key: cord-0077046-aphcfjqu authors: Brenner, Walter; Brenner, Barbara title: Digitalisierung: Welche Rolle spielen CIOs heute und in Zukunft? date: 2022-04-12 journal: HMD DOI: 10.1365/s40702-022-00868-7 sha: 37ccca57bee4f77147122efa6f09b55125c02bc1 doc_id: 77046 cord_uid: aphcfjqu Many CIOs (Chief Information Officers) in companies did an excellent job during the pandemic. In the post-pandemic period, it is important to redefine the position of the CIO. Five CIOs, Hanna Hennig of Siemens AG, Andreas Maier of AXA Switzerland, Michael Müller-Wünsch of OTTO, Rolf Olmesdahl, formerly of Raiffeisen Switzerland, Ursula Soritsch-Renier of Saint-Gobain Paris, and an executive search specialist, Patrick Naef, Boyden AG, were asked how they see the future of the CIO. All six executives who took part in the dialog agree that CIOs will still exist in 2030 and that, on the one hand, they should increasingly be drivers of the digital transformation in their company and, on the other hand, they still bear responsibility for the functioning of the digital infrastructure. Zahlreiche Unternehmen und öffentliche Verwaltungen im deutschsprachigen Raum werden Chancen verpassen und dauerhaft Schaden erleiden, wenn sie nicht die Intensität und Umsetzungsgeschwindigkeit der Digitalisierung erhöhen. Digitalisierung wird als umfassender Einsatz der Informations-und Kommunikationstechnik in Unternehmen oder öffentlichen Verwaltungen, zur Automatisierung von Prozessen, zur Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen, zur Entwicklung neuer digitaler Produkte, Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle verstanden (Leimeister et al. 2014) . Vor diesem Hintergrund stellt sich für Unternehmen und öffentliche Verwaltungen die Frage, wer für Digitalisierung verantwortlich ist. Traditionell war es die Aufgabe der CIOs, sich um Informations-und Kommunikationstechnik und ihren Einsatz im Unternehmen zu kümmern. In den letzten zehn Jahren ist diese traditionelle Aufgabe der CIOs mehr und mehr bestritten worden. Die Digitalisierung von Produkten, beispielsweise Fahrzeugen, wurde von Forschungs-und Entwicklungsabteilungen verantwortet (Herrmann und Brenner 2018) , für Data Analytics (Dremel et al. 2017; Bean 2020 ) gibt es eigene Bereiche und für die Digitalisierung des gesamten Unternehmens (Berkmann 2013; Singh und Hess 2017) wurde die Position des Chief Digital Officer geschaffen (Tumbas et al. 2018) . Zudem gibt es inzwischen viele CEOs und Führungskräfte auf Ebene der Geschäftsleitung, die für sich die volle Verantwortung für Digitalisierung reklamieren (Lamarre et al. 2021) . Trotz dieser Diskussionen in Unternehmen und der Wissenschaft haben nach wie vor fast alle Unternehmen einen CIO und eine IT-Abteilung. In der Wirtschaftsinformatik ist die Beschäftigung mit dem CIO und der Führung der IT in den letzten Jahren etwas in den Hintergrund getreten (Gerster 2017) . Es gibt einige wenige Artikel im Basket of Eight 1 , die sich beispielweise mit Informa-tikstrategien beschäftigen (Chen et al. 2010) , mit Bimodaler IT (Haffke et al. 2017) , der Zukunft des CIO in einer digitalen Wirtschaft (Weill und Woerner 2013) , dem Beitrag des CIO zu Innovation (Chen et al. 2021) , mit der strukturellen formalen Macht des CIO und den Auswirkungen auf die Performance eines Unternehmens (Feng et al. 2021) , dem Einfluss von Sozialkapital auf die Beziehungen zwischen dem CIO und der Geschäftsleitung und den Auswirkungen auf die Performance des Unternehmens (Karahanna und Preston 2013) , dem Ausgleich zwischen Nachfrage und dem Angebot an IT im Unternehmen (Chen et al. 2010) , dem Einsatz Künstlicher