key: cord-0075259-vz4l5kqf authors: Deutsch-Lang, Sarah; Kuchling, Maria; Valeske, Isabel; Hulle-Wegl, Petra; Stepansky, Robert; Lang, Wilfried title: Die primäre und die psychiatrisch-„komorbide“, nichtorganische Insomnie in einem neurologisch geführten Schlaflabor date: 2022-03-01 journal: psychopraxis DOI: 10.1007/s00739-022-00790-z sha: 3575570de4861fa89da7625e6dac356712fa0cff doc_id: 75259 cord_uid: vz4l5kqf Patients who receive the diagnosis of non-organic insomnia in a neurological sleep laboratory mostly suffer from psychiatric disorders (34 out of 43 persons): personality disorders, with or without additional affective disorder, depression, dysthymia, cyclothymia, bipolar disorder, anxiety (generalized anxiety disorder, social phobia), somatoform (autonomous) disorder, hypochondriacal disorder, obsessive-compulsive disorder, adjustment disorders after dramatic life events, and post-traumatic stress disorder. They are under permanent psychiatric treatment and psychotherapy, but they still suffer from symptoms of insomnia. All patients with non-organic insomnia are offered cognitive behavioral therapy for insomnia. Die primäre und die psychiatrisch-"komorbide", nichtorganische Insomnie in einem neurologisch geführten Schlaflabor Einleitung Die Diagnose nichtorganische Insomnie (F51.0) wird in der Regel durch Anamnese, spezielle Fragebögen und Schlaftagebücher gestellt. Grundsätzlich besteht eine Indikation zur Polysomnographie im Schlaflabor bei Vorliegen einer schweren Insomnie mit signifikanter Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit oder Vorliegen einer "therapieresistenten" Insomnie über mehr als ein halbes Jahr [1] . In einem 3-Monats-Zeitraum (01. 10 .2018-31.01.2019) erhielten im Schlaflabor des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder Wien 76 von 291 Personen die Diagnose nichtorganische Insomnie (F51.0), entweder alleine (50 von 291, ca. 17 %) oder in Kombination mit anderen Schlafstörungen (atmungsbezogene Schlafstörung bzw. therapierelevantes Restless-Legs-Syndrom; [2] ). Beginnend mit Oktober 2021 wurden konsekutiv alle Patientinnen und Patienten, die im Schlaflabor des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder die Diagnose nichtorganische Insomnie erhalten hatten, eingeladen, an strukturierten Interviews und psychodiagnostischen Untersuchungen teilzunehmen. Ziel des Projekts ist, das Spektrum der bestehenden psychiatrischen Komorbidität zu beschreiben, die Personen zu einem Therapieprogramm (kognitive Verhaltenstherapie der Insomnie) einzuladen und den Erfolg der Therapie zu evaluieren. Wir berichten hier einerseits über das Konzept unseres Projekts ("Interdisziplinäre Kooperation zur Behandlung der Insomnie", Kooperation Barmherzige Brüder Wien -Sigmund Freud Privatuniversität) und andererseits über Häufigkeit und Spektrum der psychiatrischen Komorbidität. Die (persistierende), nichtorganische Insomnie (F 51.0) wird aufgrund der Dauer der Beschwerden von mehr als drei Monaten von der akuten (episodischen), "anpassungsbedingten" Insomnie abgegrenzt. [4] [5] [6] und ein Prädiktor für das Auftreten einer Depression sind [7] . Das Risiko einer nicht-depressiven Person mit Insomnie, in den nächsten Jahren eine Depression zu entwickeln ist 2fach höher als für eine Person ohne Insomnie [8] . Schlafstörungen gehören auch zu den Symptomen, die nach Remission einer depressiven Episode als Residualsymptom oft zurückbleiben [9] . Daher wird der Begriff "sekundäre" Insomnie vermieden und zunehmend der Begriff "komorbide Insomnie" verwendet. Der Begriff "primäre Insomnie" (PI) wird im Folgenden verwendet, wenn die Insomnie die alleinige schlafmedizinische Diagnose ist und die eingehende strukturierte psychiatrische und psychodiagnostische Abklärung keinen Hinweis auf eine