key: cord-0071994-oi1r48ea authors: Storms, Anna; Heffels, Wolfgang M. title: Ethik - Auch das noch?! date: 2021-12-15 journal: Pflege Z DOI: 10.1007/s41906-021-1178-4 sha: eb2fb05858f4b30ffe7c5802da9d743a7a7469a7 doc_id: 71994 cord_uid: oi1r48ea Im Alltag sind wir immer wieder mit Situationen konfrontiert, die den Bereich der Ethik und Moral tangieren. Gerade in der stationären oder ambulanten Altenpflege, im Krankenhaus, im Hospiz oder in der Behindertenhilfe gibt es diese zuhauf. Nicht zuletzt gesellschaftliche Veränderungen stellen Pflegende vor ethische und moralische Fragen, wie etwa aktuell zum Umgang mit COVID-19 in den unterschiedlichen Settings oder der gesetzlichen Veränderung zum assistierten Suizid. All diese Situationen, Ereignisse und Herausforderungen berühren den Bereich von Werten und Normen. Beschäftigt man sich mit Werten und Normen, die das menschliche Handeln bestimmen, so ist man bereits mittendrin in der Ethik. Aber was genau ist mit Ethik und Moral gemeint? doch ein Unterschied betont: So gibt es etwa den Ansatz, dass es sich bei Moral um die "Summe der in einer bestimmten Gesellschaft verbreiteten moralischen Normen, Prinzipien oder Werte und moralische Dispositionen, Haltungen oder Charakterzüge" (Ach, Siep 2011, 11) handle. Bei moralischen Aussagen geht es demnach nicht um reine Beschreibungen von Sachverhalten (Deskription), sondern es wird damit ein Anspruch zum Ausdruck gebracht, wie man sich zu verhalten hat beziehungsweise was zu unterlassen ist (Präskription). Als Abgrenzung dazu beschäftigt sich die Ethik theoretisch mit moralischen Fragen; sie ist in dem Sinne eine Reflexionsform der Moral. Ethik kann sich dabei sowohl auf den einzelnen Menschen (Was soll ich tun?) als auch auf Gruppen, Gesellschaften oder Kulturen (Was sollen wir tun?) beziehen. Die sogenannte Individualethik beschäftigt sich primär mit dem Handeln von Individuen und einem guten und erfüllten Leben. Hier steht der Mensch als bio-psycho-sozial-spirituelles Wesen mit seinen je unterschiedlichen Bedürfnissen, Prägungen und Vorstellungen im Fokus, aber auch dessen unmittelbares Interagieren mit seiner Umwelt. Darüber hinaus behandelt die so genannte Sozialethik Fragen nach einer gerechten Gestaltung der Gesellschaft oder auch Fragen nach einem guten Handeln von überindividuellen Institutionen. Menschen, die in der Pflege tätig sind, kennen zumeist die innere Auseinandersetzung mit mancher Unzulänglichkeit des beruflichen Alltags, dem eigenen moralischen Empfinden und/oder dem berufsethischen Anspruch nicht gerecht zu werden, recht gut. Personal-und Zeitmangel tragen ihr Übriges zu einem entsprechenden Gefühl bei. Tangieren solche Situationen schließlich das eigene Werteempfinden oder berufliche Normen handelt es sich dabei eben immer auch um Fragen, mit denen man sich in der Ethik beschäftigt. Und um mit solchen Situationen professionell umgehen zu können, ist nicht umsonst die Ausbildung einer ethischen Kompetenz zentraler Bestandteil der berufsbezogenen Professionalität. Es ist kein "Nice-to-have" und "Kommt-schon-mit-der-Zeit", da in der hochspezialisierten Gesundheitsversorgung und allgemeinen Wertepluralität alle Pflegenden kontinuierlich Erfahrungen mit ethischen und moralischen Fragen machen. Auch Auszubildende in der Pflege müssen im theoretischen und praktischen Unterricht auf den Umgang mit solchen Situationen vorbereitet werden. Grundsätzlich zielt die neue generalistische Pflegeausbildung, die auf bundesweit einheitlichen Rahmenlehrplänen für die theoretische und praktische Ausbildung aufbaut, auf den Erwerb von alltagsrelevanten Kompetenzen, die für die Pflege von Menschen aller Altersstufen, Lebenssituationen und Versorgungskontexten notwendig sind. Wesentlicher Bezug in der Berufsausbildung ist dabei die Orientierung an entsprechender beruflicher Handlungskompetenz bzw. -fähigkeit. Im Gegensatz zur schulischen Allgemeinbildung, wo Lehr-Lernprozesse ihren Ausgang in Schulfächern mit einem Fokus auf kognitive Leistungsfähigkeit nehmen, charakterisiert sich berufliche Bildung durch einen Ausgangspunkt in einem professionellen Handlungsfeld und durch ihren Fokus auf der Orientierungs-und Handlungsfähigkeit. Professionelle Pflege zeichnet sich laut den Rahmenlehrplänen u. a. durch die Kompetenz aus, dass sie aufgrund einer professionellen Ethik begründbar und zugleich dem konkreten kulturellen, sozialen und religiösen Selbstverständnis der zu pflegenden Menschen verpflichtet ist ( § 5 Abs. Um einen ethischen Kompetenzerwerb in der Ausbildung zu ermöglichen, bedarf es eines integrativen Vorgehens über den gesamten Ausbildungsverlauf hinweg, denn dass eine so verstandene ethische Kompetenz sich nicht an einem Blockwochenende oder ähnlichem initiieren und entwickeln lässt, dürfte sich von selbst verstehen. Professionell Pflegende tragen schließlich für ihr Tun und Lassen Verantwortung. Sie sind gefordert, ihr Tun sich und anderen gegenüber mit guten Gründen zu rechtfertigen. Im Zentrum ethischer Kompetenzbildung steht somit die Handlungsbefähigung in moralischen Fragen und Situationen, die Kenntnisse über wesentliche Inhalte der Ethik sowie das (eigen-)verantwortliche Handeln im Kontext der Berufsausbildung. So thematisiert eine Didaktik der Ethik unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten von Lehren und Lernen mithilfe von exemplarischen Handlungssituationen zur Förderung sinnlicher Wahrnehmungsvorgänge, einer ethischen Urteilsbildung, zur Aufklärung über moralische Vorgaben und zur Herausbildung eigener Wert-und Normpräferenzen sowie Orientierungsmöglichkeiten zur allgemeinen und berufsspezifischen Lebensausrichtung. Kurzum: Sie intendiert die subjektive Herausbildung verantwortlichen Handelns (Heffels/Storms 2021). Dieses spiegelt sich beispielsweise in den Vorbehaltstätigkeiten der Pflege (Bundesministerium 2018) als Kerngegenstand berufsbildender Lehre wider und symbolisiert für alle sozialen Berufe letztendlich eine Nichtstandardisierbarkeit personenbezogener Interaktionsprozesse. Eine Didaktik ethischen Lehrens und Lernens in der Berufsbildung kann dabei als eine Pyramide gedacht werden, in der die Berufsausbildung eine breite (alle Berufsbereiche umfassende) Berufsmoralität und das verantwortliche Handeln zur Bewältigung typischer beruflicher Handlungssituationen grundlegt. In der beruflichen Fort-und Weiterbildung können hierauf aufbauend spezifischere (bereichs-und berufsgruppenorientierte, organisationsspezifische sowie gesellschaftsrelevante) Fragestellungen verantwortungsethisch bearbeitet werden. Die Didaktik ethischen Lehrens und Lernens im Rahmen der Pflegeausbildung setzt sich dabei aus unterschiedlichen Bezugspunkten zusammen: Einer Fachdidaktik Ethik und einer Bereichsdidaktik Pflegeethik. Die Fach-didaktik Ethik basiert dabei auf den Wissensbeständen des Faches Ethik. Sie beschäftigt sich mit Lehr-und Lernkonzepten, wie die fachwissenschaftlichen Inhalte der Ethik vermittelt werden können, und geht der Frage nach, wie diese Inhalte gelehrt und gelernt werden können. Folglich geht es dabei auch um die Begründung, warum Menschen überhaupt moralisch leben sollen. Die Bereichsdidaktik (Pflege-)Ethik orientiert sich zudem an den jeweiligen kulturell gewachsenen und bereichsspezifischen Praxen der Menschen, die sich auf unterschiedlichen Ebenen (Makro-, Meso-und Mikroeben) betrachten lassen. Die allgemeine Ethik mit ihren praxisübergreifenden Aussagen wird in der Bereichsethik mit den praxisspezifischen Inhalten als bereichsdidaktische Ethiken spezifiziert. Pflegeethik fragt somit nach den Besonderheiten, Bedarfen und Bedürfnissen in der Pflege. Bildlich gesprochen bildet die Pflege dabei eine Triangel, in der die Aufgabenstellung zwischen den drei Polen Patient*innen und deren Bezugsysteme, Pflegende sowie den konkreten Rahmenbedingungen der jeweiligen Pflegesituation in einem spezifisch vorgegebenen Kontext angesiedelt ist. Diesen unterschiedlichen Bezugssystemen ist in einer didaktischen Gestaltung von Lehr-Lern-Settings im Ausbildungskontext Rechnung zu tragen; sie verbinden Elemente der Persönlichkeitsentwicklung mit individual-und sozialethischen Themen. Mit Blick auf die Orte ethischen Lehrens und Lernens sind im Rahmen der Pflegeausbildung zwei unterschiedliche Praxen über den Ausbildungsverlauf miteinander verzahnt: eine Schulpraxis und eine Beschäftigungspraxis -sie sind komplementär. Beide Praxen eröffnen den Auszubildenden die Möglichkeit, ihr verantwortliches Handeln für sich im Kontext der beruflichen Fachlichkeit zu entwickeln. Jeder Ort hat jedoch seine Besonderheiten: Die Schulpraxis (theoretischer Unterricht) hat die Zeit für Einführung, Aufklärung und Vertiefung über die Berufspraxis. Die Betriebspraxis des praktischen Unterrichts hat die Zeit zur Einübung in die zu bewältigenden Funktionsanforderungen in Alltagssituationen. Das unterrichtliche Handeln innerhalb einer Berufsausbildung dient somit einerseits der Befähigung zum regelgeleiteten beruflichen Handeln und andererseits der Lösung kontext-und konfliktbeladener beruflicher Handlungsanforderungen. Das schulpädagogische Handeln kann die Teilnehmenden dazu befähigen, sich im Kurs und in der Schulgemeinschaft für soziale, berufspolitische und ausbildungsspezifische Fragestellungen zu interessieren sowie sich für eine gute Kurs-und Schulgemeinschaft zu engagieren. Hierdurch entsteht die Möglichkeit, in der Schule für den Beruf zentrale Handlungskompetenzen zu entwickeln. Zudem erfahren sich die Teilnehmenden im Unterricht sowie durch Begegnungen in der Schule und der Betriebsstätte im Rahmen ihrer Persönlichkeitsbildung im Spiegel der anderen und können über Begleitmaßnahmen und spezielle Unterrichtssequenzen hinaus sich selbst reflektieren und ihre Wirkweisen im sozialen Kontakt erfahren und bestimmen lernen. Durch etwa ein kontinuierliches Lerntagebuch können solche Erfahrungen über den Ausbildungsverlauf hinweg mit Blick auf den Lern-und Erfahrungszuwachs dokumentiert werden -etwas, das im Besonderen auch für eine integrative ethische Kompetenzentwicklung gilt (Heffels/Storms 2021) . In der beruflichen Praxis kommt der systematischen Anleitung zur Bewerkstelligung beruflicher Anforderungen und der Reflexion problematischer Handlungsanforderungen eine große Bedeutung zu. Hier können die Teilnehmenden unter Berücksichtigung allgemeiner Wissensbestände das Praxiswissen durchdenken, um zu einem verantwortlichen Handeln zu gelangen. Praxisbegleitung und -anleitung haben somit eine Scharnierfunktion zwischen der Lehr-und der Berufspraxis und können durch eine entsprechende Eröffnung von Reflexionsräumen auch ethische Kompetenzbildung in besonderem Maße fördern. Bei der ethischen Kompetenzbildung geht es schließlich darum, dass die Lernenden sich selbst und ihr Handeln (bzw. ihre Handlungsmöglichkeiten) in beziehungsweise an konkreten Situationen reflektieren sowie das Situationsgeschehen und Routinen kritisch zu hinterfragen lernen. In der Berufsausbildung sind somit zwei unterschiedliche Kontexte zur Berufsqualifizierung und ethischen Kompetenzbildung systematisch aufeinander bezogen. Beide Arten eröffnen die Möglichkeit, neben der Förderung von Persönlichkeitsbildung sowohl eine Berufsidentität als auch einen Berufshabitus auszubilden. Dies kann mit Blick auf die unterschiedlichen Lernorte mit unterschiedlicher Intention und in unterschiedlicher Art und Weise geschehen, was unterschiedliche Anforderungen an eine Didaktik ethischen Lehrens und Lernens stellt. Sich der Herausforderung ethischer Kompetenzentwicklung integrativ über den Ausbildungsverlauf immer wieder zu stellen, bildet jedoch einen wichtigen Beitrag zur professionellen Fachlichkeit der Auszubildenden. Ethik -Zur Einführung Ausbildungs-und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe Ethisch urteilen und handeln. Unterrichtsmaterialien für die Pflegeausbildung Rahmenpläne der Fachkommission nach § 53 PflBG. Rahmenlehrpläne für den theoretischen und praktischen Unterricht