key: cord-0075747-icls50nk authors: Kraft, Mirko title: Nachhaltigkeitsrisiken in Versicherungsunternehmen. Regulatorische Entwicklungen, Szenarioanalysen und Stress-Tests date: 2022-03-16 journal: ZVersWiss DOI: 10.1007/s12297-022-00521-8 sha: 1f8a65ea9f3cdf9052eea8064994e77b071e3abb doc_id: 75747 cord_uid: icls50nk This paper looks at regulatory developments on sustainability risks in insurance companies. Sustainability risks are differentiated based on ESG criteria (environmental, social, governance). A further differentiation is made between physical and transitory risks. Regulatory developments at global, European, and national level are traced. The focus is on the work on EU regulation by the European Commission and the EU insurance supervisory authority EIOPA, especially on the EU supervisory system Solvency II and on insurance stress testing exercises. The focus is on scenario analyses and stress tests on sustainability risks. The latter are applicable for micro- and macroprudential purposes. Their design is discussed with regard to, inter alia, scenarios, time horizons and granularity. The article thus provides an overview and outlook on the regulatory treatment of sustainability risks in the insurance sector, whereby the EU requirements could serve as a model for international progress in this field. 2. Nachhaltigkeit soll auf einer politisch-rechtlichen Ebene als dem Nachkommen des Paris Klimaabkommens verstanden werden. Sind die politischen Entscheidungen z. B. im Einklang mit einem Pfad, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen? Das Zwei-Grad-Ziel besagt, dass die globale Erwärmung langfristig auf höchstens zwei Grad Celsius (2°C) über der globalen Mitteltemperatur vor der Industrialisierung beschränkt werden soll, woraus sich maximale CO2-Emissionen ableiten lassen. 3. Nachhaltigkeit soll aus ökonomischer Sicht -aufbauend auf den beiden anderen Ebenen -über Nachhaltigkeitsrisiken für einzelne Unternehmen oder Märkte insgesamt konkretisiert werden, insbesondere über die sog. ESG-Kriterien (environmental, social, governance, siehe Abb. 2). 9 Da Risikomanagement in Versicherungsunternehmen und -gruppen einer (sektoralen) Regulierung und einer entsprechenden Beaufsichtigung durch Versicherungsaufsichtsbehörden unterliegt, ist diese Sichtweise auch diejenige auf regulatorischer Ebene. Die Identifikation und Bewertung der Nachhaltigkeitsrisiken kann als Nachhaltigkeits-Controlling verstanden werden, auf dem dann das eigentliche Nachhaltigkeits(risiko)management erfolgt. 10 Das Monitoring dieser Managemententscheidungen, d. h. die Überwachung der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen, schließt sich an und vervollständigt den Risikomanagement-bzw. Risiko-Controlling-Prozess in Bezug auf Nachhaltigkeit. 9 Risiken können zweiseitig definiert werden, sodass -als Gegenstück von Nachhaltigkeitsrisiken -auch Nachhaltigkeitschancen betrachtet werden. Der Fokus liegt hier aber stärker auf negativen Abweichungen. Für Chancen aus der Nachhaltigkeit für Versicherer siehe beispielsweise Gatzert et al. (2020, S. 315ff.) . 10 Zum Nachhaltigkeits-Controlling bei Versicherern vgl. Kraft (2019 Im betriebswirtschaftlichen Kontext wurde bisher häufig ein "Nachhaltigkeitsdreieck" zur Veranschaulichung herangezogen, bei dem die Eckpunkte ökonomisch, ökologisch und sozial sind. Nachhaltigkeit will die Ziele Ressourcenschonung, z. B. Umweltschutz, wirtschaftliche Stabilität, Sozialverträglichkeit, soziale Verantwortung, soziale Gerechtigkeit und Gesundheitsverträglichkeit gleichzeitig und gleichwertig erreichen. 12 Die Erreichung dieser Ziele in Kombination kann kompliziert werden, da der Zweck und die Grenzen der Verwirklichung sowohl die heutige als auch die zukünftige Generation nicht beeinträchtigen dürfen. Um Nachhaltigkeit für die gesamte Gesellschaft zu erreichen, ist es notwendig, Standards zu entwickeln. Diese Standards sollten auf jeden Bereich anwendbar sein. 13 Bei den ESG-Kriterien wird gerade nicht die ökonomische Dimension gegen andere nicht-ökomische gestellt. Ein Ausgleich oder eine Kompensation ist konzeptionell nicht angelegt. Letztlich äußert sich jedoch das Eintreten oder Nicht-Eintreten von Nachhaltigkeitsrisiken in finanziellen Größen. Die Standardisierung hat daher bereits mit der Risikoidentifikation und Risikomessung im Sinne einer Bewertung zu beginnen, um die Ziele und die Zielerreichung transparent und über Referenzpunkte vergleichbar zu machen. Ein Blick in die Medien zeigt, dass Nachhaltigkeit ein wichtiger Aspekt für Unternehmen, Kunden und Märkte ist. Bereits im Jahr 2018 haben sich einige Versicherungsunternehmen aus wirtschaftlichen Gründen aus Kohleinvestitionen zurückgezogen. Wenn die Erderwärmung nicht auf weniger als zwei Grad begrenzt werden kann, muss mit teuren und sozial weitreichenden Folgen gerechnet werden, beim Überschreiten von sog. Kipppunkt evtl. sogar von unbeherrschbaren und auch nicht mehr versicherbaren Folgen. Unter anderem sind fossile Brennstoffe wie Kohle für den größten Teil der klimaschädlichen CO2-Emissionen verantwortlich. Eines dieser Unternehmen, das Kohleinvestitionen ablehnt, ist die Munich Re. Die Munich Re investiert bereits heute nicht mehr in Aktien oder Anleihen von Unternehmen, die mehr als 30 % ihres Umsatzes mit Kohle erzielen oder Öl aus Ölsanden gewinnen. 14 Außerdem versichert sie keine neuen Kohlekraftwerke/-minen und kei-ne Anlagen zur Ölsandgewinnung mehr. 15 Auch die Allianz hat schon 2018 ähnliche Nachhaltigkeitszielsetzungen in Hinblick auf Kohleinvestitionen kommuniziert. 16 Mittlerweile haben immer mehr (deutsche) Versicherungsunternehmen und -gruppen ihre Nachhaltigkeitsstrategien kommuniziert. Die Nachhaltigkeitspfade, auf denen sich die Unternehmen befinden, sind allerdings kaum vergleichbar (gewesen). 