key: cord-0073712-jetq94j6 authors: Lewitzka, Ute; Haußmann, Robert title: Lithium - ein Update date: 2022-01-19 journal: InFo Neurologie DOI: 10.1007/s15005-021-2201-4 sha: 066ec0d62c1a66c2d050c0b04df086471749630f doc_id: 73712 cord_uid: jetq94j6 nan Anwendungen als Beginn der Lithiumtherapie an zusehen. Im Jahr 1871 beschrieb dann der USame rikanische Arzt William A. Hammond die Verwen dung von Lithiumbromid bei der Behandlung der Manie. Aufgrund der Begleiterscheinungen der ver mutlich zu hohen Dosierungen wurde der Einsatz von Lithium klinisch zunächst nicht weiterverfolgt. Gut bekannt ist der Einsatz von Lithium durch den australischen Psychiater John F. Cade, der 1949 den Einsatz von Lithium als antimanische Substanz be schrieb. In den folgenden Jahren wurde die rück fallprophylaktische Lithiumwirkung durch franzö sische, englische und dänische Autoren bestätigt. Mogens Schou, ein dänischer Psychiater, spielte hier eine besonders bedeutende Rolle, unter ande rem auch, da er die erste doppelblinde klinische Studie in der Psychiatrie durchführte. In Deutsch land wurde die Entwicklung der Lithiumtherapie in wenigen Zentren gefördert [3] . Während der letzten drei Jahrzehnte wurde der Einsatz von Lithium in zahlreichen, methodisch sehr unterschiedlichen Studien hinsichtlich verschiede ner Indikationen (Stimmungsstabilisierung, Be handlung manischer/depressiver Episoden, Aug mentation, Neuroprotektion, Suizidprävention etc.) untersucht. Ein polnischer Forscher publizierte 2020 ein Minireview mit dem Vorschlag, Lithium syste matisch hinsichtlich des Einflusses auf SARSCoV2 zu untersuchen, da ein antiviraler Effekt dieser Subs tanz bereits gut bekannt ist. Er identifizierte sechs InvitroStudien, welche den Einfluss von Lithium auf Coronavirenassoziierte Infektionen beschreiben [4] . Im folgenden Kapitel wird der aktuelle Stand der Lithiumtherapie in Psychiatrie und Psychotherapie bezüglich der wichtigsten Indikationen beschrieben. Zu den Hauptindikationen von Lithium gehört die Stimmungsstabilisierung bipolarer, aber auch rezi divierender depressiver Episoden. Hier ist Lithium in verschiedenen Leitlinien weiterhin als Goldstan dard für bipolare Störungen etabliert [5, 6, 7] . Zahl reiche Studien verwenden Lithium hierbei als Ver gleichssubstanz [8] . In der Fachwelt wird weiter kontrovers diskutiert, ob Lithium weniger effektiv bei der Stimmungsstabilisierung von BipolarII Störungen (BDII) im Vergleich zu BipolarIStö rungen (BDI) ist. Tondo et al. [9] sowie Garnham et al. [10] konnten hier eine gleich gute oder sogar bessere Effektivität von Lithium für BDII feststel len; ins gesamt ist die Datenlage diesbezüglich je doch schmal. Ein aktuelles Review von Severus et al. [11] konn te den phasenprophylaktischen Effekt einer Lithium therapie erneut bestätigen. Dabei ist Lithium insbe sondere in der Rückfallverhütung neuer manischer Episoden effektiv und zeigt dort bessere Wirksam keit als in der antidepressiven Rückfallprophylaxe. In einem systematischen Review nicht randomisier ter kontrollierter Beobachtungsstudien konnten auch Kessing et al. [12] die Überlegenheit einer Lithiumtherapie darstellen. Die Autoren wiesen nach, dass bei bis zu 14.000 eingeschlossen Patienten eine Monotherapie mit Lithium in der Erhaltungs phase der Behandlung mit anderen Stimmungssta bilisierern (wie Valproat, Lamotrigin u. a.) überlegen war. Eine kürzlich publizierte schwedische Studie fand heraus, dass höhere regionale Verschreibungs raten von Lithium signifikant mit einer geringeren Rate jeglicher Art von Rezidiven bipolarer Störun gen verbunden war [13] . Hierbei zeigten Severus et al. [14] in einem Review, dass Lithium insbesondere im Serumspiegelbereich von 0,6-0,75 mmol/l effek tiv ist. Der Effekt einer Lithiumtherapie bei bipolaren Störungen mit einem RapidCycling wird im Ver