key: cord-0067109-abzbqu0h authors: Ernst, Barbara; Schultes, Bernd title: Mikronährstoffe bei Adipositas und nach bariatrischer Chirurgie date: 2021-08-31 journal: J DOI: 10.1007/s41975-021-00207-x sha: 321477e0007ab747d85d8c3306d0fe0da960e292 doc_id: 67109 cord_uid: abzbqu0h Adipositas hat weltweit eine hohe Prävalenz erreicht und stellt die Gesundheitssysteme vor grosse Herausforderungen. Die bariatrische Chirurgie hat sich zur Behandlung der Adipositas in den letzten 20 Jahren etabliert. Dabei führen die durchgeführten bariatrischen Operationen oft zu Mikronährstoffmängeln, welche systematisch supplementiert werden müssen. Auch ohne Operation bestehen bei Menschen mit Adipositas veränderte Blutwerte, welche das Vorliegen von Mikronährstoffmängeln suggerieren. Die klinische Relevanz dieser Befunde ist jedoch oft ungewiss. In unserer Übersichtsarbeit geben wir einen Überblick über den aktuellen Wissensstand zum Thema Mikronährstoffe bei Adipositas und nach bariatrischer Chirurgie und stellen exemplarisch einige unsererseits erhobene Befunde dar. Einleitung Die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas hat über die letzten 20 Jahre hinweg weltweit deutlich zugenommen und stellt eine starke Belastung für die Gesundheitssysteme dar. Gemäss Angaben des Bundesamts für Gesundheit (BAG) sind in der Schweiz rund 42 % der erwachsenen Bevölkerung übergewichtig (Body Mass Index [BMI] > 25 kg/m 2 ) und davon 11% adipös (BMI > 30 kg/m 2 ; [1] ). Adipositas erhöht das Risiko für eine Vielzahl von Komorbiditäten, insbesondere Störungen im Bereich des Metabolismus wie Diabetes mellitus oder Dyslipoproteinämien, kardiovaskuläre Erkrankungen sowie einige Krebsleiden wie beispielsweise das Endometriumkarzinom oder das postmenopausale Mammakarzinom. Wie die SARS-CoV-2("severe acute respiratory syndrome coronavirus 2")-Pandemie nochmals verdeutlicht hat, ist Adipositas auch mit einem schwereren Verlauf von Infektionskrankheiten assoziiert. So konnten viele Studien zeigen, dass Adipositas das Risiko für einen schweren Verlauf der Coronaviruserkrankung ("coronavirus disease") 2019 (COVID-19) erhöht [2] . Wie insbesondere Studienergebnisse zur bariatrischen Chirurgie gezeigt haben, kann eine Gewichtsreduktion bei Menschen mit Adipositas dazu beitragen, die gesundheitlichen Risiken so wie auch deren frühzeitiges Versterben deutlich zu reduzieren [3] . Obgleich neue medikamentöse Therapieansätze hoffnungsfroh bezüglich einer zukünftig verbesserten konservativen Therapie stimmen [4] , stellt die bariatrische Chirurgie bislang die effektivste Therapie zur Gewichtsreduktion bei Adipositas dar. In der Schweiz wurden über die letzten Jahre hinweg relativ konstant knapp 5000 bariatrische Operationen pro Jahr durchgeführt, wobei im Jahr 2020 die Anzahl der Operationen -wohl insbesondere als Folge der Coronapandemieum etwa 700 Operationen zurückging [5] . Obgleich der gesundheitliche Nutzen der bariatrischen Chirurgie insbesondere bei Patienten mit Adipositas und gleichzeitig vorliegendem Typ-2-Diabetes mittlerweile gut belegt ist [3] , bergen diese interventionellen Therapien auch Risiken. Dies insbesondere in Bezug auf eine verminderte Mikronährstoffaufnahme, welche zu klinisch relevanten Mangelerscheinungen führen kann. In diesem Zusammenhang ist jedoch auch zu erwähnen, dass bereits vor einer bariatrischen Operation bei vielen Personen mit Adipositas sich erhebliche Alterationen im Bereich der Mikronährstoffblutmarker finden lassen. Obgleich die Entwicklung einer Adipositas auf eine dauerhafte Hyperalimentation zurückzuführen ist, kann es dennoch zu Mikronährstoffmängeln kommen. Dies könnte auf eine zwar quantitativ hohe, jedoch qualitativ mangelhafte Nahrungszufuhr zurückzuführen sein. Andererseits können auch durch verschiedene pathophysiologische Prozesse der Adipositas die Blutkonzentrationen von Mikronährstoffen verfälscht werden, was eine Interpretation entsprechender Laborwerte erschwert. Bei einer systematischen Erhebung [6] , welche wir