psychiatrische Komorbidität ergibt. Der Begriff "komorbide Insomnie" (KMI) wird bei Vorhandensein einer psychiatrischen Erkrankung verwendet. Voraussetzung für das Stellen der Diagnose KMI ist, dass die Insomnie als eigenständiges Zustandsbild und als eine "Hauptbeschwerde" betrachtet werden kann. Das Spektrum der psychiatrischen Komorbidität erwies sich als vielfältig: 9 Personen leiden unter Persönlichkeitsstörungen (Borderline; paranoid, schizoid, emotional instabil oder histrionisch), teilweise in Verbindung mit Depression (n = 3), Hypochondrie (n = 1) bzw. somatoformer, autonomer Funktionsstörung (n = 1). Die häufigste affektive Störung ist die Depression ("rezidivierende, depressive Episode", n = 13; erste depressive Episode, n = 2), wobei der Schweregrad der Symptomatik zum Zeitpunkt der Untersuchung leicht (n = 5), mittelschwer (n = 6) bzw. schwer (n = 4) war. Die Ergebnisse der strukturierten psychiatrischen Interviews stimmen bei diesen 15 Patients who receive the diagnosis of nonorganic insomnia in a neurological sleep laboratory mostly suffer from psychiatric disorders (34 out of 43 persons): personality disorders, with or without additional affective disorder, depression, dysthymia, cyclothymia, bipolar disorder, anxiety (generalized anxiety disorder, social phobia), somatoform (autonomous) disorder, hypochondriacal disorder, obsessive-compulsive disorder, adjustment disorders after dramatic life events, and post-traumatic stress disorder. They are under permanent psychiatric treatment and psychotherapy, but they still suffer from symptoms of insomnia. All patients with non-organic insomnia are offered cognitive behavioral therapy for insomnia. Primary insomnia · Secondary insomnia · Psychiatric comorbidity in insomnia · Cognitive behavioral therapy for insomnia · Sleep laboratory unter einer bipolaren affektiven Störung. Er ist stabil eingestellt, es bestand zum Zeitpunkt der Untersuchung eine leichte depressive Symptomatik. Weitere affektive Störungen sind Zyklothymie (n = 1) und Dysthymie (n = 1). Angststörungen sind häufig: soziale Phobie (n = 1), generalisierte Angststörung (n = 4) sowie Angst und Depression gemischt (n = 1). Die Personen, bei denen Ängste im Vordergrund der Psychopathologie stehen, zeigen im STAI (State-Trait-Angst-Inventar) sehr hohe Werte für Angst als Eigenschaft. Des Weiteren finden sich somatoforme (autonome) Funktionsstörungen (n = 3), hypochondrische Störung (n = 1) und Zwangsstörungen, wobei Zwangsgedanken im Vordergrund standen (n = 1). Als Reaktion auf ausgeprägte Veränderungen der Lebensumstände entwickelte sich bei 3 Personen eine Anpassungsstörung mit Angst und Depression. Vier Personen leiden unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung. Es handelt sich um Frauen, die sexueller und körperlicher Gewalt ausgesetzt waren. Sie wiesen im CAPS (Clinician-Administered PTSD) eine krankheitswertige Ausprägung auf. Bei 9 der 43 Personen besteht keine psychiatrische Erkrankung. Sie leiden unter einer primären Insomnie. Vor der SARS-CoV-2-Pandemie erhielten jährlich ca. 200 Patientinnen und Patienten des Schlaflabors des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder die Diagnose "nichtorganische Insomnie". Das sind ca. 17 % der untersuchten Personen. Die vorgestellte Studie fiel in die Zeit von SARS-CoV-2 und das Schlaflabor war teilweise gesperrt, die Bettenanzahl reduziert und priorisiert für Patientinnen und Patienten zur Anpassung und Druckeinstellung von Beatmungsgeräten bei Schlafapnoe. Daher hatten in der Zeit vom 01.10.2020 bis 31.12.2021 nur 68 Personen die alleinige Diagnose "nichtorganische Insomnie" erhalten. Das Spektrum der psychiatrischen Komorbidität ist -wie beschrieben -breit. In Einklang mit der Literatur werden Depression, Dysthymie, saisonale affektive Störungen, generalisierte Angststörung, Panikstörung, bipolare Störungen, Zwangsstörung und posttraumatische Belastungsstörungen und Persönlichkeitsstörungen als häufigste Komorbidität beschrieben [17, 18] . Trotz Vielfalt der Diagnosen werden gemeinsame Mechanismen bei der Entstehung und Chronifizierung der Insomnie diskutiert: chronische Angst, depressives Gedankenkreisen, emotionale Dysregulation (Hemmung von Emotionen, Unfähigkeit, Aggressionen nach außen abzugeben), reduzierte Stressresistenz und in weiterer Folge multimodales konditioniertes "Hyperarousal" (kognitiv, vegetativ, muskulär) sowie maladaptive Verhaltensweisen [15, [17] [18] [19] . Alle Personen mit psychiatrischen Erkrankungen befanden oder befinden sich in psychiatrischer Betreuung. Insgesamt 21 der 43 Personen, die sich für eine weiterführende Diagnostik einfanden, befanden oder befinden sich in psychotherapeutischer Behandlung. Eine spezielle Therapie der "nichtorganischen Insomnie" war den Personen bisher nicht angeboten worden. Ihre Schlafstörung wird mit verschiedensten Medikamenten (Quetialan, Prothipendyl, Pregabalin, Zolpidem, Triazolam, Trazodon, Mirtazapin u. a.) behandelt. Weltweit empfehlen die Schlafmedizinischen Gesellschaften [1, [20] [21] [22] die kognitive Verhaltenstherapie der Insomnie als evidenzbasierte First-Line-Therapie der Insomnie und die Pharmakotherapie als Second-Line-Therapie dann, wenn die Psychotherapie nicht wirksam war. Da in Europa aber weiterhin Sedativa als Therapie der ersten Wahl eingesetzt werden, wurde von der "European Sleep Research Society" eine "European CBT-I Academy" (Cognitive Behavioral Therapy of Insomnia) gegründet, um Standards der CBT-I in Europa einzuführen [23] . In dieser Veröffentlichung (publiziert im Jahr 2020) wird angemerkt, dass in Österreich jährlich nur 40-60 Personen mit der Methode der CBT-I behandelt werden. Es stellt sich die Frage, ob die CBT-I für Personen mit primärer Insomnie und komorbider Insomnie eine vergleichbare Wirksamkeit hat. Die Fallzahl unserer bisherigen Kohorte ist zu gering, um hier eine Antwort geben zu können. Für ein breites Spektrum von Personen mit ko-morbiderInsomnie (KMI)liegenaberbereits Ergebnisse zahlreicher Studien vor, die eine Wirksamkeit zeigen. Die Annahme, dass nach erfolgreicher Behandlung der psychiatrischen Erkrankung auch das Symptom "Insomnie" remittiert, ist nicht zutreffend. Die Häufigkeit der residualen Insomnie wird mit 50 % bei posttraumatischen Belastungsstörungen [24] [25] [26] , mit 40 % bei Depression [27] und mit ca. 30 % bei Panikstörung und generalisierter Angststörung [28] angegeben. Die Persistenz der Insomnie ist -wie bei rezidivierenden depressiven Episoden nachgewiesen -ein Prädiktor für ein Rezidiv [29] . Die CBT-I erwies sich bereits in frühen Studien als wirksam bei der Behandlung der residualen Insomnie [17] . Zwischenzeitlich gibt es zahlreiche, randomisierte Studien, die eine Wirksamkeit der CBT-I bei Depression [30] , posttraumatischen Belastungsstörungen [31] , Angststörungen [32, 33] , Zwangsstörungen [34] und auch bei Persönlichkeitsstörungen [18] nachweisen. Der Erkenntnisgewinn bei der Therapie der nichtorganischen Insomnie basiert in erster Linie auf randomisierten, kontrollierten Studien ("evidence to practice"). Diese sind nicht leicht umzusetzen, insbesondere da die bisher etablierte Therapie (kognitive Verhaltenstherapie) nach publizierter Mitteilung [23] nur selten in strukturierter Weise umgesetzt wird. Im vorgestellten Projekt soll der Erkenntnisgewinn über den Ansatz "practice to evidence" erfolgen. Bei ausreichender Fallzahl sollen auf Basis der Datenbank Hypothesen generiert werden, die langfristig als Grundlage für evidenzbasierte Studien dienen können. Denn trotz bisheriger Evidenz sprechen bisher "nur" 40-60 % der behandelten Personen auf die Therapie der Insomnie an. Bemerkenswerterweise gibt es wenig Prädiktoren für ein Ansprechen auf die Therapie und kaum Erklärungen für ein Nichtansprechen. In Anbetracht der Häufigkeit der behandlungswürdigen, chronischen nichtorganischen Insomnie in der Bevölkerung von 3 % [35] Insomnie -Diagnostik und aktuelle Aspekte der Psychotherapie Derivation of research diagnostic criteria for insomnia: report of an American academy of sleep medicine work group Sleep disturbance and psychiatric disorders: a longitudinal epidemiological study of young adults Depression and insomnia among adolescents: a prospective perspective Place of chronic insomnia in the course of depressive and anxiety disorders Asystematic review assessing bidirectionality between sleep disturbances, anxiety, and depression Insomnia as a predictor of depression: a meta-analytic evaluation of longitudinal epidemiological studies A comparison of rates of residual insomnia symptoms following pharmacotherapy or cognitivebehavioral therapy for major depressive disorder Recommendations for a standard research assessment of insomnia Dysfunctional beliefs and attitudes about sleep (DBAS): validation of a brief version (DBAS-16) Vulnerability to stress-related sleep disturbance and hyperarousal The phenomenology of the pre-sleep state: the development of the pre-sleep arousal scale A behavioral perspective on insomnia treatment Regensburg insomnia scale (RIS): a new short rating scale for the assessment of psychological symptoms and sleep in insomnia; study design: development and validation of a new short self-rating scale in a sample of 218 patients suffering from insomnia and94healthycontrols Cognitive behavior therapy for chronic insomnia occurring within the context of medical and psychiatric disorders Insomnia in personality disorders and substance use disorders Biopsychobehavioral correlates of insomnia. II. Pattern specificity and consistency with the minnesota multiphasic personality inventory Es-pieCA, LichsteinKL(2006)Psychologicalandbehavioral treatment of insomnia: update of the recent evidence European guideline for the diagnosis and treatment of insomnia British association for psychopharmacology consensus statement on evidence-based treatment of insomnia, parasomnias and circadian rhythm disorders: an update The European academy for cognitive behavioural therapy for insomnia: an initiative of the European insomnia network to promote implementation and dissemination of treatment Residual insomnia following cognitive behavioral therapy for PTSD Persistence of sleep disturbances following cognitivebehavior therapy for posttraumatic stress disorder Residual sleep disturbances following PTSD treatment in active duty military personnel Residual symptoms in depressed patients who respond acutely to fluoxetine Insomnia symptoms following treatment for comorbid panic disorder with agoraphobia and generalized anxiety disorder Threeto 5-year prospective follow-up of outcome in major depression Cognitive behavioral therapy for patients with primary insomnia or insomnia associated predominantly with mixed psychiatric disorders: a randomized clinical trial Cognitive behavioral therapy for insomnia in posttraumatic stress disorder: a randomized controlled trial Sequentialtreatmentofcomorbid insomnia and generalized anxiety disorder Cognitive behavior therapy for late-life generalized anxiety disorder delivered by lay and expert providers has lasting benefits Obsessivecompulsive personality disorder features and response to behavioral therapy for insomnia among patients with hypnotic-dependent insomnia. Behav Insomnia: definition, prevalence, etiology, and consequences Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral