key: cord-0078379-i5t6h30v authors: Gornig, Martin; Holtemöller, Oliver; Kooths, Stefan; Schmidt, Torsten; Wollmershäuser, Timo title: Gemeinschaftsdiagnose: Ohne russisches Gas droht eine scharfe Rezession in Deutschland date: 2022-05-20 journal: Wirtschaftsdienst DOI: 10.1007/s10273-022-3187-3 sha: 0176170e6e02dae7d364c6a824ff5f1f83eec04b doc_id: 78379 cord_uid: i5t6h30v The German economy is steering through difficult waters. Tail winds from fading pandemic restrictions, supply-side bottlenecks in the aftermath of the coronavirus crisis, and shock waves caused by the war in Ukraine are dragging the economy in opposing directions. The common factor is the price-driving effect. Abruptly stopping gas deliveries from Russia to the European Union would drive the German economy into a deep recession. In this case, the accumulated loss of overall economic output would amount to 220 billion euro by the end of 2023. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat der Westen -darunter alle EU-Mitgliedsländer -umfangreiche Sanktionen gegen die Russische Föderation in Kraft gesetzt, von dem allerdings der Rohstoff handel bislang weitgehend ausgenommen ist, insbesondere Erdgas. Im Zuge der Zuspitzung des Konfl ikts steht zunehmend die Möglichkeit im Raum, dass die Lieferungen für Erdöl und Erdgas von einer der beiden Seiten gestoppt werden. In ihrem Frühjahrsgutachten 1 haben die Institute den Fall eines sofortigen Lieferstopps in einem Alternativszenario abgebildet. Anders als im Basisszenario, bei dem die Erholungskräfte im Zuge des Abklingens der Pandemie mehr und mehr die Oberhand gewinnen, würde die deutsche Wirtschaft 2023 in eine scharfe Rezession geraten. Die mit der abfl auenden Pandemie einhergehende wirtschaftliche Erholung wird insbesondere durch die kontakt intensiven Dienstleistungsbereiche getragen. Dort können mit dem Wegfall der meisten Infektionsschutzmaßnahmen die Kapazitäten wieder stärker genutzt werden. Zugleich dürfte die Nachfrage rege sein, auch weil viele Dienstleistungen über längere Zeit entbehrt werden mussten. Zudem haben die privaten Haushalte während der Pandemie Überschussersparnisse von rund 200 Mrd. Euro gebildet, weil sie ihre gewohnten Verbrauchsmuster pandemiebedingt nicht beibehalten konnten. Das hohe Ausmaß an weltweit aufgestauter Kaufkraft wirkt belebend auf die Konjunktur und dürfte einen Gutteil des derzeitigen Infl ationsdrucks erklären. Zu diesem Infl ationsdruck hat die Finanzpolitik beigetragen, indem sie während der Pandemie die privaten Einkommen in erheb-1 Vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2022a). lichem Umfang stabilisiert hat. Flankierend wirkte eine ultralockere Geldpolitik, die auch jetzt kaum gegensteuert -aktuell senkt die in die Höhe geschnellte Infl ation die ohnehin negativen Realzinsen nochmals deutlich. Im Zuge der Pandemie wurden die internationalen Lieferketten erheblich gestresst. In der Folge war auch die deutsche Industrie mit Materialengpässen historischen Ausmaßes konfrontiert, während sich die Nachfrage ausweislich des regen Auftragseingangs bereits kräftig erholt hatte. Insgesamt dürfte sich der Auftragsüberhang im Verarbeitenden Gewerbe mittlerweile auf 100 Mrd. Euro belaufen. Zwar ist die Industrieproduktion seit fünf Monaten wieder aufwärtsgerichtet, gleichwohl belasten Lieferengpässe weiterhin die industrielle Aktivität. Im März dürfte die Produktion sogar infolge ausbleibender Zulieferungen aus der Ukraine deutlich nachgegeben haben. Hohe Nachfrage bei gehemmtem Angebot macht sich in stärkerem Preisdruck geltend. In dem Maße, wie Lieferengpässe nach und nach überwunden werden, lassen die Nachholeff ekte auch in der Industrie für sich genommen einen selbsttragenden Aufschwung erwarten. Die ab dem Frühjahr mit dem Überwinden der Pandemie und ihrer Folgen angelegte kräftige Erholung wird durch den Kriegsausbruch in der Ukraine zunächst gebremst. Der Krieg und die politischen Reaktionen wirken angebots-und nachfrageseitig über verschiedene Kanäle als negativer Schock auf die wirtschaftliche Aktivität. Spürbar, aber gesamtwirtschaftlich von untergeordneter Bedeutung, ist der Wegfall der Exportmärkte, der insbesondere mit den westlichen Sanktionen gegenüber Russland verbunden ist. Bedeutender ist die massiv gestiegene Unsicherheit über die Rohstoff versorgung, insbesondere -aber nicht nur -bei wichtigen Energierohstoff en, die den bereits vor dem russischen Überfall auf die Ukraine in Gang gekommenen Preisauftrieb weiter angefacht hat. Damit fl ießt über die höhere Energieimportrechnung entsprechend mehr Kaufkraft ins Ausland ab und schwächt hierzulande die Nachfrage. Zugleich kommt es durch die kriegsbedingten Störungen zu neuen Lieferengpässen, die kurzfristig nicht zuletzt die Automobilindustrie treffen. Im zurückliegenden Winterhalbjahr haben vor allem die Maßnahmen zum Infektionsschutz die Wirtschaftsleistung gedämpft. Unter der Voraussetzung, dass das Kriegsgeschehen in der Ukraine die ökonomische Aktivität nicht noch stärker belastet, dürften die konjunkturellen Auftriebskräfte ab dem Frühjahr die Oberhand gewinnen (vgl. Abbildung 1). Nach einem schwachen Jahresauftakt dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal zwar deutlich zulegen, ohne die Belastung durch den Krieg in der Ukraine würde das Plus aber kräftiger ausfallen. Insgesamt verzögert sich damit der Erholungsprozess abermals. Das Vorkrisenniveau der Wirtschaftsleistung wird erst im dritten Quartal 2022 erreicht werden und damit ein halbes Jahr später, als von den Instituten in ihrem Herbstgutachten 2021 erwartet worden war. Alles in allem erwarten die Institute einen Anstieg des BIP um 2,7 % für dieses Jahr und um 3,1 % für nächstes Jahr. Gleichwohl ist die Expansionsdynamik im laufenden Jahr stärker als im kommenden Jahr, in dem die deutsche Wirtschaft in eine leichte Überauslastung driftet. Maßgeblich dafür sind der hohe Auftragsüberhang in der Industrie sowie nachholende Konsumaktivität. Die Verbraucherpreise ziehen 2022 mit einer Rate von 6,1 % so kräftig an wie seit 40 Jahren nicht mehr (vgl. Tabelle 1). Auch im kommenden Jahr bleibt die Rate mit 2,8 % deutlich über dem Durchschnitt seit der Wiedervereinigung. Zwar verschärft der Krieg in der Ukraine den Preisauftrieb, der Prozess einer sich beschleunigenden Infl ation hat jedoch schon vor einem Jahr eingesetzt. Dabei kommen die starken Rohstoff preisanstiege erst nach und nach auf der Verbraucherstufe an. Allerdings treiben nicht nur höhere Energiepreise die Teuerung. So nimmt der heimische Preisdruck -gemessen am Defl ator des BIP -in beiden Prognosejahren mit über 3 % deutlich zu, und auch die Kernrate der Infl ation dürfte im kommenden Jahr noch bei 3,1 % liegen. Insgesamt hat sich ein breit angelegter Preisdruck aufgebaut, der auch dann noch nachwirkt, wenn annahmegemäß die Rohstoff preise wieder etwas nachgeben und die Lieferengpässe in der zweiten Jahreshälfte sukzessive nachlassen. Bei einem Stopp der europäischen Gas-und Öllieferungen aus Russland verschlechtern sich insgesamt die Rahmenbedingungen für die Weltwirtschaft. Zum einen ziehen die Weltmarktpreise für Öl und Gas nochmals deutlich an, was weltweit die Konjunktur bremst. Zum anderen ist in der EU zeitweise nicht mehr ausreichend Gas vorhanden, um die Produktion in dem Umfang umzusetzen, wie sie im Basisszenario erwartet wird. Die dadurch verringerte ökonomische Aktivität in Europa wird angesichts der Größe des Wirtschaftsraums insbesondere über die Handelsverfl echtung auch in der übrigen Welt spürbar. Bei einem Lieferstopp von Rohöl müssen weltweit schätzungsweise täglich 4 Mio. Barrel Öl und 1,5 Mio. Barrel Ölprodukte, die bislang aus Russland kamen, aus ande- Maßgeblich hierfür ist das Produktionspotenzial, das weniger durch die temporäre Gaskrise als vielmehr dadurch beeinträchtigt wird, dass Energie auf absehbare Zeit am Standort Deutschland merklich teurer sein wird, als es sich vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine darstellte. Denn die Entscheidung, unabhängig von russischen Rohstoffl ieferungen zu werden, dürfte auch dann noch Bestand haben, wenn sich die militärische und politische Lage wieder beruhigt Kurzfristige Substitutions-und Einsparpotenziale Erdgas in Deutschland, 17. März Energieversorgung in Deutschland auch ohne Erdgas aus Russland gesichert Can Europe manage if Russian oil and coal are cut off ? Von der Pandemie zur Energiekrise -Wirtschaft und Politik im Dauerstress Ein alternatives Szenario: EU ohne Energierohstoff e aus Russland -Methodenbeschreibung