key: cord-0736628-ifffd9ev authors: Gulden, Vivien-Sophie; Thomsen, Stephan L. title: Frauen in Führungspositionen: Chancen und Risiken durch die COVID-19-Pandemie date: 2021-04-17 journal: Wirtschaftsdienst DOI: 10.1007/s10273-021-2900-y sha: b94fbab2dfdaed7144453028574522bd93e54166 doc_id: 736628 cord_uid: ifffd9ev The low representation of women in leadership positions has induced the EU Commission to define measures and targets for gender equality. Almost simultaneously, the measures adopted in the coronavirus pandemic have led to profound changes in the organisation of work. These can slow or inhibit the process. This article provides an overview of the situation of women in leadership positions and the most important reasons for their underrepresentation. Special attention is paid to the effects of the COVID-19 measures in order to identify opportunities and risks. It becomes clear that the same measures entail both positive and negative effects through behavioural changes. Nevertheless, in the long term, women are likely to benefit significantly from the new conditions. Anfang 2020 hat die Europäische Kommission die Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter 2020 bis 2025 beschlossen und rückt dieses Thema ins Zentrum der europäischen Politik: Frauen soll es möglich werden, in wie für Männer selbstverständlicher Weise berufl iche und gesellschaftliche Ziele zu erreichen und ihr Potenzial bestmöglich auszuschöpfen (EU-Kommission, 2020) . Neu in dieser Strategie ist insbesondere das dritte Ziel, "Gleichberechtigte Führungsverantwortung in der Gesellschaft", zu dem neben der Forderung auch konkrete Maßnahmen vorgeschlagen werden, um in Zukunft mehr Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. Damit bekommt die Gleichstellung, speziell in Bezug auf Führungspositionen, eine hervorgehobene Bedeutung in der politischen Diskussion (Wrohlich, 2020) . Die Diskussion mag im Jahr 2021 überraschen: Man könnte erwarten, dass Frauen und Männer schon gleichermaßen in den höheren und höchsten Stellen vertreten wären. Doch dies ist (noch) nicht der Fall (z. B. AllBright Stiftung, 2020a Stiftung, , 2020b . Auch der Gleichstellungsindex des European Institute for Gender Equality (EIGE) verdeutlicht die klaren Unterschiede auf dem Sektor "Macht" (d. h. Repräsentation in Führungspositionen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft): Mit einem Indexwert von 56,6 (2019) und 59,5 (2020) liegt Deutschland zwar über dem Durchschnitt der Europäischen Union, ist mit Rang 8 in beiden Jahren aber deutlich von der Spitze entfernt (EIGE, 2019 (EIGE, , 2020 . Die besondere politische Herausstellung und Förderung folgt dabei maßgeblich der Überlegung, dass Frauen nur dann Vorbilder und Impulsgeberinnen sein können, wenn sie auch als Vorreiterinnen von relevanten Entwicklungen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. So könne durch die Förderung von Forscherinnen die Akzeptanz weiblicher Karrieren in der Gesellschaft gestärkt werden. Dies würde jüngere Frauen positiv beeinfl ussen, ebenfalls eine Karriere anzustreben. Sichtbare Rollenvorbilder stärken so das Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein nachfolgender Generationen. Dass dies keine Utopien sind, zeigen wissenschaftliche Untersuchungen. So ist nachgewiesen, dass gemischte Führungsteams in Unternehmen zu profi tableren Ergebnissen kommen als rein männliche, da sie vielfältiger an Problemen und deren Lösungen arbeiten (vgl. Hunt et al., 2020 Bereits infolge der ersten, aber umso mehr der zweiten Bildungsexpansion seit der Jahrtausendwende erreichen inzwischen mehr Frauen als Männer