key: cord-0696419-r3pit4zi authors: Spieß, Constanze title: »Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler« – Politische Kommunikation im Zeichen der Corona-Pandemie date: 2021-08-04 journal: Z Literaturwiss Linguistik DOI: 10.1007/s41244-021-00207-1 sha: 3497e47b97e66b0a1a00dfd7e78aaaefd3b2211c doc_id: 696419 cord_uid: r3pit4zi In the current COVID pandemic, the communication by political actors addressing the public is an important means to justify and legitimize political decisions. This contribution examines political communication aimed at the public at the example of addresses and government declarations by Chancellor of Austria Sebastian Kurz and Chancellor of Germany Angela Merkel during March 2020 and March 2021. When occasion and the intended goal of the actors’ speeches are same, clear differences become visible in the concrete linguistic realization of the addresses and government declarations, yet also similarities can be seen. The contribution focuses particularly on the argumentative structure, speech acts and associated practices of positioning and addressing as well as communicative strategies in order to elaborate both similarities and differences between the speeches. Zum Zeitpunkt des Abfassens dieses vorliegenden Beitrags herrscht die Pandemie seit mehr als einem Jahr auf der gesamten Welt und ein Ende ist vorerst noch nicht in Sicht, vielmehr hat die Pandemie trotz mittlerweile vorhandener Impfungen gegen das Virus die Welt fest im Griff. Die Pandemie stellt eine Herausforderung für das politische Handeln dar und schlägt sich sowohl im politischen wie auch gesellschaftlichen Bereich nieder. Der Sprache kommt dabei eine entscheidende Rolle zu, denn einschneidende soziale Ereignisse, politisches Handeln und staatliche Maßnahmen werden sprachlich vermittelt, bevor sie und indem sie in Kraft treten. Somit ist die Corona-Krise geprägt durch eine bis heute andauernde Krisenkommunikation. Dass die Situation im März 2020 von der Politik als sehr ernst eingestuft wurde, war unter anderem daran zu erkennen, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sich am Abend des 18.3.2020 in einer TV-Ansprache an die Bevölkerung Deutschlands zu Wort meldete. Bereits die Wahl des Kommunikationsformats, das Merkel ansonsten nur zum Jahreswechsel (und sonst nie) präferiert, sorgte nicht nur in den öffentlichen Medien für besondere Aufmerksamkeit, was sich unter anderem in der Diskussion über die TV-Ansprache der Kanzlerin sowohl im Vorfeld der Ansprache als auch danach medial niederschlug, sondern zeigte sich auch in den internetbasierten sozialen Netzwerken, auf denen die Rede positiv wie negativ kommentiert wurde. 2 Ein paar Tage zuvor, am 15.3.2020, wandte sich der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz ebenso in einer Fernseh-Ansprache an die »Österreicherinnen und Österreicher« 3 , um die bevorstehenden Maßnahmen zu verkünden 4 . Auch seine Rede wurde medial vielfach kommentiert und die Ansprache im TV galt ebenso als ungewöhnlich. Die Intentionen beider Reden waren gleich, ging es doch darum, die beschlossenen Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie zu begründen und an die Bevölkerung zu appellieren, die Maßnahmen zu befolgen, damit sich die Ausbreitung des Virus verlangsamt. Trotz gleicher Intentionen weisen die Ansprachen und Erklärungen Sebastian Kurz und Angela Merkel als politische Akteur:innen aus, die unterschiedlich mit der Thematik umgehen, was sich sprachlich an verschiedenen Phänomenen manifestiert. Beide Ansprachen gelten mittlerweile als historische Ansprachen