vor mehr als 12 Jahren bei 272 hilfesuchenden Patienten mit Adipositas durchführten, konnten wir bereits eine Prävalenz von Alterationen ver- In Bezug auf Menschen mit Adipositas erscheint die grosse kontrollierte, randomisierte D2d-Studie noch relevanter [10] . In dieser Studie wurden über 2400 Personen (mittlerer BMI rund 32 kg/m 2 ) mit hohem Risiko für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes bzw. bereits bestehendem Prädiabetes in 2 gleich grosse Gruppen randomisiert, wobei eine Gruppe täglich 4000 Einheiten Vitamin D per os und die andere Gruppe Placebo erhielt. Nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 2,5 Jahren war das Risiko für das Auftreten eines manifesten Diabetes um 12 % in der mit Vitamin D behandelten Gruppe reduziert, jedoch erreichte dieser Unterschied nicht das statistische Signifikanzniveau (Hazard Ratio [HR] = 0,88; 95 % Konfidenzintervall [KI] 0,75-1,04; P = 0,12). Eine post hoc durchgeführte Subgruppenanalyse, welche nur Personen mit einem Ausgangs-25-OH-Vitamin-D3-Wert von < 30 nmol/l einschloss, zeigte jedoch eine deutlich stärkere Risikoreduktion von 62 % (HR = 0,38; 95 %-KI 0,18-0,80). Da derartige Post-hoc-Analysen immer mit Vorsicht zu interpretieren sind, besteht weiterhin international eine intensive Diskussion über den potenziellen Nutzen einer Vitamin-D-Supplementation bei entsprechenden Risikogruppen. Die Daten legen jedoch nahe, dass insbesondere bei Patienten, welche einen ausgeprägten Vitamin-D-Mangel aufweisen, eine relativ hoch dosierte Supplementation sinnvoll sein könnte. Im Hinblick auf die aktuelle Coronapandemie sei auch die aktuell kontrovers geführte, intensive Diskussion über den Nutzen einer Vitamin-D-Gabe zur Prävention oder Behandlung von COVID-19 erwähnt. Insgesamt erscheint die vorliegende Evidenz als unzureichend, um diesbezüglich eine abschliessende Beurteilung und klare Empfehlung geben zu können [11, 12] . Eine vor Kurzem veröffentlichte Metaanalyse zur Prävention von akuten respiratorischen Infekten durch eine Vitamin-D-Supplementation kam jedoch zum Schluss, dass Vitamin D einen geringen präventiven Effekt ausübt, welcher insbesondere bei Kindern am deutlichsten erkennbar war [13] . Vor dem Hintergrund der limitierten Evidenz für eine allgemeine Vitamin-D-Supplementation wird die weitverbreitete Bestimmung von 25-OH-Vitamin-D3-Werten in der Bevölkerung zunehmend als kritisch angesehen. In einer im Auftrag des Swiss Medical Board durchgeführten Studie, bei der Daten der Schweizer Krankenversicherung SWICA analysiert wurden, kam man zum Schluss, dass die Mehrzahl dieser 25-OH-Vitamin-D3-Messungen unnötig ist und möglicherweise eine medizinische Überversorgung darstellt [14] . Konkret wurden in dieser Studie Daten von insgesamt über 200.000 SWICA-Versicherten im Jahr 2015 sowie im Jahr 2018 analysiert [15] . Es zeigte sich, dass es zwischen den beiden Erhebungsjahren zu einem massiven Anstieg in der 25-OH-Vitamin-D3-Laborbestimmung kam. Während im Jahr 2015 14 % der Versicherten eine Vitamin-D-Messung erhielten, waren es im Jahr 2018 bereits 20 %. Eine Hochrechnung ergab, dass im Jahr 2018 allein für Vitamin-D-Bestimmungen Gesamtkosten von 90 Mio. Franken generiert wurden. Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kam auch eine Datenanalyse von 1,2 Mio. Personen, welche bei der Schweizer Helsana Group versichert waren [16] . Hier fand sich zwischen den Jahren 2012 und 2018 ein sich beim Albumin um ein sogenanntes Anti-akute-Phase-Protein, welches im Rahmen eines inflammatorischen Geschehens weniger gebildet wird. Daher signalisieren leicht erniedrigte Albuminwerte bei Menschen mit Adipositas nicht unbedingt einen Eiweissmangel, sondern können genauso gut auf eine subklinische Inflammation zurückzuführen sein. Bei vielen der üblichen Mikronährstoffbestimmungen im Blut, wie beispielsweise Zink oder Kalzium, werden die Gesamtkonzentrationen und nicht die biologisch aktiven freien Konzentrationen gemessen. Bei erniedrigten Albuminkonzentrationen