key: cord-0077651-k6wkytm9 authors: Igel, Ulrike; Gausche, Ruth; Lück, Martina; Grande, Gesine; Kiess, Wieland title: Gemeinwesen-basierte Prävention und kindliche Adipositas date: 2022-05-02 journal: Monatsschr Kinderheilkd DOI: 10.1007/s00112-022-01487-8 sha: 27aace14b99b5d275769f13c649cc7aa8c8bb519 doc_id: 77651 cord_uid: k6wkytm9 Besides individual determinants, obesity is also caused by obesogenic environmental conditions. Thus, prevention of obesity in children should aim at creating health-promoting environments. This is especially important for children of socially disadvantaged families and communities who are hardly reached and often profit less by behavior-oriented interventions. The main question is which environmental conditions should be changed and how in order to be accepted and sustainable? According to our experiences from the project “Grünau moves” (Grünau bewegt sich), the consideration of environmental and social conditions in the intervention field as well as the inclusion of the professional expertise of local agents and the lifeworld perspective (subjective meanings and realities) of families and children are crucial. Based on the fact that the understanding and weighting of health varies between individuals, the starting points for interventions and environmental change must be sought according to the interests and resources of the local community. Combining a medical and social work perspective and focusing on the community work approach can help to link and bundle different perspectives and interests in order to create appropriate and context-specific health-promoting environments. Adipositas wird neben individuellen Faktoren auch durch adipogene Umweltbedingungen verursacht. Folglich sollte Adipositasprävention im Kindes-und Jugendalter auf die Gestaltung gesundheitsförderlicher Verhältnisse abzielen. Das gilt besonders für sozial benachteiligte Personengruppen, die von verhaltensbezogenen Präventionsmaßnahmen weniger profitieren. Die zentrale Frage ist, welche Verhältnisse wie gestaltet werden sollten und können, um akzeptiert zu werden und nachhaltig zu wirken. Entsprechend den Erfahrungen aus dem Projekt "Grünau bewegt sich" sind die Berücksichtigung infrastruktureller und sozialer Bedingungen im Interventionsgebiet sowie der Einbezug der fachlichen Expertise der Akteur:innen vor Ort und der lebensweltlichen Perspektive der Betroffenen entscheidend. Ausgehend von der Tatsache, dass das Verständnis und die Gewichtung von Gesundheit variieren, sind, entsprechend den Interessen und Ressourcen der Menschen vor Ort, Anknüpfungspunkte für verhältnispräventive Interventionen zu suchen. Die Verbindung einer medizinischen und sozialarbeiterischen Perspektive sowie die Ausrichtung auf den Ansatz der Gemeinwesenarbeit können helfen, verschiedene lebensweltliche und professionelle Perspektiven zu verknüpfen und zu bündeln, um kontextspezifische und angemessene Verhältnisänderungen zu erwirken. Gesundheitsverhalten · Soziale Bedingungen · Soziale Arbeit · Partizipation · Gesundheitsdienstleistungen im Gemeinwesen Prävention ist eine wichtige Aufgabe der Kinder-und Jugendmedizin. Im Kindesalter werden die Weichen für eine gesunde Entwicklung gestellt. Individuelle und verhältnisbezogene Präventionsansätze sind sinnvoll zu kombinieren. Gesundheit wird von verschiedenen Personengruppen unterschiedlich verstanden und gewichtet. Diese Tatsache ist zunächst zu akzeptieren. Danach sind Anschlussmöglichkeiten und Gestaltungsspielräume auszuloten, die die Interessen und Belange der Menschen ernst nehmen sowie gesundheitsförderliches Verhalten erleichtern. Übergewicht und Adipositas werden im Kindesalter anhand von Body-Mass-Index-Perzentilen eingeschätzt. Messwerte zwischen der 90. und 97. Perzentile bestätigen Übergewicht und Messwerte oberhalb der 97. Perzentile Adipositas [15] . Die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas im Kindesalter ist seit Jahren auf einem hohem Niveau [8] . Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status [23] . Neben genetischen Faktoren wird die Entstehung von Übergewicht maßgeblich einer positiven Energiebilanz zugeschrie- Verhältnisse gesundheitsförderlich zu gestalten, ist besonders wichtig für sozial benachteiligte Personengruppen, die auch vor COVID-19 häufiger von Übergewicht und Adipositas betroffen waren [16] . Sie sind im Laufe der Pandemie noch größeren finanziellen, emotionalen, sozialen Belastungen ausgesetzt gewesen, wodurch sich sozial bedingte gesundheitliche Ungleichheiten noch verschärft haben dürften [6] . Gleichzeitig sind individuelle verhaltensbezogene Angebote bei dieser Personengruppe weniger wirksam, da sie die betroffenen Menschen schlechter erreichen und/oder nicht die gleichen Effekte erzielen wie bei sozial besser gestellten Personen. Die KOPS(Kiel Obesity Prevention Study)-Studie belegt einen deutlichen Unterschied in der Wirkung einer familienbasierten Intervention, wenn der sozioökonomische Status bei der Beurteilung