Intelligenz (Li et al. 2021 ) und der Motivation für die Aufnahme des CIO in die Geschäftsleitung, um in diesem Gremium mehr technische Kompetenz im Sinne von Dynamic Capabilities aufzubauen (Bendig et al. 2022) . Aus Sicht der Autorin und des Autors dieses Beitrages lohnt es sich nicht nur aufgrund der geringen Anzahl wissenschaftlicher Beiträge in den führenden wissenschaftlichen Zeitschriften, die sich mit CIOs auseinandersetzen, sondern auch wegen der steigenden Bedeutung der Digitalisierung in der Pandemie, sich verstärkt mit den CIOs und ihrer Zukunft zu befassen. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich dieser Beitrag mit drei Forschungsfragen: (1) Was haben Unternehmen im Rahmen der Digitalisierung erreicht, (2) welchen Beitrag leisten die CIOs zur Digitalisierung und (3) mit welchen Herausforderungen werden sich CIOs in Zukunft auseinandersetzen müssen. Die Forschungsfragen werden im Rahmen eines Dialogs bearbeitet. Fünf CIOs aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz sowie ein auf die Suche nach CIOs spezialisierter Personalberater kommen in dem Beitrag zu Wort. Die Leserinnen und die Leser können sich ein eigenständiges Bild machen, welche Antworten prominente CIOs auf die drei Forschungsfragen haben. Aufgrund der Pandemie und des engen Zeitrahmens konnten die CIOs nicht zu einem physischen Gespräch zusammenkommen und auch eine gemeinsame Videokonferenz war aus Termingründen unmöglich. Mit vier Persönlichkeiten fanden in einer ersten Runde ca. 90-minütige Gespräche statt. Zwei CIOs, Rolf Olmesdahl und Andreas Maier, haben aus Termingründen die Fragen schriftlich beantwortet. Tab. 1 zeigt, welche CIOs beteiligt waren und wann die entscheidenden ersten Gespräche stattfanden, bzw. wann die entscheidenden Antworten schriftlich eintrafen. Für den Dialog mit den CIOs und dem Personalberater wurde derselbe Gesprächsleitfaden verwendet. Aus diesen Einzelgesprächen und schriftlichen Antworten wurde eine erste Version des Dialogs erstellt. Diese erste Version wurde allen CIOs zugestellt und sie konnten sehen, was ihre Kolleginnen und Kollegen geantwortet Rolf Olmesdahl: Raiffeisen hat in den letzten Jahren markante Fortschritte bei der "Digitalen Durchdringung" erzielt. Die Anzahl von Transaktionen, die durch Kundinnen und Kunden im Rahmen eines vollautomatisierten Prozesses abgewickelt wird, ist stark gestiegen. Immer mehr Produkte und Dienstleistungen werden auch auf den digitalen Kanälen angeboten. Die Frequenz auf dem physischen Verkaufskanal hat sich entsprechend reduziert. Im Rahmen der Strategie "Raiffeisen 2025" investiert Raiffeisen substanziell in den weiteren Ausbau ihrer digitalen Kanäle. Aktuell arbeitet Raiffeisen an der Entwicklung eines Kundenerlebnis-Portals, in dem alle digitalen Dienstleistungen im Sinne eines Self-Service gebündelt werden. Für die Mitarbeitenden hat Raiffeisen einen digitalen Workplace geschaffen, der das vollständig ortsunabhängige Arbeiten ermöglicht. Beschleunigt durch die Pandemie hat sich damit auch die Kultur und die Arbeitserledigung in Richtung von hybriden und agilen Methoden verändert. Ursula Soritsch-Renier: Die Bauindustrie hat als einzige Industrie fast weltweit in den letzten fünfzig Jahren an Produktivität verloren. Kaum zu glauben, es ist aber so. Digitalisierung ist ein absolutes Muss und ein wichtiges Instrument, um Fortschritte bei der Produktivität zu erzielen. Saint-Gobain gehört nach dem Clarivate Top 100 Global Innovator Rating seit zehn Jahren zu den hundert innovativsten Firmen der Welt und ist daher in ausgezeichneter Position, diese Herausforderungen zu meistern. Das Unternehmen