key: cord-0066347-bdf3wjpo authors: Österle, Hubert title: Maschinelle Intelligenz – Evolution oder Lebensqualität date: 2021-08-03 journal: Informatik Spektrum DOI: 10.1007/s00287-021-01382-8 sha: f68d8f113f531b501d84b92cfcc0d8a405a8a89b doc_id: 66347 cord_uid: bdf3wjpo Die maschinelle Intelligenz durchdringt und verändert alle Lebensbereiche. Die Integration der digitalen Services in Superapps verschiebt die Macht von Individuen, von konventionellen Unternehmen und von Staaten hin zu Internetgiganten, die ihre Ressourcen dafür einsetzen, die digitalen Dienste so weiterzuentwickeln, dass ihr Kapital und ihre Macht weiterwachsen. Auf diese Weise treibt das Kapital die soziotechnische Evolution. Konsumerismus, psychische Erkrankungen, Wohlstandskrankheiten, politische Polarisierung, Machtverschiebung zu Konzernen u. a., negative Konsequenzen einer rein kapitalgetriebenen Entwicklung verlangen nach Steuerungsmechanismen im Sinne der Lebensqualität. Die riesigen Datensammlungen der digitalen Dienste ermöglichen es, die Treiber der Lebensqualität besser verstehen zu lernen, messbar zu machen und damit die soziotechnische Evolution zum Wohle der Menschen zu lenken. Darin liegen die Chancen einer Disziplin Life Engineering. Derzeit nutzen Menschen je nach Technikaffinität und Lebensumständen monatlich ungefähr 6 SmartPhone-Apps 1 [1] , in Einzelfällen aber bis zu 100. Das sind Apps wie z. B. Videoconferencing, Navigation und Payment. Stark wachsende Bereiche sind Gesundheit (Schlaf etc.), Wohnung (Beleuchtung usw.), Fahrzeug (Kollisionswarnung usw.), Verkehr (Fußgängererkennung etc.) und öffentliche Verwaltung (z. B. Steuererklärung). In 10-20 Jahren werden Superapps (fast) alle Dienste zusammenfassen, die ein Individuum benötigt. Wir sind uns meist gar nicht bewusst, wie viele digitale Services uns in allen Lebensbereichen bereits heute, im Jahre 2021, begleiten. Sensorik, 5G, die Robotik, das maschinelle Lernen, die Integration (Standardisierung, Verknüpfung, Bereinigung) der Benutzerdaten und einfachere Mensch-Maschine-Kooperation werden bis zum Jahre 2030 leistungsfähige und umfassende Lebensassistenten aus einer Hand für Gesundheit, Mobilität, Arbeit, Unterhaltung usw. ermöglichen. Je stärker die erwähnten Dienste zur Superapp einer dominanten Internetplattform zusammenwachsen, desto inte- 1 Wenn die Maschine besser als der Mensch weiß, welche Lebensmittel er kaufen sollte, kann sie ihm den Einkauf abnehmen. Wenn die Maschine aus den Persönlichkeitsmerkmalen den richtigen Partner fürs Leben findet, kann der Mensch die Auswahl der Maschine überlassen. Spätestens hier beginnt die Angst vor dem Verlust der Autonomie, der Punkt, an dem die Emotionen besonders hochgehen. Eine Befragung von 240 sogar weitgehend technikaffinen Personen hat dies deutlich gezeigt [8] . Die Ein stark verfeinertes Modell der Lebensqualität könnte es erlauben, die vielerorts diskutierten Prinzipien der Digitalethik (siehe Beitrag Spiekermann in diesem Heft) zu operationalisieren, zu konkretisieren und letztlich durch konkrete Handlungsanweisungen zu ersetzen. Ein elaboriertes Modell der Lebensqualität kann aber auch die Ansätze der positiven Psychologie, die Erkenntnisse der Neurowissenschaften, ja sogar bewährte Konzepte von Religionen wie die zehn Gebote oder die buddhistische Meditation zu einer Anleitung zur Eudaimonia, also zum dauerhaften Glück durch Zufriedenheit mit sich und der Umwelt zusammenfassen und die Basis für einen digitalen Lebensassistenten bilden, der uns beobachtend und intervenierend