key: cord-0074514-fu6pa2l9 authors: Michaelis, Martina; Stößel, Ulrich; Bieler, Frank; Schambortski, Heike; Nienhaus, Albert title: Organisation und Umsetzung des Arbeitsschutzes in Kitas date: 2022-02-04 journal: Zentralbl Arbeitsmed Arbeitsschutz Ergon DOI: 10.1007/s40664-021-00454-6 sha: 2521c6b62c813f07ab06297f8d4a1012ba166979 doc_id: 74514 cord_uid: fu6pa2l9 BACKGROUND AND RESEARCH QUESTION: Physical and mental stress as well as infection hazards of employees in child day care centers require compliance with governmental occupational health and safety (OHS) regulations. How well OHS is organized and how measures are actually implemented are not yet empirically known. This gap was closed with an epidemiological study on the status quo. MATERIAL AND METHODS: In the second half of 2020 a total of 120 managers of day care centers in Germany, mostly church-run, which are member companies of the German Statutory Accident Insurance and Prevention in the Health and Welfare Services (BGW), were randomly selected and interviewed. This was done by members of the BGW prevention services using a standardized survey instrument. The surveyed aspects (mostly concerning the OHS organization) were summarized in a standardized sum index between 0 and 1 (worst to best occupational health and safety) and analyzed descriptively. RESULTS: The requirements for the organization of OHS were fulfilled in many cases. There is still some potential left for improvement in the actual implementation of organized OHS requirements. The standardized sum index is 0.82 (standard deviation 0.16). Of the respondents two thirds rated OHS in their day care center as good/very good in a global item. In free texts, the desire for more information on OHS and better communication between the day care center and the respective provider was frequently expressed. DISCUSSION AND OUTLOOK: The results confirmed a higher formal quality of OHS as found in other cross-sectional studies. To continuously improve the actual implementation of organized measures, OHS management systems, which are still rarely used in day care centers, could have a supporting effect. Corresponding instruments are available and their use should be more strongly promoted in the future. Limitations of the study include possible bias due to responses to representatives of an institution that is also responsible for OHS inspections. Vertreter der berufsgenossenschaftlichen Präventionsdienste ermittelt, inwieweit staatliche Arbeitsschutzregeln organisiert und umgesetzt werden. Die Arbeit in Kindertagesstätten (Kitas) ist gekennzeichnet durch körperliche und psychische Belastungen sowie Infektionsgefährdungen [11, 16, 17] . Trotz des Ausbaus von Einrichtungen in den letzten Jahren und des damit verbundenen Personalzuwachses [2] besteht nach wie vor ein Mangel an Fachkräften, verbunden mit psychosozialen Folgen, wie u. a. im Rahmen der Arbeitsorganisation und der sozialen Beziehungen [2, 10] . Die Organisation und Einhaltung von Arbeitsschutzvorgaben sind deshalb essenziell. Wie staatlich und berufsgenossenschaftlich vorgeschriebener Arbeitsschutz in Kitas organisiert ist und inwiefern die Maßnahmen auch tatsächlich umgesetzt werden, ist empirisch bislang nicht untersucht. Diese Lücke sollte mit der hier vorgestellten explorativen Bestandsaufnahme geschlossen werden. Ziel war die Identifikation von Aspekten, für welche die Einrichtungen bzw. Träger möglicherweise mehr unterstützende Beratung durch die Präventionsdienste der zuständigen Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) benötigen. Es wurden deutschlandweit 120 Mitgliedsbetriebe der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) zufällig ausgewählt und zwischen Juli 2020 und Januar 2021 von Angehörigen der BGW-Präventionsdienste aus 7 Bezirksstellen aufgesucht (Berlin, Bochum, Delmenhorst, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Köln, Mainz, München, Würzburg). Dabei erfolgten standardisierte Interviews mit Kita-Leitungen zur Situation des Arbeitsschutzes. Diese wurden zuvor über den Zweck der Studie und die anonymisierte Auswertung einer Nicht-BGW-Organisation informiert. Die Interviews waren freiwillig und eingebettet in einen üblichen Beratungsbesuch