key: cord-0065077-b06i9fv6 authors: Fegert, J. M.; Zepp, F.; Kerbl, R. title: Pädiatrische Psychosomatik date: 2021-06-29 journal: Monatsschr Kinderheilkd DOI: 10.1007/s00112-021-01185-x sha: e059c5a9e722135414ef30a27d449b66a11f9a76 doc_id: 65077 cord_uid: b06i9fv6 nan Das Ihnen vorliegende Themenheft der Monatsschrift Kinderheilkunde beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten der "pädiatrischen Psychosomatik". Allein diese Begrifflichkeit ist im deutschsprachigen Raum eine Besonderheit. International wird generell eher von "pediatric psychology" gesprochen, wenn es darum geht, die psychischen Belastungen durch (chronische) körperliche Erkrankungen im Kindes-und Jugendalter zu erforschen und zu behandeln, oder wenn es sich um die Behandlung psychischer Erkrankungen mit primär körperlicher Symptomatik handelt. Im Bereich des Kinderschutzes und des Umgangs mit Belastungsfolgen früher Kindheitsereignisse sind erst in den letzten Jahren interdisziplinär zwischen den Fächern der Kinder-und Jugendmedizin sowie der Kinder-und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Fortschritte erzielt worden. Auch der Einbezug der Rechtsmedizin ist hier relevant. Allerdings hat die Fixierung auf sichtbare körperliche Befunde auch zu einer teilweise zu geringen Beachtung der nach Repräsentativbefragungen sogar zunehmenden, emotionalen Vernachlässigung und emotionalen Misshandlung geführt. Kurzfristige, mittelfristige und Langzeitfolgen sind eher die Domäne der kinder-und jugendpsychiatrischen, -psychotherapeutischen und später der erwachsenenpsychiatrischen und psychotherapeutischen Verlaufsforschung. Unser Themenheft spiegelt diese Vielfalt des interdisziplinären Einsatzes für Kinder mit Belastungen, sei es, dass diese primär von einer körperlichen Problematik ausgehen, sei es, dass diese durch externe Faktoren zunächst psychische Folgen auslösen, die sich dann aber, wie die Verlaufsforschung zeigt, somatisch ma-nifestieren können. Der klassische deutsche medizinische Begriff der "Psychosomatik", nicht in seiner eingegrenzten Bedeutung, sondern in der ursprünglichen wertvollen Darstellung eines aufeinander bezogenen Dualismus, der letztendlich unauflöslich ist, ist hier jenseits der akademischen Fächergrenzen und Zuständigkeit gemeint. Denn im Gegensatz zum Erwachsenenalter gibt es keinen spezifischen Facharzttitel für Kinder-und Jugendpsychosomatik, sondern diese Fragestellungen werden kooperativ von den sich für Kinder und Jugendgesundheit engagierenden Fächern bearbeitet. Im vorliegenden Themenheft nehmen 2 der 4 Beiträge ihren Ausgang von somatischen Erkrankungen; eine Arbeit ist auf Belastungen im Lebensumfeld von aufwachsenden Kindern und Jugendlichen bezogen (psychische Misshandlungen); eine weitere widmet sich den Chancen der Digitalisierung, die häufig nur als Noxe und mögliche schädliche Umweltbedingung thematisiert wird. Die Beiträge zu diesem Themenheft zeigen sehr deutlich, dass neue Medien und E-Health auch aus dem Bereich der pädiatrischen Psychosomatik nicht mehr wegzudenken sind. Dies gilt gleichermaßen für Diagnostik, Therapie, Verlaufsbeobachtungen, aber auch wissenschaftliche Erhebungen. Insbesondere im Zeitalter der "coronavirus disease 2019" (COVID-19) und der damit assoziierten "Fernbetreuung" bis hin zu abrechenbaren elektronischen Distanzbehandlungen von Patienten haben elektronische Tools sprunghaft weiter an Bedeutung gewonnen. Wenn es letztendlich um das Zurechtkommen im Alltag geht, um Lebensqualität, dann hat gerade die durch das "severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2" (SARS-CoV-2) ausgelöste Pandemie deutlich gezeigt, wie essenziell die familiären Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen sind. Mit wem man in einem Haushalt lebt, wie die Sorgeberechtigten in diesem Haushalt in der Lage sind, ggf. Homeoffice und Homeschooling miteinander zu vereinbaren, hat ganz wesentlich über die zusätzlichen Belastungen oder auch über positive Erfahrungen während der Pandemie entschieden. Die Versorgung, gerade in der "pädiatrischen Psychosomatik",wird sich-beschleunigt durchdie Coronapandemie -radikal verändern. Die Akzeptanz von hochspezialisierten Therapie-und Bewältigungsangeboten, die über das Internet angeboten werden, steigt insbesondere bei den jungen Menschen erheblich. Hierdurch sind Spezialisierungen in der psychotherapeutischen Begleitung möglich, die früher undenkbar waren. Gleichzeitig war ein häufiger Grund für Abbrüche einer Psychotherapie, z. B. nach einer belastenden onkologischen Therapie, die Tatsache, dass die jungen Menschen erst ihren Therapeuten erklären mussten, warum dies auch belastend, ggf. traumatisierend etc., sein kann. Patienten mit chronischen Erkrankungen in der pädiatrischen Psychosomatik sind Expertinnen und Experten für ihre Krank-heitsbilder geworden und sind heute in der Regel ebenso, wie ihre Eltern, extrem gut aufgeklärt. Insofern haben sie auch einen Anspruch auf spezifische, themenbezogene Interventionen, die tatsächlich die Probleme aufgreifen, mit der sich die jeweilige Betroffenengruppe herumschlägt. Digitalisierung kann hier zu einer deutlich besseren Zielgenauigkeit der Interventionen führen. Die Nutzung neuer Methoden, z. B. der VR, in der Therapie eröffnet neue Chancen zum gefahrlosen, realitätsnahen Üben. Je stärker wir durch Grundlagenforschung Krankheitsmechanismen, gerade auch bei den SE, aufklären und evtl. individualisierte Therapien anbieten können, umso mehr müssen wir den Bereich des "Coping", also des Zurechtkommens mit einer zugrunde liegenden Erkrankung und den damit verbundenen medizinischen Interventionen, im Blick behalten. Ein grundlegendes Verständnis der Krankheitsmechanismen und die weitere Erforschung der psychischen Bewältigung gehören zusammen, auch wenn in der Praxis noch häufiger der Gegensatz zwischen somatisch und psychisch gesehen wird. Gerade die gut erforschten Langzeitfolgen psychischer Misshandlung machen deutlich, dass sich frühe Kindheitsbelastungen auch in somatischen Folgeerkrankungen manifestieren können, wie es die legendäre "Adverse-Childhood-Experiences"(ACE)-Studie [1] ja wegweisend dargestellt hat. Wir hoffen daher, dass dieses Themenheft ein wenig zu Bewusstsein und Fortbildung in diesem Spannungsfeld "Soma und Psyche" beitragen kann und unsere Kolleg*innen dadurch mehr Sicherheit im alltäglichen Umgang gewinnen. Wir freuen uns über jegliches Feedback -gern auch in Form von Leserzuschriften. Relationship of childhood abuse and household dysfunction to many of the leading cuases of death in adults. The Adverse Childhood Experiences (ACE) Study Fortbildungsbereich für Mitglieder der ÖGKJ" auf SpringerMedizin.de bietet Ihnen zusätzliche Services