key: cord-0065878-8ckdabhf authors: Nadstawek, Joachim; Berning, Daniel title: Gibt es eine Rationale für eine bestimmte Blütentherapie? date: 2021-07-26 journal: Schmerzmed. DOI: 10.1007/s00940-021-3157-7 sha: 7b2f2558b9a9b1135eb8fce2ff0525db6b96f588 doc_id: 65878 cord_uid: 8ckdabhf nan Trotz des zunehmenden Anteils bei der Verordnung besteht in der medizinischen Welt immer noch eine große Skep-sis gegenüber der Inhalationstherapie mit medizinischen Cannabisblüten. Häufig wird die geringe Evidenz für diese Therapieform als Argument vorgebracht. Gleichzeitig werden oft Sicherheitsbedenken geäußert. So betreffen häufige Argumente gegen Cannabisblüten die unberechenbare Pharmakologie aufgrund der Inhalation: Es werden kurzfristig sehr hohe THC-Konzentrationen im Körper erreicht, weshalb die Patienten mehrmals innerhalb von 24 Stunden inhalieren müssen. Die rasche Anflutung und der schnelle Abfall der Wirkkonzentration sind mit der Pharmakologie von kurz wirksamen Opioiden vergleichbar, weshalb einige Experten eine erhöhte Gefahr für die Entwicklung einer Sucht befürchten. Darüber hinaus wird die Möglichkeit vermutet, dass die Anwendung von Cannabisblüten Psychosen auslösen kann. Neben der Psychose wird als mögliche Nebenwirkung häufig die Entwicklung einer möglichen Depression unter Cannabinoiden angeführt. Als Kontraindikationen für medizinisches Cannabis werden neben psychischen Erkrankungen auch die periphere Verschlusserkrankung und kardiovaskuläre Vorerkrankungen genannt. In den bisher vorliegenden Metaanalysen zur Evidenz von medizinischem Cannabis wurde nicht unbedingt nach der Applikation differenziert. In ihrer Metaanalyse von 2015 konnten Penny F. Whiting und Mitarbeiter eine gute Evidenz für Schmerz und Spastik sowie eine moderate für Schlafstörung, Übelkeit/Erbrechen und das Tourette-Syndrom nachweisen [2] . Darüber hinaus erbrachte die 2018 publizierte Metaanalyse von Donald I. Abrams eine gute Evidenz für Schmerz und chemotherapieinduzierte Übelkeit und Erbrechen sowie Spastik bei multipler Sklerose und eine moderate Evidenz für die Schlafstörung [3] . Auch Herman Johal und Mitarbeiter konnten in ihrer Metaanalyse einen positiven Einfluss von medizinischem Cannabis auf den Schmerz nachweisen [4] . In dieser Metaanalyse zeigten sogar orale Cannabinoide im Vergleich zu Placebo eine größere Schmerzreduktion im Vergleich zu oromukosalen oder inhalativen Formulierungen, allerdings war der Unterschied nicht signifikant. Im Dezember 2020 publizierten Stanley Sau Ching Wong und Mitarbeiter eine Metaanalyse, in der sich ebenfalls ein positiver Einfluss von medizinischem Cannabis auf den Schmerz zeigte, unabhängig davon, ob es sich um neuropathische oder andere chronische Schmerzen handelte [5] . Das zeigte sich in der Mehrzahl von 38 eingeschlossenen Studien, in denen Patienten mit chronischen Schmerzen untersucht worden waren. Lediglich sechs dieser Studien wiesen keinen Effekt von medizinischem Cannabis nach. Dazu gehörten zwei der 15 Studien, in denen vor allem Patienten mit neuropathischen Schmerzen behandelt worden waren. Unterschiede zwischen inhalierter, oraler oder oromukosaler Administration wurden in dieser Arbeit nicht gefunden. Insgesamt ein Drittel der Studien wurde mit Cannabisblüten durchgeführt. Man kann also festhalten: Studien zur Wirkung von Cannabisblüten auf den Schmerz wurden bisher in alle vorgestellten Metaanalysen eingeschlossen. Es besteht also auch für Cannabisblüten eine vergleichbar bescheidene Evidenz. Ohne Zweifel ist medizinisches Cannabis in allen