key: cord-0068399-k1jgr7jk authors: Dietz, Christopher A.; Wedemeyer, Heiner title: Rolle der Hepatitis-B-Impfung in der Prävention des hepatozellulären Karzinoms date: 2021-10-13 journal: Onkologe (Berl) DOI: 10.1007/s00761-021-01036-0 sha: 8de98c8d88ebb3c36efc7c4a7cc3b63f2c60f164 doc_id: 68399 cord_uid: k1jgr7jk BACKGROUND: Chronic infection with the hepatitis B virus (HBV) is an important risk factor for the development of hepatocellular carcinoma (HCC). Even though treatment options for HCC are constantly improving, preventive measures must not be neglected. CONCLUSION: The vaccination against hepatitis B has proven effective in preventing infection with HBV. As shown more than 20 years ago in Taiwan, vaccination programs lower not only the prevalence of HBsAg carriers but also decrease the incidence of HCC. By achieving immunity against HBV, the infection with hepatitis D virus can also be prevented. This is important in the light of HCC prevention as HBV/HDV coinfection is known to drastically increase the risk of HCC. New approaches aim for the development of therapeutic HBV vaccines ideally curing chronic infections. Beside the prevention of infections, it is pivotal to detect existing infections. This helps to minimize the HCC risk by initiating treatment in those who need it. Männer erkranken 1,8-mal häufiger an einem hepatozellulären Karzinom (HCC) als Frauen [11] . Trotz einer Verbesserung der Überlebenschancen überleben im Fall einer fortgeschrittenen Erkrankung nur 25 % der Patienten länger als ein Jahr [7] . Die weltweite Zunahme der HCC-Inzidenz rückt neben der erfolgreichen Etablierung neuer Therapien auch Präventionsprogramme in den Fokus. Global betrachtet zeigen sich zwischen den verschiedenen Regionen epidemiologische Unterschiede. So kann in vielen westlichen Ländern eine Zunahme der HCC-Inzidenz beobachtet werden, während sich in asiatischen Ländern, die in der Vergangenheit mit hohen HCC-Fallzahlen zu kämpfen hatten, ein Rückgang der HCC-Inzidenz andeutet [9] . Inwieweit die Impfung gegen das Hepatitis-B-Virus (HBV) zu einem solchen Inzidenzrückgang beitragen kann, ist Thema dieses Artikels. So tragen Inflammation, Leberzirrhose und spezifische Viruseigenschaften zum HCC-Risiko bei. Wenn HBV in Hepatozyten repliziert, kommt es durch Virusantigenpräsentation zu einer durch CD8 + -Lymphozyten vermittelten zytotoxischen Immunantwort und damit zur Inflammation und Leberzellschädigung im Sinne einer Hepatitis. Laborchemisch präsentiert sich eine solche Hepatitis durch eine Transaminasenerhöhung, wobei typischerweise die Erhöhung der GPT (Glutamat-Pyruvat-Transaminase) ausgeprägter ist (De-Ritis-Quotient < 1). Im Fall einer chronischen Inflammation setzen Umbauprozesse der Leber ein, welche zunächst zur Leberfibrose und später zur Leberzirrhose führen. Bei Abwesenheit einer laborchemisch sichtbaren Hepatitis trotz hoher Virusreplikation wurden Patienten klassischerweise als "immuntolerant" klassifiziert. Dieser Begriff impliziert, dass in diesen Patienten keine leberzellschädigenden Immunantwort stattfindet. Neuere Ergebnisse stellen dieses Konzept jedoch infrage [15] . In einer vergleichenden Analyse von immuntoleranten und immunaktiven Patienten wurde gezeigt, dass in beiden Gruppen eine ausgeprägte Integration viraler Gene in die menschlichen Chromosomen stattfindet. Es wird angenommen, dass diese Veränderung am menschlichen Genom der Hepatozyten kanzerogenes Potenzial hat [15] . Die zitierte Arbeit beschreibt zudem einen weiteren Mechanismus, der zur Entstehung eines HCC beiträgt. Als Reaktion auf den Untergang infizierter Hepatozyten wurde eine klonale Expansion teilungsfreudiger Zellreihen gesehen. Über diesen Mechanismus kann es zur Selektion eines malignen Klons kommen, der dann die Grundlage für ein HCC darstellt. Auch dieses Phänomen trat unabhängig von dem Immuntoleranzstatus auf [15] . Ein anderer Mechanismus der HBVassoziierten HCC-Genese betrifft das Hepatitis-B-Oberflächenprotein (HBsAg). Das HBsAg wird im klinischen Alltag als serologischer Screeningparameter genutzt. Infizierte Hepatozyten synthetisieren das HBsAg als einen wichtigen Teil der Virushülle. Bereits vor einigen Jahren wurde nachgewiesen, dass neben der Wichtigkeit des HBsAg für ein funktionales Virus das Protein selbst zelluläre Abläufe beeinflussen kann und potenziell zur malignen Entartung beitragen kann [12] . Das Risiko, ein HCC zu entwickeln, ist besonders hoch, wenn eine Koinfektion mit dem Hepatitis-D-Virus (HDV) vorliegt [1] . Neben dem hohen HCC-Risiko sind die klinischen Verläufe bei einer Koinfektion mit HDV schwerer. Somit kommt dem Screening auf eine Koinfektion mit HDV eine wichtige Rolle zu [27] . Die Diagnose einer Hepatitis D ist aktuell umso wichtiger, als dass seit September 2020 mit dem Eintrittshemmer Bulevirtid erstmals eine zugelassene Therapieoption besteht [6] . Wie bereits erwähnt, ist die HBV-Prävalenz in asiatischen Ländern höher als in anderen Regionen der Erde. In Taiwan wurde im Jahr 1984 ein erstes HBV-Impfprogramm gestartet, das zunächst Neugeborene HBsAg-positiver Mütter in den Fokus nahm. Ziel war die Reduktion der vertikalen Transmission. Nach und nach wurden alle Neugeborenen und auch ältere Kinder in das Programm aufgenommen [4] . » Die Hepatitis-B-Impfung führt zu einem Rückgang der HCC-Inzidenz In der oft zitierten Arbeit von Chen et al. wurdeeindeutlicher Rückgangder HBV-Infektionen nach Beginn der Impfkampagne beschrieben. So ließ sich 1984 das HBsAg noch bei 9,8 % der Bevölkerung nachweisen. Dieser Wert war 10 Jahre später auf 1,3 % abgefallen [4] . Die gleiche Arbeitsgruppe zeigte in den folgenden Jahren auch einen Rückgang der HCC-Inzidenz im Kindesalter. Vor Einführung der Impfung lag die Inzidenz für Kinder zwischen 6 und 14 Jahren bei 0,7/100.000. Anfang der 1990er-Jahre hatte sich die Inzidenz auf 0,36/100.000 beinahe halbiert [3] . Dieser Erfolg zeigt eindrücklich, dass Impfungen im Kampf gegen die HBV-Infektion und die gesundheitlichen Folgen einer Infektion ein wirksames Mittel sind. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im Jahr 2016 ein Strategiepapier veröffentlicht, das sich der weltweiten Bekämpfung viraler Hepatitiden widmet [18] . Das ambitionierte Ziel lautet, dass von Virushepatitiden im Jahr 2030 keine relevante Bedrohung für die Gesundheit mehr ausgehen soll. Auf diesem Weg spielen weltweite HBV-Impfprogramme eine wichtige Rolle. Zu betonen ist, dass ein effektiver Impfschutz vor einer HBV-Infektion auch die Koinfektion mit dem gefährlichen Hepatitis-D-Virus verhindert. Sollte eine Impfung im Säuglingsalter nicht stattgefunden haben, ist eine Nachholimpfung bis zum 18. Geburtstag empfohlen [22] . Bei Erwachsenen ohne Hepatitis-B-Impfschutz sollte eine Impfung erfolgen, wenn (1) aufgrund einer Immunschwäche oder anderen zugrunde liegenden Erkrankung die Wahrscheinlichkeit für einen schweren Verlauf erhöht ist, (2) nichtberuflich ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht, wie etwa bei Kontakt zu HBsAg-Trägern in der Familie oder risikoreichen Sexualkontakten, (3) aus beruflichen Gründen ein erhöhtes Expositionsrisiko besteht, wie etwa im Gesundheitswesen, oder (4) bei Reisen mit individuell erhöhtem Risiko für eine HBV-Infektion. Bei Impfungen im Erwachsenenalter werden 3 Impfdosen im Abstand von einem bzw. 6 Monaten verabreicht. Wichtig ist dabei v. a. der Abstand zwischen der zweiten und dritten Dosis. Dieser sollte 6 Monate nicht unterschreiten [22] . Während eine routinemäßige Anti-HBs-Titer-Bestimmung im Säuglingsalter nicht vorgesehen ist, sollte bei Erwachsenen, die einer der 4 genannten Gruppen zugeord-net werden können, 4-8 Wochen nach Abschluss der Impfreihe eine Titerbestimmung zu Kontrolle des Impferfolgs durchgeführt werden. Bei einem Anti-HBs-Titer ≥ 100 IE/l kann von einer erfolgreichen Impfung ausgegangen werden. Patienten mit einem Anti-HBs-Titer von 10-99 IE/l werden als "Low-Responder" eingestuft. Hier erfolgt die Gabe einer weiteren Impfstoffdosis mit folgender Titerbestimmung 4-8 Wochen später. Dieses Vorgehen kann bis zu 3-mal wiederholt werden. Liegt nach der regulären Impfung der Anti-HBs-Titer unter 10 IE/l, spricht man von "Nonrespondern". Hier empfiehlt die STIKO zunächst den Ausschluss einer chronischen HBV-Infektion durch Bestimmung des HBsAg und Anti-HBc. Kann eine solche chronische Infektion ausgeschlossen werden, kann wie bei "Low-Respondern" vorgegangen werden. » Beschäftigte im Gesundheitswesen sollten einen Anti-HBs-Titer ≥ 100 IE/l haben Bei einmaliger Messung eines suffizienten Anti-HBs-Titers (≥ 100 IE/l) kann von einem lebenslangen Schutz ausgegangen werden. Dennoch ist bei Menschen mit einem hohen Expositionsrisiko -wie es etwa im Gesundheitswesen gegeben ist -eine 10-jährliche Bestimmung des Anti-HBs-Titers empfohlen. Bei Patienten mit einem Immundefizit sollte sogar eine jährliche Bestimmung erfolgen [22] . Beschäftigte im Gesundheitswesen sollten einen Anti-HBs-Titer ≥ 100 IE/l haben. Aufgrund der teils unzureichenden Ansprechrate auf die Hepatitis-B-Impfung sind auch neue Impfstoffe in Entwicklung und teilweise bereits zugelassen. Bei einem in Israel neu zugelassenen Impfstoff, der neben dem HBsAg auch die Pre-S1-und Pre-S2-Unterformen des HBsAg enthält, wurde eine signifikant bessere Ansprechrate als bei einem konventionellen Impfstoff nachgewiesen [25] . Neben der konsequenten Impfung kommt auch der Erkennung bestehender HBV-Infektionen eine wichtige Rolle zu, da eine Impfung bei bestehender Infektion keinen Schutz erzielt. Die aktuelle Leitlinie » Therapeutische Impfungen könnten in Zukunft die Therapie der chronischen HBV verbessern Die aktuell untersuchten Impfstoffe lassen sich in 3 Gruppen unterteilen: proteinbasierte Impfstoffe, genetische Impfstoffe und die Verabreichung von modifizierten dendritischen Zellen. Weitere Unterschiede betreffen die Zielstrukturen. So werden sowohl HBsAg und HBcAg als auch die DNA-Polymerase des HBV als mögliche Targets erforscht [10] . Für einen zunächst im Mausmodell etablierten adenovirusbasierten Impfstoff [14] wurde zwischenzeitlich in einer ersten klinischen Phase-Ib-Studie die Initiierung einer zellulären Immunantwort auch im Menschen gezeigt [30] . Studien zu weiteren neuartigen immunologischen Therapieansätzen laufen und werden maßgeblich auch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland vorangetrieben. Hier werden zum einen HBsAg-Reduktionen mit anschließenden Impfungen mit rekombinanten Viren [16] , bispezifische Antikörper [20] oder HBVspezifische T-Zell-Rezeptor-exprimierende T-Zellen [28] evaluiert. Ein weiterer Ansatz ist eine "Autovakzinierung", die durch einfaches Absetzen einer laufenden antiviralen Therapie induziert wird. Durch den transienten Anstieg der HBV-DNA wird eine systemische Immunreaktion mit einer Aktivierung von natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) und T-Zellen induziert [21, 29] . Neben der konsequenten Umsetzung der Impfempfehlung zum Schutz vor einer HBV-Infektion kommt in der Prävention des HCC auch anderen Präventionsprogrammen zur Vermeidung leberschädigender und zirrhoseauslösender Faktoren ein großer Stellenwert zu. Ein Beispiel ist das bereits erwähnte Strategiepapier der WHO. Neben der HBV-Infektion werden dort auch Ziele zur Bekämpfung der HCV-Infektion, wie etwa eine bessere Aufklärung oder der breitere Zugang zu Gesundheitsressourcen inklusive einer Therapie, beschrieben [18] . Eine Gruppe isländischer Autoren zeigte kürzlich, wie eine Steigerung des Alkoholkonsums sowie ein vermehrtes Auftreten von Adipositas und HCV-Infektionen in Island die früher sehr niedrige Leberzirrhoserate des Landes hat ansteigen lassen [17] . Im Umkehrschluss legen die Beobachtungen nahe, dass eine niedrige Prävalenz der genannten Faktoren zur Vermeidung von Leberzirrhosen beiträgt. Im Hinblick auf den Alkoholkonsum sind Aufklärungsprogramme notwendig und wirksam [23] . Schließlich kann so nicht nur das Auftreten von Leberzirrhose und konsekutiven HCC vermieden werden, sondern auch den anderen Folgeerscheinungen eines übermäßigen Alkoholkonsums vorgebeugt werden. » Weitere Präventionsprogramme sind nötig Neben notwendigen primärpräventiven Maßnahmen existieren auch Empfehlungen zur Früherkennung eines HCC bei chronischer Virushepatitis. Eine 2-mal jährliche Ultraschalluntersuchung der Leber sollte bei fortgeschrittener Leberfibrose oder Leberzirrhose erfolgen [5, 13] . Weitere Patientengruppen, bei denen die aktuelle HBV-Leitlinie ein Ultraschallscreening empfiehlt, sind beispielsweise HBeAg-positive Patienten oder jene Pa-tienten mit einer ausgeprägten Virämie über einen langen Zeitraum (HBV-DNA > 2000 IU/ml) [5] . Chronic hepatitis D and hepatocellular carcinoma: a systematic review and meta-analysis of observational studies Approaches, progress, and challenges to hepatitis C vaccine development Universal hepatitis B vaccination in Taiwan and the incidence of hepatocellular carcinoma in children. Taiwan Childhood Hepatoma Study Group Seroepidemiology of hepatitis B virus infection in children: ten years of mass vaccination in Taiwan S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs-und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Hepatitis-B-Virusinfektion Newtherapeutic options for hepatitis D EASL clinical practice guidelines: management of hepatocellular carcinoma Natural history of chronic hepatitis B: special emphasis on disease progression and prognostic factors The burden of primary liver cancer and underlying etiologies from 1990 to 2015 at the global, regional, and national level: results from the global burden of disease study Designing the next-generation therapeutic vaccines to cure chronic hepatitis B: focus on antigen presentation, vaccine properties and effect measures Zentrum für Krebsregisterdaten Hepatocellular carcinoma and hepatitis B surface protein European Association for the Study of the Liver (2020) EASL recommendations on treatment of hepatitis C: final update of the series TG1050, an immunotherapeutic to treat chronic hepatitis B, induces robust T cells and exerts an antiviral effect in HBV-persistent mice HBV DNA integration and clonal hepatocyte expansion in chronic hepatitis B patients considered immune tolerant Knockdown of virus antigen expression increases therapeutic vaccine efficacy in high-titer hepatitis B virus carrier mice A nationwide population-based prospective study of cirrhosis in Iceland Global health sector strategy on viral hepatitis 2016-2021-towards ending viral hepatitis Randomized trial of a vaccine regimen to prevent chronic HCV infection T-cell engager antibodies enable T cells to control HBV infection and to target HBsAg-positive hepatoma in mice Hepatitis B virus-specific T cell responses after stopping nucleos(t)ide analogue therapy in HBeAg-negative chronic hepatitis B Alcohol and liver disease in Europe-simple measures have the potential to prevent tens of thousands of premature deaths Hepatitis B virus infection Immunogenicity and safety of a tri-antigenic versus a mono-antigenic hepatitis B vaccine in adults (PROTECT): a randomised, double-blind, phase 3 trial Screening and treatment program to eliminate hepatitis C in Egypt The burden of hepatitis D-defogging the epidemiological horizon T cell receptor grafting allows virological control of hepatitis B virus infection Increased NK cell function after cessation of long-term nucleos(t)ide analogue treatment in chronic hepatitis B is associated with liver damage and HBsAg loss Safety and immunogenicity of the therapeutic vaccine TG1050 in chronic hepatitis B patients: a phase 1b placebo-controlled trial