des Effekts einbezogen wird [19] . Zudem erzielen individuelle Interventionen oftmals keine langfristigen Verhaltensänderungen, da sie die Rahmenbedingungen, die gesundheitsförderliches oder -hinderliches Verhalten beeinflussen, größtenteils außer Acht lassen [24] . Auch Hillier-Brown et al. kommen in ihrem umfassenden Review zu Interventionsansätzen zur Reduktion sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheiten zu dem Schluss, dass Settingbezogene Ansätze der Adipositasprävention sozial benachteiligte Personengruppen besser erreichen als individuelle verhaltensbezogene Ansätze und eine größere Akzeptanz und Wirksamkeit entfalten können [11] . Im Rahmen der Gesundheitsförderung werden unter dem Begriff "Setting" soziale Systeme, Orte oder soziale Zusammenhänge verstanden, in denen der Alltag von Menschen stattfindet und die einen Einfluss auf Gesundheit haben (z. B. Familie, Nachbarschaft, Schule, Kita, [21] ). Es ist daher wichtig, verhältnisbezogene Ansätze der Adipositasprävention, die die besonderen Lebensbedingungen von sozial benachteiligten Personen in den Blick nehmen, zu verfolgen [24] . Ziel, die sozialen, ökologischen, ökonomischen und kulturellen Lebens-, Arbeitsund Umweltbedingungen gesundheitsförderlich zu gestalten. Dies erfolgt zumeist durch gezielte Interventionen in Settings [22] . In der Adipositasprävention für Kinder und Jugendliche gelten Schule und Kita schon länger als wichtige Settings, in denen neben dem Grundauftrag von Bildung und Teilhabe auch gesunde Ernährung bereitgestellt und erlernt, körperliche Aktivität ermöglicht, soziale Kontakte und Unterstützung gefördert und somit ein Beitrag zum gesunden Aufwachsen geleistet werden können [1] . Daneben bieten Nachbarschaften und Quartiere mit all ihren Möglichkeiten (Freizeit-und Versorgungseinrichtungen, soziale Kontakte, Parks, Spielplätze, Lebensmittelverfügbarkeit etc.) wichtige Orte und Ansatzpunkte zur Adipositasprävention ( [14] ; . Abb. 1). Als besonders erfolgversprechende und nachhaltige Strategien der Gesund- Im Projekt "Grünau bewegt sich" wurde versucht, einen solchen gemeinschaftlichen Veränderungsprozess im Setting "Stadtteil" anzustoßen und wissenschaftlich zu begleiten. Die Besonderheiten der Umsetzung dieses Prozesses werden im Folgenden näher beleuchtet. Zentrales Argument, Ausgangspunkt und Anlass für die Initiierung des Projekts "Grünau bewegt sich" war eine medizinische bzw. gesundheitswissenschaftliche Perspektive auf die vielfältigen Einflussfaktoren und Auswirkungen kindlicher Adipositas. Mit dem Projekt "Grünau bewegt sich" wurde der Versuch unternommen, über einen gemeinwesenorientierten partizipativen Ansatz [28] Gesundheitsförderung und Adipositasprävention für Kinder in einem sozial benachteiligten Leipziger Stadtteil zu entwickeln und umzusetzen [13] . Prävention und Gesundheitsförderung müssen, wenn sie erfolgreich werden wollen, die konkrete Einbindung einer Zielgruppe in gesellschaftliche, institutionelle, physische und sozialpsychologische Gegebenheiten berücksichtigen. Bezogen auf präventive Interventionen bedeutet das -ähnlich wie in der Interaktion zwischen Mediziner:innen und Patient:innen -eine umfassende Anamnese und "Diagnose", also ein Kennenlernen der Rahmenbedingungen, Gegebenheiten und Lebenswelten (subjektiven Lebenswirklichkeiten) der Menschen, die vor Ort arbeiten und leben. Die zentrale Frage war, welche Verhältnisse wie verändert werden sollten und können. » Zunächst erfolgt die kleinschrittige Analyse von Gesundheits-, Verhaltens-und Verhältnisparametern Wesentlich für das Projekt war einerseits die Orientierung an Planungsmodellen wie PRECEDE-PROCEED (PRECEDE: "predisposing, reinforcing, and enabling constructs in educational diagnosis and evaluation"; PROCEED: "policy, regulatory, and organizational constructs in educational and environmental development"; [9] ) und Intervention Mapping [2] , um systematisch, theoriegeleitet, evidenzbasiert und partizipativ bedarfsgerechte Interventionen zu entwickeln. Damit einher geht eine kleinschrittige Analyse von Gesundheits-, Verhaltens-und Verhältnisparametern, auf deren Grundlage eine detaillierte Bestimmung von Teil-und Veränderungszielen auf individueller, familiärer, institutioneller und politischer Ebene sowie die Auswahl und Entwicklung geeigneter Methoden und Strategien zu deren Umsetzung erfolgen [13] . Andererseits beinhaltete das Projekt die Verknüpfung einer medizinischen Perspektive von Adipositasprävention mit Perspektiven und Arbeitsprinzipien aus der Sozialen Arbeit. Das bedeutete neben dem Arbeiten in einem interdisziplinären Team (Soziale Arbeit, Medizin, Psychologie, Kommunikationswissenschaften u. Ä.) auch die kontinuierliche Zusammenarbeit mit und Unterstützung von Akteur:innen (Sportvereinen, Schulen, Kitas, Bürgervereinen und -initiativen, Quartiersmanagement, sozialen Einrichtungen, kinder-und jugendärztlichem Dienst, Stadtverwaltung) und Bewohner:innen vor Ort [12] . Um den besonderen sozialen Herausforderungen