key: cord-0068182-izdw6yrl authors: Daux-Combaudon, Anne-Laure; Habscheid, Stephan; Herling, Sandra; Thörle, Britta title: Die Corona-Krise im Diskurs: Hervorbringung, Konzeptualisierung und Vermittlung im internationalen Vergleich date: 2021-10-06 journal: Z Literaturwiss Linguistik DOI: 10.1007/s41244-021-00215-1 sha: eecf1a3859c1b0895386d6d2e68be6dbe6fd73b2 doc_id: 68182 cord_uid: izdw6yrl nan Die sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit Krisendiskursen ist nicht neu und hat sich u.a. ausgehend von der Finanzkrise 2008 als Forschungsfeld weiterentwickelt. Unter anderem wurden bestimmte Konstanten von Krisendiskursen herausgearbeitet, etwa ihr gemeinsames »Basisvokabular« (Wengeler/Ziem 2014) oder die wiederkehrenden sprachlich-kommunikativen Ressourcen der Krisenkonstitution im medialen Diskurs, darunter der Rekurs auf narrative Strukturen und tradierte Geschichten (vgl. zum Wirtschaftskontext Kleeberg 2009 ), typische Metaphern sowie die Verwendung bestimmter Argumentationsmuster und Topoi (Nünning 2012; Wengeler/Ziem 2014; Habscheid/Koch 2014) . Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat die sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit Krisendiskursen erneut Fahrt aufgenommen. Schon in der ersten Jahreshälfte 2020 erschienen erste Publikationen, wurden Kolloquien und Workshops veranstaltet, die die Pandemie »in Echtzeit« (Volkmer/Werner 2020, S. 12) analysierten (vgl. auch das von Roth/Wengeler 2020 herausgegebene Corona-Themenheft der Zeitschrift Aptum mit einer größeren Zahl »essayistischer Notizen zum Diskurs«). Dabei ist die Rolle von Sprache und Kommunikation in der Pandemie nicht nur Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion, sondern weckte schon früh auch das Interesse einer breiten Öffentlichkeit. Zu beobachten ist dies u.a. anhand von populären Glossaren zu Neologismen und Sprachchroniken (für eine Übersicht über deutschsprachige Glossare siehe z.B. Möhrs 2020; zum Französischen und weiteren Sprachen die Sammlung von Pressetexten zur Rubrik »Les mots du virus« der Bibliotheken der Universität Aix-Marseille 1 ; zum französisch-deutschen Vergleich Balnat 2020), aber auch in den (teilweise als populistisch bewerteten) öffentlichen Debatten um die Angemessenheit und Glaubwürdigkeit politischer und wissenschaftlicher Krisenbeschreibungen. Die in diesem Band versammelten Beiträge beschäftigen sich mit der Corona-Krise nun bereits (trotz ihres Andauerns) mit etwas größerem zeitlichen Abstand. Sie analysieren die Krise konsequent unter dem Aspekt ihrer sprachlichen Konstitution, über verschiedene institutionelle Kontexte hinweg sowie im Länder-und Sprachenvergleich. Indem die krisenhafte Wirklichkeit kommunikativ als solche benannt, erklärt, als praktische Herausforderung thematisiert oder bestritten wird, wird die Krise jeweils auch sprachlich etabliert, geformt, charakterisiert und verhandelbar gemacht: Wie das von Veniard (2013) Constanze Spieß widmet sich in ihrem Beitrag einem Vergleich der Corona-Krisenkommunikation des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dazu werden Regierungserklärungen und Ansprachen an die Bevölkerung in verschiedenen Medien im Zeitraum zwischen März 2020 und März 2021 als Kommunikationsformen typologisiert und diskurslinguistisch (im Blick auf topische Muster, Redehandlungen und Adressierungen/ Positionierungen sowie Strategien der politischen Kommunikation) untersucht. Neben diversen situationsbedingten Gemeinsamkeiten werden relevante Unterschiede herausgearbeitet, vor allem im Blick auf Kurz die identitätspolitische Selbstaufwertung Österreichs und der Österreicher in Verbindung mit der Abwertung bzw. Ausgrenzung ›anderer‹ nach außen und im Inneren. In ihrem Beitrag richtet Dinah Leschzyk das Interesse auf das Phänomen der Infodemie und der damit für die Krisenkommunikation grundlegenden Frage, inwiefern Glaubwürdigkeit erzeugt oder auch untergraben werden kann. Im Mittelpunkt der kontrastiv ausgerichteten Untersuchung stehen Äußerungen, die seitens des brasilianischen Präsidenten Jair Messias Bolsonaro und Politikern der Partei AfD (Alternative für Deutschland) im Kontext der COVID-19-Pandemie auf Twitter im ersten Jahr der Pandemie gepostet wurden. Die Analyse zeigt unterschiedliche diskursive Strategien der jeweiligen politischen Akteure auf: Während Bolsonaros Rhetorik auf die Unglaubwürdigkeit brasilianischer Medien abzielt, indem z.B. die Verbreitung von Falschmeldungen unterstellt wird, konzentriert sich die Kritik der Partei AfD auf die Kommunikation von Bund und Ländern. In Bezug auf die aristotelischen Kriterien zur Glaubwürdigkeit (gesunder Menschenverstand, moralischer Charakter und guter Wille), die Leschzyk u.a. als theoretischen Rahmen der Studie heranzieht, kann festgehalten werden, dass die AfD sich auf das erstgenannte Kriterium fokussiert und den ›mangelnden Sachverstand‹ der Regierung betont. Im Gegensatz dazu konzentriert sich Bolsonaro auf den nicht-moralischen ›Charakter‹ der Medien. Beide Strategien lassen Institutionen wie auch Medien als unzuverlässig und Misstrauen erweckend im gegenwärtigen Pandemie-Diskurs erscheinen. Stephan Habscheids und Friedemann Vogels Beitrag widmet sich der Corona-Krisenkommunikation von Bürgermeister_innen. Die Autoren gehen davon aus, dass die Bürgermeister_innen von einer zweifachen Krise betroffen sind: von der Corona-Pandemie und von der Infragestellung der repräsentativen Demokratie durch als »populistisch« bezeichnete politische Akteure. Untersucht wird zum einen, wie Bürgermeister_innen in dieser zweifachen Krise in den Sozialen Medien mit den Bürger_innen interagieren, und zum anderen, inwiefern sich das im öffentlichen Diskurs vermittelte Bild von Bürgermeister_innen in der Corona-Krise verändert. Die praxeologische Auswertung der Facebook-Seite eines Oberbürgermeisters lenkt den Blick auf Verfahren der Krisenbearbeitung in verschiedenen Aufgabenfeldern der Bürgermeisterkommunikation und auf die Kommentarlisten, in denen sich interaktive Klärungs-und Aushandlungsprozesse an die Beiträge des Bürgermeisters anschließen. Die korpuslinguistische Untersuchung der Darstellung von Bürgermeis-ter_innen in Pressetexten zeigt u.a. eine gewisse Akzentverschiebung des Bildes von Bürgermeister_innen, das in der Pandemie vor allem durch die Ausübung hoheitlicher Verwaltungsaufgaben geprägt ist, während (medial modifizierte) Aktivitäten aus dem Aufgabenfeld der sozialen Integration seltener thematisiert werden als im Vor-Pandemie-Zeitraum. Christian Koch und Britta Thörle untersuchen die Corona-Lageberichte in den Pressekonferenzen deutscher und französischer Gesundheitsinstitutionen (Robert Koch-Institut und Direction générale de la santé) im Zeitraum von Mitte März bis Anfang April 2020. Die Analyse der mündlich gehaltenen Expertenvorträge konzentriert sich zunächst auf die Sachverhalts-und Handlungskonstitution und die Frage, wie die Lage von den Akteuren kommunikativ vermittelt wird. Auch die neu entstehende Lexik zur Bezeichnung des Virus und der Masken und der mit den Nominationen verbundene konzeptuelle Wandel werden analysiert. Durch die Gegenüberstellung von deutschen und französischen Textauszügen wird gezeigt, dass die Pressekonferenzen in beiden Ländern viele Gemeinsamkeiten u.a. in Bezug auf die in ihnen realisierten kommunikativen Handlungen und Argumentationsmuster sowie hinsichtlich der Verwendung bestimmter Metaphern und Intensivierungsverfahren aufweisen. Die ermittelten Unterschiede führen Koch/Thörle auf die divergierende politische Funktion der beiden untersuchten Institutionen bzw. auf die unterschiedliche Rollenkonstitution der beteiligten Akteure zurück. Die Sprachlandschaft im Dispositiv der Pandemie Unter Beobachtung: Corona-Wortschatz im Deutschen und Französischen Von Grenzen und Welten: Eine korpuspragmatische COVID-19-Diskursanalyse Eine Studie zur Spezifik von Meso-Kommunikation am Beispiel von Bahnhöfen Crises et catastrophes. De la mise en discours à l'argumentation. Cahiers d'études germaniques 73 Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 44/1 Performatisierung und Verräumlichung von Diskursen. Zur soziomateriellen Herstellung von ›Sicherheit‹ an öffentlichen Orten Gewinn maximieren, Gleichgewicht modellieren Symbole und Räume -Soziologische Reflexionen aus dem Inneren der Corona-Krise. Working Paper No.5. Berlin: SFB 1265 Wirus oder: Was es heißt, solidarisch zu sein Normale Krisen? Normalismus und die Krise der Gegenwart Grübelst du noch oder weißt du es schon? -Glossare erklären Corona-Schlüsselbegriffe Die Corona-Krise im Diskurs Making Crises and Catastrophes: How Metaphors and Narratives Shape Their Cultural Life ) est là, elle est violente, elle est lourde, elle est profonde, elle est dure«. Lexicométrie et narratifs de la crise financière Themenheft: Corona. Essayistische Notizen zum Diskurs. In: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur 16/2+3 L'ampleur de la crise s'aggrave de jour en jour, sous nos yeux Du profil lexico-discursif de crise à la construction du sens social d'un événement Wenn Virologen alle paar Tage ihre Meinung ändern, müssen wir in der Politik dagegenhalten« -Thesen zur politischen Sprache und (strategischen) Kommunikation im Pandemie-Krisendiskurs Die Corona-Gesellschaft. Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft ›Noch nie zuvor‹. Zur sprachlichen Konstruktion der Wirtschaftskrise Wie über Krisen geredet wird. Einige Ergebnisse eines diskursgeschichtlichen Forschungsprojekts