Applikationsformen im Alltag der Schmerzund Palliativmedizin angekommen. In allen vier genannten Metaanalysen waren schwerwiegende Zwischenfälle unter medizinischem Cannabis selten und auftretende Nebenwirkungen waren meist sehr mild ausgeprägt. Zu diesem Ergebnis gelangte auch das Team um Eva Hoch in der CaPRis-Studie [6] . Im Gegensatz dazu sahen Martin Mücke und Mitarbeiter bei 17 % der Patienten in ihrer Analyse von 16 Studien psychiatrische Beeinflussungen oder Symptome [7] . In der prospektiven Kohortenstudie COMPASS untersuchten Mark A. Ware und Mitarbeiter die Sicherheit von medizinischen Cannabisblüten für das Management von Schmerzen [8] . Die Studie wurde an sieben Zentren in Kanada über zwölf Monate durchgeführt. Eingeschlossen wurden Patienten, die seit mindestens sechs Monaten chronische, nicht tumorbedingte Schmerzen beklagten und keine ausreichende Schmerzlinderung durch die Standardtherapie erfahren hatten. Die Ergebnisse nach einem Jahr zeigten kein erhöhtes Risiko für schwerwiegende unerwünschte Ereignisse unter der Therapie mit Cannabisblüten. Allerdings bestand für Cannabiskonsumenten ein gesteigertes Risiko für leichte bis moderate Nebenwirkungen. Sowohl für Cannabiskonsumenten, als auch für die Patienten in der Kontrollgruppe kam es sogar zu einer Verbesserung der neurokognitiven Funktionen, es fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Behandlungsgruppen. Unter der Therapie mit Cannabisblüten zeigte sich keine Veränderung der Leber-, Nieren-und endokrinen Funktionen, gemessen anhand der entsprechenden Laborparameter. In der mit Cannabisblüten behandelten Gruppe erhöhte sich die Häufigkeit von Depressionen bzw. von Halluzinationen und Nervosität nicht, während in der Kontrollgruppe diesbezüglich eine leichte, aber nicht signifikante Zunahme zu verzeichnen war. In der Cannabisgruppe verbesserten sich signifikant die mittlere Schmerzintensität und die Lebensqualität im Vergleich zur Kontrollgruppe. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich in der Zwischenauswertung einer Begleiterhebung im Jahr 2019 [9] . Die Studienlage bezüglich der Nebenwirkungen deckt sich mit unseren Erfahrungen in der klinischen Praxis, in der medizinisches Cannabis zumeist gut vertragen wird. Wir konnten als häufigste Nebenwirkungen Schwindel, Müdigkeit und Mundtrockenheit feststellen. In Bezug auf die Anwendung und Wirksamkeit von Cannabisblüten sammelten wir im medizinischen Alltag fol- Cannabinoids for Medical Use A Systematic Review and Meta-analysis The therapeutic effects of Cannabis and cannabinoids: An update from the National Academies of Sciences, Engineering and Medicine report Cannabinoids in Chronic Non-Cancer Pain: A Systematic Review and Meta-Analysis Analgesic Effects of Cannabinoids for Chronic Non-cancer Pain: a Systematic Review and Meta-Analysis with Meta-Regression Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabisarzneimitteln: Ergebnisse der CaPRis-Studie Cannabis-based medicines for chronic neuropathic pain in adults Cannabis for the Management of Pain: Assessment of Safety Study (COMPASS) Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln in Deutschland -Zwischenauswertung A Selective Cannabinoids for Chronic Neuropathic Pain: A Systematic Review and Meta-analysis The effects of cannabis, cannabinoids, and their administration routes on pain control efficacy and safety: A systematic review and network meta-analysis Herbal medicinal products or preparations for neuropathic pain. 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