key: cord-0704625-hitaytax authors: Gäbel, G.; Kröger, K. title: Risiken der „Stay at home“-Politik im Rahmen der COVID-19-Pandemie date: 2020-09-09 journal: Gefasschirurgie DOI: 10.1007/s00772-020-00697-2 sha: ca6c74167a64f0f1b8f8b089f239f28c9393dbb8 doc_id: 704625 cord_uid: hitaytax The measures to control the COVID-19 pandemic have far-reaching sequelae for the German healthcare system and our citizens. Since the implementation of the pandemic measures with a nationwide lockdown on 22 March 2020, so far some relevant aspects have already been described. This overview article gives a more detailed description of some aspects relevant for vascular medicine, e.g. emergency treatment, increase of the cardiovascular risk due to social distancing and the risk of venous thromboembolisms. Die COVID-19-Pandemie stellt das deutsche Gesundheitssystem vor große -zum Teil bisher unbekannte -Herausforderungen. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben weitreichende Folgen für die medizinische Versorgung in unserem Land und deren Bürger. Trotz der relativ kurzen Zeitspanne seit Einsetzen der Pandemiemaßnahmen mit einem bundesweitem Lockdown seit dem 22. März 2020 sind bis heute schon einige relevante Aspekte bzw. Veränderungen erkannt und beschrieben worden. Wir möchten im Folgenden auf einige gefäßmedizinisch relevante Aspekte näher eingehen. Aus allen Teilen der Welt wird berichtet, dass deutlich weniger medizinische Notfälle gesehen werden [1, 2] . Eine kürzlich publizierte Routinedatenanalyse zeigt an einer großen träger-und versorgungsstufenübergreifenden Zahl von Kliniken das Ausmaß der COVID-19-Pandemie für die Notfallversorgung im Rahmen der Lockdown-Phase für Deutschland [3] . Hier zeigte sich, dass es während der Lockdown-Phase zu einer maßgeblichen Abnahme der Patientenzahlen kam, die sich über alle Leistungsbereiche der Krankenhausversorgung erstreckte. Die Beobachtung ist selbsterklärend für die elektiven Bereiche (z. B. Rückgang von Eingriffen an Aorta und Becken-Bein-Gefäßen um 50 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum) der Medizin, in denen entsprechende Regularien erlassen waren. Jedoch betraf dies auch Bereiche der Notfallversorgung etwa wegen Herz-infarkt, Schlaganfall und transitorisch ischämischer Attacke (TIA), ebenso wie zeitkritische Behandlungen im Bereich der Onkologie. So zeigten sich in dieser Studie eine Reduktion im Vergleich zum Vorjahr von 30-40 % für Patienten mit Schlaganfall und TIA (. Tab. 1). Eingriffe sank um bis zu 50 % Das Phänomen des Rückganges von Notfallbehandlungen ist auch in anderen Teilen der Welt beschrieben worden, und man vermutet, dass dies begründet ist durch die Angst vieler Patienten vor Infektionen, die daher auch im Notfall dem Gesundheitswesen fernbleiben. Aus Kalifornien wurde berichtet, dass in dieser Zeit die außerklinischen Reanimationen deutlich zunahmen, weil Notfallpatienten zu spät die Rettungskette alarmierten [4] . Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass wegen der Kontaktbeschränkung die Inzidenz von Notfällen abnahm, da andere Infektionserkrankungen oder sonstige Trigger von Herz-Kreislauf-oder Lungenerkrankungen weniger häufig vorkamen. Möglich ist aber auch, dass aufgrund geschlossener Praxen und Krankenhausbereiche die damit einhergehende Reduktion von Diagnostik zu weniger Einweisungen auch bei dringlichen Indikationen geführt hat. Dies würde möglicherweise auch erklären, warum sich weniger Patienten mit einer akuten Appendizitis, aber wenn, dann in fortgeschrittenen Stadien notfallmäßig in Kliniken weltweit vorstellten [5, 6] . Auch in unserer Klinik mussten wir leider erleben, dass sich Patienten erst Wochen nach stattgehabtem peripherem Bypassverschluss vorstellten, weil der Hausarzt Ihnen -aufgrund eines vermuteten, erhöhten Ansteckungsrisikos in der Klinik -von einer umgehenden Konsultation abgeraten