key: cord-0737131-ox08dhaw authors: Lewandowski, K.; Bartlett, R. H. title: Eine kritische Weihnachtsgeschichte: Essay über Anämie, Ersticken, Verhungern und andere Behandlungsverfahren der Intensivmedizin – im Stil von Dickens date: 2020-10-13 journal: Anaesthesist DOI: 10.1007/s00101-020-00835-1 sha: d55eedceceb6032dc764e0257783dc93d3759a48 doc_id: 737131 cord_uid: ox08dhaw Somewhere in the USA, shortly before Christmas, tipsy Charlie Cratchit intends to cross a street but is hit by an oncoming city bus und suffers severe trauma: serial rib fracture, femoral fracture, fibula fracture, splenic, pancreatic and bowel ruptures. He is operated on in a maximum care hospital and then transferred to the critical care unit. From then on, an anonymous, very experienced physician continuously takes care of him. Four nights before Christmas, the ghost of the famous British physiologist Ernest Henry Starling appears at the patient’s bed. The ghost involves the anonymous physician in a dialogue and is very interested in the inserted Swan-Ganz catheter, then he disappears. He repeats his visits the next 3 nights. On the first occasion he is displeased with Cratchit’s low haematocrit, the second time he dislikes the mechanical ventilator settings, and on his final visit he is concerned with Cratchit’s clinical nutrition. At first, the anonymous physician is indignant with the ghost’s criticism and indoctrinations, but then recognizes that ultimately they are the key to Cratchit’s convalescence and acts accordingly. Successfully! Following the ghost’s proposals, he changes the ventilator settings, transfuses 3 units of packed red blood cells, and starts clinical nutrition. Shortly thereafter, Cratchit’s trachea is extubated, and on New Year’s Day he is ready to be discharged from the critical care unit. In this essay, Robert Bartlett transposed Charles Dickens’ “Christmas Carol” into the world of critical care. Its intention is to encourage the intensivist to scrutinize common therapeutic measures, such as mechanical ventilation, haemodynamic interventions and transfusion of blood products. Background information and comments on the addressed problems of modern intensive care are provided subsequent to the essay. Starling ist tot. Kronprinz der Physiologie,EntdeckervonHormonen,Alchemist des interstitiellen Raumes, Wahrheitssucher und Weisheitsfinder, Mann des Herzens. Starling war mausetot (. Abb. 1; . Tab. 1). Er ist seit 1927 tot und begraben; er liegt auf einem kleinen Kirchhof in Coventry, dort wo Veilchen blühen und Spatzen singen. So ähnlich stellte ich mir das jedenfalls vor, während ich über meinem Lehrbuch einnickte, erschöpft zusammengesunken in einem Patientensessel im hintersten Winkel der Intensivtherapiestation. Das Summen und Piepen, die Absaugeinrichtung, die Zephire komprimierter Gase verschmolzen in dem Raum zu einem Rauschen, das ich als Stille empfand. Durch die wenigen Fenster starrte das Grau, das die Dämmerung und den Zeitpunkt ankündigt, an dem der letzte Bissen kalter Pizza gegessen ist. Ein Blick auf das Oszilloskop sagt mir, dass der Patient stabil ist. Ich wende mich erneut dem Lehrbuch zu. Der Patient, der mich heute Abend hier festhält, ist Charles Cratchit. Im Alter von 55 Jahren war Charlie gesünder als die meisten, wenn man berücksichtigt, dass er die letzten 40 Jahre mehr geraucht hatte, als er sollte, mehr gegessen hatte, als er verstoffwechseln konnte Das Original in Kürze, nach [54] Ebenezer Scrooge, der Protagonist der Geschichte, ist ein herzloser, und v. a. geiziger Geschäftsmann im London des 19 . Jahrhunderts. Weihnachten hält er für Humbug, genauer für eine Geld-und Zeitverschwendung, und so ist er auch dieses Jahr nicht bereit, sich auf irgendwelche guten Taten, Bräuche oder Feste einzulassen. Er behandelt seinen Angestellten schlecht, beantwortet die Bitte nach einer Spende für die Armen abschlägig und weist eine Einladung seines Neffen zum weihnachtlichen Familienessen zurück. In der Nacht von Heiligabend auf Weihnachten besucht ihn der Geist seines schon vor Jahren gestorbenen Kompagnons Jacob Marley. Dieser war zu Lebzeiten genauso geldgierig und kaltherzig gewesen wie Scrooge. Marley warnt Scrooge vor seinem zukünftigen schrecklichen Schicksal, eröffnet ihm eine Chance, das Blatt noch zu wenden. Er sagt ihm 3 weitere Treffen mit übernatürlichen Wesen vorher: mit den Schemen der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Weihnacht. Diese entführen ihn in sein Vorleben und verdeutlichen ihm so die tragische Entwicklung seiner menschenverachtenden Persönlichkeit. Die Begegnungen und Ausflüge zeigen Wirkung: Ebenezer Scrooge sieht ein, dass er sich, um der Welt und seiner selbst willen, ändern muss und beginnt damit gleich am Morgen nach der letzten Begegnung, am Weihnachtstag. Er sendet seinem Mitarbeiter Bob Cratchit anonym einen riesigen Truthahn, erhöht sein Gehalt, kümmert sich von nun an um Tiny Tim, den schwerbehinderten Sohn Cratchits, besucht das Festtagsessen der Familie seines Neffen, macht noch viele andere Menschen glücklich und wandelt sich zum Menschenfreund. Die Moral dieser Geschichte: Menschen können sich ändern, manchmal bedarf es dazu eines kleineren oder größeren Anstoßes. Irgendwo in den USA -Einige Tage vor Heiligabend wird der angetrunkene Charlie Cratchit bei dem Versuch, eine Straße zu überqueren, von einem Bus angefahren und schwer verletzt: Rippenserienfraktur, Femurund Fibulafraktur, Milz-und Pankreaslazeration, Darmrisse. In einem US-amerikanischen Krankenhaus der Maximalversorgung wird er operativ versorgt und anschließend auf die Intensivtherapiestation verlegt und dort kontinuierlich von einem namenlosen, sehr erfahrenen Arzt betreut. Vier Tage vor Heiligabend, erscheint am Patientenbett der Geist des berühmten britischen Physiologen Ernest Henry Starling. Er tritt in einen Dialog mit dem namenlosen Arzt, interessiert sich sehr für den Swan-Ganz-Katheter und verschwindet dann wieder. Die Besuche wiederholen sich in den kommenden 3 Nächten. Einmal kritisiert er Cratchits niedrigen Hämatokrit, beim nächsten Mal zeigt er sich unzufrieden mit der Respiratoreinstellung, und beim letzten Besuch ist er äußerst besorgt über den Ernährungszustand des Patienten. Der namenlose Arzt ist zunächst indigniert über des Geistes