key: cord-0067735-kh1etnti authors: Bogner, Johannes R.; Esitgen, Ece; Nistal, Markus; Seybold, Ulrich title: Bei diesen Patienten sollten Sie an einen HIV-Test denken! date: 2021-09-24 journal: hautnah dermatologie DOI: 10.1007/s15012-021-6721-x sha: 3e48fb38fad0e7a7e9345e7e6435d79721b93448 doc_id: 67735 cord_uid: kh1etnti nan S eit anderthalb Jahren "lernen" wir eine neue Krankheit: COVID-19. Wir lernen, welche Manifestationen sie haben kann und welcher Test in welcher Situation sinnvoll ist. Dasselbe Szenario hatten wir vor 40 Jahren, als AIDS eine neue Krankheit war. Man sollte meinen, jeder Arzt kennt diese nun, trotzdem liegt die Dunkelziffer noch nicht dia-gnostizierter Infektionen mit dem humanen Immundefizienzvirus (HIV) nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts in Deutschland bei etwa 10.800 [1] . Die Seltenheit der Erkrankung, die geringe Repräsentation in Studium und Fortbildung und der Gedanke "Das kommt in meiner Praxis schon nicht vor" sind die Gründe für eine verzögerte Diagnose. Ein 48-jähriger Kaufmann wird wegen Atemnot, Fieber und trockenem Husten über die Notaufnahme aufgenommen. Zwei Wochen zuvor wurde durch einen Schwerpunktarzt eine HIV-Infektion dia gnostiziert, da ein Gewichtsverlust von 5 kg und eine zunehmende Adynamie vorlagen. Die dort sofort begonnene antiretrovirale Therapie (ART) wurde bei einer CD4-Helferzellzahl von 38/µl (normal > 400/µl) und einer Virusmenge von 280.000 Kopien/ml gestartet. Es bestätigte sich eine Pneumocystis-Pneumonie, die innerhalb weniger Tage auf die Therapie mit Cotrimoxazol und Prednisolon ansprach. Allerdings ergaben sich in der zweiten Therapie woche weitere Komplikationen und opportunistische Infektionen: Zusätzlich wurden eine Zytomegalovirus(CMV)-Pneumonitis, eine atypische Mykobakteriose der Lunge und eine HIV-Enzephalopathie behandlungsbedürftig. In der Vorgeschichte der letzten fünf Jahre wurden unter anderem angegeben: Zoster (Th12) rechts vor vor Jahren, sebor rhoische Dermatitis an Stirn und Wangen und eine ambulant behandelte Pneumonie vor drei Jahren. Hätte in Zusammenschau mit der Zugehörigkeit zur Risikogruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), eine dieser Erkrankungen zum HIV-Test und zu einem früheren Therapiebeginn geführt, dann hätten die schwerwiegenden Folgeerkrankungen und der fünfwöchige Krankenhausaufenthalt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit verhindert werden können. Eine HIV-Primärinfektion wird man dann erkennen, wenn bei Symptomen eines Drüsenfiebers (Morbus Pfeiffer) wie Schluckbeschwerden, Lymphknoten am Hals, Kopf-und Gliederschmerzen, Fieber und Abgeschlagenheit daran gedacht wird, dass das identische Krankheitsbild auch bei einer HIV-Infektion auftreten kann [2] . Wenn vorher ein Risikokontakt stattgefunden hat, sollte die Abklärung nicht nur ein Differenzialblutbild (Lymphozytose, Monozytose) und die Epstein-Barr-Virus(EBV)-Serologie, sondern auch einen HIV-Test beinhalten [3] . Das Heimtückische an der latenten HIV-Infektion ist, dass viele Patienten während dieser Zeit kein einziges Symp tom haben und dennoch ansteckend sind. Erst wenn die Immunität nachlässt und die Zeit seit der Erstinfektion fortschreitet, können Allgemein symptome im Sinn einer B -Symptomatik mit Gewichtsverlust, Fieber unklarer Genese und Nachtschweiß auftreten. Zur Abklärung gehört natürlich auch in dieser klinischen Situa tion ein HIV-Test. Jede sexuell übertragene Erkrankung kann im "Doppelpack" mit einer HIV-Infektion erworben worden sein [4] . Die Diagnose beispielsweise einer Chlamy-dien-Urethritis sollte also zum Anbieten eines HIV-Tests auffordern. Dasselbe gilt für Go nor rhö, Syphilis, neu aufgetretenen Herpes genitalis und Genitalwarzen. Außerdem gibt es eine Reihe von Indikatordiagnosen, bei denen zu Unrecht häufig nicht an einen HIV-Test