an die Bevölkerung, die als besonders wahrgenommen wurden. Was im März 2020 noch niemand wusste, war, dass sich Ansprachen an die Bevölkerung und Regierungserklärungen im Kontext der Pandemie noch viele Male wiederholen würden, dass Angela Merkel und Sebastian Kurz bis heute immer wieder im Hinblick auf die Bewältigung der Pandemie sich an die Bevölkerung wenden sollten und die jeweils erste Ansprache der beiden dabei bis heute relevant ist. 5 Im Zentrum der sogenannten Krisenkommunikation steht aber immer ein zentrales Ziel, um das die hier untersuchten Reden und Erklärungen kreisen: die Eindämmung der Virusaktivität und die Erlangung der Kontrolle über das Virusgeschehen. Verbunden damit sind natürlich viele weitere thematische Aspekte (z.B. die Debatte um psychische Folgen von Einsamkeit oder die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, die Situation auf den Intensivstationen, die Impfkampagne, gefährliche Virusmutationen etc.), die in den Reden mehr oder weniger ausgeführt oder auch nur angedeutet werden. 2 So titelt beispielsweise ein Beitrag im Spiegel online vom 18.3.2021: »Hat Merkel in der Coronapolitik versagt? Ein Jahr nach der historischen TV-Ansprache« (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ merkels-corona-politik-ein-jahr-nach-der-historischen-tv-ansprache-podcast-spiegel-daily-a-ff497a38-cea1-4461-b1e1-c7bd9c929c47) (zuletzt aufgerufen am 18.3.2021). 3 Kurz adressierte in seiner Rede: Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Österreicherinnen und Österreicher! (vgl. Kurz 2020c) . 4 Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz haben das gleiche politische Amt inne und somit ist davon auszugehen, dass es ähnliche kommunikative Amtshandlungen gibt. Die beiden Länder Österreich und Deutschland gleichen sich zudem hinsichtlich des politischen und des sozialstaatlichen Systems. Das begründet, neben dem Gebrauch der deutschen Sprache, eine Vergleichbarkeit der Ansprachen hinsichtlich ihrer konkreten sprachlichen Ausprägungen. Der Vergleich wird zudem von der Annahme geleitet, dass -trotz formaler Ähnlichkeiten der beiden Länder und der gemeinsamen Landessprache-sich unterschiedliche Mentalitäten einerseits an der sprachlichen Oberfläche und andererseits in der semantischen Tiefenstruktur (beispielsweise durch Topoi und Metaphern) manifestieren. 5 Diese Relevanz zeigt sich unter anderem in der öffentlichen Thematisierung der Rolle der Ansprache, aber auch in den Rückbezügen der Protagonist:innen auf ihre ersten Ansprachen. Vgl. zur öffentlichen Thematisierung der Relevanz: (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/merkels-corona-politik-ein-jahrnach-der-historischen-tv-ansprache-podcast-spiegel-daily-a-ff497a38-cea1-4461-b1e1-c7bd9c929c47) (zuletzt aufgerufen am 18.3.2021). Kommunikation im Parlament auch als triadische Kommunikation beschrieben werden (vgl. Kühn 1995; Dieckmann 1985 9 ). Auch wenn sich im Kontext der Corona-Kommunikation zentrale Funktionen, sprachliche Handlungen, topische Muster und Strategien bei den hier untersuchten Reden/Ansprachen gleichen, unterscheiden sie sich hinsichtlich der Lokalität, der Adressatenorientierung und auch im Hinblick auf die jeweilige sprachliche Gestaltung oder die inhaltliche Schwerpunktsetzung. Während TV-Ansprachen und Podcasts primär die Bevölkerung eines Landes adressieren, sind Regierungserklärungen gerahmt vom parlamentarischen Setting. Sie sind sozusagen eingebunden in eine parlamentarische Debatte und bilden in den hier untersuchten Exemplaren den Ausgangspunkt für die parlamentarischen Auseinandersetzungen um die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Dementsprechend sind sie nicht nur an die (mediale) Öffentlichkeit adressiert, sondern haben auch die an der Debatte teilnehmenden Akteur:innen, also die Parlamentarier:innen als zunächst primäre Adressat:innen vor Augen (vgl. Burkhardt 2003 Burkhardt , 2005 Burkhardt , 2017 . Regierungserklärungen dienen dazu, Entscheidungen vor der Öffentlichkeit und der gegnerischen Partei zu erläutern und zu legitimieren. Sie gelten als Absichtsreden, die das Handeln bei einschneidenden Ereignissen begründen. Dementsprechend sind sie in ihrer dominanten Grundfunktion informativ-persuasiv ausgerichtet. Um von den Handlungen und Entscheidungen zu überzeugen, werden Argumente angeführt. Insofern handelt es ich auch um deutlich argumentativ strukturierte politische Reden. Stüwe (2005) bescheinigt der Regierungserklärung mehrere Funktionen. So sind Regierungserklärungen gekennzeichnet durch mindestens fünf Funktionen, die aber nicht immer in gleichem Maße realisiert sein müssen: die Informationsfunktion, die Appellfunktion, die Beziehungsfunktion (realisiert beispielsweise in den hier untersuchten Reden durch expressive Sprechhandlungen wie Dankesbekundungen), die Solidarisierungs-und Integrationsfunktion und die Funktion der Selbstdarstellung und Imagepflege (vgl. dazu Stüwe 2005, S. 153-242) . Ergänzend ist hier hinzuzufügen, dass die Informations-und Appellfunktion auch als informativ-persuasive Funktion (vgl. Girnth 2015) erfasst werden kann. In den Funktionen lassen sich auch die von Klein (1998) und Efing (2005) herausgearbeiteten kommunikativen Strategien wiederfinden, auf welche im vorliegenden Beitrag abschließend (Kap. 4) eingegangen wird. Alle Funktionen der Regierungserklärung finden sich auch in den Ansprachen von Merkel und Kurz, wenngleich die informativ-persuasive Information dominant ist, da es um die Überzeugung der Bevölkerung geht, die politischen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung mitzutragen. Untersuchungsgrundlage stellen 38 Texte dar, bestehend aus unterschiedlich umfangreichen Ansprachen, Regierungserklärungen und Pressestatements des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in einem Zeitraum von März 2020 bis März 2021 gehalten wurden. 10 Mit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 traten Angela Merkel und Sebastian Kurz vor die jeweilige Landesbevölkerung, um über die Maßnahmen, die die Ausbreitung der Pandemie verhindern sollten, zu informieren und diese schließlich auch zu legitimieren. Die in dem genannten Zeitraum realisierten Reden bzw. Ansprachen und Regierungserklärungen von Kurz und Merkel wurden im Hinblick auf topische Muster, Redehandlungen, Adressierungs-und Positionierungsphänomene sowie kommunikative Redestrategien untersucht. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, inwiefern sich die Ansprachen der politischen Akteur:innen unterscheiden und inwiefern sie Gemeinsamkeiten aufweisen, inwiefern sich aber auch die Ansprachen der einzelnen Akteur:innen im Laufe der Zeit hinsichtlich der eingesetzten sprachlichen Mittel verändert haben. Zentrale Themen der untersuchten Texte waren bis Jahresende 2020 sowohl bei Merkel als auch bei Kurz die politischen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, insbesondere die Kontakteinschränkungen, Lockdown-Maßnahmen, aber auch Wirtschaftshilfen und Förderinstrumente. Mit Beginn des Jahres 2021 zeigt sich eine Themenverlagerung bzw. -erweiterung. So war zu Beginn des Jahres für Kurz vor allem die Ausweitung von Corona-Teststrategien ein zentrales Thema und seit Ende Februar bestimmt die Thematik des Impfens die Pressekonferenzen. 11 Auch bei der deutschen Bundeskanzlerin zeigt sich in den Pressekonferenzen, Ansprachen und Regierungserklärungen seit Januar 2021 eine Fokussierung auf die Impfthematik und ab Februar gewinnt die Debatte um die Ausweitung von Teststrategien an Gewicht (vgl. Merkel 2021a, b, c, d, e) . 12 Die Analyse der Ansprachen und Regierungserklärungen hat gezeigt, dass bestimmte Redehandlungen (wie z.B. informieren, warnen, appellieren, feststellen, vermuten, versprechen) , Adressierungen, Selbstpositionierungen und Argumentationsmuster 14 (topische Muster) in Zusammenhang mit positiv bewerteten lexikalischen Einheiten 15 in allen Reden realisiert wurden und die sprachlichen Mittel unterschiedlicher Komplexitätsstufe im Dienst der komplexen sprachlichen Handlung des Argumentierens stehen. Die untersuchten Ansprachen und Erklärungen haben sämtlich eine argumentative Grundstruktur. Dabei treten verschiedene Argumenttypen musterhaft auf, was Klein (2014 Klein ( , 2019 auch als topische Muster bezeichnet. In den untersuchten Texten geht es darum, die beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu legitimieren und zu begründen, von den Maßnahmen zu überzeugen, aber auch darum, Zusammenhänge zu erläutern und zu erklären sowie auf handlungsleitende Prinzipien zu verweisen (vgl. Klein 2019) . Augenfällig in den hier untersuchten Ansprachen und Erklärungen ist, dass die Legitimation der Maßnahmen geprägt ist von einem Grundmuster des politischen Argumentierens, das aus einer Vernetzung verschiedener Argumenttypen besteht (vgl. hierzu Klein 2014 Klein , 2019 , die die Argumente für das den Ansprachen und Erklärungen zugrunde liegende politische Handeln bzw. für politische Entscheidungen liefern. So werden die Reden und Ansprachen situativ gerahmt durch das Anführen von Situationsdaten, was Klein (2014 Klein ( , 2019 unter dem Terminus Datentopos fasst. In den untersuchten Ansprachen handelt es sich um die Schilderung der pandemischen Situation. Neben der Schilderung der Situation erfolgt eine Bewertung der Situation, die die zu begründenden Handlungen motiviert, was in den untersuchten Texten beispielsweise durch die Bewertung der pandemischen Situation als ernst erfolgt (vgl. Beleg 25). Klein (2014 Klein ( , 2019 Im Folgenden wird auf die Spezifik der in den untersuchten Reden immer wieder auftauchenden topischen Muster näher eingegangen. Die Situierung in allen hier untersuchten Ansprachen und Erklärungen konstitutiert sich aus dem Bezug zur aktuellen Pandemiesituation, der wiederum aus einer Situationsdarstellung, einer Situationsdeutung und/oder einer Situationsbewertung bestehen kann. Diese Situierung kann Argumente für Handlungsbegründungen liefern. Die hier untersuchten Ansprachen und Regierungserklärungen sind ferner situativ gerahmt durch das jeweils besondere mediale Setting (TV, Video-Podcast, Facebook-Post oder Parlament). In den Ansprachen vom März 2020 findet sich sowohl bei Merkel als auch bei Kurz ein Bezug zur Pandemiesituation, der aber unterschiedlich realisiert wird. Beide beginnen ihre Rede an die Bevölkerung zunächst mit einer knappen Situationsbewertung (vgl. Belege 1 und 2). (1) Wir erleben eine Zeit der Herausforderung, eine Zeit der Krise, in der es wichtig ist, dass wir zusammenstehen (Kurz 2020a, 15 (Kurz 2020d (Kurz , 3.4.2020 Im Dienste der zentralen Zielformulierungen (Eindämmung des Virusgeschehens) sind alle anderen topischen Muster und Redehandlungen zu sehen. Der Konsequenzentopos wird angeführt, um auf positive wie negative Folgen der Einhaltung der politischen Maßnahmen hinzuweisen. So wird mit dem Konsequenzentopos auf Gefahren aufmerksam gemacht, wenn keine politischen Maßnahmen erfolgen oder die Maßnahmen nicht konsequent befolgt werden (Belege 18 und 19), aber es werden auch Erfolge, die aus einer konsequenten Umsetzung der Maßnahmen resultieren, benannt (Beleg 8). (18) Aber damit das auch so bleibt, müssen wir gemeinsam das exponentielle Wachstum abflachen und bremsen, sonst haben wir im Dezember 6.000 Neuinfizierte am Tag und drei Wochen später doppelt so viele. (Kurz 2020h, 18.10 .2020) (19) Deutschland hat ein exzellentes Gesundheitssystem, vielleicht eines der besten der Welt. Das kann uns Zuversicht geben. Aber auch unsere Krankenhäuser wären völlig überfordert, wenn in kürzester Zeit zu viele Patienten eingeliefert würden, die einen schweren Verlauf der Coronainfektion erleiden. (Merkel 2020a (Merkel , 15.3.2020 Auf Autoritäten wie Virolog:innen und Epidemiolog:innen wird verwiesen, um die Plausibilität der Maßnahmen wie Abstand halten, Maske tragen und Handhygiene zu begründen. (20) Aber wir müssen jetzt noch weiter gehen: Die Wissenschaft sagt uns klar: Die Ausbreitung des Virus hängt direkt an der Zahl der Kontakte, der Begegnungen, die jeder von uns hat. Wenn jeder von uns seine Begegnungen außerhalb der eigenen Familie jetzt eine Zeitlang deutlich verringert, dann kann es gelingen, den Trend zu immer mehr Infektionen zu stoppen und umzukehren. (Merkel 2020f und g, 17.10.2020 Dem Verweis auf die Autorität der Wissenschaft folgt in Beleg 20 direkt der Finaltopos, der noch einmal das Ziel benennt, die Infektionen zu stoppen, wobei der Appell, die Kontakte einzuschränken, die Erreichung des Ziels begründet, was sprachlich durch die Verwendung eines Konditionalgefüges realisiert wird. Dem Redeanlass entsprechend finden sich bei Merkel und bei Kurz appellative, expressive und informative sprachliche Handlungen, die in ihrem Zusammenspiel die Rede konstituieren und letztlich im Dienst der Handlungslegitimation der Einschränkungen (Kita-und Schulschließungen, Homeoffice, keine Veranstaltungen etc.) stehen und Teil der jeweiligen Begründungsmuster sind. Besonders gewichtig sind die appellativen Redehandlungen, da sie das Ziel der Ansprachen unterstützen. Informative Sprechhandlungen sind im Kontext der Situationsdarstellung relevant (vgl. Belege 21-23), sie fungieren aber auch innerhalb des Finaltopos in Beleg 24 als Argumente; der Finaltopos wird in diesem Beleg durch die Aussage unser großes Ziel muss natürlich sein, das zu verhindern realisiert, wobei mit der Pro-Form das auf die in den informativen Sprechhandlungen vorgebrachten Argumente rückverwiesen und so der Konnex hergestellt wird. Darüber hinaus bereiten informative Sprechhandlungen im Kontext der Situationsdarstellung Appellhandlungen wie damit das auch so bleibt, müssen wir gemeinsam das exponentielle Wachstum abflachen und bremsen vor (Beleg 18). Auch hier wird mittels der Pro-Form das auf die informativen Sprechhandlungen rückverwiesen. (21) Die Zahlen steigen also europaweit wieder rapide an. Mehr als eine halbe Million Menschen haben in der Europäischen Union bislang ihr Leben verloren, und der wirtschaftliche Schaden ist immens. (Merkel 2021c, 11.2 Corona-Impfstoff wird in Klosterneuburg hergestellt. Es freut mich, dass ein österreichisches Unternehmen damit entscheidend zur Eindämmung dieser weltweiten Pandemie beitragen wird. (Kurz, Presseaussendung, 27.11 .2020) (23) Wir müssen uns vor Augen führen, dass unser gesamtes Nachbarland