Kritik und Belehrungen, erkennt aber, dass darin der Schlüssel zu Cratchits Genesung liegt und handelt letztlich nach seinen Vorschlägen. Mit Erfolg: Nach der vom Geist Starlings angeregten Umstellung der maschinellen Ventilation, Gabe von 3 Erythrozytenkonzentraten und Aufnahme einer parenteralen Ernährung kann Charlie Cratchit am Weihnachtsabend extubiert und am Neujahrstag von der Intensivtherapiestation entlassen werden. In diesem Essay hat Robert Bartlett Charles Dickens' "Weihnachtsgeschichte" in die Welt der Intensivmedizin verlegt. Sie soll den Intensivmediziner anregen, therapeutische Interventionen wie maschinelle Ventilation, hämodynamische Interventionen und Gabe von Blutprodukten kritisch zu hinterfragen. Hintergrundinformationen und Kommentare zu den angesprochenen aktuellen Problemen der modernen Intensivmedizin ergänzen den Essay. Anämie · Hämodynamik · Maschinelle Ventilation · Klinische Ernährung · Ernest Starling A critical carol. Being an essay on anemia, suffocation, starvation, and other forms of intensive care, after the manner of Dickens Abstract Somewhere in the USA, shortly before Christmas, tipsy Charlie Cratchit intends to cross a street but is hit by an oncoming city bus und suffers severe trauma: serial rib fracture, femoral fracture, fibula fracture, splenic, pancreatic and bowel ruptures. He is operated on in a maximum care hospital and then transferred to the critical care unit. From then on, an anonymous, very experienced physician continuously takes care of him. Four nights before Christmas, the ghost of the famous British physiologist Ernest Henry Starling appears at the patient's bed. The ghost involves the anonymous physician in a dialogue and is very interested in the inserted Swan-Ganz catheter, then he disappears. He repeats his visits the next 3 nights. On the first occasion he is displeased with Cratchit's low haematocrit, the second time he dislikes the mechanical ventilator settings, and on his final visit he is concerned with Cratchit's clinical nutrition. At first, the anonymous physician is indignant with the ghost's criticism and indoctrinations, but then recognizes that ultimately they are the key to Cratchit's convalescence and acts accordingly. Successfully! Following the ghost's proposals, he changes the ventilator settings, transfuses 3 units of packed red blood cells, and starts clinical nutrition. Shortly thereafter, Cratchit's trachea is extubated, and on New Year's Day he is ready to be discharged from the critical care unit. In this essay, Robert Bartlett transposed Charles Dickens' "Christmas Carol" into the world of critical care. Its intention is to encourage the intensivist to scrutinize common therapeutic measures, such as mechanical ventilation, haemodynamic interventions and transfusion of blood products. Background information and comments on the addressed problems of modern intensive care are provided subsequent to the essay. [57] . Zusätzlich wurde deutlich, dass viele Ärzte die gewonnenen Mess-und Rechenergebnisse nicht richtig interpretierten und falsche diagnostische und therapeutische Schlussfolgerungen zogen [58] . Dennoch entwickelte sich Anfang der 1980er-Jahre nahezu ein Hype, Robin schätzte, dass in den USA 4 von 10 kritisch Kranken mit einem SGK diagnostiziert wurden, ohne dass das Device bis dahin einer formalen wissenschaftlichen Evaluation unterzogen worden war [59] . Sein unbedingt lesenswertes Editorial trägt den Titel "The cult of the Swan-Ganz catheter", und leicht süffisant schreibt er, dass er vermute, dass ein neues Ritual entstanden sei, das verlange, dass man bei sterbenden Patienten einen SGK einschwemme. Er sprach sich für eine formale Evaluation aus und verlangte, dass bis dahin bei jedem einzelnen Patienten genau überlegt werden soll, ob er von der Einschwemmung eines SGK profitiert. In den auf das Editorial folgenden Dekaden wurden solche Untersuchungen durchgeführt, und nach einer Metaanalyse aus dem Jahr 2013 lässt sich folgendes Bild zeichnen: Es existieren keine Unterschiede bei kritisch Kranken, die einen SGK erhielten oder nicht, bezüglich Sterblichkeitsrate im Krankenhaus, Aufenthaltsdauer auf der ICU oder im Krankenhaus und entstandener Kosten. Das Einschwemmen eines SGK bringt für die Patienten keinen Nutzen, schadet ihnen aber auch nicht. Die Autoren fordern, dass SGK nur von mit der entsprechenden Technik vertrauten und zur Analyse der komplexen Daten befähigten Mitarbeitern angewendet werden [60] . Für die Zukunft wird die Herausforderung darin bestehen, Patientenkollektive zu identifizieren, die vom SGK hinsichtlich der genannten harten Outcomeparameter profitieren. Nicht vergessen werden darf dabei, dass heutzutage eine Reihe hochwertiger Alternativen zum SGK existiert, beispielhaft seien hier nur die Echokardiographie und die "Pulse Contour Cardiac Output"-Technologie genannt. Zweifel. Neben dem Bett von Charles Cratchit stand ein Mann, der mich ansah. Ich stützte mich auf meinen Ellenbogen und rieb mir die Augen. Sein silbriges Haar, ordentlich geschnitten und gekämmt, und eine gelassene und vertrauensweckende Ausstrahlung ließen ihn wie einen Mann in seinen späten Fünfzigern wirken. Er trug einen maßgeschneiderten grauen Nadelstreifenanzug mit einer Weste und einer silbernen Krawatte. Sein hochgeschlossenes Hemd hatte einen steifen, abgerundeten Kragen, der von einer goldenen Krawattennadel durchstochen war (. Abb. 2). Er sah aus wie auf Bildern meines Großvaters, die ihn in jüngeren Jahren zeigten. Er blickte mich erwartungsvoll an, als wartete er auf eine Äußerung von mir. "Kann ich Ihnen helfen?", sagte ich, während ich mich von meinem Feldlager erhob. "Ich bin Dr. . . . " "Ich kenne Sie", sprach er durchaus liebenswürdig. "Ich bin Ernest Starling. Ich sorge mich um unseren Charlie hier." "Ernest Starling? Ernest Starling war ein sehr berühmter Physiologe." "Oh, ja, ziemlich berühmt. Ich kenne ihn gut." "Sie kennen ihn gut?" "Habe schon viel von ihm gehört, sollte ich sagen." Er lächelte. "Er wäre sehr interessiert an diesen ganzen physiologischen Apparaturen -gewesen. Und natürlich überaus interessiert an Cratchit hier. Sehr interessiert." Er sprach mit einem gut geschulten britischen Akzent, der ihn sehr gelehrt klingen ließ. "Oh ja, er wäre sehr interessiert. Ich