gedacht wird (Tab. 1, Abb. 1, Abb. 2, Abb. 3 , Abb. 4, Abb. 5) [5] . Selbst verständ lich können alle hier genannten Erkrankungen auch ohne HIV-Infektion auftreten. Die überzufällige Assoziation mit einer HIV-Infektion recht fertigt jedoch den Aufruf zum HIV-Test. Wir erleben es immer wieder, dass späte HIV-Infektionen bei Patienten vorkommen, die zur Abklärung einer neu aufgetretenen Thrombozytopenie, Leukopenie oder gar Trizytopenie bereits beim Internisten und/oder Hämatologen waren. Zur Abklärung einer Thrombopenie gehört ganz klar ein HIV-Test. Etwa 10-50 % aller Menschen mit HIV-Infek tion erleiden im Verlauf ihrer Erkrankung eine Thrombopenie unterschiedlichen Ausmaßes [7] . Die HIV-assoziierte Thrombopenie ähnelt dabei sehr der Immunthrombopenie (Morbus Werlhof): große Milz, Zunahme der Megakaryozyten im Knochenmark und Nachweis von plättchenassoziierten Immun globulinen. Hämatologische Veränderungen durch die HIV-Infektion können durch die Infektion von Knochenmarkzellen einerseits und durch die Veränderung des Zytokinmilieus im Knochenmark andererseits erklärt werden [8, 9] . Zytopenien gehören zu den späteren Manifestationen im Verlauf der latenten HIV-Infektion, verschwinden aber häufig, wenn die ART rechtzeitig begonnen wird. Ein weiterer Befund ist die polyklonale Hypergammaglobulinämie [10, 11] . Bei manchen HIV-Sub typen, insbesondere den Non-B-Subtypen A, C und E kommt es zu massiv ausgeprägten For-men der Hypergammaglobulinämie mit einer Erhöhung des Serum-Gesamteiweißes. Bei dieser Konstellation würde man zunächst an eine Monoklonaliät denken. Bleibt aber die Immunelektrophorese unergiebig, muss ein HIV-Test erfolgen. Etwa ein Fünftel der neuen HIV-Diagnosen in Deutschland wurden in anderen Ländern erworben [1] . Nicht in allen Deutschen Bundesländern ist die medizinische Untersuchung von Asylsuchenden und anderen Migranten bei der Einreise mit einem HIV-Test gekoppelt. Wegen der guten Behandelbarkeit der HIV-Infektion sollte ihnen jedoch ein HIV-Test großzügig angeboten werden, insbesondere bei Herkunft aus Afrika südlich der Sahara, Südostasien, Russland und den Sowjet-Nachfolgestaaten, insbesondere wenn gleichzeitig Hinweise auf Drogengebrauch vorliegen. Der HIV-Test ist immer dann eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn ein epidemiologisches Risiko oder ein klinischer Verdacht auf eine HIV-Infektion besteht oder wenn die Infektion nach einer Exposition ausgeschlossen werden soll. Eine HIV-Infektion ist sehr gut behandelbar und führt bei rechtzeitiger und richtiger Behandlung nicht mehr zu einer Einschränkung der Lebenserwartung. Deshalb ist ein HIV-Test weder ehrenrührig noch stigmatisierend, sondern vor allem lebensrettend. Über den Grund muss und darf offen gesprochen werden. Trauen wir uns ruhig, über Sex zu reden, das Risiko zu benennen und die Empfehlung für einen HIV-Test auszusprechen. Der HIV-Test als IGeL-Leistung sollte der Vergangenheit angehören. Primary HIV Infection: Clinical Presentation, Testing, and Treatment Mononucleosis: a disease with three different etiologies Prevalence and antibiotic resistance of rectal Mollicutes in HIV-infected men who have sex with men at the University Hospital of Dresden The case for indicator condition-guided HIV screening High effectiveness of recommended first-line antiretroviral therapies in Germany: a nationwide, prospective cohort study An overview of the mechanisms of HIV-related thrombo cytopenia Impact of highly active antiretroviral therapy on anemia and relationship between anemia and survival in a large cohort of HIV-infected women: Women's Interagency HIV Study Antigen-dependent and independent mechanisms of T and B cell hyperactivation during chronic HIV-1 infection Mechanisms of hypergammaglobulinemia and impaired antigen-specific humoral immunity in HIV-1 infection