17 Eine stärkere Vergleichbarkeit hat sich zuletzt dadurch ergeben, dass die Unternehmen sich gleichen Prinzipien unterwerfen (z. B. die UN Principles for Responsible Investment (UN PRI)) 18 oder sich zu Initiativen/Vereinigungen zusammenschließen, die einheitliche Ziele verfolgen. Zu nennen ist für letztere Entwicklung unter vielen die Net-Zero Asset Owner Alliance (NZAOA). 19 Es bleibt aber weiterhin kritisch, dass Stakeholder, insbesondere auch Aufseher den Grad der Nachhaltigkeit und damit das Ausmaß von Nachhaltigkeitsrisiken verlässlich abschätzen können müssen. Dazu bedarf es regulatorischer Vorgaben, deren Entwicklungen im nachfolgenden Kap. 3 dargestellt werden. Im Folgenden werden regulatorische Entwicklungen zu Nachhaltigkeitsrisiken behandelt. Ausgewählte regulatorische Entwicklungen im zeitlichen Überblick ab 2015 bis heute zeigt Tab. 1. Für die Diskussion besonders relevant erachteter Ereignisse wird eine Differenzierung nach politischen Ebenen vorgenommen. Begonnen wird mit einer globalen Ebene, weil dort die weiteren Entwicklungen ihren Ausgangspunkt haben. Schwerpunkt wird auf die EU-Ebene gelegt, weil sie die Ebene darstellt, auf der die Versicherungsregulierung maßgeblich auch für deutsche Versicherungsunternehmen und -gruppen festgelegt wird. Die Ergänzung um die nationale Ebene fokussiert Deutschland. 20 Aufgrund der Vielzahl der Initiativen auf den verschiedensten Ebenen und auch in unterschiedlichen Konstellationen in den letzten Jahren, insbesondere auch zuletzt, ist eine Auswahlentscheidung notwendig gewesen. Die bereits gestarteten Bemühungen zur Harmonisierung über Länder und über Sektoren sowie über Anwendungsfelder hinweg werden hoffentlich in Zukunft zu einheitlichen Ansätzen oder zumindest konsistenten und kompatiblen Daten und/oder Vorgehensweisen führen. Auch, wenn die Nachhaltigkeitsberichterstattung mittlerweile z. Hervorzuheben ist, dass im Pariser Klimaabkommen auch der Ausgangspunkt für eine nachhaltige Finanzwirtschaft ("sustainable finance") gelegt ist. Weit weniger bekannt und zunächst auch weniger beachtet als z. B. das Zwei-Grad-Ziel ist die Festlegung in Art. 2 Abs. 1 c), dass "die Finanzmittelflüsse in Einklang gebracht werden mit einem Weg hin zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung." 25 Hier gibt das Übereinkommen das Ziel vor, entschlossen gegen Klimaänderungen vorzugehen, unter anderem indem nicht weiter in Kohle investiert werden soll. Die unscheinbar anmutende Formulierung hat sich mittlerweile zu einer starken Bewegung unter dem Begriff "sustainable finance" entwickelt, die vor allem auch regulatorisch vorangetrieben wird und beispielsweise von der EU aufgegriffen wurde. Im Folgenden werden ausgewählte regulatorische Entwicklungen auf EU-Ebene mit Bezug zu Nachhaltigkeitsrisiken näher betrachtet (in zeitlicher Abfolge). K turkatastrophen, aber auch allgemeinere Klimatrends wie der allgemeine Temperaturanstieg, der Anstieg des Meeresspiegels oder klimabedingte Zwangsmigrationen, die sich auf die (Rück-)Versicherungstätigkeit auswirken könnten. Hinsichtlich der Bewertung von Vermögenswerten war EIOPA der Ansicht, dass weitere Verbesserungen bei der Verfügbarkeit und Qualität der für ihre Bewertung relevanten Informationen erforderlich sind, um sicherzustellen, dass die Marktpreise die Nachhaltigkeitsrisiken und -faktoren besser widerspiegeln können. Darüber hinaus sollten Szenarioanalysen angewandt werden, um Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Klimawandel zu bewerten und sicherzustellen, dass alle ESG-Kriterien übergreifend sind. Die EIOPA schlägt außerdem vor, Szenarioanalysen zu nutzen, um die Angemessenheit des besten Schätzwerts ("best estimate") unter Berücksichtigung der mit dem Klimawandel verbundenen Risiken sicherzustellen, der Teil der marktkonsistenten Bewertung der versicherungstechnischen Verbindlichkeiten ist. Die Unternehmen sollten sowohl historische Daten als auch die wissenschaftliche Literatur verwenden. Insgesamt sollten die Unternehmen sicherstellen, dass ihre historischen Verlustdaten auf dem neuesten Stand sind, mögliche Ereignisse berücksichtigen, die von den historischen Verlustdaten des Unternehmens nicht erfasst werden, und eine zukunftsorientierte Katastrophenmodellierung entwickeln und anwenden sowie Stress-Tests oder Szenarioanalysen durchführen. 28 Mit Blick auf die Underwriting-Praktiken war EIOPA der Meinung, dass Versicherungsunternehmen zur Anpassung an den Klimawandel und zu dessen Abschwächung beitragen sollten. Ein einschlägiges Beispiel ist das "Impact Underwriting", welches die Entwicklung neuer Versicherungsprodukte, Anpassungen in der Gestaltung und Preisgestaltung der Produkte und die Zusammenarbeit mit den Behörden umfasst, ohne die versicherungsmathematischen, risikobasierten Grundsätze der Risikoselektion und Preisgestaltung zu missachten. Im Hinblick auf die Kapitalanforderungen musste lt. EIOPA jede Änderung auf einem nachgewiesenen Risiko beruhen, das sich vom Status quo unterscheidet. Das zugrundeliegende Risiko ist hier der Ausgangspunkt. Eines davon ist das Marktrisiko. In diesem Zusammenhang ist es z. B. notwendig, das Risikoprofil verschiedener Arten von Immobilien zu berechnen und über Daten zu verfügen, die mehr als einen Konjunkturzyklus abdecken. Ein weiteres Risiko ist das Naturkatastrophenrisiko. Hier schlägt EIOPA vor, dass die Modellierer von Katastrophenrisiken ihre Analysen über die möglichen Auswirkungen des Klimawandels ausweiten und die Ergebnisse dieser Analysen in ihre Modelle einfließen lassen sollten. Was die internen Modelle betrifft, so wird vorgeschlagen, nicht nur historische Daten zu verwenden, sondern einen stärker zukunftsorientierten Ansatz zu verfolgen und spezifische und konsistente Szenarien anzuwenden. Die letzten Themen sind Herausforderungen bei der Integration von Überlegungen zu nachhaltigen Finanzen in die Anforderungen der Säule 1 und Vorschläge für das weitere Vorgehen. EIOPA sah keine Notwendigkeit, den Zeithorizont zu ändern, schlug aber vor, Instrumente wie Szenarioanalysen und Stress-Tests in Säule 