weiß, dass er sehr interessiert wäre", rief ich aus, nur zu begierig darauf, mein Lieblingsthema der modernen Medizingeschichte darzulegen. "Schauen Sie hier zum Beispiel, dieser gelbe Katheter geht durch das rechte Herz in die Pulmonalarterie." (. "Das ist sehr eindrucksvoll, Doktor, sehr eindrucksvoll. Ich muss sagen, dass es sich für mich sehr gut anfühlt zu sehen, wie jahrhundertalte physiologische Erkenntnisse bettseitig bei kritisch Kranken eingesetzt werden." Seine Bemerkungen machten mich stolz, obwohl ich persönlich zu diesen Erkenntnissen nichts beigetragen hatte. Bei genauem Nachdenken gab es keinen Grund dafür, darauf stolz zu sein, dass ich bewirkt hatte, dass er sich gut fühlte. Nichtsdestoweniger verspürte ich Selbstzufriedenheit. "Nun", sagte er, "es ist diese Berechnung des Sauerstoffangebots, über die ich heute Abend mit Ihnen sprechen möchte. Oder, genauer gesagt, über Ihre Gewohnheit, Anämie als Behandlungsverfahren einzusetzen." "Das verstehe ich nicht." "Anämie. Sie bluten den armen Charlie jeden Tag aus und lassen ihn mit einem Hämatokrit von 32 liegen. Sie sind ein moderner Intensiv-Blutegel." "Nun machen Sie aber mal einen Punkt!", rief ich aus, erstaunt über die Dreistigkeit dieses selbsternannten Ratgebers. "Ich lehne es ab, mit einem Blutegel verglichen zu werden. Dieser Patient ist nicht anämisch, und überhaupt, für wen halten Sie sich eigentlich?" "Für wen ich mich halte, ist für den Gegenstand unserer Diskussion nebensächlich", bemerkte er trocken, und "Charlies Hämatokrit ist 32 %". "Das ist nicht anämisch." "Ach, wirklich nicht?" Er zog seine Augenbrauen hoch und starrte mich über die randlose Fassung seiner Brille an. "Und was halten Sie für einen normalen Hämatokrit?" Das Wort Kymograph ist zusammengesetzt aus dem griechischen Wörtern "κύμα" (dt. Welle) und "γραφίνη" (dt. schreiben), man kann es also mit "Wellenschreiber" übersetzen. Wie der deutsche Arzt und Herz-Kreislauf-Physiologe Otto Frank (*1865, †1944) einmal locker formulierte, haben "... Kymographen die Aufgabe zu erfüllen, eine Papierfläche mit gleichmäßiger Geschwindigkeit unter der Schreibspitze hindurchzubewegen" [61] . Das liest sich so, als wäre es unkompliziert, ist es aber nicht. Das Gerät besteht aus einer sich drehenden Trommel, auf die Papier aufgespannt ist. Das Papier musste dann "berußt" werden, d. h. es wurde durch Verbrennung von z. B. Benzol oder Kerosin entstehender Rauch auf die papierumspannte Trommel geleitet [62] . Nun konnte ein Zeiger sichtbare Spuren in das berußte Papier kratzen. Der Zeiger wiederum konnte an sich bewegenden Objekten, z. B. zuckenden Muskeln, befestigt werden und deren Aktivität aufzeichnen. Damit war es möglich, Puls, Atmung, Nervenaktionen und andere physiologische Vorgänge zu visualisieren. Wollte man die Aufzeichnungen aufbewahren, wurden sie mit Schellack eingesprüht und so fixiert. Schellack ist eine harzähnliche Substanz, die aus den Ausscheidungen der in Südamerika und Asien lebenden Lackschildlaus produziert wird. "Ich meine, 32 % ist nicht anämisch für einen Intensivpatienten. Die meisten unserer Intensivpatienten haben einen Hämatokrit um die 30." Ich begann, mich irgendwie unbehaglich zu fühlen. "Ja, ich weiß", sagte er ruhig. "Und macht die Tatsache, dass Sie alle Ihre Patienten auf diese Weise falsch behandeln, 30 zu einem Normalwert?" "Nun, es ist schwierig, den Hämatokrit hochzuhalten bei all diesen Blutentnahmen und den vielen verdünnenden Effekten . . . " "Aber nun wirklich, Doktor", unterbrach er mich. "Dieses riesige Armamen-tarium von physiologischen Apparaturen -und Sie können nicht feststellen, ob Ihr Patient ein normales Blutvolumen hat?" "Doch, natürlich kann ich das feststellen. Ich meinte nur, nun, die meisten unserer Patienten sind ein wenig . . . anämisch." "Nun, ich bin jetzt wenigstens froh darüber, dass wir uns über die Definition einig sind. Von hier ab sind die Schlussfolgerungen sehr einfach. Herr Cratchit hat eine gesteigerte metabolische Rateeinen erhöhten Bedarf für das systemische Sauerstoffangebot. Er deckt diesen Bedarf durch einen Anstieg seines Herz-zeitvolumens. Die Anämie beeinträchtigt das systemische Sauerstoffangebot, dadurch wird ein weiterer Anstieg des Herzzeitvolumens notwendig. Um einen größeren Auswurf zu erzielen, braucht man höhere Füllungsdrucke, da haben Sie den alten Charlie aber in eine schwierige Position gebracht." Seine Argumente waren stichhaltig, und mir fiel keine vernünftige Antwort ein, bis ich den Schachzug mit der Rheologie erinnerte. "Rheologie, das ist der Grund", warf ich ein. "Die Viskosität des Blutes ist direkt proportional zum Hämatokrit. Wir halten den Hämatokrit niedrig, um die Viskosität herabzusetzen." "Aber, kommen Sie." Es war das erste Mal, dass er kicherte. "Das ist wirklich absurd. Sie machen den Patienten anämisch, steigern die Herzauswurfleistung, steigern den Füllungsdruck, reduzieren das Sauerstoffangebot an das Myokard und die anderen Gewebe, um die Viskosität zu senken, damit das Sauerstoffangebot größer wird. Ist es das, was Sie mir sagen wollen?" "Ähm, nein. Ich meine . . . um ein Verstopfen der Kapillaren zu vermeiden ..." "Denken Sie nach, Mann. Wann verursacht ein hoher Hämatokrit rheologische Probleme?" "Nun, die ganze Zeit. Polyzythämie." "Ja." Er wartete. "Angeborene Herzfehler mit Zyanose." "Ja." "Hyperviskositätssyndrom des Neugeborenen. Thermische Verbrennungen." "Und was ist der gemeinsame Nenner all dieser Störungen?", fragte er mich, als wäre ich ein Gymnasiast. "Ein hoher Hämatokrit. Über 55 %." "Und was sind die rheologischen Auswirkungen eines normalen Hämatokrits?" "Nun, die sind . . . normal." "Ein bisschen gesunder Menschenverstand und einwenig Physik, jungerMann. Darüber sollten Sie einmal nachdenken." Mit diesen Worten drehte er sich um und ging fort, er verschwand in der dunklen Ecke nahe der Eingangstür zur Intensivtherapiestation. Ich sah mir Charles Cratchit noch einmal gründlicher an. Er schien mir blass. Die harten Schläge seines Herzens gegen die Brustwand waren deutlich sichtbar. Sein Herz arbeitete schwer bei einer Frequenz von 110 Schlägen pro Minute. Zeichen der Anämie, dachte ich bei mir. Ich beschloss, über diese Dinge am nächsten Morgen nachzudenken, und legte mich wieder auf die Krankentrage, um noch ein paar Stunden zu