pandemie sind aber bisher kaum untersucht worden. In dem Projekt CollPan (Collateraleffekte der Pandemie) wird sich in der nächsten Förderperiode im NUM ein Arbeitspaket mit den Belastungen von pflegenden ebenso wie von trauernden Angehörigen in der Pandemie befassen. Mit den Ergebnissen der bundesweiten PallPan-Erhebung werden die Patienten in der Palliativversorgung klar als besonders vulnerable Gruppe beschrieben, deren Versorgung in Pandemiezeiten eines besonderen Schutzes bedarf. PallPan empfiehlt, dass die Angebote der allgemeinen und spezialisierten Palliativversorgung, so-wohl stationär als auch ambulant, in der Pandemie aufrechterhalten werden sollten, selbst wenn die Ressourcen im Gesundheitssystem knapp sind. Das beinhaltet auch eine ausreichende Zuteilung von Schutz-und Testmaterial für diese Einrichtungen. In der klinischen Versorgung liegt ein Schwerpunkt auf der Erfassung und Behandlung von belastenden Symptomen wie Luftnot, Unruhe und Angst. Hierzu lassen sich die Empfehlungen der S3-Leitlinie "Palliativmedizin bei Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung" [2] übertragen, z. B. indem Opioide zur Linderung der Luftnot effektiv eingesetzt werden können. Wichtig ist die kontinuierliche und empathische Kommunikation mit den Patienten und ihren Zugehörigen, insbesondere wenn die Kontaktmöglichkeiten durch Schutz-und Isolierungsmaßnahmen eingeschränkt sind. Regelmäßige Informationsangebote helfen, Unsicherheiten bei Patienten und Zugehörigen zu vermeiden. Bei Patienten in der Palliativversorgung sollten Besucherregelungen vereinbart werden, die den Zugehörigen ermöglichen, den Kontakt zu halten und den Patienten zu unterstützen. Bei sterbenden Patienten sollte in der Palliativversorgung, aber möglichst auch in allen anderen Versorgungsorten, den Zugehörigen ein möglichst uneingeschränkter Zugang ermöglicht werden, damit sie die Patienten bis zum Lebensende begleiten können. Nach dem Versterben sollten die Zugehörigen auf Angebote zur Trauerbegleitung (z. B. in den ambulanten Hospizdiens-teninderNähe)hingewiesenwerden. Über die Webseite von "Trauer in besonderen Zeiten" können digitale Angebote gesucht und gefunden werden. National strategy for palliative care of severely ill and dying people and their relatives in pandemics (PallPan) in Germany-study protocol of a mixed-methods project Erweiterte S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) Empfehlungen zur Unterstutzung von belasteten, schwerstkranken, sterbenden und trauernden Menschen in der Corona-Pandemie aus palliativmedizinischer Perspektive : Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft fur Palliativmedizin (DGP) Therapie von PatientInnen mit COVID-19 -Empfehlungen aus der Perspektive der Palliativversorgung Interessenkonflikt. L. Radbruch und C. Bausewein geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.