key: cord-0070380-wa4xserd authors: Klemm, Katja title: Eine Frage des Kindeswohls: Wie die Corona-Zeit und die daraus getroffenen Entscheidungen für den Sport die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen in Deutschland aufs Spiel setzt und wie Sport, Spiel und Bewegung nun helfen können date: 2021-11-22 journal: Forum Kind Jugend Sport DOI: 10.1007/s43594-021-00048-3 sha: cdd5d46eeffe02b8077aa915910b4b2c5c3c2737 doc_id: 70380 cord_uid: wa4xserd nan führen aus, was die echten Lehrer*innen von ihrem Zuhause aus vorgeben. Doch nicht für alle Kinder und Jugendlichen war diese Situation gleich. Um das nachzuvollziehen, möchte ich zwei Beispiele von fiktiven Kindern in Deutschland aufzeigen 1 , wie ihr Alltag ausgesehenen haben könnte. Im Anschluss möchte ich aufzeigen, was deren Alltag während der Pandemie beeinflusst hat und wie sich das auf das gesunde Aufwachsen der Kinder ausgewirkt hat. Darauf aufbauend soll das folgende Kapitel Möglichkeiten aufzeigen, was Sport, Spiel und Bewegung -in allen Formenleisten können und zukünftig werden. Kind A ist neun Jahre alt. Der Junge wohnt mit seiner Mutter und seinem zwei Jahre älteren Bruder in einer mittelgroßen Stadt im Norden Deutschlands. Sie bewohnen eine geräumige Drei-Zimmer-Wohnung am Stadtrand im zweiten Stock, einen Garten oder Balkon haben sie keinen. Er und sein Bruder bewohnen ein Zimmer, um ein Wohnzimmer für alle zu haben. Seine Schule ist fünf Minuten zu Fuß entfernt und er geht wie sein Bruder auf eine Gesamtschule. Nachmittag geht er sehr oft mit seinen Freunden auf den Kickplatz. Wenn es regnet oder sie mal keine Lust haben, gehen sie meist zu einem Freund, um mit der neuesten Spielekonsole zu zo- Auch Sport, Spiel und Bewegung mussten viel innerhalb der Wohnung oder des Hauses absolviert werden. Falls das überhaupt möglich war, je nach Platz und Material war vieles sicherlich gar nicht möglich oder nur umständlich, was Hürden bedeutete, die zu überwinden waren oder dann im Weg standen. Bei gutem Wetter wurden sicherlich das Spazierengehen, Joggen und Radfahren ausgiebig wahrgenommen, doch das wichtige Auspowern und an die eigenen Grenzen gehen, das Kinder und Jugendliche ab und zu einfach brauchen, blieb oft auf der Strecke. Ebenso auf der Strecke blieb das gemeinsame Bewegen und Sporttreiben, insbesondere mit der dortigen Peergroup. Egal ob im Verein, Fitnessstudio oder mit den Nachbarkindern auf dem Bolzplatz. Diese Kontakte, die Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen im und durch den Sport, fehlte komplett. "Wieso wird der Sport dann gerade so stark verhindert?", "Wieso kann ich dann nicht ins Training bei meinem Sportverein/Fitnessstudio/Sportanbieter?", "Wieso ist dann kein Sportunterricht möglich?". Diese und viele weitere Fragen kamen auf, als eine große US-Studie im April diesen Jahres (Sallis et al. 2021 Die dsj hat im Rahmen des Aktions-Monats ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie besonders hervorhebt, welchen positiven Beitrag Sport, Spiel und Bewegung auf die mentale Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben. Sport soll dabei nicht nur als Ausgleich zum stressigen Alltag (auch schon bei Kindern und Jugendlichen!) gesehen werden, sondern als Ventil, als geschützter und als sozialer Unterstützungsraum, in dem sie Verbundenheit und Zugehörigkeit erfahren. Dieser Raum ist eine weitere wichtige Komponente der Gesundheit: das soziale Umfeld, indem sichKinderund Jugendliche ausprobieren können, Werte erlernen und sich als Mensch entwickeln können. Der Sportraum, besonders in Gemeinschaften wie Sportvereinen, lehrt sie das soziale Miteinander auf spielerische Art und Weise zu erleben und auch das eigene Selbst in diesem Gefüge einzuordnen (. Abb. 3) . Sieg, Niederlage, das gemeinsame Gewinnen und Verlieren, das Engagement von Trainer*in, Eltern und Vereinsverantwortlichen beeinflusst und lehrt Kinder und Jugendliche im Kleinen, was zukünftig auf sie zukommen kann. Insgesamt gesehen hatte die Pandemiesituation -in all ihren offensichtlichen und weniger offensichtlichen Aspekten -große Auswirkungen auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Egal ob es um die physische Gesundheit, die mentale oder auch soziale Gesundheit geht -diese monatelangen Einschränkungen haben jede*n betroffen. Nun kann, wie oben erwähnt, der Sport in der Gemeinschaft eine große Rolle bei der Aufarbeitung, dem Nachholen und dem Neuaufbau der Gesundheit spielen. Der Sport in der Gemeinschaft, für viele klassischerweise der Sportverein, obwohl dieser sich auch Kritik gegenüber offen zeigen muss. Strukturen sind veraltet, keine jungen Kräfte im Ehrenamt, spießig und altmodisch soll er sein. Teilweise ist das sicherlich auch noch so, aber auch Sportvereine lernen immer mehr, mit der Zeit zu gehen. Sie beschäftigen sich mit Trends, entwickeln Mitgliedssysteme die flexibel sind, entwickeln Mentor*innen-Programme für das Ehrenamt, bauen Calisthenics-Parks in ihre Sportanlagen und schaffen Sport-und Bewegungsangebote, die mit der Zeit gehen. Dennoch sollte nicht das gesamte Konzept des Sportvereins über den Haufen geworfen werden. Es kann ja sein, dass das Konzept eines verbindlichen wöchentlichen Trainings mit der gleichen Peergroup und dem*der gleichen Trainer*in das Beste ist, was den Kindern und Jugendlichen in dieser Situation passieren kann. Und nicht nur diese Aspekte könnten außerordentlich hilfreich sein. Auch die Inhalte des sportlichen Trainings, das strukturiert aufgebaut ist und den Möglichkeiten der jungen Sportler*innen angepasst ist, sind extrem nützlich für den Aufbau der motorischen Leistungsfähigkeit und damit der physischen Gesundheit. Das freie Spielen und Bewegen ist zwar wichtig und konnte weitgehend fortgeführt werden, jedoch benötigen Kinder und Jugendliche fordernde Reize, die sie sehr gut im strukturierten Training erhalten. So konnte der Fitnessbarometer 2021 (Kinderturnstiftung Baden-Württemberg 2021), eine Analyse der motorischen Leistungsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen in Baden-Württemberg, feststellen, dass 2020 im Vergleich zu den Jahren 2012 bis 2019 die Ausdauer und Schnelligkeit abgenommen haben. Die Fähigkeiten Kraft und Beweglichkeit sind angestiegen, was für das funktionierende Online-Training spricht, in dem diese Fähigkeiten gut zu trainieren sind. Die Koordination ist auf ähnlichem Niveau stagniert. Ähnliche und teils noch schwerwiegendere Ergebnisse zeigt eine Untersuchung der Drittklässler in Berlin (Zinner et al. 2021) . Hier hat sich lediglich die Ausdauer verbessert. Interessant wird sein, was diese jährliche Erhebung in den nächsten Jahren bezogen auf die Fitness der Jüngsten herausfinden wird. Sorgen sollte uns hier bereiten, dass die Mitgliederzahlen in Sportvereinen, gerade im Bereich der Kinder, stark ge-sunken sind. Hier gilt es, die Kinder mit ihren Eltern gemeinsam in den Sportverein (zurück) zu holen. Sicherlich eine tolle Idee, die mehr als nur eine gute Schlagzeile sein sollte, ist das kostenlose Jahr im Sportverein. Nach der Forderung des Deutschen Kinderhilfswerks im Rahmen des Weltspieltags im Mai 2021 wurde diese Idee sehr schnell aufgegriffen, inzwischen hat unter anderem Bayern (Gutschein für Grundschüler*innen) diese Idee umgesetzt. Andere Bundesländer und Gemeinden bieten zumindest kostenfreie Schwimmkurse an, die dieses Defizit schnellstmöglich ausgleichen sollen. Weitere sollten dieser Idee unbedingt folgen und dann auch überlegen, wie das Angebot langfristig aufrechterhalten oder zumindest angepasst am Leben gehalten werden kann. Ob es nun um die Bewegung im Freien oder den Sport im Sportverein geht, Forum Kinder-und Jugendsport wichtig ist die Erkenntnis der Notwendigkeit und des Potenzials sowie die darauf aufbauende Handlung der verschiedenen verantwortlichen Akteure. Dabei ist es egal, ob es sich nun um Kind A, B oder alle anderen betroffenen Kinder und Jugendlichen handelt. Es geht darum, Aktionen zu starten, Hürden abzubauen und allen Kindern und Jugendlichen den einfachen Zugang zu den Angeboten zu ermöglichen. Das kann nur mit einem Netzwerk aus Politik (Bund, Länder, Kommunen), Wissenschaft, Sportverbänden und -vereinen sowie weiteren gemeinnützigen Organisationen gelingen, die in eine Richtung arbeiten zum Wohle der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auf allen Ebenen. Die Pandemie hat nach meiner Ansicht dazu geführt, dass vieles offen gelegt wurde, vielen wurde klar, was Priorität hat, und was eben nicht. Das allein auf die Politik zu schieben macht es sicherlich leicht, ist aber nicht nachhaltig. Was nun wirken und zählen kann, ist ein gemeinsames Ziehen an einem Strang, um Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen und damit den Erwachsenen von morgen und übermorgen ein gesundes Leben zu ermöglichen. Institut für Sport und Sportwissenschaft, Karlsruher Institut für Technologie Karlsruhe, Deutschland katja.klemm@kit.edu Funding. Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL. Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/ licenses/by/4.0/deed.de. Dauerhaftes Sporttreiben im Sportverein und motorische Entwicklung: Ergebnisse der MoMo-Längsschnittstudie Seelische Gesundheit und psychische Belastungen von Kindern und Jugendlichen in der ersten Welle der COVID-19-Pandemie -Ergebnisse der COPSY-Studie Physical inactivity is associated with a higher risk for severe COVID-19 outcomes: A study in 48 440 adult patients Zur Situation der körperlich-sportlichen Aktivität von Kindern und Jugendlichen während der COVID-19 Pandemie in Deutschland: Die Motorik-Modul Studie (MoMo) The impact of COVID-19 on the interrelation of physical activity, screen time and healthrelated quality of life in children and adolescents in Germany: results of the Motorik-Modul study Berliner Fitnessbericht 2021