schlafen. "Ach, Sie sind es wieder", sagte ich nicht allzu liebenswürdig. "Sie müssen mich entschuldigen. Bei Herrn Cratchit hier ist eine plötzliche Veränderung eingetreten." "Veränderung, ja. Plötzlich, nein. Sie haben Charlie in den letzten Stunden beinahe ersticken lassen, und der Schwester ist es plötzlich aufgefallen." "Nun schauen Sie hier", setzte ich an. "Nein, jetzt schauen Sie einmal her, junger Mann." Er hielt das Datenblatt mit den Vitalparametern hin, auf dass ich es untersuche. "Jetzt können Sie einmal etwas angewandte Physiologie lernen." Voller Abscheu fuchtelte er mit dem Datenblatt vor meinem Gesicht hin und her. "Ja, schön, ich vermute er ist ein wenig anämisch . . . " "Nein, hier, hier", sagte er und zeigte auf den Abschnitt "respiratorischer Status". Das IMV-Volumen betrug 1 l bei einer Frequenz von 6/min. Der paCO2 betrug 41, der paO2 82 mm Hg. "Sieht gut für mich aus", grummelte ich. "Muss ein neu aufgetretenes kardiales Problem sein -irgendeine Arrhythmie." Der Puls lag bei 130 Schlägen/min und der Blutdruck bei 90/60 mm Hg. "Schauen Sie sich den Patienten an", forderte er. "Er kann Ihnen das Problem klarmachen." Cratchit zeigte die Physiognomie der Dyspnoe -wilder Blick, Nasenflügeln, Unruhe, profuses Schwitzen. Alle 10 s verabreichte der Respirator einen 1 l-Atemhub, wobei dies häufig mit einem sich verschärfenden Summen einherging, das signalisierte, dass der Beatmungsdruck 45 cmH2O erreicht hatte und das verbleibende Volumen verloren ging. Zwischen diesen periodi-schen Atemhüben versuchte er mit einer Frequenz von etwa 30/min zu atmen, rang angestrengt nach Luft während der Inspiration und gab erbarmungswürdige 300 ml an das Spirometer im Exspirationsschenkel ab. "Und wie sieht er aus?", fragte mein ungebetener Ratgeber. "Er sieht nach Atemnot aus", räumte ich ein. "Aber er kämpft gegen den Respirator. Vielleicht braucht er etwas Sedierung." "Sie meinen, dass er so starke Atemnot verspürt, dass er versucht in der Inspirationsphase des Respirators auszuatmen. Ist es das, was Sie mit ,kämpft gegen den Respirator' meinen?" "Ja, das würde ich vorschlagen." Ich begann zu lernen, dass es nicht klug war, gegen meinen britischen Physiologen zu argumentieren. "Aber wie kann er Atemnot haben. Er erhält 6 tiefe Atemhübe pro Minute vom Respirator und atmet dann noch eine Menge selbst dazu. Hinzu kommt noch, dass seine Blutgase normal sind." "Sie haben Ihre Frage selbst beantwortet", sagte er. "Schauen Sie, wie sehr er sich anstrengen muss, um seinen paCO2 im Normbereich zu halten. Bevor Sie mit dem Ganzen hier anfingen, benötigte er ein Atemminutenvolumen von 13 l, um seinen paCO2 im Normbereich zu halten. Das wurde ihm alles von der Maschine verabreicht, sodass der größte Anteil des Atemhubes für die alveoläre Ventilation zur Verfügung stand. Jetzt haben Sie ihn auf 6 l/min runtergesetzt, er muss nun also die anderen 7 Atemzüge spontan atmen. Aber Sie verlangen von ihm, dass er dies durch einen engen Schlauch tut und dass er jedes Mal das Steuerventil des Respirators triggert. So hat er sich nun erschöpft, und er muss 30-mal pro Minute ein Volumen von 300 ml atmen, um die gleiche alveoläre Ventilation zu erzielen, die er vorher vom Respirator erhalten hat." "Aber er trainiert sein Zwerchfell." "Trainiert es und erschöpft es", stellte er klar. "Schauen Sie in Ihre Unterlagen. Gestern begann er mit 400 ml bei einer Frequenz von 20/min zu atmen. Er hätte da extubiert werden können, aber es erfordert so viel Druck, um durch den En-dotrachealtubus zu atmen und das Steuerventil zu triggern, dass er das jetzt einfach nicht mehr schafft. IMV-Erstickung." Er starrte mich an und wartete auf eine Antwort. "Aber jeder verwendet IMV", beklagte ich mich matt. "Wir benutzen IMV seit Jahren für das Weaning." "Genau", sagte er. "Sie fragen sich wahrscheinlich, wie Patienten jemals entwöhnt werden konnten, bevor IMV eingeführt wurde." "Gut, darin mögen Sie Recht haben. Was würden Sie vorschlagen?" "Jetzt kommen wir ja weiter. Erstens, er ist nicht bereit für das Weaning. Ja, ich weiß: Seine Inspirationskraft und sein inspiratorisches Atemzugvolumen sind adäquat. Aber er ist hypermetabolisch. Er muss 13 l/min atmen, nur um sein CO2 loszuwerden, und er hungert -Sie haben ihn nicht ernährt, seit er hier ist. Wenn Sie ihn dann endlich ernähren, wird sein respiratorischer Quotient nach oben schießen, und das erforderliche Atemminutenvolumen wird noch höher sein." "Das verstehe ich nicht." Er unterbrach seine sorgfältigen Ausführungen und warf mir einen empörten Blick zu. "Wenn Sie das nicht verstehen, warum kümmern Sie sich dann um diesen Patienten?" "Nun schauen Sie", wandte ich ein. "Ich habe mich schon um den Patienten gekümmert, bevor Sie hier erschienen sind. Und ihm geht's immer noch sehr gut. Nebenbei, was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?" "JungerMann, ichversuche nur, Ihnen mit ein wenig gesundem Menschenverstand zu helfen. Kommen Sie, lassen Sie mich Ihnen etwas zeigen. Legen Sie sich mal auf die Krankentrage, auf der Sie gestern geschlafen haben." Ich tat es. "Nun stecken Sie das hier in Ihren Mund. Umschließen Sie es fest mit Ihren Lippen." Er nahm einen 10er-Endotrachealtubus aus seiner Verpackung und platzierte ihn vorsichtig zwischen meinen Zähnen. Er zauberte eine gepolsterte Nasenklemme her und verschloss damit meine Nasenlöcher. "Nun atmen Sie mal für ein paar Minuten dadurch. Verwenden Sie anschließend ein paar Gedanken auf Herrn Cratchit hier." Mit diesen Worten verschwand er. So sehr ich auch über mich irritiert war, dass ich diese unerbetenen Direktiven akzeptiert hatte, so fühlte ich mich doch verpflichtet, an diesem kleinen Experiment teilzunehmen. Am Anfang fiel es mir leicht durch diesen großen Plastikschlauch zu atmen. Ich malte mir aus, dass es ziemlich unangenehm wäre, läge der Schlauch in meiner Trachea. (Mein Mund war schon voller Speichel.) Aber der Raum für die Rückatmung wäre dann kleiner -es wäre dann womöglich sogar leichter zu atmen. Nach 1 oder 2 min versuchte ich einen tieferen Atemzug zu nehmen und fand es schwieriger. Dann schien jeder weitere Atemzug zunehmende Anstrengung zu erfordern. Vielleicht fokussierte ich mich zu sehr darauf. Ich versuchte an etwas anderes zu denken. Die Dringlichkeit zu atmen führte meine Gedanken jedoch wieder auf die Größe des Atemwegs zurück. Jeder weitere Atemzug erschien zunehmend schwieriger. Mit flachen Atemzügen atmete ich schneller und schneller, weil jeder tiefe Atemzug so lange währte, dass ich schon während der Inspiration Dyspnoe empfand. Ich verspürte Panik und war gleichzeitig fasziniert über die Tatsache, dass ich Panik empfand. Nachdem das Experiment über eine gefühlte Stunde gelaufen war, fand ich heraus, dass ich meine Angst dadurch kontrollieren konnte, dass ich sehr ruhig da lag und nur sanft atmete. Jeder Versuch, tief einzuatmen, führte zu einer Rückkehr der unangenehmen Empfindungen. Ich beschloss, das Experiment zu beenden, sah mich aber aus irgendeinem Grund außerstande, die Lippen vom Schlauch zu lösen oder meine Hände zum Mund zu bewegen, um ihn zu entfernen. Wieder ergriff mich Panik, als ich meinen Kopf von einer Seite zur anderen warf. Schließlich spuckte ich mit größter Anstrengung den Schlauch aus und lag da, mit tiefen Atemzügen nach Luft ringend, während Speichel meine Wangen herablief. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich für lediglich 10 min "intubiert" gewesen war. Nach diesem Experiment, noch immer zitternd, durchquerte ich den Raum und stellte wieder den Assist-Control-Modus an Herrn Cratchits Beatmungsgerät ein. Der wilde Ausdruck mit weit aufgerissenen Augen ver-schwand von seinem Gesicht. Er schien mich beinahe anzulächeln. Er schloss seine Augen und schlief ein. Zwei Tage später war Charlie Cratchit immer noch maschinell beatmet. Er fieberte und wirkte septisch. Sein Atemminutenvolumen stieg auf 15 l pro Minute. Mein britischer Berater hatte richtig gelegen; Charlies Atmung musste weiterhin maschinell unterstützt werden. Die körperliche Untersuchung ließ einen subphrenischen Abszess vermuten, der dann auch durch eine Computertomographie bestätigt wurde. Ich verbrachte Herrn Cratchit in den OP und befreite ihn mithilfe einer großlumigen posterioren Drainage von einem Liter Eiter. Am nächsten Tag ging es ihm besser, und zum ersten Mal in dieser Woche sah ich meiner abendlichen Visite mit großen Erwartungen entgegen. Ich war sogar erfreut darüber, meinen mysteriösen Berater am Krankenbett anzutreffen. "Nun, Sir", so fing ich an, hoffend, dass eine starke Eröffnung seine bohrenden Fragen antizipieren würden. "Es gibt nichts Besseres, als einen Abszess zu drainieren, um die Lungenfunktion zu verbessern. Unser gemeinsamer Freund sieht heute Abend gut aus!" "Besser als vorher -ja. Gut -ich meine nicht." Er war an diesem Abend überhaupt nicht in jovialer Stimmung. Ich wettete darauf, dass er hier war, um mir weitere Ratschläge zu erteilen. "Sie hatten Recht mit seiner Atmung!", räumte ich ein. "Und ich habe seinen Hämatokrit angehoben. Was ist jetzt das Problem?" "Hunger, Fehlernährung, Marasmus, Kwashiorkor. Erkennen Sie das nicht?" "Was kann ich nicht erkennen?" "Sehen Sie ihn sich an -es geht ihm besser." "Unsinn. Schauen Sie seine Quadrizepse an. Schauen Sie sich seine Arme an. Vor 10 Tagen noch war er ein großer starker Mann. Nun kann er sich noch nicht einmal selber im Bett umdrehen. Er hat seine gesamte Energie darauf verwendet, Eiter zu produzieren." "Aber er ist fettleibig", beharrte ich. "Er hat 4,5 kg Übergewicht. Das Fett ent-Abb. 4 "Und was passiert, wenn ich es nicht tue?", fragte ich vorsichtig, aber schon die Antwort wissend. Wortlos griff er in seine Jackentasche und holte eine Sterbeurkunde hervor. "Lesen Sie die Zusammenfassung", forderte er und hielt mir die Urkunde hin. "Polytrauma, kompliziert durch Anämie, Erstickung, Fehlernährung und andere intensivmedizinische Behandlungsverfahren." Mir fröstelte, da ich erkannte, dass dies alles Komplikationen waren, in den meisten Fällen iatrogene. "Aber da steht kein Name auf dieser Sterbeurkunde", bemerkte ich. "Das sieht aus wie ein Standardformular." "Ich weiß", sagte er trocken. "Wir drucken sie in riesigen Mengen -es ist eine solch gängige Abschlussdiagnose. Und hier steht der Name . . . " Ich sah erneut hin. "Er ist ziemlich undeutlich. Mit Bleistift geschrieben. Ich kann ihn kaum lesen, das Licht ist so schummrig hier." "Sehen Sie noch einmal hin." Mit einer düsteren Vorahnung hielt ich das Dokument gegen das blasse Licht, das durch das Fenster einfiel. Der Name in der obersten Zeile verschwamm, wurde dann wieder deutlicher, verschwamm, wurde deutlicher, dann schien er mich anzuspringen. Charles Cratchit. "Nein, nicht Cratchit!", rief ich aus. "Muss es denn so kommen? Sagen Sie mir, muss es so sein?" Ich wollte seinen Arm ergreifen, fasste aber ins Leere. "Das liegt ganz bei Ihnen", sagte er und war verschwunden. Ich schaute mir Cratchit an. Abgesehen vom seinem Ödem war er tatsächlich ausgezehrt. Seine Augen waren eingesunken, seine Arme und Beine waren mager. Der noch kürzlich robuste Mann sah erschöpft und ausgemergelt aus. Er schien vor meinen Augen zu altern. Er wachte kurz auf, sah zur Decke und blickte mich dann an. Dann plötzlich rollten seine Augen zurück. Der Monitor zeigte eine Nulllinie, hörte auf zu piepen, verstummte vollständig. Das Team kam zusammen, und wir arbeiteten das Reanimationsprotokoll ab, jedoch ohne Erfolg. Erschöpft und ausgelaugt brauchte ich nun etwas Zeit, um mich für ein Gespräch mit der Familie zu sammeln. Ich streckte mich auf der Krankentrage gegenüber der sterblichen Hülle von Cratchit aus. Eine angenehme Müdigkeit überwältigte mich, und obwohl ich mich eine kurze Zeit dagegen wehrte, versank ich in tiefen Schlaf. Ich schreckte aus dem Schlaf hoch. Der Raum war hell. Sofort übermannte mich der Horror der letzten Woche und der letzten Nacht. Die Familie. Ich hatte Cratchits Familie in einem kleinen Warteraum weiter unten in der Halle zurückgelassen. Das Bild einer "Standard"-Sterbeurkunde tauchte vor meinem geistigen Auge auf. Ich sprang von der Krankentrage auf und warf den Vorhang zurück (. Abb. 4) . Oh Wunder! Es war heller Tag. Auf der Intensivtherapiestation herrschte geschäftiges Treiben -Lebenserhaltung als Alltagsgeschäft. Da saß Charles Cratchit in voller Lebensgröße, zwar immer noch maschinell beatmet, aber er neckte schon die Schwestern und sah wirklich sehr gut aus. In der Tat sah er so aus wie in der Nacht des ersten Besuchs von Starling. "Schwester!", rief ich mit einer Stimme, die auch außerhalb des Raumes Aufmerksamkeit erregte. "Schwester, welchen Tag haben wir heute?" "Nun, es ist Donnerstag, Doktor." Donnerstag natürlich. Sie kicherte über meine Desorientiertheit. "Welches Datum haben wir heute?", insistierte ich. "Welchen Tag des Monats?" "Nun, heute ist der 24te, Sir. Sie haben sich zu schnell von der Krankentrage erhoben. Warum legen Sie sich nicht noch einmal hin, und ich hole Ihnen eine Tasse Kaffee." Sie kicherte erneut. Ich muss das perfekte Bild eines geistesabwesenden Chirurgen abgegeben haben, aber das kümmerte mich nicht. Ein überwältigendes Gefühl von Erleichterung und Erregung erfasste mich. "Der 24te. Natürlich. Oh Wunder, er hat es in einer einzigen Nacht geschafft." "Was ist los, Sir?", fragte die Schwester. "Machen Sie sich keine Sorgen. Cratchit sieht fabelhaft aus, wirklich fabelhaft. Sie machen einen wunderbaren Job, Schwester." Ein pummeliger Junge kam vorbei, ich erkannte ihn als einen Medizinstudenten. "Junger Mann!" "Ja, Sir." Er starrte mich wegen meines Eifers befremdlich an. " Normale Atmung/Beatmung -so einfach? Bei seinem Besuch in der dritten Nacht ist Starlings Geist äußerst unzufrieden mit Charlie Cratchits Respiratoreinstellung. Auch hält er den Zeitpunkt für den Beginn des Weanings für verfrüht. Die "assist-control ventilation" (ACV) ist der weltweit auf Intensivtherapiestationen am häufigsten eingesetzte primäre Beatmungsmodus [10, 11] . Es handelt sich um eine volumengesteuerte Beatmung, bei der ein fixes Atemzugvolumen (VT) mit der vom Arzt vorgewählten Frequenz verabreicht wird. [12] . Man könnte also -im streng wissenschaftlichen Sinn -behaupten, dass ACV der einzige Beatmungsmodus ist, für den bei lungenprotektiver Einstellung ein Überlebensvorteil nachgewiesen wurde [11] . Charlie Cratchit wird vor der Umstellung auf "intermittent mandatoy ventilation" (dt. intermittierende mandatorische Beatmung [IMV]) im ACV-Modus mit einer Frequenz von 13/min und einem VT von 1 l beatmet. Alle Atemzüge werden vom Respirator geliefert, er zeigt keine Spontanatmung (. Abb. 6). Angenommen, Cratchit wäre 1,80 m groß und 85 kg schwer. Dann betrüge sein ideales Körpergewicht 75 kg. Nach heutiger Auffassung dürfte sein VT nur 450 ml bis maximal 600 ml betragen (6-8 ml/kg IBW); 1000 ml entsprechen jedoch 13,3 ml/kg IBW. Hierbei muss allerdings das Publikationsjahr von Bartletts Original-Essay berücksichtigt werden: 1984. Zu dieser Zeit, 16 Jahre vor Publikation der oben genannten Meilensteinstudie des US-amerikanischen ARDS-Netzwerks [12] , galt die Anwendung von VT in der Größenordnung von 10-15 ml/kg IBW als Standard [13] . 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 Die meisten Patienten (>50 %), die länger als 24 h beatmet werden und deren Ursache, die zum Atemversagen führte, beseitigt worden ist, können nach einem einmaligen, günstig verlaufenden Spontanatmungsversuch definitiv extubiert werden [20] . Weaning stellt jedoch einen erheblichen Stress für das kardiovaskuläre System und den Atemapparat dar, und problematisch sind die Patienten, bei denen die Extubation misslingt: Eine fehlgeschlagene Extubation ist assoziiert mit erhöhter Krankenhaussterblichkeit, längerer Aufenthaltsdauer auf der Intensivtherapiestation und im Krankenhaus sowie häufigerer Notwendigkeit zur Tracheotomie [21, 22] . Eine Reihe von klinischen und Laborparametern weist darauf hin, dass ein Entwöhnungsversuch möglich ist: ausreichende Oxygenierung bei niedriger FiO2 und niedrigem PEEP-Niveau, ausreichende Kohlendioxidelimination, hämodynamische Stabilität, ausreichende Hb-/Hkt-Werte, kein Fieber, ausreichender Bewusstseinszustand, kräftiger Hustenstoß. Sind diese Voraussetzungen gegeben, kann mit einem Spontanatmungsversuch fortgefahren werden. Dieser kann als Spontanatmung ohne Druckunterstützung und ohne PEEP, z. B. "T-piece trial", im "continuous positive airway pressure"(CPAP)-Modus, oder mit "pressure support ventilation" (dt. druckunterstützte Spontanatmung) durchgeführt werden. Eine Atemfrequenz <35/min, eine ausreichende arterielle Sauerstoffsättigung (SpO2), Kreislaufstabilität, koordinierte Bewe-gungen des Atemapparates und fehlende Zeichen von psychischem Stress signalisieren, dass nun eine (erfolgreiche) Extubation möglich ist. Heutzutage werden Weaningprozesse meist mithilfe mehr oder weniger komplexer standardisierter Protokolle durchgeführt. Ob mit solchen Protokollen das Weaning effizienter und effektiver verläuft, ist unklar. Daher sei an dieser Stelle an die mahnenden Worte von Martin Tobin und Amal Jubran erinnert: "Das Vorgehen nach Protokollen lenkt ab von der grundlegenden Anforderung bei der Entwöhnung. Es gibt keinen Ersatz für Urteilsvermögen und klinische Erfahrung." (Übersetzung des Autors) [23] Im Titel seines zukunftsweisenden Editorials stellte Joseph Milic-Emili 1986 die Frage, ob Weaning eher Kunst oder Wissenschaft sei [24] . Von Leitartiklern dieser Tage wird die Frage pragmatisch mit "Es ist beides" [25] oder sibyllinisch ". . . viel weniger eine Kunst, aber noch keine Wissenschaft" [26] beantwortet. Cratchit zeigt als Reaktion auf die Einleitung des Weanings eine Reihe von Zeichen der Atemnot: weit aufgerissene Augen, Nasenflügeln, Unruhe, profuses Schwitzen, Tachypnoe und das im englischen Originaltext als "tugging during inspiration". Mit letzterer Symptomatik ist das "tracheal tug sign" gemeint. Darunter versteht man ein deutlich erkennbares Tiefertreten des Schildknorpels in der Drosselgrube während der Inspiration, das durch den ausgeprägten Zug des Zwerchfells nach distal hervorgerufen wird, der sich auf die Trachea überträgt [27] . Im Deutschen wird dieses Symptom als "suprasternale inspiratorische Einziehung" bezeichnet. Das "tracheal tug sign" ist eng mit dem Schweregrad einer Atemwegsobstruktion korreliert [28] . Ein weiteres wichtiges Zeichen der Atemnot stellt das "rapid shallow breathing" dar. Wenn sich im Verlauf des Weaningprozesses eine Erschöpfung der Atemmuskulatur entwickelt, werden die VT kleiner. Kompensatorisch steigt die Atemfrequenz. Dieses Phänomen wird als "rapid shallow breathing", RSB (dt. schnelle flache Atmung, Hechelatmung) bezeichnet. Um das Ausmaß besser quantifizieren zu können und als prognostischen Parameter einzusetzen, wird der "rapid shallow breathing index" (RSBI, dt. schnelle flache Atmung), der