Hochschulzugangsberechtigungen (2019: 53,8 %) und Hochschulabschlüsse (2019: 51,7 %) (Destatis, 2020). Diese Verbesserung der Chancen auf Hochschulbildung und die höhere Präsenz von Frauen an den Universitäten sollte mit einer Verbesserung der Situation auf dem Arbeitsmarkt einhergehen. Dennoch bestehen substanzielle Unterschiede zwischen den Geschlechtern in der anschließenden Karriere, und die überdurchschnittlichen Anteile in der höheren Bildung spiegeln sich bisher nicht in vergleichbar hohen Frauenanteilen in den Führungsebenen der Unternehmen wider (vgl. Abbildung 1). Zahlen aus den Dax-Vorständen (2020: 12,8 %) oder den Geschäftsführungen der 100 umsatzstärksten Familienunternehmen in Deutschland (6,9 %) dokumentieren die geringen Anteile (vgl. Abbildung 1). Tendenziell ist dabei ein inverser Zusammenhang zur Betriebsgröße in der Privatwirtschaft festzustellen: Während der Frauenanteil in der ersten Führungsebene in Betrieben mit weniger als 49 Beschäftigten 2018 bei rund einem Viertel lag, waren es bei Großbetrieben mit mindestens 500 Beschäftigten nur 14 % (Kohaut und Möller, 2019) . Besondere Beachtung erfahren hier börsennotierte Unternehmen. So verabschiedete die Bundesregierung 2015 ein Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG, BGBI, Nr. 17 vom 30.4.2015) , das börsennotierte Unternehmen mit paritätischer Mitbestimmung zu einer nachweisbaren Frauenquote von 30 % in ihren Aufsichtsräten verpfl ichtet. Daneben soll(t)en weitere börsennotierte oder mitbestimmte Unternehmen eigene Zielgrößen für den Frauenanteil in Aufsichtsräten, Vorständen und oberen Führungspositionen defi nieren (Arndt und Wrohlich, 2019) . Fünf Jahre nach Verabschiedung des Gesetzes erreichen nur 37 % der DAX-Unternehmen einen Frauenanteil in den Aufsichtsräten von mindestens 40 %. Nur eins der 30 DAX-Unternehmen hat aktuell einen Frauenanteil im Vorstand von 38 % (Telekom), acht werden von einem rein männlichen Vorstand geführt (FidAR, 2020) . Deutschland schließt im Vergleich mit den USA, Schweden, Großbritannien, Frankreich und Polen am schlechtesten ab (AllBright Stiftung, 2020b) . Diese Beispiele verdeutlichen, dass sich Veränderungen auf freiwilliger Basis, wenn überhaupt, nur sehr langsam vollziehen. Auch hinsichtlich der Defi nition der Zielgrößen besteht Spielraum: So haben sich 55 der 160 Unternehmen in DAX30, MDAX und SDAX eine Zielgröße von 0 % für den Frauenanteil in Vorständen und Aufsichtsräten gesetzt. Diese Zielgröße signalisiert Managerinnen innerhalb des Unternehmens, dass ihnen das Vorrücken in den Vorstand nicht zugetraut wird; Managerinnen von außerhalb erwarten, dass keine weibliche Kompetenz gefragt ist (AllBright Stiftung, 2020b) . Im aktuellen Gesetzentwurf zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (Zweites Führungspositionengesetz FüPo II) von Januar 2021 wird daher die verpfl ichtende Festschreibung eines Mindestanteils von Frauen in Vorständen mit mehr als drei Mitgliedern in großen deutschen Unternehmen verbunden mit effektiveren Sanktionen bei unbegründeter Nichtbeachtung gefordert. Für den geringeren Frauenanteil in Führungspositionen fi nden sich vielfältige Gründe. So spielen die gesellschaftlichen Rollenmodelle und geschlechterstereotype Zuschreibungen (Adriaans et al., 2020) sowie kulturelle Normen (Adams und Kirchmaier, 2015) eine Rolle. Vielfach nachgewiesen sind Hürden, die es Frauen erschweren, in höhere Positionen (Glass Ceiling Effect) oder aus schlechter bezahlten Jobs (Sticky Floor Effect) aufzusteigen. Außerdem tragen die steuerlichen Anreize des Ehegattensplittings (Schrenker und Zucco, 2020) genauso wie Einschränkungen in der Kinderbetreuung und daraus resultierend die Einschränkungen in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Adams und Kirchmaier, 2015) zu einer geringeren Erwerbstätigkeit von Frauen bei. Eine weitere Ursache sind die geläufi gen Arbeitszeitmodelle und Erwartungen an Personen in hohen Führungspositionen, die in der Regel an der Lebensrealität von Männern ausgerichtet sind (Wrohlich, 2020) ; Mutterschaft, Teilzeitarbeit und Unterbrechungen der Karriere sind somit hinderlich (Bertrand, 2010) . Auch die fehlende Sichtbarkeit von Frauen in Führungspositionen wird als Ursache genannt (Kohaut und Möller, 2019) . Von mehr erfolgreichen Frauen, die als Vorbilder agieren, wird eine Signalwirkung für jüngere Generationen erwartet. Zudem würden die geschlechterstereotypen Vorstellungen bezüglich der Führungsqualität und -fähigkeit von Frauen zunehmend durchbrochen. 1 Gut dokumentiert sind außerdem Verhaltensunterschiede, die auf Präferenzen und psychologische Faktoren zurückgeführt werden können. Frauen sind im Durchschnitt eher risikoscheu als Männer. Dadurch streben sie seltener eine Führungsposition an (Bertrand, 2010) und bevorzugen Tätigkeiten, die mit dem Familienleben kompatibel sind (Busch, 2013) . Auch haben Frauen im Durchschnitt andere Prioritäten als Männer in Bezug auf Beruf und Karriere sowie Einkommenserwartungen bzw. -ansprüche (Briel et al., 2020) . Trotz der bekannten Einkommensunterschiede sind Frauen mit ihrer Arbeit oder ihrem Leben meist nicht weniger zufrieden als Männer. Zugleich spielt die gesellschaftliche Zustimmung zur Gleichberechtigung eine große Rolle: Die sozialen Normen sind hinsichtlich der gleichen Bezahlung von Männern und Frauen der wichtigste Erklärungsfaktor für die Einkommensungleichheit zwischen den Geschlechtern (Lalive und Stutzer, 2010) . Die Pandemie hat durch die ergriffenen Interventionen (insbesondere Social Distancing, Lockdown, Homeoffi ce/Remote Work) in bisher nicht bekannter Weise in die gewohnten Arbeitsmuster und das Familienleben eingegriffen. In Bezug auf die Geschlechtergerechtigkeit birgt dies neben Risiken auch Chancen. Die eben ausgeführten Gründe stehen dabei nicht losgelöst nebeneinander, sondern greifen ineinander. Die durch die Maßnahmen disruptiv beschleunigte Digitalisierung der Arbeitswelt, die stärker als je zuvor ortsungebundenes und zeitlich fl exibles Arbeiten in einer Vielzahl von Bereichen möglich macht, kann zu einem Wandel der sozialen Normen und den damit verbundenen Rollenmodellen innerhalb der Familien beitragen und so mittelbar die Anforderungen an Führungspositionen verändern. Zugleich beschleunigt sie den Prozess veränderter Kompetenz-und Qualifi kationsanforderungen. Lagen die Beschäftigtenanteile mit Homeoffi ce vor der Krise bei 10 % (Männer) bzw. 12 % (Frauen), stiegen sie in der Krise auf 26 % (Männer) bzw. 30 % (Frauen) (Demmelhuber et al., 2020) . Vergleichbar, aber mit einem höheren Anteil bei Männern, waren die Werte für Eltern mit Kindern unter 12 Jahren (Bujard et al., 2020) . 2018 waren Väter zu 14,6 % im Home offi ce tätig, während der Anteil bei Müttern nur 9,2 % betrug. Dieser Geschlechterunterschied ist dabei in Teilen Ausdruck der Tätigkeitsunterschiede, da Mütter häufi ger in Berufen mit einem geringeren Homeoffi ce-Potenzial tätig waren/sind. Zugleich spiegeln sich auch die unterschiedlichen Anteile von Führungspositionen zwischen den Geschlechtern in den Zahlen wider: Bereits vor der Krise konnten 37 % der Beschäftigten im Bereich "Geschäftsführung und Vorstand" im Homeoffi ce arbeiten -ein klar männlich dominierter Bereich. Im Lockdown hat die Mehrzahl der Unternehmen mit fl exiblen Arbeitszeiten und Homeoffi ce auf die Schließungen von Kinderbetreuung und Bildungsangeboten reagieren können. Dies hat zu Veränderungen in der Familienarbeit geführt. Noch nie haben sich so viele Väter um ihre Kinder gekümmert: Lag die tägliche Stundenzahl für Haus-und Familienarbeit mit Kindern unter 16 Jahren bei Müttern vor der Krise bei 6,6 Stunden, hat sie sich während der Krise auf 7,9 Stunden erhöht. Väter waren vor der Pandemie im Durchschnitt mit 3,3 Stunden beteiligt. Sie haben ihre Zeit auf durchschnittlich 5,6 Stunden ausgeweitet (Bujard et al., 2020) . Obgleich weiterhin Geschlechterunterschiede in der Sorgearbeit bestehen, hat sich die Differenz verringert. 2 Kritische Stimmen befürchten aber eine Retraditionalisierung, da Frauen von der Schließung der Kinderbetreuungsstätten und Bildungsstätten durch den einhergehenden Betreuungsaufwand stärker betroffen sind und häufi ger ihre Arbeitszeit reduzieren müssen (z. B. Kohlrausch und Zucco, 2020). Der absolut höhere Zeitaufwand und nicht die Differenz zwischen den Geschlechtern ist ausschlaggebend. Ob die beobachteten Veränderungen zu einem nachhaltigen Wandel der sozialen Normen führen werden, der überdies zu einer Verbesserung der Geschlechtergerechtigkeit beiträgt, ist noch unklar. Analysen vergleichbarer politischer Interventionen belegen, dass die Neuverteilung der Aufgaben im Haushalt anhaltende Auswirkungen auf die Geschlechterrollen und die Arbeitsteilung haben kann (Alon et al., 2020; Sevilla und Smith, 2020; Reichelt et al., 2020 Barriers to Boardrooms Gender Pay Gap in den Köpfen: Männer und Frauen bewerten niedrigere Löhne für Frauen als gerecht Die deutschen Familienunternehmen: Traditionsreich und Frauenarm Deutscher Sonderweg Frauenanteil in DAX-Vorständen sinkt in der Krise The impact of Covid-19 on gender equality Geschlechterquoten im europäischen Vergleich: Harte Sanktionen bei Nichteinhaltung sind am wirkungsvollsten Zukunftsstudie Münchner Kreis, Sonderstudie zur Corona-Pandemie, Ergebnis-Chartsatz Overconfi dence and Gender Differences in Wage Expectations Eltern während der Corona-Krise, für das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) Die Geschlechtersegregation beim Berufseinstieg -Berufswerte und ihr Erklärungsbeitrag für die geschlechtstypische Berufswahl Homeoffi ce vor und nach Corona: Auswirkungen und Geschlechterbetroffenheit Gender Equality Index 2020 Vertretung in Deutschland: Gleichstellung zwischen Frauen und Männern: Kommission dringt auf mehr Fortschritte, 5. März Women on Board Index 185 II, Frauenanteil im Aufsichtsrat und Vorstand der 160 im DAX, MDAX und SDAX sowie der 30 voll mitbestimmten, im Regulierten Markt notierten Unternehmen Stand 31.10.2020 -aktualisiert zum 6 Diversity wins. How inclusion matters New Work, Fair Chances!, Factsheet Umfrage Initiative Chefsache (2020b) New Work, Fair Chances!, Factsheet Umfrage Frauen in leitenden Positionen: Leider nichts Neues auf den Führungsetagen Die Corona-Krise trifft Frauen doppelt, Weniger Erwerbseinkommen und mehr Sorgearbeit, Wirtschafts-und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung Approval of equal rights and gender differences in well-being Das Coronavirus: Folgen für den Strukturwandel am Arbeitsmarkt -kurz-, mittel-und langfristig The impact of COVID-19 on gender inequality in the labor market and gender-role attitudes Baby steps: the gender division of childcare during the Covid-19 pandemic Gender Pay Gap steigt ab dem Alter von 30 Jahren stark an Bildung und Kultur, Nichtmonetäre hochschulstatistische Kennzahlen Frauen in Führungspositionen: 2019 Startschuss zur Trendwende?