key: cord-0729042-ucemruvv authors: Maisch, Bernhard title: Die ESC zu COVID-19 – keine Leitlinie, aber ein lernender Leitfaden date: 2020-12-14 journal: Herz DOI: 10.1007/s00059-020-05006-x sha: 6d713b58118915777a82bd1033545ff5b8abf1e0 doc_id: 729042 cord_uid: ucemruvv “Not a guideline but a guidance” is the motto of this document of guidance by the European Society of Cardiology, which is designed as an orientation aid to learning for physicians in the coronavirus disease 2019 (COVID-19) pandemic. A total of 62 European cardiologists as authors and 29 further experts as reviewers have contributed to this 119-page document. The emphasis of the guidelines is on a cautious strategy in dealing with a pandemic, which is still characterized by many unknown factors. It is consciously limited to cardiovascular diseases. In the last update from 10 June 2020 many practical instructions for cardiovascular diagnostics and treatment under the conditions of a pandemic are given. These recommendations largely depend on the already well-known guidelines of the ESC. To recapitulate them might be helpful but much is redundant. The sections on the pathophysiology and pathomechanisms by which severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2) could specifically affect the cardiovascular system, are informative but sometimes in need of supplementation. It is counterproductive to recommend that pathohistological and molecular investigations of tissues from affected and deceased patients should be avoided. This document of guidance is an ambitious attempt of a learning recommendation that needs some further improvement. It needs an early update if it intends to do justice to the ambitions. Es verwundert nicht, dass die European Society of Cardiology (ESC) ihre Überlegungen zur Diagnose und zum Management kardiovaskulärer Erkrankungen bei der COVID-19("coronavirus disease 2019")-Pandemie nicht als Leitlinien formuliert hat, sondern in das Gewand einer Orientierungshilfe bzw. von Empfehlungen gekleidet hat [1] . Denn bei der Veröffentlichung am 21. April war es zu früh, und zum Ende des Jahres 2020 gab es zwar eine Flut von Veröffentlichungen, aber wir wussten immer noch zu wenig. Die Fassung vom 10. Juni 2020 lag als letztverfügbare Version diesem Beitrag zugrunde. Leider fehlt damit auch der Erkenntnisfortschritt des 2. Halbjahrs 2020. Mit der Evolution der Pandemie und der in Europa im November 2020 angekommenen 2. Welle werden deshalb weitere Updates in diesem lernenden Dokument folgen müssen. "Not a guideline but guidance" war initial situationsbedingt das passgenaue Format. "Guidance" meint allerdings nicht nur Orientierungshilfe. In dem englischen Wort steckt auch ein gewisser Führungsanspruch. Auf 119 Seiten mit 21 Abbildungen und 18 Tabellen und 276 Literaturstellen haben 62 europäische Kardiologen als Autoren und 29 Reviewer versucht, sowohl das Wissen als auch den Wissensbedarf zusammenzutragen, und im Verlauf der Monate von Januar bis zum 10 .06.2020 immer wieder kleinere Änderungen vorgenommen [2] . Es konnte zu Beginn der Pandemie naturgemäß nur ein Kompendium von Expertenmeinungen sein. Sie stellen damit eine Momentaufnahme ("moving target") dar. Zu den nachvollziehbaren Limitationen gehört das weitgehende Fehlen von evidenzbasierten Therapiestudien sowie eines Kapitels zu einem Impfstoff, an dem seit Beginn der Pandemie in zahlreichen Laboren und pharmazeutischen Firmen geforscht und gearbeitet wird. Der Anspruch der 66 Autoren war ambitioniert, das Ergebnis ist zwar nicht perfekt, aber es kann sich sehen lassen. Die National Institutes of Health (NIH) der USA [3] haben am 19. April 2020 eine kurze Behandlungsempfehlung zur COVID-19-Pandemie herausgegeben, die sie ebenfalls ergänzen wollen, sobald verlässliche Therapiestudien vorliegen. Auch hier stehen noch zahlreiche Ergebnisse randomisierter internationaler Studien aus, ebenso aber auch ein "Update" der NIH. Die S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) vom April 2020 ist ebenso als eine Empfehlung für die hausärztliche Praxis gedacht, bei der allerdings erst in einem Jahr Ergänzungen vorgesehen sind [4] . In ihrem wöchentlichen Bulletin beschreibt die World Health Organisation (WHO) die pandemische Situation [5] . Am 30. 10 .2020 waren weltweit 44.888.869 Menschen mit SARS-CoV-2 ("severe acute respiratory syndrome coronavirus 2") infiziert und 1 Bei Viruserkrankungen sind der verursachende Virus und die Antwort des Immunsystem phasenbezogen in unter-schiedlichem Ausmaß an der Kardiopathologie beteiligt (. Abb. 2; [9, 10] ). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die vor einigen Jahren gemachte, aber erst kürzlich veröffentlichte Beobachtung, dass bei MERS ("Middle East respiratory syndrome") Myokarditiden und Herzinsuffizienz bereits als Organmanifestationen beschrieben wurden [11] . MERS ist eine von einem anderen Coronavirus (MERS-CoV) verursachte Erkrankung. Eine Myoperikarditis wurde auch für COVID-19-Patienten bereits frühzeitig postuliert, u. a. als fulminante Myokarditis infolge eines Zytokinsturms [12] . Autopsiebefunde mit mononukleären myokardialen Zellinfiltrationen wurden auch bei verstorbenen COVID-19-Patienten in der Autopsie beschrieben [13] . Bemerkenswert war in den wenigen kasuistischen Histologiebefunden, dass die Zahl infiltrierender Zellen eher niedrig ausfiel und nicht den Kriterien einer fulminanten Myokarditis (>50 Lymphozyten und Makrophagen/mm 2 ) entsprach [14] . Exemplarisch zeigte sich dies bei der sorgfältig histopathologisch und elektronenmikroskopisch aufgearbeiteten Kasuistik eines 29-jährigen Patienten mit klinisch "fulminanter Myokarditis": Nur sporadisch eingestreute Entzündungszellen fanden sich im Myokard. Virus oder Virus-RNA war aber weder in den Myozyten noch im Endothel nachzuweisen. Perikarditis und Epikarditis finden sich bei etwa 20 % der hospitalisierten Patienten. Die Diagnose einer Myoperikarditis stützte sich in diesen Fällen häufig auf den echokardiographischen Nachweis eines Perikardergusses [15] oder eines LGE ("late gadolinium enhancement") im Myokard durch eine Magnetresonanztomographie (MRT; [16] ) sowie auf pathologische Troponinwerte und nicht auf pathohistologische Befunde [17, 18] . Das gilt auch für den ersten Fall einer fulminanten Myokarditis in Wuhan [19] . Hauptsächliche Eintrittspforte des Einzelstrang-RNA-Virus SARS-CoV-2 ist der Respirationstrakt. Die Bindung des Virus an Epithel, Endothel und Perizyten erfolgt über den ACE2("angiotensinconverting enzyme 2")-Rezeptor, der in Lunge, Herz, Gefäßen, Nieren und Gastrointestinaltrakt exprimiert ist [20] . Der Leitfaden der ESC beschreibt im Kapitel der Interaktionen des Virus mit den Wirtszellen des Patienten detailliert die Rolle des ACE2-Rezeptors und geht auch auf die erforderliche Koaktivierung durch die Serinproteinase TMPRSS2 ("transmembrane protease serine subtype 2") ein, die das Auffalten der Virushülle und die Inkorporation in das Epithel erst ermöglicht [21] . Die nachfolgenden Schritte der Membranfusion und der Endozytose, der Freisetzung der viralen Zusammenfassung · Abstract Abschnitte zur Pathophysiologie und zu den Pathomechanismen, über die SARS-CoV-2 ("severe acute respiratory syndrome coronavirus 2") spezifisch auf das Herz-Kreislauf-System wirken dürfte. Kontraproduktiv ist die Empfehlung, auf pathohistologische und molekulare Untersuchungen von Gewebe betroffener oder verstorbener Patienten zu verzichten. Den hohen Ansprüchen an einen sich immer wieder ergänzenden Leitfaden genügt die letzte verfügbare Fassung dennoch in weiten Teilen. Sie benötigt aber eine baldige Aktualisierung, wenn sie ihren Ambitionen gerecht werden will. The ESC recommendations for COVID-19-no guideline, but a learning guidance Abstract "Not a guideline but a guidance" is the motto of this document of guidance by the European Society of Cardiology, which is designed as an orientation aid to learning for physicians in the coronavirus disease 2019 (COVID-19) pandemic. A total of 62 European cardiologists as authors and 29 further experts as reviewers have contributed to this 119-page document. The emphasis of the guidelines is on a cautious strategy in dealing with a pandemic, which is still characterized by many unknown factors. It is consciously limited to cardiovascular diseases. In the last update from 10 June 2020 many practical instructions for cardiovascular diagnostics and treatment under the conditions of a pandemic are given. These recommendations largely depend on the already well-known guidelines of the ESC. To recapitulate them might be helpful but much is redundant. The sections on the pathophysiology and pathomechanisms by which severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2) could specifically affect the cardiovascular system, are informative but sometimes in need of supplementation. It is counterproductive to recommend that pathohistological and molecular investigations of tissues from affected and deceased patients should be avoided. This document of guidance is an ambitious attempt of a learning recommendation that needs some further improvement. It needs an early update if it intends to do justice to the ambitions. Coronavirus · Pandemic · Pathomechanisms · Heart diseases · Protective measures RNA ("uncoating") und deren Replikation, die Synthese des Hüllproteins sowie die Extrusion der vermehrten Viruspartikel kommen allerdings etwas zu kurz und sind mit größerer Detailgenauigkeit in . Abb. 3 aufgeführt. Dass