key: cord-0069778-stk0zlpd authors: Trebicka, Jonel title: Anpassung der Therapie von gastroenterologischen und hepatologischen Erkrankungen bei COVID-19-Infektion date: 2021-08-20 journal: Therapie-Handbuch - Gastroenterologie und Hepatologie DOI: 10.1016/b978-3-437-23847-5.00068-5 sha: a58de4878316e9bfabb7aeb33bb8d5b6a9b34bb6 doc_id: 69778 cord_uid: stk0zlpd nan KAPITEL Anpassung der Therapie von gastroenterologischen und hepatologischen Erkrankungen bei COVID-19-Infektion • SARS-CoV-2 kann auch den Gastrointestinaltrakt und das hepatobiliäre System befallen und -abhängig vom Verlauf der COVID-19-Erkrankung -zu entsprechenden Organschäden führen. • Die Ausprägungen von gastrointestinalen Symptomen sind meist mit der Schwere der COVID-19-Erkrankung assoziiert. • Bei nicht geimpften Risikopatienten sollten direkte Arztkontakte in Abhängigkeit von den jeweiligen Inzidenzwerten zugunsten einer telemedizinischen Betreuung reduziert werden. In der Diagnostik sind nichtinvasive Untersuchungen zu bevorzugen. • Grundsätzlich sollen keine wesentlichen Änderungen der Therapiestandards vorgenommen werden. • Bei COVID-19-Erkrankung wird spezifisch empfohlen: -Vermeidung hoher Steroiddosen bei CED zugunsten einer Monotherapie mit s. c. applizierbaren Antikörpern -Vermeidung von Mycophenolat als Immunsuppression nach Lebertransplantation -Frühzeitige Krankenhausaufnahme bei Verschlechterung der Symptomatik -Antikoagulation mittels Heparin früh ansetzen -Dexamethason bei schweren Verläufen -Remdesivir v. a. bei frühem Auftreten der Symptome und bei Patienten, die zusätzlich Sauerstofftherapie benötigen, aber noch nicht mechanisch beatmet werden. • Impfungen (inkl. Influenza, Pneumokokken) und auch gegen SARS-CoV-2 sollten gemäß STIKO-Empfehlung vorgenommen werden. (Xiao et al. 2020) . Der Befall von Leberund Gallengangsepithelien über die dort ebenfalls stark exprimierten ACE-2-Rezeptoren und eine daraus folgende mögliche Ausscheidungsroute vom biliären System in den Darm werden hierfür als Erklärung herangezogen (Fan et al. 2020) . Diese asymptomatische, länger persistierende Virusausscheidung führte vermutlich u. a. dazu, dass in den Anfängen der Pandemie in den Hochrisikozonen bis zu 20 % des medizinischen Personals mit SARS-CoV-2 infiziert wurde (Remuzzi, Remuzzi 2020 Die COVID-19-Erkrankung spielt auch bei bestehenden gastroenterologischen und hepatologischen Erkrankungen/Vorerkrankungen eine große Rolle. So sind Patienten mit Leberzirrhose oder immunsupprimierte Patienten (z. B. im Rahmen einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung oder nach einer Lebertransplantation) besonders gefährdet, wenn sie an COVID-19 erkranken. Erste verfügbare epidemiologische Daten weisen im Vergleich zu der allgemeinen Bevölkerung allerdings auf kein erhöhtes Risiko von CED-Patienten hin, an COVID-19 zu erkranken. Dennoch werden für diese Patienten erhöhte Vorsichtsmaßnahmen empfohlen, insbesondere bei immunsuppressiven Therapien. Sind die Patienten beruflich bedingt vielen Kontakten zu Menschen ausgesetzt und hält die pandemische Situation an, kann ein Wechsel des Arbeitsplatzes vorgenommen werden (Autoren and Collaborators 2020). Zudem wird empfohlen, verschärfte Schutzmaßnahmen risikoadaptiert anzuwenden. Insbesondere sollten bei hohen Infektionsraten in einer Region endoskopische Untersuchungen unter besonderem Schutz und Patientenvorstellungen restriktiv an die Dringlichkeit angepasst erfolgen und -wenn möglich -als telemedizinische Beratung fortgeführt werden (Autoren and Collaborators 2020). Patienten mit einer CED und einer SARS-CoV-2-Infektion haben unter bestimmten Bedingungen (z. B. Komorbiditäten) ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung. Eine immunsuppressive Therapie geht per se generell nicht mit einem schweren Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion einher und sollte daher bei leichter bis moderater COVID-19-Erkrankung nicht reduziert werden (Autoren and Collaborators 2020). Allerdings ist das Risiko für einzelne Immunsuppressiva unterschiedlich. Insbesondere Patienten unter Kortikosteroiden (> 20 mg Prednisolon-Äquivalent/d), JAK-Inhibitoren und Kombinationstherapien (anti-TNF-Antikörper und Immunsuppression) sind gefährdet. Sie sollten sorgfältig bezüglich einer raschen Verschlechterung ihrer Erkrankung überwacht werden (Autoren and Collaborators 2020; Rubin et al. 2020 ). Nach bisherigen Daten, insbesondere einer Analyse der US-amerikanischen Centers of Disease Control and Prevention mit > 120.000 COVID-19-Patienten, scheinen Patienten mit einer stabilen, kompensierten chronischen Lebererkrankung nicht besonders gefährdet für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung zu sein (Team 2020) . Allerdings sollten ältere Patienten oder solche mit entsprechenden Risikofaktoren wie Diabetes mellitus (insbesondere mit Nonalcoholic Fatty Liver Disease, NAFLD) oder arteriellem Hochdruck einen besonderen Infektionsschutz genießen oder auch prioritär geimpft werden. Bei Patienten mit chronischer Hepatitis-B-oder -C-Virusinfektion, cholestatischen oder autoimmunen Lebererkrankungen sollte die jeweilige Standardtherapie nicht durch die Pandemie beeinflusst werden. Lediglich bei Vorliegen einer SARS-CoV-2-Infektion sollte der Beginn einer antiviralen Therapie gegen HBV oder HCV neu überdacht und ggf. verschoben werden. Zudem sollte bei Immunsuppression (Gabe von Dexamethason) im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung eine prophylaktische Anti-HBV-Therapie bei anti-HBc-positiven Patienten erwogen werden, um das Aufflackern einer Virämie zu vermeiden. Es wird nicht empfohlen die Immunsuppression bei Autoimmunhepatitis zu verringern oder zu stoppen, sondern lediglich bei einer Neueinstellung von Patienten mit einer Indikation zur Immunsuppression primär auf Budesonid zurückzugreifen (Boettler et al. 2020), sofern keine Zirrhose vorliegt. Die US-amerikanische (AASLD), die europäische (EASL) und die internationale Gesellschaft für Leberkrebs (ILCA) empfehlen, HCC-Surveillance-Programme fortzuführen und eine Leberkrebs (HCC)-Behandlung nicht grundsätzlich zu verschieben (Boettler et al. 2020) . Patienten mit einer Leberzirrhose sind gefährdet, durch eine SARS-CoV-2-Infektion in ein Acute-on-Chronic Liver Failure (ACLF) zu geraten, insbesondere bei dekompensierter Zirrhose, Alkoholabusus oder bei gleichzeitiger COPD bzw. einem HCC. Die Sterblichkeit ist dann hoch (Bajaj et al. 2020; Iavarone et al. 2020; Kim et al. 2020) . Aber auch Patienten mit weniger fortgeschrittener Zirrhose sind gefährdet (Kim et al. 2020 Die Lebertransplantation ist eine lebensrettende Option, daher besteht international Konsens darüber, dass Organentnahmen und Lebertransplantationen während der COVID-19-Pandemie grundsätzlich weiterhin erfolgen sollen (Ritschl et al. 2020 Auch für dieses Patientenkollektiv gilt, dass medizinisch notwendige Untersuchungen aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht abgesagt werden sollten. Ein regelmäßiger Kontakt zum Arzt, auch per Videosprechstunde oder alternativ Telefon, sichert die Adhärenz der Patienten und hilft, Angst-und Depressionsstörungen rechtzeitig zu erkennen. Zusammenfassend sollte bei der Frage der Impfpriorisierung von besonders vulnerablen Patientenpopulationen berücksichtig werden, dass derzeit keine Evidenz für die Schutzwirkung und Sicherheit der COVID-19-Impfstoffe bei Patienten mit fortgeschrittener Lebererkrankung, nach Organtransplantation bzw. unter immunsuppressiver Therapie (schwere gastrointestinale Erkrankungen) vorliegt. Dennoch dürften die potenziellen Vorteile des Impfstoffs überwiegen. Da die Effektivität der Impfung bei diesen Patienten möglichweise geringer ist, sollte zusätzlich eine Impfung von Haushaltsangehörigen erfolgen, um die Exposition gegenüber SARS-CoV-2 zu verringern. In einem Kommentar zu den Impfempfehlungen der STIKO schlägt die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs-und Stoffwechselerkrankungen (DGVS) vor, folgende Patientengruppen prioritär zu impfen: Bei Patienten mit CED, Leberzirrhose oder nach Lebertransplantation sollen alle Impfungen entsprechend den Empfehlungen der STIKO erfolgen, insbesondere auch eine Impfung gegen Streptococcus pneumoniae und Influenzaviren. Nach Lebertransplantation kommt ein Impfversagen gegen SARS-CoV-2 gehäuft vor. Dies sollte beachtet werden. Patienten auf der Warteliste oder Lebertransplantatempfänger mit COVID-19-Erkrankung sollten frühzeitig stationär behandelt werden, wobei die immunsuppressive Therapie bei jedem Patienten individuell (Abstoßungsrisiko; Intervall seit der Lebertransplantation) angepasst werden sollte. Es wird empfohlen, wie oben diskutiert, eine Reduktion oder eine Umstellung der Mycophenolat-Mofetil-Therapie in Betracht zu ziehen, wobei Calcineurin-Inhibitoren, mTOR-Inhibitoren und Steroide primär nicht reduziert oder abgesetzt werden sollten. Es ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass möglichweise venothromboembolische Ereignisse (VTE) zum Pathomechanismus der kritischen COVID-19-Erkrankung beitragen (Levi et al. 2020) . Deshalb wird die jeweils adaptierte Antikoagulation mit niedermolekularem Heparin empfohlen. Nach ersten Daten traten keine größere Blutungskomplikationen unter der Heparin-Therapie auf (Iavarone et al. 2020) . Patienten mit COVID-19-Erkrankung und Notwendigkeit einer supportiven Sauerstoffgabe können mit Dexamethason oder Remdesivir behandelt werden, wobei die in ihrer Wirkung weiterhin umstrittene Remdesivir-Therapie in der Frühphase der Erkrankung eingesetzt werden sollte. Für CED-Patienten wird empfohlen, bei schweren COVID-19-Erkrankungsverläufen die Therapie mit Thiopurinen, Methotrexat und Tofacitinib zu pausieren und nach Überwinden der Infektion wieder aufzunehmen. Bei Patienten in stabiler Remission und Kombinationstherapie (anti-TNF-Antikörper und Immunsuppression) sollte das Immunsuppressivum vorübergehend bei niedrigen Dosen abgesetzt bzw. bei höherer Dosierung stufenweise reduziert werden. Im akuten Schub sollte eine Neueinstellung der Biologikatherapie, bei gleicher Effektivität von i. v. oder s. c. am besten eine s. c. applizierbare mit raschem Wirkeintritt bevorzugt werden. Auch wenn eine Verlängerung der Behandlungsintervalle generell nicht empfohlen wird, kann in einzelnen Fällen bei Patienten mit nachgewiesener COVID-19-Erkrankung die Therapie mit TNF-Antikörpern, Ustekinumab und Vedolizumab pausiert und nach Überwinden der Infektion wieder aufgenommen werden (Autoren and Collaborators 2020). • Patienten mit und ohne COVID-19-Verdacht müssen jeweils räumlich getrennt versorgt werden. • Die Vorstellung in der Ambulanz sollte zeitlich gestaffelt ohne Begleitperson und nur einzeln erfolgen. • Wenn möglich sollten nichtinvasive diagnostische Maßnahmen den invasiven vorgezogen und Kontakte bei der nichtinvasiven Diagnostik so weit wie möglich reduziert werden. Dabei müssen entsprechende Hygienekonzepte in den Kliniken und Praxen vorliegen. • Auf eine frühzeitige Impfung gegen COVID-19 sollte entsprechend den vorliegenden Empfehlungen geachtet werden. • Da sich die Situation der Pandemie sowie die Immunsituation der Patienten (z. B. durch Impfungen) wandelt, sollten die jeweiligen Empfehlungen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften und der STIKO zeitnah beachtet werden. Deutsche Gesellschaft für Infektiologie, Deutsche Gesellschaft für Pathologie, Deutsche Röntgengesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und minimal-invasive Therapie, Deutsche Gesellschaft für Nephrologie, Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin, Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e High rates of 30-day mortality in patients with cirrhosis and COVID-19 Predictors of Outcomes of COVID-19 in Patients with Chronic Liver Disease: US Multi-center Study . Clinical gastroenterology and hepatology: the official clinical practice journal of the SARS-CoV-2 productively infects human gut enterocytes Coagulation abnormalities and thrombosis in patients with COVID-19 Low immunogenicity to SARS-CoV-2 vaccination among liver transplant recipients COVID-19 and Italy: what next? Solid organ transplantation programs facing lack of empiric evidence in the COVID-19 pandemic: A By-proxy Society Recommendation Consensus approach International Organization for the Study of Inflammatory Bowel: Management of Patients With Crohn's Disease and Ulcerative Colitis During the Coronavirus Disease-2019 Pandemic: Results of an International Meeting Preliminary Estimates of the Prevalence of Selected Underlying Health Conditions Among Patients with Coronavirus Disease 2019 -United States Consortium: PREDICT identifies Precipitating Events Associated with Clinical Course of Acutely Decompensated Cirrhosis Evidence for Gastrointestinal Infection of SARS-CoV-2 Liver injury in COVID-19: management and challenges