Quotient aus Atemfrequenz (Maßeinheit: n/min) und VT (Maßeinheit l) bestimmt. Liegt der Wert bei oder über 100, ist ein erfolgreiches Weaning zweifelhaft. Im Essay wird beschrieben, dass Charlie Cratchit im IMV-Modus zwischen den mandatorischen Atemhüben 30-mal pro Minute selbst atmet und dabei ein VT von 0,3 l generiert. Das kann man sicherlich als RSB bezeichnen, eine Berechnung des RSBI während maschineller Ventilation wird jedoch nicht empfohlen [29] . Warum [34] . Die maschinelle Ventilation von Patienten mit akutem Atemversagen stellt durch die zahlreichen assoziierten pathophysiologischen Veränderungen eine komplexe Herausforderung dar. Eine durchdachte Einstellung der verschiedenen Beatmungsparameter kann dazu beitragen, die Auswirkungen der pathophysiologischen Veränderungen zu reduzieren. Eine ungeeignete maschinelle Beatmung kann über Barotrauma, Volutrauma, Atelektrauma und Biotrauma zur Entwicklung eines Ventilator-assoziierten Lungenschadens (engl.: "ventilator associated lung injury" [VALI]) beitragen. Im schlimmsten Fall kann sich ein ARDS mit mikro-und makropathologischen Veränderungen wie beim "diffuse alveolar damage" (DAD) entwickeln. Bei schweren Verlaufsformen des Atemversagens stellt die invasive maschinelle Ventilation eine lebensrettende Maßnahme dar, mit deren Effizienz und Effektivität sich nur wenige andere medizinische Maßnahmen vergleichen können [35] . In den letzten Dekaden wurde die maschinelle Ventilation wiederholt als "zweischneidiges Schwert" bezeichnet. Der Autor dieses Artikels hält dies für eine Fehlbezeichnung: Zunächst ist es ein sich in Sinnsprüchen und geflügelten Worten fortsetzender Fehlschluss, dass ein zweischneidiges Schwert eine eigene Gefahr für den Schwertführer darstellt. Es ist einfach nicht möglich, sich selbst im Kampf mit einem solchen Schwert zu verletzenwenn man den Gegner attackiert. Alle Schwerter sind zweischneidig. Ausnahmen bestätigen die Regel: So ist z. B. der sog. "Sachs" oder "Skramasax", eine einschneidige Lieblingswaffe der Merowinger, Karolinger und Wikinger, nur einseitig scharf [36, 37] . Weiterhin ist ein Respirator nicht mit der Absicht konzipiert, ihn als Waffe einzusetzen. Er kann aber, wie viele Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens (z. B. eine Nagelfeile), theoretisch als solche verwendet werden. Die Wirkung des Respirators -eine korrekt vorgenommene Einstellung vorausgesetzt -ist nicht ambivalent, dem offensichtlichen Nutzen stehen keine unkalkulierbaren Risiken gegenüber. Normale Ernährung -so einfach? Starlings Geist kritisiert, dass Charlie Cratchit bisher nicht ernährt wurde. Der namenlose Intensivmediziner kontert, dass er übergewichtig sei und an einem Ileus leide. Zudem befürchte er Blutzuckerentgleisungen und Katheterinfektionen. Heute würde man das anders einschätzen [38] . Auch über-gewichtige/fettleibige Patienten müssen ernährt werden, um einem Muskelabbau entgegenzuwirken. Die Ernährung ist zu lange hinausgezögert worden. Zwar gilt ein Ileus als Kontraindikation gegen eine enterale Ernährung, jedoch schlagen aktuelle Leitlinien vor, bei Vorliegen von Kontraindikationen gegen orale Ernährung oder gegen Ernährung über eine Magensonde innerhalb von 3 bis 7 Tagen mit der parenteralen Ernährung zu beginnen [39] . Starlings Geist weist auf den niedrigen Serumalbuminspiegel hin, den er als Folge einer Mangelernährung deutet. Starlings Hypothese besagt, dass die Flüssigkeitsbewegung über die Kapillarwand durch Filtration von dem Gleichgewicht zwischen den Gradienten des hydrostatischen Drucks und des onkotischen Drucks über die Kapillare abhängt. Der Mangel an Albumin führt über eine Abnahme des kolloidosmotischen Drucks zur Ausbildung von Ödemen. Schließlich droht noch Muskelabbau, der zusammen mit einer VIDD in einem erschwerten und prolongierten Weaning resultiert. Niedrige Serumalbuminspiegel, insbesondere im Trend abfallende Werte, können ein Prädiktor für Überleben/Versterben von septischen Patienten auf der Intensivtherapiestation sein [40] . Ob eine Behandlung der Hypoalbuminämie mit Humanalbumin eine sinnvolle Behandlung darstellt, ist seit Jahren strittig [41] . Der Sauerstoffverbrauch von Herrn Cratchit, mithilfe des SGK bestimmt, beträgt 328 ml/min. Unter der Annahme, dass 20 kJ/l O2 verbraucht werden, kann man nun berechnen: Juni 1870 auf Gads Hill Place, seinem Landsitz bei Rochester, Großbritannien. Er gilt als einer der berühmtesten und beliebtesten britischen Schriftsteller. Für seine ersten Veröffentlichungen verwendete er wiederholt "Boz" als Pseudonym. Dickens litt an häufigen Erkältungen Ein Zug entgleiste, 10 Reisende verstarben, 40 wurden verletzt. Dickens blieb unversehrt und leistete den Verletzten erste Hilfe. In der Folge entwickelte er jedoch eine posttraumatische Belastungsstörung: Er verlor für 2 Wochen seine Stimme und hatte auf späteren Zug-und Kutschfahrten "flash backs Children are not miniature adults.") [44] Weiterhin entwickelte Dickens einige Monate vor der Geburt seines achten Kindes (späterer Name: Henry Fielding) die Idee, seiner Frau Catherine Chloroform zur Geburtserleichterung persönlich zu verabreichen chloroform administrator") des Londoner St. Bartholomew's Hospital zu seiner Frau und ihm nach Hause kam und die Narkose durchführte Wegen seiner ausgefeilten literarischen Beschreibung von menschlichen Krankheitszuständen wird Dickens gelegentlich als "syndrome-spotter" bezeichnet The Pickwick Papers"). Hier lieferte Dickens die erste poetische Beschreibung des Obesitas-Hypoventilationssyndroms (engl Die Schulmedizin kannte zwar damals solche Zustände, hatte sich aber noch nicht im Detail damit beschäftigt und keinen Namen vergeben. So etablierte sich dann der Begriff "Pickwick-Syndrom Interessanterweise konnte kürzlich durch einen spektakulären historischen Fund aufgeklärt werden, dass die Beschreibung des "Schlafapnoesyndroms" schon im Jahre 1688 durch den bayrischen Arzt Georg Grau in größter Genauigkeit in der Zeitschrift Hypnologia erfolgte Es ist benannt nach einer Figur aus Dickens' Roman Uriah Heep ist ein 15-jähriger intriganter Angestellter im Büro des Rechtsanwaltes und Geschäftsmannes Mr. Wickfield. Er hat ständig kalte und schwitzige Hände, die schulmedizinische Diagnose lautet "palmare Hyperhidrose So erschien sein Portrait