gleich zu anderen Substanzen immer noch als gerin ger angenommen. Eine 2005 von Calabrese et al. [15] publizierte Studie konnte hier jedoch keine Unter schiede zwischen Lithium und Valproat bei einer bi polaren Patientengruppe mit RapidCycling finden. Grundsätzlich gestaltet sich die klinische Behand lung von Patienten mit mehr als vier Episoden im Jahr meist schwieriger, was auch andere pharmako logische Substanzen betrifft. Lithium wird als die antimanische Referenzsubstanz angesehen. Auch eine 2019 publizierte Cochrane Metaanalyse von McKnight [16] konnte diesen Effekt eindrücklich bestätigen. Hier zeigte sich Lithium ge genüber Placebo deutlich überlegen, gegenüber an deren Substanzen (Valproat, Carbamazepin, Queti apin, Risperidon) hingegen geringere oder gleiche Effekte. Olanzapin wies hier eine leichte Überlegen heit gegenüber Lithium auf. Der Einsatz von Li thium bei Kindern mit manischen Episoden war ebenfalls mit einer Überlegenheit in der Effektivität verbun den [17] . Eine Ausnahme bildeten hier Kinder, wel che mit langwierigen manischen oder gemischten Episoden sowie einem komorbiden Aufmerksam keitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diag nostiziert worden waren. In der Behandlung akuter depressiver Episoden im Rahmen von bipolaren Störungen scheint Lithium keine Überlegenheit gegenüber anderen Substanzen (auch Placebo) aufzuweisen. Dies konnte in einer Studie von Young et al. [18] anhand einer Untersu chung von 802 Patienten mit BDI (n = 499) sowie BDII (n = 303) gezeigt werden. Hier war die Behand lung mit 300 oder 600 mg Quetiapin effektiver als mit Placebo beziehungsweise Lithium. Derzeit wird unter anderem in genetischen Studien versucht zu ergründen, inwieweit diese Response auf Lithium ge netisch determiniert ist [19] . S3-Leitlinie für bipolare Störungen: A-Empfehlung für Lithium zertifizierte fortbildung Eine Lithiumbehandlung kann Leben retten. Die Rückfallprophylaxe unipolarer depressiver Episoden mit Lithium wird klinisch praktiziert, hier fehlt jedoch eine breite Evidenz [20] . Die zusätzliche Gabe von Lithium zu einer Behand lung mit antidepressiven Substanzen ist bei Patien ten mit unipolaren Depressionen eine sehr effekti ve Augmentationsstrategie, die trotz der Evidenz aus Studien sowie der Verankerung in bestehenden Leitlinien und Stufenplänen immer noch zu wenig Anwendung findet. Eine Lithiumtherapie war in mehreren Studien, die wiederum im Rahmen von zwei Metaanalysen ausgewertet wurden [21, 22] , bei der Behandlung therapieresistenter Depressionen im Vergleich zu trizyklischen Antidepressiva sowie gegenüber selektiven SerotoninWiederaufnahme hemmern (SSRI) deutlich überlegen. Zwei Arbeiten stellen hierbei auch die deutlich niedrigeren Be handlungskosten der Lithiumaugmentation in den Mittelpunkt [23, 24] . Klinisch wird Lithium als Augmentation vorwiegend bei Erwachsenen jungen und mittleren Alters eingesetzt, eine neuere, nicht kontrollierte Studie konnte jedoch zeigen, dass eine Lithiumaugmentation auch bei geriatrischen Pa tienten effektiv ist [25] . Bei älteren Patienten ist neben dem per se erhöh ten Intoxikationsrisiko zu bedenken, dass selbst bei therapeutischen Lithiumspiegeln Intoxikationszei chen auftreten können, da insbesondere zerebrovas kulär vorgeschädigte ältere Menschen eher dazu nei gen, neurotoxische Symptome wie zum Beispiel kognitivmnestische Defizite bis hin zum Delir oder zerebelläre Zeichen zu entwickeln. Innerhalb der psychiatrischen Erkrankungen sind insbesondere affektive Störungen mit einem erhöh ten Suizidrisiko verbunden. Verglichen mit der Nor malbevölkerung weisen Menschen mit affektiven Störungen ein 15 bis 20fach höheres Suizidrisiko auf. Allerdings stellt die psychische Erkrankung nur einen Risikofaktor dar. Bereits in den 1970erJahren wurden Hinweise für eine antisuizidale Wirkung von Lithium gefunden und seither über Jahrzehnte immer wieder bestätigt [26] . Interessanterweise scheint Lithium diese Wirkung bereits in sehr gerin gen (Mikro)Dosierungen entfalten zu können, wie eine Metaanalyse ökologischer Studien nachweisen konnte [27, 28] . Zu den aktuellen Metaanalysen be ziehungsweise systematischen Reviews gehört die Arbeit von Smith und Cipriani [29] , die einen suizid protektiven Effekt erneut bestätigt hat. Auch eine Ar beit von Zalsman et al. [30] wies neben anderen Stra tegien nach, dass Lithium Menschen vor suizidalem Verhalten schützen kann. Zahlreich sind auch pub lizierte Studien, die eine mortalitätssenkende Wir kung von Lithium nachgewiesen haben [31] . Dies ist umso bemerkenswerter, als dass insbesondere Pati enten mit affektiven Störungen ein erhöhtes Morta litätsrisiko, auch unabhängig vom Suizidrisiko, auf weisen. Dennoch haben wir es bei einer Lithiumtherapie mit Nebenwirkungen zu tun, die akut (innerhalb der ersten Tage bis Monate) auftreten können oder erst im Langzeitverlauf relevant werden. Zu den häufigs ten akuten Nebenwirkungen gehören ein feinschlä giger Tremor, eine Polydipsie mit konsekutiver Poly urie, eine Asthenurie bis hin zum nephrogenen Diabetes insipidus, eine Diarrhö sowie Schilddrü senfunktionsstörungen. Eine Gewichtszunahme fin det sich häufiger bei Frauen und ist weniger über eine Änderung des Appetitverhaltens als vielmehr durch die interstitielle Wassereinlagerung erklärbar und beträgt in der Regel wenige Kilogramm. Zu den gut untersuchten Nebenwirkungen im Langzeitverlauf gehört die Veränderung der Nierenfunktion. Hier bei sinkt die eGFR pro Jahr einer Lithiumbehand lung um durchschnittlich etwa 0,64 mmol/min [39, 40] . Die Beendigung einer Lithiumtherapie ist aus nephrologischer Sicht notwendig, bevor die eGFR unter einen Wert von 40 ml/min fällt. Eine Funk tionseinschränkung unter 60 ml/min erfordert zu nächst eine engmaschigere Überwachung mit einer Anpassung der Lithiumdosis sowie idealerweise einer nephrologischen Mitbetreuung. Zu den ebenfalls im längeren Verlauf der Therapie auftretenden Nebenwirkungen gehört die Verände rung der Schilddrüsenfunktion. Lithium vermittelt häufig thyreostatische und strumigene Effekte. Des halb ist es hilfreich, auch eine Sonografie der Schild drüse vor Beginn der Behandlung durchzuführen. In der Praxis werden bei Vorliegen erhöhter TSH Werte Schilddrüsenhormone (z. B. LThyroxin) in einer Dosis von 25-100 µg hinzugegeben. Das koin zidente Auftreten anderer Schilddrüsenerkrankun gen, zum Beispiel einer HashimotoThyreoiditis, sollte bedacht werden. Beim Auftreten von akuten beziehungsweise späten Nebenwirkungen sollte mit jedem Patienten bespro chen werden, welche Nebenwirkungen er tolerieren kann, vor allem auch, wenn eine nachweislich sehr gute Response besteht. Aus den jahrzehntelangen Be obachtungen der Lithiumtherapie gibt es weitere Möglichkeiten des Managements von Nebenwirkun gen, auf die hier nicht eingegangen wird. Wir möch ten diesbezüglich auf weiterführende Literatur ver weisen [41, 42, 43] . Für Periodische Depressionszustände und ihre Pathogenesis auf dem Boden der harnsauren Diathese a 50-Year Experience Lithium and coronaviral infections. A scoping review CANMAT) and International Society for Bipolar Disorders (ISBD) collaborative update of CANMAT guidelines for the management of patients with bipolar disorder: update Evidence-based guidelines for treating bipolar disorder: Revised third edition recommendations from the British Association for Psychopharmacology S3-Leitlinie Bipolare Störungen -1. Update 2019: Was ist neu in der Pharmakotherapie? [German S3 guidelines on bipolar disorders-first update 2019: What is new in pharmacotherapy?]. Nervenarzt 2020 Lithium plus valproate combination therapy versus monotherapy for relapse prevention in bipolar I disorder (BALANCE): a randomised open-label trial Long-term clinical effectiveness of lithium maintenance treatment in types I and II bipolar disorders Prophylactic treatment response in bipolar disorder: results of a naturalistic observation study Efficacy and effectiveness of lithium in the long-term treatment of bipolar disorders: An update Effectiveness of maintenance therapy of lithium vs other mood stabilizers in monotherapy and in combinations: a systematic review of evidence from observational studies Regional lithium prescription rates and recurrence in bipolar disorder What is the optimal serum lithium level in the long-term treatment of bipolar disorder-a review? A 20-month, double-blind, maintenance trial of lithium versus divalproex in rapid-cycling bipolar disorder Lithium for acute mania Efficacy and tolerability of lithium for the treatment of acute mania in children with bipolar disorder: A systematic review: A report from the ISBD-IGSLi joint task force on lithium treatment Eine Behandlung mit Lithium zeigt eine hohe Effizienz und ein geringes Risiko bei A double-blind, placebo-controlled study of quetiapine and lithium monotherapy in adults in the acute phase of bipolar depression (EMBOLDEN I) Association of polygenic score for major depression with response to lithium in patients with bipolar disorder Lithium in the episode and suicide prophylaxis and in augmenting strategies in patients with unipolar depression A systematic review and meta-analysis of lithium augmentation of tricyclic and second generation antidepressants in major depression Acceleration and augmentation of antidepressants with lithium for depressive disorders: two meta-analyses of randomized, placebo-controlled trials Lithium or an atypical antipsychotic drug in the management of treatmentresistant depression: a systematic review and economic evaluation Antidepressant Augmentation: A Review of the Literature and a Review of the Pharmacoeconomic Considerations Treatment response of lithium augmentation in geriatric compared to non-geriatric patients with treatment-resistant depression The suicide prevention effect of lithium: more than 20 years of evidence-a narrative review Association between naturally occurring lithium in drinking water and suicide rates: systematic review and meta-analysis of ecological studies The association between lithium in drinking water and neuropsychiatric outcomes: A systematic review and meta-analysis from across 2678 regions containing 113 million people Lithium and suicide in mood disorders: Updated meta-review of the scientific literature Suicide prevention strategies revisited: 10-year systematic review Effect of lithium on suicide and mortality in mood disorders Neuroprotective effect of lithium on hippocampal volumes in bipolar disorder independent of long-term treatment response Lithium: A therapeutic option in Alzheimer's disease and its prodromal stages? Effects of lithium use on the white matter of patients with bipolar disorder Brain age in bipolar disorders: Effects of lithium treatment An Oldie but Goodie: Lithium in the treatment of bipolar disorder through neuroprotective and neurotrophic mechanisms Treatment of lithium intoxication: facing the need for evidence A systematic review and meta-analysis of clinical predictors of lithium response in bipolar disorder Duration of lithium treatment is a risk factor for reduced glomerular function: a cross-sectional study Renal function during long-term lithium treatment Sachgerechte Behandlung affektiver Störungen mit Lithium The essential guide to lithium treatment Lithium in neuropsychiatry. The comprehensive guide. London: Informa healthcare Suizide und Parasuizide während und außerhalb einer Lithiumprophylaxe. 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