key: cord-0770773-txs8v6yn authors: Scheibenbogen, Oliver; Mader, Roland title: Konsumgewohnheiten im Kontext der Pandemie – Behandlungsoptionen date: 2022-01-18 journal: psychopraxis DOI: 10.1007/s00739-021-00771-8 sha: 9066a6a8d5d38fdaf576dc243c235dff9c1262c6 doc_id: 770773 cord_uid: txs8v6yn As a result of the COVID-19 pandemic, the availability of addictive substances has changed, and with it consumption patterns. The question of whether these observed initial effects will persist and lead to a sustainable change in consumption patterns cannot be answered at present. Adaptations necessary in the addiction support system, such as the implementation of new technologies in the treatment of addicted individuals, for example eHealth and video telephony applications, are very likely to persist beyond the crisis. In addition to proven, medication-based treatment options, such as the use of anti-craving substances for relapse prevention, new methods, such as the use of virtual reality applications in group and individual procedures, are currently being tested. Mit Ausbruch der COVID-19-Pandemie im März 2019 hat sich der Substanzkonsum durch die veränderten Umweltbedingungen merkbar gewandelt. Die Gastronomie wurde schlagartig geschlossen, sodass sich der Alkoholkonsum, sofern dieser dadurch nicht eingestellt oder reduziert wurde, in die eigenen vier Wände verlagert hat. Damit hat er sich dem kritischen Blick der Öffentlichkeit und gesellschaftlichen Regulatorien weitgehend entzogen. Der folgende Artikel beschäftigt sich mit den rezenten Studien zu den veränderten Konsumgewohnheiten und betrachtet auch erste, pandemiebedingt notwendige, neue Behandlungsoptionen als Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen. Die mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie einhergehende psychische Belastung ist enorm und zieht sich durch viele Bereiche der Gesellschaft. Die individuellen Möglichkeiten, diesen virusbedingten Stressoren etwas entgegensetzen zu können, hängen einerseits von den vor der Krise bestandenen sozialen, ökonomischen und psychischen Ressourcen ab, werden aber auch maßgeblich von innerpsychischen Bewertungsprozessen beeinflusst. So konnte Lazarus bereits 1984 in seinem transaktionalen Stressmodell nachweisen, dass es letztlich nicht der (objektive) Stressor an sich ist, der zur Belastung führt, sondern die Bewertung desselben und die subjektiv empfundenen Möglichkeiten, den Stressoren etwas entgegensetzen zu können (Coping) [1] . Auch für die Aufrechterhaltung der Abstinenz bei suchterkrankten Personen spielt die Selbstwirksamkeitserwartung eine zentrale Rolle. Nicht die auslösenden Situationen an sich führen zu Rückfällen, sondern der mangelnde Glaube, dem Suchtdruck etwas Adäquates entgegenstellen zu können, führt zur neuerlichen Substanzeinnahme bzw. zur Wiederaufnahme problematischen oder pathologischen Verhaltens. Aus diesen Überlegungen wird sehr rasch deutlich, dass ein und derselbe Stressor auf verschiedene Individuen unterschiedlich stark einwirkt. » Die Selbstwirksamkeit ist für die Aufrechterhaltung der Abstinenz entscheidend Suchterkrankte bzw. Menschen mit problematischen Konsumgewohnheiten gelten daher, ebenso wie andere Personen mit psychischen Problemen bzw. Erkrankungen als besonders vulnerable Gruppe für eine Aggravierung in Zeiten der Pandemie. Während die Verfügbarkeit von Alkohol durch die Schließung der Gastronomie für in Gesellschaft trinkende Personen im vergangenen Jahr kurzfristig aufgrund des Lockdowns zumindest in diesem Bereich massiv eingeschränkt wurde -Gleiches gilt auch für Cannabis und einzelne illegale Substanzen aufgrund der Reisebeschränkungen und den sich daraus ergebenden kurzfristigen Versorgungseinbrüchen -war die Durchführung von Online-Glücksspiel uneingeschränkt möglich [2]. Es ist jedoch sehr plausibel, dass jene Personen, unabhängig davon, ob es sich um substanzgebundene oder -ungebundene Suchtformen handelt, die bereits deutliche Zeichen einer Abhängigkeit aufweisen, sich auch unter erschwerten Bedingungen ihr Suchtmittel weiter beschaffen, da sie aufgrund des zwanghaften und unkontrollierbaren Charakters der Abhängigkeitserkrankung gar nicht anders können, während Personen mit normalem Gebrauch bzw. leichtem missbräuchlichen Konsum sehr wohl in der Lage sind, die "Gunst der Stunde" zu nutzen und die mangelnde Verfügbarkeit zur Reduktion bzw. Aufgabe des beginnenden problematischen Verhaltens nutzen. Für Verhaltenssüchte führt der Wegfall von terrestrischen Angeboten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem verstärkten Wechsel hin zu Online-Angeboten, die z. B. im Bereich des Glücksspiels weitaus weniger stark geregelt und staatlich kontrolliert sind. [5] . Weiters sind das Risiko einer Zunahme des Computerspielens [6] und des Pornografiekonsums [7] ebenso bereits in Studien nachgewiesen. Im Bereich der stoffgebundenen Abhängigkeiten konnten Scheibenbogen und Musalek im Rahmen einer Repräsentativerhebung in Österreich eine Zunahme des Alkoholkonsums von 14 % (Mai 2020) und des Tabakkonsums von 37 % zeigen [8] . Die genannten Substanzen werden in der Regel zusätzlich zu Genusszwecken als Selbstmedikation zur Reduktion negativer (COVID-bedingter) Gefühle eingesetzt. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Gorgiadou et al. in einer Studie des Zentralinstituts für seelische Gesundheit in Mannheim [9] . Von der Krise waren und sind nicht nur Personen mit problematischem oder pathologischem Konsumverhalten betroffen, sondern auch die professionellen Helfer. Strizek Die Auslöser für einen neuerlichen Alkoholkonsum nach bereits erreichter Abstinenz sind so vielfältig wie das Leben selbst. Neben unangenehmen Gefühlszuständen, Schmerzen, Konflikten im zwischenmenschlichen Bereich und der Verführung durch andere Konsumierende zählen Cravingattacken, bei denen eine enorme Gier, ein fast unstillbares Verlangen nach der Substanz entsteht, zu den häufigsten Rückfallursachen. Zur Rückfallprophylaxe haben sich Anticravingsubstanzen wie Acamprosat und Naltrexon gut bewährt und sollten, zumindest über einen Zeitraum von 6 Monaten, regelmäßig, d. h. täglich eingenommen werden [10] . Acamprosat beeinflusst das glutamaterge System und ist in Österreich seit 1996 im Handel. Acamprosat hat keine psychotrope Wirkung und ist insgesamt gut verträglich, Nebenwirkungen können Übelkeit, Schwindel und Kopfschmerzen sein. Aufgrund der relativ schlechten Resorption sind allerdings Gaben von bis zu 6 Tabletten täglich nötig. Naltrexon blo-ckiert die Opioidrezeptoren und verhindert dadurch eine alkoholassoziierte Euphorie. Nebenwirkungen, wie Übelkeit oder Schwindel, können vor allem zu Beginn der Therapie auftreten, können aber durch einen einschleichenden Therapiebeginn über mehrere Tage deutlich reduziert werden. Unterschieden werden im Wesentlichen drei Formen des Suchtdrucks (Craving). Wird überwiegend Alkohol getrunken, um positive Gefühle zu verstärken (positive Wirkungserwartung), so spricht man von Reward-Craving, neurobiologisch wird eine Dysregulation des Opiat-/Dopamin-Systems vermutet. Steht hingegen die Vermeidung von negativen Gefühlen im Vordergrund (Dysregulation im GABA-/Glutamat-System), handelt es sich um Relief-Craving. Personen mit Obsessive-Craving hingegen zeigen ein unkontrolliertes impulshaftes Trinken, das durch eine Dysfunktion im serotonergen System hervorgerufen wird [11] . In der Wirksamkeit von Anticravingsubstanzen zeigen Studien eine gewisse Überlegenheit von Naltrexon gegenüber Acamprosat [12, 13] bzw. gute Ergebnisse für eine Kombinationstherapie [14] . Auf non-pharmakologischer Ebene wird in Pandemiezeiten im stationären Bereich verstärkt auf ein therapeutisch geleitetes Expositionstraining gesetzt, bei dem Alkohol im Gruppensetting gezeigt, gerochen und die entsprechenden Gebinde und Gläser angegriffen werden. Im Unterschied zur Angstexposition geht es hierbei nicht um die Habituation, sondern darum, eingeübte Copingstrategien unter Reizexposition und trotz hoher emotionaler Beteiligung auszuprobieren und zu üben. Eine neue Form, die derzeit experimentell erprobt wird, ist die Verwendung eines Virtual-Reality-Tools (VR-Technologie), bei dem alltägliche alkoholassoziierte Szenen sehr intensiv erlebt werden können. Neben einem klassischen Barbesuch können auch der Einkauf im Supermarkt sowie der Besuch einer Party virtuell erlebt werden. Die As a result of the COVID-19 pandemic, the availability of addictive substances has changed, and with it consumption patterns. The question of whether these observed initial effects will persist and lead to a sustainable change in consumption patterns cannot be answered at present. Adaptations necessary in the addiction support system, such as the implementation of new technologies in the treatment of addicted individuals, for example eHealth and video telephony applications, are very likely to persist beyond the crisis. In addition to proven, medication-based treatment options, such as the use of anti-craving substances for relapse prevention, new methods, such as the use of virtual reality applications in group and individual procedures, are currently being tested. COVID-19 · Addiction · Addiction treatment · Anti-craving medication · Alcohol Implementierung dieser neuen Technologien in bestehende Behandlungskonzepte wird derzeit am Anton Proksch Institut geprüft. Mit dieser Technologie können natürlich genauso "Übungssituationen" (Cues) für andere Suchtformen dargestellt werden. Somit würde sich hier ein breites Spektrum an Einsatzmöglichkeiten ergeben. Herr F., ein 54-jähriger Patient, kam erstmals im Alter von 38 Jahren über Zuweisung seines Hausarztes in eine ambulante Suchteinrichtung. Herr F. berichtete, schon im Alter von 18 Jahren be-gonnen zu haben, regelmäßig Alkohol zu konsumieren. Dies zuerst vorrangig am Wochenende, hätte hier aber bereits meist deutlich mehr getrunken als seine Freunde. Über die Jahre wurde der Alkoholkonsum immer häufiger, er trank dann auch schon regelmäßig unter der Woche nach der Arbeit. Herr F. ist gelernter Bautechniker und arbeitete bei einer großen Baufirma, meist im Außendienst. Schließlich kam es dann auch schon zu vereinzeltem Alkoholkonsum während der Arbeitszeit, was dann auch bei seinen Vorgesetzten auffällig wurde. Trotz Verwarnung konnte er seinen Konsum nur vorübergehend reduzieren. Nachdem es auch in seiner Partnerschaft zu zunehmenden Problemen aufgrund Sucht(behandlung) in der Krise COVID-19 Pandemie und Verhaltenssüchte. Neue Herausforderungen für Verhaltens-und Verhältnisprävention Gambling before and during the COVID-19 pandemic among European regular sports bettors: an empirical study using behavioral tracking data Gambling during the COVID-19 crisis-A cause for concern? Problematic online gaming and the COVID-19 pandemic Pornography use in the setting of the COVID-19 pandemic: consensus guidance Unveröffentlichte Studie des Instituts für Sozialästhetik und psychische Gesundheit der Sigmund Freud Privatuniversität Alkohol und Rauchen: DieCOVID-19-PandemiealsNährbodenfürSüchte Opioidantagonisten zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit Differenzierte Rückfallprophylaxe bei Alkoholabhängigkeit Combined pharmacotherapies and behavioral interventions for alcohol dependence: the COMBINE study: a randomized controlled trial Advancing precision medicine for alcohol use disorder: replication and extension of reward drinking as a predictor of Naltrexone response Comparing and combining naltrexone and acamprosate in relapse prevention of alcoholism: a double-blind, placebo-controlled study Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral