key: cord-0069245-z2plzk8k authors: Hirschhorn, Larry; Giernalczyk, Thomas; Holle, Martin; Lohmer, Mathias; Zimmermann, Markus title: Drei kulturelle und organisatorische Welten date: 2021-11-03 journal: Organisationsberat Superv Coach DOI: 10.1007/s11613-021-00727-2 sha: 03c434c1008920ece5a585e928178f98d46559e8 doc_id: 69245 cord_uid: z2plzk8k Covid-19 accelerates virtual forms of global collaboration. This has far-reaching consequences for the structure and processes of organizations on the one hand and their culture on the other. We distinguish between three worlds, which most companies connect in different proportions. The bureaucratic world with its orientation towards hierarchy, control and predictability, the project world with the values team, cooperation and development, and the transaction or gig-world associated with freedom, autonomy and uncertainty. We explain that the right fit of those three worlds in the company (how much of which world does it need?) as well as the fit of the corporate culture to the worlds (does the prevailing culture promote or hinder the organization?) are both important for recruiting and retaining talent—and thus for the success of the company. Die Pandemie hatte eine außerordentliche und unerwartete Konsequenz: Die Menschen haben sich durch Zoom, Hangout und Teams daran gewöhnt und finden es völlig normal, virtuell zusammenzuarbeiten. Diese Plattformen erleichtern alle Arten der Wissensarbeit, wenn Menschen sich nicht persönlich treffen können. Noch wichtiger ist dabei, dass Menschen und Organisationen heute eine globale Reichweite haben. Vor etwa sechzig Jahren beschrieb Marshall McLuhan ein im Entstehen begriffenes "globales Dorf" (McLuhan 1962) , und er wurde vielfach verspottet, weil er seine Prophezeiung auf das Fernsehen stützte. Heute wissen wir, dass es dazu mehr benötigt als das Fernsehen, nämlich genau das, was diese Plattformen bieten: die Fähigkeit, die ganze Welt zu erreichen, dabei auf Wissen und Ressourcen zuzugreifen und relevante Aufgaben zu bearbeiten. Damit können Organisationen überall Talente finden und einstellen, wenn sie diese Plattformen zur Koordinierung der Arbeit nutzen. Dies beeinflusst, wie Organisationen Talente finden, wie Menschen ihre Karrieren aufbauen und wie globale Arbeitsmärkte funktionieren. Die Auswirkungen sind vielfältig. In diesem Beitrag konzentrieren wir uns darauf, wie dadurch die Kultur, die Struktur und die Prozesse von Organisationen beeinflusst werden. Wir unterscheiden zu diesem Zweck drei organisatorische und kulturelle Paradigmen, die wir die bürokratische Welt (B-Welt), die Projektwelt (P-Welt) und die Transaktionswelt (T-Welt) nennen (vgl. Tab. 1, 2 und 3) . Im globalen Dorf treten die beiden letztgenannten Welten zunehmend in den Vordergrund. Führungskräfte stehen vor der Herausforderung, diese drei Welten trotz ihrer kulturellen und strukturellen Unterschiede zusammenzuhalten. Diese Herausforderung setzt einen Rahmen für das Personalmanagement Die Projektwelt (P-Welt) beruht darauf, die besten Talente weltweit zu gewinnen, zu fördern und einzusetzen. Die Menschen in der Projektwelt sichern ihre Identi-K tät, im Gegensatz zu denen in der bürokratischen Welt, mehr durch ihre Arbeit als durch die Position, die sie einnehmen. In der transaktionalen oder Gig-Welt sind Menschen oft austauschbar, weil ihr Know-how weit verbreitet oder unspezifisch ist. Sie sind ein tatsächliches oder virtuelles "Paar Hände". In der Projektwelt ist eine Person dagegen nicht so leicht zu ersetzen, weil sie unverwechselbare Beiträge zur Projektarbeit leistet, indem sie ihr Faktenwissen, ihre spezifischen Fähigkeiten und Erfahrungen sowie ihr persönliches Netzwerk kombiniert. In der P-Welt ist das "Humankapital" daher genauso wichtig wie das Finanzkapital. In diesem Umfeld wollen Führungskräfte die Bedingungen schaffen, die es talentierten Menschen ermöglichen, ihre beste Arbeit zu leisten. Das bedeutet, die jeweilige Situation der Mitarbeiter zu berücksichtigen, ihre Arbeit von zu Hause aus zu erleichtern, ihnen die besten Online-Tools und Hardware zur Verfügung zu stellen, die sie für ihre Arbeit benötigen, ihr Lernen zu unterstützen und hervorragende Projektleiter einzusetzen, die die Arbeit über Disziplinen, Ländergrenzen, Zeitzonen und Persönlichkeiten hinweg effektiv orchestrieren können. Die Schlagworte lauten Kooperation, Team und Entwicklung. Führungskräfte konzentrieren sich weniger darauf, loyale Anhänger oder Organisationsangehörige (Organisational Citizens) zu kultivieren, sondern vielmehr darauf, Menschen für die Arbeit einzusetzen, die diese am besten beherrschen. Führungskräfte ermöglichen Produktivität, anstatt sie zu lenken. In dieser Welt werden die Menschen weniger durch ihren Platz in der Hierarchie, sondern vielmehr durch die Qualität ihrer Arbeit und deren Übereinstimmung mit ihren Talenten und Interessen zufriedengestellt. Die Arbeit hält die Organisation zusammen und nicht die Organisation die Arbeit. An der Basis der Projektwelt organisieren und verwalten sich Menschen und Teams selbst. Menschen werden eher befähigt als beaufsichtigt, während die Arbeit selbst den Rhythmus des Arbeitsprozesses und die Art und Weise bestimmt, wie Spezialisten zusammenarbeiten. Die mit dem agilen Arbeiten verbundenen Konzepte, die zuerst im Bereich der Software-Entwicklung aufkamen, sind hier am relevantesten. Diese drei verschiedenen Welten bringen eigene Organisationskulturen hervor und werden wiederum von diesen verschiedenen Organisationskulturen getragen (Schein 2003) , wie Tab. 4 zeigt. Das Ergebnis ist eine multikulturelle Landschaft innerhalb einer einzigen Organisation: Nach dem Drei-Welten-Modell ist die B-Welt für die Aufrechterhaltung der Organisation verantwortlich, übernimmt also eine stabilisierende und führende Aufgabe. Die multikulturelle Herausforderung besteht für die Menschen der B-Welt darin, alle drei "Sprachen" zu beherrschen, ohne sie zu verwirren. Eine Führungskraft der B-Welt kann z. B. nicht erwarten, dass Fachleute der P-Welt aus Loyalität auf Weisungen reagieren. In ähnlicher Weise können HR-Fachleute zwar von Managern der B-Welt erwarten, dass sie sich an die Unternehmensrichtlinien halten, auch wenn letztere ihre Relevanz nicht verstehen, andererseits werden Fachleute der P-Welt Richtlinien nur dann befolgen, wenn sie deren Logik und Bedeutung verstehen. Der P-Welt obliegt es demgegenüber, die Änderungs-und Anpassungsfähigkeit eines Unternehmens im globalen Wettbewerb sicherzustellen; ohne sie droht Erstarrung in der Routine, und die Existenz der Organisation steht zur Disposition. Die P-Welt hat daher die wichtige Aufgabe, die aktuelle Positionierung durch die B-Welt immer wieder in Frage zu stellen, konstruktiv zu irritieren und sogar, ohne Angst vor Kannibalisierung, funktionierende Geschäftsmodelle durch Innovation von innen anzugreifen. Die große Herausforderung für Menschen aus der P-Welt, die sich vor allem über die Inhalte ihrer Arbeit definieren und motivieren und die kaum ein originäres Interesse daran haben, eine Organisation in Bewegung zu setzen, besteht darin, einen Weg zu finden, sich mit der Kontrolle durch die B-Welt zu arrangieren und die Sprache der B-Welt zu lernen, um dort gehört zu werden: Denn wenn sie ihre dynamisierende Aufgabe im Organisationskontext nicht ernst nehmen und nicht ausfüllen, gefährden sie die Basis, die ihnen ihre "eigentliche" Arbeit erst ermöglicht. Die T-Welt vergrößert schließlich die globale Reichweite eines Unternehmens in Bezug auf standardisierbare Arbeiten und ermöglicht gleichzeitig Einsparungseffekte, die lokal nicht erzielbar wären. So unterstützt die T-Welt die globale Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen. Die kulturellen Unterschiede zwischen den drei Welten, die in der Tab. 4 aufgeführt sind, seien beispielhaft anhand der Kulturdimension "Zeit" erläutert: Für die B-Welt ist tatsächlich die mit der Uhr gemessene Zeit die Grundlage für Denken, Planung und Kontrolle: Wann (Datum, Uhrzeit) wird mit einer Arbeit begonnen? Wann wird sie beendet? Wann wird etwas geliefert? Wie viele Personen arbeiten gleichzeitig wie lange an einer Aufgabe? Die Kosten stehen in einer linearen Beziehung zur Zeit und lassen sich mithilfe der Grundrechenarten jederzeit einfach bestimmen; Überraschungen sind ausgeschlossen und buchstäblich undenkbar. In der T-Welt steht hingegen der Termin im Fokus, an dem oder bis zu dem spätestens eine Leistung erbracht werden muss. Der Preis für eine Leistung wird meist im Voraus vereinbart und ist fest; der durch den Auftragnehmer für die Erledigung tatsächlich aufgewendete Zeitaufwand spielt keine Rolle. Noch anders in der P-Welt: Ein Projekt hat einen Anfang und ein Ende. Zwischen diesen Endpunkten wird der Fortschritt anhand der Erreichung von Zwischenzielen ("Meilensteinen") gemessen, mit denen meist auch bestimmte, im Projektverlauf zu produzierenden Assets einer erwarteten Qualität verbunden sind. Da ein Projekt immer ein einmaliges, nicht wiederholbares Vorhaben darstellt, sind zeitliche Schätzungen (Aufwand, Dauer) generell schwierig und unzuverlässig. Diese kulturellen Unterschiede führen dazu, dass derselbe Begriff in den drei Kulturen mit jeweils verschiedener Bedeutung verwendet wird und mit verschiedenen Konnotationen verbunden ist. Gerade an den Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Welten führt der spezifische Sprachgebrauch immer wieder zu eklatanten Missverständnissen, sodass es in diesem Zusammenhang gerechtfertigt ist, von verschiedenen "Sprachen" zu sprechen, deren Verwendung gelernt werden muss. Bei Entwicklung und Management dieser multikulturellen Welt stehen Organisationen vor drei großen Herausforderungen: Das Engagement von Projektwelt-Beschäftigten sichern, auch wenn diese sich auf die Arbeit und nicht auf die Organisation konzentrieren. Es wird einen globalen Wettbewerb um Talente geben. Menschen, die von zu Hause arbeiten können und die die größte Freude aus der Zusammenarbeit mit ihren Kollegen sowie aus ihren Leistungen ziehen, werden der Organisation gegenüber nur dann loyal sein, wenn sie ihren Bedürfnissen entgegenkommt. Menschen aus der bürokratischen Welt befähigen, Menschen in der Projektwelt zu führen, wenn keine hierarchische Autorität verfügbar ist. Dies ähnelt der Herausforderung, kreative Menschen zu managen. Sicherstellen, dass Menschen in der transaktionalen Welt sich nicht entmenschlicht und missachtet fühlen. Auch wenn die Menschen in der Gig-Welt für die Organisation unsichtbar sein mögen, so können sie doch, vermittelt durch soziale Medien, das Image der Organisation nachhaltig beschädigen, wenn sie sich von ihr schlecht behandelt fühlen. Die relative Relevanz dieser Herausforderungen hängt davon ab, wie wichtig jede dieser Welten für das Gesamtdesign bzw. die Architektur der Organisation ist. Für eine wirksame Beratungsarbeit ist es wichtig, beide Ebenen herauszuarbeiten, zu betrachten und miteinander in Beziehung zu setzen: die Organisationsstruktur (Geometrie, Aufbauorganisation, Prozesse, Rollen etc.) einerseits und die in einem Unternehmen parallel existierenden Organisationskulturen andererseits. Auf der Strukturebene geht es u. a. um den richtigen Zuschnitt: Wieviel braucht ein Unternehmen von welcher Welt, um effektiv und effizient arbeiten zu können? Auf der Kulturebene stellt sich die Frage, inwiefern die aktuell vorherrschende Kultur die jeweilige Organisationsform unterstützt oder ihr möglicherweise -oft unbemerktentgegenwirkt. Den Entwurf einer passenden Organisationsgeometrie können wir uns vereinfacht und schematisch wie folgt vorstellen. Auf der Grundlage der zu leistenden Arbeit und der Zuordnung der Aufgaben zu den drei verschiedenen Welten wählt ein Unternehmen seine Organisations-Geometrie aus, indem es die relativen Proportionen der einzelnen Organisationstypen plant (Abb. 1). In diesem Diagramm besitzt z. B. ein professioneller Dienstleister eine kleine B-Welt, die als operativer Kern fungiert, und eine verhältnismäßig größere P-Welt, um die erforderliche Wissensarbeit zu leisten. Im Gegensatz verwendet eine Firma wie Uber eine proportional größere T-Welt -die treibende Kraft -und eine kleine P-Welt, um ihre Technologieplattform zu entwickeln und zu pflegen. Die Geometrie einer Organisation hängt also vom Geschäftsmodell ab. Texte von einer in eine andere Sprache übersetzten. Gleichzeitig arbeiteten Programmierer daran, die vorhandenen Übersetzungen in die Plattform zu integrieren und deren Leistungsfähigkeit durch künstliche Intelligenz weiterzuentwickeln. Nach erfolgreichem Wachstum war die Firma mit folgenden Problemen konfrontiert: Das Ausmaß an Doppelarbeit stieg rasant an, und die Kontrolleinheit war mit der Korrektur der Übersetzungen und der Algorithmen überfordert. Mit wachsender Komplexität stieg der Anteil der engagierten Übersetzer, die sich nicht an das Regelwerk hielten und die Firma rasch wieder verließen. In der Diskussion mit dem Leitungsgremium wurde zunächst erwogen, die B-Welt zu stärken: formalisiertes Recruiting und Ausarbeitung von Standardisierungstools standen im Zentrum der Überlegungen. Die Auseinandersetzung mit dem Drei-Welten-Modell führte zur naheliegenden und dennoch überraschenden Lösung: Statt auf eine reine Transaktionswelt zu setzen, wurde der Projektteam-Gedanke gestärkt. Es wurden internationale Teams gebildet, in denen sich die Freelancer gegenseitig berieten, Regeln entwickelten und sogar Recruiting im eigenen Netzwerk vornahmen. Die Bildung stabiler Gruppen senkte das Ausmaß von Doppelarbeit und reduzierte die Fehler mit Hilfe eines eingeführten Peer-Review-Verfahrens. An die Rolle des Scrum Masters angelehnt, wurden den Teams besonders ausgebildete Koordinatoren zur Verfügung gestellt. Kooperationszeiten wurden darüber hinaus als Arbeitszeit vergütet. Das Denkmodell der drei Welten legt Führungskräften und Teams nahe, sich mit den folgenden Fragen zu beschäftigen: welchem Verhältnis stehen in Ihrem Unternehmen die drei Welten heute zueinander? Wie sind die Aufgaben heute verteilt? Passen Organisationsgeometrie und Aufgabenverteilung zu den Herausforderungen Überlegen Sie anhand der Tabelle, welche Kulturelemente in Ihrem Unternehmen vorherrschen und ob diese die jeweiligen Welten unterstützen oder behindern welche Proportionen der drei Welten Sie in Zukunft brauchen Welche Aufgaben gehören zukünftig in welche Teilwelten? Wie und in welchen Schritten gelangen Sie vom Status Quo zur richtigen Größe, zu den passenden Proportionen der verschiedenen Welten und zur neuen Aufgabenverteilung? Rekrutierungs-und Entwicklungsinitiativen sollten in Ihrer Firma jetzt ergriffen werden, um diesen Wandel zu vollziehen? Wie pflegen Sie Talente für die B-und die P-Welt, und welche unterschiedlichen Personalstrategien brauchen Sie für die Zusatzmaterial online Die englische Übersetzung ist in der Online-Version dieses Artikels Funding Open Access funding enabled and organized by Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation The Gutenberg galaxy Freelance economy continues to roar Organisationskultur. Bergisch Gladbach: EHP. Orig. The Corporate Culture Survival Guide. Sense and Nonsense of Cultural Change eines Programms für erfahrene Trainer und Berater. Er hat einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften vom MIT und ist Autor zahlreicher Bücher Thomas Giernalczyk Mitbegründer und Geschäftsführer von M19 Manufaktur für Organisationsberatung und des Instituts für Honorarprofessor für psychologische und therapeutische Interventionen an der Fakultät für Humanwissenschaften der Universität der Bundeswehr München, Coach (DGSv) RWTH Aachen) Martin Holle Seniorberater für Informationstechnik und Telekommunikation (IT/TK). Digitalisierungsexperte. Freiberuflicher Organisationsberater, Coach und Netzwerkpartner von M19 -Manufaktur für Organisationsberatung GmbH. Mehr als 30 Partner und Gesellschafter von M19 -Manufaktur für Organisationsberatung GmbH Betriebswirt (FH) Markus Zimmermann Partner bei M19 -Manufaktur für Organisationsberatung GmbH. Komplementärberater, Freiraumlotse und Potenzialforscher für Organisationen und Menschen in Veränderungsprozessen. Langjährige Erfahrung in Experten-, Leitungs-und Beratungsfunktionen in den Handlungsfeldern Human Resources, Leadership & Culture Development sowie Change Management