der Präventionsdienste. Grundlage der Interviews war ein standardisierter Fragebogen zur Organisation und Umsetzung des Arbeitsschutzes. Hinsichtlich der Arbeitsschutzorganisation wurden Teile der Basisversio-nen der ORGAchecks der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA; Bausteine 1-6) und der BGW (Bausteine 9, 11, 15) verwendet [3, 6] . Sie wurden durch selbstentwickelte Fragen zur Umsetzung der Vorgaben ergänzt. Inhalte waren neben Arbeitsschutzstrukturen auch die Organisation und Umsetzung von 8 weiteren Aspekten (Gefährdungsbeurteilungen, arbeitsmedizinische Vorsorge, Benennung von Sicherheitsbeauftragten, Erste-Hilfe-bzw. Notfallmaßnahmen, Unterweisungen bzw. Arbeitsschutzqualifizierung von Beschäftigen, Arbeitsschutzkontrolle) untersucht. Ergänzend dazu wurde eine Selbsteinschätzung der Arbeitsschutzqualität in der eigenen Kita als Schulnote von 1 (sehr gut) bis 6 (ungenügend) sowie Wünsche und Verbesserungen zum Arbeitsschutz erfragt. In 8,5 % (n = 10) der Kitas wird ein Arbeitsschutzmanagementsystem [5, 9] Arbeitsschutzregelungen · Umsetzungsgrad · Kindertagesstätten · Standardisierte Erhebung · Befragung von Leitungspersonen Background and research question. Physical and mental stress as well as infection hazards of employees in child day care centers require compliance with governmental occupational health and safety (OHS) regulations. How well OHS is organized and how measures are actually implemented are not yet empirically known. This gap was closed with an epidemiological study on the status quo. Material and methods. In the second half of 2020 a total of 120 managers of day care centers in Germany, mostly church-run, which are member companies of the German Statutory Accident Insurance and Prevention in the Health and Welfare Services (BGW), were randomly selected and interviewed. This was done by members of the BGW prevention services using a standardized survey instrument. The surveyed aspects (mostly concerning the OHS organization) were summarized in a standardized sum index between 0 and 1 (worst to best occupational health and safety) and analyzed descriptively. Results. The requirements for the organization of OHS were fulfilled in many cases. There is still some potential left for improvement in the actual implementation of organized OHS requirements. The standardized sum index is 0.82 (standard deviation 0.16). Of the respondents two thirds rated OHS in their day care center as good/very good in a global item. In free texts, the desire for more information on OHS and better communication between the day care center and the respective provider was frequently expressed. Discussion and outlook. The results confirmed a higher formal quality of OHS as found in other cross-sectional studies. To continuously improve the actual implementation of organized measures, OHS management systems, which are still rarely used in day care centers, could have a supporting effect. Corresponding instruments are available and their use should be more strongly promoted in the future. Limitations of the study include possible bias due to responses to representatives of an institution that is also responsible for OHS inspections. Der/die Beauftragte ist in 69,4 % "immer" und in 20,4 % "meistens" an Arbeitsschutzthemen beteiligt (98 Kitas mit gültigen Antworten von 102). In insgesamt 93,3 % der Kitas werden Gefährdungsbeurteilungen organisiert (. Tab. 3) , in 75,6 % "vollständig" oder "überwiegend". Rund 50 % aller Kitas, in denen Gefährdungsbeurteilungen organisiert sind, werden diese auch regelmäßig für alle Bereiche durchgeführt. Fast immer werden die Vorgänge schriftlich dokumentiert und im Bedarfsfall auch Maßnahmen zur Gefährdungsreduktion ergriffen; diese werden in rund 75 % auch "immer" oder "meistens" umgesetzt. Nahezu immer (95,8 %) ist die arbeitsmedizinische Vorsorge organisiert, d. h. Zuständigkeiten, Definition des Personenkreises, des Anlasses, der Intervalle, der Information von Beschäftigten sowie der Durchführung und Kontrolle werden benannt; in 83,3 % als "vollständig" oder "überwiegend". Sofern sie organisiert ist, erfolgt eine Pflichtvorsorge in 76,6 % von 111 Kitas "regelmäßig", in 13,5 % "unregelmäßig" und in 9,9 % "nie". In 87,9 % der Kitas, in der sie organisiert ist (n = 100), werden nur solche Beschäftigte mit risikoreichen Tätigkeiten betraut, die den Vorsorgetermin beim betriebsärztlichen Dienst wahrgenommen haben. Über die Möglichkeit einer Angebotsvorsorge werden 74,1 % der Beschäftigten in Kitas, in der die arbeitsmedizinische Vorsorge organisiert ist, auch informiert, 46,4 % regelmäßig. Gleiches gilt für die entsprechende Durchführung. Die erforderlichen Erste-Hilfe-Maßnahmen sind zu 91 % "vollständig" organisiert, Notfallmaßnahmen zu 75 % (. Tab. 4) . In nahezu allen Kitas wurden auch Erst-und in 68 % Brandschutzhelfer ausgebildet. Analog hierzu sind die entsprechenden Maßnahmen "allen" oder "den meisten" Beschäftigten bekannt. auch "vollständig" oder "überwiegend". Das Gleiche gilt, wenn es darum geht, den Qualifizierungsbedarf für alle mit Arbeitsschutzaufgaben Betrauten zu ermitteln; auch dies erfolgte in der Hälfte der Kitas "regelmäßig". Analog hierzu werden entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen auch durchgeführt. Die meisten Kita-Leitungen gaben an, dass ihnen die vom Arbeitgeber übertragenen Arbeitsschutzpflichten nach §13 ArbSchG (zumindest im Groben) auch bekannt sind. Ebenfalls wird in fast allen Kitas auch das Einhalten des Arbeitsschutzes kontrolliert, in 81 % "vollständig" oder "überwiegend". Dies erfolgt entweder durch den Arbeitgeber, durch den/die Arbeitsschutzkoordinator oder die Kita-Leitung selbst. Nach Kontrollen erfolgen bei Bedarf in den meisten Kitas auch Verbesserungen; in der Hälfte der Kitas "immer" (. Tab. 5). Der Mittelwert des zusammenfassenden standardisierten Summenindex aus den Hauptvariablen der oben beschriebenen 9 Bereiche plus 6 zusätzlicher Variablen (siehe Zusatzmaterial online)beträgt0,82 (SD 0,16; Spanne: 0,3-1,0; möglicher Bereich 0-1: keine bis angemessene Organisation und Umsetzung des Arbeitsschutzes). Zwei Drittel der 118 Befragten schätzten die Qualität des Arbeitsschutzes in ihrer Kita positiv ein (Schulnote 1 = sehr gut: 14,4 %, 2 = gut: 48,3 %). 27,1 % bezeichneten die Qualität als "befriedigend" (Note 3), 7,6 % als ausreichend und insgesamt 2,5 % als "mangelhaft" oder "ungenügend". Es besteht ein hoher und signifikant negative Zusammenhang zwischen dem Summenindex und der Selbstbewertung nach Noten (Spearman Rho = -0,64; p < 0,001): je besser der Summenindex, desto kleiner und damit besser der Notenwert. Insgesamt 92 Befragte (76,6 %) äußerten sich in 156 Freitexten zur Frage nach besonderen Wünschen und Verbesserungsvorschlägen zum Arbeitsschutz (. Tab. 6 ). An erster Stelle der Nennungen steht der Wunsch nach einer besseren bzw. ergonomischeren Ausstattung und generell eine bessere Organisation der Kita (27 %), dicht gefolgt vom Wunsch nach besseren und strukturierten In- Zusammenfassend aus einer Bestandsaufnahme in 120 zufällig ausgewählten Kitas in überwiegend kirchlicher Trägerschaft sind die Anforderungen an eine angemessene Organisation des Arbeitsschutzes vielfach erfüllt, was sowohl die einzelnen Bereiche als auch der Summenindex-Kennwert zur Arbeitsschutzqualität verdeutlichen. Die Ergebnisse heben sich damit deutlich positiv von den Erkenntnissen anderer Studien ab, die kleine und mittlere Unternehmen (KMU) im Fokus haben. In der Bestandsaufnahme von Sczesny et al. [12] wurde z. B. deutlich, dass ein erheblicher Teil befragter Inhaberinnen und Inhaber von KMU deutliche Wissensdefizite über gesetzliche Arbeitsschutzvorgaben hat. Defizite für die Organisation und Umsetzung von z. B. Ge-fährdungsbeurteilungen oder Unterweisungen von Beschäftigten können damit unmittelbar abgeleitet werden. Gleiches gilt für die Studien zum Arbeitsschutzwissens-und Umsetzungsstand von Amler et al. in KMU [1] und von der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA), in der ebenfalls u. a. der Umsetzungsgrad der Arbeitsschutzorganisation in KMU als defizitär bewertet wurde [8] . Auch ist der Anteil von Kitas mit einer betriebsärztlichen bzw. sicherheitstechnischen Betreuung höher im Vergleich mit Ergebnissen einer Interview-Pilotstudie in (anderen) kleineren/mittleren Betrieben [13] . Mögliche Gründe für die diskrepant positiven Befunde werden im Kapitel "Limitationen" diskutiert. Für eine gute Umsetzung von gesetzlich definierten formalen Arbeitsschutzvorgaben sind noch Entwicklungsmöglichkeiten erkennbar. Dies betrifft ... 4 Zum anderen stellt sich die Frage, inwieweit die Leitungskräfte, die ihre Arbeit im Rahmen der vorliegenden Befragung ja selbst beurteilen sollten, in der persönlichen Befragungssituation gegenüber den Aufsichtspersonen der BGW in die Gefahr gerieten, Antworten im Sinne einer "sozialen Erwünschtheit" [4] zu geben. Diese wird z. B. in Online-Befragungen als geringer angesehen [14] . Auf der anderen Seite bietet die durchgeführte Interviewsituation die Möglichkeit des gezielten Nachfragens, die Sichtung von Dokumenten und nicht zuletzt dank des gewählten Ansatzes die im Rahmen der Studie intendierte zeitgleiche Beratung bei Defiziten. Zusammenfassend können mögliche Antwortverzerrungen in eine positive Die bislang fehlenden Informationen über die Sichtweisen der Kita-Beschäftigten selbst und die Frage der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Träger implizieren weiteren Forschungsbedarf. In den untersuchten Kitas wird ein Arbeitsschutzmanagementsystem deutlich seltener genutzt als in anderen Betrieben [1] . Hier sehen wir Unterstützungspotenzial, da zu vermuten ist, dass z. B. das Konzept des berufsgenossenschaftli-chen Arbeitsschutzes mit System (das es auch angepasst an die Situation in Kitas gibt; [15] ) oder andere Tools zur systematischen Organisation des Arbeitsschutzes [3] bzw. weitere Handlungsleitfäden hierbei eine positive Rolle spielen könnten. (Eine Übersicht bietet der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik LASI [9] .) Empfehlenswert wäre, in einschlägigen Kommunikationsmedien, bei der Beratung der Präventionsdienste in den Kitas, aber auch gegenüber den Arbeitsschutzverantwortlichen auf Trägerebene verstärkt auf diese Möglichkeit hinzuweisen und die Implementierung aktiv zu unterstützen. Zu fragen bleibt, an welchen Stellen die bei kirchlichen Trägern benannten Arbeitsschutzkoordinatoren ihre Kommunikation und Zuarbeit mit den einzelnen Kitas verbessern können. Dass hier Bedarf besteht, machen auf jeden Fall die Freitexte zu besonderen Wünschen deutlich. Weiterer Forschungsbedarf besteht zu entsprechenden Erfahrungen aus einer Beschäftigtenperspektive und zum Arbeitsschutzstandard in nichtkirchlichen Einrichtungen. Die Studie wurde von der BGW finanziell unterstützt. Das Datenschutzkonzept wurde mit der Datenschutzbeauftragen der BGW abgestimmt. Ein Antrag bei der Ethikkommission einer Ärztekammer wurde nicht gestellt, da keine medizinischen Daten erhoben wurden. Die Autoren danken allen Beteiligten der BGW-Präventionsdienste für ihre Erhebungen und Birgit Eckert (FFAS) für die tatkräftige Organisation und das Datenmanagement. Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im betrieblichen Arbeits-und Gesundheitsschutz Status quo, Kenntnisstand und Unterstützungsbedarf in KMU Unternehmensbefragung_Amler_Voss_etc.pdf) Kitapersonal braucht bessere Arbeitsbedingungen Kooperationen mit der BGW -Neue Wege für mehr Sicherheit und Gesundheit Antworttendenzen in standardisierten Umfragen Arbeitsschutzmanagementsysteme -Managementsysteme für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Effectsize guidelines for individual differences researchers GDA -Dachevaluation. 1. Zwischenbericht -Auswertung der Betriebs-und Beschäftigungsbefragungen (korrigierte Fassung Beratung der Länder zu und Umgang der Länder mit Arbeitsschutzmanagementsystemen Kenntnisstand als auch Wege der Wissensaneignung von Geschäftsführer/innen und Beschäftigten auf dem Gebiet des Arbeits-und Gesundheitsschutzes in KMU Die betriebsärztliche und sicherheitstechnische Betreuung in Kleinund Mittelbetrieben der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) in Hamburg -Eine Pilotstudie Methodeneffekte von Web-Befragungen: Soziale Erwünschtheit vs. Soziale Entkontextualisierung VBG (2021) Arbeitsschutz mit System AMS STEGE Stukturqualität und Erzieher_innengesundheit in Kindertageseinrichtungen: Wissenschaftlicher Abschlussbericht Die psychische Gesundheit von pädagogischem Fachpersonal in Kindertageseinrichtungen: hinderliche und förderliche Merkmale der Arbeit Originalien liegt aber nicht unter dem in anderen Branchen. 4