key: cord-0686147-4sf0ocjg authors: Schröder, Johanna; Bruns, Emily; Schoon, Wiebke; Briken, Peer; Schöttle, Daniel title: Veränderungen sexueller Interessen und Erfahrungen während der COVID-19-Pandemie - Eine qualitative Inhaltsanalyse date: 2021-03-30 journal: Psychotherapeut (Berl) DOI: 10.1007/s00278-021-00506-5 sha: 2a36c1b9c3885be6438263e4f6557267ca45dcd1 doc_id: 686147 cord_uid: 4sf0ocjg BACKGROUND: Contact restrictions imposed to slow the spread of the coronavirus disease 2019 (COVID-19) pandemic affect people’s social lives at various levels as well as their mental and sexual health. OBJECTIVE: The present study aimed to assess changes in sexual interests and experiences of residents in Germany during the first wave of social contact restrictions in early 2020. MATERIAL AND METHODS: In an anonymous online survey, answers to an open question regarding changes in sexuality due to contact restrictions were collected and subjected to Mayring’s qualitative content analysis. RESULTS: The changes reported by 248 participants could be subsumed under the categories “sexual desire and arousability”, “relationship”, “sexual activities”, “sexual interests and attitudes”, “virtual sexual activities”, “dating” and “sexual problems and dysfunctions”. CONCLUSION: Social distancing rules and restrictions brought about by the COVID-19 pandemic have led to changes in sexuality and relationships, which should be considered in sexual and couple therapy settings. den weitreichenden beruflichen (z. B. Umstellung auf Homeoffice), familiären (z. B. ungleiche Arbeitsbelastung für Eltern durch Kita-und Schulschließungen) und finanziellen Veränderungen (z. B. Kurzarbeit, Arbeitsplatzverlust). Es liegt nahe, dass derartige das Privatleben beeinflussende Maßnahmen und deren direkte und indirekte Folgen sich auf zwischenmenschliche Kontakte sowohl positiv wie auch negativ auswirken können. Es finden sich international erste Studien zu diesem Thema, die aufgrund methodischer Unterschiede zwar nur eingeschränkt miteinander vergleichbar sind, jedoch einen interessanten Einblick in die Auswirkungen von sozialen Einschränkungen geben, wie sie im Nachkriegsdeutschland bisher noch nie vorgekommen sind: In einer Online-Studie (n = 1588) mit hauptsächlich weiblichen, heterosexuellen und weißen US-Amerikaner_innen wurde im Erhebungszeitraum vom 21.03.2020 bis zum 14.04.2020 -gegen Ende März 2020 hatten mehr als die Hälfte der US-Staaten eine häusliche Isolation ("stayat-home order") verhängt -von 44 % der Teilnehmer_innen eine Abnahme sexueller Aktivitäten seit Beginn der Pandemie berichtet (Lehmiller et al. 2020) . Dieser Trend spiegelte sich in den Ergebnissen einer italienischen Studie (n = 89) an Probandinnen ca. 4 Wochen nach Einführung der "Social-distancing"-Regeln wider (Schiavi et al. 2020) . In einer Stichprobe verheirateter türkischer Frauen (n = 58) wurden hingegen eine signifikante Zunahme der sexuellen Kontakte während der Pandemie (Erhebungszeitraum: 11.03.2020-12.04.2020) und gleichzeitig ein negativer bewertetes sexuelles Erleben im Vergleich zu 6 bis 12 Monaten vor der Pandemie festgestellt (Yuksel und Ozgor 2020) . Vorläufige Ergebnisse einer Untersuchung englischund spanischsprachiger Stichproben (n = 279) im März und im April 2020 lieferten wiederum keine Hinweise auf eine durchschnittliche Veränderung der Frequenz von sexuellen Kontakten, wobei 10 % dieser Proband_innen eine erhöhte Masturbationsfrequenz berichteten (Ibarra et al. 2020) . In einer internationalen Studie (n = 4813) aus 7 EU-Ländern und der Türkei von Mai bis Juli 2020 berichteten 53 % der teilnehmenden zusammenlebenden Personen in Partnerschaften keine Veränderungen ihres sexuellen Verlangens, 28,5 % von einer Steigerung und 18,5 % von einer Reduktion ihres sexuellen Verlangens, wobei sich dieses Muster ähnlich über die Ergebnisse der 8 teilnehmenden Länder zeigte (Stuhlhofer et al. in Revision) . In der beschriebenen USamerikanischen Studie wurde von neu adaptierten sexuellen Aktivitäten (z. B. Sexting, neue Stellungen) während der Kontaktbeschränkungen berichtet, was im Zusammenhang mit jüngerem Alter, eigenem Wohnraum, Stress und Einsamkeit sowie einer erlebten Verbesserung der eigenen Sexualität stand (Lehmiller et al. 2020) . Veränderungen in den partnerschaftlichen und familiären Beziehungen wurden in einer spanischen, vornehmlich weiblichen Stichprobe (n = 407) während der ersten 3 Wochen des staatlich verordneten "Lockdowns" (häusliche Quarantäne, geschlossene Bildungseinrichtungen und Ausgangssperren mit Ausnahme von Versorgung und Arbeit) überwiegend (62 %) als positiv erlebt, z. B. durch gesteigerte emotionale Intimität (Günther-Bel et al. 2020) . Kinderlose Paare berichteten über eine bessere Partnerschaftsqualität als Paare mit Kindern, die eine bessere Beziehungsqualität zu ihren Kindern als zueinander beschrieben (Günther-Bel et al. 2020) . Häufige auf die "coronavirus disease 2019" (COVID-19) bezogene Partnerschaftskonflikte (z. B. vermehrte Konflikte, Anspannung und Beziehungsprobleme) waren in einer US-amerikanischen Studie (n = 742) im April 2020 mit Abnahmen sexueller Aktivitäten sowie des Austausches von Zärtlichkeiten in der Partnerschaft assoziiert (Luetke et al. 2020) . Es wird vermutet, dass die Kontaktbeschränkungen im sozialen Leben zu einer Verlagerung sexueller Aktivitäten auf virtuelle Ebenen führen können und beispielsweise der Konsum pornografischen Materials ansteigt (weltweit um 11,6 % am 17.03.2020 im Vergleich zum Vorjahr; Pornhub 2020). Die aktuelle Forschung zu den Themen Kontaktbeschränkungen und Sexualität präsentiert bislang zwar vielfältige, aber auch heterogene Ergebnisse. Ziel der aktuellen Studie ist es, die bisherigen quantitativen Studien um eine qualitative Untersuchung zu den Veränderungen sexueller Interessen und Erfahrungen während der COVID-19bedingten Kontaktbeschränkungen in einer deutschen Stichprobe zu ergänzen. Bereichen "sexuelles Verlangen und Erregbarkeit", "Partnerschaft", "sexuelle Aktivitäten", "sexuelle Interessen und Einstellungen", "virtuelle sexuelle Aktivitäten", "Dating" und "sexuelle Probleme und Funktionsstörungen" beschrieben. Schlussfolgerung. Die Kontaktbeschränkungen im Rahmen der COVID-19-Pandemie führten zu sexuellen und partnerschaftlichen Veränderungen, die in Sexual-und Paartherapiesettings beachtet werden sollten. Sexuelle Gesundheit · Physische Distanzierung · Soziale Beziehungen · Dating · Intimität Background. Contact restrictions imposed to slow the spread of the coronavirus disease 2019 (COVID-19) pandemic affect people's social lives at various levels as well as their mental and sexual health. Objective. The present study aimed to assess changes in sexual interests and experiences of residents in Germany during the first wave of social contact restrictions in early 2020. Material and methods. In an anonymous online survey, answers to an open question regarding changes in sexuality due to contact restrictions were collected and subjected to Mayring's qualitative content analysis. Results. The changes reported by 248 participants could be subsumed under the categories "sexual desire and arousability", "relationship", "sexual activities", "sexual interests and attitudes", "virtual sexual activities", "dating" and "sexual problems and dysfunctions". Conclusion. Social distancing rules and restrictions brought about by the COVID-19 pandemic have led to changes in sexuality and relationships, which should be considered in sexual and couple therapy settings. Die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring brachte 7 verschiedene Oberkategorien an Veränderungen sexueller Interessen und Erfahrungen hervor: "sexuelles Verlangen und Erregbarkeit", "Partnerschaft", "sexuelle Aktivitäten", "sexuelle Interessen und Einstellungen", "virtuelle sexuelle Aktivitäten", "Dating-Verhalten" und "sexuelle Probleme und Funktionsstörungen". Im Folgenden werden diese näher beschrieben. Die am häufigsten benannten Veränderungen sexueller Interessen und Erfahrungen während der Covid-19-Pandemie bezogen sich auf "sexuelles Verlangen und/oder Erregbarkeit" (. Tab Verlangens nach Nähe, Intimität und/ oder Körperkontakt ab, seltener auch eine diesbezügliche Aversion: "Anfangs [habe ich] körperliche Nähe zu anderen als unangenehm empfunden" (Z5). Ein kleinerer Teil der Proband_innen gab eine Veränderung, zu drei Vierteln eine Zunahme, in der Masturbationsfrequenz an. Seltenere Angaben in dieser Oberkategorie bezogen sich auf gesteigerte Erregbarkeit ("Zufällige leichte Berührungen . . . haben mich teilweise schon erregt, selbst wenn die Person gar nicht attraktiv für mich war"; Z111), eine Veränderung der Reize, die als erregend wahrgenommen werden (". . . vllt. einige spezifische Sachen wurden weniger attraktiv, die anderen eher mehr"; Z120) sowie die veränderte Bedeutung von Masturbation (zur Ablenkung und gegen Langeweile). Die zweithäufigste Oberkategorie thematisierte Veränderungen in Partner- Eine quantitative Veränderung (überwiegend eine Steigerung) zwischenmenschlicher sexueller Aktivitäten ging aus etwas mehr als der Hälfte der diesbezüglichen Angaben hervor (. Tab. 4). Eine Veränderung der Qualität wurde seltener angegeben, wovon drei Viertel eine Verbesserung empfanden. Der Großteil der restlichen Angaben bezog sich auf eine Abnahme oder Verschlechterung bestimmter sexueller Aktivitäten (weniger sexuelle Aktivitäten außerhalb fester Partnerschaften, erschwertes Kennenlernen neuer Sexpartner_innen und Ausleben von Sexualität, gesteigerte sexuelle Frustration bei ausbleibender Befriedigung sexuellen Verlangens, weniger Sexpart-ner_innen). Wenige Personen berichteten von neuen Sexpartner_innen. Weiterhin berichteten einige Teilnehmer_innen über eine veränderte Motivation für sexuelle Handlungen ("Man hat den Partner 24/7 gesehen, da war das sexuelle Zusammenkommen eher spannungslösend"; Z248) und Veränderungen in der Sexroutine ("Durch Homeschooling und mehr Aufmerksamkeit und Unsicherheiten der Kinder wurden allerdings sexuel- le Handlungen mehr in die Abend-und Nachtstunden verlagert"; Z135). Als häufigste Unterkategorie von Veränderungen in sexuellen Interessen und/ oder Einstellungen wurde eine veränderte Frequenz, meist Zunahme, sexueller Fantasien benannt (. Tab. 5). Inhaltlich betrachtet kam es bei den Fantasien ebenfalls zu Veränderungen (z. B. softere Fantasien, Zunahme nicht ausgelebter sexueller Interessen). Ferner schilderten einige Teilnehmer_innen eine intensivere Beschäftigung mit den Themen Sexualität und/oder Partnerschaft. Das Thema Sexualität nahm in einem kleinen Teil der Stichprobe einen höheren Stellenwert ein, und es wurde von mehr sexueller Experimentierfreude berichtet. Ein Proband berichtete von Insuffizienzgefühlen in seiner männlichen Rolle: "Ich habe in der Krise einen vollständigen Rückzug sämtlicher Personen erlebt, an denen ich intimes Interesse gehabt hätte, und das Gefühl, als Mann vollständig nutz-und funktionslos zu sein" (Z124). Als eine weitere Oberkategorie bildeten sich Veränderungen im Dating-Verhalten heraus (. Tab. 7). Proband_innen berichteten von mehr Zurückhaltung im Dating allgemein sowie in Bezug auf sexuelle Kontakte zu fremden Personen, was beispielsweise auf eine "innere Blockade" (Z137) oder ein schlechtes Gewissen aufgrund der Kontaktbeschränkungen zurückgeführt wurde. Weiterhin wurde von durch die Kontaktbeschränkungen bedingten Hürden berichtet, potenzielle Partner_innen auf sozialen Events kennenzulernen. Als eine weitere Veränderung wurde eine offenere Haltung gegenüber Online-Dating genannt: "Ichbinoffenergeworden(vielleichtauch weniger kritisch oder misstrauisch) in Bezug auf Online-Dating" (Z25). Zwei Personen informierten über eine Belastung durch die Zunahme ihres sexuellen Verlangens und eine durch dessen Abnahme. Erregungs-und Orgasmusprobleme wurden von je einer Person berichtet ("[Ich habe] seit einigen Wochen leichte Erektionsprobleme, die vorher nicht existierten"; Z149; . Tab. 8). Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass etwa drei Viertel der befragten Personen während der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen Veränderungen in ihren sexuellen Interessen und Erfahrungen erlebt haben. In- Limitierend soll hervorgehoben werden, dass die vorliegende Stichprobe nicht repräsentativ ist. Die vorliegende Stichprobe erwies sich beispielsweise als überdurchschnittlich gebildet, großstädtisch und aus Singles bestehend. Es ist anzunehmen, dass eher sexuell aufgeschlossene Menschen oder diejenigen mit einem in diesem Bereich vorhandenen Leidensdruck sich zur Teilnahme an der Studie bereit erklärt haben. Zudem sind Antworttendenzen nach sozialer Erwünschtheit möglich. Des Weiteren kann die verwendete qualitative Analyse zwar dem Anspruch gerecht werden, Hypothesen über relevante Kategorien zu generieren, nicht jedoch über deren klinische Relevanz, wofür eine quantitative Folgestudie angemessen wäre. In künftigen Studien wäre es sinnvoll, die gewonnenen Kategorien in einer möglichst repräsentativeren Stichpro-be zu quantifizieren und Moderatoren für die beschriebenen Veränderungen herauszuarbeiten, um zu klären, ob diese beispielsweise durch bestimmte Geschlechter oder Beziehungskonzepte prädiziert werden. Die vorliegenden Ergebnisse ergänzen die bisher insgesamt noch sehr inhomogene Datenlage zu pandemiebedingten Veränderungen von sexuellen Interessen und Erfahrungen und bieten weitere Anhaltspunkte, welche Konfliktbereiche in Therapie-und Beratungssettings angesprochen werden können. Da sexuelle Probleme in der Praxis ohnehin zu selten angesprochen werden, Patient_innen sich aber die aktive Ansprache wünschen, sollten beratende und psychotherapeutisch Tätige wissen, welche Änderungen durch die Pandemie zu erwarten sein könnten. Hier hat sich durch die offene Frage in dieser Studie eine Reihe neuer Erkenntnisse gezeigt, die über die bisherigen quantitativen Studien hinausgehen. Mit dem Ziel, die sexuelle und psychische Gesundheit zu fördern, empfiehlt es sich, Sexualität in der alltäglichen Praxis routinemäßig anzusprechen (Dekker et al. 2020 ) und beispielsweise ökonomische Screeninginstrumente für sexuelle Dysfunktionen einzusetzen (Briken et al. 2020 ). Estimating the prevalence of sexual dysfunction using the new ICD-11 guidelines-results of the first representative, population-based German Health and Sexuality Survey (GeSiD) Health, sexual activity, and sexual satisfaction-selected results from the German Health and Sexuality Survey (GeSiD) A mixed-method study of individual, couple, and parental functioning during the stateregulated covid-19 lockdown in Spain Impact of the COVID-19 pandemic on the sexual behavior of the population. The vision of the east and the west Less sex, but more sexual diversity: changes in sexual behavior during the covid-19 coronavirus pandemic Romantic relationship conflict due to the covid-19 pandemic and changes in intimate and sexual behaviors in a nationally representative sample of American adults Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. Beltz, Weinheim; Basel Pornhub (2020) Coronavirus insights Love in the time of COVID-19: Sexual function and quality of life analysis during the social distancing measures in a group of Italian reproductive-age women Changes in sexual interest and distress about discrepant sexual interest during COVID-19 pandemic: A crosscultural assessment in cohabitating partnered individuals Effect of the COVID-19 pandemic on female sexual behavior Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. 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