hat einen hochtechnischen Spezial-Mörtel für 3D-Drucker entwickelt, der bei dem ersten Haus, das vollständig aus 3D-gedrucktem Beton hergestellt wurde, zum Einsatz kam. Dieses Haus steht in Holland, Menschen, die man besuchen kann, leben darin. Wir sind sehr innovativ im Bereich Building Information Models, Echtzeitkommunikation und Product Information Systeme. Wir haben Software entwickelt, die wir unseren Kundinnen und Kunden offerieren, um ihnen bei Ausschreibungen zu helfen. Wir verwenden in Kanada Sensoren im Beton, die überwachen, wie der Beton trocknet. Durch diese Technologie kann bis zu 90 % der Nacharbeit nach dem Betonieren vermieden werden, um einige digitale Innovationen zu nennen. Ich denke aber, dass es eine Herausforderung bei Saint-Gobain ist, wie für viele andere Unternehmen, diese Innovationen innerhalb des Konzerns zu verbreiten und zu skalieren. Patrick Naef: Viele CIOs lassen sich feiern, dass sie innert kürzester Zeit die nötige Infrastruktur für Homeoffice bereitstellen konnten. Jedoch einfach MS-Teams/M365 einzuführen und ein paar Server in die Cloud zu verschieben hat nicht wirklich einen transformativen Charakter für das Geschäft der jeweiligen Firmen. Bzgl. neuer Geschäftsmodelle, Distributionskanäle, Digitalisierung und Personalisierung der Produkte etc. hat sich bei den meisten Firmen sehr wenig getan und der Großteil der CIOs scheint sich noch immer (oder wieder vermehrt) auf nichtstrategische Themen wie Infrastruktur, Cyber Security und ERP-Upgrades zu konzentrieren. So wurde auch im November 2021 treffend in der Zeitschrift Bilanz aus einer Studie eines Beratungsunternehmens berichtet: "Mehr als 80 % der IT-Investitionen fließen in Digitalisierungsprojekte ohne transformativen Charakter." Hanna Hennig: Ja, es wird weiterhin den oder die CIO geben, denn die IT ist heute wichtigster Technologie-Enabler und zugleich Impulsgeber, Visionär und Business-Partner globaler Konzerne. Technologie und IT sind bereits jetzt schon wesentliche Teile der Strategie und des Geschäfts. Um dieser bedeutenden Rolle der IT gerecht zu werden, braucht es mehr denn je eine derartige Schlüsselposition, die Technologiekompetenz und unternehmerisches Know-how in einer Funktion abbildet. Allerdings werden sich die Aufgaben von CIOs in den nächsten Jahren verändern: Bislang waren sie vorwiegend damit beschäftigt, Technologien für die Arbeitsplatzumgebung, die Office-IT, bereitzustellen und Geschäftsprozesse mit der Prozess-IT zu automatisieren. Vorwiegend werden dafür standardisierte Technologie-Pakete wie ERP-Systeme verwendet. Mit den neuen digitalen Technologien wie Cloud, K Data Analytics und KI eröffnen sich nun gänzlich neue Tätigkeitsfelder: In der Fertigung konvergieren IT und OT. CIOs sind damit viel stärker in die Produktions-IT eingebunden. Anderseits entwickeln sie gemeinsam mit den Business-Einheiten neue Produkte und sogar neue Geschäftsmodelle. Das heißt, CIOs sind nun auch in der Produkt-IT und in der Business-Model-IT tätig. Andreas Maier: Ja, es wird auch 2030 noch CIOs geben. Sie werden zusätzlich das Datenthema, mehr Innovation und mehr Business-Modelle verantworten sowie mehr Transformationsarbeit leisten. Technology und Data müssen zusammengeführt werden, denn nur gemeinsam schaffen sie mehr Unternehmenswert. Michael Müller-Wünsch: Früher wurde Technologie -damals noch IT -als ein rasant wachsender Kostenfaktor in den Organisationen gesehen. Geschäftsführungen sahen hier ihre Hauptaufgabe darin, diesen Ressourcenverbrauch bestmöglich zu steuern bzw. zu reduzieren. Über Jahre hinweg befanden sich viele IT-Verantwortliche in der Rechtfertigungsdiskussion zu den IT-Ausgaben -immer gepaart mit dem großen Wunsch an die IT-Organisation, sich doch stärker an den Business-Fragestellungen zu orientieren. Dies hat sich spätestens mit dem Jahr 2020 verändert. Es ist deutlich zu erkennen, dass ein gleichberechtigterer Dialog zwischen den Businessund den Tech-Communities stattfindet. CIOs werden viel häufiger in den gesamtunternehmerischen Gestaltungsauftrag der Unternehmen eingebunden. Mancherorts wird vom Verschmelzen und Integrieren von Technologie und Business im Kontext von agilen, produktorientierten Organisationen gesprochen. Diesen Prozess zu moderieren, mit Augenmaß und Vernunft voranzutreiben, wird mehr und mehr zur Aufgabe moderner CIOs, die weiterhin über eine hohe technologische Kompetenz verfügen müssen und sollten. Rolf Olmesdahl: Ja, auch 2030 wird es die CIO-Rolle noch geben. Die Digitalisierung wird noch mehr technische Lösungen hervorbringen. Diese müssen, auch wenn sie auf Cloud-oder alternativen Plattformen basieren, professionell gemanagt werden. Die Aufgabe des CIO wird sich jedoch verändern. Der Anteil der Eigenentwicklungen wird sich reduzieren, während das Provider-und Service-Management an Bedeutung gewinnen wird. Ursula Soritsch-Renier: Ich bin zu 100 % der Meinung, dass es 2030 noch eine oder einen CIO geben wird. IT wird immer zu einem strategischen Element des Geschäfts gehören. Vor zehn Jahren haben wir E-Commerce gesagt, und heute sagen wir digital. Die Bedeutung der Informations-und Kommunikationstechnik wird weiter steigen. Dass ich im Executive Committee sitze, beweist die Bedeutung der Digitalisierung für Saint-Gobain. Patrick Naef: Es geht meines Erachtens weniger um den Titel oder Begriff, sondern mehr um eine Rolle im Unternehmen. Auch wenn man heute schon erwartet, dass jede Führungskraft sich um ihre personellen und finanziellen Ressourcen kümmert, obwohl es einen Chief Financial Officer und Chief Human Resources Officer gibt, muss sich auch jede Führungskraft vermehrt um Technologie als strategische Komponente kümmern, obwohl es noch eine oder einen CIO (oder ähnlich) gibt, der oder die die Klammer über alle Technologie-Themen im Unternehmen bildet. Klar ist aber, dass sich die strategische Bedeutung der IT massiv verstärkt hat und sich somit die Rolle des CIO vom traditionellen IT-Chef, der oder die sich im Backoffice um Server, PCs, Netzwerke etc. kümmerte, hin zu einer strategischen Rolle im Kern des Geschäftes entwickeln muss. Ich bin überzeugt, dass die Rolle des CIO noch nie so entscheidend war wie heute. Hanna Hennig: In meinen Augen ist dieser Trend genauso volatil wie der Trend zur Zentralisierung bzw. Dezentralisierung von IT. Ich halte nichts davon IT-Verantwortung und Budget in die Fachbereiche zu verschieben, da die Kernkompetenz zum sicheren und stabilen Betrieb nun mal bei der IT liegt. Ebenso sollte die Buchhaltung nicht in die IT ausgelagert werden, weil es nicht Kernkompetenz der IT ist, am Monats-oder Jahresende die Bücher zu schließen. Was ich jedoch sehr wohl unterstütze und mit meinem Team fördere, ist die "Demokratisierung" der IT. Wir statten Mitarbeitende mit digitaler Kompetenz aus, damit sie die verfügbare Technologie besser für ihre Arbeit nutzen können, beispielsweise stellen wir für die Datenanalyse einen "Data Lake to Go" bereit. Ebenso unterstützen wir die Entwicklung von "Citizen Developern", technikaffinen Mitarbeitenden, die mithilfe unserer Low-Code-Plattform Mendix Software entwickeln können, ohne dass sie dafür ein Informatikstudium absolvieren mussten. Damit erweitern wir die Anzahl der Mitarbeitenden, die die digitale Transformation im Unternehmen vorantreiben. Andras Maier: Nein, diesen Trend kann ich nicht bestätigen. In der AXA werden Investitionen gesamthaft betrachtet. Die Entscheidung und wieviel investiert wird, findet zentral mit der Geschäftsleitung statt. Die AXA investiert in Zeiten der Digitalisierung im Vergleich zu anderen Versicherern in der Schweiz ca. 5 % mehr in Change, trotz 0,3 % tieferer GWP/IT Cost Ratio. Investitionen in die sog. Schatten-IT finden wenig statt, da sie außerhalb der agilen Governance laufen und automatisch Probleme generieren würden. Michael Müller-Wünsch: Diese Entwicklung ist bei OTTO nicht zu beobachten. Technologie wird bei uns architektonisch ganzheitlich betrachtet, gestaltet und gesteuert. Hierzu haben wir einen unternehmensweit gültigen Portfolio-und Priorisierungsprozess definiert, der vom Bereichsvorstand gemeinsam gesteuert und verantwortet wird. Budgets werden entsprechend der Unternehmenszielstellungen allokiert. Mit einer hinreichenden, gesamt-unternehmerischen Transparenz soll so möglichen Fehlentwicklungen entgegengewirkt werden. Rolf Olmesdahl: Diesen Trend kann ich nicht bestätigen. Größere Projekte werden bei Raiffeisen, auch im Zeitalter der Digitalisierung, noch immer in einem Joint-Venture zwischen Business und IT umgesetzt. K Ursula Soritsch-Renier: Saint-Gobain hat eine sehr dezentrale Organisation. Die regionalen Organisationen haben teilweise große Budgets. Ist das gut oder ist das schlecht? Ich glaube, das derzeitige Setup ist für einen globalen Konzern wie Saint-Gobain eine gute Organisation. Zentralisierung wie auch Dezentralisierung haben Vor-und Nachteile. Am Ende geht es darum, wie man miteinander arbeitet und miteinander umgeht. Ich habe in meiner bisherigen Karriere in den unterschiedlichsten Setups gearbeitet -zentralisiertes oder dezentralisiertes Budget. Bei Saint-Gobain arbeite ich in einer mehrheitlich dezentralen Geschäftsstruktur, wobei ich als Gruppenfunktion eine wesentliche Aufgabe bei der Standardisierung und Optimierung und als Enabler für digitale Innovation habe. Beides ist möglich. Es kommt auf die Unternehmenskultur an und wie die Governance-Struktur aufgesetzt ist. Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn noch nie gesehen, dass ein Unternehmen kein Geld für etwas wirklich Gutes hat. Wenn es das Richtige für das Unternehmen ist, sollte das "Dies gehört mir" und "Dies gehört nicht dir" keine Rolle spielen. Das Wichtigste ist, das Richtige zu machen. Es geht bei Saint-Gobain darum "Let's find the best solution for the company". Patrick Naef: Noch vor zehn Jahren hatte ich in meiner Funktion als CIO auch gegen Schatten-IT gekämpft. Die weit verbreitete Ansicht war, dass alles was die IT betrifft, zentral vom CIO und seiner IT-Organisation kontrolliert und gesteuert werden müsse. Begründet wurde dies durch Security-und Risiko-Aspekte, Kostenoptimierung, Vermeidung von Doppelspurigkeit, Standardisierung etc. Zwar konnten die Kosten durch die Zentralisierung der gesamten IT optimiert werden, die Kehrseite war jedoch, dass Geschwindigkeit, Innovationskraft und Nähe zum Geschäft und den Kunden unter einem solchen Ansatz litten. Schatten-IT-Teams hingegen sind in der Regel viel näher am Geschäft -sie sind sogar vollständig ins Business integriertund verstehen das Geschäft und die Kunden besser als zentrale IT-Organisationen. Zudem sind sie aufgrund ihrer geringeren Größe und ihres begrenzten Overheads typischerweise viel schneller und agiler, um auf Marktgegebenheiten zu reagieren. Vielleicht sollten Schatten-IT-Teams von CIOs eher als Segen, denn als Fluch angesehen werden, solange die CIOs offen für eine Zusammenarbeit mit ihnen sind. Die Tatsache, dass Führungskräfte im Business Schatten-IT-Teams unterstützen und verteidigen, zeigt, dass sie sich um die IT kümmern und sie diese als eine wesentliche und strategische Komponente ihres Geschäfts betrachten und somit genau auf dem richtigen Weg sind. CIOs müssen in der Lage sein mit Schatten-IT-Teams im gesamten Unternehmen zusammenzuarbeiten, von deren Nähe und Verständnis für das Geschäft sowie von deren Flexibilität und Innovationskraft zu profitieren, ohne dabei Sicherheit zu gefährden oder gar in ein unkontrolliertes Chaos abzudriften. Hanna Hennig: Als CIO berichte ich direkt an den Vorstand und habe uneingeschränkten Zugang. In meiner Rolle bin ich Teil der strategischen IoT-Produktentwicklungen und weiterer Gremien, in denen die Digitalisierung des Konzerns vorangetrieben wird. Andreas Maier: Ich bin seit 9,5 Jahren in der Geschäftsleitung. Die Zusammenarbeit in der Geschäftsleitung ist seit sehr vielen Jahren auf Augenhöhe. Als CIO bringe ich TechnologieThemen, technologiegetriebene Business Cases, die IT-Strategie, Informationssicherheit, Möglichkeiten der Steigerung der Effizienz und Strategien für ein datengengetriebenes Unternehmen in die Geschäftsleitung ein. Michael Müller-Wünsch: Als gleichberechtigtes Mitglied des Bereichsvorstands der Marke OTTO habe ich keine Probleme, die Technologie-Themen in die Vorstandssitzungen einzubringen. Die Zusammenarbeit mit meinen Vorstandskolleginnen und -kollegen gestaltet sich hinreichend problemlos, ohne dass diese Personen über einen vergleichbaren Technologie-Background wie der Ressortverantwortliche verfügen. Hier wird auf meine Fachkompetenz als Informatiker und meine Gesamtverantwortung für das Gesamtunternehmen seit Jahren vertraut. Rolf Olmesdahl: Der CIO ist bei Raiffeisen Schweiz Mitglied der Geschäftsleitung. Er hat damit genau den gleichen Zugang zum CEO und dem Verwaltungsrat wie die anderen Geschäftsleitungsmitglieder. Ursula Soritsch-Renier: Wie bereits erwähnt, bin ich Mitglied des Executive Committee. Wenn ich etwas auf einer Geschäftsleitungssitzung besprechen möchte, bekomme ich die entsprechende Zeit. Patrick Naef: Jede und jeder CEO, der die strategische Bedeutung der IT versteht, will einen CIO, der sehr eng mit dem CEO und der Geschäftsleitung zusammenarbeitet und auch im Verwaltungsrat entsprechende Visibilität hat. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass der CIO auch direkt an den CEO berichtet und in der Geschäftsleitung sitzen muss. Viele Unternehmen werten die CIO-Rolle zwar auf, indem sie diese in die Geschäftsleitung nehmen. Wenn man sich aber vom traditionellen hierarchischen Denken löst, dann erkennt man rasch, dass dies nicht ein notwendiges Kriterium ist, um als CIO erfolgreich zu sein. Ich hatte beispielsweise während den 12 Jahren als CIO bei Emirates auch nicht an den CEO berichtet, war offiziell auch kein Konzernleitungsmitglied; trotzdem war ich bei jeder Konzernleitungssitzung dabei und hatte direkten Zugang und Akzeptanz zu jeder relevanten Führungskraft im Unternehmen. Ich hatte mir meine Netzwerk-Strukturen selbst unabhängig von den Hierarchien aufgebaut. Bei Siemens ist DEGREE (steht für: Decarbonization, Ethics, Governance, Resource Efficiency, Equity und Employability) als incentiviertes Rahmenwerk gesetzt. Es definiert neben nachhaltigkeitsrelevanten KPIs wie "Decarbonization" und "Re-source Efficiency" auch die Zielsetzung bei Diversität, Genderfragen und weiteren gesellschaftlichen Themen, die in Summe einen 360-Grad-Blick auf das Thema Nachhaltigkeit ergeben. Green IT, d. h. die Nachhaltigkeit unserer eigenen IT-Services, ist für uns gelebte Kultur und findet sich beispielsweise in Verträgen mit Partnern und Dienstleistern. Siemens achtet unter anderem darauf, dass bei Cloud Services erneuerbare Energien genutzt werden, dass bei der Auswahl von IT-Hardware die Reduktion des CO2-Fußabdrucks ein wichtiges Kriterium ist und auch, dass Altgeräte "refurbished" werden. Diese Aktivitäten kombinieren wir mit der Unterstützung sozioökonomisch Benachteiligter durch Spenden von Geräten oder durch Kurse für Kinder und junge Heranwachsende, eine Hacker School oder auch Hackathons. Siemens beschäftigt 5300 Mitarbeitende mit Behinderung und unterstützt dies maßgeblich in allen Bereichen, so auch in der IT. Diversität bedeutet für mich, die Mitarbeitenden so zu akzeptieren und sie darin zu bestärken, so bei Siemens zu arbeiten, wie sie sind, unabhängig von ihrer kulturellen, religiösen oder sexuellen Orientierung -unser oberstes Gebot. Last but not least: Im "E" für "Equity" bei DEGREE ist das Ziel von 30 % Frauen in Führungsrollen im Topmanagement bis 2025 festgelegt. Darüber hinaus fördern wir mit speziellen Programmen wie in der Kooperation mit dem BDI, "SheTransformsIT" oder auch mit Veranstaltungen wie "Female in Tech" sehr aktiv Frauen in Tech-Berufen und wollen hier bewusst Vorbehalte und Vorurteile abbauen. Andreas Maier: Ja, ökologische Aspekte sind bei Entscheidungen in der AXA sehr wichtig. Wir investieren auf der einen Seite massiv in Diversity und auf der anderen Seite auch aus ökologischen Gründen in eine Migration auf eine Public Cloud. Zudem sind im sog. IT-Target-Letter Nachhaltigkeitsziele enthalten. Michael Müller-Wünsch: Wir haben jüngst die Position der TECH-Ambassadorin installiert, deren Aufgabe es ist, die interessante Technologie-Domäne für junge Menschen, insbesondere Frauen aber auch Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger zu erklären. Wir bemühen uns mit Extra-Konferenzen, wie beispielsweise der develop genau diese Zielgruppe durch Fach-Workshops über die Vielfalt der Arbeitsfelder in der Technologie-Industrie zu informieren. Außerdem engagieren wir uns mit Vereinen, wie beispielsweise den ITgirls oder der Hackerschool, bei Schülerinnen und Schülern das Zukunftsfeld der Technologie-Berufe in die Aufmerksamkeit zu bringen. Dabei hilft sicherlich auch, dass wir uns sogar mit Forschungseinrichtungen darum bemühen, trotz der steigenden Digitalisierung bei uns und in der Gesellschaft, den damit verbundenen CO2-Footprint zu reduzieren. Eine Initiative ist der Daten-und Algorithmen-Minimalismus. Solche Programme inspirieren viele Menschen, bei OTTO zu arbeiten. Rolf Olmesdahl: Nachhaltigkeit und Diversität haben bei Raiffeisen in den letzten Jahren massiv an Bedeutung gewonnen. Sämtliche IT-Beschaffungen werden auch in Bezug auf Nachhaltigkeitsaspekte beurteilt. Die Förderung von Frauen in der IT ist mit konkreten Zielsetzungen und einem umfassenden Maßnahmenpaket unterlegt. Ursula Soritsch-Renier: Sustainability ist für Saint-Gobain ein zentrales Thema, das sehr viele Entscheidungen beeinflusst. Die Baubranche ist weltweit für 40 % des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Das derzeitige Wachstum wird anhalten, da u. a. die Weltbevölkerung und auch die Urbanisierung weiterwachsen werden. Das größte Unternehmen der Branche, Saint-Gobain, ist hier gefordert, seinen Beitrag zu leisten. Wir tragen eine besondere Verantwortung und arbeiten an allen Fronten, um unseren CO2-Ausstoß zu reduzieren. Digitalisierung spielt neben den spezifischen Baumaterialien dabei eine große Rolle. Genderfragen und Diversity sind natürlich in einem großen Unternehmen wie Saint-Gobain von wichtiger Bedeutung. Bei uns spiegelt sich dies bereits im Top Management wider. Der Vorstand besteht zu 50 % aus Nicht-Franzosen und der Frauenanteil liegt bei 38 %. In der IT-Branche ist dieser Prozentsatz nur schwierig zu verwirklichen. Gibt es in Indien noch mehr in IT ausgebildete Frauen, sind es in Europa einfach zu wenige, welche diesen Weg beschreiten. Grundsätzlich glaube ich, dass es da um schlechte Public Relation geht. Wie viele Teenager wissen, dass es in der IT eine große Anzahl an unterschiedlichen und spannenden Berufen gibt? Das, was man unter "IT" als Job versteht, nämlich Programmieren, macht vielleicht 10-20 % der eigentlichen Positionen aus. Ich würde mir mehr Kommunikation über die Vielfalt der Aufgaben innerhalb einer IT wünschen, damit sich dann mehr Frauen für eine solche Karriere entscheiden. Patrick Naef: Bei der Rekrutierung von Führungskräften, wie CIOs, sehen wir heute sehr oft die Anforderung an Diversität. Beispielsweise verlangen heute einige Firmen einen gewissen Prozentsatz von Kandidatinnen auf der Shortlist. Jedoch ist Gender nur ein Aspekt der Diversity. Wir sehen die Anforderung an Diversität in der Altersstruktur, jedoch kaum bei der kulturellen Herkunft, geschweige denn bei der Ausbildung. Da sind die meisten Firmen noch sehr traditionell unterwegs. Vermutlich hängt das auch damit zusammen, dass Gender Diversity heute in aller Munde ist und jeder bei diesem Thema gut dastehen will, jedoch andere Dimensionen der Diversity in den Medien kaum erwähnt werden. Walter Brenner: Sustainability, Genderfragen und Diversity werden auch in der IT in den nächsten Jahren eine große und immer wichtigere Rolle spielen. Da sind sich alle CIOs, die an diesem Dialog teilnehmen, einig. Auf der einen Seite geht es darum, Antworten auf diese Herausforderungen innerhalb der IT-Organisation zu finden, auf der anderen Seite, vor allem in ökologischen Fragen, einen Beitrag für das ganze Unternehmen zu leisten. Am Ende dieses Dialogs angekommen, danke ich Ihnen für Ihre Zeit und für die inspirierenden Antworten auf meine Fragen. Die CIOs, die für diesen Dialog gewonnen werden konnten, zeigen aus Sicht der Autorin und des Autors dieses Artikels eindrucksvoll, dass sie einen grossen, entschei-K denden Beitrag zur Digitalisierung ihres Unternehmens geleistet haben und auch in Zukunft leisten wollen. Sie sind sich der Herausforderungen für den CIO durch den verstärkten Einsatz der Informations-und Kommunikationstechnik bewusst: Es gilt Innovation auf der einen Seite und einen sicheren unterbrechungsfreien Betrieb auf der anderen Seite zu verbinden. Diese "Schere" ist nicht neu. Sie begleitet die CIOs schon seit vielen Jahren. Für die Zukunft spannend ist, wie die CIOs ihre Bereiche hinsichtlich der kommenden gesellschaftlichen Herausforderungen, wie beispielweise Nachhaltigkeit und Diversity, aufstellen. Die Statements der CIOs und des Headhunters zeigen deutlich, dass es auch in Zukunft spannende Fragen für die Wirtschaftsinformatik gibt, deren Bearbeitung sich in der Forschung lohnen wird. Danksagung Die Autorin und der Autor dieses Beitrages danken den CIOs, dass sie sich in der Vorweihnachtszeit und während der Pandemie Zeit genommen haben, um an einem wissenschaftlichen Beitrag mitzuwirken. Wir danken Frau Strahringer und den Reviewern für ihre wertvolle Unterstützung diesen unkonventionellen Beitrag publizieren zu können. Claudia Saxer, André Sagodi und Tobias Fahse danken wir für ihre Unterstützung bei der Fertigstellung des Artikels. Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. 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