Italien unter Quarantäne steht, dass es dort sterbende Menschen gibt, die sich von ihren Angehörigen nur noch telefonisch verabschieden können, weil die Ansteckungsgefahr zu groß ist, dass dort Ärzte entscheiden müssen, wen sie behandeln, weil die Kapazitäten in den Spitälern nicht mehr ausreichen, um alle zu behandeln, die Hilfe brauchen. (Kurz 2020a, 15.3 .2020) (24) Wir haben derzeit in Österreich rund 1.000 bis 1.500 Neuinfizierte pro Tag und wir haben die Situation, dass sich diese Zahl innerhalb von drei Wochen verdoppelt. Und unser großes Ziel muss natürlich sein, das zu verhindern. Zusammengefasst heißt das: Alle, die sagen, wir haben derzeit kein Problem auf der Intensivmedizin, die haben vollkommen recht. Aber damit das auch so bleibt, müssen wir gemeinsam das exponentielle Wachstum abflachen und bremsen, sonst haben wir im Dezember 6.000 Neuinfizierte am Tag und drei Wochen später doppelt so viele. (Kurz 2020h, 18.10.2020 Die informativen Sprechhandlungen im Kontext der Situationsdarstellung dienen der Vorbereitung der appellativen Sprechhandlungen und gleichzeitig geben sie Argumente zur Begründung der Maßnahmen. Sie sind vor dem Hintergrund des Finalund Konsequenzentopos zu sehen, die auf das Ziel der zu begründenden Handlungen wie auch auf die Konsequenzen des Handelns verweisen. Im Zentrum der Ansprachen und Erklärungen stehen Appellhandlungen, die unter anderem durch Imperative (Beleg 25), aber auch durch Bitten (Beleg 26) realisiert werden, also mal als explizite (Beleg 25), mal als indirekte Sprechakte (Belege 26, 27) formuliert werden. Die Appellhandlungen stehen sämtlich im Dienst des Finaltopos und des Konsequenzentopos (z.B. Belege 16, 17 und 27). (25) Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst. (Merkel 2020a, 18.3 .2020) (26) Und deswegen möchte ich Sie heute noch einmal eindringlich bitten: Halten Sie sich weiter streng an diese Regeln. Verzichten Sie weitest möglich auf Kontakte außerhalb des Kreises der Menschen, mit denen Sie zusammenwohnen [...] . Halten Sie Abstand. (Merkel 2020b 28.3 .2020) (27) Aber alles, was Menschen gefährden könnte, alles, was dem Einzelnen, aber auch der Gemeinschaft schaden könnte, das müssen wir jetzt reduzieren (Merkel 2020a (Merkel , 18.3.2020 Die Appellhandlungen erfolgen bei Angela Merkel einerseits durch die Hervorhebung des individuellen Handelns und der Hervorhebung der wichtigen Rolle jedes Einzelnen im Hinblick auf seine Verantwortung für die Gemeinschaft/ Gesellschaft/das kollektive Ganze. Lexikalische Einheiten wie wir, jede und jeder, Gemeinschaft, zusammen, unser, uns, gemeinsam, gegenseitig, einander, miteinander, beistehen verweisen somit auf das Spannungsfeld von Individuum und Gesellschaft. Andererseits formuliert Merkel die Appelle bzw. Aufforderungen mit einem inkludierenden wir müssen. Sprachlich zeigt sich hier in der jeweils ersten Ansprache ein Unterschied zwischen den Ansprachen von Sebastian Kurz und Angela Merkel in der Verwendung der lexikalischen Einheiten, die die Appellfunktion unterstützen (vgl. Tab. 2). Das verwendete Vokabular, das auf das Spannungsverhältnis von Individuum und Gesellschaft verweist, hat einen wesentlichen Anteil an der in den Ansprachen realisierten Persuasionsfunktion einerseits. Andererseits wird damit auch eine Solidarisierungs-und Integrationsfunktion realisiert, die im Dienst der Legitimation der pandemiebedingten Einschränkungen steht. Ziel der Reden ist es ja, Gemeinschaft zu erzeugen, um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen bzw. die Ausbreitung des Virus zu verhindern und möglichst viele Bürgerinnen und Bürger davon zu überzeugen und für die veranlassten Maßnahmen einzunehmen. Aus diesem Grund erfolgt die besondere Hervorhebung der Rolle des Einzelnen für die Gemeinschaft. (28) Dazu möchte ich Sie und uns alle gerade heute -zum 1. Advent und zu Beginn der Weihnachtszeit -einmal mehr ermutigen. Zeigen wir Menschen weiter, was in uns steckt, indem wir uns auch jetzt -im Winter, vor Weihnachten, zum Jahreswechsel -an die Regeln halten, die für uns alle gelten. Weil wir erleben werden, dass es sich lohnen wird. Weil wir so gemeinsam stärker sein werden als das Virus. (Merkel 2020k, 28.11.2020 Dadurch dass sich die politischen Akteur:innen mit der Verwendung der Pronomen wir und uns oder des hier als Adverb genutzten Adjektivs gemeinsam (Beleg 28) mehr oder weniger als Teil der Bevölkerung positionieren, möchten sie von der Relevanz der Maßnahmen überzeugen. Die mit dem verwendeten Vokabular (vgl. Tab. 2) zugleich realisierte Solidarisierungs-und Integrationsfunktion steht damit im Dienst der Persuasion. Besonders deutlich zeigt sich das auch durch die Verwendung von wir müssen. Die Appelle Merkels und von Kurz, die Maßnahmen zu befolgen, werden unter anderem mit einem inkludierenden wir in Kombination mit dem Verb müssen realisiert (Beleg 29 und 30), das in seiner kontextuellen Semantik auf die Notwendigkeit der Maßnahmen oder gar auf einen äußeren Zwang verweist. 20 (29) Aber alles, was Menschen gefährden könnte, alles, was dem Einzelnen, aber auch der Gemeinschaft schaden könnte, das müssen wir jetzt reduzieren. Wir müssen das Risiko, dass der eine den anderen ansteckt, so begrenzen, wie wir nur können. (Merkel 2020a, 18.3 (Merkel 2020a (Merkel , 18.3.2020 . In den Podcasts wechselt Merkel dann zwischen der Anrede »Guten Tag« (Merkel 2020b 28.3.2020), »Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger« (Merkel 2020e, 20.6.2020 Merkel 2020f, 17.10.2020 .2020) oder gar keiner direkten Anrede. In den Regierungserklärungen adressiert sie direkt mit der Anrede »Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!« (Merkel 2021e, 25.3.2021 , indirekt ist hier natürlich auch die massenmediale Öffentlichkeit und damit auch die Bevölkerung im Sinne der triadischen Kommunikation (vgl. Kühn 1995; vgl. Dieckmann 1985; vgl (39) Wir alle in der Bundesregierung sind uns dessen bewusst, dass das massive Einschränkungen für jeden Einzelnen sind, aber diese Schritte sind notwendig, um die Gesundheit der österreichischen Bevölkerung zu verteidigen und um insbesondere die ältere Generation in unserem Land zu schützen. (Kurz 2020a, 15 .3.2020) Auf den ersten Blick weisen die untersuchten Reden und Erklärungen hinsichtlich des Gegenstandes und der Struktur große Ähnlichkeiten auf. So ist für die meisten Reden ein Zusammenspiel bestimmter topischer Muster zur Handlungsbegründung zu konstatieren. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch Unterschiede in der konkreten sprachlichen Ausgestaltung, die letztlich auch eine unterschiedliche Realisierung für die im Bereich der Politik typischen sprachlichen Strategien bewirkt. So konstituieren die im vorliegenden Beitrag analysierten sprachlichen Phänomene in ihrem Zusammenspiel die Profilierungs-, Prolongierungs-, die Aufwertungs-und Abwertungsstrategie sowie die Ausgrenzungsstrategie. 25 Bei beiden politischen Akteur:innen kommen die Profiliierungsstrategie, die Prolongierungsstrategie und die Aufwertungsstrategie vor. Die Profilierungsstrategie zeigt sich unter anderem darin, dass sich Kurz und Merkel als aktiv in der Bewältigung der Krise darstellen und sich zugleich als um die Sorgen und Nöte der 22 In der Rede vom 15.3. wird in 8 von 18 Fällen mit der Wir-Verwendung auf die Regierung referiert. 23 Kurz (2020d) . 24 Merkel (2020c) . 25 Efing (2005) hat für Wahlkampfsituationen Strategien herausgearbeitet, die sich z.T. auch in den vorliegenden und untersuchten Reden finden lassen, obwohl es sich nicht um eine Wahlkampfsituation handelt. Funding Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL. Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/ licenses/by/4.0/deed.de. Bundeskanzler Sebastian Kurz, 16. Sitzung, XXVII. GP des NR Weitere drastische Einschränkungen in Österreich Die Rede des Kanzlers zum Coronavirus im Wortlaut Erklärung von Bundeskanzler Sebastian Kurz an den Nationalrat zur aktuellen Entwicklung zum Coronavirus Erklärung von Bundeskanzler Sebastian Kurz an den Nationalrat zu COVID-19 Rede von Bundeskanzler Sebastian Kurz zu 75 Jahre Republik Österreich Erklärung von Bundeskanzler Sebastian Kurz zur aktuellen Lage und ein Ausblick auf den Herbst Die Lage in Österreich ist ernst Fernsehansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel Transkript Audio-Podcast »Corona« Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel Transkript Podcast »Corona/Pfingsten« Video-Podcast »Je mehr mitmachen, desto größer der Nutzen Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel Transkript Podcast »Digitaler Bürgerdialog: Pflege« Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel Transkript Podcast »Pandemiebekämpfung« Transkript Podcast Transkript Podcast »Pandemiebekämpfung« Transkript Podcast »Bürgerdialog Familien« Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel Die Entschuldigung Merkels im Wortlaut Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel Merkel: Idee der Osterruhe war ein Fehler Quellen aus dem Internet Beratungs-und Parteitagsrede. In: Armin Burkhardt (Hg Das Parlament und seine Sprache. Studien zu Theorie und Geschichte parlamentarischer Kommunikation Deutsch im demokratischen Parlament. Formen und Funktionen der öffentlichen parlamentarischen Kommunikation. In: Jörg Kilian (Hg Thomas Niehr/Jörg Kilian/Martin Wengeler (Hg.): Handbuch Sprache und Politik. Bd. 2. Bremen: Hempen Verlag Wie redet man ›zum Fenster hinaus‹? Zur Realisierung des Adressatenbezugs in öffentlich-dialogischer Kommunikation am Beispiel eines Redebeitrags Brandts Rhetorik in der Demokratie. Argumentation und Persuasion in politischer (Wahl-)Werbung. In: Jörg Kilian (Hg Eine Einführung in die linguistische Analyse öffentlich-politischer Kommunikation Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikonteil Textsorten im Bereich politischer Institutionen Politische Rede. In: Gert Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 6. Tübingen: Niemeyer Topik und Frametheorie als argumentations-und begriffsgeschichtliche Instrumente, dargestellt am Kolonialdiskurs. In: Josef Klein (Hg Redegattungen/Textsorten der politischen Rhetorik und ihre Charakteristika. Ein Überblick. In: Armin Burkhardt (Hg Mehrfachadressierung. Untersuchungen zur adressatenspezifischen Polyvalenz sprachlichen Handelns Wirus oder: Was es heißt, solidarisch zu sein Politische An-und Rücktrittsreden. In: Armin Burkhardt (Hg.): Handbuch Politische Rhetorik Rhetorik der Erinnerung -Die Fest-und Gedenkrede als politische Textsorte Wahlkampfrede. In: Armin Burkhardt (Hg »Passen Sie gut auf sich und Ihre Liebsten auf« und »Vive la France!« -Linguistische Anmerkungen zu den TV-Ansprachen von Merkel und Macron Die Rede des Kanzlers. Regierungserklärungen von Adenauer bis Schröder