auf Geldscheinen und Briefmarken, Schulen wurden nach ihm benannt, Museen eingerichtet und in Kent, Großbritannien, wurde ein Themenpark eingerichtet. Die "Weihnachtsgeschichte" ist Grundlage zahlreicher Verfilmungen, Vertonungen und Videospiele Being an essay on anemia, suffocation, starvation, and other forms of intensive care, after the manner of Dickens Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer (2014) Querschnitts-Leitlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten -Herausgegeben von der Bundesärztekammer auf Empfehlung ihres Wissenschaftlichen Beirats, 4. Aufl. Deutscher Ärzte-Verlag Systemic oxygen transport in induced normovolemic anemia and polycythemia The circulatory effects of hematocrit variations in normovolemic and hypervolemic dogs Optimaler Hämatokrit 30 %: Abschied von einer Illusion Transfusion of packed red cells-indications, triggers and adverse events Anemia and transfusion in critical care: physiology and management Clinical trial of survivors' cardiorespiratory patterns as the therapeutic goals in critically ill postoperative patients Elevation of systemic oxygen delivery in the treatment of critically ill patients Evolution of mechanical ventilation in response to clinical research Ventilation assist control. {Updated2020Apr30 Ventilation with lower tidal volumes as compared with traditional tidal volumes for acute lung injury and the acute respiratory distress syndrome Effect of tidal volume and positive end-expiratory pressure on compliance during mechanical ventilation Bedside criteria for discontinuation of mechanical ventilation Success in the Guillain-Barré syndrome Breathing patterns. 1. Normal subjects A prospective study of indexes predicting the outcome of trials of weaning from mechanical ventilation A new pediatric volume ventilator Intermittent mandatory ventilation: a new approach to weaning patients from mechanical ventilators Discontinuation of ventilatory support: new solutions to old dilemmas Outcome of reintubated patients after scheduled extubation Incidence and outcome of weaning from mechanical ventilation according to new categories Weaning from mechanical ventilation. In: Tobin MJ (Hrsg) Principles and practice of mechanical ventilation, 2. Aufl Is weaning an art or a science? Ventilator weaning: how far from the final quantum leap? Weaning off mechanical ventilation: much less an art, but not yet a science Physical signs of diffuse airways obstruction and lung distension Clinical and physiological associations of some physical signs observed in patients with chronic airways obstruction Weaning from mechanical ventilation Work of breathing through different sized endotracheal tubes Ventilator-induced diaphragm dysfunction in critical illness Rapid disuseatrophyofdiaphragmfibersinmechanically ventilated humans Mitigation of ventilator-induced diaphragm atrophy by transvenous phrenic nerve stimulation Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (2017) S3-Leitlinie Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz Caution about early intubation and mechanical ventilation in COVID-19 Historische Phasen der Bewaffnung nach Aussagen der archäologischen Quellen Mittel-und Nordeuropas im ersten Jahrtausend n Zur kunst-, kultur-und technikgeschichtlichen Einordnung dreier Schwertklingen aus dem alamannischen Siedlungsraum. Dissertation der philosophischen Fakultäten der Humboldt Universität zu Berlin Klinische Ernährung in der Intensivmedizin ESPEN guideline on clinical nutrition in the intensive care unit Serum albumin trend is a predictor of mortality in ICU patients with sepsis Revised Starling equation and the glycocalyx model of transvascular fluid exchange: an improved paradigm for prescribing intravenous fluid therapy Bleakhealth: CharlesDickens's medical history revisited Pediatric surgery digest Blessed days of anaesthesia: how anaesthetics changed the world Charles Dickens-syndromespotter: a review of some morbid observations The Pickwick papers What's in a name? Mr. Dickens' "Pickwickian" Fat Boy Syndrome Advances in sleep-disordered breathing To rout or snort in the sleepe: a detailed medical description of sleep disordered breathing and its consequences by Georg Grau in 1688 Uriah Heep syndrome Dagobert Duck: Vom Griesgram zum Fantastilliardär. Einige Kapitel aus der Urgeschichte der reichsten Ente der Welt Catheterization of the heart in man with use of a flow-directed balloon-tipped catheter The Swan-Ganz pulmonary artery catheter. Incidence of complications, with particular reference to ventricular dysrhythmias, and their prevention The pulmonary artery catheter: the tool versus treatments based on the tool The cult of the Swan-Ganz catheter. Overuse and abuse of pulmonary flow catheters Pulmonary artery catheters for adult patients in intensive care Tigerstedt R (Hrsg) Handbuch der physiologischen Methodik, Bd. 1. Hirzel, Leipzig Do not kill guinea pig before setting up apparatus: the kymograph's lost educational context 1807) A course of lectures on natural philosophy and the mechanical Arts The smoked drum Pulmonary capillary pressure in man Hydraulic formula for calculation of the area of the stenotic mitral valve, othercardiacvalves, andcentralcirculatoryshunts. I A biographical sketch of Lewis Dexter UeberdieMessungdesBlutquantums in den Herzventrikeln The cardiac output in man in health and disease Adolph Fick: mathematician, physicist, physiologist Frank O (1895) Zur Dynamik des Herzmuskels Die sogenannten denkenden Tiere Das Jahr 1899: Die erste mathematische Beschreibung des Druck-Volumen-Diagramms durch Otto Frank (1865-1944) Measurement of cardiac output in man using the technique of catheterization of the right auricle or ventricle Comparison of the Fick and dye injection methods of measuring the cardiac output in man On the absorption of fluids from theconnectivetissuespaces Endothelial glycocalyx: role in body fluid homeostasis and fluid management The influence of variations in temperature and blood pressure on the performance of the isolated mammalian heart On the constancy of the systolic output under varying conditions The regulation of the heart beat Onthemechanical factors which determine the output of the ventricles The Linacre lecture on the law of the heart. Longmans