die Behandlung von Hypertoniepatienten mit Inhibitoren des Renin-An-giotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) die Bindung von SARS-CoV-2 an den ACE2-Rezeptor durch eine gesteigerte Expression von ACE2 überkompensieren [22] und damit die Andockmöglichkeiten des Virus fördern könnte, bleibt ebenso spekulativ wie die Überlegung, dass Antagonisten des AT1-Rezeptors Abb. 3 8 SARS-CoV-2("severe acute respiratory syndrome coronavirus 2")-InfektionderWirtszelle undsichhieraus ableitende Therapieansätze (ACE "angiotensin-converting enzyme", TMPRSS2 "transmembrane protease serine subtype 2", 3CL "3-chymotrypsin-like", IL Interleukin) (Angiotensin-II-Rezeptor Subtyp 1; Angiotensinrezeptorblocker [ARB]) auch eine protektive Rolle gegenüber einer SARS-CoV-2-Infektion spielen könnten [23] . Alle kardiologischen Gesellschaften einschließlich der ESC empfehlen unisono, ARB bei damit behandelten Patienten nicht abzusetzen. Die im ESC-Leitfaden geschilderten diagnostischen Strategien wurden weitgehend umgesetzt oder sind verfügbar: 4 Symptome (Husten, Geruchsstörung, Fieber) mit oder ohne Kontakt mit an COVID-19 erkrankten Personen, 4 COVID-19-typisches Bild in der Computertomographie (CT) der Lunge, 4 PCR("polymerase chain reaction")-Nachweis von SARS-CoV-2 aus Nasen-und Rachenabstrichen, 4 ELISA ("enzyme-linked immunosorbent assay") oder POC("point of care")-Tests zum Antigen-oder Antikörpernachweis. Es wird eine breite Testung zur Nachverfolgung und zur Eingrenzung der Ausbreitung des Virus ermpfohlen. Lüften als zusätzliches Prinzip der Infektionsprävention findet sich im ESC-Leitfaden noch nicht explizit. Ärzte in der Praxis und in den Krankenhäusern sowie ebenso Krankenschwestern, Pfleger und Angestellte im Gesundheitswesen gehören zur Risikogruppe der SARS-CoV-2 besonders exponierten Bevölkerung. Der ESC-Leitfaden stützt sich dabei u. a. auf chinesische Daten: 1716 der 44.672 Infizierten (3,8 %) gehörten den medizinischen Berufsgruppen an [24] . Hierfür werden 3 Stufen an Schutzmaßnahmen im Leitfaden vorgeschlagen (. Tab. 2). Die Leitsymptome einer COVID-19-Erkrankung wie trockener Husten, Luft- Remdesivir-Compassionate-use-Programm rhACE2 "recombinant human angiotensin-converting enzyme 2", COVID-19 "coronavirus disease 2019", GM-CSF "granulocyte-macrophage colony-stimulating factor", SARS-CoV-2 "severe acute respiratory syndrome coronavirus 2", SoC "standard of care" Hierzu gibt es erwartungsgemäß noch keine Empfehlung im ESC-Leitfaden, weil Impfstoffe sich noch in der Entwicklung oder im Zulassungsverfahren befinden. The European Society for Cardiology ESC guidance for the diagnosis and management of CV disease during the COVID-19 pandemic Escardio/Education-General/ Topic%20pages/Covid-19/ESC%20Guidance %20Document/Change-history-log_ESC-Guidance-COVID-19-Pandemic Neues Coronavirus (SARS-CoV-2) -Informationen für die hausärztliche Praxis. AWMF-Register-Nr Prevention (2020) The epidemiological characteristics of an outbreak of 2019 novel coronavirus diseases (COVID-19) in China Presenting characteristics, Comorbidities, and outcomes among 5700 patients hospitalized with COVID-19 in the New York city area Cardio-immunology of myocarditis: focus on immune mechanisms and treatment options. Front Cardiovasc Med SARS-CoV-2 as potential cause of cardiac inflammation and heart failure Coronaviruses and the cardiovascular system: acute and long-term implications SARS-CoV-2: a potential novel etiology of fulminant myocarditis Pathological findings of COVID-19 associated with acute respiratory distress syndrome Myocardial localization of coronavirus in COVID-19 cardiogenic shock Cardiac involvement in a patient with coronavirus disease 2019 (Covid-19) Myocarditis revealing COVID-19 infection in a young patient COVID-19-relatedmyocarditisina21-year-oldfemalepatient Coronavirus fulminant myocarditis saved with glucocorticoid and human immunoglobulin First case of COVID-19 complicated with fulminant myocarditis: a case report and insights Detection of SARS-CoV-2 in different types of clinical specimens SARS-CoV-2 cell entry depends on ACE2 and TMPRSS2 and is blocked by a clinically proven protease inhibitor SARS-CoV2: Should inhibitors of the renin-angiotensin system be withdrawn in patients with COVID-19 Inhibitors of the renin-angiotensin system and SARS-CoV-2 infection Characteristics of and important lessons from the coronavirus disease 2019 (COVID-19) outbreak in China: Summary of a report of 72314 cases from the chinese center for disease control and prevention Clinical course and risk factors for mortality of adult inpatients with COVID-19 in Wuhan, China: a retrospective cohort study Development of a triage protocol for critical care during an Influenza pandemic