durch das tägliche Leben begleitet. Soll die maschinelle Intelligenz die Lebensqualität erhöhen, so muss sie aus den Verhaltensdaten ein operationalisierbares Modell der Lebensqualität "lernen" und anhand dessen die Individuen, die Unternehmen und die Gesellschaft anleiten. Die Menschheit steht vor der Wahl, die soziotechnische Evolution am Kapital oder aber an der Lebensqualität auszurichten (Abb. 3). Das Kapital ist bis heute der wirkungsvollste Treiber der technologischen Entwicklung. Die Megaportale nutzen ihre Datensammlungen, ihre Modelle des Kaufverhaltens, ihren dominanten Kundenzugang und ihr Kapital, um ihre Dienste weiterzuentwickeln. So bieten sie ihren Kunden einen überlegenen Nutzen und steigern damit den Unternehmenswert, wie dies von ihren Aktionären gefordert wird. Was hilft es, wenn ein Unternehmen die Lebensqualität in den Mittelpunkt stellt, damit aber den Antrieb und die Ressourcen für die Entwicklung verliert, sodass kapitalgetriebene Unternehmen eine überlegene Technologie entwickeln, die früher oder später von allen übernommen werden muss (siehe dazu auch den Beitrag von Falk und Riemensperger in diesem Heft). In der technologischen Entwicklung gilt das Prinzip: Führe oder werde geführt. In den letzten Jahren verfolgen zahlreiche Initiativen die Lebensqualität der technologischen und ökonomischen Ent- Internetnutzer verwenden gewöhnlich nicht mehr als 5-10 Apps zusätzlich zu den in iOS und Android vorinstallierten [18] . Sollen digitale Dienste mit dem Ziel der Lebensqualität die Benutzer erreichen, müssen sie Zugang zum Kunden erhalten, was auf den Widerstand der Platzhirsche stößt, wie beispielsweise der Rechtsstreit zwischen dem Spielehersteller Epic Games und Apple sowie Google [19] zeigt. Die DSGVO wird teilweise als europäische Vorzeigeleistung gefeiert und teilweise als bürokratisches Monster zum Vorteil der Megaportale anstelle der Bürger [20] verdammt. Möglicherweise sollte der Datenschutz grundsätzlich durch Datennutz ersetzt werden. Nicht die Sammlung von Daten ist zu begrenzen, sondern die Nutzung. Ein Modell könnte sein, dass Datentreuhänder den Zugriff auf sämtliche Personendaten für alle Anbieter von digitalen Services mit Zustimmung der betroffenen Person ermöglichen, dass dann aber kontrolliert wird, ob die Daten nur in dem Sinn verwendet werden, den der Dienstanbieter nach staatlichen Vorgaben deklariert hat. Wirtschaft und Wissenschaft arbeiten seit Längerem an derartigen Konzepten ("self-sovereign identity") und Lösungen [21] . Welchen Wert Personendaten haben, lässt sich daraus erahnen, dass Google jährlich 8-12 Mrd. USD an Apple dafür bezahlt, dass Apple in iOS die Google-Suchmaschine vorinstalliert [22] . Wie dringlich weniger Emotion und mehr Rationalität in der Diskussion sind, zeigt das aktuelle Beispiel der eID in der Schweiz. Das Schweizer Parlament hat beschlossen, eine EU-kompatible staatlich überwachte Identifikation zu schaffen, den Betrieb des Identifikationsservices aber privaten Anbietern zu überlassen. Gegen diese privatwirtschaftliche Lösung wurde das Referendum ergriffen, das im März 2021 vom Volk angenommen wurde, sodass der Datennutz aus der eID in der Schweiz wahrscheinlich um Jahre verzögert wird. Und dies in einem Land mit 8,6 Mio. Einwohnern, von denen 96 % im Internet aktiv sind, 6,5 Mio. einen E-Mail-Account bei Google, Apple usw. besitzen, sich 4,5 Mio. in sozialen Netzwerken wie Facebook engagieren [23] Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. 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