key: cord-0075716-b3afqam5 authors: Engelbergs, Jörg title: Controlling im Krisenjahr 2020 date: 2022-03-15 journal: Control Manag Rev DOI: 10.1007/s12176-021-0442-1 sha: 2c18568ae15f60e8c8ade831cb67b98dcbe8ad7c doc_id: 75716 cord_uid: b3afqam5 nan 2020 war mein erstes Jahr als leitender Controller bei Omio. Für meine neue Position hatte ich mir viel vorgenommen. Dass sich das Jahr dann aber so entwickeln würde, damit haben bestimmt nicht nur ich, sondern wohl die meisten Controller über alle Branchen hinweg nicht gerechnet. Dabei ist die Reisebranche sicherlich eine von der Krise besonders betroffene. Seit 2013 ermöglicht Omio (zu Beginn "GoEuro") Reisenden aus aller Welt, über eine Online-Plattform oder eine App die vielen möglichen Verbindungen von über 1.000 Anbietern zu Zielen in Europa, den USA und Kanada zu recherchieren und zu buchen. Der Kurs steht ganz klar auf Wachstum. Bei meiner nachfolgenden ganz subjektiven Chronik für 2020 fokussiere ich mich auf drei Elemente: erstens auf die Rolle, die das Controlling und seine Instrumente bei der Navigation durch das Jahr gespielt hat, zweitens, welche Besonderheiten sich aufgrund des digitalen Geschäftsmodells von Omio und dessen steiler Wachstumskurve ergaben, und drittens, wie sich das alles auf Controller und andere Teams auf persönlicher Ebene ausgewirkt hat (vergleiche für einen Überblick der Highlights im Jahresverlauf Abbildung 1). Auch oder gerade als Wachstumsunternehmen nutzt Omio als digitales Unternehmen eine regelmäßige Budgetplanung, um die vorhandenen Ressourcen bestmöglich und koordiniert einzusetzen. In einem festen, einmaligen, jährlichen Rhythmus, wie ihn reifere Unternehmen häufig verwenden, ist Omio allerdings noch nicht angekommen. So werden auch noch im Januar 2020 Adjustierungen am Budget für das laufende Jahr vorgenommen. Dass das Jahr schon begonnen hat, ist dabei nachrangig. Im Vordergrund stehen der Austausch zwischen den beteiligten operativen Bereichen zu geplanten Maßnahmen und Wachstumserwartungen sowie die gleichermaßen ambitionierte Personalplanung. Bereits Die Erkenntnisse aus Januar geben Anstoß für Überlegungen zu Szenarien (vergleiche Chandler 1962) . Es stehen drei Szenarien zur Diskussion: ein positives Szenario (die Auswirkungen bleiben im Wesentlichen auf China beschränkt), ein Trendszenario (auch andere Länder werden betroffen sein) und ein negatives Extremszenario (es kommt zu einer globalen Pandemie). Die Diskussion ist dabei zweigeteilt. Im ersten Teil analysieren wir die Auswirkungen des jeweiligen Szenarios auf Umsätze und Deckungsbeiträge, wobei es dabei nicht auf viele Details ankommt. So lassen sich aus unserer Datenbasis schnell die nötigen Segmente und Schnitte bilden. Dies gibt Raum für den wesentlichen und auch wichtigeren zweiten Teil der Diskussion, die Identifikation von Maßnahmen beziehungsweise Gegenmaßnahmen. In digitalen Unternehmen trifft Controlling auf flexibles Geschäft mit umfangreicher Datenbasis zur Steuerung. Anmerkung: Die aufgeführten Themen stellen keine vollständige Liste der Aktivitäten im Controlling dar, sondern zeigen nur die Highlights im Jahresverlauf. Reisebeschränkungen legen das Geschäft nun schon fast vollständig lahm. Im digitalen Umfeld sind die operativen Kosten aber äußerst flexibel, sodass sich schnell gegensteuern lässt. Insbesondere Marketing-Aktivitäten werden in kürzester Zeit zurückgefahren. Des Weiteren meldet Omio für den Großteil der Belegschaft Kurzarbeit an, wodurch sehr schnell Personalkosten eingespart werden können. In dieser außergewöhnlichen Situation gilt es, häufig und so offen wie möglich mit den Mitarbeitern zu kommunizieren. Viele zeigen in der Folge Verständnis für die Maßnahme. Um das Pandemie-Risiko im Unternehmen zu minimieren, setzt