hatte. Durch den bundesweit wegen der SARS-CoV-2-Pandemie verhängten Lockdown wird der Aktionsradius jedes einzelnen Bürgers massiv limitiert und schränkt soziale Begegnungen erheblich ein. Die Kontaktbeschränkungen gelten auch für den privaten Umgang mit Personen, die nicht im gleichen Haushalt leben. Es wird vermutet, dass diese massiven Einschränkungen der persönlichen Freiheit auch Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Bürger haben [7] . Das sich eine Quarantäne auf die psychische Gesundheit von Menschen auswirkt, wurde bereits in einem Review am Beispiel der SARS-, der Ebola-und der H1N1-Pandemie beschrieben [8] . Als Quarantäne war in dieser Analyse die soziale Isolation von Personen, die Kontakt zu infizierten Personen hatten und daher selbst ansteckend sein konnten, definiert. Die meisten der eingeschlossenen Studien fanden bei den Studienteilnehmern eine erhöhte psychische Belastung nach der Quarantäne, oft mit Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung, wobei sich in einigen Studien auch eine längerfristige Persistenz der Symptome nachweisen ließ. Eine weitere Untersuchung aus Peking (China) während der SARS-Epidemie 2003 an 549 Krankenhausmitarbeitern fand heraus, dass sich bei den Mitarbeitern, die in Quarantäne gewesen waren oder auf einer SARS-Infektionsstation gearbeitet hatten, die Anzahl der nachweisbaren Diagnosekriterien für eine Alkoholabhängigkeit oder einen Alkoholmissbrauch in einem positiven Zusammenhang mit der Dauer der Quarantäne oder der Dauer der Arbeit auf der SARS-Infektionsstation stand [9] . Bereits zu Beginn des fast weltweiten Lockdowns warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO)voreinem erhöhtenAlkoholkonsum, der in der sozialen Isolation drohen könnte [10] . [20, 21] . Über die letzten 40 Jahre hinweg haben sich die Ernährungsgewohnheiten dank entsprechender Leitlinien und populationsbasierter Strategien mit einer guten Öffentlichkeitsarbeit deutlich verbessert. In Verbindung mit einer gesteigerten körperlichen Aktivität, einem gestiegenen Bewusstsein und einem reduzierten Tabakkonsum hat dies in vielen westlichen Industrienationen dazu geführt, dass die kardiovaskuläre Mortalität gesenkt werden konnte [22, 23] . Einige Ernährungswissenschaftler haben nun große Sorge, dass durch die Quarantänemaßnahmen bzw. Lockdown-Maßnahmen unsere Ernährungsgewohnheiten einen Schritt zurückgehen von einer gesunden Ernährung reich an frischen Lebensmitteln zu einer Ernährung mit langlebigen konservierten Lebensmitteln [24] . Persönlich sehen wir das Risiko für gesellschaftsübergreifende Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten in Deutschland als nicht relevant, dennoch ist dies sicherlich ein interessanter Aspekt, der hier von einigen Ernährungswissenschaftlern diskutiert wird. Ein unseres Erachtens weitaus bedeutender Faktor zur Erhöhung des kardiovaskulären Risikos durch die "Stay at home"-Politik ist, dass eine der Maßnahmen die Einschränkung von sportlichen Aktivitäten war. Dies resultiert natürlich in einer verminderten körperlichen Aktivität unserer Bevölkerung. Durch regelmäßige körperliche Betätigung kann oxidativer Stress und Inflammation reduziertwerden.Dieshilft,einnormalesKörpergewicht zu erhalten und gleichzeitig die Akkumulation von viszeralem Fett zu reduzieren [25] . Die Limitierung der körperlichen Aktivität als Konsequenz der "Stay at home"-Politik ist wahrscheinlich assoziiert mit verschiedenen metabolischen Effekten, die das kardiovaskuläre Risikoprofil erhöhen. Es ist bekannt, dass viele vorteilhafte metabolische und kardiovaskuläre Veränderungen infolge von Sport innerhalb von 2 Wochen Inaktivität verloren gehen können [26] . So ist z. B. das plötzliche Unterbrechen einer regelmäßigen sportlichen Betätigung assoziiert mit einem rapiden Anstieg von Insulinresistenz im Muskelgewebe und einer Reduktion des Muskelglukoseumsatzes [27] . Daher ist es wichtig, nicht nur für die physische Gesundheit, sondern auch für die mentale, dass trotz der Maßnahmen eine ausreichende körperliche Aktivität aufrechterhalten wird [28] . Es bleibt abzuwarten, ob durch die Lockdown-Maßnahmen es tatsächlich zu einer relevanten Fehlernährung in unserer Gesamtbevölkerung gekommen ist bzw. einer relevanten Abnahme der körperlichen Aktivität, die dann im Endeffekt zu einem erhöhten kardiovaskulären Risikoprofil geführt haben bzw. führen werden, sollte es zu weiteren solchen Maßnahmen kommen. Durch die "Stay at home"-Maßnahmen und den damit verbundenen Einschränkungen der Aktivität und Mobilität unserer Bevölkerung ist ein erhöhtes VTE-Risiko durchaus denkbar. Inaktivität oder Immobilität zu Hause in kleinen Räumen oder lange Sitzzeiten sind mit einem erhöhten VTE-Risiko verbunden. Das Risiko einer längeren arbeits-und computerbedingten Immobilisation durch Sitzen in den letzten 6 Monaten wurde bei 200 Patienten mit TVT und/oder Lungenembolie in der Anamnese analysiert. Als Kontrollpopulation galten 200 Patienten der Traumatologie mit Verletzung der oberen Extremität [29] . Längere Immobilisation durch Sitzen in den letzten 28 Tagen vor dem Index-Ereignis wurde einmal als kategoreale Variable definiert: Mindestens 10 h Sitzen in einem Zeit- The measures to control the COVID-19 pandemic have far-reaching sequelae for the German healthcare system and our citizens. Since the implementation of the pandemic measures with a nationwide lockdown on 22 March 2020, so far some relevant aspects have already been described. This overview article gives a more detailed description of some aspects relevant for vascular medicine, e.g. emergency treatment, increase of the cardiovascular risk due to social distancing and the risk of venous thromboembolisms. Das Risiko einer längeren Unbeweglichkeit im Sitzen im Auto wurde nach dem Kumamoto-Erdbeben in Japan im April 2016 beschrieben [30] . Aufgrund des hohen Risikos von Nachbeben hatten viele Menschen Angst in ihre Häuser zurückzukehren und entschieden sich für die Evakuierung. Obwohl die meisten Menschen in bereitgestellt öffentliche Unterkünfte evakuiert wurden, waren viele Opfer gezwungen, in ihren Fahrzeugen zu übernachten. Das Auftreten von Lungenembolien war in der Gruppe derjenigen, die in ihren Fahrzeugen verblieben waren, signifikant höher. Dies betraf nicht nur ältere Menschen, sondern auch jüngere [31] . Die Autoren empfahlen, durch professionelle medizinische Teams in Verbindung mit den Massenmedien das Wissen über das erhöhte VTE-Risiko in solchen Situationen zu verbessern und das Bewusstsein für vorbeugende Maßnahmen zu schärfen. Die COVID-19-Pandemie führt weltweit zu einer hohen Inaktivitäts-und Immobilitätsrate -davon kann ausgegangen werden. Diese führt möglicherweise zu einem erhöhten Auftreten von VTE. Anderseits, entfällt -durch die globale Einschränkung des Flugverkehrs -das Risiko, eine VTE im Rahmen von Langstreckenflügen zu erleiden. Die globalen Auswirkungen der "Stay at home"-Politik auf das VTE-Risiko wurden bisher noch nie konkret adressiert. Wir glauben, dass Änderungen der Inaktivität und Immobilität aufgrund dieser Politik, die Menschen auffordert, langfristig zu Hause zu bleiben, das globale VTE-Risiko verändert und für Personen mit individuellen Risikofaktoren wie einer stattgehabten VTE oder für Personen mit akutem COVID-19, die zu Hause behandelt werden, relevant sein können. Die Leitlinien der American Society of Hematology [32] empfehlen, wie die meisten anderen Leitlinien auch, die VTE-Prophylaxe bei internistisch erkrankten ambulanten Patienten mit geringfügigen provozierenden Faktoren für eine VTE (Immobilität, geringfügige Verletzung, Krankheit, Infektion) nicht. Die Empfehlung hat eine niedrige Evidenz und wurde vor dem Hintergrund normaler Lebensbedingungen ausgesprochen. Die "Stay at home"-Politik mit langen Inaktivitäts-und Immobilitätsperioden großer Teile der Bevölkerung verändert die normalen Lebensbedingungen und erhöht unseres Erachtens nach allgemein das VTE-Risiko. Daher empfehlen wir -ähnlich wie die japanischen Kollegen nach dem Erdbeben in Kumamoto -im Rahmen der "Stay at home"-Politik auf vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung von VTE und insbesondere tödlichen Lungenembolien aufmerksam zu machen. Potential Indirect Effects of the COVID-19 Pandemic on Use of Emergency Departments for Acute Life-Threatening Conditions-United States Helios hospitals G. Emergencyhospitaladmissionsandinterventional treatments for heart failure and cardiac arrhythmias in Germany during the Covid-19 outbreak Insights from the German-wide Helios hospital network The effects of the COVID-19 pandemic and lockdown on routine hospital care for other illnesses Where are all the patients? Addressing Covid-19 fear to encourage sick patients to seek emergency care. NEJM Catalyst Innovations in Care Delivery 2020 Delayed access or provision of care in Italy resulting from fear of COVID-19 Acute Appendicitis During Coronavirus Disease 2019 (COVID-19): Changes in Clinical Presentation and CT Findings Alkohol und Rauchen: Die COVID-19-Pandemie als idealer Nährboden für Süchte The psychological impact of quarantine and how to reduce it: rapid review of the evidence Alcohol abuse/dependence symptoms among hospital employees exposed to a SARS outbreak Psychische Gesundheit und Covid-19 Consumer Panel FMCG März How will country-based mitigation measures influence the course of the COVID-19 epidemic? Effect of social distancing on COVID-19. Incidence Mortal Us Medrxiv Mental health status of people isolated due to Middle East Respiratory Syndrome The experience of SARS-related stigma at Amoy Gardens Kikwit Ebola outbreak: lessons hospitals and physicians can apply to future viral epidemics The impact of communications about swine flu (influenza A H1N1v) on public responses to the outbreak: results from 36 national telephone surveys in the UK Quarantine during COVID-19 outbreak: Changes in diet and physical activity increase the risk of cardiovascular disease Relationship between stress, eating behavior, and obesity Evolution of dietary antioxidants Fruit and vegetables in hypertensive women with asymptomaticperipheralarterialdisease Relationship between Mediterranean diet and asymptomatic peripheral arterial disease in a population of premenopausal women Cardiovascular disease resulting from a diet and lifestyle at odds with our Paleolithic genome: how to become a 21st-century hunter-gatherer Lifestyle at Time of COVID-19: How Could Quarantine Affect Cardiovascular Risk The role of physical activity in individuals with cardiovascular risk factors: an opinion paper from Italian Society of Cardiology-Emilia Romagna-Marche and SIC-Sport Exercise and acute cardiovascular events placing the risks into perspective: a scientific statement from the American Heart Association Council on Nutrition, Physical Activity, and Metabolism and the Council on A Longitudinal Relationship Between Depressive Symptoms and Development of Metabolic Syndrome: The CoronaryArteryRiskDevelopmentinYoungAdults Study Recommendations for Physical Inactivity and Sedentary Behavior During the Coronavirus Disease (COVID-19) Pandemic. Front Public Health Venous thromboembolism risk associated with protracted work-and computerrelated seated immobility: A case-control study Venous Thromboembolism Caused by Spending a Night in a Vehicle After an Earthquake (Night in a Vehicle After the 2016 Kumamoto Earthquake) Venous Thromboembolism Due to Oral Contraceptive Intake and Spending Nights in a Vehicle-A Case guidelines for management of venous thromboembolism: prophylaxis for hospitalized and nonhospitalized medical patients