der Bewohner:innen und des Stadtteils angemessen zu begegnen sowie in einem gemeinschaftlichen und nachhaltigen Prozess Veränderungen herbeizuführen, wurde der Ansatz der Gemeinwesenarbeit verfolgt. Die messbaren Eigenschaften und vorgefundenen Praktiken innerhalb eines Settings aus der Perspektive einer "dritten Person" (also von außen) zu betrachten, ist unabdingbare Voraussetzung, um ein Umgebungsverhältnis beschreiben zu können. Gleichzeitig braucht es die Perspektive der "ersten Person" (Kinder, Jugendliche und Familien), um die Lebenswelten der Betroffenen nachvollziehen und verstehen zu können. Erst in der Synthese beider Perspektiven können realistische Einflussund Änderungspotenziale innerhalb des Settings erschlossen werden. Besides individual determinants, obesity is also caused by obesogenic environmental conditions. Thus, prevention of obesity in children should aim at creating healthpromoting environments. This is especially important for children of socially disadvantaged families and communities who are hardly reached and often profit less by behavior-oriented interventions. The main question is which environmental conditions should be changed and how in order to be accepted and sustainable? According to our experiences from the project "Grünau moves" (Grünau bewegt sich), the consideration of environmental and social conditions in the intervention field as well as the inclusion of the professional expertise of local agents and the lifeworld perspective (subjective meanings and realities) of families and children are crucial. Based on the fact that the understanding and weighting of health varies between individuals, the starting points for interventions and environmental change must be sought according to the interests and resources of the local community. Combining a medical and social work perspective and focusing on the community work approach can help to link and bundle different perspectives and interests in order to create appropriate and context-specific health-promoting environments. Health behavior · Social conditions · Social work · Participation · Community health services 29 Systematic review of setting-based interventions for preventing childhood obesity Planning health promotion programs. An intervention mapping approach, 4. Aufl Wirkungen und Wirkungsnachweis bei komplexen Interventionen Interventions for preventing obesity in children Qualitätskriterien für Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Primärprävention von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen Das neuartige Virus trifft auf die alten Verteilungsmechanismen: Warum die COVID-19-Pandemie zu mehr sozialer Ungleichheit führt Early effects of the COVID-19 pandemic on physical activity and sedentary behavior in children living in the Health program planning. Aneducationalandecologicalapproach, 4. Aufl Faktenblätter zu den Interventionen A systematic review of the effectiveness of individual, community and societal level interventions at reducing socioeconomic inequalities in obesity amongst children Challenges in doing multi-disciplinary health promotion research in Germany GRÜNAU BEWEGT sich". Zwischenbetrachtung und Zukunftsperspektiven. Erfahrungen in der Entwicklung und Implementierung verhältnisbezogener Maßnahmen zur Adipositasprävention Urbanlivingconditions: the relation between neighborhood characteristics and obesity in children and adolescents Perzentile für den Body-mass-Index für das Kindes-und Jugendalter unter Heranziehung verschiedenerdeutscherStichproben Auswirkungen von Armut auf den Gesundheitszustand und das Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen : Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 (Effects of poverty for health and health behavior of children and adolescents: Results from KiGGS Wave 2) Child and adolescent obesity: part of a bigger picture Ergebnisse sowie deren Einordnung und Bedeutung für die Prävention von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen (15 years of the Kiel Obesity Prevention Study (KOPS). Results and its importance for obesity prevention in children and adolescents) Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken/Basic Elements of a Theory of Social Practices Settingansatz/ Lebensweltansatz Hrsg) Health behavior and health education. Theory, research, and practice, 4 Übergewicht und Adipositas im Kindes-und Jugendalter in Deutschland -Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends Thesustainabilityofhealthpromotion interventions for different levels of social organization Preventive strategies against weight gain and obesity Dissecting obesogenic environments: the development and application of a framework for identifying and prioritizing environmental interventions for obesity Ageand weight group-specific weight gain patterns in children and adolescents during the 15 years before and during the COVID-19 pandemic Using communitybased participatory research to address health disparities