Omio für seine Mitarbeiter auf Remote Work ("Arbeiten von überall"). Berechtigungs-und Zugangslösungen werden für diverse Anforderungsgruppen ausgerollt, zum Beispiel Zugänge bis hin zu Finanzdaten für Controller oder für Callcenter-Mitarbeiter, die eine Vielzahl spezieller Programme bedienen müssen. Digitales Arbeiten macht es möglich. Jede Kostenposition wird jetzt von Controlling und Management geprüft. Verträge werden gekündigt oder neu terminiert. "Manage to Cash" wird als Devise ausgerufen, denn es gilt, den Fokus von der sonst vorherrschenden Gewinn-und-Verlustrechnung auf den Cashflow zu lenken. Auszahlungen zu minimieren ist jetzt das Ziel. Operativ schlagen Stornierungen von Reisen hart zu Buche. Nein, es ist kein Vorzeichenfehler, sondern die Umsätze sind tatsächlich kurzfristig negativ. Die notwendige Koordination und bereichsübergreifende Steuerung der laufenden Buchungs-und Stornierungsvorgänge erfolgt mittels des vom Controlling geleiteten Sales-und-Operations-Planning-Prozesses. So werden im wöchentlichen Rhythmus Entscheidungen zur Kommunikation und Priorisierung getroffen. Auch die Prüfer haben Fragen, zum Beispiel, wie es um den Going Concern des Unternehmens angesichts der Krisensituation steht. Als Wachstumsunternehmen hatte Omio für 2020 auch operativ einige Investitionen geplant, die nun zunächst aufgeschoben werden. Wir arbeiten heraus, wie die bereits getroffenen Maßnahmen dafür sorgen, dass die vorhandene Finanzierung sogar länger als ursprünglich geplant reichen wird. Innovation und Unternehmensentwicklung sind in von der Krise hart getroffenen Branchen fortzuführen. Gemeinsam mit dem Treasury wird auch aktiv an Maßnahmen für das Working Capital gearbeitet. Neben Aufbereitung der jüngsten Entwicklungen sind aktuelle Prognosen sowie die Unterstützung bei der Entwicklung alternativer Finanzierungslösungen, zum Beispiel über Bankgarantien, gefragt. Schließlich wird der Blick auch noch langfristiger. Das Team überarbeitet die Mittelfristplanung, die als Basis für eine weitere Finanzierungsrunde dient. Diese wird schließlich im August 2020 mit bestehenden und neuen Investoren über ein Volumen von 100 Millionen US-Dollar abgeschlossen werden. Es tut sich etwas. Mit Lockerungen der Reisebeschränkungen steigen auch die Kundenaktivitäten wieder. Wir reaktivieren den täglichen, rollierenden Umsatz-Forecast, um unter anderem die Aussteuerung von digitalen Marketing-Kampagnen und die Planung von Kapazitäten in unseren Callcentern zu unterstützen. Darüber hinaus integrieren wir den Net Promoter Score als zentrale Kennzahl in Steuerungsprozessen, um bestmögliche Kundenorientierung zu leben. Es wird zu verschiedenen Zeitpunkten, zum Beispiel nach der Buchung und nach Ende der Reise, gefragt, inwiefern der Kunde unsere Dienstleistung weiterempfehlen würde. Da jeder schnell zu einer subjektiven Einschätzung kommt, wenn es um Reiseverhalten und -bedürfnisse geht, hilft dieser datenbasierte Ansatz, Objektivität einzubringen und damit ein Stück weit Rationalität zu sichern. Um dabei jedoch nicht den Blick auf die Wirtschaftlichkeit zu verlieren, wird weiter in die Verfeinerung der Deckungsbeitragsrechnung investiert. Gemeinsam mit dem Business Intelligence Team arbeitet das Controlling daran, weitere Business Rules im Data Warehouse zu hinterlegen. So können jetzt beispielsweise die Kosten, die im Callcenter durch Kundenkontakte entstehen, möglichst verursachungsgerecht hinterlegt werden. • Die Intensität lässt nur kurzfristige Schwerpunkte zu, sodass Themen eher als Schlaglichter denn als konstante Begleiter auftauchen. Auch die Anpassung der Datenstrukturen steht auf der Agenda. Denn immer mehr Informationen aus der Business Intelligence werden auch für Finanzberichte verwendet. Deshalb wird damit begonnen, betroffene Daten in eine sogenannte Ledger-Struktur zu bringen, die, ähnlich den Büchern im Accounting, Veränderungen jederzeit nachvollziehbar und rekonstruierbar macht. Das sind Anforderungen, die für Prüfungen wesentlich sind, auf die bei rein operativ verwendeten Daten sonst aber oft verzichtet werden kann. Controller tragen hier die erforderlichen Informationen und relevanten Definitionen zusammen, die in die Ledger-Struktur einfließen sollen. Ein Objective, bei dem die Controller neuerdings stark involviert sind, ist die Aktivierung selbst erstellter Software. Mit der Einführung von IFRS wurde auch erstmalig eigene Software-Entwicklung identifiziert, die gemäß IAS 38 in der Bilanz aktivierbar ist. An der Schnittstelle zwischen Accounting und Tech-Bereichen sorgt der zuständige Controller dafür, dass die Projekte und eingesetzten Ressourcen strukturiert erfasst werden. Im August bleibt allerdings nur festzustellen, dass angesichts der turbulenten vergangenen Monate kaum neue Projekte angegangen werden konnten. Nach der kurzen Erholungsphase der Reisebranche im Sommer zeichnet sich im September bereits wieder ein Abschwung ab. Deshalb wird das Bud-Remote Working ist für Controlling durch einfache Lösungen schnell und gut umzusetzen. get 2021 voll im Zero-Base-Budgeting-Ansatz erstellt, das heißt, keine Position wird ohne Weiteres fortgeschrieben, jede geplante Ausgabe gilt es zu begründen (vergleiche Weber, Schäffer 2020). Da weiterhin keine gemeinsamen Meetings im Büro vorgesehen sind, werden die wesentlichen, für die Budgetierung notwendigen Dateien über kollaborative Software wie zum Beispiel Google Suite gestaltet. So kann die Planung simultan vorgenommen werden, und beispielsweise in Konferenzschaltungen unmittelbar, gezielt und konkret über die Auswirkungen von Änderungen bei Inputs oder Annahmen diskutiert werden. Neben den üblichen Herausforderungen einer Budgetplanung kommt dieses Jahr hinzu, dass der erneute Abschwung deutlich auf die Stimmung der Omio-Mitarbeiter drückt. Wesentliche Anstrengungen fließen deshalb auch in die Kommunikation zur Förderung der Resilienz in der Organisation. So hilft es, im Rahmen der Planung klar herauszustellen, welche Faktoren von Omio selbst kontrolliert werden können, wie zum Beispiel Investitionen ins Marketing. In Verbindung mit dem zu Beginn der Planung definierten negativen Krisenszenario machen wir damit deutlich, was bereits durch eigene Anstrengungen erreicht werden kann. Zum Jahresende sind zahlreiche Angebote von Software-Anbietern zu bewerten. Es ist auch ein guter Zeitpunkt, um bestehende Verträge neu zu verhandeln. Fragen zur Budgetplanung erfordern dabei regelmäßig die Unterstützung der Controller. Auch unterschiedliche Vertragsoptionen gilt es noch kurzfristig zu beurteilen. Aufgrund der durch das Virus hervorgerufenen dritten Infektionswelle ist abzusehen, dass die Geschäftsaktivität von Omio erneut minimal sein wird. Daher wird ab Januar wieder Kurzarbeit eingeplant und im Dezember unternehmensweit Urlaub genommen. Nach einem turbulenten Jahr bleibt damit zumindest etwas Zeit für Erholung, bevor es im Jahr 2021 wieder mit der Vielzahl und Vielfalt an Themen im Controlling weitergehen wird. Die Bewältigung von Überraschungen und Diskontinuitäten -Strategische Reaktionen auf schwache Signale Strategy and Structure: Chapters in the History of the American Industrial Enterprise Agiles Controlling mit OKR für schnelles Wachstum Einführung in das Controlling Digitalisierung in der Corona-Krise. Auswahl und Einsatz von innovativen Technologien für die Logistik Veränderte Controller-Rollen in der Corona-Krise?, in: Controlling & Management Review Erfolgreich durch die Krise -Strategieentwicklung in Zeiten von Finanzkrise bis Corona