key: cord-0789799-2jyj4kk0 authors: Wein, Thomas title: Ist eine Impfpflicht gegen das Coronavirus nötig? date: 2021-02-20 journal: Wirtschaftsdienst DOI: 10.1007/s10273-021-2852-2 sha: 3c47ffa8cb250bd0e862d7754cbee2c01701d061 doc_id: 789799 cord_uid: 2jyj4kk0 The end of the pandemic requires that SARS-CoV-2 vaccines be used. However, vaccination itself can lead to temporary adverse health effects and/or long-term damage. Vaccination initially represents a private good demanded by an individual cost-benefit calculus; however, it also creates positive externalities and thus too few individual incentives to vaccinate. Getting vaccinated is not a dominant rational strategy, neither in the overall population, nor among the old and the young, nor when the long-term costs of the pandemic are taken into account. It is all the more important to “price in” the long-term consequences of a lasting pandemic. die gesellschaftlich optimale Impfrate zu erreichen. Ohne wirtschaftspolitische Eingriffe wie z. B. die Subventionierung von Impfungen oder eine Impfpfl icht würde die Corona-Pandemie möglicherwiese weitgehend ungehindert wie bisher fortbestehen, die Infektionszahlen würden nicht substanziell sinken, schwere Verläufe und virusbedingte Todesfälle wären weiter zu verzeichnen. Die Notwendigkeit für Abstands-und Hygieneregeln oder für temporäre Lockdowns bliebe bestehen. Zumindest teilweise würden somit individuelle Freiheitsrechte weiterhin beschnitten werden, das Sozialprodukt würde vermindert und staatliche Unterstützungszahlen für Betroffene blieben erforderlich. Letzteres würde die fi nanzielle Leistungsfähigkeit des Staates in Frage stellen. Mehrere Politiker:innen verschiedener Parteien haben eine Impfpfl icht gegen SARS-CoV-2 grundsätzlich ausgeschlossen. So setzt Bundesgesundheitsminister Spahn (2020) (CDU) statt Impfpfl icht auf Freiwilligkeit, um die notwendige Herdenimmunität zu erreichen. Der bayerische Ministerpräsident Söder (2020) (CSU) lehnt die Pfl icht ebenfalls ab, sie sei doch eher ein "Gebot". Bundesjustizministerin Lambrecht (2020) (SPD) geht noch weiter und lehnt eine faktische Impfpfl icht "durch die Hintertür" ab, wenn Nicht-Geimpften im gesellschaftlichen Leben Nachteile angedroht würden. Ständige Impfkommission, Deutscher Ethik rat und Leopoldina (2020) lehnten in einer gemeinsamen Stellungnahme im November 2020 eine undifferenzierte, allgemeine Impfpfl icht ab, nur bei schwerwiegenden Gründen und für eine präzise differenzierte Personengruppe sei sie vorstellbar. Beschäftigte im ständigen Kontakt mit Hochrisikogruppen könnten hierunter fallen, falls die Impfung das einzig verbleibende Mittel sei. Augsberg (2020) , Mitglied des Ethikrats und Jurist, betont im Einklang mit dem Ethikrat noch einmal die Ablehnung Prof. Dr. Thomas Wein ist Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre der Leuphana Universität Lüneburg. Analysen und Berichte Corona-Krise einer generellen Impfpfl icht, verweist aber darauf, dass verfassungsrechtlich für bestimmte Berufsgruppen eine Pfl icht denkbar wäre. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern gibt es eine Impfpfl ichtdebatte gegen das Coronavirus. Für andere Krankheiten gibt es durchaus und unter besonderen Umständen eine solche Impfpfl icht (o. V., 2020). Wenige wissenschaftliche Studien liegen bisher zur Frage vor, wie groß die Bereitschaft der Bevölkerung ist, sich gegen SARS-CoV-2 zu impfen. Eine Gruppe von europäischen Gesundheitsökonom:innen (Neumann-Böhme et al., 2020) (Dror et al., 2020) . Daran nahmen Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen sowie aus der allgemeinen Bevölkerung teil. Eine höhere Impfbereitschaft lag für medizinische Beschäftigte vor, die mit COVID-19-Patient:innen berufl ich in Berührung gekommen waren, sowie für die allgemeine Bevölkerung. Dagegen war das medizinische Personal ohne Corona-Kontakt weniger zur Impfung bereit. Aus einer Zusatzbefragung im Sozio-ökonomischen Panel (SOEP), die im Juni und Juli 2020 durchgeführt wurde, folgt, dass sich 70 % der Befragten freiwillig impfen lassen würden, wiederum vor allem Ältere; 50 % der Antwortenden treten immerhin für eine Impfpfl icht ein (Graeber et al., 2020) . Der Verhaltensökonom und Unternehmensberater Gerhard Fehr ist äußerst skeptisch, dass ein ausreichender Grad an freiwilligen Impfungen zustande kommt. Die in Meinungsumfragen geäußerte potenzielle Bereitschaft zur Impfung sei keinesfalls mit der tatsächlichen Impfteilnahme gleichzusetzen -was auch bei anderen Fragen, die im Zusammenhang mit öffentlichen Gütern stehen, der Fall sei (Pennekamp, 2020) . Nach § 20, VI, S. 1 Infektionsschutzgesetz kann der Bundesgesundheitsminister durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats anordnen, dass "bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifi schen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist". Insofern wäre grundsätzlich eine Impfpfl icht gegen SARS-CoV-2 denkbar, da prinzipiell die gesamte Bevölkerung durch das Virus bedroht ist, schwere Verlaufsformen offenkundig sind und sich das Virus ohne Schutzmaßnahmen epidemisch verbreitet. Freilich ist zu prüfen, ob eine Impfpfl icht mit Art. 2, II GG 2 vereinbar ist, was insbesondere eine Frage der Verhältnismäßigkeit sein dürfte (Tonti, 2020) . Zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer SARS-CoV-2-Impfung schlägt Savulescu (2020) einen weitverzweigten Algorithmus vor, der Prüffragen über die potenzielle Schwere einer COVID-19-Erkrankung, zur Effektivität und Sicherheit des jeweiligen Impfstoffs, zu den Vor-und Nachteilen der Impfpfl icht sowie zu den Alternativen jenseits der Impfungen formuliert. In seiner sehr vorsichtigen Bewertung und vor dem Hintergrund seines zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sehr unvollständigen Stand des Wissens über mögliche Impfkandidat:innen sieht er eher finanzielle Anreize zur Impfung als eine strikte Impfpfl icht als verhältnismäßig an. In der ökonomischen Theorie ist die Impfpfl icht geradezu ein Lehrbuchklassiker für einen wohlbegründbaren Eingriff in die individuelle Handlungsfreiheit, da die einzelnen Individuen nur den eigenen Nutzen der Impfung wahrnehmen und die Vorteile des Schutzes für andere vernachlässigen (positiver technologischer externer Effekt) bzw. der Schutz vor ansteckenden Krankheiten -aufgrund der fehlenden Rivalität im Konsum bzw. fehlenden Ausschließbarkeit von "Impfverweigernden" von den Früchten einer Impfung -ein reines öffentliches Gut darstellt. Modelltheoretisch gibt es drei wegweisende Aufsätze, die deutliche Differenzen zwischen privaten und sozialen Anreizen für Impfungen herausarbeiten. Brito, Sheshinski und Intriligator (1991) zeigen in einem statischen Modell, bei dem Impfl inge unterschiedliche Kosten der Impfung haben, dass eine freiwillige Entscheidung für oder gegen Impfung mit einer höheren Wohlfahrt verbunden ist, als alle zur Impfung zu zwingen; freilich erreicht eine Besteuerung der Impfverweigernden bzw. Subventionierung der Freiwilligen ein noch höheres Wohlfahrtsniveau. Francis (1997) dagegen arbeitet mit einem dynamischen Modell, in dem sich Individuen zu jeder Zeit entscheiden können, ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht. Bei homogenen, unendlich lebenden Individuen, die sich bei einer Infektion von der Krankheit nicht wieder erholen, gibt es einen modell-endogenen Schwellenwert, bis zu dem sich die Individuen der Impfung verweigern. Oberhalb des Schwellenwerts würden sich dann alle impfen lassen. In diesem sehr speziellen Modell entspricht die individuell rationale Impfneigung der gesellschaftlich optimalen, es bleibt kein Platz für eine Impfpfl icht. Chen und Toxvaerd (2014) verallgemeinern die Ergebnisse von Francis, indem sich z. B. die Individuen von der Krankheit erholen können oder Impfstoffe unvollständig wirksam sein können. Zunächst wird anhand der grafi schen Variante des statischen Impfmodells die "Ökonomik des Impfens" verdeutlicht. Nach Francis (1997, 386-389) wird eine gegebene Bevölkerung N unterstellt, wobei sich die Bewohner:innen nur in ihren Kosten des Impfens unterscheiden. Je mehr Menschen sich impfen lassen, umso höher ist der erwartete Nutzen der Nicht-Geimpften. Im Falle von SARS-CoV-2 müssten die neuen Impfstoffe dafür sorgen, dass die Ansteckungsrisiken für Nicht-Geimpfte zurückgehen, was für die bisher bekannten Impfstoffe unklar ist. Für die grafi sche Darstellung wird vereinfachend unterstellt, dass die Menschen in absteigender Reihenfolge ihrer Impfkosten geimpft werden, d. h. Personen mit niedrigen Impfkosten werden früher geimpft als Menschen mit hohen Impfkosten. In Abbildung 1 wird auf der horizontalen Achse die Zahl der geimpften Personen V abgetragen. Je mehr Menschen geimpft werden, umso größer wird der erwartete Nutzen der Nicht-Geimpften (EU NI ) aufgrund des abnehmenden Risikos der Ansteckung. Aufgrund der unterschiedlichen Impfkosten (und der absteigenden Impfreihenfolge) fällt der sichere Nutzen der Geimpften (U I ). Für beide Kurven wird vereinfachend ein linearer Verlauf unterstellt. Im Bereich zwischen 0 und V* überwiegt der sichere Nutzen des Impfens den erwarteten Nutzen des Nicht-Impfens; folglich werden sich die Personen in diesem Bereich impfen lassen. Für die Individuen zwischen V* und N sind die erwarteten Nutzen des Nicht-Impfens größer als die sicheren Nutzen des Impfens; diese Individuen werden zu "Impfgegner:innen". Nimmt die Bevölkerung hohe Kosten des Impfens wahr, verschiebt sich die Kurve U I nach links unten. Im Extremfall liegt U I für alle unterhalb EU NI , es wird sich niemand impfen lassen. Bei einem sehr hohen Ansteckungsrisiko für alle (homogenen) Individuen fällt der erwartete Nutzen bei Nicht-Impfung sehr gering aus. Die Kurve EU NI wird nach rechts unten verschoben. Im Extremfall lassen sich alle impfen (V* = N). Herdenimmunität, wonach der Virus keine ansteckbaren "Wirte" mehr fi ndet und deshalb "ausstirbt", ist in diesem Modell mit identischen individuellen Ansteckungsrisiken nicht enthalten. Gesamtgesellschaftlich sind diese Impfentscheidungen der Individuen jedoch verzerrt, da die Impfgegner:innen nicht berücksichtigen, dass ihre Entscheidung gegen das Impfen Rückwirkungen auf das Verhalten der anderen Individuen hat: Wenn sie sich nicht impfen, lohnt es sich ceteris paribus für die anderen mehr, sich zu impfen, da das Ansteckungsrisiko größer wird. Nur wenn sich alle impfen (V = N), entfällt dieser Effekt. Grafi sch gibt es somit eine geringere soziale Grenznutzenfunktion des Nicht-Impfens (MEU NI ) als die individuelle EU NI . In Abbildung 2 wird deutlich, dass das gesellschaftlich optimale Ausmaß der Impfung höher liegt, nämlich bei V**. Wirtschaftspolitisch kann man natürlich über eine Impfpfl icht bis zu V** korrigierend eingreifen, oder analog zur Pigou-Lösung (Schmidt, 2019) das Nicht-Impfen mit der Steuer t bestrafen (EU NI`) oder das Impfen mit einer Subvention s belohnen (U NI`) . Quelle: Francis (1997, 387) . Quelle: In Anlehnung an Francis (1997, 389) . Nutzen aus dem Freizeitkonsum, allerdings entfallen meist auch die entsprechenden Ausgaben. Güter des stationären Einzelhandels werden vielfach online beschafft; lokale Anbieter:innen verlieren, und manche werden mittelfristig zur Geschäftsaufgabe gezwungen. Wirtschaftlich noch kostspieliger wird es, wenn die Industrieproduktion stockt, sei es wegen zusammenbrechender Lieferketten oder coronabedingter Nachfrageschwäche. Beschäftigte werden temporär oder dauerhaft nicht mehr gebraucht, Kurzarbeitergeld muss bezahlt werden, oder es kommt zu Entlassungen mit Bezug von Arbeitslosengeld. Gesamtwirtschaftlich erleiden folglich die Haushalte und Unternehmen entweder Einkommens-und Nutzenverluste oder der Staat kompensiert sie, was durch erhöhte Kreditaufnahme fi nanziert wird. Erhöhte Kredite führen zu (gegenwärtig geringen) Zinszahlungen und zu späteren Rückzahlungsverpfl ichtungen, die aus dem Steueraufkommen der Zukunft zu begleichen sind. Bei einer wachsenden Wirtschaft mag die Rückführung der Schulden ohne Steuererhöhung fi nanzierbar sein, die Steuerzahlungen müssen trotzdem vom privaten Sektor erbracht werden. Die Lockdown-Kosten könnten überproportional ansteigen, wenn immer wieder Lockdowns fällig werden oder sie immer länger andauern müssen: Die wirtschaftliche Stabilität der Unternehmen gerät zunehmend unter Druck und die privaten Haushalte nehmen verstärkt die Einschränkungen des Lockdowns wahr. Die genannten Kosten des Nicht-Impfens entstehen solange, wie das Infektionsgeschehen hoch bleibt. Erst bei "natürlicher" Herdenimmunität würden all diese Kosten entfallen. Gegenüberzustellen sind natürlich immer noch die Kosten des Impfens, seien es die unsicheren kurzfristigen Impfbeschwerden oder die langfristig denkbaren, schwer abschätzbaren Impfschäden. Im Folgenden werden anhand eines einfachen spieltheoretischen Modellrahmens in der Tradition der Debatte zur Bereitstellung öffentlicher Güter (Buchanan, 1968 ) Szenarien durchgespielt, um die zu erwartende Impfbereitschaft gegen das Coronavirus abzuschätzen. Betrachtet wird dabei die Entscheidungssituation eines Impfl ings, der sich impfen lässt oder sich einem Impfangebot verweigert. In einer einmaligen Entscheidungssituation bildet er Erwartungen, ob alle anderen potenziellen Impfl inge, die zur gleichen Zeit eine Entscheidung treffen, sich impfen lassen werden oder nicht. Als risikoneutraler Impfl ing trifft er die Entscheidung, die seinen Erwartungswert maximiert. Für alle denkbaren Szenarien werden zwar willkürliche Zahlenwerte angenommen, die aber einigermaßen plausibel sein sollten. Gerade im Falle der Pandemie durch SARS-CoV-2 sind neben den individuellen Kosten des Nicht-Impfens noch weitere, gesellschaftliche Kosten zu berücksichtigen. Diese schwer zu messenden Kosten sind im Wesentlichen: • Einhaltung der AHA-L-Regeln: Abstand halten, Hygiene maßnahmen beachten, Alltagsmasken tragen und auf regelmäßiges Lüften geschlossener Räume achten. Die AHA-L-Regeln erzeugen Disnutzen in Aus der individuellen Impfung folgen mögliche Impfbeschwerden und völlig unbekannte Langzeitrisiken, der erwartete Schaden wird auf -1 GE geschätzt. Netto ergibt sich somit im Feld links oben ein erwarteter Nutzen von +12 GE. Impft sich der Einzelne nicht und alle anderen lassen sich impfen (links unten), wird der Einzelne ebenfalls nicht mehr erkranken, das Gesundheitswesen wird nicht mehr überfordert, AHA-L-Regeln und Lockdowns entfallen. Wer sich nicht impfen lässt, muss nicht mit Impfbeschwerden oder Impfschäden rechnen, erwartete Schäden in Höhe von -1 GE entfallen. Netto erbringt links unten somit einen sicheren Nutzen von +13 GE. Lasse ich mich selbst impfen, aber alle anderen verzichten auf die Impfmöglichkeit (rechts oben), kann ich nicht mehr erkranken (+10 GE), aber die coronabedingten Einschränkungen und Überforderungen bleiben. Die erwarteten Impfschäden schlagen jedoch ebenfalls negativ zu Buche (-1 GE). Netto folgt daraus ein erwarteter Nutzen von +9 GE. Rechts unten schreibt den Status quo fort, niemand wird geimpft, Einschränkungen und Überforderungen bleiben, der Netto nutzen sei gleich Null. Erst wenn auf natürliche Weise Herdenimmunität eintritt, würde eine neue, bessere Situation eintreten. Entsprechend der Tabelle 1 ist es für den Einzelnen rational, sich nicht impfen zu lassen, wenn alle anderen sich impfen lassen (+13 GE > +12 GE), und sich impfen zu lassen, wenn alle anderen sich nicht impfen lassen (+9 GE > 0 GE). Es gibt also keine eindeutige Antwort (keine dominante Strategie). Lässt man jedoch Erwartungen über die Wahrscheinlichkeiten zum Verhalten der anderen zu, kann man eine kritische Wahrscheinlichkeit p für die unbedingte individuelle Impfbereitschaft berechnen: Der Erwartungswert für Impfen (12p + (1-p) 9) muss größer sein als der Wert für Nicht-Impfen (13p + (1-p) 0), was bei einer Impfwahrscheinlichkeit unter 90 % der anderen erfüllt ist. Laut Tabelle 1 ist somit das Freifahrerverhalten bei Impfung denkbar. Die Darstellung wird realitätsnäher, wenn man zwischen Älteren und Jüngeren unterscheidet (vgl. Tabellen 2 und 3). In Tabelle 2 wird die Auszahlungsmatrix eines Jüngeren dargestellt. Aufgrund seines relativ geringen Alters weist er ein sehr geringes Erkrankungsrisiko auf. Der erwartete Nutzen einer Impfung beträgt daher nur +0,5 GE. Hier ergeben sich in drei der vier Fälle veränderte Nettonutzenwerte. Allerdings weist dieser junge Mensch immer geringere Nutzenwerte für die individuelle Nicht-Impfung auf im Vergleich zur Impfung. Folglich wird er sich nicht impfen lassen, unabhängig vom Verhalten der anderen (dominante Strategie). Ältere Menschen haben ein deutlich höheres Erkrankungsrisiko und gewinnen damit mehr, wenn sie sich impfen lassen (+19 GE) (vgl. Tabelle 3). Gemäß der veränderten Nettowerte ist ihr Verhalten weiterhin jedoch davon abhängig, wie sich alle anderen verhalten: Lassen sich alle anderen impfen, hat die Nicht-Impfung immer noch einen relativen Vorteil, da sie dann die individuellen Kosten des Nicht-Impfens nicht tragen müssen (+22 > +21); erwarten sie, dass sich alle anderen nicht impfen lassen, überwiegen die individuellen Impfvorteile (+18 > 0). Die kritische Wahrscheinlichkeit für die Impfbereitschaft der anderen steigt in diesem Falle an: Nur wenn sich alle anderen mit einer Wahrscheinlichkeit von weniger als 95 % impfen lassen, lasse ich mich auch impfen. Die bisher angenommenen Auszahlungen sind möglicherweise zu optimistisch, da sie die langfristigen Folgen des Status quo unterschätzen. Bei länger anhaltender Pandemie mit weiteren Lockdowns wird das Sozialprodukt deutlich reduziert, bisher funktionierende Geschäftsmodelle sind nicht mehr rentabel, Arbeitslosigkeit nimmt stark zu, der Staat kann die fi nanziellen Folgen der Pandemie zunehmend nicht mehr ausgleichen, und nicht zuletzt empfi ndet die Bevölkerung die individuellen Freiheitsbeschränkungen als große Last. In Tabelle 4 kommen in der rechten Spalte Überforderungskosten von Gesellschaft und Staat in Höhe von +4 GE dazu. Der Nettonutzen des Einzelnen, der sich impfen lässt, sinkt auf +5 GE, dessen der sich der Impfung verweigert, geht auf -4 GE zurück. Weiterhin gilt zwar, dass der Einzelne sich nicht impfen lässt, wenn er erwartet, dass alle anderen sich impfen lassen (+13 GE > +12 GE) und der Einzelne sich impfen lässt, wenn alle anderen sich nicht impfen lassen (+5 GE > -4 GE). Da jedoch die Überforderungskosten auch die Jüngeren treffen, dürfte auch deren Impfbereitschaft ansteigen. Vonseiten der Politik und Teilen der Wissenschaft wird eine allgemeine Impfpfl icht abgelehnt. Rechtlich ist eine (Oates, 1985) . All die genannten Punkte setzen jedoch voraus, dass die Impfung gegen das SARS-CoV-2-Virus (vollständigen) Infektionsschutz für andere vermittelt. Staatsrechtler hält Impfpfl icht "in Teilbereichen" für möglich, Ärztezeitung Externalities and compulsary vaccinations The economics of vaccination The demand and supply of public goods Vaccine hesitancy: the next challenge in the fi ght against COVID-19 Dynamic epidemiology and the market for vaccinations Covid-19: Mehrheit der Deutschen würde sich freiwillig impfen lassen, die Hälfte ist für eine Impfpfl icht Lambrecht warnt vor Impfpfl icht durch Hintertür, Frankfurter Allgemeine Zeitung Umweltökonomik, Kompendium der Wirtschaftstheorie und -politik I Once we have it, will we use it? A European survey on willingness to be vaccinated against COVID-19 On the nature and measurement of fi scal illusion: A survey Internationale Debatte um Corona-Impfpfl icht, Ärztezeitung, 29 Der Impfstoff wird uns nicht in eine neue Zeit katapultieren mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19: Impfreaktionen können sehr heftig sein, Pharmazeutische Zeitung, 9 Good reasons to vaccinate: mandatory or payment for risk? Theorie der Wirtschaftspolitik, Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik III Land nicht ewig in den Halbschlaf versetzen Herdenimmunität durch freiwillige Corona-Impfung erreichbar Empfehlungen für einen gerechten und geregelten Zugang zu einem COVID-19-Impfstoff COVID-19: Walking the Tightrope of Vaccination Obligations: State compelled vaccinations in the U.S. and Germany, Verf-Blog, 5/26