müssen daher die entsprechenden Spiegel für Albumin korrigiert werden, wie dies bei der Beurteilung von Kalziumwerten mittlerweile Standard ist. Bei der Beurteilung von Zinkwerten wird dies im Allgemeinen jedoch deutlich seltener berücksichtigt. Die Relevanz dieser Zusammenhänge wird durch eine unsererseits durchgeführte, weiterführende Analyse deutlich [19] . So fanden wir in unserem Untersuchungskollektiv von Personen mit Adipositas eine signifikante inverse Korrelation von Serumalbumin-und Serum-CRP-Konzentrationen (r = -0,36; P < 0,001) sowie zwischen Serumzink-und Serum-CRP-Konzentrationen (r = -0,15; P = 0,032). Zur Interpretation entspre-chender Blutwerte empfiehlt sich daher immer eine gleichzeitige CRP-Bestimmung. Ferritin, dessen Bestimmung meist zur Detektion eines Eisenmangels genutzt wird, stellt ebenfalls ein Akute-Phase-Protein dar. Eine isolierte Ferritinbestimmung kann daher gerade bei Menschen mit Adipositas aufgrund einer vorliegenden subklinischen Inflammation zur Erkennung eines Eisenmangels unzureichend sein. Dies widerspiegelnd fanden wir in unserem männlichen Untersuchungskollektiv eine positive Korrelation zwischen den Serumferritinkonzentrationen und den Serum-CRP-Konzentrationen (r = 0,31; P = 0,012). Um dieses Problem zu umgehen, kann eine zusätzliche Bestimmung der Transferrinsättigung sowie des löslichen Transferrinrezeptors sinnvoll sein, wobei dies wiederum mit deutlich erhöhten Kosten verbunden ist. Hauptproblem bei der RYGB-Operation ist die Ausschaltung des Duodenums sowie des proximalen Jejunums von der Nahrungspassage, da in diesen Dünndarmabschnitten die höchste Dichte an Transportern für die Kalzium-, Eisen-, Zink-, und Kupferresorption lokalisiert ist. Entsprechend können Mängel dieser Mikronährstoffe häufig auftreten und es sollte durch eine gezielte Supplementati-Abb. 3 8 Schematische Darstellungen eines Schlauchmagens on entgegengewirkt werden. Dabei ist zu beachten, dass Zink und Eisen möglichst nicht gleichzeitig eingenommen werden, da sich die beiden Elemente in der Resorption gegenseitig behindern. Auch ist zu vermeiden, dass bei der Einnahme von Zink oder Eisen gleichzeitig Kaffee oder Schwarztee konsumiert wird, da hierdurch die entsprechenden Elemente komplex gebunden und daher nicht resorbiert werden. Der Eisensupplementationsbedarf ist aufgrund von höheren Eisenverlusten in der Regel bei menstruierenden Frauen deutlich höher als bei postmenopausalen Frauen sowie bei Männern. Aufgrund der oft bestehenden schlechten gastrointestinalen Verträglichkeit der oralen Eisensupplementation und den erwähnten Interaktionseffekten werden häufig Eiseninfusionen als Supplementationsform bevorzugt. Bei der Kalziumsubstitution ist die reduzierte Resorptionskapazität zu berücksichtigen, sodass am besten die Kalziumsubstitution auf mehrere Portionen am Tag verteilt wird. Prinzipiell wird Kalziumcitrat nach RYGB besser resorbiert als Kalziumcarbonat [20] . Leider sind in der Schweiz aktuell keine Kalziumcitratprodukte, welche in der Spezialitätenliste des BAG gelistet sind, verfügbar, sodass gegebenenfalls entsprechende Präparate vom Patienten selbst bezahlt werden müssen. Um die Kalziumresorption zu optimieren, sollte auf eine gute Vitamin-D-Versorgung geachtet werden. Entsprechend werden die Laborwerte in regelmässigen Abständen kontrolliert. Da der Blutkalzi-umspiegel jedoch streng reguliert wird, eignete er sich als Parameter für eine adäquate Kalziumversorgung nur sehr bedingt. Besser ist es, das Parathormon zu messen, da ein Anstieg dieses Hormons bei normalen Kalziumblutspiegeln frühzeitig eine unzureichende Kalziumresorption signalisiert und zu einer er-höhtenMobilisationvonKalzium aus den Knochen führt. Nach der RYGB-Operation kommt es regelhaft zum Auftreten eines Vitamin-B12-Mangels. Hintergrund ist wahrscheinlich die reduzierte Bildung des Intrinsic Factors, welcher die Resorption des Vitamins im terminalen Ileum vermittelt. Häufig wird hier eine parenterale Supplementation etwa in 2-bis 3-Monats-Intervallen durchgeführt. Prinzipiell ist jedoch auch eine hoch dosierte orale Supplementation beispielsweise mit 500 μg täglich möglich [21] . Zu bedenken ist, dass eine relativ grosse Menge Vitamin B12 in der Leber gespeichert ist und bei unzureichender Zufuhr die hepatischen Vitamin-B12-Speicher nur langsam depletieren. Entsprechend kann ein Vitamin-B12-Mangel erst 1-2 Jahre nach der Operation auftreten [22] . Gute Vitamin-B12-Werte innerhalb des ersten postoperativen Jahrs sollten einen daher nicht in der falschen Sicherheit wiegen, dass im weiteren Verlauf nicht ein relevanter Mangel auftreten kann. Obgleich nach der SG-Operation die normale Nahrungspassage weiterhin gegeben ist, können auch nach diesem bariatrischen Verfahren relevante Mängel auftreten. Ein Grund ist beispielsweise die reduzierte Azidität des Magens, welche eine verminderte Resorption von Eisen sowie Kalzium bedingen kann. Der Supplementationsbedarf von Eisen sowie Kalzium ist in der Regel jedoch deutlich geringer nach der SG-Operation im Vergleich zu RYGB. Keinen Unterschied hingegen gibt es in der Entstehung eines Vitamin-B12-Mangels, da nach der SG-Operation ebenfalls eine verminderte Intrinsic-Factor-Bildung und damit ei- Schultes B (im Druck) COVID-19 und Adipositas -Daten, potenzielle Mechanismen und klinische Implikationen Association of metabolic-bariatric surgery with long-term survival in adults with and without diabetes: a one-stage meta-analysis of matched cohort and prospective controlled studies with 174 772 participants Pharmacological interventions against obesity: current status and future directions Bariatrische Operationen in der Schweiz Evidence for the necessity to systematically assess micronutrient status prior to bariatric surgery Decreased bioavailability of vitamin D in obesity Seasonal variation in the deficiency of 25-hydroxyvitamin D(3) in mildly to extremely obese subjects Effect of vitamin D supplementation, omega-3fattyacidsupplementation,orastrengthtraining exercise program on clinical outcomes in older adults: the DO-HEALTH randomized clinical trial Vitamin D supplementation and prevention of type 2 diabetes Dos Santos Puga ME, Pereira Nunes Pinto AC (2021) Insufficient evidence for Vitamin D use in COVID-19: A rapid systematic review Association between vitamin D supplementation orserumvitaminDlevelandsusceptibilitytoSARS-CoV-2 infection or COVID-19 including clinical course, morbidity and mortality outcomes? A systematic review Vitamin D supplementation to prevent acute respiratory infections: systematic review and meta-analysis of aggregate data from randomised controlled trials php?id=69&tx_news_pi1%5Bnews %5D=135&cHash=cdf599081dd0ea4101f2e6df c0937221 Potentially inappropriate testing for vitamin D deficiency: a cross-sectional study in Switzerland MarkunS(2020)Trendsinmicronutrient laboratory testing in Switzerland: a 7-year retrospectiveanalysisofhealthcareclaimsdata Effects of vitamin B-12 supplementation on neurologic and cognitive function in older people: a randomized controlled trial Bariatric surgery and the assessment of copper and zinc nutriture Comparison of the absorption of calcium carbonate and calcium citrate after Roux-en-Y gastric bypass Early biomarker response and patient preferences to oral and intramuscular vitamin B12 substitution in primary care: a randomised parallel-group trial Comparison of nutritional deficiencies after Roux-en-Y gastric bypass and after biliopancreatic diversion with Roux-en-Y gastric bypass American Society for Metabolic and Bariatric Surgery Integrated Health Nutritional Guidelines for the surgical weight loss patient 2016 update: micronutrients British Obesity and Metabolic Surgery Society Guidelines on perioperative and postoperative biochemical monitoring and micronutrient replacement for patients undergoing bariatric surgery-2020 update FitForMe Multivitamine von FitForMe nach einer bariatrischen Operation! Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral