key: cord-0498514-j50ysp2q authors: Priesemann, Viola; Bodenschatz, Eberhard; Ciesek, Sandra; Grill, Eva; Iftekhar, Emil N.; Karagiannidis, Christian; Karch, Andr'e; Kretzschmar, Mirjam; Lange, Berit; Muller, Sebastian A.; Nagel, Kai; Nassehi, Armin; Pletz, Mathias W.; Prainsack, Barbara; Protzer, Ulrike; Sander, Leif Erik; Schuppert, Andreas; Schobel, Anita; Uberla, Klaus; Watzl, Carsten; Selbstorganisation, Hajo Zeeb Max-Planck-Institut fur Dynamik und; Gottingen,; Frankfurt, Universitatsklinikum; Goethe-Universitat,; Frankfurt,; Informationsverarbeitung, Institut fur Medizinische; Epidemiologie, Biometrie und; Munchen, Ludwig-Maximilians-Universitat; Munchen,; Koln-Merheim, Lungenklinik; Herdecke, Universitat Witten; Munster, Westfalische Wilhelms-Universitat; Munster,; Utrecht, University Medical Center; Utrecht,; Niederlande, Die; Epidemiologie,; Infektionsforschung, Helmholtz-Zentrum fur; Braunschweig,; Verkehrstelematik, Fachgebiet Verkehrssystemplanung und; Berlin, Technische Universitat; Berlin,; Soziologie, Institut fur; Krankenhaushygiene, Institut fur Infektionsmedizin und; Jena, Universitatsklinikum; Jena,; Politikwissenschaft, Institut fur; Wien, Universitat; Wien,; Osterreich,; Virologie, Institut fur; Munchen, Technische Universitat Munchen Helmholtz Zentrum; Pneumologie, Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und; Berlin, Charit'e - Universitatsmedizin; Aachen, RWTH Aachen Universitatsklinikum; Aachen,; Wirtschaftsmathematik, Fraunhofer-Institut fur Techno- und; Mathematik, Kaiserslautern und Fachbereich; Kaiserslautern, TU; Institut, Virologisches; Erlangen, Universitatsklinikum; Erlangen,; Arbeitsforschung, Leibniz Institut fur; Dortmund, TU; Dortmund,; Epidemiologe-BIPS, Leibniz Institut fur Praventionsforschung und; Bremen, title: Nachhaltige Strategien gegen die COVID-19-Pandemie in Deutschland im Winter 2021/2022 date: 2021-11-10 journal: nan DOI: nan sha: 165067e449e38af8612f2caa49d795b621a8f183 doc_id: 498514 cord_uid: j50ysp2q In this position paper, a large group of interdisciplinary experts outlines response strategies against the spread of SARS-CoV-2 in the winter of 2021/2022 in Germany. We review the current state of the COVID-19 pandemic, from incidence and vaccination efficacy to hospital capacity. Building on this situation assessment, we illustrate various possible scenarios for the winter, and detail the mechanisms and effectiveness of the non-pharmaceutical interventions, vaccination, and booster. With this assessment, we want to provide orientation for decision makers about the progress and mitigation of COVID-19. fortgeschrittenes Alter und eine Grunderkrankung ein erhöhtes Risiko eines schweren Verlaufs haben, ist der Schutz inzwischen deutlich niedriger, und dadurch wird auch die Belastung der Krankenhäuser durch diese Gruppe wieder zunehmen. Eine rasche Dritt-Impfung dieser recht großen Gruppe, sowie all jener, die Kontakte zu vulnerablen Personen haben, reduziert die erwartete Belastung des Gesundheitssystems deutlich. Eine deutliche Reduktion der Infektionsdynamik wird aber erst mit Hilfe wirklich flächendeckender Dritt-Impfungen erreicht werden können. Nötig ist hierzu allerdings eine erhebliche Beschleunigung des Impftempos für die Dritt-Impfungen: Da seit Ende Mai ca. 7 % der Bevölkerung pro Woche zweit-geimpft wurden, wäre nun die gleiche Impfgeschwindigkeit bei der Dritt-Impfung 5-6 Monate später möglich und sinnvoll. Simulationen zeigen, dass eine Booster-Kampagne mit dieser Impfgeschwindigkeit bereits nach einem Monat erste Wirkung zeigen wird. Bis ein ausreichender Teil der Bevölkerung geboostert und geimpft ist, bedarf es in der aktuellen Situation zudem deutlicher und wirksamer Maßnahmen zur Überbrückung, wenn die Intensivstationen nicht stark überlastet werden sollen. Hier sind die bekannten AHA+LA Regeln, sowie konsequent durchgesetzte und flächendeckende Regeln und Testkonzepte im Arbeits-und Freizeitbereich wichtig und hilfreich. Eine vermehrte Testung als alleinige Maßnahme wird zur Durchbrechung der beginnenden Winterwelle wohl nicht reichen. Die Wirksamkeit möglicher Maßnahmen beschreiben wir im Detail im Text. Jedoch sind das nur Überbrückungsmaßnahmen, da sie das Problem der zu hohen Ausbreitungsgeschwindigkeit nicht direkt adressieren, sondern es stattdessen der "natürlichen Immunisierung" durch Infektion überlassen. Die "natürliche Immunisierung" schreitet jedoch deutlich langsamer voran als das Impfen es könnte, und ist auch mit einer erheblichen Krankheitslast verbunden. Insofern erscheint ein schnelles und umfassendes Impfen und Boostern als die wirksamste Methode um die aktuelle Welle bald zu brechen und das Pandemiegeschehen nachhaltig zu kontrollieren. deutliche Kontaktbeschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen nicht so stark abgeschwächt, hätte es -ähnlich wie in England -deutlich mehr Todesfälle gegeben. Immunisierung der Bevölkerung und "Herdenimmunität". Zu Beginn der Pandemie sind wir davon ausgegangen, dass der R-Wert unter Eins sinken wird, wenn ungefähr 70% der Bevölkerung immun sind. Das wird manchmal auch als "Herdenimmunitätsschwelle" bezeichnet. Warum ist das jetzt doch nicht der Fall? Der Grund liegt darin, dass die jetzt vorherrschende Delta-Variante sehr viel ansteckender ist als die Ursprungsvariante zu Beginn der Pandemie und dass auch Geimpfte oder Genesene -wenn auch seltenersich noch infizieren und das Virus weitergeben können. Es müssen also deutlich mehr Personen immun sein (sei es durch Impfung oder nach einer Infektion), um auch ohne Aufrechterhaltung von zusätzlichen Maßnahmen die Inzidenz niedrig zu halten. Diese Situation hat weitreichende Konsequenzen. Zunächst betrifft das die Ungeimpften. Denn die meisten aus dieser Gruppe werden sich unweigerlich anstecken. Sind weiterhin 20-30% der Bevölkerung nicht geschützt, kommt es in dieser Gruppe zu entsprechend vielen schweren Verläufen und Todesfällen. Zudem bleibt das Gesundheitssystem wegen COVID-19 dauerbelastet (und je nach zeitlichem Verlauf auch überlastet), so dass auch die Versorgung aller anderen Patient*innen eingeschränkt wird. Spätestens bei einer deutlichen Überlastung der Krankenhäuser werden weitergehende Einschränkungen notwendig -mit den bekannten Konsequenzen für unsere Gesellschaft. Schutz nach durchgemachter Infektion hat in Deutschland bisher nur geringfügig zur Herdenimmunität beigetragen. Die heftigen Infektionswellen während der letzten ca. 1,5 Jahre haben die Krankenhäuser erheblich belastet und in dieser Zeit regional zu einer deutlichen Übersterblichkeit geführt -obwohl sich nur 10-15 % der Bevölkerung infiziert haben (siehe oben). Das zeigt, dass eine sogenannte "natürliche Immunisierung" der Bevölkerung -also eine Immunisierung als Folge einer SARS-CoV-2-Infektion -keine realistische Option zur Erreichung einer Herdenimmunität gewesen wäre. Hingegen können wir mit Impfungen 5 % der Bevölkerung je Woche immunisieren. Für die Mehrheit derjenigen Menschen, die sich dauerhaft gegen eine Impfung entscheiden, wird es unweigerlich zu einer Infektion kommen, die mit den bekannten altersentsprechenden Risiken für schwere Verläufe, Komplikationen und Tod einhergeht. Eine Überlastung des Gesundheitssystems ist damit in erheblichem Maße davon abhängig, wie viele Personen geimpft sind und in welchem Zeitraum sich die bisher ungeimpften Menschen -und insbesondere Ungeimpfte über 60 Jahre -infizieren. Inzidenzen und Neuaufnahmen auf die Intensivstationen sind weiterhin sehr eng korreliert. Aktuell werden etwa 0,8-0,9 % aller positiv getesteten Personen intensivpflichtig. Dieser Faktor ändert sich nur langsam mit der Zeit und lässt sich gut aus den Daten schätzen. Dadurch ist die Inzidenz ein hilfreicher Frühwarnindikator, selbst wenn man die Dunkelziffer oder Impfquote nicht ganz genau kennen sollte. Hohe Inzidenzen werden die Intensivstationen überlasten. Trotz des Impffortschritts gibt es noch mehr als 3 Millionen Menschen über 60 Jahre und über 11 Millionen zwischen 18 und 59, die nicht geimpft sind. Ein kleiner Anteil hiervon ist genesen. Allerdings lässt die Immunität sowohl bei Geimpften als auch bei Genesenen mit der Zeit nach. Dadurch besteht eine sehr hohe Anzahl Menschen, für die eine SARS-CoV-2-Infektion gefährlich ist. Im Falle einer Infektion muss zum Beispiel eine ungeschützte Person im Alter von 60 mit 2-3 % Wahrscheinlichkeit auf einer Intensivstation behandelt werden. Eine Person, die 20 Jahre jünger ist, hat ein knapp 10 mal geringeres Risiko. Wenn sich alle bisher ungeschützen Menschen in diesem Winter infizieren würden, hätten wir mindestens 3 mal mehr Personen auf den Intensivstationen als es im gesamten letzten Winter der Fall war. Grippe, RSV und andere Erreger bringen zusätzliche Belastung. Im Winter 2020/21 gab es aufgrund der Maßnahmen gegen die Ausbreitung von SARS-CoV-2 kaum Infektionen mit Influenza oder mit anderen Atemwegserregern, die potenziell schwere Erkrankungen verursachen können. In der Spitze der letzten starken Influenzawelle 2018 lagen zeitgleich etwa 3.000 Patient*innen auf der Intensivstation. Sollte sich dies im Winter 2021/22 wiederholen, käme dies noch zu der aktuell stark steigenden Zahl an COVID-19 Erkrankten hinzu. Für Frühgeborene, Säuglinge und Kleinkinder führt eine Infektion mit dem Respiratorischen Synzytial Virus (RSV) und anderer Erreger aus der Gruppe der Paramyxoviren und Picornaviren relativ häufig zu symptomatischen und auch schwereren Verläufen mit notwendiger Sauerstoff-oder sogar Intensivbehandlung. Da RSV-und andere Infektionen der Säuglinge und Kinder im letzten Jahr nicht stattgefunden haben, holen jetzt viele Kinder Erstinfektionen nach. 3 Dies führt bereits aktuell zu einer sehr deutlichen Belastung der pädiatrischen Gesundheitssysteme, während der Effekt von COVID-19 hier geringer ist. Die AHA+LA Maßnahmen, die gegen die Ausbreitung von SARS-CoV-2 schützen, reduzieren noch effektiver die Ausbreitung von Influenza, RSV und anderer Viren und können diese Wellen auch im kommenden Winter reduzieren oder -wie in 2020/21 weltweit -sogar komplett vermeiden. Eine Erstinfektion mit RSV lässt sich dabei -anders als die Grippeerkrankungen dank Impfung -nicht grundsätzlich verhindern, sondern nur verzögern. Genau da setzen die AHA+LA Maßnahmen an. Der doppelte Nutzen der Impfung. Impfungen gegen COVID-19 schützen nicht nur die geimpfte Person vor Ansteckung und schwerer Erkrankung. Sie reduzieren auch die Übertragung des Virus von Geimpften auf deren Kontaktpersonen, da geimpfte Personen sich seltener anstecken und typischerweise für kürzere Zeit infektiös sind. Es ist für die gesamte Übertragungskette, und für die Verhinderung der Überlastung des Gesundheitssystems wichtig, beide Schutzwirkungen zu beachten. Der Schutz gegen Ansteckung ist sehr gut, lässt aber mit der Zeit nach. Anfangs beträgt der Schutz durch Impfung rund 90 %, das heißt, eine geimpfte Person hat eine circa 10 mal geringere Wahrscheinlichkeit, sich selbst anzustecken. Selbst wenn sich die geimpfte Person ansteckt, ist das Risiko, dass diese das Virus auf eine andere Person überträgt, nochmal zusätzlich reduziert. Insgesamt ergibt sich dadurch für kürzlich Geimpfte eine ca. 20-fach geringere Wahrscheinlichkeit das Virus zu übertragen als für ungeimpfte Personen. Das ist sehr viel. Nach rund 5 Monaten liegt der Schutz durch die Impfung noch bei 50 % bis 70 %, die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken ist also nur noch um etwa einen Faktor 2-3 reduziert. (Die genauen Werte hängen von Impfstoff, Alter, Virusvariante und anderen Aspekten ab.) Das Nachlassen des Impfschutzes ist einer der Gründe, warum die Fallzahlen derzeit steigen. Auch der Schutz gegen einen schweren Verlauf lässt mit zunehmendem Abstand zur Impfung nach, wenn auch auf höherem Niveau (anfangs rund 98 % bei Comirnaty, nach 5 Monaten 90 %, er sinkt also von Schutzfaktor 50 auf einen Schutzfaktor von 10). 4 Dieser Schutz kann durch eine dritte Impfung deutlich erhöht werden. Auch natürliche Infektionen nach einer Impfung können den Schutz verbessern. Genesene Personen haben wahrscheinlich einen ähnlich guten Schutz vor einer Infektion wie Geimpfte. Durch eine Impfung von Personen, die bereits eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, lässt sich der Schutz nochmal steigern, so dass dieser dann auch den Schutz bei vollständig geimpften Personen deutlich übersteigt. Ungeimpfte Personen, aber auch diejenigen mit nachlassendem Immunschutz, tragen zur Pandemie bei. Keine Impfung schützt zu 100 %, auch die gegen COVID-19 nicht. Das ist genauso wie kein Medikament mit 100 % Sicherheit wirkt, oder -an einem Alltagsbeispiel verdeutlicht -der Airbag im Auto nicht 100 % vor einer Verletzung im Fall eines Unfalls schützt. Es ist möglich, dass eine geimpfte Person sich ansteckt, wenn auch weniger wahrscheinlich als bei einer ungeimpften Person. Die Zahl der Durchbruchsinfektionen wird häufig als ein Versagen der Impfung interpretiert. Hierbei wird jedoch nicht beachtet, dass die Gruppe der Geimpften deutlich größer als die Gruppe der Ungeimpften ist. Die Schutzwirkung der Impfung ist weiterhin erheblich. Laut Robert-Koch-Institut beträgt der Schutz vor Krankenhausaufnahme in der Kalenderwoche 40-43 2021 ca. 89 % (Alter 18-59 Jahre) bzw. ca. 85 % (Alter ≥60 Jahre) und der Schutz vor Behandlung auf Intensivstation ca. 94 % (Alter 18-59 Jahre) bzw. ca. 90 % (Alter ≥60 Jahre). 5 Wenn sich eine ungeimpfte Person infiziert, führt das im Mittel zu einer etwa 3-10 mal höheren Belastung der Krankenhäuser, als wenn sich eine Person trotz Impfung infiziert. Man sieht das auch in den nach Impfstatus separat dargestellten aktuellen Inzidenzen. Deshalb sprechen Krankenhäuser auch manchmal von einer Pandemie der Ungeimpften. Diesen Effekt sieht man in allen Altersklassen. Gleichzeitig würde die jüngere Hälfte der Bevölkerung die Intensivstationen alleine nicht überlasten, da die Wahrscheinlichkeit, schwer zu erkranken, je 20 Jahre an Alter auch um einen Faktor 3-10 zunimmt. Für die Krankenhausbelastung sind 20 Jahre Altersunterschied also ähnlich wie der Unterschied zwischen geimpft und nicht geimpft. Könnte man daraus schliessen, dass es egal ist, ob jüngere Personen sich infizieren? Abgesehen vom ethischen Aspekt, dass Kinder unter 12 Jahren noch keine gute Möglichkeit haben sich zu schützen, ist ein zweiter Aspekt sehr wichtig: Für die Ausbreitung, und damit für die Inzidenz in allen Altersgruppen, spielt die Impfung eine entscheidende Rolle. Ein Stabilisieren der Fallzahlen ist bei hoher Inzidenz noch schwieriger als bei niedriger Inzidenz. Manchen Menschen denken intuitiv, dass wir mehr Kontakte (oder "Freiheiten") haben können, wenn wir in Kauf nehmen, dass die Krankenhäuser voll sind. Das gängige Argument ist, dass man für den Schutz einiger Menschen nicht solche belastenden Einschränkungen akzeptieren sollte. Hier liegt aber ein Missverständnis vor, solange eine Überlastung der Krankenhäuser droht. Lässt man die Fallzahlen steigen, bis die Krankenhäuser überlastet sind, muss man spätestens dann den R-Wert auf 1 stabilisieren. Das Stabilisieren braucht bei hohen Fallzahlen genauso viele Vorsichtsmaßnahmen, wie bei niedrigen Fallzahlen, solange die "natürliche Immunisierung" nur sehr wenig beiträgt. Es geht dann darum, dass der effektive R-Wert 1 sein muss, also dass jede Person nur so viele Kontakte hat, dass maximal eine Person infiziert wird, sollte die Person unwissentlich infiziert sein. Über kurz oder lang wird also im Prinzip jede Person mit dem Virus in Kontakt kommen. Die Entscheidung, die jede Person trifft, ist, ob sie sich vorher durch Impfung schützt oder nicht. Dadurch, dass bisher nicht genug Menschen geschützt sind, kann man die Vorsichtsmaßnahmen noch nicht vollständig aufheben, ohne die Krankenhäuser deutlich zu überlasten. Muss also in Zukunft jeden Herbst aufs Neue geimpft werden? Das wissen wir noch nicht. Es hängt davon ab, wie lange der Schutz gegen einen schweren Verlauf anhält und ob die Gefahr besteht, dass zu viele Personen gleichzeitig erkranken. Zur Pandemiebekämpfung stehen inzwischen viele Instrumente zur Verfügung, welche weiter unten im einzelnen diskutiert werden. Im Folgenden werden daraus einige mögliche Szenarien entwickelt, die exemplarisch mögliche Kombinationen von Instrumenten und daraus resultierende Konsequenzen aufzeigen. Annahmen: Die Inzidenz steigt weiter mit einem R-Wert von 1,2 und bremst sich nur sehr langsam durch weitere freiwillige Einschränkungen und vermehrte Vorsicht einzelner Menschen ab. Es gibt keine anderen Maßnahmen als im Oktober 2021 in Deutschland. Das Impfen und "Boostern" durch Dritt-Impfungen schreitet mit der aktuellen Rate von knapp 1,5 % geimpften Personen pro Woche voran. Konsequenzen: Die Wochennzidenz steigt auf viele hundert je 100.000. Die Impf-bzw. Boosterquote ist nach 7 Wochen um +10 % höher. Die "natürliche Immunisierung" erreicht insgesamt nach sieben Wochen rund +10 % (variabel, abhängig von der Inzidenz). Diese verbesserte Immunität (+20 %) in der Bevölkerung wird durch eine nachlassende Immunantwort in den anderen Teilen der Bevölkerung reduziert. Die Immunität ist also insgesamt etwas verbessert. Ob sie ausreicht, um die Infektionsdynamik deutlich zu reduzieren, wird regional verschieden sein. In Regionen, die schon jetzt 80 % Geimpfte haben, könnte es ausreichen. Trotzdem sind die Krankenhäuser vor allem wegen der vulnerablen und ungeschützten Personen überlastet. Es kommt lokal wahrscheinlich zu Verzögerungen und Engpässen bei der Krankenversorgung und Versorgung der Notfälle. Spätestens dann muss man über eine Änderung der Strategie nachdenken. Kurz: Nicht-Entscheiden ist auch eine "Strategie" und würde wahrscheinlich zu einer Überlastung des Gesundheitssystems führen. Annahmen: Als Maßgabe für die Maßnahmen wird die Belastungsgrenze des Gesundheitssystems genutzt. Das heißt, zusätzlich zu den Hygienemaßnahmen wie AHA+LA, 2G/3G gibt es weitere Einschränkungen, evtl. lokal angepasst, wenn das Gesundheitssystem überlastet ist. Tritt eine Entlastung ein, werden diese Maßnahmen wieder gelockert. Konsequenzen: Die Wocheninzidenz steigt weiter an, bis die zusätzlichen Maßnahmen ihre Wirkung zeigen, kann aber schlussendlich stabilisiert und evtl. auch reduziert werden. Die Inzidenz liegt typischerweise bei einigen hundert Infizierten je 100.000. Es gibt einen gewissen Booster-und Impffortschritt, sowie etwa 1 % natürliche Immunisierung je Woche. Ist das Boostern und Impfen zügig, kann es nach einigen Wochen ausreichen, um die Maßnahmen (regional) etwas zu lockern. Die Krankenhäuser sind deutlich und langfristig belastet und es kann lokal zu Engpässen kommen. Die genaue Entwicklung hängt stark von der Umsetzung der Maßnahmen ab. Wenn die Prämisse ist, erst am Limit der Gesundheitsversorgung deutlich die Maßnahmen zu verstärken, dann ist die Regulierung schwierig, da es keinen Spielraum gibt. Kurz: Insbesondere der Impf-bzw Boosterfortschritt bestimmt die notwendigen Maßnahmen. Bis die Immunisierung ausreichend hoch ist, können verstärkte Maßnahmen und Teststrategien die Inzidenz stabilisieren. Die Belastung im Gesundheitssystem ist jedoch beträchtlich und wird wegen der großen Anzahl ungeschützter Personen, der langen Liegezeiten gerade von jüngeren Patient*innen und wegen der nur langsam nachlassenden Inzidenz auch noch eine Weile hoch bleiben. Szenario: "Impf-und Booster-Offensive" Grundlage: Da die Wirkung der Impfung gegen einen schweren Verlauf und gegen Ansteckung mit der Zeit nachlässt, sind derzeit insbesondere die vulnerablen Personen, die früh geimpft wurden, nicht mehr so gut geschützt. Eine Dritt-Impfung erhöht den Schutz gegen schweren Verlauf und Ansteckung nochmal um ca. einen Faktor 10. Das ist beträchtlich. In Israel haben sich rund 50 % der Menschen boostern lassen. Das war ausreichend, um die Welle dort zu brechen. In Deutschland könnte man sehr wahrscheinlich eine ähnliche Wirkung erzielen. Je schneller man also boostert, desto früher kann die Welle gebrochen werden. Die aktuelle Impfgeschwindigkeit reicht dafür bei weitem nicht aus. Würde es gelingen, rund 7 % der Bürger*innen pro Woche zu boostern, wären vor Weihnachten 50 % der Menschen wesentlich besser geschützt. Solange nicht ausreichend Impfmöglichkeiten bestehen, empfiehlt die STIKO eine klare Priorisierung. Zur Beschleunigung der Impfungen helfen sehr niedrigschwellige Impfangebote, mobile Impfteams, Impfen bei Betriebsärzten, sowie möglicherweise Impfangebote in Geschäften oder Apotheken, begleitet von klarer Kommunikation auch über lokale Influencer. Um 50 % zügig zu erreichen, müsste die sechs-Monatsgrenze der Auffrischung weniger strikt ausgelegt werden. Parallel zum Boostern kann auch die noch nicht geimpfte Bevölkerung niedrigschwellig erreicht werden. Wirkung: Das Boostern von 50 % der Bevölkerung kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Welle aller Voraussicht nach zu brechen. Die Wirkung wird sich sukzessive in der Inzidenz und auch der Aufnahme auf die Intensivstation zeigen. Der Immunschutz ist dann hoch genug, um mit Basismaßnahmen über den Winter zu kommen. Kurz: Boostern ist eine sehr wirksame Maßnahme zum Brechen der aktuellen Welle. In den Szenarien zeigt vor allem das Impfen und Boostern eine nachhaltige Wirkung. Andere Maßnahmen dienen der Überbrückung. Hierbei ist zu beachten: • Not-Schutzschalters wesentlich geringer, als die durch leichtere, aber ungleich längere Beschränkungen. Der Lockdown-light im Winter 2020/2021 war im Gegensatz zu einem Not-Schutzschalters weder effektiv noch zielführend. Wegen der hohen negativen gesundheitlichen und edukativen Folgen für Kinder und Jugendliche sowie der erhöhten Belastungen für Eltern (und hier insbesondere für Mütter) sollten Schulschließungen dabei nur als ultima ratio erwogen werden, es sei denn sie wären für eine Entlastung des pädiatrischen Gesundheitssystems notwendig. Es ist unklar, ob ein Not-Schutzschalter notwendig wird. Aber es wäre trotzdem hilfreich, schon jetzt einen klaren Plan zu entwickeln, ihn frühzeitig anzukündigen und mögliche Kollateralschäden präventiv abzufangen. Wichtig ist es deshalb auch, solche Maßnahmen vorab verfassungsrechtlich und ethisch prüfen zu lassen, und eine klare Kommunikationsstrategie zu haben. Sollte ein Eingreifen notwendig werden, dann sollte man sich nicht auf das Schließen von Schulen und Betreuungseinrichtungen beschränken, da die Belastung stark ist, und da es alleine wesentlich weniger wirksam ist als zusammen mit den oben aufgeführten Maßnahmen. Ein kurzer aber intensiver "Not-Aus" an Kontakten in allen Bereichen für kurze Zeit (zwei Wochen) ist ungleich wirksamer und entlastet das System durch die starke Reduktion deutlich länger als zwei Wochen. Masken spielen eine wesentliche Rolle um das Ansteckungsgeschehen zu reduzieren. Zum einen schützen Masken andere Personen: Der Fremdschutz ist extrem hoch, da die großen Tropfen in der Maske bleiben und die kleinen Aerosole stark reduziert werden. Zudem brechen die Masken den Ausatem-Jet und verteilen die Aerosole diffusiv im Raum. Daher ist es unwahrscheinlich die Ausatemluft einer Person, die eine Maske trägt, direkt einzuatmen. Ganz anders ist es, wenn die Person keine Maske trägt. Bei der Delta-Variante ist das Ansteckungsrisiko im Atem-Jet einer infizierten Person sehr hoch, man kann sich beim Einatmen des Atem-Jets schon nach wenigen Minuten anstecken. Masken führen auch zu einem erheblichen Eigenschutz. Eine Person-zu-Person Übertragung in nächster Nähe, wenn beide eine FFP2 Maske tragen, ist massiv reduziert im Vergleich zu einer Situation ohne Maske (mindestens Faktor 10; bei sehr gutem Sitz der Maske wird eine Ansteckung extrem unwahrscheinlich). In einem Raum können sich im Raumvolumen infektiöse Aerosole anreichern. Lüften oder Luftfiltern reduziert das Risiko einer Ansteckung um ca. einen Faktor 4. Trägt man noch eine Maske dazu schützt man sich um einen Faktor 10-100. Zur Illustration: Nimmt man an, die Wahrscheinlichkeit sich ohne Lüften und Masken anzustecken ist 100%, dann reduziert sich die Wahrscheinlichkeit mit Lüften auf ca 25%. Trägt man zudem eine Maske, ist sie verschwindend gering. Wie oben erläutert, ist es ein sehr wahrscheinliches Szenario, dass Krankenhäuser und vor allem Intensivstationen diesen Winter erneut an ihre Kapazitätsgrenzen kommen. Um mit einer solchen eingetretenen Situation bestmöglichst umzugehen, sollten bereits im Vorhinein gewisse Vorbereitungen getroffen werden. Denn wenn Ressourcen knapp werden, müssen diese so gerecht und effizient wie möglich eingesetzt werden. Advanced Care Planning entlastet das Gesundheitssystem sowie Patient*innen und ihre Angehörigen. Mit Advanced Care Planning (ACP) wird die vorausschauende Versorgungsplanung beschrieben. ACP soll es Menschen ermöglichen, sich mit ihrer zukünftigen medizinischen Versorgung auseinanderzusetzen und diese möglichst so zu planen, dass sie den eigenen Erwartungen, Wünschen und Wertvorstellungen entspricht (z.B. über eine Patientenverfügung). Die Vorstellungen zur Versorgung in der letzten Lebensphase sind sehr unterschiedlich; während einige Menschen eine auch invasive Behandlung "bis zum letzten Atemzug" wünschen, gibt es andere, die bestimmte etwa intensivmedizinische Maßnahmen für sich ablehnen. Aus Patient*innenenperspektive empfiehlt es sich deswegen in jedem Fall, auch während einer Pandemie, klar zu benennen, ob ggf. eine Aufnahme auf eine Intensivstation oder eine invasive Beatmung überhaupt gewünscht wird. Dies erscheint umso dringlicher, je absehbarer wird, dass ggf. Engpässe in der Versorgung entstehen. In einer solchen Situation leidet absehbar die Versorgungsqualität und Entscheidungen sind ggf. nicht mehr nur Patient*innen-zentriert, sondern müssen in der Notlage überindividuelle Entscheidungskriterien berücksichtigen. 19 Müssen wir weiterhin mit noch ansteckenderen Virusvarianten rechnen? Die Delta-Variante des SARS-CoV-2 ist eine sehr weit optimierte Variante des Virus, die mehrere Mutationen so vereint, dass sie sehr ansteckend geworden ist. Sie kann dadurch, dass sie sich im Körper schneller ausbreiten kann, auch dem Impfschutz besser entgehen als die ursprüngliche Variante. Es besteht die Frage, ob das Virus sich weiter verändern kann und uns dadurch neue Probleme bereitet. Ein Virus muss sein Genom immer so stabil halten, dass alle Funktionen, die es zur Vermehrung braucht, aufrecht erhalten werden; d.h., die Möglichkeit an Variationen ist limitiert. Die Tatsache, dass sich immer wieder SARS-CoV-2-Varianten durchsetzen, die ähnliche Veränderungen tragen, zeigt deutlich, dass die Variations-Fähigkeit des Virus limitiert ist, und es nicht möglich ist, endlos neue Varianten auszubilden. Eine neue Virusvariante wird sich nur durchsetzen, wenn sie einen Vorteil hat, d.h., sich entweder schneller ausbreitet oder der Immunantwort besser entgehen kann. Stärker krank zu machen ist per se kein Vorteil für ein Virus, sondern eher ein Nachteil. Denn diejenigen, die schwerer krank sind, sind weniger mobil und stecken dadurch andere weniger häufig an. Es ist aber sehr gut möglich, dass sich in Zukunft Varianten entwickeln werden, die eine Immunantwort besser umgehen. Ob in Zukunft alle Personen oder bestimmte Personengruppen regelmäßig eine Auffrischungsimpfung brauchen, können wir noch nicht absehen. Dafür brauchen wir Daten zu wiederholten Infektionen. Diese Daten liegen derzeit noch nicht vor, aber es ist zu erwarten, dass wir nach diesem Winter hierzu mehr Kenntnisse haben. Das ist keine triviale Frage. Man muss hier mindestens drei Dimensionen unterschieden: (1) eine medizinische/virologische/epidemiologische Dimension, (2) eine mentale und habituelle Dimension und (3) eine politisch-rechtliche Dimension. Die medizinische Dimension spricht eine klare Sprache: Die Pandemie ist nicht vorbei. Es scheint so zu sein, dass die pandemische Lage irgendwann verschwindet, die Existenz des Virus aber nicht beendet werden kann und sich COVID-19 zu einer unter anderen Infektionskrankheiten entwickeln wird. Es wird dann weiterhin ein dichtes Monitoring-Netzwerk, eine Reihe von Nachimpfungen und entsprechend Forschung notwendig sein. Das verweist auf die zweite Dimension. Derzeit ist eine nachlassende Aufmerksamkeit im Alltagshandeln dem Virus gegenüber zu beobachten. Lockerungen der Verhaltensstandards und größere Resistenz gegen die Krankheit führt fast automatisch dazu, dass sich sorgloseres Verhalten habitualisiert, was nachvollziehbar und auch wünschenswert ist. Zugleich wird es in dieser Situation schwieriger, Maßnahmen aufrechtzuerhalten oder sogar wieder zu verstärken. Gegen diese Trägheit gesellschaftlicher Routinen muss sich nun das Monitoring der Krise durchsetzen. Der Wunsch, dass die Pandemie weitgehend beendet sei, steht damit der Notwendigkeit gegenüber, die Aufmerksamkeit auf einem hohen Level zu belassen. In der dritten Dimension führt das unweigerlich zu Zielkonflikten und zu inkonsistenter Kommunikation. Die Menschen scheinen es leid zu sein, mit weiteren Maßnahmen konfrontiert zu werden, was zugleich die Notwendigkeit von Maßnahmen erhöht. Dieser Zirkel verweist darauf, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist. Bezogen auf die Zukunft muss erwartet werden, dass die Pandemie zu einem Ende gekommen sein wird, wenn die Maßnahmen gegen die Pandemie (Einführung von lokalen bzw. bereichsspezifischen Schutzmaßnahmen, fortgesetzte Impfungen) so routinisiert sind, dass sie unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle verlaufen. Routinen dienen dazu, Entscheidungen semantisch möglichst wenig sichtbar zu machen. Das gilt im übrigen auch für die Erhöhung der Impfbereitschaft, bei der einfache Zugänge mindestens eine genauso große Rolle spielen dürften wie Informationskampagnen und professionalisierte Kommunikationsstrategien, wie wir sie u.a. vom Beginn der AIDS-Aufklärung etwa kennen. Wann eine vollständige Beendigung von nicht-freiwilligen Maßnahmen denkbar ist, ist derzeit nicht abzusehen. Dies in den Winter hinein überhaupt zu diskutieren, ist völlig unrealistisch, muss aber das Ziel für die Zeit nach dem Winter sein. Wie sehr dies von einer erfolgreichen Erhöhung der Impfbereitschaft und der logistischen Planung weiterer Impfwellen abhängig sein wird, sollte deutlich geworden sein. Dann ist mit der folgender Reduktion bei der erwarteten Anzahl Infektionen zu rechnen für 2G versus 3G: Annahme Faktor 3 Reduktion: ⅔ * ⅓ + ⅓ =5/9 = 0.55 → etwas halb so viele Infektionen bei 2G statt 3G Annahme Faktor 4 Reduktion: ⅔ * 1/4 + ⅓ =3/6 = 0.5 → halb so viele Infektionen bei 2G versus 3G. Annahme Faktor 10 Reduktion: ⅔*1/10 + ⅓ =12/30 = 0.4 → etwas halb so viele Infektionen bei 2G statt 3G Explizit: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine geimpfte Person positiv getestet ist Frankfurter Allgemeine Zeitung Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation Die Niederlande Berit Lange, Epidemiologie, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung Fraunhofer-Institut für Techno-und Wirtschaftsmathematik (ITWM) Leibniz Institut für Arbeitsforschung (IfADo)