2 zu verwenden, um die Auswirkungen des Klimawandels zu erfassen. EIOPA ist der 28 EIOPA (2019a). Mit einer delegierten Verordnung zur Änderung der Solvency II-Delegierten Verordnung (SII-DVO 2015) führte die Europäische Kommission eine Definition von Nachhaltigkeitsrisiken auf Level 2 von Solvency II ein. 30 Als "Nachhaltigkeitsrisiko" wird definiert "ein Ereignis oder eine Bedingung in den Bereichen Umwelt, Soziales oder Unternehmensführung, dessen beziehungsweise deren Eintreten tatsächlich oder potenziell negative Auswirkungen auf den Wert der Investition oder auf den Wert der Verbindlichkeit haben könnte" (Art. 1 Nr. 55c). Es erfolgt hier also ebenfalls eine Definition von Nachhaltigkeit über die ESG-Kriterien (s. 2.1) sowohl auf der Aktiv-als auch Passivseite der Solvency II-Bilanz. Die so definierten Nachhaltigkeitsrisiken sind nun explizit beim Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht ("prudent person principle") bei der Kapitalanlage zu berücksichtigen (Art. 275a SII-DVO (2015)). Dies stellt in gewisser Weise nur eine Klarstellung dar, da bisher auch schon alle relevanten Risiken zu berücksichtigen waren. Aus der nun nicht mehr nur impliziten Berücksichtigung folgen jedoch zumindest höhere Anforderungen an den Nachweis der Einhaltung der Kapitalanlagevorschriften, beispielsweise durch entsprechend erweiterte Checklisten und Dokumentation. Außerdem sind die Nachhaltigkeitsrisiken nun im Risikomanagementsystem und beim Gesamtsolvabilitätsbedarf ebenfalls explizit zu berücksichtigen (Art. 260 bzw. 262 SII-DVO (2015)). Die Ermittlung und Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken wird analog sich abzeichnender Risiken (sog. emerging risks) explizite Aufgabe der Risikomanagement-Funktion (Art. 269 SII-DVO (2015)). Auch wenn die Säule 2-Vorschriften qualitatives Risikomanagement im Kern beschreiben, klingt hier auch die Notwendigkeit der Quantifizierung von Nachhaltigkeitsrisiken an. Um sicherzustellen, dass Nachhaltigkeitsrisiken angemessen gemanagt werden, müssen zusätzlich die Vergütungs-Leitlinien nun Angaben dazu enthalten, wie der 29 EIOPA (2019a). 30 Vgl. dazu und im Folgenden Europäische Kommission (2021a). K Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken in das Risikomanagementsystem Rechnung getragen wird (Art. 275 SII-DVO (2015)). Die Europäische Kommission folgte damit den EIOPA-Vorschlägen. 31 Diese neuen Level 2-Vorschriften werden ab August 2022 für Versicherungsunternehmen und -gruppen unter Solvency II-Aufsicht gelten. Wegen der Rechtssetzung als delegierte Verordnung gelten sie in den EU-Mitgliedstaaten unmittelbar und bedürfen keiner Umsetzung in nationales Recht. In einer Veröffentlichung erörtert EIOPA die bisher für die Kalibrierung des SCR für Naturkatastrophen verwendete Methodik im Standardansatz und stellt Gefahren und Länder vor, die vom Klimawandel wesentlich betroffen sein könnten. 32 Zu konstatieren ist, dass das höhere Bewusstsein für Nachhaltigkeitsrisiken sowie anhaltend hohe Schäden durch Naturkatastrophen (wie 2021 im Ahrtal) eine Neubewertung der bestehenden Parameter erforderten. Häufigkeit und Schwere von Naturkatastrophen werden aufgrund des Klimawandels zunehmen. Um den Schutz der Versicherungsnehmer und die Stabilität des Versicherungsmarktes zu gewährleisten, sollten das SCR für das versicherungstechnische Risiko von Naturkatastrophen die erwarteten Auswirkungen des Klimawandels widerspiegeln. Es werden technische Vorschläge erläutert, wie der Klimawandel in die NatCat-SCR-Kalibrierung in der Standardformel zukünftig besser und zeitgerecht einbezogen werden kann. Eine Umsetzung dieser Vorschläge könnte auch im Kontext des Solvency II-Review vorgenommen werden, der im Folgenden dargestellt wird. K tigkeit bewerten. 34 Dies impliziert auch eine Ausweitung des zeitlichen Horizonts der ORSA-Berichterstattung über die bisherigen 3 bis 5 Jahre ("Planungshorizont") hinaus. EIOPA erhält zudem den Auftrag, bis 2023 eine spezielle aufsichtsrechtliche Behandlung von Risiken im Zusammenhang mit Vermögenswerten oder Tätigkeiten zu prüfen, die im Wesentlichen mit ökologischen und/oder sozialen Zielen verbunden sind (Art. 304a SIIR-RL). Damit wird die Diskussion zu sog. "green supporting"bzw. "brown penalising"-Faktoren aufgegriffen. Zudem soll EIOPA mindestens alle drei Jahre den Umfang und die Kalibrierung der Parameter der Standardformel für das Naturkatastrophenrisiko überprüfen (vgl. 3.2.3). Nachhaltigkeitsrisiken führen von daher nicht zu einem eigenen SCR-Risikomodul, sondern sind in den bestehenden Risikomodulen abzubilden (vgl. 4.3.1). EIOPA hat die Vorschläge der Europäischen Kommission zu Nachhaltigkeit im Solvency II-Review begrüßt. 35 Ende 2021 startete EIOPA eine freiwillige Pilotübung ("pilot exercise"), um besser zu verstehen, wie Versicherungsunternehmen klimabezogene Anpassungsmaßnahmen in Nicht-Leben-Versicherungsprodukte integrieren und um die Angemessenheit der entsprechenden aufsichtsrechtlichen Behandlung dieser Versicherungsprodukte zu bewerten. Die Zeichnungs-und Preispolitik der Versicherungsunternehmen soll dazu näher betrachtet werden. Die Möglichkeit beizutragen, stand allen Interessierten bis Februar 2022 offen; mit den Stakeholdern sollen ab März 2022 Interviews geführt werden. In den nächsten drei Jahren bis 2024 wird "Sustainable Finance" weiterhin eine hohe strategische Priorität für die Arbeit von EIOPA haben. 36 Im Folgenden werden ausgewählte regulatorische Entwicklungen auf nationaler Ebene vorgestellt, wobei der Fokus auf Deutschland liegt. Auch in anderen EUund Nicht-EU-Ländern sind Aufsichtsbehörden in Hinblick auf Nachhaltigkeit aktiv geworden. 37 Angesichts der Klimakrise als globaler Herausforderung ist die Fragmentierung der Aktivitäten vielleicht verwunderlich, es dürfte aber mit zunehmender Dauer zu einer Koordinierung unter den Aufsichtsbehörden kommen, die zu mehr Kohärenz der Vorgaben auch in diesem Feld führen sollte. Insbesondere für internationale Versicherungsgruppen und Finanzkonglomerate ist es von hoher Bedeutung, dass Investitionen in z. B. Datenerfassung und Berichtsformate nicht mehrfach getätigt werden müssen. 34 Eine solche Integration von Nachhaltigkeitsrisiken im Risikomanagement nach Solvency II hatte die Europäische Kommission angekündigt. Vgl. dazu Europäische Kommission (2021c, S. 14 ("Action 3")). 35 Vgl. EIOPA (2021e). 36 Vgl. dazu EIOPA (2021c). 37 Fallbeispiele und Aufsichtspraktiken aus diversen Staaten finden sich beispielsweise in IAIS (2021). K Für Gruppen unter Solvency II-Gruppenaufsicht haben die EU-Vorschriften eine Ausstrahlungswirkung, da Säule 2-Vorgaben (ORSA-Prozess!) auch auf Gruppen-Ebene mutatis mutandis gelten. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat Ende 2019 ein sog. Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlicht, 38 das zuvor zwischen September und November 2019 öffentlich konsultiert worden war. Es ist sektorübergreifend konzipiert und beschreibt Anforderungen an beaufsichtigte Unternehmen, wie Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Kapitalverwaltungsgesellschaften. Es behandelt Nachhaltigkeitsrisiken im Hinblick auf den aufsichtlichen Prüfungsprozess und enthält Good-Practice-Ansätze sowie Beispiele. Zudem werden Ergänzungen zu den Mindestanforderungen an das Risikomanagement formuliert. Die BaFin stellt u. a. in den folgenden Bereichen Anforderungen an den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken: 39 Strategien der beaufsichtigten Unternehmen, Verantwortungsvolle Unternehmensführung ("Tone at the top"), Geschäftsorganisation ("Governance"), Risikomanagement, Stress-Tests einschließlich Szenarioanalysen, Auslagerung/Ausgliederung (Outsourcing), Gruppensachverhalte und Verwendung von Ratings. Die Vorgaben sind also überwiegend an das qualitative Risikomanagement gerichtet, bei Versicherungsunternehmen und -gruppen unter Solvency II-Aufsicht demnach in Säule 2. Diese Szenarien zeigen exemplarisch die Komplexität, die Nachhaltigkeitsrisiken innewohnen kann und dass aus Nachhaltigkeit selbst wiederum Risiken resultieren können (Beispiel 3 oben). Eine einfache Modellierung über einzelne Parameter, wie sie beispielsweise bei Sensitivitäten bei finanziellen Risiken, erfolgt, kann dem letztlich nicht genügen. Versicherungsspezifisch werden nun pragmatische, konzeptionelle Herangehensweisen vorgestellt, die erste Schritte zu weitergehenden Modellierungen sein könnten, wobei diese im Risikomanagement-Prozess gesehen werden, der aufsichtsrechtlich die unternehmensindividuelle Risiko-und Solvenzbeurteilung (ORSA) darstellt. Bei Szenarioanalysen im ORSA-Prozess kann die Differenzierung von Nachhaltigkeitsrisiken in physische Risiken und Transitionsrisiken genutzt werden. Die BaFin definiert physische Risiken und nennt Beispiele für physische Risiken, wobei sie wiederum kurzfristige/akute Ereignisse auf der einen Seite und in langfristige/chronische Veränderungen auf der anderen Seite unterscheidet: "Physische Risiken ergeben sich sowohl im Hinblick auf einzelne Extremwetterereignisse und deren Folgen (Beispiele: Hitze-und Trockenperioden, Überflutungen, Stürme, Hagel, Waldbrände, Lawinen) als auch in Bezug auf langfristige Veränderungen klimatischer und ökologischer Bedingungen (Beispiele: Niederschlagshäufigkeit und -mengen, Wetterunbeständigkeit, Meeresspiegelanstieg, Veränderung von Meeresund Luftströmungen, Übersäuerung der Ozeane, Anstieg der Durchschnittstemperaturen mit regionalen Extremen)." 47 Für beide Kategorien innerhalb der physischen Risiken sind relevante Szenarien für das Unternehmen herauszufiltern (z. B. für die eigenen Immobilien). Für die jeweiligen Risiken sind dann entsprechende Zeithorizonte für die jeweiligen Szenarien zu wählen. Transitionsrisiken (auch: transitorische Risiken, Übergangsrisiken) sind demgegenüber definiert als Risiken "im Zusammenhang mit der Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft: Politische Maßnahmen können zu einer Verteuerung und/oder Verknappung fossiler Energieträger führen (Beispiele: Kohleausstieg, CO2-Steuer, Emissionszertifikate) oder zu hohen Investitionskosten aufgrund erforderlicher Sanierungen von Gebäuden und Anlagen. Neue Technologien können bekannte verdrängen (Beispiel: Elektromobilität), veränderte Präferenzen der Vertragspartner und gesellschaftliche Erwartungen können nicht angepasste Unternehmen gefährden." 48 Für die genannten Beispiele ist es schon deutlich schwieriger, entsprechende Szenarien zu entwickeln, da sie von politischen Entscheidungen abhängen können, die z. B. früher oder später (evtl. erst unter einer neuen Regierung) getroffen werden. Hinzu kommt, dass Interdependenzen zwischen physischen Risiken und Transitionsrisiken bestehen: Eine starke Zunahme der physischen Risiken würde eine abruptere Umstellung der Wirtschaft erfordern, was wiederum zu höheren Transitionsrisiken führt. 49 Hinzu kommen Szenarien für soziale und Governance-Aspekte, die eine weitere Herausforderung neben der ökologischen Dimension darstellen. Hier sind Schäden auch vor allem als Reputationsrisiken denkbar. 50 Ein einfacher Ansatz ist, auch Ausschlusskriterien 51 oder Limite, z. B. für nachhaltige Investitionen, zu betrachten (siehe Tab. 3 im Anhang) und zu prüfen, ob solche Investitionen im eigenen Bestand vorhanden sind. Für diese können dann spezifische Szenariobetrachtungen durchgeführt werden, auch wenn ihr Anteil oder Wert eher gering ausfällt. Daraus ergeben sich wertvolle Einsichten in evtl. notwendige Anpassungen der Kapitalanlagestrategie. Dies kann als eine Form des "Alignment" verstanden werden. Die meint, die eigene Geschäftstätigkeit an politischen Zielsetzungen auszurichten, um Wachstumschancen zu nutzen bzw. die negativen Folgen der Durchsetzung dieser politischen Ziele möglichst zu vermeiden. 52 In der Praxis häufig sinnvoll wäre beispielsweise eine Angleichung an die Ziele des Pariser Klimaabkommens, wozu Unternehmen sich selbst einen Dekarbonisierungspfad vorgeben. Dies bedeutet, dass die Produktion von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen bzw., im Falle des Finanzsektors, die Bereitstellung von Kapital, in bestimmten Zeitschritten mit kontinuierlich sinkenden Treibhausgasemissionen verbunden sein muss, so dass das Unternehmen am Ende (netto) nicht mehr zur Klimaerwärmung beiträgt. 53 Referenz-Leitbild können auch sein die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (vgl. 2.1) oder auch die Taxonomie-Verordnung (2020) als mögliche Optionen für strategische Festlegungen z. B. hinsichtlich einer Strategic Asset Allocation (SAA). 54 Für unternehmensindividuelle Stress-Tests bzw. Szenarioanalysen für Nachhaltigkeitsrisiken können zum Beispiel die vom Network for Greening the Financial 52 Vgl. BaFin (2021a, S. 14). 53 Vgl. BaFin (2021a, S. 14). 54 Vgl. BaFin (2021a, S. 14). K System (NGFS) weiterentwickelten Szenarien dienen, 55 wobei die eingeschränkten Annahmen der Modelle zu berücksichtigen wären (z. B. wenn Extremwetterereignisse, Meeresspiegelanstieg und soziale Auswirkungen nicht eingerechnet sind). 56 Die Kapitalanforderungen unter Solvency II sind zum einen die Solvency Capital Requirement (SCR) und das Minimum Capital Requirement (MCR). Da die Berechnung des MCR nicht ausreichend risikobasiert erfolgt, erscheint keine weitere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken erforderlich. Dadurch, dass das MCR in einer vorgegebenen Spannbreite gemessen am SCR liegt, ergäbe sich aus der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken im SCR auch eine implizite Berücksichtigung im MCR. Insbesondere würde eine deutliche Erhöhung des SCR auch zu einer Erhöhung des MCR führen. In Säule 2 ist eine Berechnung eines Gesamtsolvabilitätsbedarf verlangt, die auch dazu dient, die Annahmen der SCR-Berechnungen in Säule 1 zu validieren. Naheliegend ist daher auch für die Säule 2-Berechnungen das Risikomaß und die grundsätzliche Berechnungsstruktur beizubehalten und nur bei unternehmensspezifischen Besonderheiten davon abzuweichen und andere Ansätze zu wählen. Mit der Änderung der Solvency II-Delegierten Verordnung (SII-DVO 2015) ist die explizite Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken bei der Ermittlung des Gesamtsolvabilitätsbedarfs auch regulatorisch vorgegeben. Als Risikomaß für die SCR-Berechnung dient unter Solvency II der Value at Risk (VaR) zum Konfidenzniveau von 99,5 % auf Ein-Jahres-Sicht (sog. SCR-Kalibrierung): SCR := |VaR99.5(X)|. Diese Risiko-Festlegung ist auch für die einzelnen SCR der einzelnen Risikokategorien (Risikomodule bzw. Risikosubmodule) vorgesehen. Innerhalb der Risikomodule erfolgt die Risikoaggregation durch Korrelationsfaktoren, die die lineare (statistische) Abhängigkeit zwischen jeweils zwei SCR beschreibt. 57 Für die fünf Risikomodule auf oberste Ebene ergibt sich folgende SCR-Aggregation: 58 BSCR D s X ij Corr ij SCR i SCR j C SCR intangibles Vereinfachend sollen an dieser SCR-Kalibrierung und -Aggregation ("Standardformel") die Alternativen der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken betrachtet werden. Eine erste Idee könnte sein, das SCR anzupassen, indem man das Nachhaltigkeitsrisiko als Ganzes hinzufügt, wobei zuvor das Nachhaltigkeits-SCR in einem separaten Risikomodul ermittelt wurde (vgl. Variante 1a in Abb. 3). Solvency II berechnet den SCR jedoch mit einer Kalibrierung eines VaR mit einem Konfidenzniveau von 99,5 % über einen Zeithorizont von einem Jahr. Die Frage wäre insbesondere, ob bzgl. physischen und transitorischen Risiken der Klimawandel als 200-Jahres-Ereignis betrachtet werden kann? Die Herausforderung ist zudem, dass, um eine Doppelberücksichtigung zu vermeiden, in den anderen SCR keine Nachhaltigkeitsrisiken enthalten sind. Insbesondere erscheint dies dann zu erfordern, bei Naturkatastrohen zu unterscheiden, ob diese Klimawandel-bedingt sind oder nicht. Auch, wenn die sog. Attributionsforschung genau dazu Ansätze entwickelt hat, erscheint dies wenig praktikabel auf granularer Ebene der Schäden. 59 Vorteil wäre, dass keine Korrelationen zu anderen SCR betrachtet werden müssten und die bestehenden, sofern risikobasiert, beibehalten werden könnten. Die zweite Idee könnte darin bestehen, das Nachhaltigkeitsrisiko ebenfalls als Ganzes, aber als zusätzliches Risikomodul auf Ebene der anderen Hauptrisikomodu-le hinzuzufügen (Variante 1b). Dies würde die Festlegung von Korrelationsfaktoren mit den anderen SCR erfordern. Möglich wäre es, in den anderen SCR enthaltene Nachhaltigkeitsrisiken dort zu belassen und nur die nicht bereits berücksichtigten in dem separaten Risikomodul mitaufzunehmen. Umgekehrt könnte eine gewisse Korrektur über die Korrelationsfaktoren erfolgen. Beide Varianten (1a oder 1b, nicht in Kombination!) lösen aber nicht die Problematik der Bestimmung des Nachhaltigkeitsrisikos insgesamt aus ganz verschiedenen Risiken sowohl auf der Aktiv-als auch auf der Passivseite. Zudem ist dies nur mit sehr groben Annahmen über Abhängigkeitsstrukturen möglich. Auch, wenn manche dieser Risiken für Versicherungsunternehmen evtl. nicht wesentlich sind, bleiben bezüglich der Integration in die Säule 1-SCR-Struktur einige Risiken übrig, die nicht explizit quantifiziert werden (vgl. Abb. 5). Es zeigt sich, dass eine Vielzahl dieser Risikoarten richtigerweise betroffen sind, aber nicht in der SCR-Struktur im Standardansatz (quantitativ) erfasst werden können (z. B. auch nicht in ihrer zeitlichen Struktur wie strategische Risiken auf Ein-Jahres-Sicht). Da der ORSA-Prozess eigentlich keine internen Modelle 62 und diese auch noch mehrjährig implizieren soll, ergibt sich, dass zusätzliche Betrachtungen durchgeführt werden müssen, um die (zukünftigen) regulatorischen Anforderungen zur Integration relevanter Nachhaltigkeitsrisiken in den ORSA-Prozess und das Risikomanagementsystem zu erfüllen. Stress-Tests werden in der Versicherungspraxis schon lange diskutiert, auch wenn Stress-Tests im Bankenumfeld eine andere (höhere) Bedeutung hatten. 63 Auch aufsichtliche Stress-Tests für Versicherungen sind schon lange in der Diskussion. 64 Im Bankenbereich sind nach wie vor beispielsweise Stress-Tests für spezifische Risikokategorien üblich, z. B. zum Kreditrisiko oder zum Marktpreisrisiko. Lange Tradition haben im Versicherungsbereich Stress-Tests für die Kapitalanlagen. Neu ist, dass Stress-Tests (auch) direkt Nachhaltigkeitsrisiken adressieren. Überraschend ist diese Integration von Nachhaltigkeitsrisiken allerdings nicht, da Szenarioanalysen und Stress-Tests seit jeher zur Beurteilung und Steuerung von Risiken in Unternehmen als auch auf Märkten eingesetzt wurden. Sie sind daher auch regulatorisch im Banken-wie auch in der Versicherungsaufsicht von Aufsichtsbehörden verlangt und um spezifische Aspekte erweitert bzw. angepasst worden (z. B. aufgrund der Finanzkrise 2007/2008 oder zuletzt aufgrund der COVID-19-Pandemie). Stress-Tests werden zum Teil auf ihre puren Ergebnisse reduziert und manchmal wegen zu hoher oder zu niedriger Wahrscheinlichkeiten für die getesteten Szenarien kritisiert, 65 sie sind jedoch auch insbesondere als Prozess betrachtet wertvoll. 66 ser Prozess beinhaltet z. B. die Datensammlung als auch die (adressatengerechte) Kommunikation der Stress-Test-Ergebnisse. 67 Die besondere Herausforderung von Nachhaltigkeits-Stress-Tests besteht in den für Klimawandel-Szenarios zu treffenden Annahmen und deren Unsicherheiten. 68 Dies gilt in gleicher Weise für Stress-Tests zu Nachhaltigkeitsrisiken, die für mikro-oder makroprudenzielle Zwecke entwickelt werden (Mikro-bzw. Makro-Stress-Tests). Die unterschiedlichen Ziele sind in Tab. 2 aufgeführt. Um diese Ziele zu erreichen, werden im Folgenden Ausgestaltungsempfehlungen im Sinne von Referenz-Punkten gegeben. Unbenommen bleibt, dass damit keine vollständigen Lösungen erreicht werden, sondern nur eine Referenz-Architektur von Strukturen und die konkrete Umsetzung (unternehmensindividuell oder marktbezogen) herausfordernd bleibt. Für die Ausgestaltung von Mikro-Stress-Tests werden folgende Referenz-Punkte vorgeschlagen, die eine Referenz-Architektur von Stress-Tests zu Nachhaltigkeitsrisiken für (einzelne) Versicherungsunternehmen und -gruppen darstellen können: 69 In Mikro-Stress-Tests sollten physische und transitorische Risiken (idealerweise inkl. Haftungsrisiken) und die Zusammenhänge zwischen ihnen betrachtet werden. Die Auswirkungen von Nachhaltigkeitsrisiken sollten sowohl aktiv-als auch passivseitig berücksichtigt werden. 67 Gerade im Hinblick auf Nachhaltigkeitsrisiken ist es wichtig, dass Stakeholder die Ergebnisse von Stress-Tests verstehen und einordnen können. Vgl. The Geneva Association (2021, S. 29). 68 Siehe dazu z. B. Es sollten mehrere Transitionspfade einbezogen werden, um die unterschiedlichen Kombinationen des Trade-offs zwischen Transitionsrisiken und den damit verbundenen (hoffentlich vermiedenen) physischen Risiken zu erfassen. Bezüglich des Zeithorizonts sollten neben kurz-und mittelfristigen Szenarien auch langfristige Betrachtungen, ggfs. eher qualitativer Natur, angestellt werden. Akute und chronische Risiken des Klimawandels sollten in den Stress-Tests vorgesehen sein, um sowohl die kurzfristigen Effekte als auch die langfristigen Auswirkungen zu erfassen. Zu diesen Referenz-Punkten werden nun noch ausgewählte Aspekte ergänzt bzw. konkretisiert: Für die Ausgestaltung geeigneter Szenarien kann insbesondere auf die Vorarbeiten des NGFS zurückgegriffen werden, die vier Referenz-Felder für Szenarien über die zwei Dimensionen physische Risiken und transitorische Risiken definieren (Referenz-Matrix). 70 Als Referenz-Szenarios können die im 6. IPCC-Bericht (IPCC AR6) entwickelten herangezogen werden (sog. Shared Socioeconomic Pathways, SSPs). Hinsichtlich der Granularität der Betrachtungen sollte der Grundsatz der Proportionalität angewendet werden, der bei Mikro-Stress-Tests eine detaillierte Betrachtung an den Stellen erfordert, bei denen das Risikoprofil gegenüber Nachhaltigkeitsrisiken anfällig und mit erheblichen Auswirkungen verbunden sein kann: 71 -Bezüglich der Kapitalanlagen sollte mindestens nach Anlageklassen, Sektoren und Ländern unterschieden werden. -Beim Versicherungsgeschäft bieten sich Unterscheidungen nach Versicherungszweigen oder zumindest nach den Sparten Leben, Kranken und Nicht-Leben an. -Umgekehrt kann an anderen Stellen eine zunächst nur pauschalere Betrachtung sinnvoll sein. Klimawandel-Stress-Testing erfordert wegen der allmählichen Realisierung des Risikos über einen langen Zeitraum andere Zeithorizonte in der Betrachtung. 72 Zudem sind die Veränderungen teilweise bereits realisiert und Auswirkungen bereits heute spürbar. Vor dem Hintergrund sind standardisierte Methoden bisher nicht gefunden und auch die Entwicklung ist als sehr dynamisch anzusehen. 73 Lt. BaFin haben deutsche Versicherungsunternehmen allerdings hinsichtlich der ESG-Kriterien noch keine Ausweitung des Planungshorizonts (von üblicherweise 3-5 Jahren) vorgenommen. 74 Es is darüber nachzudenken, für einzelne Entscheidungsfelder den Betrachtungszeitraum auszudehnen und damit differenzierte Horizonte für z. B. neue Geschäftsfelder zu setzen. K Für langfristige Betrachtungen sind weniger rein quantitative Berechnungen zielführend, sondern auch qualitative Abschätzungen, sodass eine Kombination quantitativer und qualitativer Elemente entscheidungsnützlich sein könnte, z. B. hinsichtlich strategischer Risiken für spezifische Geschäftsmodelle. Die Modellierungsansätze sind je nach Risikoart jeweils in Bezug auf transitorische oder physische Risiken spezifisch zu wählen (vgl. 4.3). 75 Zur Kalibrierung sind möglichst historische Daten, aber auch hypothetische Daten einzubeziehen. Die Dynamik der Entwicklung geeigneter Modelle, die auch frei/öffentlich verfügbar sind, ist im vollen Gange. Für kleinere und mittlere Unternehmen ist der Weg, eigener Modellierungen nur bedingt gangbar, sodass z. B. auch Versicherungsverbänden eine wichtige Aufgabe zukommt, gemeinsam entwickelte Lösungen bereitzustellen. Als Referenz-Eckpunkte können die für Mikro-Stress-Tests skizzierten von Aufsichtsbehörden adaptiert werden. Im Fokus wird nun der EU-Versicherungsmarkt stehen, für die die regulatorischen Entwicklungen hinsichtlich Nachhaltigkeitsrisiken skizziert wurden, insbesondere hinsichtlich ihrer Einbeziehung in Säule 2 und auch Säule 1 von Solvency II (vgl. 3.2 In Anbetracht der zunehmenden Berücksichtigung von Klimarisiken durch die Versicherungsbranche und die Aufsichtsbehörden auf europäischer und globaler Ebene und mangels eines allgemeinen Rahmens für Klima-Stress-Tests für den Versicherungssektor in der EU werden in diesem Papier konzeptionelle Ansätze für die Bewertung von Klimarisiken für Versicherer unter ungünstigen Szenarien vorgestellt. Diese könnten auch für die nationalen Aufsichtsbehörden maßgeblich sein, um zu vermeiden, dass jeweils unterschiedliche Ansätze in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten gewählt werden, sodass die Auswirkungen auf die nationalen Finanzmärkte nicht oder nur sehr bedingt verglichen bzw. zu Betrachtungen des EU-Versicherungsmarktes aggregiert werden können. Da zumindest kurzfristig nur bedingt auf die spezifischen Mikro-Stress-Tests der Versicherungsunternehmen und -gruppen zurückgegriffen werden kann (weil noch in Entwicklung), ist der Weg über standardisierte Vorgaben für den Teilnehmerkreis der bisherigen Versicherungs-Stress-Tests gangbar (ca. 30 bis 40 große, internationale Versicherungsgruppen, nach Größe bzw. nationaler Bedeutung ausgewählt). Zwischen der Solo-Betrachtung und der Gesamtmarktbetrachtung im Hinblick auf Nachhaltigkeitsrisiken könnte -wie allgemein auch -eine "Gruppenbetrachtung" der Auswirkungen des Klimawandels wertvoll sein. In Abb. 6 ist eine solche illustrativ dargestellt. Sie zeigt das Verhältnis der Eigenmittelhöhe zum (Gruppen-)SCR vor Stress (viereckig, echte Daten) bzw. nach Stress (dreieckig, illustrative Daten) für die Unternehmen, die am EIOPA-Versicherungs-Stress-Tests 2020 teilgenommen haben (sofern die Daten verfügbar waren). Der Stress für die Eigenmittel ist simuliert über einen Anteil "grüner" Kapitalanlagen mit geringerem Stress und einem höheren Stress für die (z. B. nicht-Taxonomie-konformen) restlichen Kapitalanlagen. Das gestresste SCR ergibt sich aus einer pauschalen Annahme zur Erhöhung physischer Risiken mit einem höheren versicherungstechnischen Risiko. Während vor dem Stress die Punkte größtenteils einen großen Abstand zur eingezeichnete Ursprungsgerade haben, die einer Solvenzquote von 100 % entspricht, nähern sich die (dreieckigen) Punkte dieser Linie an bzw. unterschreiten sie sogar in einzelnen Fällen, sodass sich ein (illustratives) Bild der Finanzstabilität eines großen Teils des EU-Versicherungsmarktes ergibt. Die Gefahr standardisierter Stress-Tests ist, dass relevante Organisationseinheiten innerhalb der Versicherungsunternehmen und -gruppen nicht ausreichend in das Stress-Testing eingebunden sind (evtl. sogar eine Beauftragung externer Beratungsunternehmen erfolgt), sodass u. a. wegen geringerer Akzeptanz der Stress-Tests auch deren Ergebnisse unter Umständen nicht ausreichend in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. 81 Aufgabe der "gestressten" Versicherungsunternehmen und -gruppen ist auch eine adressengerechte Kommunikation der Ergebnisse an die Stakeholder, beispielsweise ist die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit bezüglich der Absicherung von Naturkatastrophen (über z. B. eine Versicherungspflicht bei der Gebäudeversicherung zu einer zusätzlichen Elementarschadenversicherung) groß. Dringend notwendig wäre beispielsweise auch, zu testen, ob durch Naturkatastrohen bei zunehmenden Klimawandel zukünftig Teile des Versicherungsmarktes ausfallen und ggfs. Insolvenzsicherungssysteme greifen müssten, um die Schäden für die Versicherten zu zahlen. In solchen Makro-Stress-Tests ist zu überlegen, ob Rückversicherungsschutz als vollständig risikomindernd angesehen wird oder ob auch der Rückversicherungsschutz zumindest teilweise ausfallen könnte, was dann im Weiteren die Frage staatlicher Haftung aufwirft. Die Klimakrise wird weiterhin die politische Agenda prägen. Insbesondere wird die Fridays for Future-Bewegung keine temporäre Erscheinung bleiben, sondern in vielen Ländern weiter einen großen Einfluss auf die Öffentlichkeit haben. Auch, wenn sich darin besonders junge Menschen engagiert und für das Bewusstsein des Klimawandels demonstriert haben, werden Nachhaltigkeitsziele von der breiten Bevölkerungsmehrheit in der EU getragen. Auch, wenn die Anzahl der Demonstrationen oder die Anzahl der Teilnehmenden in Zukunft abnehmen sollte, wird der 81 Vgl. Fremdt und Völz (2010, S. 8). K Trend zur Nachhaltigkeit Regierungen weiterhin darin erinnern, die völkerrechtlich eingegangenen Verpflichtungen zum Klimaschutz auch konkret umzusetzen. Unternehmen tun daher im Einklang mit diesen politischen Rahmenbedingungen gut daran, ihre Kohleinvestitionen zu reduzieren. Dies kann auch als ein Grund für den Rückzug von Versicherungsunternehmen als Investoren gesehen werden. Viele Versicherungsunternehmen haben sich wie auch die deutsche Versicherungsbranche insgesamt als institutionelle Anleger mit langfristigen Anlagehorizont bereits abgewendet; dies wird sich auch in Richtung einer Abkehr von der Versicherung von beispielsweise Kohlekraftwerken oder -minen fortsetzen. Die Versicherungsbranche wird sich auch darüber hinaus aktiv an diesem Wandel beteiligen, indem sie Nachhaltigkeitsstrategien als Teil ihrer Geschäftsstrategien, insbesondere auch ihrer daraus abgeleiteten Risikostrategien, entwickelt. Als Basis für diese Veränderung sind Nachhaltigkeitsrisiken zunächst zu identifizieren, dann zu bewerten und quantifizieren, damit die entsprechenden Risikomaßnahmen getroffen und überwacht werden können. Für die Identifikation der Nachhaltigkeitsrisiken sind traditionelle Ansätze der Risikomessung nicht ausreichend, insbesondere weil historische Datenreihen über z. B. zunehmende physische Schäden nicht vorliegen (können) oder die Abschätzung von transitorischen Risiken einer hohen Unsicherheit wegen der Diskrepanz zwischen politischen Zielen und tatsächlichen Maßnahmen unterliegt. Es ist daher hochgradig sinnvoll, Nachhaltigkeitsrisiken durch Szenarioanalysen und Stress-Tests zu adressieren. Die regulatorischen Entwicklungen zu Nachhaltigkeitsrisiken auf globaler, europäischer Ebene und nationaler Ebene laufen darauf hinaus. Speziell die EU-Vorgaben sehen zunehmend auch Quantifizierungen rechtlich bindend (!) vor. Aufsichtsbehörden haben Nachhaltigkeit zu ihren strategischen Prioritäten erhoben und werden -wie die BaFin über eher unkonventionelle Methoden wie "Merkblätter" und Umfragen -zusätzlich zur Gesetzgebung und Rechtssetzung Druck entfalten. 82 Bei der Ausgestaltung dieser Szenarioanalysen und Stress-Tests zu Nachhaltigkeitsrisiken sind verschiedene grundlegende Annahmen zu treffen, z. nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation Hrsg.) Szenarioanalysen und Stresstests in der Bank-und Versicherungspraxis Kapitalanlagen: Nachhaltige Investitionstätigkeit im Versicherungssektor Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken Der deutsche Finanzsektor und die Nachhaltigkeitsrisiken: Eine Sachstandserhebung durch die BaFin Mittelfristziele der BaFin Wie nachhaltig ist die deutsche Versicherungswirtschaft? Solvency II-Delegierte Verordnung Oktober 2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungsund der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) 97/EU with regard to the integration of sustainability risks and sustainability factors Europäische Kommission: Nachhaltigkeit: Kommission legt Reflexionspapier über ein nachhaltigeres Europa bis 2030 vor Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts-und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2015/35 im Hinblick auf die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken in die Governance von Versicherungs-und Rückversicherungsunternehmen. C/2021/2628 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/138/EG im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit, die Aufsichtsqualität, die Berichterstattung, langfristige Garantien, makroprudenzielle Instrumente, Nachhaltigkeitsrisiken, die Gruppenaufsicht und die grenzüberschreitende Aufsicht. 2021/0295 (COD) Europäische Kommission: Strategy for financing the transition to a sustainable economy. Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions. COM(2021) 390 final Europäischer Rechnungshof: Sonderbericht (Nr. 29) -Die EIOPA hat einen wesentlichen Beitrag zur Aufsicht und Stabilität im Versicherungssektor geleistet, es sind jedoch noch erhebliche Herausforderungen zu bewältigen. (gemäß Artikel 287 Absatz 4 Unterabsatz 2 AEUV) Technical Specification on the Long Term Guarantee Assessment (Part I) Consultation Paper on Technical Advice on the integration of sustainability risks and factors in the delegated acts under Solvency II and IDD EIOPA-BoS-19/241 EIOPA's Technical Advice on the integration of sustainability risks and factors in the delegated acts under Solvency II and IDD. Frankfurt (Main) ( Methodological principles of insurance stress testing EIOPA-BoS-19/568 European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA): Opinion on the supervision of the use of climate change risk scenarios in ORSA Pilot exercise on climate change adaptation in non-life underwriting and pricing European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA): Sustainable finance activities 2022-2024 Methodological paper on potential inclusion of climate change in the Nat Cat standard formula EIOPA-BoS-21/552 European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA): Methodological principles of insurance stress testing. Climate change component Zugegriffen: 5 Hrsg.) Szenarioanalysen und Stresstests in der Bank-und Versicherungspraxis Sustainability risks & opportunities in the insurance industry Die Nachhaltigkeitspositionierung der deutschen Versicherer im Wortlaut International Association of Insurance Supervisors (IAIS): Issues paper on climate change risks to the insurance sector Application paper on the supervision of climate-related risks in the insurance sector Stresstests in Banken. Von Basel II bis ICAAP. Schäffer-Poeschel Nachhaltigkeits-Controlling bei Versicherern A call for action climate change as a source of financial risk. First comprehensive report Report technical supplement: Macroeconomic and financial stability. Implications of climate change Guide to climate scenario analysis for central banks and supervisors Network for Greening the Financial System (NGFS): NGFS climate scenarios for central banks and supervisors über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor Der Klimawandel. Diagnose, Prognose, Therapie, 9 Hrsg.) Szenarioanalysen und Stresstests in der Bank-und Versicherungspraxis Nachhaltigkeit in der Gesundheitsvorsorge betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs-und der Rückversicherungstätigkeit Talanx: Talanx unterzeichnet die UN PRI und wird deutschlandweit klimaneutral Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD): Recommendations of the task force on climate-related financial disclosures Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD): Task force on climate-related financial disclosures. Overview Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung The Geneva Association: Climate change risk assessment for the insurance industry. A holistic decisionmaking framework and key considerations for both sides of the balance sheet uri=CELEX:22016A1019(01) Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung